Mein Ex, ein Baby und ich

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Auf was hat er sich da bloß eingelassen? Spontan hat Dr. Quinn Devlyn sich bereit erklärt, seine Exverlobte Dr. Charlotte James wiederzutreffen - natürlich nur, um ihr bei der Rettung eines Babys zu helfen. Doch auch fünf Jahre nach ihrer Trennung ist da sofort wieder diese unwiderstehliche erotische Spannung zwischen ihnen …


  • Erscheinungstag 11.05.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746537
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Himmel, worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Schon seit einer ganzen Weile stand Dr. Charlotte James vor der Ankunftstafel auf dem Flughafen von Iqaluit. Dabei hätte sie weiß Gott andere Dinge zu tun gehabt. Patientenakten einordnen, zum Beispiel.

Nicht, dass sie diese Arbeit besonders liebte. Sie bevorzugte ihr geordnetes Chaos, wie sie es nannte. Diesmal stapelten sich die Patientenakten allerdings besonders hoch auf ihrem Schreibtisch, und Rosie lag ihr deswegen schon seit einer Woche in den Ohren.

„Flug zwei null sieben aus Ottawa soeben gelandet“, ertönte es aus dem Lautsprecher.

Es war so weit. Charlotte holte tief Luft. Gleich würde sie Dr. Quinn Devlyn gegenüberstehen. Diesmal würde sie sich von ihm nicht den Kopf verdrehen und sich zu einer leidenschaftlichen Affäre hinreißen lassen. Sie hatte sich ihr Leben neu eingerichtet, hatte beruflich ihr Ziel erreicht und war glücklich und zufrieden. Auch für ihn war das Leben zweifellos weitergegangen, denn, wie sie wusste, hatte er inzwischen die oberste Sprosse der Karriereleiter erklommen.

Durch die große Glasscheibe sah sie, wie der Jet auf der Landebahn ausrollte. Der weiße Rumpf hob sich kaum von der Schneelandschaft der kanadischen Arktis ab. Die einzigen Farbtupfer waren die bunt gestrichenen Häuser ringsum.

Nervöse Aufregung breitete sich in Charlotte aus. Was zum Kuckuck hatte sie sich dabei gedacht, ihren Ex-Verlobten nach Cape Recluse zu holen? Plötzlich hatte sie richtig Angst vor der Zusammenarbeit mit ihm. Es würde nicht leicht sein, ihm aus dem Weg zu gehen. Würde sie die Kraft haben, ihm zu widerstehen?

Nach ihrer Trennung hatte sie ihn nie mehr wiedersehen wollen. Nun war sein Kommen der Preis, den sie zu zahlen bereit war, um ihrer besten Freundin zu helfen.

Die ersten Passagiere kamen über die Rollbahn in die Wärme des leuchtend gelb gestrichenen Flughafengebäudes geströmt. Charlotte entdeckte Quinns hohe, breitschultrige Gestalt sofort, auch wenn er den Kopf gesenkt und den Kragen seines Parka bis über die Ohren hochgezogen hatte.

Und prompt beschleunigte sich ihr Herzschlag. Die Hitze stieg ihr in die Wangen, und Schmetterlinge begannen in ihrem Bauch zu flattern. Fünf Jahre war es her, dass Quinn sie verlassen hatte. Seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen, und trotzdem fühlte sie sich plötzlich wieder wie ein verliebter Teenager.

Reiß dich zusammen! schimpfte Charlotte mit sich. Sie hatte ihr Leben wieder in den Griff bekommen, und die Wunde, die er ihrem Herzen zugefügt hatte, war endlich verheilt.

Einen Moment später betrat Quinn das Flughafengebäude. Er stellte sein Gepäck ab und löste seinen Schal. Verdammt, er sah immer noch so umwerfend gut aus wie damals! Charlotte hatte gehofft, dass sein hektischer, karriereorientierter Lebensstil entsprechende Spuren an ihm hinterlassen hätte. Aber er wirkte so sexy und charmant wie eh und je.

Nur sein hellbraunes Haar war an den Schläfen von grauen Fäden durchzogen, das konnte sie selbst auf die Entfernung hin erkennen. Doch das machte ihn nur noch attraktiver. Beim Anblick seiner Lippen wurden unwillkürlich Erinnerungen in ihr wach, wie sinnlich diese küssen konnten, und ein Prickeln lief ihr über die Haut. Im Geist glaubte sie, seine heißen Küsse und die Liebkosungen seiner kräftigen Hände auf ihrem Körper zu spüren.

Himmel, was soll das? Sie war doch keine liebeskranke Medizinstudentin mehr, sondern eine angesehene Ärztin mit einer gut gehenden Praxis. Auf keinen Fall würde sie mit Quinn wieder etwas anfangen.

Energisch verbannte Charlotte alle derartigen Erinnerungen. Stattdessen hielt sie sich vor Augen, wie er die Fehlgeburt ihres gemeinsamen Kindes damit abgetan hatte, dass es so am besten gewesen war. Denn nun konnten sie nach New York ziehen und sich voll und ganz auf ihre berufliche Karriere konzentrieren.

Charlotte hatte New York nichts abgewinnen können. Dagegen hatte sie es in die Einsamkeit der Arktis gezogen, wo sie aufgewachsen war. Es war ihr Traum gewesen, eines Tages wieder zurückzukehren, und sie hatte sich das Recht genommen, diesen Traum zu verwirklichen.

Ich werde die Sache durchstehen, um Mentlanas willen.

Sie tat es nur für ihre beste Freundin. Seit dem Tod ihres Vaters gehörte Mentlana zu den wenigen Menschen, die ihr nahestanden. Charlotte war damals erst zehn gewesen. Ihre Mutter hatte sie nie gekannt. Sie war gestorben, als sie noch ganz klein gewesen war.

Mentlana und ihre Familie hatten sie auch mit offenen Armen aufgenommen, als Charlotte nach ihrer geplatzten Verlobung und dem Verlust ihres Babys nach Cape Recluse zurückgekehrt war. Nun war Mentlana es, die Hilfe brauchte, und Quinn war eine Kapazität auf dem Gebiet der Neonatologie. Er würde Mentlanas Baby retten.

Charlotte nahm all ihren Mut zusammen und ging hoch erhobenen Hauptes auf ihn zu. Ihr Herz raste wie verrückt, und ihre Knie fühlten sich an, als würden sie jeden Moment nachgeben. Jetzt hob er den Kopf. In seinen dunkelbraunen Augen blitzte es kurz auf, als er sie erkannte.

Diese Augen! Wie rasch man sich in deren hypnotischen Blick verlieren konnte!

Abrupt blieb sie stehen. Nein, das durfte ihr nicht noch einmal passieren. Besser, sie achtete auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand.

„Ah, da ist sie ja, Charlotte, der rettende Engel der Arktis“, begrüßte Quinn sie.

Charlotte fand seine Miene reichlich blasiert, als er sie von oben bis unten musterte. Sie ärgerte sich über seinen spöttischen Tonfall, zwang sich jedoch zu einem unverbindlichen Lächeln.

„Willkommen im hohen Norden, Dr. Devlyn.“

„Warum so förmlich? Ich weiß, wir haben uns nicht gerade im Guten getrennt, aber können wir diese Steifheiten bitte vergessen?“

Der männliche Duft seines Eau de Cologne betörte ihre Sinne. „In Ordnung, solange dir klar ist, dass du aus rein beruflichen Gründen hier bist, Quinn.“

„Selbstverständlich, Charlotte. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.“

Die Art und Weise, wie er ihren Namen aussprach, brachte unwillkürlich Erinnerungen an ihre erste gemeinsame Nacht zurück. Es war in einem kleinen Hotel in Niagara Falls gewesen.

Himmel, ich brauche dich so, Charlotte, hatte er ihr heiß ins Ohr geflüstert.

Ich brauche dich, niemals: ich liebe dich. Das hätte ihr zu denken geben sollen, bevor sie sich mit ihm verlobt hatte. Doch sie war blind vor Liebe gewesen.

„Hattest du einen angenehmen Flug?“, erkundigte sie sich im Plauderton.

„Es ging“, antwortete er, während er den Griff seines Trolley-Koffers auszog. „Außer, dass der Typ neben mir sich ziemlich breitmachte.“

Es klang etwas überheblich, aber so war er schon früher gewesen. Deshalb hatte sie ihn auch nie mit nach Cape Recluse gebracht. Quinn war Stadtmensch durch und durch und kam aus gehobenen Kreisen. Charlotte hatte auch von Anfang an gewusst, dass Quinn kein Familienmensch war. Doch in ihrer jugendlichen Naivität hatte sie geglaubt, ihn ändern zu können.

Wie sehr sie sich getäuscht hatte!

Lass die Vergangenheit ruhen! Quinn Devlyn kann dir vollkommen egal sein.

„Wir sollten zusehen, dass wir von hier wegkommen“, sagte sie. „Sie haben ein Sturmtief gemeldet, das von Labrador in unsere Richtung zieht, und wir haben noch einen zweistündigen Flug vor uns. Ich würde gern noch vor Anbruch der Dunkelheit ankommen.“

„Es ist erst zwei Uhr nachmittags“, wandte er verwundert ein.

„Die Sonne geht bei uns schon früh unter.“

„Ich dachte, wir wären im Land der Mitternachtssonne?“

„Nicht im Winter. Da gibt es lange dunkle Nächte.“

„Ach du Schreck.“ Quinn schüttelte den Kopf. „Und wie kommen wir nach Cape Recluse?“

„Mit meinem Jet.“ Charlotte ging voran zum rückwärtigen Teil des Flughafengebäudes, wo ihre Cessna Citation in einem gemieteten Hangar stand.

„Oh! Wann hast du den Flugschein gemacht?“

„Vor vier Jahren, nachdem ein Patient mit einem milden Herzinfarkt in meinen Armen starb. Sein Tod hätte verhindert werden können, wenn ein regelmäßiger Flugverkehr zwischen Iqaluit und Cape Recluse bestanden hätte. Als der Rettungshubschrauber endlich eintraf, war Mr Tikivik bereits tot. Da habe ich beschlossen, das Fliegen zu lernen, damit ich meine Patienten im Notfall selbst nach Iqaluit fliegen kann.“

„Dann bist du also gleichzeitig Ärztin und Pilotin?“

Sein fast schon sarkastisch klingender Tonfall ärgerte sie. Er selbst würde so etwas wohl unter seiner Würde finden. „So funktioniert es jedenfalls am besten. Schließlich können sich die Notfälle nicht nach offiziellen Flugplänen richten.“

„Schon gut. Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Es scheint mir nur etwas viel verlangt zu sein bei einem normalen Gehalt.“

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Mir geht es nicht um Geld. Leben retten bedeutet mir weitaus mehr.“

Quinn schwieg. Charlotte fragte sich, ob sie ihn jetzt gekränkt hatte. Sie wollte ihn nicht verärgern, nachdem er den ganzen weiten Weg und auf eigene Kosten hergekommen war. Aber Quinn hatte auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass beruflicher Erfolg ihm alles bedeutete. Jemand, der nicht den Ehrgeiz besaß, sich an die Spitze hochzuarbeiten wie er, war in seinen Augen ein Niemand.

„Der Fall Mentlana Tikivik interessiert mich sehr“, fuhr er schließlich fort. „Ich verstehe nur nicht, weshalb du sie nicht nach Toronto geflogen hast.“

„Sie hatte eine Lungenembolie.“

Quinn pfiff leise durch die Zähne. „Weiß sie über den Zustand ihres Babys Bescheid?“

„Ja. Ich habe ihr gesagt, dass ich einen Spezialisten hinzuziehen werde, der den Schweregrad des CCAM feststellen wird. Sie ist sich voll bewusst, welcher Eingriff unter Umständen nötig sein wird, und möchte, dass alles getan wird, um ihr Baby zu retten.“

Wie auch ich alles getan hätte, um meins zu retten.

Charlotte schnürte es die Kehle zu, als sie an den schrecklichen Tag zurückdachte, an dem sie die Zysten im Lungengewebe des Fetus festgestellt hatte. Es war leicht zu erkennen gewesen, dass es sich um eine sogenannte kongenitale zystische adenomatoide Fehlbildung der Lunge handelte. CCAM war die internationale Abkürzung dafür. Doch es hatte keinen Weg für sie gegeben, sie zu behandeln. Als Allgemeinärztin fehlte ihr die Qualifikation.

„Hast du ihr das Prozedere erklärt?“

„In allen Einzelheiten. Trotzdem wird Mentlana dich mit Fragen überfallen, da muss ich dich gleich warnen. Sie ist unglaublich wissbegierig.“

„Daran bin ich gewöhnt. Ich erkläre meinen Patienten auch die kompliziertesten Therapien immer äußerst geduldig und in leicht verständlicher Weise.“

Charlotte verzog leicht den Mund. „Worauf du sichtlich stolz bist.“

„Ich kann eben gut mit Kranken umgehen. Sie vertrauen mir“, gab Quinn lächelnd zurück.

Vertrauen war wichtig, besonders in der Kultur der Inuit. Auch für Charlotte war Vertrauen immer sehr wichtig gewesen. Sie hatte Quinn vertraut, hatte ihm ihr Herz, ihren Körper und ihre Seele geschenkt. Er hatte ihr die Unschuld genommen und dann alle ihre Hoffnungen und Träume zerstört, als er sie nach ihrer Fehlgeburt im Stich gelassen hatte.

Es ist am besten so, Charlotte. Nun können wir uns auf unsere berufliche Karriere konzentrieren …

An jenem Tag hatte sie das Vertrauen zu ihm verloren. Deshalb wollte sie privat auch niemals mehr etwas mit ihm zu tun haben.

„Hey, wo bist du mit deinen Gedanken?“ Quinn wedelte ihr mit der Hand vor der Nase herum. „Du warst völlig weggetreten.“

Charlotte schüttelte die schmerzlichen Erinnerungen ab. „Wenn du denkst, mit Mentlana zurechtzukommen, dann überlasse ich alles Weitere dir.“

„Deine Freundin wird bei mir in den besten Händen sein und von mir eingehend informiert werden. Du kannst mir ruhig vertrauen.“

„Das habe ich schon mal getan“, flüsterte sie.

„Was?“, fragte er nach. Vermutlich hatte er ihr nicht zugehört, was er auch früher nur selten getan hatte. Es war immer nur mit sich selbst beschäftigt gewesen, doch sie war zu verliebt und von dem Gedanken an eine eigene Familie besessen gewesen, um es zu merken. Erst später war ihr bewusst geworden, dass sie mit einem Mann verlobt war, der bereits verheiratet war – mit seinem Beruf.

„Nichts.“ Charlotte wechselte das Thema. „Ich war überrascht, als ich erfuhr, dass du in Toronto lebst.“ Sie war neugierig, den Grund zu hören. New York war Quinns Traum gewesen, sein Mekka, der Grund, weshalb er sie verlassen hatte.

„Als es vor zwei Jahren mit der Gesundheit meines Vaters bergab ging, bot er mir seinen Chefarztposten auf der Chirurgischen Station seines Krankenhauses an“, erklärte er.

Charlotte war beeindruckt, dass er seine Praxis in Manhattan aufgegeben hatte, um seinen Vater trotz des schlechten Verhältnisses zu seinen Eltern zu unterstützen.

„Ist er in Pension gegangen?“

„Nein. Er ist gestorben.“

„Das tut mir leid zu hören.“

Quinn zuckte mit den Schultern. „Es war seine eigene Schuld. Er selbst hat sich nie an das gehalten, was er seinen Patienten in Bezug auf Rauchen und Trinken gepredigt hat. Da war der Krebs nicht mehr aufzuhalten gewesen.“

Unterdessen hatten sie den Hangar erreicht, wo Charlottes kleiner Jet stand. Quinn stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

„Wie bist du denn an den gekommen?“

„Ich habe ihn auf einer Auktion ersteigert. Es ist ein 93er-Modell. Von der Innenausstattung her war er in einem fürchterlichen Zustand, aber das störte mich nicht. Ich wollte die Sitze sowieso herausnehmen, um Patienten transportieren zu können.“

„Er sieht prima aus.“

Charlotte lächelte. Sie war stolz auf ihren Jet, und die Bewunderung in Quinns Blick verschaffte ihr Genugtuung. Damals, nach ihrem Medizinstudium, war er von ihr nicht sehr beeindruckt gewesen, als sie sich für die Fachrichtung Allgemeinmedizin entschieden hatte.

Du brauchst seine Anerkennung nicht.

„Ich muss noch rasch etwas mit dem Manager regeln, dann können wir los“, sagte sie. „In einer Minute bin ich wieder zurück.“

Raschen Schrittes ging Charlotte davon. Quinn schien sich nicht geändert zu haben. Er war immer noch so arrogant und von sich selbst eingenommen. Aber seine Selbstsicherheit war vermutlich gerade das, was Mentlana und ihr Baby retten konnte.

Und das war alles, was zählte.

Was zum Teufel tue ich hier? fragte Quinn sich, als der Jet von neuen Turbulenzen geschüttelt wurde. Die Frage war leicht zu beantworten. Er war Charlottes wegen gekommen, weil er sehen wollte, wie es ihr ging.

Als sie es nach ihrer Fehlgeburt abgelehnt hatte, mit ihm nach New York zu gehen, war ihm klar gewesen, dass sie mit ihm fertig war. Es hatte wehgetan, doch es war für ihn nichts Neues gewesen, von Menschen, die er liebte, zurückgewiesen zu werden. Er hatte es akzeptiert und sich in die Arbeit gestürzt, doch insgeheim hatte er sich immer gewünscht, sie wiederzusehen.

Sie hatte so zerbrechlich gewirkt, als er gegangen war, so am Boden zerstört. Jetzt machte sie den Eindruck, als würde sie ihr Leben fest im Griff haben und glücklich sein in ihrer Einsamkeit. Sogar den Flugschein hatte sie gemacht. Es schien, als hätte ihre Trennung sie stark werden lassen.

Was er von sich selbst nicht behaupten konnte.

Er sah auf seine vernarbte Hand und bewegte die steifen Finger. Vor einem Jahr hatte er im dichten Nebel einen Unfall gehabt, bei dem ihm die Hand zertrümmert worden war. Erst nach zahllosen Operationen konnte er seine Hand wieder einigermaßen gebrauchen. Die Brüche waren mit der Zeit verheilt. Vielleicht war auch Charlottes gebrochenes Herz in den fünf Jahren seit ihrer Trennung verheilt?

Nein, er bezweifelte es. Sonst wäre ihre Begrüßung nicht so steif und förmlich ausgefallen.

„Hoppla, das war aber ein bisschen heftig!“, bemerkte er, als der Jet zu hüpfen und zu schlingern begann. So heftige Turbulenzen hatte er auf seinen Flügen noch nie erlebt. Aber da hatte er auch in bequemen Sitzen in der ersten Klasse gesessen und nicht eingezwängt in einem kleinen Cockpit neben dem Piloten – noch dazu einer so verführerischen Pilotin wie Charlotte.

Ihre Schultern berührten sich fast, so dicht saßen sie nebeneinander. Quinn spürte, wie ihm das Blut schneller durch die Adern floss. Ihre Nähe erregte ihn. Charlotte wirkte auf ihn immer noch wie ein starkes Aphrodisiakum. Wie er sich erinnerte, schmeckte sie auch so süß wie Ambrosia.

Reiß dich zusammen! befahl er sich. Du bist kein verliebter Medizinstudent mehr, sondern wirst deine neue Position als Chefarzt der Chirurgie antreten, wenn du nach Toronto zurückkehrst.

Doch es gelang ihm nicht, sich zusammenzureißen. Mit ihren roten Locken sah Charlotte noch genauso aus wie damals, als er sie zum ersten Mal getroffen hatte. Sie war immer noch so schlank, und ihr Gesicht wirkte noch so frisch und jung, als wäre die Zeit spurlos an ihr vorübergegangen.

Vielleicht hält die Kälte im Norden die Menschen frisch.

Quinn schüttelte den Kopf. Er hatte ihren Wunsch, hier oben zu leben, nie verstehen können. Er hasste Winter, Schnee und Eis.

„Ist etwas?“, fragte sie, ohne den Blick zu wenden.

„Wieso?“

Der Jet machte einen neuen Schlenker. Charlotte drehte an den Kontrollknöpfen am Armaturenbrett. „Weil du etwas vor dich hin gemurmelt hast. Du bist an kleine Flugzeuge nicht gewöhnt, sondern fliegst nur erste Klasse, stimmt’s?“

„Zumindest bekommt man dort einen Drink.“ Quinn massierte seine Hand. „Ich bin auch keine Turbulenzen gewohnt, die sich anfühlen wie Bullenreiten auf der Calgary Stampede.“

Charlotte verzog leicht den Mund. „Das hier sind noch geringe Turbulenzen.“

„Gering? Du machst Witze!“

„Überhaupt nicht.“ Sie lachte leise in sich hinein, ein Lachen, das er immer an ihr geliebt hatte. „Das sind nur die Vorboten eines Sturms.“

„Werden wir hineingeraten?“

„Nein. Der Sturm jagt uns nach. Wir werden schneller sein.“

Quinn überlief ein Schauder. „Ich verstehe nicht, wie du in dieser Eiswüste hier leben kannst.“

„Ich liebe das raue Terrain.“

„Aber ich dachte, du hättest Angst vor Bären. Hier muss es doch jede Menge geben.“

Sie lachte. In ihren grünen Augen blitzte es. „Stimmt.“

„Du hast mir nie verraten, weshalb du Angst vor Bären hast.“

„Es ist auch albern, wirklich.“

„Ich möchte es aber wissen. Komm schon, ich sage es auch bestimmt nicht weiter“, drängte Quinn.

„Na gut.“ Um ihre Lippen zuckte es belustigt. „Ich fürchte mich deshalb vor Bären, weil ich nicht lebendig gefressen werden möchte.“

Er hob eine Augenbraue. „Ach, tatsächlich?“, meinte er gedehnt.

Charlottes Wangen überzogen sich mit einer verräterischen Röte, und durch Quinns Adern schien plötzlich flüssiges Feuer zu fließen. Im Geist sah er Charlotte nackt vor sich liegen. Noch immer glaubte er, ihre Küsse auf seinen Lippen zu spüren und ihr seidiges Haar und ihre weiche Haut unter den Händen zu fühlen. Ihre Körper hatten sich so perfekt ineinandergefügt. Doch Charlotte war so ganz und gar nicht das Mädchen gewesen, das seine Eltern sich zur Schwiegertochter gewünscht hätten.

Sie hatten Charlotte nie akzeptiert, doch das war ihm gleichgültig gewesen. Er hatte sich für sie interessiert, weil sie hübsch und klug gewesen war und weil er seine Eltern damit maßlos ärgern konnte. Charlotte war aufregend gewesen, nicht wie die langweiligen Mädchen, mit denen seine Eltern ihn verbandeln wollten. Aufregend – und tabu.

Irgendwann hatte er sich ernsthaft in sie verliebt. Leider hatten sie von der Zukunft unterschiedliche Vorstellungen gehabt. Charlotte wollte eine Familie, er nicht. Bei seiner lieblosen Kindheit traute er sich es nicht zu, ein liebevoller Vater zu sein.

Nachdem seine Verlobung mit Charlotte aufgelöst wurde, hatten seine Eltern immer wieder betont, dass sie ohnehin nicht die richtige Frau für ihn gewesen war. Damit hatten sie leider recht gehabt. Charlotte und er waren zu verschieden gewesen, auch wenn gerade das ihn am meisten an ihr fasziniert hatte.

Energisch verbannte Quinn alle derartigen Gedanken. Sie würden ihn nur in Schwierigkeiten bringen. Er sollte sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren, die ihn hier erwartete.

Der Jet schlingerte jetzt so heftig, dass Charlotte gegen das Armaturenbrett geworfen wurde. Geistesgegenwärtig löste Quinn seinen Sicherheitsgurt und streckte die Arme aus, um sie zu stützen. Der Duft ihres Shampoos umwehte ihn und weckte Erinnerungen an jenen Sommer, den sie in Yellowknife in einer Blockhütte direkt am Ufer des Great Slave Lake verbracht hatten – endlose Nächte voller Leidenschaft unter der Mitternachtssonne.

„Alles in Ordnung?“, fragte er rau und beugte sich näher zu ihr. Dabei konnte er den Puls an ihrem Hals heftig pochen sehen.

„Ja. Nichts passiert.“ Sie räusperte sich und straffte sich, doch Quinn ließ die Hände auf ihren Schultern liegen. Er genoss die Berührung, und auch Charlotte machte keine Anstalten, seine Hände abzuschütteln.

„Sicher?“, vergewisserte er sich. Ihre Wangen waren immer noch gerötet, und ihr Atem beschleunigte sich, als sich ihre Blicke trafen. Als sie die Lippen leicht öffnete, musste er alle Willenskraft aufwenden, um sie nicht zu küssen.

Himmel, wie sehr er sich nach einem Kuss von ihr sehnte!

2. KAPITEL

Lass sie los! Sie will dich nicht mehr.

Schließlich war Charlotte es, die sich von ihm löste. „Schnall dich besser wieder an, denn die Turbulenzen könnten stärker werden“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Sie schien beunruhigt.

„In Ordnung.“ Er verstand den Wink. Quinn verfluchte sich im Stillen, dass er alle Vorsicht außer Acht gelassen hatte. Bevor er hergekommen war, hatte er sich vorgenommen, gefühlsmäßig auf Distanz zu gehen, doch schon nach zwei Stunden hatte sie ihm wieder den Kopf verdreht. Es war, als wären sie nie getrennt gewesen.

Charlotte war für ihn wie eine Droge, die eine besonders rasche Wirkung hatte. Ihm wurde bewusst, wie einsam sein Leben ohne sie war.

Quinn legte den Sicherheitsgurt wieder an und schaute aus dem Fenster. Die Wolken verzogen sich allmählich und gaben den Blick auf eine weiße Landschaft frei, die von bunten Häusern belebt wurde. Sie schienen auf Stelzen zu stehen, um nicht im Schnee zu versinken. Aus den Kaminen stiegen Rauchsäulen auf.

Das also war Cape Recluse.

Die Landspitze war an drei Seiten von der Nordwestpassage umgeben und der Barmherzigkeit der Elemente ausgeliefert. Der Ort selbst lag am Fuß majestätischer Berge. Quinn kniff die Augen zusammen. Er konnte die Landebahn, die aus einer einzigen Eisfläche zu bestehen schien, kaum erkennen. Das hier schien das Ende aller Zivilisation zu sein. Und diesen gottverlassenen Ort hatte Charlotte New York vorgezogen?

Sie schaltete das Funkgerät ein und gab ihre Flugnummer durch. „Tower, ich setze zur Landung an.“

„In Ordnung“, kam es unter Knacken zurück.

Charlotte begann mit der Landung. Quinn bewunderte sie, wie geübt sie den Jet auf der glatten Landepiste aufsetzte. Er schlitterte ein wenig, als die Räder auf dem Eis auftrafen, doch Charlotte hatte alles unter Kontrolle.

Als sie das Flugzeug dem Hangar zulenkte, sah Quinn eine Gruppe Leute zusammenstehen und winken.

„Ah, wir werden empfangen“, bemerkte er.

„Nun ja, hier oben gibt es im Winter nicht viel Unterhaltung, da ist jede Abwechslung willkommen.“

„Das kann ich mir vorstellen“, gab Quinn zurück, bereute seine Worte jedoch sofort, als er Charlottes ärgerlichen Blick sah.

„Dann werden wir dich mal unterbringen“, sagte sie nur und manövrierte das Flugzeug in den Hangar.

Quinn war es nur recht. Er sehnte sich nach einer heißen Dusche und einem kleinen Nickerchen, doch der Größe des Ortes nach zu schließen schien er kein Viersternehotel zu bieten. Nun ja, er würde es überleben. Je früher er Mentlana Tikiviks Fall hinter sich brachte, desto früher konnte er nach Toronto und in sein gewohntes Leben zurückkehren.

Charlottes Herz schlug immer noch wie wild. Sie hoffte nur, dass Quinn nicht bemerkte, was für eine Wirkung er auf sie hatte.

Autor

Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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