Mit dir in der Oase des Glücks

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Seidiger Wüstenwind, eine Oase im Mondschein und sie in den Armen ihres Märchenprinzen! Für Cleo werden alle Träume wahr, als sie Sultan Khaled ihr Jawort gibt! In seinen dunklen Augen möchte sie versinken - da erkennt sie: Es ist nicht Liebe, was er von ihr will ...


  • Erscheinungstag 05.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747251
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Mädchen tauchte wie aus dem Nichts vor Cleo Churchills kleinem Mietwagen auf.

Geistesgegenwärtig trat sie auf die Bremse und hielt den Atem an, als das Gefährt in der schmalen Gasse der Hauptstadt von Jhurat schleuderte und kreischend zum Stehen kam.

Einen Herzschlag lang überkam sie Panik, dann versuchte sie, sich zu fangen. Hatte sie sich den Zwischenfall nur eingebildet? Die grelle Wüstensonne begann, hinter den malerischen historischen Gebäuden zu versinken, sodass die Schatten länger und fahl wurden. Im Gewimmel der Altstadtstraßen hatte Cleo sich verfahren, und nachdem sie sechs Monate durch Europa und Nahost gereist war, kam ihr eine Stadt fast wie die andere vor. Außerdem … warum sollte ein junges Mädchen sich ausgerechnet vor ihr Auto werfen?

Aber da war es, mit angstvoll aufgerissenen Augen und trotz der Schleier überraschend hübsch stand es am Beifahrerfenster – und schien unverletzt zu sein.

Gott sei Dank! war alles, was Cleo denken konnte.

„Bitte!“, flehte das Mädchen sie durchs offene Wagenfester an. „Helfen Sie mir!“

Cleo stand immer noch unter dem Schock des Fast-Unfalls und deutete mit bebender Hand zur Beifahrertür. „Alles in Ordnung?“, fragte sie, als das Mädchen die Tür aufriss und sich ins Wageninnere warf. „Sind sie verletzt? Brauchen Sie …?“

„Fahren Sie!“, schrie das Mädchen, als wären alle Teufel der Hölle hinter ihm her. „Bitte! Ehe …“

Cleo wartete weitere Erklärungen nicht ab. Sie war ihren eigenen Dämonen entkommen und wusste, was zu tun war. Wortlos gab sie Gas und blickte konzentriert auf die schmale Straße, die hoffentlich aus dem wirren Gassenlabyrinth um den Regierungssitz des Sultans von Jhurat herausführte. Das Mädchen neben ihr war atemlos und schien gerannt zu sein.

„Bei mir sind Sie sicher!“, versuchte Cleo, es zu beruhigen. „Alles wird gut.“

Unvermittelt trat ein Mann aus dem Schatten – direkt vor ihren Wagen – und zwang sie anzuhalten. Da sie ihn nicht überfahren konnte, unterdrückte sie eine Verwünschung und sah ihn fest an.

Er war groß und kraftvoll und wirkte gebieterisch, fast einschüchternd. Sein langes lockeres Gewand wies ihn als Einheimischen aus – einen reichen Einheimischen.

Die Sonne stand direkt hinter ihm, sodass Cleo sein Gesicht nicht richtig ausmachen konnte. Dennoch entging ihr nicht, wie drohend er sie ansah. Ein ungutes Gefühl beschlich sie.

Herrisch und hoch aufgerichtet stand er mitten auf der Straße, die Arme vor der Brust verschränkt – und wartete. Er schien nicht die Absicht zu haben, die Straße freizugeben, und sah sie grimmig an.

Cleo erschauerte. Die Situation wurde brenzlig. Sie bekam es mit der Angst zu tun.

Und da war noch etwas, das sie noch nie erlebt hatte.

Dann sagte der Mann zornig etwas auf Arabisch. Das Mädchen neben Cleo zuckte zusammen, als hätte er es geschlagen.

Cleos Magen verkrampfte sich. Jetzt gibt’s Ärger, dachte sie.

„Aussteigen!“, befahl der Mann.

Erst jetzt wurde Cleo bewusst, dass er nicht sie meinte. Er schien zu vermuten, dass sie die Sprache nicht verstand.

„Auf der Stelle!“

„Wer ist das?“, flüsterte sie dem Mädchen zu, ohne den Blick von dem Fremden zu nehmen, dessen herrische Erscheinung sie faszinierte.

Das Mädchen neben ihr gab einen rebellischen Schluchzer von sich. Als Cleo es endlich fertigbrachte, den Blick von dem bedrohlich anmutenden Mann abzuwenden, schürzte das Mädchen trotzig die Lippen, sodass es noch jünger wirkte.

„Das“, erwiderte es verbittert und sah den Mann an, der sich nicht von der Stelle rührte, „ist Seine Exzellenz, der Sultan von Jhurat.“

Ihre Lage war also noch viel schlimmer, als Cleo angenommen hatte.

„Ach du meine Güte!“, brachte sie matt hervor. Einen Sultan hatte sie sich anders vorgestellt. Er wirkte eher wie ein Kriegsengel, der Angst und Schrecken verbreitete. Was sollte sie tun? Ahnungslos war sie hier in eine heikle Situation geraten. „Warum sollte ein Sultan – der Sultan – Sie eine Gasse entlanghetzen?“

„Weil er ein Teufel ist.“ Das Mädchen schnitt ein Gesicht. „Und außerdem mein Bruder.“

Cleo schluckte und brachte kein Wort hervor.

Der Sultan stand einfach nur da und wartete.

Nun verstand sie, warum er sich so stolz und gebieterisch aufführte. Wieso er so stahlhart auftrat und so viel Autorität verströmte.

Cleo überlegte fieberhaft. Und seltsamerweise musste sie an Brian denken. Den Schwächling, der sie belogen und gedemütigt hatte. Der behauptet hatte, sie zu lieben, obwohl er nichts für sie empfand – und es in nichts mit der überwältigenden Ausstrahlung des Mannes aufnehmen konnte, der hier vor ihr stand.

Mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete der Sultan ihnen auszusteigen.

Auf der Stelle!

Und Cleo vergaß den jämmerlichen untreuen Brian und seine Freundin, die er während der Verlobungszeit nebenbei gehabt hatte.

Das Dilemma, in dem sie sich jetzt befand, war genau, was ihre Eltern und die energischen Tanten in Ohio ihr prophezeit hatten. Dennoch hatte sie darauf bestanden, allein durch die Welt zu ziehen. Weil sie sich für klug und weltgewandt gehalten hatte. Alle hatten sie sie beschworen, auf die Rucksacktour zu verzichten. Vor ihren Problemen davonzulaufen sei keine Lösung. Damit würde sie sich höchstens neue einhandeln. Und genau das war jetzt passiert.

Der Sultan wartete immer noch – inzwischen sehr viel weniger geduldig.

„Fahren Sie ihn einfach um“, stichelte das Mädchen neben ihr. „Mähen Sie ihn nieder.“

„Meine Güte, nein“, wisperte Cleo. „Das kann ich nicht tun.“

Auf einmal lief alles wie in Zeitlupe ab – die Luft schien stillzustehen. Es gab nur noch diesen Mann. Den Sultan. Cleo legte den Leerlauf ein. Neben ihr stöhnte das Mädchen frustriert auf, doch Cleo konnte nur gebannt auf den Mann vor ihrer Stoßstange blicken.

Reglos stand er da. Wachsam. Gefährlich.

Ein beklemmendes Gefühl übermannte sie. Furcht stieg in ihr auf. Es war, als wäre diese Begegnung vorbestimmt, als wäre alles, was nun kam, so unumstößlich und unerschütterlich wie die alten Gemäuer um sie her.

Wie der Mann vor ihrem Wagen. Der Sultan, der hier über alles herrschte. Der keine Schwäche zeigen durfte, das spürte Cleo.

Ohne auf die Forderungen des Mädchens einzugehen, schaltete sie den Motor ab, öffnete die Wagentür und stieg aus.

Nun reagierte der Sultan. Er nickte jemandem hinter Cleo zu, und Männer in Militäruniformen mit Maschinengewehren im Anschlag tauchten auf und umzingelten den Mietwagen.

Cleo verstand kein Wort von ihrem schnell gesprochenen Arabisch, alle schrien laut und scharf durcheinander. Irgendwie schaffte sie es, den Blick vom Sultan abzuwenden, der immer noch dastand und sie gebieterisch ansah.

Im nächsten Moment erschien neben ihr einer seiner Männer und streckte ihr die Hand hin. Sie zuckte zusammen und sah den Sultan an. Ihr war klar, dass sie diesen Leuten hoffnungslos ausgeliefert war.

Komischerweise fühlte sie sich dennoch besser als am Nachmittag zwei Wochen vor der Hochzeit, nachdem sie früher von der Arbeit nach Hause gekommen war und Brian mit seiner Freundin auf dem Fußboden seiner Eigentumswohnung in eindeutiger Situation angetroffen hatte.

Der Sultan sagte etwas, und ihr wurde bewusst, dass er sie meinte.

„Entschuldigung, aber ich habe Sie nicht verstanden.“ Cleo erkannte ihre eigene Stimme kaum.

Er hielt inne, und endlich konnte sie sein Gesicht besser ausmachen, weil die Sonne hinter den alten Gebäuden verschwand. Ihr rötlich goldener Schein rahmte ihn ein wie eine Götterfigur, und er wirkte nicht mehr ganz so hart und grausam.

Die ungewohnte Hitze muss mir zugesetzt haben, dachte Cleo beklommen.

Der Sultan richtete erneut das Wort an sie, und diesmal klang seine dunkle Stimme beherrscht. „Wissen Sie, wer ich bin?“

„Ja.“

Er nickte kurz. „Geben Sie meinem Mann Ihre Schlüssel.“

Sein Englisch war akzentfrei. Jetzt hätte Cleo ihn fragen können, was los sei, was er mit ihr vorhätte, doch merkwürdigerweise gehorchte sie stumm.

Folgsam öffnete sie die Hand, und der Uniformierte neben ihr nahm ihr die Wagenschlüssel ab. Immer noch stand sie ganz im Bann der gebieterischen Ausstrahlung des Sultans, dessen Gesicht nun nicht mehr im Schatten lag.

Wieso wagte sie kaum zu atmen? Warum hatte sie das Gefühl, die Knie würden unter ihr nachgeben? Was war nur auf einmal mit ihr los?

Seltsam benommen nahm sie das Geschehen um sich her wahr. Nach kurzer Besprechung schaltete ein Uniformierter den Motor ein und wendete den Wagen, dann verschwanden die Männer mit dem aufgebrachten Mädchen, und Cleo stand allein in der Gasse des fremden Landes – vor einem Mann, der so groß und mächtig war, wie es eigentlich nur in Büchern vorkam.

Endlich bewegte er sich … so geschmeidig wie ein Panther, der seine Beute taxiert. Cleo bekam Magenflattern, ihr wurde heiß. Wie angewurzelt stand sie da, während der Sultan langsam um sie herumging. Er hielt etwas in der Hand, und sie bemerkte, dass es ihre Brieftasche war, die sie im Wagen auf den Becherhalter gelegt hatte. Einer seiner Männer musste …

„Sehen Sie mich an“, befahl er ihr leise.

Cleo blickte ihm ins Gesicht – und konnte es zum ersten Mal genau betrachten.

Ein atemberaubender Mann …

Doch eigentlich war das nicht die richtige Bezeichnung. Dafür waren seine Züge zu scharf und markant. Sie erinnerten Cleo an die Bewohner abgelegener Bergdörfer, durch die sie auf ihren Reisen gekommen war – kompromisslos männlich, stolz und stahlhart. Sie wirkten wie aus Stein gemeißelt. Sein Haar war dicht und dunkel, den herausfordernden Blick und das kantige Kinn hätte Cleo Soldaten und Kriegern zugeschrieben – oder Schlägern. Kühne gerade Nase registrierte sie … feine Fältchen um die Augen, die verrieten, dass er irgendwann gelächelt haben musste. Aber das dürfte lange her sein.

Diesen Mann und den Softie Brian trennten Welten, wurde Cleo bewusst.

„Sie sind Amerikanerin.“ Das war keine Frage.

Der Sultan musterte sie nun kritisch von Kopf bis Fuß, und Cleo versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie durcheinander sie war. Zum lockeren T-Shirt trug sie eine derbe Hose und abgewetzte Stiefel, außerdem eine Jacke, um sich in diesem konservativen Teil der Welt zu bedecken – und auch zum Schutz gegen die schnell abkühlende Abendluft. Das lange Haar hatte sie locker zurückgewunden, doch im Laufe des Tages hatten sich Strähnchen befreit, sodass sie sehr viel jünger als fünfundzwanzig wirkte.

Der Sultan schlug ihre Brieftasche auf und warf einen Blick hinein. „Hier sind Sie von Ohio aber ziemlich weit entfernt“, bemerkte er.

„Ich reise als Rucksacktouristin.“ Seltsam, wie heiser ihre Stimme klang.

„Allein?“ Es war ratsam, das nicht zuzugeben. Doch als der Sultan von der Einreisegenehmigung in ihrer Brieftasche aufblickte, fühlte Cleo sich ertappt.

„Ja.“ Sie bemühte sich, normal zu sprechen. „Seit sechs Monaten. In zwei Wochen fliege ich nach Hause.“

Doch eigentlich wollte sie gar nicht zurück. Noch nicht. Vielleicht nie.

„Es könnte sein, dass ich Sie verhaften lasse“, ließ der Sultan sie wissen.

Entsetzt sah Cleo ihn an. „Wieso denn das?“

„Damit müssen Ausländer hier rechnen, die versuchen, ein Mitglied der Königsfamilie zu entführen“, erwiderte er locker.

Es wäre glatter Selbstmord, diesen Mann nicht ernst zu nehmen!

An so etwas hätte Cleo nicht mal im Traum gedacht. „Ich habe niemanden entführt. Ihre Schwester ist mir vor den Wagen gelaufen. Hätte ich sie etwa umfahren sollen?“ Sie bemerkte seinen ungläubigen Gesichtsausdruck und räusperte sich. „Ich wollte ihr nur helfen – und keinen Unfall riskieren.“

Einen Moment lang sah der Sultan sie seltsam an, sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

„Wovor sollte meine Schwester Ihrer Meinung nach davonlaufen?“, fragte er täuschend leise.

„Vielleicht, weil Sie sie verheiraten wollten … an einen politischen Verbündeten oder so …“

Das hatte Cleo aus den Romanen, die sie gelesen hatte. Der Sultan schien das zu wissen, wie der Ausdruck in seinen faszinierenden Augen vermuten ließ.

Er presste die Lippen zusammen und beobachtete sie auf eine Weise, die ihr durch und durch ging. Panik überkam sie.

„Sie haben eine blühende Fantasie, Ms Churchill.“

Es beunruhigte sie, dass er sie beim Namen nannte. Noch mehr, wie er sie ansah. Am liebsten wäre sie davongelaufen.

Doch sie tat es nicht. Seit sechs Wochen lief sie nun schon davon. Nicht zum ersten Mal wollte sie lieber pausieren. Doch darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Mit seinen hypnotisierenden Augen schlug dieser Mann sie völlig in seinen Bann.

„Leider hat Ihre Schwester mir nicht verraten, vor wem sie geflohen ist“, erwiderte sie gefasst. Blieb ihr etwas anderes übrig, als sich zu fügen? „Sie ist mir direkt vor den Wagen gelaufen. Und dann tauchten Sie wie der Schurke in einem Horrorfilm auf – nur ohne Axt.“

Wieder dieser merkwürdige Blick. Der Sultan blinzelte, schien seinen Ohren nicht zu trauen.

„Meine Schwester ist sechzehn“, sagte er endlich. Beherrscht. „Sie weigert sich, ins Internat zurückzukehren. Da bekam sie einen Tobsuchtsanfall und ist Ihnen vor den Wagen gelaufen.“

„Sie hat mich um Hilfe angefleht.“ Trotzig warf Cleo den Kopf zurück, obwohl sie nicht wusste, zu was dieser Mann fähig war. „Deshalb denke ich nicht daran, mich für meine Hilfe zu entschuldigen – egal wie sehr Sie sich darüber aufregen.“

Kühl und gleichgültig betrachtete er sie einen Moment lang, und bei Cleo schrillten Alarmglocken. Er ist der Sultan – mach bloß keine Dummheiten! Er konnte mit ihr machen, was er wollte, das wussten sie beide. Sich mit einem Mann wie ihm anzulegen war das Dümmste, was sie tun konnte – außer Brian zu vertrauen.

„Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass ich Ihre Entschuldigungen nicht brauche“, erwiderte der Sultan in einem Ton, der sie warnte. „Aber ich fürchte, Sie müssen trotzdem mitkommen.“

Khaled bin Azis, weiterhin Sultan von Jhurat – vorausgesetzt, er konnte sein Land unter Kontrolle halten –, stand im Privatsalon des alten Palastes, in den seine Wachen die Amerikanerin gebracht hatten, und überlegte, wie er jetzt vorgehen sollte.

Seine Schwester war in ihre Räume geführt worden. Dort würde sie den Vormittag über bleiben, bis seine Wächter sie persönlich im Internat auf dem Lande abgeliefert hatten und dafür sorgten, dass die Lehrer sie nicht aus den Augen ließen. Natürlich verstand er, warum Amira sich so kindisch aufführte. Sie war noch zu jung, um zu begreifen, dass sie mit ihrem Verhalten Probleme von unübersehbaren Folgen auslösen konnte.

Nur zu gut erinnerte er sich, wie er als Sechzehnjähriger gegen alles und jeden rebelliert hatte, seinen Aufrührerdrang jedoch nicht ausleben durfte. Als Thronanwärter hatte er bereits damals ein hohes Maß an Verantwortung tragen müssen.

„Hier geht es nicht um dich“, hatte sein Vater ihm schon als Achtjährigem eingetrichtert. „Nur Jhurat ist wichtig. Finde dich damit ab.“

Inzwischen hatte Khaled längst gelernt, seine Wünsche und Gefühle zu verdrängen. Zu viel stand auf dem Spiel. Vor allem ging es um Handelsabkommen mit westlichen Mächten, die ihn gern als Barbaren und Ahnungslosen hinzustellen versuchten. Doch auf diese Handelsbeziehungen war Jhurat angewiesen, um der grassierenden Armut zu entrinnen, unter der viele Nachbarstaaten litten. Und fast wäre es auch mit Jhurat so weit gekommen, weil sein geistig verwirrter Vater sich halsstarrig gegen alle Modernisierungsbestrebungen gestemmt hatte.

„Wenn du die Grenzen freigibst, öffnest du die Büchse der Pandora“, hatte sein Vater ihn in einem lichten Moment gewarnt. Jetzt verstand Khaled, was er damit gemeint hatte.

Obwohl Amira von alldem nichts ahnte, hätte er ihr den Hals umdrehen können. Weil sie ihn knietief in unlösbare Probleme verwickelt hatte. Mit denen hatte er sich jetzt allein herumzuschlagen, nachdem er vorzeitig die Herrschaft übernehmen musste, weil sein Vater zusammengebrochen und für unzurechnungsfähig erklärt worden war. Weil es niemand anderen gab.

„Cleo Churchill ist eine harmlose Touristin aus einfacher Familie“, bemerkte sein Sicherheitsminister hinter ihm und blickte auf den Tablet-PC in seinen Händen. „Ihr Vater ist Elektriker, die Mutter arbeitet als Sprechstundenhilfe im Vorort einer Provinzstadt. Das Mädchen hat zwei Schwestern, eine ist mit einem Mechaniker verheiratet, die andere mit einem Lehrer. Keine Kontakte zu einflussreichen Stellen.“

„Aha“, Khaled sprach mehr zu sich selbst. „Aber sie könnte eine von den berüchtigten Frauenrechtlerinnen sein. In Harvard habe ich die Erfahrung gemacht, dass Amerikanerinnen sich wie graue Mäuschen einbilden, besondere Werte oder Stärken zu verfechten, die ihre Kultur angeblich so wichtig machen.“

Etwas von ihm entfernt saß sein graues Mäuschen auf einer Couch, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände vors Gesicht geschlagen. Hoffentlich fing sie jetzt nicht zu weinen an.

Khaled war nicht entgangen, dass sie Angst hatte, als er sie in den Palast verfrachtet hatte. Fast tat es ihm inzwischen sogar ein bisschen leid, dass er ihr trotziges Auftreten in der Gasse einfach ignoriert hatte, als sie sich von der grauen Maus in etwas Interessanteres verwandelt hatte. Vielleicht hätte er sie nicht ganz so hart anfassen sollen.

Aber Gefühle konnte er sich nicht leisten. Für Reue war hier kein Platz. So war es immer gewesen. Nur Jhurat war wichtig.

„Sie ist viel herumgereist“, fuhr Nasser fort und verzichtete auf Vermutungen. Das war einer der Gründe, warum er seit der gemeinsamen Jugendzeit Khaleds rechte Hand und bester Freund war. „Vor einem halben Jahr ist sie nach Schottland geflogen und reist seitdem kreuz und quer durch die Weltgeschichte. Offenbar legt sie ein Sabbatjahr ein, nachdem sie ihr Studium vor einiger Zeit erfolgreich abgeschlossen hat. Sie dürfte eine von denen sein, die sich selbst finden wollen.“

Khaled nahm den ironischen Ton seines Beraters auf. „Stattdessen hat sie mich gefunden. Armes Mäuschen.“

„Machen Sie sich ihretwegen keine Gedanken“, riet Nasser ihm. „Mit dem Mädchen werden wir spielend fertig, erst recht, da anscheinend kein Hahn nach ihm kräht.“

„Werden Sie auch mit unseren Feinden fertig, die mich wegen meiner Familiensituation aus dem Palast verjagen wollen?“ Es wurde gemunkelt, Khaled könnte wie sein Vater vorzeitig in geistige Umnachtung fallen. Und wie sollte er das Gegenteil beweisen? Khaled verdrängte den Gedanken. „Sicher ist bei den Medien längst durchgesickert, dass eine Amerikanerin im Palast festgehalten wird. Das lässt sich nicht vertuschen.“

„Mit den Medien werden wir fertig.“

„Unseren vielleicht.“ So hatte sein Vater die Dinge gehandhabt – und was war daraus geworden? Mit diesen Problemen musste er, Khaled, sich jetzt herumschlagen. Aber würde er es schaffen? Konnte das überhaupt jemand? Dennoch war es seine Pflicht – sein Schicksal – alles zu versuchen, um sich durchzusetzen. „Und was ist, wenn die Medien den Zwischenfall international ausschlachten? Und das werden sie tun.“

Khaled kannte seine Feinde. „Wie stehen wir vor der Weltöffentlichkeit da, wenn man mich als Ungeheuer hinstellt, das ahnungslose Amerikanerinnen von der Straße weg verhaftet?“

Schon jetzt war ihm klar, wie sich so etwas auf internationale Verträge auswirken würde, die er dringend brauchte, um neue Aufträge für die einheimische Wirtschaft an Land zu ziehen. Ganz zu schweigen von dringend benötigten internationalen Kapitalströmen, die der wachsende Tourismus mit sich brachte, seit er die Grenzen wieder geöffnet hatte. Damit konnte er das Rad zu seinen Gunsten drehen. Und Jhurat endlich in eine neue Zukunft führen.

Rückfälle konnte er sich nicht leisten. Schon gar nicht jetzt.

„Das Volk will nicht in die Steinzeit zurückfallen“, bemerkte Nasser finster. „Die Leute wollen ihre Bedarfsgüter und technischen Errungenschaften jetzt kaufen – von den Gehältern, die neue Arbeitsplätze mit sich bringen – egal, was der Dummkopf behauptet.“

„Der Dummkopf“ war Talaat, der Kopf der Widerstandsbewegung, die Khaled den Herrschaftsanspruch auf das Sultanat streitig machte. Vermutlich würde er, Khaled, früher oder später in den Geisteszustand verfallen wie sein Vater, war ihre Kampfparole. Wollen wir dafür unser Land aufs Spiel setzen? trumpfte Talaat ständig in den Medien auf.

Talaat war Khaleds Cousin mütterlicherseits. Als Jungen hatten sie miteinander gespielt. Fast lachhaft, dass sein eigener Cousin zu seinem schlimmsten Gegenspieler geworden war. Von jeher hatte seine Abstammung Khaled das Leben schwer gemacht. So auch Amiras heutiger Auftritt.

„Talaat ist es egal, was die Leute wollen“, erklärte Khaled schroff. „Ihm geht es nur um die Macht.“

Nasser antwortete nicht. Leider stimmte das. Um was es wirklich ging, zählte nicht, falls Talaats Hetzpropaganda bei den richtigen Stellen auf fruchtbaren Boden fiel.

Khaled lächelte abschätzig. Bei der derzeitigen kritischen Lage durfte sich das Ganze auf keinen Fall zum nächsten Internethype entwickeln. Es fehlte nicht viel, um die öffentliche Meinung gegen ihn aufzuwiegeln. Mit ihren Kickstarterkampagnen und Internet-Apps konnten die Amerikaner Bürgerunruhen in fernen Ländern zu einem Videospiel machen, mit dem sie sich auf der Couch amüsierten. Nichts machte mehr Spaß, als ein allgemeiner Aufschrei beim kleinsten Anlass gegen Länder wie Jhurat.

Oder auch ohne Anlass, dachte Khaled grimmig.

Also musste er sich sehr genau überlegen, was mit der fotogenen Amerikanerin geschehen sollte, die Amira dummerweise über den Weg gelaufen war. Was für Storys würde diese Cleo Churchill auftischen, wenn sie frei war? Und wer würde ihr glauben? Was könnten seine Feinde daraus machen, wenn sie die junge Frau in die Hände bekämen? Und das würden sie. So lief es immer.

Im rückwärtigen Teil des Salons wurde Cleo Churchill unruhig. Sie richtete sich im Sessel auf, und Khaled betrachtete sie interessiert. Als er sie aus dem Wagen beordert hatte, war sie erstaunlich energisch und selbstbewusst aufgetreten.

Ein Gedanke begann, Gestalt anzunehmen.

Die junge Frau war ein Geschenk des Himmels. Ein sehr attraktives sogar! Nicht zuzugreifen konnte er sich nicht leisten. Zierliche Figur, registrierte er … große Augen und feine Züge. Ihr volles Haar, das sie im Nacken notdürftig gebändigt hatte, schimmerte in wechselnden Rot-, Braun- und Karamelltönen.

Hübsch, dachte er und bewegte sich unruhig. Zu hübsch.

Elegant und unvergesslich … mit diesem Gesicht und der biegsamen Figur. Aber scheußlich männlich gekleidet. Während des Studiums in England und den Staaten hatte er den Westernlook nie gemocht, schon gar nicht bei einer Frau.

Khaled war ein konservativ denkender Mann. Frauen sollten sich ihrer Rolle entsprechend geben. Er liebte griffige weibliche Rundungen und volle Brüste und hielt nichts von jungenhaften knochigen Figuren, die einem Mann nichts zu bieten hatten. Frauen, die ihm scheue Blicke zuwarfen, gaben ihm das Gefühl, stark zu sein. Er mochte anschmiegsame, sittsam bescheidene Wesen nach alter Tradition – nicht Westerngirls wie dieses Mädchen. Und wie aufsässig diese Cleo Churchill ihn auf der Straße angesehen hatte! Sie hatte nicht mal den Anstand besessen, ihn um Gnade anzuflehen.

Widerstand konnte er nicht vertragen.

Aber ihre Augen waren ungewöhnlich. Mehr als ungewöhnlich. In der schmalen Gasse hatten sie die Sonne widergespiegelt. Sie waren von einem strahlenden hellen Gold, das an alte Schätze erinnerte. Khaled verstand selbst nicht, wieso diese Augen ihm nicht aus dem Kopf gingen.

Es war, als verfolgten sie ihn. Als hätte diese Cleo sich auf geheimnisvolle Weise in sein Herz geschlichen, obwohl er außer ihrem politischen Wert für sein Land nichts an ihr finden dürfte.

Rastlos lief Khaled im Salon auf und ab. Ob es ihm gefiel oder nicht, hier ging es um Politik und Macht und das Schicksal des Landes.

Sein Entschluss war gefasst.

„Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Ms Churchill.“ Er ließ seinen eingerosteten Charme spielen und raffte sich sogar zu einem Lächeln auf.

„Da ich auf diese Entschuldigung angewiesen bin, nehme ich sie an“, erklärte Cleo kühn.

Ihre Blicke trafen sich. Der Klang ihrer eigenen Stimme kam ihr in dem eleganten Raum fremd vor – oder lag das an diesem Mann?

„Die bedauerliche Szene auf der Straße scheint Sie geängstigt zu haben, Ms Churchill.“

Wieder strahlte sie ihn auf diese unwiderstehliche Art an, und etwas Merkwürdiges geschah mit Khaled.

Ja, die junge Frau konnte ihm nützlich sein. Für sein Land würde er alles tun. Sogar das. Erst recht das! Vielleicht ist sie mein Geschenk des Schicksals.

Umgänglich lächelnd setzte er sich in einen Sessel Cleo gegenüber.

Wie ein verschrecktes Mäuschen saß sie da – zart und ein bisschen verloren inmitten der farbenfrohen Prunkkissen. Umgeben von mächtigeren und schärferen Klauen, als sie sich vorstellen konnte. Er beugte sich etwas vor und bemerkte, dass ihre Augen sich weiteten. Sie atmete schneller.

Aber nicht aus Furcht.

Sie reagierte auf ihn als Mann.

Gut. Auch das konnte sich als nützlich erweisen.

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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