Mini küsst Jaguar

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So ein Idiot! Nur weil Valerie mit ihrem Mini eine klitzekleine Delle in seinen Jaguar gefahren hat, spielt dieser Hendrik Denck sich fürchterlich auf. Aber während sie ihm noch erklärt, was sie von arroganten Autofahrern wie ihm hält, fällt ihr schon sein wunderbares Lächeln auf. Und dann wird ihr klar: Mini küsst Jaguar!


  • Erscheinungstag 27.07.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788124
  • Seitenanzahl 158
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein betörender Duft von Zimt und Chili zog durch die Wohnung, als das Telefon klingelte.

„Komme gleich“, sagte Valerie zu sich selbst und ließ den Zucker wie Schnee in den Topf rieseln. Zimtstange und Chilischote fingen an zu schmoren. Bald würde das Ganze karamellisieren. Valerie rückte ein paar Schritte vom Herd ab und wendete sich wieder dem Spülbecken zu, um weiter Geschirr abzuwaschen. Schließlich war Valerie eine Frau, und Frauen waren zum Multitasking fähig. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, ja, das konnte sie, wenn nicht sogar drei Fliegen.

Trotzdem musste Valerie kurz innehalten, um dem Klingeln des Telefons zu lauschen, während sie in Gedanken ihre Hände im Spülwasser badete. Warum sprang denn bloß der Anrufbeantworter nicht an? Erst gestern hatte sie dieses mega-angesagte, pantherschwarze Designertelefon mit dem wohlklingenden Namen Divine 3000 auf einer Shopping-Tour im KaDeWe erstanden. Es war nicht nur chic, sondern auch schnurlos und mit integrierter Anrufbeantworterfunktion. Überhaupt schien das schöne Ding mit allerlei technischem Schickschnack ausgestattet zu sein: polyphone Klingeltöne, GAP-kompatibel, Clip-Funktion und DECT.

Valerie war sehr beeindruckt von all diesen merkwürdigen Begriffen, auch wenn sie ihr wie Kantonesisch vorkamen. Immerhin hatte sie es nach ausgiebigem Studium der 30 Seiten dicken Gebrauchsanweisung geschafft, den Anrufbeantworter zu aktivieren. Das hatte sie zumindest bis vor einer Minute noch geglaubt. Jetzt aber kamen Zweifel in ihr auf. Das neue Telefon klingelte und klingelte, doch der AB blieb still. Mucksmäuschenstill. Mist, verdammter.

„Okay, okay, ich fliege ja schon.“ Mit nassen Händen griff sie nach dem Apparat, wobei ihr der Hörer direkt wieder aus den Fingern flutschte und auf dem Boden landete. Schnell trocknete Valerie sich die Hände an der Küchenschürze ab, bückte sich nach dem Telefon und nahm das Gespräch an.

„Ja, hallo?“

„Hier ist Sommerfeld vom Bellgusto-Verlag. Spreche ich mit Frau Herzen?“, fragte eine angenehme Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

Valerie rutschte fast das Herz in die Hose. „Ja, das bin ich“, sagte sie mit belegter Stimme.

„Ah, gut. Gott sei Dank erreiche ich Sie noch. Frau Herzen, ich weiß, es ist jetzt ein wenig kurzfristig, aber wäre es Ihnen möglich, etwas früher als geplant zur Preisverleihung zu kommen?“

Was? Früher? Valerie schluckte. Sie klemmte den Hörer zwischen Kopf und Schulter und hielt sich an der Spüle fest. „Äh … ja, natürlich.“

„Oh, da bin ich aber beruhigt. Es haben sich nämlich unerwartet ein paar Änderungen ergeben, die Herr Denck gerne …“

In diesem Moment entglitt Valerie das neue Telefon, und es sauste, ohne dass sie irgendetwas tun konnte, in Richtung des Spülbeckens. Mit einem lauten Platscher landete es im Abwaschwasser. Oh nein! Ein paar Sekunden lang fischte Valerie unter den Schaumbergen verzweifelt nach dem Apparat, bis sie ihn endlich zu fassen bekam. Dann hielt sie das tropfende Teil wieder ans Ohr.

„Frau Sommerfeld?“ Die Leitung rauschte. „Hallo, Frau Sommerfeld, sind Sie noch da?“

Es gluckste ein bisschen.

Endlich vernahm sie wie von weit her die Stimme der Verlagssekretärin: „Frau Herzen, Sie waren auf einmal weg. Hören Sie mich jetzt?“

„Ja, ich kann Sie verstehen. Ich glaube, mein Telefon ist nicht mehr ganz in Ordnung. Ich muss mir wohl mal ein neues zulegen.“

„Ach so. Na ja, was ich Sie fragen wollte ist, ob Sie es einrichten könnten, schon um …“ Das Rauschen wurde lauter. „… im Verlag zu sein?“

„Wie bitte? Um wie viel Uhr?“

Jetzt war das Rauschen ganz laut. „Halb acht“ und „Denck“ waren die einzigen Wortfetzen, die Valerie gerade noch erahnen konnte. Dann hörte das Rauschen mit einem Male auf. Es gluckste und blubberte nur noch.

„Frau Sommerfeld? Hallo? Haalloo?“

Doch sosehr Valerie sich auch bemühte, die Leitung war tot. Lediglich das Blubbern blieb.

Na toll! Und was jetzt? Sie blickte auf ihr neues Divine 3000 und legte es behutsam neben den Herd. Das war nun wirklich kein schöner Tod für ein Telefon. In schmutzigem Spülwasser zu ersaufen. Und das schon nach so kurzer Zeit.

In Valeries Kopf begann es zu rotieren. Sie dachte verzweifelt darüber nach, was der Verleger wohl mit ihr zu besprechen beabsichtigte. Hoffentlich gefiel ihm das Konzept für ihr neues Buch. Es sollte ein erotisches Kochbuch werden, eine Art kulinarischer Führer durch die erste Liebesnacht. Valerie wollte Siegfried Denck auf keinen Fall enttäuschen, war er doch ein seriöser und zugleich sehr netter und aufgeschlossener Verleger – so ganz anders als der Verleger ihres ersten Buches. Als damals ihr Debüt „Cleveres Chaos – der ultimative Survivalguide für die kreative Küchenschlampe“ veröffentlicht worden war, musste sie wirklich endlos auf ihre Honorarzahlung warten. Zudem hatte der Verlag ihr Kochbuch überhaupt nicht beworben, obwohl der Verlagschef Valerie zahlreiche Lesereisen, Anzeigenschaltungen in der Presse sowie eine „Riesen-PR-Kampagne“ im Vorfeld versprochen hatte. Schließlich schaltete sie einen Rechtsanwalt ein, und der fand heraus, dass der Verlag inzwischen Konkurs angemeldet hatte. Im Bellgusto-Verlag lief das glücklicherweise ganz anders, dachte Valerie, mal wieder erleichtert, für ihre Bücher dort eine neue Heimat gefunden zu haben.

Wie jedes Mal bei einem neuen Buchprojekt war sie auch dieses Mal absolut aufgeregt. Wie ihr Verleger wohl ihre Rezepte mit den Aphrodisiaka fand? Möglicherweise sollte sie auf ihre heiß geliebten Zutaten wie Schokolade, Zimt oder Chili verzichten und stattdessen gänzlich andere Stimmungsmacher vorschlagen? Zum Beispiel lauter glitschige und glibberige Meeresfrüchte. Uah! Valerie schüttelte sich. Vielleicht musste sie als Autorin plötzlich selbst für die Fotos posieren und dabei Austern schlürfen, Tintenfische umarmen und noch zappelnde Langusten in heißes Wasser werfen. Und dabei immer schön lächeln. Was für ein grausiger Gedanke! Sollte Herr Denck so etwas in der Art tatsächlich vorschlagen, wie könnte sie wohl darauf reagieren, ohne gleich dumm dazustehen? Und dazu kam noch, dass sie heute Abend noch für ihr Werk „Kulinarische Geheimnisse aus 1001 Nacht“ ausgezeichnet werden sollte! Es war ihr erster Preis, noch nie hatte sie so viel Anerkennung für ihr kreatives Schaffen erhalten.

Wann sollte sie noch mal im Verlag sein? Hatte Frau Sommerfeld halb sieben oder halb acht gesagt? Halb acht, ja, es muss halb acht gewesen sein. Oder? Vielleicht sollte sie versuchen, Frau Sommerfeld mit dem Handy anzurufen. Dann würde sie auch erfahren, warum der Termin vorgezogen worden war. Aber wo war denn nur ihr Handy? Hektisch hastete Valerie durch ihre Wohnung, doch das Handy war nirgendwo zu entdecken. Auch unter dem Berg von Briefen, Zeitschriften und Kochbüchern auf ihrem Tisch im Arbeitszimmer konnte sie es nicht finden. Wieder einmal war alles wie verhext.

Wie organisierten sich wohl andere Leute? Zum Beispiel Hollywood-Stars? Wahrscheinlich hatten Promis wie Julia Roberts oder Cameron Diaz ihre ganz persönlichen Assistenten, die ihnen die Bürden des grauen Alltags vom Hals hielten. Kein Wunder, dass die meisten Stars auf Fotos immer so frisch und glücklich aussahen. Wahrscheinlich sorgten ihre Assistenten auch immer für eine kleine Entspannung zwischendurch. Hier mal eine kleine Nackenmassage und da mal ein Espresso oder ein frisch gepresster Saft zum Munterwerden.

Hmm! Valerie lief das Wasser im Munde zusammen, als sie an einen Saft aus fruchtig duftenden Mangos, Maracujas und Orangen dachte. Tief atmete sie bei diesem Gedanken ein, als sie plötzlich einen merkwürdigen Geruch wahrnahm. In ihrer Wohnung duftete es gar nicht frisch und fruchtig. Es roch anders, irgendwie verbrannt.

Hilfe, das Soufflé! Wie von der Tarantel gestochen rannte Valerie in die Küche. Rauchschwaden kamen ihr bereits im Flur entgegen und trieben ihr Tränen in die Augen. Sie eilte durch die Küche und drehte rasch den Gasherd ab. Dann blickte sie in den Topf, in dem ihre neuste Kreation eigentlich friedlich vor sich hin köcheln sollte. Aber das zukünftige Chili-Zimt-Soufflé war inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.

„So ein Mist“, fluchte Valerie. Sie versenkte den angebrannten Topf im Spülwasser und öffnete das Fenster. Eine tolle Köchin war sie. Und dafür würde sie heute Abend auch noch einen Preis erhalten. Das ist doch lächerlich! Starköche wie Tim Mälzer, Jamie Oliver und Nigella Lawson würden sich kringeln vor Lachen, wenn sie Valerie so kochen sähen. Warum hatte sie auch ausgerechnet jetzt ein neues Rezept erfinden müssen?

Probieren geht über studieren, hatte ihre Großmutter immer gesagt, wenn Valerie ihr als kleines Mädchen beim Kochen und Abschmecken neuer Gerichte geholfen hatte. Bloß führte das reine Ausprobieren eben manchmal nicht zum gewünschten Erfolg, wie Valerie immer wieder feststellte. Aber jetzt musste sie sich auf den heutigen Abend konzentrieren. Was wollte sie gleich noch mal machen? Ach ja, ein Kleid heraussuchen. Oder sollte sie erst einmal unter die Dusche springen? Und was war mit den Fingernägeln, die sie sich noch lackieren wollte?

Das Läuten des Telefons riss Valerie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und starrte auf ihr Divine 3000 wie auf ein Ufo, das gerade gelandet war.

„Schätzelchen“, entfuhr es ihr entzückt. „Das gibt es doch nicht.“ Wie gebannt blickte sie auf das Telefon. Sollte es etwa noch einmal klingeln? Vorsichtig und wie auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Apparat, so als wäre er ein scheues Reh, das sie nicht verschrecken durfte.

Tatsächlich meldete er sich noch ein weiteres Mal. Hurra! Sie griff nach dem immer noch spülwasserklammen Telefon, schüttelte es ein wenig und hielt es ans Ohr. Gluckgluck war allerdings alles, was Divine 3000 von sich gab. Ansonsten war die Leitung immer noch tot. Enttäuscht legte Valerie den Hörer beiseite, als es Sturm klingelte. Oh mein Gott, die Türglocke! Warum musste immer alles so ähnlich klingen? Valerie lief zur Tür und öffnete sie außer Atem.

„Hallo, Herzchen!“ Valeries Freundin Beatrix stand im Türrahmen. Sie war makellos geschminkt und mit einem marineblauen Businesskostüm bekleidet. Dazu trug sie farblich abgestimmte Seidenstrümpfe und Slingpumps. Beatrix, die von allen nur Trixi genannt wurde, hauchte Valerie links und rechts ein Küsschen auf die Wange.

„Hallo, Trixi. Was machst du denn hier?“

Trixi stöckelte in die Wohnung. „Ach, ich wollte nur mal checken, ob du deinen Schönheitsschlaf jetzt been…?“ Trixi unterbrach sich und rümpfte die Nase. „Sag mal, wonach riecht es denn hier? Das stinkt ja erbärmlich.“

„Na ja, das sollte mal ein Apfel-Zimt-Chili-Soufflé werden.“

„Wow, das ist ja mal eine interessante Kombination.“

„Leider habe ich alles verbrennen lassen.“

„Nur nichts anbrennen lassen, Herzchen“, scherzte Trixi. „Aber mach dir nichts draus. Morgen ist auch noch ein Tag. So wie ich meine kleine Starköchin kenne, kriegt sie das morgen bestimmt ganz perfekt hin, nicht wahr?“

„Ja schon. Aber ich hätte das Rezept gerne heute fertig gestellt.“

„Wieso denn ausgerechnet heute? Musst du nicht bald los? Ist doch heute dein großer Auftritt. Um acht, nicht wahr!?“

„Nicht ganz. Der Termin wurde um eine halbe Stunde vorverlegt. Das glaube ich zumindest.“

„Wie? Du glaubst?“ Entsetzt sah Trixi sie an.

„Na ja, ich bin ziemlich sicher“, Valerie räusperte sich.

Trixi verdrehte die Augen: „Oh Valerie! Dein Wort in Gottes Ohr. Ich stelle jetzt keine weiteren Fragen …“

„Aber …?“

„Kein Aber. Nur soviel: Vergiss jetzt das verkohlte Birnen-Chili-Ding!“

„Apfel-Zimt-Chili-Soufflé!“

„Na gut, meinetwegen eben Apfel plus Zimt plus Chili gleich Soufflé. Zufrieden?“

„Ja. Aber deine Idee mit der Birne ist auch nicht schlecht. Birne Helene könnte man mit Chili zum Beispiel …“

„Valerie – hallo?! Ich glaube, jetzt bist du diejenige, die Äpfel mit Birnen verwechselt. Du musst dich fertig machen. Avanti galoppi!“ Resolut schob Trixi ihre Freundin in Richtung Badezimmer.

„Vergleichen“, grinste Valerie, während sie sich auszog und unter die Dusche stieg. Dann drehte sie das Wasser auf und ließ es wie einen wohlig-warmen Regenschauer auf ihren Körper prasseln.

„Wie bitte?“, fragte Trixi, die Valerie ins Badezimmer nachgekommen war.

„Es heißt: Äpfel mit Birnen vergleichen. Nicht verwechseln“, gab Valerie zurück und begann sich einzuseifen.

„Auweia, jetzt gib bloß nicht damit an, dass du im Deutschunterricht bessere Noten kassiert hast als ich. Dafür war ich in Mathe besser.“

„Ist ja schon gut, ich werde die Birnen jetzt nicht sofort in den Topf werfen …“

„Sondern?“

„Sondern ich werde ein anderes Mal weitertüfteln. Zufrieden?“

„Brav, Frau Düsentrieb, sehr brav! Und was gedenken Frau Erfinderin jetzt zu tun?“ Trixi verschränkte die Arme und guckte amüsiert drein.

„Hä? Frau Düsentrieb? Ach so, du meinst eine Art weiblichen Daniel Düsentrieb. Mensch, Trixi, ich glaube, du hast als Kind zu viele Micky-Maus-Comics gelesen.“

„Tja, das ging nun mal fix und dauerte nicht so lange wie die Literaturschinken, durch die wir uns immer für die Schule quälen mussten.“

„Mist, ich muss mich echt beeilen.“ Valerie hüpfte aus der Dusche, trocknete sich in Windeseile ab und stieg in einen rosa Spitzenslip. Dann hielt sie inne: „Aber was soll ich denn bloß anziehen?“

„Dann komm mal mit, wir finden schon etwas Schickes für dich!“ Beherzt schritt Trixi in Valeries Schlafzimmer und riss den Kleiderschrank auf.

„Nein, nicht“, rief Valerie, die ihr gefolgt war, bestürzt. Doch da war es schon zu spät. Trixi kam ein ganzer Berg nicht zusammengelegter Wäsche entgegen, der sich überall auf dem Boden verteilte.

„Na, da kenne ich jemanden, der demnächst mal aufräumen muss“, grinste Trixi und zog ein glitzerndes Paillettenkleid in Silber aus dem Schrank. „So, wie wäre es denn hiermit. Das steht dir bestimmt gut.“

„Nein, glaube ich nicht. Dafür bin ich zu dick geworden.“

„Meinst du? Zieh es doch einfach mal an. Probeweise, meine ich.“

„Hm …“ Valerie versuchte sich in das Kleid zu zwängen. „Ich glaube, es passt mir wirklich nicht mehr.“ Verzweifelt gab sie ihr Bestes, den rechten Ärmel über die Schulter zu schieben. Vor Anstrengung bekam sie ganz rote Wangen. „Außerdem ist das, glaube ich, Größe 36 und …“ In diesem Moment platzte die Seitennaht. „Verflucht!“

„Okay, okay, du hattest recht. Aber wie wäre es denn mit diesem Prachtstück hier?“ Trixi hielt ihr ein weinrotes Samtkleid vor die Nase.

„Das da?“

„Klar!“

„Aber das ist doch viel zu tief ausgeschnitten“, protestierte Valerie.

„Nicht diskutieren, anziehen!“, befahl Trixi.

„Grrrr“, murrte Valerie, während sie widerwillig das Kleid überzog.

„Wow!“, entfuhr es Trixi, nachdem sie Valerie geholfen hatte, den Reißverschluss am Rückenteil des Kleides zu schließen. „Dreh dich mal um.“

Valerie drehte sich einmal im Kreis.

„So, und jetzt wirf einen Blick in den Spiegel.“

Valerie trat vor den mit goldenen Engeln und Efeublättern verzierten großen Spiegel, der neben ihrem Bett hing. Sie sah eine junge Frau in einem bordeauxroten Samtkleid, das sich eng an den zierlichen und zugleich kurvenreichen Körper schmiegte. Ihr war, als bekämen die braunen Augen dieser Frau durch das Rot des Kleides eine ganz besondere Strahlkraft. War sie das wirklich? Wenn ja, dann sah sie gar nicht mal so schlecht aus.

„Wunderbar. Dieses Kleid steht dir einfach hervorragend. Valerie – das wird dein Abend! Du wirst deinem Verleger total den Kopf verdrehen.“

„Dem? Nicht doch, der ist Mitte 60 und glücklich verheiratet.“

„Na ja, vielleicht hat er einen attraktiven Sohn, der zufällig gerade Single ist.“

„Ja, hat er“, schmunzelte Valerie und dachte an den spindeldürren, blassen Gerd Denck. Der Verlegersohn kam ihr immer eine Spur zu korrekt und zu sachlich vor. Nicht gerade der Typ von Mann, der sie umhaute. „Aber ob er Single ist, weiß ich nicht.“

„Dann musst du das unbedingt herausfinden.“

„Will ich doch gar nicht. Wir würden sowieso nicht zusammenpassen. Das wäre ja fast wie Pat und Patterchon.“

Kritisch musterte Valerie ihr Äußeres. Das Kleid gewährte einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté. „Ist das nicht zu gewagt?“

„Nein, das ist sexy, wahnsinnig sexy“, meinte Trixi.“ Aber was meinst du denn mit Pat und Patterchon, Micky Maus?“

„Du bist doof. Ich bin keine Maus und schon gar nicht Micky Maus. Außerdem machst du mich noch ganz nervös. Jetzt habe ich doch glatt vergessen, den BH anzuziehen.“ Valerie schleuderte den Spitzenbüstenhalter, den sie gerade aus der Schublade hervorgekramt hatte, in Trixis Richtung.

Trixi fing ihn mit einer Hand auf. „Ach so, mir war schon wieder entfallen, dass du in Eile bist.“ Sie trat dicht an Valerie heran und blickte ihr verschwörerisch in die Augen. „Wie ist er denn nun?“

Valerie starrte auf den Büstenhalter in Trixis Hand. „Wer? Der BH?“

„Nein, du verwirrtes Häschen“, stöhnte Trixi und drückte Valerie das Wäschestück in die Hand. „Ich meine den Sohn des Verlegers.“

Valerie zog den Büstenhalter an und begann sich zu schminken. „Ach der! Nun ja, um ehrlich zu sein: Er ist … wie soll ich sagen? Er ist zwar freundlich, aber immer sehr exakt und sachlich, eigentlich ein wenig, na ja …“

„Na ja, was?“

„Na ja: langweilig.“

Trixi wich einen Schritt zurück: „Im Klartext also eine Schlaftablette. Okay, Kommando zurück. Dann ist er wirklich nichts für dich. Obwohl …“

„Obwohl was?“

„Obwohl, eine Spur Seriosität sollte der Mann an deiner Seite schon haben. Ich meine, was du brauchst, ist eine Mischung aus Gentleman und Abenteurer.“

„Vielleicht will ich ja gar keinen Mann.“

„Lüg nicht!“

„Nein, ganz im Ernst.“

„Du lügst!“

„Niemals.“

„Lüge! Lüge! Lüge!“

Valerie zog die Nase kraus. Es stimmte, sie hatte nicht die Wahrheit gesagt. Denn wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als in den Armen eines zärtlichen und klugen Mannes zu liegen. Valerie schluckte. Sie musste an ihren Exfreund Sven denken. Daran, wie zärtlich und zugleich männlich er gewesen war.

Leider war ihr zu spät klar geworden, dass er seine Männlichkeit sich selbst immer wieder mit Seitensprüngen hatte beweisen müssen. Beim ersten Mal war es Valerie noch gelungen, beide Augen zuzudrücken und den Betrug als einen einmaligen Ausrutscher abzutun. Doch dann fing Sven plötzlich an, regelmäßig Überstunden zu machen. Und als Valerie schließlich irgendwann misstrauisch wurde, bezeichnete er sie als paranoid. Bis zu dem Tag, als Valerie ihn bei einem unangekündigten Besuch in der Firma in einer eindeutigen Situation überrascht hatte: „Es ist nicht das, wonach es aussieht. Du weißt doch, dass du diejenige bist, die ich liebe.“ So hatte Sven versucht, sie zu beschwichtigen.

Auch jetzt noch empfand sie seine Worte als puren Hohn. Es war ein Valentinstag gewesen. Valerie hatte zuvor ein fantastisches Vier-Gänge-Menü für Sven und sich vorbereitet: Ingwer-Fenchelsalat, dann Krabben-Karotten-Suppe, als Hauptgang Ente mit Orangen-Lebkuchen-Sauce und Kartoffelgratin und zum Abschluss weißes Mousse au Chocolat mit Marzipansauce und Minzblättchen. Dazu Champagner, Kerzen und rot glitzerndes Herzkonfetti auf dem perfekt gedeckten Tisch.

Valerie hatte die Bilder von damals noch gestochen scharf vor Augen: Sven in seinem Büro mit seinem Kopf zwischen den entblößten Brüsten der wasserstoffblonden Praktikantin. Zwei Ordner und einen ganzen Papierstapel mussten die beiden im Eifer des Gefechtes vom Schreibtisch gefegt haben, denn als Valerie in Svens Büro getreten war, wäre sie fast darüber gestolpert. Später hatte Valerie dann allein und tränenüberströmt vor dem Vier-Gänge-Menü in der Wohnung gesessen.

Vor lauter Frust hatte sie dann alles allein aufgefuttert und schließlich die halbe Nacht vor der Kloschlüssel verbracht – so speiübel war ihr gewesen. Jenen 14. Februar würde sie wohl nie wieder vergessen.

Und doch war es schon knapp über ein Jahr her, dass sie sich von Sven nach diesem Desaster-Valentinstag getrennt hatte. Der nächste Valentinstag war dann ohne Mann und ohne gebrochenes Herz ins Land gegangen. Mit Unmengen an Trüffelschokolade und Gummibärchen sowie einem Stapel DVDs hatte Valerie es sich auf ihrem Sofa gemütlich gemacht. Sollten sich doch andere dem Liebeswahn hingeben.

„Valerie? Erde an Raumschiff! Hallooo!“ Trixi wedelte mit ihrer Hand dicht vor Valeries Gesicht herum, so als wolle sie eine Mücke verscheuchen.

„Wie? Was tust du da?“

„Ha! Wollte nur mal testen, ob du noch anwesend bist.“

„Ja doch.“ Valerie seufzte und begann, sich die Haare zu föhnen. „Sag mal, wie spät ist es eigentlich?“

Stirnrunzelnd blickte Trixi auf ihre mit bunten Strasssteinen besetzte Armbanduhr. „Es ist exakt 18 Uhr 44.“

„Das darf nicht wahr sein. Ich bin doch noch gar nicht fertig. Ich wollte mir noch die Fingernägel lackieren und …“

„Und nebenbei noch ein tausendseitiges Kochbuch schreiben. Alles klar, Herzchen“, meinte Trixi ironisch. „Jetzt vergiss das alles und geh los, bevor du noch zu spät kommst.“

„Und meine Haare? Die sind doch noch nicht trocken.“

„Dann müssen deine Haare damit eben klarkommen. Die sind doch schon volljährig, oder?“, spottete Trixi. Doch als sie Valeries verzweifeltes Gesicht sah, bekam sie Mitleid. „Okay! Komm mal mit.“ Die Freundinnen kehrten zurück ins Badezimmer.

Trixi verrieb etwas Haarschaum in den Händen, verteilte ihn kurz in Valeries Locken und steckte diese dann mit einer großen, silbernen Haarklammer zusammen. „Et voilà!“

„Super, Trixi.“ Valerie war entzückt. „Du bist eine Zauberin!“

„War ich doch schon immer“, grinste Trixi. „Und jetzt raus mit dir.“

„Ach, Trixi. Ich bin so aufgeregt.“

„Wird schon schiefgehen. Und vergiss das Flirten nicht. Du weißt doch: Dein Traummann wartet.“

2. KAPITEL

Valerie hatte den roten Mini Cooper nicht weit von ihrer Altbauwohnung am Zionskirchplatz geparkt. Seit sie nach Berlin gezogen war, mochte sie die bunte, quirlige Gegend rund um die alte Kirche. Der von Straßencafés, Restaurants und kleinen Modeläden gesäumte Kiez war eine bevorzugte Wohngegend von Studenten, Werbeleuten, Schauspielern und anderen Künstlern.

Valerie stieg in ihren geliebten, kleinen Flitzer und fuhr los. Die Abendsonne tauchte die Straßen von Berlin-Mitte in goldenes Licht, und Valerie fühlte sich ein wenig an Urlaub erinnert. Jetzt fehlt nur noch die passende Musik, dachte sie. Mit der einen Hand hielt sie das Steuer, mit der anderen wühlte sie im Handschuhfach nach der neuen Robbie-Williams-CD. Doch sosehr sie auch suchte, die CD war nicht aufzufinden. Stattdessen erwischte sie Rosenstolz, Katie Meluha und Norah Jones. Dann eben Norah Jones, noch besser, dachte Valerie, und legte die CD ein, während sie die Fehrberliner Straße entlangbrauste.

„Sunrise, sunrise, I can tell it from your eyes“, sang Valerie lauthals mit. Sie fühlte sich in absoluter Hochstimmung. Wenn bloß die Sonne sie nicht so blenden würde. Verflixt, sollte etwa ihre Sonnenbrille auch wie vom Erdboden verschluckt sein? Oder war sie im Handschuhfach? Fehlanzeige! Auf dem Beifahrersitz unter ihrer Handtasche? Ebenfalls Fehlanzeige! Aber vielleicht in ihrer Handtasche selbst? Keine schlechte Idee, dachte Valerie. Sie beugte sich über ihre kirschrote Ledertasche und begann, darin herumzuwühlen.

Wahrscheinlich hatte sie einen Moment zu lang in ihre Handtasche geguckt, denn als sie wieder auf die Fahrbahn sah, krachte es plötzlich. Heftig trat Valerie auf die Bremse, dann wurde sie in ihrem Sitz erst nach hinten, dann nach vorne geschleudert. Die Reifen quietschten durchdringend. Jetzt ist es geschehen, jetzt ist alles vorbei. Valerie schloss die Augen und war bereit, sich ihrem Schicksal zu ergeben.

Doch es geschah nichts dergleichen. Valerie schwebte nicht ein paar Meter über dem Mini und schaute auf ihren Körper herab. Sie sah kein weißes Licht am Ende eines dunklen Tunnels. Und sie traf auch keinen Engel, der sie ins Jenseits winkte. Nein, sie war wohl doch nicht tot.

Dann hörte sie, wie eine Autotür zugeschlagen wurde. Valerie öffnete die Augen wieder. Sie saß immer noch in ihrem Mini, und als sie an sich herunterblickte, konnte sie weder Blut noch irgendwelche Scherbensplitter entdecken. Dann klopfte ein dunkelhaariger Mann wie wild an ihre Fensterscheibe. Valerie schaltete die Warnblinkanlage ein und stieg aus dem Auto.

„Sind Sie verrückt geworden, mir die Vorfahrt zu nehmen?“, fuhr der Mann sie aufgebracht an.

Valerie schluckte. Blitzartig registrierte sie, dass der Mann, der sie gerade wütend anstarrte, umwerfend gut aussah. Mit den markanten Gesichtszügen, dem schwarz-braunen Haar und den strahlend blauen Augen war er genau ihr Typ. Ausgerechnet jetzt!

„Sie haben eben meinen Wagen gerammt! Schauen Sie sich das doch einmal an!“ Er wies auf das Auto vor ihnen. Es war ein schwarzer Jaguar älteren Baujahrs mit einer deutlich sichtbaren Delle in der Fahrertür.

„Ups!“, meinte Valerie erschrocken.

„Ja, ups. Das sagen sie hinterher alle. Nur dass einen so ein Ups nicht weiterbringt.“

Was für ein Schlaumeier, dachte Valerie. Die Art und Weise, wie er mit ihr redete, gefiel ihr gar nicht.

„Was haben Sie sich nur dabei gedacht?“, fragte er kopfschüttelnd. „Haben Sie Tomaten auf den Augen?“

Wie bitte? Entgeistert sah Valerie ihn an. Was hatte er da gerade gesagt? Tomaten? Auf den Augen?

„Nein, eigentlich nicht“, entgegnete sie schließlich gelassen. „Ich steh nicht so auf Tomaten. Zumindest nicht auf den Augen. Im Kochtopf und als Pastabeilage schon eher. Da könnte ich Ihnen sogar ein Geheimrezept verraten …“

Jetzt war er es, der sie ungläubig anblickte. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Valerie, dass er gleich einen Tobsuchtsanfall kriegen und losbrüllen würde.

Da er aber ruhig blieb, fuhr Valerie freimütig fort: „Nun, ich merke schon, Sie scheinen nicht in der Stimmung zu sein, um sich über kulinarische Finessen auszutauschen. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei Tomaten auf den Augen. Also, wenn ich Gemüse auf meinem Gesicht haben sollte, dann wird es sich wahrscheinlich um Gurken handeln. Eine Gurkenmaske ist enorm erfrischend und liefert der Haut jede Menge Feuchtigkeit.“

Meine Güte, Valerie, was verzapfst du denn da schon wieder für einen Mist? Sie sah, wie seine Mundwinkel zuckten. Was für sinnliche Lippen er hatte. Ob er wohl gut küssen konnte? Doch dann presste er die Lippen aufeinander und sein weicher Mund verwandelte sich in eine harte, schmale Linie.

Autor

Julia Meller
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