Neuanfang mit Hindernissen

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Auf dem Weg zur großen Karriere war Candace jedes Mittel recht. Nun gibt es ein bitteres Erwachen: kein Erfolg, keine Freunde. Candace will einen Neuanfang wagen und als erstes ihre beste Freundin Natalie um Verzeihung bitten. Doch in Oklahoma erfährt sie nichts als Ablehnung. Natalies Schwager, der attraktive Josh, drängt sie zur sofortigen Abreise. Doch ausgerechnet in diesen Mann verliebt sich Candace...


  • Erscheinungstag 21.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776688
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Während der Monate nach ihrer Krankheit, an der sie fast gestorben war, hatte Candace Thompson eine Liste aufgestellt. In diese Liste hatte sie all das eingetragen, was sie noch gerne tun wollte, solange sie die Gelegenheit dazu hatte. Sie hatte sich dabei an keine Reihenfolge gehalten, sondern das, was ihr gerade eingefallen war, auf einen Schreibblock mit Eselsohren gekritzelt.

Die Liste füllte mittlerweile ganze sechs Seiten, obwohl Candace eine Menge durchgestrichen hatte, wie zum Beispiel: Verbringe eine Woche am Strand und entschuldige dich bei Craig. Craig hatte sie im letzten High-School-Jahr auf eine nicht gerade feine Art den Laufpass gegeben.

Es gab immer noch genug, was sie hätte durchstreichen können, doch es war an der Zeit, sich um das zu kümmern, was keinen Aufschub duldete: Versöhne dich mit Natalie.

Dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen war nicht leicht. Candace nahm an, dass es sicher leichter sei, die Flügel auszubreiten und zum Mond zu fliegen. Doch sie musste es versuchen. Sie hatte es versprochen – Gott, den Ärzten und sich selbst. Sie musste ihr Bestes tun, um das Versprechen zu halten.

Es hatte Candace einige Mühe gekostet, ihre frühere beste Freundin ausfindig zu machen, die auf einer Ranch außerhalb von Hickory Bluff im Staate Oklahoma lebte. Seit fünf Monaten kannte Candace ihre Adresse und ihre Telefonnummer, unternommen hatte sie nichts. Am Telefon um Verzeihung zu bitten, wäre wohl zwecklos. Dafür war die Kränkung zu schwer gewesen. Und es in einem Brief zu tun, kam ihr doch zu feige vor und zu unpersönlich.

Hatte sie nicht von Anfang an gewusst, dass all das, was sie sich vorgenommen hatte, nicht leicht durchzuführen sein würde? Unannehmlichkeiten würden nicht ausbleiben. Das eine oder andere würde schmerzen, würde Mut und Offenheit verlangen.

Und die Sache mit Natalie gehörte zweifellos dazu.

Für die Fahrt von Atlanta nach Hickory Bluff hatte Candace eine landschaftlich schöne Strecke gewählt. Und sie war früh genug angekommen, um sich mit der Umgebung vertraut machen zu können und sich in Ruhe nach einer Unterkunft umzusehen.

Dass es in der Stadt kein Motel gab, hatte sie, noch bevor sie den Trip plante, herausgefunden. Etwa zwei Meilen weiter nördlich direkt an einem See gab es aber einen Campingplatz. Und da Candace seit kurzem ein recht komfortables Wohnmobil besaß, mietete sie einen Stellplatz – sehr zur Belustigung des Campingplatzwarts. Offensichtlich war für ihn im Oktober die Touristenzeit vorbei.

Nachdem Candace ihr Wohnmobil stehen hatte, beschwatzte sie einen jungen Autoverleiher mit Namen Rick, ihr ein Cabrio zu liefern.

Von ihm wusste sie auch, wo genau sie Natalies Ranch finden konnte. Also war sie alles in allem startbereit.

Nur dass sie mit dem Leihwagen seit guten zehn Minuten mitten auf der Kreuzung von zwei Landstraßen stand und sich nicht dazu bringen konnte, einfach weiterzufahren.

Natalie würde nicht gerade glücklich sein, sie wiederzusehen, was Candace ihr absolut nicht verdenken konnte. Wenn die Situation umgekehrt wäre, hätte sie Natalie zur Hölle gewünscht und ihr unter keinen Umständen vergeben. Da Natalie ganz sicher genauso fühlte, war die lange Tour hierher wohl doch vergeblich gewesen. Sie könnte es sich ja als einen Verdienst anrechnen, den Versuch unternommen zu haben, und einfach den guten Vorsatz von der Liste streichen, um zum nächsten überzugehen.

Doch damit würde sie sich selbst beschwindeln. Sollte sie das überraschen? Ganz sicher nicht. Ihr ganzes Leben lang hatte sie die Wahrheit verdreht und ihren Vorteil schamlos ausgenutzt.

Candace blickte prüfend in alle vier Richtungen. Während der Minuten, die sie hier mitten auf der Kreuzung stand, hatte sich kein einziger Wagen genähert. Sie brauchte ihren ganzen Willen, das Cabrio zu starten und das Ziel vor ihr anzusteuern, statt zu wenden und davonzubrausen.

Sie fuhr langsam. Sie wollte nicht, dass der Schotter hochflog und womöglich den Leihwagen demolierte. Und da sie das Verdeck unten hatte, wollte sie nicht grau wie eine Maus von all dem Staub bei Natalie aufkreuzen.

Die Straße verlief schnurgerade, und auf beiden Seiten gab es nur wenig zu sehen. Es war offenes Grasland, hin und wieder eine Ansammlung von dicht beieinander stehenden Bäumen. Natalie an einem solch einsamen Ort? Irgendwie passte das nicht zusammen.

Vor ihr auf der Landstraße tauchte etwas Schattenhaftes auf. Sie kniff die Augen hinter den Sonnengläsern zusammen, um es besser erkennen zu können. Große, zottige, braun-weiße Kühe. Eine ganze Herde von Kühen lief einfach auf der Straße herum.

Candace fuhr im Schneckentempo weiter und stoppte knapp zwei Meter vor dem nächsten Rind. Die meisten der Viecher schienen ihr größer als ihr kleiner Sportwagen zu sein, und sie schienen weder an ihr noch an ihrem Fahrzeug interessiert zu sein. Die Kühe, die am Straßenrand Gras mampften, mampften weiterhin Gras, und die, die nur herumstanden und ihr den Weg blockierten, standen weiter herum und blockierten ihr den Weg.

Sie wollte gerade auf die Hupe drücken, als eine Stimme viel zu dicht hinter ihr sagte: „Ich würde Ihnen nicht raten zu hupen. Die neigen dazu, es mit Fütterung zu verbinden, und kommen angerannt.“

Candace drehte sich um, um zu sehen, wer da gesprochen hatte. Ein Cowboy zügelte sein sehr großes Pferd gleich neben ihrer Fahrertür. Er trug Jeans, ein T-Shirt und dreckige Stiefel. Sein Cowboyhut beschattete sein Gesicht. Er war mit Staub bedeckt und verschwitzt – und richtig süß. Ja, richtig süß. Er hatte braune Augen und Lachfältchen in den Winkeln. Seine Nase war wie sein Grinsen – schief, und die großen Hände, mit denen er die Zügel hielt, sahen hart und schwielig aus.

Candace hatte eine Schwäche für kraftvolle Männerhände.

„Tut mir Leid, dass Sie aufgehalten werden“, fuhr er fort. „Der Büffel vom Nachbarn hat einen ganzen Zaunabschnitt heruntergerissen, und das dumme Vieh beschloss, lieber das Gras hier als auf der eigenen Weide zu futtern.“

Candace lächelte freundlich, wenn auch ein wenig gezwungen. „Nun ja, sagt man nicht, dass das Gras immer grüner ist auf der anderen Seite des Zauns?“

„Das stimmt. Nur trifft das nicht ganz bei den Kühen zu.“ Das Sattelleder quietschte, als er sein Gewicht verlagerte. „Sie sind nicht von hier.“ Es war eine Feststellung.

„Oh? Woran haben Sie’s erraten?“ Etwa dass sie Sandalen trug statt Westernstiefel, eine Baseballkappe statt eines Stetson und Leinenhosen statt Blue Jeans?

„Fangen wir doch einmal damit an, dass ich mein ganzes Leben hier verbracht habe und Ihnen bis jetzt nicht begegnet bin“, antwortete er mit einem Grinsen. „Sind Sie vom Highway abgekommen und haben sich verfahren?“

„Nein. Ich wollte mir hier nur die Gegend anschauen.“ Candace behielt den wahren Grund lieber für sich. Kleinstädter und Dörfler neigten dazu, sich um die Angelegenheiten anderer zu kümmern. Sie warf einen Blick auf die Kühe. „Lassen Sie das Vieh hier umherstreifen, bis es sich satt gefressen hat und von allein auf die andere Seite des Zauns zurückkehrt?“

„Nein“, antwortete er. Dann hob er die Hand mit einer Geste, die fast zu träge war, um sie für ein Winken zu halten.

Candace drehte sich auf ihrem Sitz halb herum, um zu sehen, wem diese Geste gegolten hatte. Ein anderer süßer Cowboy auf einem anderen sehr großen Pferd kam durch die Bäume angeritten. Er tippte zum Gruß an seinen Cowboyhut und fing an, die Kühe über den niedergetrampelten Drahtzaun auf die Weide zu treiben. Ein riesiger Hund half ihm dabei.

Die Männer hier schüchterten sie ein, besonders nachdem sie gut elf Monate nur mit solchen zu tun gehabt hatte, die ein Stethoskop um den Hals tragen.

„Müssen Sie ihm nicht helfen?“, fragte Candace.

„Nein. Der Hund ist Hilfe genug.“

Es sah ganz danach aus, dass der andere Cowboy und sein Hund sich die Arbeit völlig gleichberechtigt teilten. Wie ein Team, fand Candace. „Ich nehme an, dass ein Hund auf einer Ranch die Hilfsarbeiten ausführt. Billiger kann man es nicht haben. Er fragt nach keiner Lohnerhöhung, betrinkt sich nicht, bleibt nicht weg von der Arbeit und kann keine frechen Antworten geben …“

„Gib ihm ein bisschen Futter, und er ist glücklich“, beendete der Cowboy mit einem Grinsen. „Dieser Rote hier ist besonders billig. Der gehört unserm Nachbarn. Wir brauchen ihn nicht einmal zu füttern. Er arbeitet halt gern mit Rindern.“

„Wieso Roter?“, hakte Candace nach. „Er ist doch schwarz wie die Nacht.“

„Sie haben es bemerkt.“ Doch die Erklärung blieb aus. Als die letzten zwei Kühe die Landstraße überquerten, sagte er: „Der Weg ist frei. Sie können jetzt weiterfahren.“

Candace lächelte etwas verlegen. „Ja, das kann ich wohl.“

„Also, viel Spaß!“

„Den werde ich haben.“ Sie fuhr an, bremste aber gleich wieder. „Können Sie mir vielleicht einen Tipp geben, wo ich hier irgendwo in der Nähe ein kaltes Bier und einen guten Burger zum Abendessen bekommen könnte?“

„Sie können beides bekommen, nur nicht zur gleichen Zeit. Wegen des Burgers versuchen Sie’s bei Dairy Delight in der Stadt. Ein kaltes Bier …“ Er nahm mit einer Hand den Cowboyhut ab, und mit der anderen fuhr er sich durchs Haar. Dann setzte er den Hut wieder auf. Verdammt süß, wirklich. „Das trinke ich gewöhnlich bei Frenchy’s. Es liegt am nördlichen Stadtrand. Sie können es nicht verfehlen.“ Er schnalzte mit der Zunge, und das Pferd schnaufte kurz und ging dann um das Cabrio herum und auf den heruntergerissenen Zaun zu. Ungefähr auf halbem Weg dahin blickte der Cowboy sich noch einmal um und zwinkerte ihr zu. „Vielleicht sehen wir uns ja da.“

„Vielleicht.“ Candace lächelte, während sie davonfuhr. Ein gut aussehender Mann, der entweder Single war oder dem es einerlei war, falls er verheiratet sein sollte.

Sie schätzte, dass es nicht mehr weit zur Ranch war. Und tatsächlich, das große Haus mit Scheune und einigen anderen Gebäuden tauchte vor ihr auf. Zu schnell, wie sie fand, denn sie war einfach noch nicht bereit, da zu erscheinen.

Candace hielt am Ende des Zufahrtsweges an und wollte erst einmal richtig durchatmen, um sich zu entspannen. Es gelang ihr jedoch nicht. Die Brust tat ihr weh. Der Magen tat ihr weh. Sogar die Finger taten ihr weh, so fest hielt sie das Lenkrad umklammert.

Sie konnte es nicht tun. Und es war ihr egal, dass sie eine so weite Strecke hinter sich gebracht hatte. Es war ihr auch egal, dass sie sich damit ein Armutszeugnis ausstellte. Es war ihr ganz einfach nicht möglich, Natalie unter die Augen zu treten. Nicht jetzt.

Vielleicht sogar nie.

„Bist du jemals einer hübschen Frau begegnet, mit der du nicht geflirtet hast?“

Josh Rawlins blickte seinen Stiefbruder Tate an, der sich neben ihm vom Pferd schwang. Ganz sicher hatte er mit seiner Frage die junge hübsche Frau vorhin im Cabrio gemeint. Tate und er wollten erst einmal den Zaun ausbessern, später dann noch einmal zurückkommen und ihn ordentlich reparieren. Josh würde viel lieber jede verdammte andere Arbeit verrichten, statt einen Stacheldrahtzaun zu flicken. Dieser Job gehörte für ihn zu den unerfreulichsten auf der Farm.

Nein, das stimmte nicht ganz. Der meist gehasste Job war, Löcher für die Pfosten zu graben, an denen der Stacheldraht befestigt wurde. Beim Graben von Löchern stieß man in Oklahoma unvermeidlich auf Steine. Manchmal schien es ihm, als ob die ganze Ranch auf knapp einem halben Meter Erde stand, unter der sich eine riesige Sandsteinplatte befand.

„Mit deiner Frau hab ich noch nie geflirtet“, antwortete Josh. „Ich mag Frauen, und sie mögen mich.“

„Die Dame kam mir nicht wie dein Typ vor.“

Josh lächelte spöttisch. Hübsch, blond, blauäugig, nette Figur. Warum sollte sie nicht sein Typ sein? „Alle Frauen sind mein Typ, Pop.“

„Nenn mich nicht so.“

„Joey tuts.“

„Er nennt mich Papa, und er darf es. Du nicht.“

Während sie mit der Arbeit anfingen, lachte Josh über Tates missmutiges Gesicht. „Was wirst du tun? Mir eine Tracht Prügel verpassen?“

„Das wäre ja nicht das erste Mal. Und vergiss nicht, dass ich dich vor mehr als nur einer Tracht Prügel gerettet habe. Mach mich also nicht zum Feind.“

„Du meine Güte, großer Bruder, du bist mit mir in keiner Bar mehr gewesen, seit du geheiratet hast. Falls jemand beschließt, mir einen Tritt in den Hintern zu geben, wirst du sowieso nicht da sein, um ihn davon abzuhalten.“

Tate schüttelte den Kopf. „Weißt du, Mom und ich geben die Hoffnung nicht auf, dass der Tag kommt, wo du diese Gewohnheit, dich in Bars herumzuprügeln, ablegst und nicht wieder ins Gefängnis wanderst.“

„Hey, ich bin seit einem Jahr nicht festgenommen worden, und beim letzten Mal war es nicht meine Schuld. Das Mädchen sagte mir, dass sie mit dem Kerl nicht mitgehen wollte.“

Tate warf ihm einen trockenen Blick zu, während er zwei Drähte miteinander verband. „Sie war minderjährig, und der Kerl war ihr Vater. Du hast Glück gehabt, dass man dich nur eingesperrt hat, bis du wieder nüchtern warst.“

„Das Mädchen wirkte auf mich älter. Sogar der Sheriff hat das gedacht.“ Josh blickte sorgenvoll drein. „Wäre es nicht traurig, wenn ein Mann eine Frau in einer Bar bitten müsste, ihm ihren Ausweis zu zeigen, damit er herausfinden kann, wie alt sie ist?“

„Nun, ein Mann könnte versuchen, eine Frau irgendwo anders als in einer Bar kennen zu lernen.“

Josh lachte vergnügt. „Tut mir Leid, aber uns sind nervige Reporterinnen ausgegangen, die über den Alten schreiben wollen.“

So hatte Tate nämlich seine Frau kennen gelernt. Der in den Ruhestand versetzte Senator Boyd Chaney hatte Natalie beauftragt, seine Biografie zu schreiben. Und er hatte verlangt, dass sie seine sechs Exfrauen und neun Kinder zur Mitarbeit an dem Buch gewann, einschließlich seines unehelichen Sohnes, den er niemals anerkannt hatte – Josh persönlich.

Die ganze Angelegenheit war für Josh und seine Mutter am Ende recht unerfreulich ausgegangen. Es hatte eine Menge Lügen und Täuschungen gegeben, Aber auch ein Happy End. Tate und Natalie waren jetzt vier Jahre verheiratet und hatten einen kleinen Sohn. Joey.

Doch wie oft wiederholte sich so etwas? Vielleicht alle Jubeljahre einmal. Glück musste der Mensch haben. Josh hatte es nicht. Er musste sich damit abfinden, Frauen auf die altmodische Art kennen zu lernen. Nicht dass er bereit wäre, sich häuslich niederzulassen. Jedenfalls noch nicht. Er schätzte, dass irgendwann in naher Zukunft diese Zecherei ihm über werden würde. Dann wüsste er, dass es an der Zeit sei, damit aufzuhören. Dann würde er sich nach einer passenden Frau umschauen, sie heiraten und damit anfangen, sich anständig zu benehmen, so wie Tate.

Natürlich hatte Tate, seit er achtzehn war, sich anständig benommen. Sogar auch dann, als seine Freundin seinen und ihren neugeborenen Sohn Jordan bei ihm abgeliefert hatte, um gleich darauf auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

Josh hatte sich dagegen seit … okay, er hatte sich niemals anständig benommen. Er war „der wilde Rawlins“, der sich erst einmal die Hörner abstoßen musste.

„Hast du irgendwelche Pläne für heute Abend?“, fragte Tate.

Im Voraus Pläne zu machen, lag Josh absolut nicht, es sei denn, es handelte sich um eine Verabredung mit einer ungewöhnlich charmanten Frau. Er war Single, war sein eigener Boss, solange Tate ihm keine Arbeit zuwies. Auf die Familie nahm er Rücksicht, außerhalb der Familie hatte er keine Verantwortung. Er war frei, zu gehen und zu kommen, wann immer er wollte. Warum sollte er sich das um Himmels willen mit Plänen vermasseln?

Er öffnete den Mund, um Nein zu sagen, heraus kamen die falschen Wörter. „Ich dachte, ich schau mal bei Frenchy’s rein … auf ein Bier und eine Runde Poolbillard.“

„Na so was! Wie bin ich nur drauf gekommen, dass du genau dort sein würdest?“, hänselte Tate. „Muss wohl daran liegen, dass ich gehört habe, wie du der hübschen Frau vorhin die Kneipe für ein kühles Bier empfohlen hast. Vielleicht hoffst du ja auf ein oder zwei Tänzchen mit ihr … Zumindest hättest du ihretwegen keine Probleme mit dem Gesetz. Minderjährig ist sie ganz sicher nicht mehr.“

Josh blickte ihn mürrisch an und schwang sich in den Sattel. Es würde Tate recht geschehen, wenn er ihm beweisen würde, wie falsch er ihn einschätzte. Er brauchte einfach nur bei ihm und Natalie zum Abendessen aufzukreuzen und bis spät in den Abend zu bleiben. Ganz sicher war er sich allerdings nicht, ob das für Tate Beweis genug wäre, dass er sehr wohl alleine schlafen konnte.

„Warum fängst du nicht damit an, die Zäune zu überprüfen?“, schlug Tate vor. „Ich beende das hier noch, dann können wir uns im Haus zum Lunch treffen.“

Josh nickte und lenkte seinen Wallach zum Anfang des geflickten Stacheldrahtzauns. Abgesehen von seinen ersten Jahren hatte er sein ganzes Leben hier auf dieser Ranch verbracht. Und er konnte es sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben.

Anfangs war das Leben eher schwer gewesen. Seine Mutter Lucinda hatte alle Hände voll zu tun gehabt, um die Ranch zu führen und zwei Jungs aufzuziehen, ohne dass deren Väter ihr dabei groß geholfen hätten. Mit knapp fünfzehn hatte Tate sich jeden Tag gleich nach der Schule in die Arbeit auf der Ranch gestürzt und trotzdem immer noch Zeit gefunden, Football oder Baseball zu spielen und seiner Freundin ein Kind zu machen.

Josh konnte dem Sport nichts abgewinnen. Hin und wieder hatte er am Rodeo teilgenommen. Das war alles. Im Großen und Ganzen war sein Leben recht eintönig verlaufen. Im Grunde war es auch jetzt nicht anders. Die Tage waren immer noch lang, die Arbeit war immer noch hart.

Und wenn Tates Sohn Jordan an den Wochenenden vom College nach Hause kam, dann leistete er mehr als seinen Teil Arbeit. Sogar Natalie – eine typische Großstadtpflanze – war immer bereit, aufzusatteln oder einen Zaun zu flicken, wenn es nötig war.

Sie hatten nicht die größte Ranch in der Umgebung. Größer dürfte sie aber auch nicht sein, sonst wäre die Arbeit wohl kaum zu bewältigen. Jedenfalls war sie groß genug, um ihnen ein angenehmes Leben zu bieten. Sie würden niemals reich werden, doch darauf hatten die Rawlins es noch nie in ihrem Leben angelegt.

So jung Tate auch gewesen war, als ihm die Verantwortung für Jordan aufgebürdet wurde, er hatte sich immer bemüht, seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, am Land festzuhalten, in der Nähe seiner Mutter und seines Bruders zu bleiben und irgendwann einmal seine eigene Familie zu gründen. Und genau das hatte er auch erreicht.

Josh wollte nur, dass für ihn alles unverändert blieb. Es genügte ihm, auf der Ranch zu arbeiten, seine Familie um sich zu haben und es sich ansonsten gut gehen zu lassen.

Obwohl die Sonne strahlte, kam gelegentlich eine kühle Brise auf. Oktober in Oklahoma konnte nicht übertroffen werden. Nirgendwo konnte es Joshs Meinung nach schöner sein. Die fast vierzig Grad im Schatten im August und oft auch noch im September waren vorbei, und die Blätter färbten sich rot und golden. Der Himmel war an diesem Morgen klar blau mit vereinzelten dünnen Wolken, bei denen ein Windstoß genügte, um sie zu Flocken zu blasen. Und am würzigen Duft, der in der Luft hing, erkannte Josh, dass ihre Nachbarn das Holz verbrannten, das vom Roden im vergangenen Frühjahr übrig geblieben war.

An diesen Job würde er sich auch bald ranmachen müssen. Seit acht Jahren hatte er ihn immer wieder hinausgeschoben.

Er hatte vor, es an einem Wochenende zu tun, wenn Jordan und seine Freundin Michaela Scott, die Tochter der Nachbarsleute, vom College nach Hause kamen. Dann könnten die zwei Familien eine Grillparty machen.

Das Pferd musste von Josh nicht gelenkt werden. Es kannte seinen Weg zwischen den Bäumen hindurch und über den Sandstein und blieb brav stehen, wenn Josh die fünf Stacheldrahtseile des Zauns, die von Pfosten zu Pfosten aufgespannt waren, überprüfte. Es war ein stupider Job, bei dem er aber seine Gedanken schweifen lassen konnte. Und im Augenblick schweiften sie zu der Fremden.

Wo kam sie her? Was brachte sie hierher? Und warum hatte sie sich die Schotterstraße zum Fahren ausgesucht? Er war ziemlich sicher, dass sie niemand hier in der Umgebung besuchen wollte. In einer Stadt wie Hickory Bluff machten Neuigkeiten schnell die Runde.

Das nächste Motel lag etwa zwanzig Meilen weit weg in Dixon. Es gab allerdings auch noch einen alten Campingplatz weiter oben am See. Sowohl der Campingplatz als auch der See waren jedoch kaum der Rede wert. Und diese Frau gehörte eindeutig nicht zu der Sorte Frau, die gern campte. Sie kam ihm auch nicht vor, als ob sie aus einer Kleinstadt stammte oder gar vom Lande.

Dann konnte sie nur dieser Heute hier, morgen da – Typ sein … was eindeutig sein Typ war.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als er zu den Ställen zurückkam. Natalie war am Korralgatter und hielt Joey um die Taille fest, während der Kleine auf der obersten Stange balancierte. Sie warf Josh einen Blick über die Schulter zu und lächelte zur Begrüßung.

Mit ihren langen Beinen, dem roten Haar und den blauen Augen war sie genau die Frau, für die Tate schon immer eine Schwäche gehabt hatte. Obendrein war sie auch noch süß, großzügig, freundlich, und sie liebte Jordan wie ihr eigenes Kind. Wenn sein Bruder ihm nicht zuvorgekommen wäre, hätte Josh sich Hals über Kopf in sie verliebt.

„Onkel Josh!“ Mit Natalies Hilfe kletterte Joey vom Zaun, dann rannte er mit ausgebreiteten Armen auf Josh zu. Josh schwang ihn auf die Hüfte. „Guck mal! Ich bin ein Nastronat!“, schrie der Kleine.

„Das ist ganz schön cool, Joey. Steigst du in einem Raumschiff hoch?“

Joey schüttelte den Kopf. „Naaain, Onkel Josh! Das ist für ‚alloween. Ich tu nur so.“

„Da bin ich aber froh. Ich würde dich vermissen, wenn du einfach so nach oben verschwinden würdest.“

Joey zog mit einem Ruck seinen Raumschiffhelm aus Plastik vom Kopf. Sein rötliches Haar stand nach allen Seiten ab, und Josh konnte nicht anders, als das Kerlchen fest an sich zu drücken.

„Was wirst du an ‚alloween sein?“, wollte Joey wissen.

Josh tat, als ob er nachdenken müsste, während er zum Zaun ging, wo Tate sich bei Natalie eingefunden hatte. „Wie wärs, wenn ich Halloween als Cowboy käme?“

„Onkel Josh, du bist ein Cowboy. Du musst als etwas gehen, was du nicht bist.“

„Es gibt so viele Möglichkeiten“, murmelte Josh, als Joey von Joshs Hüfte in die Arme seines Vaters glitt. „Hallo, Natalie, Tate.”

„Grüß dich, Josh“, erwiderte seine Schwägerin. „Bleibst du zum Lunch? Wäre schade, wenn du’s dir entgehen ließest. Es gibt Rippchen, gebackene Bohnen und den letzten Silver Queen – Mais aus dem Gefrierschrank deiner Mutter und als Nachtisch Schokoladenkuchen.“

Eine Antwort erübrigte sich, seine Schwägerin kannte sie auch so. Also gingen sie zum Haus mit Joey auf Tates Schultern.

Josh blieb an Natalies Seite. „Weißt du, deine Rippchen sind einfach klasse … und der Rest von dir ist auch nicht so übel“, neckte er sie. „Es gibt nicht viel, was mich von meinem Lieblingsessen, zubereitet von meiner Lieblingsschwägerin, wegbringen könnte.“

„Auch nicht eine hübschen Blondine in einem silbernen Cabrio?“, zog Tate ihn auf.

Josh warf Tate und Natalie einen Blick zu, der sein Mitleid ausdrücken sollte. „Euer Leben muss schrecklich langweilig sein. Sonst würdest du nicht wegen ein paar freundlicher Worte, die ich mit einer Fremden gewechselt habe, so reden. Ja, es stimmt, sie war blond, sie war hübsch, und sie fuhr ein Cabrio. Und sie hatte für mich etwa so viel Bedeutung wie der Vogel, der gerade über uns fliegt.“ Er schüttelte mitleidsvoll den Kopf. „Arme Ehepaare.“

Natalie stieß ihm den Ellbogen in die Seite. „Warte nur, Josh, der Tag wird auch für dich kommen, wo du dich verliebst und heiratest. Und dann wirst du merken, was du alles verpasst hast.“

„Mag sein. Wenn das Leben, das ich jetzt führe, keinen großen Sinn mehr für mich hat, vielleicht schau ich mich dann nach einer Frau um.“

Er öffnete die Fliegengittertür am Eingang und hielt sie für Natalie und Tate auf, dann folgte er ihnen in die Küche, die gefüllt war mit unglaublichen Düften. Seine Mutter war eine recht gute Köchin, obwohl sie den ganzen Aufwand ums Essen übertrieben fand. Doch Natalies Kochkünste übertrafen alles und das nicht nur hin und wieder, sondern einfach immer. Die Rawlins hatten nie so gut gegessen, bevor Natalie in die Familie einheiratete.

Josh wusch sich die Hände in der Waschküche, und Tate nahm Joey ins Badezimmer, um ihn zu säubern und ihm das Astronautenkostüm auszuziehen. Josh trocknete sich gerade die Hände, als die Türglocke anschlug.

„Schau mal nach, Josh!“, rief Natalie.

Das Handtuch über die Schulter geworfen, durchquerte er den Essraum. Er war noch nicht bei der Tür, als es zum zweiten Mal klingelte. „Nun, nun“, murmelte er etwas irritiert und riss die Tür auf.

Vor ihm stand die hübsche Blondine. Sie wirkte mächtig nervös. Da er sie nur im Auto sitzend gesehen hatte, war er überrascht, wie klein und zierlich sie war, ganz sicher mindestens dreißig Zentimeter kleiner als er. Erst jetzt, wo sie die Baseballkappe abgenommen hatte, sah er, wie kurz ihr Haar war – kürzer sogar als seins. Ihre Leinenhose war zerknittert, und die langen Ärmel ihrer bis zum Brustansatz offen stehenden Bluse hatte sie bis zu den Ellbogen aufgerollt. Sie trug Schuhe mit halbhohen Absätzen, die Josh recht modisch vorkamen.

Offensichtlich brachte sie keinen Ton heraus, starrte ihn nur verständnislos an. Josh lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und sagte gedehnt: „Lassen Sie mich raten. Sie fanden meinen Charme so umwerfend, dass Sie mich unbedingt wiedersehen wollten.“

„Ich … ich … Sie …“ Sie holte tief Luft. „Ich wollte zu Natalie Rawlins. Ist sie hier?“

„Ja. Aber vertrauen Sie mir, Darling, ich bin mehr Ihr Typ.“ Mit einem Grinsen rief er über die Schulter: „Hey, Nat, es ist für dich.“

Autor

Marilyn Pappano
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