Mit Dir ist es die große Liebe

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Unglück verbindet! Hollys Freund Howard möchte überraschend Martins Freundin Rosemary heiraten. Um ihre Verflossenen eifersüchtig zu machen, spielen Holly und Martin das neue Traumpaar. Der Trick funktioniert teilweise: Rosemary will Martin zurück. Doch der ist nun heiß in Holly verliebt …


  • Erscheinungstag 23.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757212
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„So eine Frechheit von ihm, dich zu seiner Verlobungsfeier einzuladen.“

„Ja, nicht wahr?“, beklagte sich Holly. „Ich kann nicht einmal mehr absagen. Er weiß, dass ich nichts anderes vorhabe. Als er mich bat, ich solle mir das Wochenende freihalten, dachte ich doch, er wolle mir endlich einen Heiratsantrag machen. Stattdessen …“ Sie sah betroffen aus. „Es hat keinen Zweck, ich muss hinfahren. All unsere Freunde werden dort sein, und wenn ich mich nicht sehen lasse …“

„Wenn du es für richtig hältst, fahr hin“, sagte Janet, ihre Chefin, „aber ich würde dir den guten Rat geben, nicht allein auf die Party zu gehen. Nimm einen Verehrer mit.“

Hollys Miene hellte sich auf. „Um Howard eifersüchtig zu machen? Gute Idee.“ Dann dachte sie angestrengt nach. „Wen soll ich mitnehmen? Die Männer stehen nicht gerade Schlange vor meiner Tür.“

„Du sollst das nicht tun, um Howard eifersüchtig zu machen“, widersprach Janet Holme gereizt. „Da hast du mich missverstanden. Er verlobt sich mit einer anderen Frau, damit musst du dich wohl oder übel abfinden. Ich meinte vielmehr, es täte deinem Selbstwertgefühl gut, wenn du eine Begleitung auf dieser Verlobungsparty hättest. Du würdest dich wohler fühlen.“

„Davon kann keine Rede sein“, erwiderte Holly düster und voller Selbstmitleid. „Ich liebe ihn, Janet.“

Das bezweifelte Janet im Stillen. Wenn sie ihre jüngste und liebste Mitarbeiterin so ansah, hatte sie eher den Verdacht, dass es sich um einen Fall schulmädchenhafter Verliebtheit handelte. Mit wahrer Liebe hatte das nichts zu tun.

Natürlich war Holly Witchell felsenfest überzeugt, den charmanten, reichlich oberflächlichen jungen Mann, dem sie gerade nachtrauerte, heiß und innig zu lieben. Doch für ihre zweiundzwanzig Jahre war sie in mancher Hinsicht noch erstaunlich naiv. Sie war wohl weniger in den Mann namens Howard Neston als in die Liebe selbst verliebt.

Als Holly vor einem Jahr nach London kam, hatte sie so etwas rührend Kindliches an sich, dass Janet sie spontan unter ihre Fittiche nahm. Eine gewisse Blauäugigkeit und Unerfahrenheit hafteten Holly auch jetzt noch an.

„Wenn ich dich richtig verstanden habe, findet die Feier nicht in London statt?“

„Nein, zu Haue in Cheshire“, erklärte Holly. „In Rosemarys Elternhaus. Rosemary ist die Frau, mit der Howard sich verloben will. Ihre Eltern sind die reichsten Leute im Ort und mächtig stolz auf ihr Geld. Du kennst solche Leute bestimmt auch.“

„Ich glaube schon.“ Als viel beschäftigte Innenarchitektin hatte Janet recht viele wohlhabende Kunden, und wenn sie etwas partout nicht leiden konnte, dann war es Dünkelhaftigkeit.

„Alle meine früheren Bekannten werden da sein. Rosemary und ich sind zusammen zur Schule gegangen, aber ich konnte sie nie ausstehen. Ich verstehe einfach nicht, warum Howard mir nicht schon früher etwas davon gesagt hat. Er hätte doch wissen müssen, dass ich auf seinen Heiratsantrag warte.“

„Männer sind in solchen Dingen manchmal sehr begriffsstutzig“, entgegnete Janet. Im Stillen aber fragte sie sich, wie eine hübsche, intelligente junge Frau wie Holly in Bezug auf Männer so naiv sein konnte. Schon öfter im Verlauf der letzten zwölf Monate war Janet aufgefallen, dass ihr Schützling über erstaunlich wenig Erfahrung im Umgang mit dem männlichen Geschlecht verfügte.

Ein Grund dafür mochte ihre überaus behütete Kindheit sein. Sie war das Nesthäkchen der Familie gewesen. Ihre Eltern waren vor Kurzem nach Neuseeland übergesiedelt, um dort bei Hollys Bruder und seiner Familie zu leben. Wie Janet wusste, besaßen sie immer noch ihr Haus in dem Ort, in dem Holly aufgewachsen war. Es war inzwischen vermietet, und Holly fuhr manchmal hin, um nach dem Rechten zu sehen.

„Er hätte es mir sagen müssen“, beharrte Holly.

„Natürlich hätte er das tun müssen, aber ich nehme an, ihm fehlte der Mut. Wie lange ist er schon mit dieser Rosemary zusammen?“

„Das hat er nicht gesagt. Allzu lange kann es nicht sein. Sie kommt nie nach London, und er …“ Holly hielt inne und runzelte die Stirn. Jetzt erst fiel ihr auf, wie oft Howard in letzter Zeit ihre Verabredung kurzfristig wieder abgesagt hatte. „Es muss angefangen haben, als wir damals über Weihnachten nach Hause fuhren. Erinnerst du dich? Ich habe dir davon erzählt. Wir wohnten bei seinen Eltern.“ Holly verzog das Gesicht. „Mit seiner Mutter hatte ich schon immer Probleme. Ich glaube, in ihren Augen war ich nicht gut genug für ihren Sohn. Ich möchte nur wissen, wie Martin sich jetzt fühlt.“

„Martin? Wer ist das denn?“, erkundigte sich Janet, die an Hollys sprunghafte Gedankengänge gewöhnt war.

„Martin Remmington. Er und Rosemary gingen schon zu Schulzeiten zusammen aus, genau wie Howard und ich. Ich habe immer geglaubt, sie würden sehr schnell heiraten. Der arme Martin, er ist bestimmt am Boden zerstört. Ich habe die beiden immer für ein festes Paar gehalten. Nun ja, Rosemary hat einen Hang zum Luxus, und ihre Eltern bestärken sie darin. Sie legen großen Wert darauf, zur besseren Gesellschaft zu gehören. Martin ist da ganz anders. Er ist Landwirt, ein sehr bodenständiger Mensch.“

„Klingt sympathisch,“, bemerkte Janet. „Ich mag bodenständige Männer.“

„Ja, Martin ist sehr beliebt. Jeder mag ihn, aber er ist nicht der Typ, bei dem eine Frau Herzklopfen bekommt.“

„Also gut, Holly. Wenn du dem glücklichen Paar schon unbedingt gratulieren musst, würde ich vorschlagen, du tust es wenigstens mit Stil und in der entsprechenden Aufmachung. Du musst dazu einen richtig glanzvollen Auftritt inszenieren“, erklärte ihr Janet.

Holly sah sie zweifelnd an. „Ich habe mir seit Ewigkeiten kein neues Kleid mehr gekauft. Damit wollte ich warten, bis …“ Ihre Unterlippe begann zu zittern.

Hastig warf Janet ein: „Keine Tränen mehr, Schatz. Sei froh, dass du Howard los bist. Ehrlich gesagt, ich habe nie recht verstanden, was du an ihm findest. Hör zu, ich mache dir einen Vorschlag. Im Moment läuft das Geschäft ziemlich ruhig – wie wäre es, wenn wir beide morgen den Vormittag freinehmen und einen Stadtbummel machen? Ich habe auch noch etwas zu besorgen. Luke hat für nächste Woche einen wichtigen Geschäftspartner zum Essen eingeladen, und ich soll dem armen Mann mit einem hinreißenden Abendkleid den Kopf verdrehen.“

Luke war Janets Ehemann, ein sportlicher, dunkelhaariger Mittvierziger, dessen Lächeln Frauenherzen höher schlagen ließ. Sein Charme hatte Holly anfangs regelrecht eingeschüchtert, was Janet belustigt, aber auch mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis nahm.

Nachdem Janet mehrmals die Erfahrung gemacht hatte, dass ihre weiblichen Angestellten mehr Zeit darauf verwandten, mit ihrem attraktiven Ehemann zu flirten, anstatt ihre Arbeit zu tun, empfand sie die schüchterne Zurückhaltung der neuen Mitarbeiterin als angenehme Abwechslung. Als Geschäftsführer war Luke aktiv am Geschäft seiner Frau beteiligt.

„Einverstanden“, stimmte Holly zu.

Zwei Tage später setzte sich Holly schweren Herzens ans Steuer ihres Kleinwagens und trat die Reise nach Norden an, Richtung Cheshire. Im Kofferraum, sorgfältig in Seidenpapier gebettet, lag das neue Kleid, das Holly auf Janets Drängen hin in einer der besten Boutiquen Londons erstanden hatte.

Es war lange her, seit sie die Strecke zum letzten Mal gefahren war. Damals hatte Howard neben ihr gesessen. Sie waren unterwegs zu seinen Eltern, um die Weihnachtsfeiertage bei ihnen zu verbringen. Nun war Oktober. Im nächsten Jahr würde Howard Rosemary heiraten. Rosemary wünschte sich eine Hochzeit im Juni, hatte Howard Holly erzählt, ohne zu merken, wie sehr er ihre Gefühle verletzte.

Sie trat ein wenig härter aufs Gaspedal. Wie konnte er ihr das nur antun! Schon in der Schule waren sie ein Paar gewesen. Sie war ihm auf die Universität gefolgt und dann später nach London, wo sie beide mit viel Ehrgeiz ihrer Arbeit nachgingen.

Natürlich war Howard manchmal unaufmerksam gewesen, hatte Verabredungen kurzfristig abgesagt, versprochene Telefonanrufe vergessen, aber seine kaufmännische Tätigkeit ließ ihm nun einmal nicht viel Freizeit und brachte unvorhergesehene Auslandsreisen mit sich. Doch ihre Beziehung war so beständig gewesen, so sicher. Holly schluckte. So sicher, dachte sie bitter, dass ich ihn an eine andere verloren habe, ohne es zu merken. An die grässliche, durchtriebene Rosemary Jensen mit den blauen Augen und den blonden Löckchen.

Mit einer energischen Kopfbewegung warf Holly das kastanienbraune Haar in den Nacken. Nachdem Howard ihr von der Verlobung erzählt hatte, hatte sie kaum noch geschlafen und einige Pfund an Gewicht verloren. Das war nicht weiter schlimm, wie sie fand. Sie war zwar nicht gerade mollig, aber mit Rosemarys zierlicher Mannequinfigur konnte sie nicht konkurrieren.

Howard liebt Rosemary nicht wirklich, dachte Holly trotzig. Er hat sich von ihr betören lassen – von ihr und dem Reichtum ihrer Eltern.

Zornig erinnerte sie sich daran, wie er voller Bewunderung aufgezählt hatte, was die Jensens alles besaßen. Es war eine eindrucksvolle Liste gewesen: die Villa in Spanien, die Motoryacht, die teuren Autos. Davon hatte er sich blenden lassen. Er, Howard, der immer seine Scherze über Leute wie die Jensens gemacht hatte.

Holly biss die Zähne zusammen. Nun gut, reiche Eltern hatte sie nicht zu bieten, auch keine honigblonden Locken und himmelblauen Augen. Aber in ihrem wunderschönen neuen Kleid, diesem Traum aus roter Seide, brauchte sie sich hinter Rosemary nicht zu verstecken. Sein raffinierter Schnitt und der zarte, schimmernde Stoff brachten Hollys geschmeidige Kurven geschickt zur Geltung, und der Rock war kurz genug, um den Blick auf ihre hübschen Beine zu lenken.

Noch während sie sich selber Mut zusprach, kam die Bitterkeit über Howards Verrat wieder in ihr hoch. In ihren braunen Augen standen Tränen. Was ihr am meisten wehtat, war die Tatsache, dass Howard sie nicht wenigstens auf die Trennung vorbereitet hatte. Er ließ sie einfach weiterhin in dem Glauben, dass er sie liebte, obwohl er längst mit einer anderen zusammen war. Trotzdem fand Holly immer noch Entschuldigungen für sein Verhalten. Sie machte sich Selbstvorwürfe, weil sie nicht schon früher gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte, und Howard keine Gelegenheit gegeben hatte, offen darüber zu reden.

Doch so schnell gab sie nicht auf. Sie war fest entschlossen, Howard zurückzugewinnen. Irgendwann wird er von Rosemary und ihrer Familie genug haben, sagte sie sich und machte dabei ein so grimmiges Gesicht, dass ein überholender Autofahrer verwirrt wieder hinter ihr einscherte, weil er ihren zornigen Blick auf sich bezog.

Holly mochte zwar unerfahren und naiv sein, wenn es um Männer ging, doch im täglichen Leben und besonders in beruflichen Dingen erwies sie sich, wie Janet erfreut festgestellt hatte, als erstaunlich kompetent.

Ihre Reise nach Cheshire hatte sie mit derselben gewissenhaften Sorgfalt vorbereitet, mit der sie auch bei ihrer Arbeit vorging.

Sie hatte noch mehr als vier Wochen ihres Jahresurlaubs zu bekommen. Im Sommer, als alle anderen aus dem Kollegenteam Ferien machten, hatte Holly sich freiwillig bereit erklärt durchzuarbeiten. Sie tat es, weil Howard ohnehin keinen Urlaub hätte nehmen können, andererseits geschah es aber auch aus Hilfsbereitschaft.

In Hollys kleinem Heimatort gab es kein Hotel, aber in der Dorfgaststätte wurden gelegentlich Zimmer vermietet. Holly, die den Gastwirt und seine Frau gut kannte, hatte keine Schwierigkeiten gehabt, sich dort ein Zimmer reservieren zu lassen.

Sie verließ London, nachdem der morgendliche Berufsverkehr ein wenig abgeflaut war. Vorher aber hatte sie noch einmal bei Janet im Büro angerufen, um sich zu vergewissern, dass kein dringender Auftrag mehr eingegangen war, der eine sofortige Bearbeitung verlangte.

„Noch zwei Angestellte wie Holly, dann wäre es ein Kinderspiel, diesen Betrieb zu leiten“, meinte Janet zu ihrem Mann, nachdem sie den Telefonhörer aufgelegt hatte. „Sie ist unbezahlbar, nicht nur wegen ihrer zeichnerischen Fähigkeiten.“

„Stimmt. Sie hat ein beachtliches Talent für Design, nicht wahr?“

Janet nickte nachdenklich. „Ich könnte mir vorstellen, dass es oben im Norden noch einen lukrativen Absatzmarkt für uns gibt. Was hältst du von der Idee, irgendwo in der Nähe von Chester eine Filiale zu eröffnen und Holly die Leitung zu übertragen?“

„Du meinst, wir sollten expandieren? Das ist eine Überlegung wert. Sprich doch mit Holly darüber, wenn sie zurückkommt. Sie könnte sich dann gleich nach einem geeigneten Standort umsehen.“

„Ja, das tue ich. Hoffentlich wird das Wochenende nicht zu unangenehm für sie. Ich verstehe nicht, warum sie so an diesem … diesem Trottel hängt. Ich habe ihr gesagt, sie soll froh sein, dass er weg ist, aber sie bildet sich ein, er sei ihre große Liebe. Wusstest du, dass die beiden sich noch aus der Schulzeit kennen? Bis auf die üblichen Verabredungen mit Kommilitonen während ihrer Studienzeit ist er der einzige Freund, den sie je hatte. Unglaublich, wenn man bedenkt, wie freizügig die Teenager doch normalerweise heutzutage aufwachsen.“

„Hör auf, dir Sorgen um sie zu machen. Du behandelst sie wie eine Glucke ihr Küken.“

„Wahrscheinlich hast du recht.“

Holly wäre gerührt gewesen, hätte sie gewusst, wie besorgt ihre Chefin um sie war. Sie mochte Janet und arbeitete gern für sie. Janet war eine Perfektionistin und verlangte ihren Mitarbeitern dieselbe Disziplin ab wie sich selbst. Im Gegensatz zu ihren Kollegen, die sich des Öfteren gegen Janets strenge Arbeitsmoral auflehnten, fand Holly daran nichts auszusetzen. Sie war von klein auf zu Fleiß und Gewissenhaftigkeit erzogen worden.

Jetzt tat es ihr leid, dass ihre Eltern in Neuseeland lebten und nicht mehr in dem kleinen Ort in Cheshire, wo sie hinfuhr. Sonst hätte sie bei ihnen zu Hause wohnen und sich von ihrer Mutter verwöhnen lassen können. Es war über ein Jahr her, seit ihre Eltern ausgewandert waren, und manchmal hatte Holly große Sehnsucht nach ihnen. Sie hoffte, sich im nächsten Jahr die Reise nach Neuseeland leisten zu können, um sie zu besuchen.

Der Gedanke heiterte sie ein wenig auf, und auch der Umstand, dass auf der Autobahn kaum Verkehr herrschte, trug zur Verbesserung ihrer Laune bei.

Holly kam gut voran und legte erst eine Mittagspause ein, nachdem sie die Autobahn verlassen hatte. Auf der von Herbstlaub bedeckten einsamen Landstraße zwischen Nantwich und Chester parkte sie den silbergrauen Kleinwagen am Straßenrand.

Es war ein Firmenwagen, der ihr zur alleinigen Nutzung zur Verfügung stand. Holly gab sich viel Mühe, ihn tadellos in Ordnung zu halten. Einmal in der Woche wurde er innen und außen auf Hochglanz poliert und auch regelmäßig zur Inspektion gebracht, was im Betrieb durchaus nicht die Regel war.

Am vergangenen Abend hatte Holly den Wagen volltanken lassen, und der freundliche Tankwart, der sie schon kannte, prüfte auch noch Reifendruck und Ölstand, als er erfuhr, dass sie eine längere Fahrt plante.

Das deftige Vollkornbrot und der würzige Käse, die Holly als Proviant mitgenommen hatte, schmeckten köstlich unter freiem Himmel in der milden Oktobersonne. Hinter der Weißdornhecke, die die Straße säumte, erstreckten sich die abgemähten Felder in warmen Gold- und Brauntönen bis hin zum Horizont, wo die graublauen Umrisse der Waliser Berge zu sehen waren.

Während Holly aß, sprang aus dem Gebüsch neben ihr ein Kaninchen auf, hoppelte auf das Stoppelfeld hinaus und blieb eine Weile regungslos mit gespitzten Löffeln dort sitzen. Dann, aufgescheucht vom Motorengeräusch eines Traktors, flüchtete es in seinen Bau zurück.

Die Luft war viel klarer als in der Stadt, frei von Benzingestank und Abgasen. Holly atmete tief ein und verspürte eine tiefe innere Ruhe – wie immer, wenn sie nach Hause fuhr.

Sie mochte London, war fasziniert von der Lebendigkeit und Vielfalt der Großstadt, von ihrer einzigartigen Mischung aus Altertum und Moderne, von ihrem überschäumenden Tempo. Doch mindestens ebenso sehr liebte sie die Ruhe und Einsamkeit ihrer Heimat, wo die Zeit manchmal stillzustehen schien. Wenn Holly die Augen ganz fest zumachte, konnte sie sich sogar einbilden, in der Ferne das dumpfe Getrappel der römischen Legionen auf ihrem Weg nach Chester zu hören.

Widerstrebend verstaute Holly die Reste ihres Picknicks im Kofferraum und stieg ins Auto. Ihr Ziel war nur noch eine knappe halbe Stunde entfernt.

Der kleine Ort, in dem sie geboren und aufgewachsen war, hatte sich über die Jahre hinweg erstaunlich wenig verändert. Der Grund war vermutlich, dass er zu weit entfernt von den großen Industriezentren lag, um für Pendler attraktiv zu sein.

Hollys Vater hatte mit seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt im nahe gelegenen Nantwich recht gut verdient. Holly musste in ihrer Kindheit und Jugend nichts entbehren. Natürlich lebten ihre Eltern nie so luxuriös wie die Jensens, und Holly wusste das Geld, das sie mit ihrer Arbeit verdiente, durchaus zu schätzen.

Doch materieller Reichtum war für sie nicht das Wichtigste im Leben. Was sie sich am meisten wünschte, war eine harmonische Verbindung zwischen Privat- und Berufsleben, einen Mann, der sie liebte, aber ihrer Karriere nicht im Wege stand. Auch wenn sie einmal Kinder bekam, wollte sie ihren Beruf nie ganz aufgeben. Ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung war für sie unverzichtbar.

Wenn sie sich ihre Zukunft ausmalte, war immer Howard der Mann an ihrer Seite. Nun verlobte er sich mit einer anderen Frau. Es war ein Irrtum, es musste ein Irrtum sein. Howard kam bestimmt noch zur Vernunft und würde einsehen, dass sie, Holly, allein die richtige Frau für ihn war. Sie musste nur Geduld haben.

Nach zwanzig Minuten Fahrt näherte Holly sich dem Ortsrand von Cheshire. Die Felder und Wiesen zur linken Seite, das wusste sie, gehörten Martin Remmington, Rosemarys Exfreund. Wie mochte es ihm wohl jetzt ergehen? Wahrscheinlich fühlt er sich genauso elend wie ich mich, dachte Holly.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie die Glassplitter auf der Fahrbahn zu spät bemerkte. Verzweifelt versuchte sie, den Wagen unter Kontrolle zu bekommen, der mit zerschnittenem Vorderreifen ins Schleudern geriet.

Ihre geistesgegenwärtige Reaktion bewahrte Holly davor, geradewegs in den Graben zu fahren, aber viel hatte nicht gefehlt. Schlingernd kam der Wagen zum Stehen. Holly stieg aus, untersuchte den Schaden und stellte fest, dass es nicht nur einen, sondern gleich zwei Reifen erwischt hatte. Das Vernünftigste war, in den Ort zu laufen und den Mechaniker aus der Autowerkstatt zu bitten, sich um den Wagen zu kümmern. Das Warndreieck befand sich irgendwo im Kofferraum unter dem Gepäck. Holly begann danach zu suchen.

Der gerade überstandene Schrecken, der ihr noch in den Gliedern saß, und die hektische Suche nach dem Warndreieck machten Holly blind und taub für ihre Umgebung. Sie hörte nicht, wie sich ein Fahrzeug näherte, und merkte erst, dass sie nicht mehr allein war, als eine ruhige Männerstimme neben ihr sagte: „Kann ich irgendwie behilflich sein?“

„Martin!“ Überrascht blickte Holly auf.

„Holly!“

Beide lächelten; ein zurückhaltendes Lächeln, das Erstaunen und Wiedererkennen ausdrückte.

„Du kommst zur Verlobungsfeier, nehme ich an“, sagte Martin schließlich. „Es sieht so aus, als hättest du Schwierigkeiten.“

„Das kann man wohl sagen“, seufzte Holly. „Ich bin mitten durch die Glasscherben gefahren.“

„Ja, die habe ich vor ein paar Minuten gesehen. Deswegen bin ich hier. Ich wollte sie beseitigen, aber da bin ich wohl zu spät gekommen.“

Der verantwortungsbewusste, fürsorgliche Martin, dachte Holly, er hat sich kein bisschen verändert. Nicht sehr jedenfalls, korrigierte sie sich, als sie ihn näher betrachtete. Er wirkte größer und kräftiger, als sie ihn in Erinnerung hatte, obwohl das schwer einzuschätzen war bei der groben Strickweste und den ausgebeulten Cordhosen, die er trug. Typische Farmerkleidung und ein vertrauter Anblick für Holly, doch welch ein Unterschied zu Howards tadellosen Anzügen und modischen Seidenhemden. Kein Wunder, dass Rosemary Howard vorgezogen hatte.

Dabei sah Martin sehr gut aus. Er hatte klare, männliche Gesichtszüge, ein energisches Kinn, kräftige Wangenknochen und eine schmale, gerade Nase. Mit seinem dichten dunklen Haar erinnerte er Holly an einen stolzen römischen Feldherrn. Der Gedanke belustigte sie, denn jeder kannte Martin als einen friedfertigen, ausgeglichenen Menschen. In seiner Jugend hatte er es ruhig hingenommen, wenn ihn seine Altersgenossen wegen seiner Kleidung und seines einfachen Lebensstils hänselten.

Martins Eltern waren nie wohlhabend gewesen, und als sein Vater starb, war Martin im Alter von sechzehn Jahren gezwungen, die Schule zu verlassen und den elterlichen Hof zu übernehmen.

Für die Art von Vergnügungen, denen seine Kameraden nachgingen, hatte er nie Geld. Er tat Holly immer ein wenig leid, besonders dann, wenn die anderen sich über ihn lustig machten.

Sein Gesicht und seine Hände waren sonnengebräunt. Es war nicht die Art von Bräune, die man aus einem Urlaub im Süden mitbrachte, sondern die wettergegerbte Bräune eines Landarbeiters. Armer Martin. Gegen einen Konkurrenten wie Howard hatte er nicht die geringste Chance.

Was rede ich mir da bloß ein? Rosemary war es doch, die Howard hinterherlief, nicht umgekehrt. Howard hätte mich nie von sich aus verlassen, dessen war sich Holly sicher.

„Der linke Vorder- und der linke Hinterreifen sind kaputt“, stellte Martin fest, nachdem er sich den Wagen angesehen hatte. „So ein Pech. Dann hilft der Ersatzreifen natürlich auch nicht weiter.“

„Nein. Ich wollte zur Werkstatt im Ort gehen und darum bitten, dass mein Auto abgeholt wird.“

„Nicht nötig. Du kannst von meinem Hof aus telefonieren. Sag ihnen, sie sollen einen zweiten Ersatzreifen mitbringen. Dann können sie den Schaden gleich an Ort und Stelle beheben. Ist das dein ganzes Gepäck?“ Er nahm Hollys Koffer aus dem Kofferraum, bevor sie etwas dagegen einwenden konnte.

Verwirrt folgte Holly Martin zu seinem Landrover.

Der Martin, den sie aus ihrer Jugendzeit kannte, war niemals so energisch aufgetreten, er hatte sich aber immer durch Ruhe und Verlässlichkeit ausgewiesen.

Howard war in Krisensituationen nicht zu gebrauchen. Er verlor schnell die Beherrschung und wurde dann unfair und beleidigend anderen gegenüber. Mehr als einmal hatte Holly sich seinetwegen in Grund und Boden geschämt – Situationen, an die sie nur ungern zurückdachte.

Außer dem Koffer war noch ein sorgfältig eingewickeltes Päckchen im Auto gewesen, das Holly an sich genommen hatte. Martin betrachtete es mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ein Verlobungsgeschenk für das holde Paar“, bemerkte er ironisch. „Was ist drin? Eine Zeitbombe?“

„Das finde ich gar nicht komisch“, brauste Holly auf. Etwas sanfter fuhr sie fort: „Ich weiß, wie dir zumute ist, Martin. Mir ergeht es doch genauso. Aber ich bin sicher, es ist nichts Dauerhaftes. Die Verlobung, meine ich“, setzte sie hastig hinzu, als sie das Befremden in Martins Blick sah. „Rosemary wird bestimmt zu dir zurückkehren, ihr seid schließlich sehr lange zusammengewesen. Seit der Schulzeit, genau wie Howard und ich. Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Ich tue es auch nicht.“

Er antwortete nicht, und nervös redete sie weiter: „Wahrscheinlich ist es dir unangenehm, dass ich das Thema überhaupt angeschnitten habe. Ich weiß, dass Männer nicht gern über ihre Gefühle reden. Aber … nun, ich dachte, es würde dir helfen, wenn du weißt, dass ich dich gut verstehen kann. Es ist gewiss nicht leicht für dich, zumal du hier lebst.“

Howard hatte Holly bereits erzählt, dass er beabsichtigte, seine Stelle in London aufzugeben und für seinen zukünftigen Schwiegervater zu arbeiten. Rosemary wollte nicht nach London ziehen, und Holly konnte sich auch denken, warum. Hier auf dem Land war Rosemary Jensen ein Star, aber im großen, anonymen London würde kaum jemand Notiz von ihr nehmen.

Martin wandte Holly den Rücken zu, während er den Koffer im Landrover verstaute. Eher beiläufig erwiderte er: „Nett, dass du dir Gedanken über mich machst, Holly. Wo es dir doch selbst im Moment nicht sehr gut geht.“

„Stimmt, es war ein ziemlicher Schock für mich“, gab sie freimütig zu, „aber davon wird kein anderer etwas erfahren.“ Vor ihren Freunden würde sie sich den Anschein geben, Howards Verlobung frohen Herzens zu akzeptieren. Auch sie hatte schließlich ihren Stolz.

„Diese Verlobung wird sehr bald in die Brüche gehen“, versicherte sie noch einmal. „Die beiden passen doch gar nicht zusammen. Rosemary ist so kalt und berechnend, während Howard …“ Betroffen hielt sie inne, als ihr bewusst wurde, dass sie über die Frau sprach, die Martin liebte. Sie sah ihn an, aber er wirkte kein bisschen zornig oder verletzt. Im Gegenteil, sein erwartungsvoller Blick war eher eine Aufforderung, weiterzureden. Holly bewunderte ihn im Stillen für seine Haltung.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich zerknirscht, „ich hätte wohl besser den Mund gehalten.“

„Weshalb, wenn es doch das ist, was du denkst.“ Martin brachte es sogar fertig, Holly freundlich zuzulächeln. „Ich glaube, ich werde dich in den Landrover heben müssen“, sagte er. „Mit diesem Rock schaffst du es nie.“

Womit er recht hatte. Der Rock war sehr eng und endete zwei Handbreit über Hollys hübschen Knien.

„Ich warne dich, ich bin ziemlich schwer“, sagte sie verlegen, als sie auf Martin zuging.

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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