Mein glutäugiger Verführer

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Nur noch einmal die Freiheit genießen! In London gönnt sich der Playboy Karim Zaraq eine letzte heiße Affäre mit der hübschen Felicity. Denn schon bald muss er der Pflicht als Thronfolger seines Wüstenreiches gehorchen - und dem Volk eine standesgemäße Ehefrau präsentieren …


  • Erscheinungstag 09.06.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768799
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Hotel war einfach atemberaubend.

Während sie im Laufschritt das edle Foyer durchquerte, wünschte Felicity Anderson, sie hätte Zeit, sich in Ruhe umzusehen. Zumindest wäre sie gern kurz auf der Toilette verschwunden, um sich zu kämmen. Als sie aus der U-Bahn-Station gekommen war, hatte es in Strömen geregnet, und nun war ihre Frisur völlig ruiniert.

Doch sie hatte keine Zeit! Die Informationsveranstaltung sollte um zehn Uhr beginnen, und Felicity war schon jetzt eine Viertelstunde zu spät. Eigentlich kam sie immer pünktlich, doch ihr Zug hatte mehr als eine halbe Stunde mitten auf der Strecke von Nordengland nach London gestanden, sodass ihr Zeitplan wie eine Seifenblase zerplatzte.

Die Rezeptionistin wies ihr den Weg zum Konferenzraum, und nach einem Dauerlauf durch scheinbar endlose Flure stand Felicity nun endlich vor der richtigen Tür. Dort wurde sie von einer attraktiven jungen Frau empfangen, die sich als Noor vorstellte.

„Wir freuen uns, dass Sie kommen konnten“, sagte sie mit einem freundlichen Nicken, bei dem ihr streng und akkurat hochgestecktes Haar sich keinen Millimeter bewegte. Noor trug ein marineblaues Kostüm und hielt einen Stift in der perfekt manikürten Hand. „Hier sind die Unterlagen über das Klinikum und die angegliederte Universität, die in wenigen Wochen eröffnet wird“, erklärte sie, während sie Felicity eine dicke Mappe überreichte. „Jetzt werde ich Sie erst einmal hineinbringen. Am besten warten Sie hinten, bis der Vortrag beendet ist, und suchen sich dann unauffällig einen Platz“, riet sie. „Wir sind wirklich sehr erleichtert, dass Sie noch gekommen sind, denn wir brauchen ganz dringend gute Hebammen.“

Die warmherzige Begrüßung der Assistentin ließ Felicity ein wenig entspannen. Sie musste zugeben, dass bisher jeder Kontakt mit dem Zaraqua Hospital ausgesprochen freundlich gewesen war, und diese Tatsache ließ Schuldgefühle in ihr aufwallen. Allerdings, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, hatte sie von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Man wusste, dass sie bereits die Zusage für einen anderen Job hatte, für den sie nur noch den Vertrag unterschreiben musste. Zu dieser Informationsveranstaltung war sie nur erschienen, um sich wirklich sicher zu sein. Eigentlich aber stand ihre Entscheidung für das andere Krankenhaus längst fest.

Der Konferenzraum war verdunkelt, ein riesiger Bildschirm war die einzige Lichtquelle. Leise trat Felicity ein und hielt sich im Hintergrund. Während sie dem Vortrag lauschte, gerieten all ihre Pläne ins Wanken. Träumerisch betrachtete sie die Bilder der weiten, goldenen Strände und des in der Sonne glitzernden Mittelmeeres. Das Königreich Zaraq, so erfuhr sie, war ein unabhängiger, fortschrittlicher Staat mit einer jahrhundertealten Tradition. In Kürze würde die neue Universität öffnen, die auch Frauen zuließ, sodass die Studentinnen ihre Heimat für einen erstklassigen Hochschulbesuch nicht länger verlassen mussten.

Als die Bilder der Klinik gezeigt wurden, schenkte Felicity dem Vortrag ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Kamera zeigte helle Flure, glitt über geschmackvoll eingerichtete Zimmer und großzügige Behandlungsräume mit modernsten Geräten. Beeindruckt hörte Felicity, dass das Krankenhaus jedem Einwohner Zaraqs offenstand.

Sie war so konzentriert, dass ihr zunächst nicht auffiel, wie jemand leise den Raum betrat und sich neben sie stellte. Erst als sie den leichten Duft eines Aftershaves wahrnahm, bemerkte sie den Mann an ihrer Seite. Der Unbekannte strahlte eine solche Männlichkeit aus, dass sie sich ihm unvermittelt zuwandte. Sie begrüßte ihn mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken und wollte sich sofort wieder dem Vortrag widmen. Doch etwas an ihm ließ sie nicht mehr los.

Selbst in der Dunkelheit des Raumes war seine Attraktivität unschwer erkennbar. Wie gebannt betrachtete sie seine wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge, die gerade Nase und die markanten Wangenknochen, seine dunklen Augen. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. Er lächelte ihr kurz zu, und Felicity zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder der Präsentation zuzuwenden. Dennoch spürte sie, wie sie errötete, und starrte weiter nach vorn und gab dem Bedürfnis nicht nach, noch einmal verstohlen den Fremden anzusehen.

Doch allein seine Gegenwart wühlte sie vollkommen auf. Kein Wort des Vortrags drang mehr in ihr Bewusstsein. Es war nicht nur der herbe Duft des Fremden, auch nicht der tiefe Blick seiner dunklen Augen. Etwas, das sie nicht in Worte fassen konnte, zog sie magisch in seinen Bann. Stundenlang hatte Felicity im Zug nach London gesessen, nur um mehr zu erfahren über den neu erbauten Klinikkomplex. Sie hatte die Fahrt auf sich genommen, um eine wohlüberlegte Entscheidung für den einen oder den anderen Arbeitgeber zu treffen. Und nun stand sie hier, und auf dem Bildschirm hätte ebenso gut ein alberner Zeichentrickfilm laufen können – sie nahm nichts mehr um sich herum wahr außer dem Mann, der sie so sehr elektrisierte, als spüre sie seine Liebkosungen auf ihrer Haut. Die Dunkelheit hüllte sie ein, und sie wusste, ohne sich umzusehen, dass sein Blick auf ihr ruhte. Das Atmen fiel ihr schwer, und sie war sicher, dass ihre Knie versagt hätten, wenn sie nicht an der kühlen Wand lehnen würde.

Niemals zuvor hatte sie so etwas erlebt.

Paul, ihr Exfreund, hatte nicht einmal einen Bruchteil dieser Empfindung in ihr ausgelöst. Tatsächlich war dies ein Grund dafür gewesen, dass sie sich getrennt hatten. Noch nie war es Felicity gelungen, sich einem Mann ganz hinzugeben. Bisher hatte sie geglaubt, sie sei nicht fähig zu leidenschaftlichen Gefühlen. Und jetzt, hier in diesem dunklen Raum, spürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, was es hieß, jemanden zu begehren.

Sie musste verrückt sein.

Während sie auf den Bildschirm starrte und versuchte, sich zu konzentrieren, atmete Felicity tief durch. Gemeinsam mit Paul war sie bei einer Paarberatung gewesen und bei einem Psychologen, sie hatte alles versucht – doch sie konnte einfach nichts empfinden, wenn sie Sex mit ihm hatte.

Und plötzlich stand sie hier neben einem fremden Mann, wünschte sich, ihn zu küssen, und war berauscht allein von dem Gedanken, das Bett mit ihm zu teilen. Wie würde es sich anfühlen, ihm wirklich nahe zu sein, ihn zu berühren und zu lieben?

Noch während sie sich ganz ihren Träumen hingab, verließ er den Raum.

Nur der helle Lichtschein, der kurz durch die geöffnete Tür schien, verriet, dass er gegangen war. Endlich konnte Felicity wieder atmen. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Keine Sekunde zu früh endete der Vortrag, und das Licht ging an. Schnell suchte sie sich einen Platz und zwang sich, innerlich noch vollkommen verwirrt, zu einer unbeteiligt freundlichen Miene.

„Sie haben nicht viel verpasst“, sagte ihr Sitznachbar lächelnd, der sich als Liam Edwards vorstellte.

„Nur die erste Viertelstunde“, schwindelte Felicity, denn tatsächlich hatte sie von dem gesamten Vortrag nahezu nichts mitbekommen – dank des geheimnisvollen Unbekannten.

„Glück gehabt!“ Liam Edwards seufzte übertrieben auf. „Der Anfang war langweilig, es ging nur um die königliche Familie, König Zaraq und seine Söhne. Aber das Krankenhaus macht wirklich einen fantastischen Eindruck. Ich bin Pfleger und arbeite hier in London in der Notaufnahme“, fügte er hinzu. „Meine Freundin und ich sparen auf ein eigenes Haus. Es scheint, als ließe sich in Zaraq viel Geld verdienen. Was ist mit Ihnen?“

„Ich bin Hebamme.“ Das Lächeln auf Felicitys Gesicht war unecht. Sie wünschte, sie hätte sich nicht ausgerechnet einen Platz neben diesem Schwätzer ausgesucht. Erleichtert verfolgte sie, wie Noor auf die Bühne trat und den ersten Gast ankündigte, die Medizinprofessorin Judith Lansdon.

Zweifellos war der Vortrag spannend, dennoch ertappte sich Felicity dabei, dass ihre Gedanken ständig abschweiften.

„Nun noch ein paar Fakten über Zaraq, ehe ich auf das Krankenhaus zu sprechen komme“, sagte Judith Lansdon gerade. „Die Stadt Zaraqua mit der Klinik und der Universität liegt direkt am Meer. Die Insel hat einen eigenen Flughafen, ist ein hervorragender Wirtschaftsstandort und beliebt bei den Touristen. Zu dem Krankenhaus gehört eine eigene Wohnanlage mit Apartments und Häusern auf höchstem Standard. Hier werden auch Sie wohnen. Doch ehe Sie sich entscheiden, auf Zaraq zu arbeiten, beachten Sie unbedingt eines: Die Insel ist sehr aufgeschlossen, doch es gibt einige unumstößliche Regeln, an die Sie sich in dieser Monarchie unbedingt halten müssen. Diese Regeln stehen in der Broschüre, die jeder von Ihnen ausgehändigt bekommen hat. Lesen Sie sie gründlich durch. Wenn Sie nach Zaraq kommen, werden Sie nicht enttäuscht sein: Der König, Scheich Kaliq Zaraq, legt großen Wert auf eine hochwertige medizinische Versorgung.“

Felicitys fester Entschluss, die andere Stelle anzunehmen, begann immer mehr zu schwanken. Mehr und mehr war sie beeindruckt von der modernen Klinik, den gut ausgebildeten Ärzten und den Möglichkeiten, die sich ihr auf Zaraq bieten würden. Eigentlich war sie nur aus Neugier zu diesem Vortrag gereist, keineswegs hatte sie ernsthaft vorgehabt, England zu verlassen. Als sie in der Zeitung gelesen hatte, dass auf Zaraq medizinisches Personal gesucht wurde, hatte sie aus einer Laune heraus in dem Hotel in London angerufen, dessen Telefonnummer in dem Artikel angegeben war. Sobald sie erzählte, dass sie Hebamme war, hatte man sie sofort zu der Veranstaltung eingeladen. Nicht einen Augenblick lang hatte sie wirklich erwogen, im Ausland zu arbeiten. Aber jetzt …

„Was denken Sie?“, fragte Liam, als sie beim Lunch zusammensaßen. „Das Gehalt ist wirklich großzügig.“

„Ich bin beeindruckt. Zu diesem Angebot kann man nur Ja sagen“, stimmte Felicity zu. „Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis sie sich für einige von uns entschieden haben. Ich riskiere sonst einen anderen Job.“

Sie verschwieg, dass ihre Familie das Geld dringend benötigte. Seit Jahren litt ihre Schwester Georgie unter einer schlimmen Essstörung, an der sie fast gestorben wäre. Schließlich hatte Felicity einen hohen Kredit aufgenommen und Georgie in einer teuren Privatklinik untergebracht, in der ihr endlich geholfen werden konnte. Doch Felicity schaffte es kaum, die Schulden zurückzuzahlen.

Das wollte sie Liam nicht auf die Nase binden – abgesehen davon, dass er längst schon wieder von sich erzählte.

„Meine Freundin und ich werden heiraten müssen, ehe wir nach Zaraq gehen“, sagte er, doch er sah nicht sehr glücklich aus bei diesem Gedanken.

„Das gilt nicht nur für Zaraq“, wandte Felicity ein. „Auch in der englischen Provinz wird es nicht gern gesehen, wenn Paare unverheiratet zusammenleben.“

„Das stimmt“, gab Liam achselzuckend zu und plapperte auch schon weiter.

Doch Felicity hing längst ihren eigenen Gedanken nach. Gerade als sie einen Bissen von ihrem köstlichen Sandwich nehmen wollte, entdeckte sie ihn – am anderen Ende des Raumes, in ein Gespräch vertieft mit Noor. Bei Tageslicht sah er noch viel besser aus, als das Dunkel hatte erahnen lassen. Seine Gesichtszüge waren scharf und edel, und als ihre Blicke sich durch die Menschenmenge trafen, verzog er die sinnlichen Lippen zu einem kurzen erkennenden Lächeln.

Sie versuchte, einfach weiterzuessen, als sei nichts geschehen. Doch ihre Hand und ihr Mund gehorchten ihr nicht. Wie von weit her hörte sie Liam reden. Sie zwang sich, einen Schluck Wasser zu nehmen.

Wer um alles in der Welt war er?

Den ganzen Nachmittag lang, während all der folgenden Vorträge, hoffte sie, ihn noch einmal zu sehen. Vergeblich. Und als die Veranstaltung am frühen Abend endete, musste sie sich damit abfinden, dass der geheimnisvolle Fremde genau das bleiben würde – ein Geheimnis.

Liam riss sie aus ihren Gedanken.

„Ich würde Sie gern wiedersehen“, sagte er gerade. „Aber nicht auf Zaraq.“ Er lächelte.

„Doch kein Job für Sie?“, gab Felicity zurück.

Er schüttelte den Kopf. „Trinken Sie noch einen Kaffee mit mir?“

Zu gern wäre sie noch ein bisschen geblieben in der Hoffnung, ihn noch einmal zu treffen. Doch ihr Zug fuhr in zwanzig Minuten, und wenn sie ihn verpasste, würde sie heute Abend nicht mehr nach Hause kommen. Deshalb lehnte sie Liams Angebot freundlich ab.

Als sie durch die Empfangshalle auf die gläserne Eingangstür zusteuerte, sah sie, dass es immer noch regnete. Sie durchsuchte gerade ihre Handtasche nach einem kleinen Schirm, als ihr Handy klingelte. Felicity zog das Telefon aus der Seitentasche, klappte es auf und erkannte die Rufnummer ihrer Mutter.

„Hi, Mum.“

„Wie war der Vortrag?“

„Großartig“, sagte Felicity voller Überzeugung. „Viel zu gut. Ich spiele mit dem Gedanken, tatsächlich nach Zaraq zu gehen.“

„Nun, heute Abend zumindest wirst du nirgends hingehen“, entgegnete ihre Mutter trocken und erklärte: „Es gibt ein Problem auf der Bahnstrecke. Die Züge verkehren nicht mehr. Es wird ein Bus eingesetzt, doch er fährt nur den halben Weg.“

Felicity stöhnte. „Dann wird es Stunden dauern, bis ich zu Hause bin.“ Sie dachte nach. Vor Mitternacht wäre sie nicht daheim, und sie sehnte sich schon jetzt nach ihrem Bett.

„Was willst du tun?“ Die Stimme ihrer Mutter klang besorgt.

„Mach dir keine Gedanken. Ich werde in London übernachten.“

„Aber du kennst niemanden dort.“

„Mum, ich bin sechsundzwanzig“, erinnerte Felicity sie sanft. „Ich werde eine Nacht in London schon überstehen. Ich nehme mir ein Zimmer. “

An ihren Kontostand allerdings durfte sie dabei nicht denken. Doch plötzlich ergriff sie ein Gefühl der Erregung, als sie daran dachte, unvermittelt eine Nacht in der Hauptstadt zu verbringen. Es war so lange her, dass sie sich Zeit für private Bedürfnisse genommen hatte. Seit Georgie krank war, schienen ihre Mutter oder ihre Schwester sie ständig zu brauchen, und die Nachtdienste, die sie machte, um den Kredit zurückzuzahlen, raubten ihr alle Kraft. Es würde wunderbar sein, einen Abend ganz für sich allein zu haben.

Karim liebte London.

Bisher war er nur selten in der Stadt gewesen, doch seit die Klinik und die Universität Personal für Zaraq anwarben, kam er häufiger hierher und nutzte die Gelegenheit, um seine Mutter zu besuchen und Geschäftspartner zu treffen. Dennoch hatte er für seinen Geschmack zu wenig zu tun. Viel weniger als auf Zaraq – bisher jedenfalls. Karim atmete tief durch.

Es war schier unmöglich, sich über Millionengeschäfte zu freuen, wenn dieses Geld im unermesslichen Reichtum seiner Familie unterging.

Und auch die Bewerberauswahl begann ihn zu langweilen. Die Gründung des Klinikums und der Universität waren sein Vorschlag gewesen, und kurzfristig hatte die Umsetzung der Idee ihn beflügelt. Doch Karim wollte keine langweiligen Filme sehen und Hochglanzprospekte durchblättern – er wollte selbst im Krankenhaus arbeiten.

Sein größter Wunsch war, Patienten zu heilen, komplizierte Operationen durchzuführen und jeden Tag eine Aufgabe zu haben. Er wusste, dass er intelligent und begabt genug war. Doch seine gesellschaftliche Stellung ließ es nicht zu, dass er als einfacher Arzt arbeitete.

Gerade deshalb genoss er die Anonymität der Großstadt. Hier war er einfach ein wohlhabender Mann, der sich einen schönen Abend mit allen Annehmlichkeiten gönnte. Niemand erkannte ihn, wenn er durch die Straßen schlenderte – ohne Geleitschutz, auch wenn seine Sicherheitsleute ihn davor warnten. Er schlug den Kragen des langen Kaschmirmantels hoch, den er über seinem dunklen Anzug trug, und hob das Gesicht in den feinen Regen. Er liebte den Wechsel der Jahreszeiten, den er erst hier kennengelernt hatte. Am Wochenende würde er aufs Land fahren, wo es um diese Jahreszeit besonders schön war. Vielleicht, dachte er, mochte er den Oktober mit seinen warmen Farben sogar am meisten von allen Monaten.

Unwillig reagierte er auf das Klingeln seines Mobiltelefons. Es war wieder einmal Leila. Er würde Khan, seinem Assistenten, auftragen, mit ihr zu sprechen, damit sie ihn nicht länger belästigte. Vor wenigen Tagen hatte er sich von Leila getrennt, und sie war am Boden zerstört gewesen – aber welche Frau war das nicht?

Nun, er würde jedenfalls aufs Land fahren, und zwar nicht allein …

Karim liebte die Frauen, aber er war absolut treu. Niemals hatte er eine seiner Freundinnen mit einer anderen Frau betrogen, sondern immer vorher die Beziehung beendet. Doch dieses Leben würde vermutlich bald ein Ende haben. Sein Vater erwartete, dass er bald heiratete – etwas, das Karim bisher zu verhindern gewusst hatte. Leila hatte sich bereits Hoffnungen gemacht und war bestürzt gewesen, als Karim ihr eröffnete, er habe niemals vorgehabt, sie zu seiner Frau zu machen. Nachdem sie ihn immer stärker bedrängt hatte, beschloss er, sich von ihr zu trennen. Zumal auch der Sex mit ihr immer langweiliger geworden war.

Am Anfang war das anders gewesen, musste Karim zugeben. Aber die Affäre hatte zu lange gedauert. Karim war ein guter Liebhaber, das wusste er, und er weckte in den Frauen eine grenzenlose Leidenschaft. Doch Leila war immer anspruchsvoller geworden, und nach manchen anstrengenden Tagen hatte Karim sich einfach eine Partnerin gewünscht, die abends für ihn da war.

Schluss, sagte er sich. Die Geschichte war beendet – sehr zum Bedauern seines Vaters. Er hatte Karim unmissverständlich klargemacht, dass er in Kürze eine Hochzeit erwartete. Das war der Grund, warum Karim in London war. Noch einmal wollte er sich amüsieren, ein unbeschwertes Wochenende verbringen, ehe er sich eine standesgemäße Braut suchen würde.

Seine Gedanken wanderten zu der jungen Frau, die er heute zum ersten Mal gesehen hatte. Als er den Konferenzraum betreten hatte, war sie ihm sofort aufgefallen. Trotz der Dunkelheit konnte er erahnen, wie schön sie war. Wie gern hätte er sie angesprochen, als er sie beim Essen wiedersah. Doch Noor hatte ihm erklärt, sie werde vielleicht als Hebamme in der Klinik von Zaraq arbeiten, und einer seiner Grundsätze war, peinliche Verwicklungen am Arbeitsplatz unbedingt zu vermeiden. Deshalb hatte er sich entschieden, Mandy anzurufen und sich mit ihr zu verabreden. Zugegeben, ihre Augen waren nicht ganz so blau und ihr Haar nicht naturblond, aber er verfügte über ein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen. Vorausgesetzt, Mandy würde es schaffen, eine halbe Stunde lang den Mund zu halten, erwartete ihn ein vergnüglicher Abend!

Doch als er noch einmal kurz ins Hotel zurückgekehrt war, hatte er sie gesehen. Und er musste zugeben, dass das Original wesentlich reizvoller war als die Kopie. Ihre Blicke trafen sich, und Karim lächelte sie an und ging direkt auf sie zu. Warum, fragte er sich, sollte er sich mit der Kopie zufriedengeben?

Es hatte aufgehört zu regnen, als Felicity aus dem Portal des Hotels trat, doch schwere graue Wolken kündigten den nächsten Schauer an. Alles war dunkel und unwirtlich.

Dann sah sie ihn.

In seinem langen dunklen Mantel hätte er zwischen all den anderen Menschen, die geschäftig durch die Straßen eilten, eigentlich gar nicht auffallen dürfen. Doch ihr erschien er wie ein schimmerndes Licht an diesem grauen, düsteren Tag.

Und er kam direkt auf sie zu.

Sie musste nur die Straße überqueren, sich links halten und die Treppe zur U-Bahn hinuntergehen – und plötzlich wusste Felicity, dass dieser Moment über ihr weiteres Leben entscheiden würde. Sie konnte sich umdrehen und gehen. Oder sie konnte bleiben, sein Lächeln erwidern und warten, bis er sie erreicht hatte.

Es war vollkommen unwirklich, hier zu stehen und zuzusehen, wie es zu regnen begann und alle Menschen um sie herum ins Trockene hasteten oder ihren Schirm aufspannten, während er sich ihr näherte, ohne den Schritt zu beschleunigen. Sie sah die Entschlossenheit in seinen Augen, und mit einem schmerzhaften Bedauern wusste sie plötzlich, dass es sinnlos war. Selbst wenn er jetzt ein Gespräch mit ihr anfinge, sie vielleicht sogar zum Essen einlud und sich herausstellte, dass er ebenso brillant erzählen konnte, wie er aussah, würde es auf eine Enttäuschung hinauslaufen.

Vergiss es, sagte sich Felicity, wandte sich um und steuerte auf die U-Bahn zu.

Fest entschlossen drückte sie den Knopf der Fußgängerampel, das Licht sprang auf Grün, sie konnte gehen. Und doch wünschte sie so sehr, seine Hand zu spüren, die sie zurückhielte. Was war nur los mit ihr? Sie hatte nicht einmal ein Wort mit diesem Mann gewechselt.

Gerade als sie den ersten Schritt auf die Straße machen wollte, kam ein Wagen um die Kurve gerast und übersah die rote Ampel. Geistesgegenwärtig sprang Felicity zurück und konnte sogar noch eine alte Dame mit auf den Gehweg ziehen. Wie in Zeitlupe nahm sie das Geschehen wahr: Die junge Fahrerin in dem Sportwagen, die plötzliche Erschütterung, das Geräusch von quietschendem Metall, das über die Fahrbahn schlitterte. Für einen kurzen Moment war es ganz ruhig, doch dann durchbrach ein Knall die Stille, als der kleine Wagen gegen einen Bus prallte.

Im ersten Augenblick blieben alle Passanten wie erstarrt stehen, doch dann begannen sie zu rennen, denn das Auto konnte jeden Moment explodieren.

Felicity sah, dass der Portier des Hotels gemeinsam mit Liam über die Straße rannte und versuchte, die Türen des Busses zu öffnen, um die Fahrgäste zu befreien. Dann entdeckte sie ihn.

Er lief zu dem verunglückten Wagen. Felicity folgte ihm.

Er hatte sich über den verbeulten Wagen gebeugt und mit äußerster Kraftanstrengung die Fahrertür geöffnet. Es gelang ihm, den Motor abzustellen, doch noch immer bestand die Gefahr einer Explosion.

„Verschwinden Sie – das Auto kann jeden Moment in die Luft fliegen.“

Zum allerersten Mal hörte sie seine tiefe Stimme. Auch Liam, der jetzt hinter ihr stand, warnte sie.

„Wir konnten alle Leute aus dem Bus herausholen. Der Fahrer ist nur leicht verletzt. Die Feuerwehr wird jeden Moment kommen – es wäre absoluter Wahnsinn, hier zu bleiben.“

Tatsächlich qualmte es bereits bedrohlich aus der Motorhaube. Felicity hörte das Martinshorn der Feuerwehr näher kommen.

„Gehen Sie!“ Er drehte sich nicht einmal zu ihr um, sondern konzentrierte sich darauf, den Kopf der Verunglückten zu stützen. „Sofort!“

Widerstrebend befolgte sie seinen Befehl. Doch als sie die Straße gerade verlassen wollte, hörte sie einen Schrei. Nicht ängstlich, sondern durchdringend wie das Klagen eines verwundeten Tieres.

Liam flehte sie an, vernünftig zu sein, doch Felicity nahm ihn kaum wahr. Dieses Mal widersprach der Fremde nicht, als sie zurückkam. Er musste das Geräusch auch gehört haben, denn während er die Frau noch hielt, sah er sich suchend im Wagen um.

Felicity versuchte, die hintere Tür zu öffnen, und blickte schließlich durch einen schmalen Spalt ins Wageninnere.

„Das Baby ist verletzt, es blutet am Arm.“

„Können Sie Ihren Arm durch die Tür stecken?“, fragte er. „Bekommen Sie das Baby zu fassen?“

Sie versuchte es, doch sie erreichte das weinende Kind nicht.

„Ich komme nicht weit genug hinein.“

„Versuchen Sie es anders.“ Seine Stimme war ruhig und unaufgeregt. „Drehen Sie sich um, dann können Sie den Arm weiter in den Wagen strecken. Sie können es schaffen.“

„Aber ich sehe nicht, wohin ich greife.“

„Ich werde Sie leiten.“

Allein der Tonfall gab ihr Sicherheit. Plötzlich war Felicity überzeugt, dass es gelingen würde.

Sie drehte sich mit dem Rücken zur Tür. Der Regen prasselte auf ihr Gesicht, doch in dieser Haltung schaffte sie es tatsächlich, weiter ins Wageninnere zu gelangen.

„Greifen Sie weiter nach unten“, befahl Karim. „Dann kommen Sie an den Kindersitz heran. Noch ein Stück nach links, dann fühlen Sie den verletzten Arm.“

Ihre Finger tasteten über den Stoff des Jäckchens, vorsichtig griff sie weiter nach oben und drückte den Oberarm ab, um die Blutung zu stoppen.

In diesem Moment kam die Feuerwehr. Mit einer Brechstange öffnete die Männer die Fahrertür und retteten die verletzte Frau. Noch immer stand Felicity in der unbequemen Stellung am Wagen und hielt den Arm des Babys. Ihre Hand wurde langsam taub.

„Die Sanitäter werden sich gleich um das Kind kümmern“, sprach ihr Helfer ihr Mut zu. „Gute Arbeit. Wie heißen Sie?“

„Felicity“, sagte sie.

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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