Nur Augen für ihn

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Scott Dillon ist zurück! So lange hat Emily sich danach gesehnt. In der High School hat sie ihm ihre Liebe nie gestehen können und so hat Scott in ihr nie mehr als eine gute Freundin gesehen. Leider scheint sich das immer noch nicht geändert zu haben…oder doch?


  • Erscheinungstag 11.10.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753528
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Der sechzehnte Jahrestag der „Girlfriends“: Emily Proctor goss ihren Freundinnen eine neue Runde Daiquiris ein. Midori Daiquiris, um genau zu sein. Und wenn man es schon genau nahm, dann musste man auch darauf hinweisen, dass die Girlfriends nicht nur einfach Freundinnen waren. Sie hatten sich geschworen, füreinander da zu sein, miteinander durch dick und dünn zu gehen, zusammengeschweißt durch sechzehn Jahre Schulzeit, durch Eltern, Freunde und … einfach durch alles.

„Ich sollte das nicht trinken“, bemerkte Lily, aber erst, nachdem sie einen großen Schluck von ihrem Glas genommen hatte. „Ich muss J. T. bereits um acht Uhr früh zum Football bringen.“ Sie schüttelte sich, und ihr Pferdeschwanz wippte hin und her. „Die Babysitterin hat keine Zeit. Sie fährt in aller Frühe nach Dallas.“

„Warum rufst du nicht Gien Cassidy an? Er muss Cody hinbringen, vielleicht nimmt er J. T. auch mit.“

Lily wandte sich Hope Francis zu. Hope war fünfzehn Zentimeter kleiner als Lily und hatte dunkles, fast schwarzes Haar, das zu einem exakten Pagenkopf geschnitten war. Mit ihren Winona-Ryder-Augen, die sie mit viel Lidschatten und Kajalstift betont hatte, wirkte sie fast exotisch. Hopes Problem war, zumindest in ihren eigenen Augen, dass sie nicht älter als siebzehn wirkte. Das machte sie ganz verrückt.

Lily lächelte, während sie sich langsam erhob, um diesem ausgezeichneten Ratschlag zu folgen. „Deswegen bist du bei uns, Hope. Du bist nicht nur schön, sondern auch brillant.“

Hope lächelte bescheiden. Und rülpste dann. Und zwar laut. Alle lachten, und Emily warf sich aufs Gästebett, steckte sich die Kissen unter den Kopf und seufzte zufrieden. Es tat so gut, wieder zusammen zu sein. Alle waren hier. Hope, Lily, Sam, Zoey und Julia. Die Girlfriends. Sie hatten sich in Mrs. Manns vierter Klasse in der Sheridan-Grundschule kennengelernt. Und der widerwärtige Paul Morrison, der auf dem Spielplatz stets versuchte, ihre Röcke hochzuheben, hatte sie zusammengebracht.

Emily fragte sich, was wohl aus Paul geworden war. Aber das war nicht so wichtig. Wichtig war nur, dass sie zusammenpassten – wie die Teile eines Puzzles.

Während Zoey ihren Daiquiri in kleinen genussvollen Schlucken trank, lenkte sie die Unterhaltung auf ihr Haar, so wie sie es jedes Jahr tat. Sie beklagte sich, dass es zu rot, zu lockig, zu abscheulich war, um sich damit in der Öffentlichkeit zeigen zu können. Das war natürlich Unsinn, und die Freundinnen sagten ihr das auch. Wie jedes Jahr.

„Du hast wundervolles Haar“, erklärte Samantha. „Wie Nicole Kidman.“

Zoey seufzte. „Wäre es nicht nett, wenn ich auch noch ihren Körper dazu hätte? Und ihr Gesicht?“

Julia lächelte. „Es wäre noch netter, wenn du ihren Exmann hättest.“

Zoey, die in dem Sessel saß, der der Couch gegenüberstand, wandte sich Julia zu. „Wirklich? Magst du ihn?“

„Was ist an ihm nicht zu mögen? Dieses Lächeln. Diese Augen. Der knackige Po …“

„Er ist zu klein“, warf Lily ein, die ihr Telefongespräch beendet hatte und sich wieder auf die Couch setzte. „Mir gefallen große Männer. Groß, stark und durchtrainiert.“

„Ist das dein Ernst?“, fragte Julia, und Emily und alle anderen im Raum wussten, dass Julias Frage sarkastisch gemeint war. Lily hatte immer genaue Vorstellungen von dem Mann gehabt, den sie heiraten wollte. Obwohl sie es nie zugegeben hatte, war Jesse Hyatt, ein Mitschüler auf der Highschool, immer ihr Traummann gewesen. Leider hatte er ihr nie auch nur einen Blick gegönnt. Was sie allerdings nie davon abgehalten hatte, ihn als die Ausgeburt männlicher Perfektion zu sehen.

Lily stieß einen ungeduldigen Laut aus. „Ich lege eben gewisse Maßstäbe an, Maßstäbe, die einigen von euch völlig fehlen.“ Ein Protestgeschrei erhob sich vom Boden, der Couch, dem Sessel und dem Bett. Emily lachte. „Oh, bitte. Und das von einer Frau, die mit sechzehn ungewollt schwanger wurde?“

„J. T. ist das Beste, was mir je passiert ist“, protestierte Lily, und Emily wurde klar, dass sie zu weit gegangen war. Die meiste Zeit machte Lily mit den anderen Witze über ihren Status als alleinerziehende Mutter, aber manchmal, vor allem, wenn sie etwas zu viel getrunken hatte, ging sie sofort in die Verteidigung.

„Entschuldige.“ Emily erhob sich, um ein paar Kekse zu holen. Jeder hatte für dieses Wochenende etwas zu essen mitgebracht, und soweit Emily es beurteilen konnte, konzentrierte sich das Angebot vor allem auf Schokolade, Chips und Kuchen mit Cremefüllung.

Julia schnaubte höchst undamenhaft. „Vielleicht würden wir dir glauben, dass du mittlerweile nicht mehr Jesse Hyatt als Maßstab setzt, wenn du tatsächlich einmal zu einer Verabredung gehen würdest. Ich habe eine Neuigkeit für dich. Du kannst dich solange der Liebe versagen, wie du willst, deine Jungfräulichkeit bekommst du nicht mehr zurück.“

„Ich versage mir gar nichts“, wehrte sich Lily. „Ich habe nur noch nicht den richtigen Mann gefunden.“

„Zumindest stehst du damit nicht allein da“, seufzte Hope. „Man sollte doch denken, dass wenigstens eine von uns mittlerweile den Richtigen getroffen haben sollte, nicht wahr?“

Zoey nickte. „Zumindest einen, der annähernd der Richtige ist.“

Sam schüttelte den Kopf. „Das reicht nicht. Einen Ehemann auszuwählen ist die wichtigste Entscheidung, die eine Frau in ihrem Leben treffen muss. Das nimmt man nicht auf die leichte Schulter. ‚Annähernd‘ ist nicht gut genug. Er muss perfekt sein.“ Hope lächelte Emily an. „Zu schade, dass Sams perfekter Mann zu alt für sie ist. Und dazu noch verheiratet.“

„Wer soll das sein?“, fragte Sam und zog ihre Augenbrauen hoch.

„Bob Vila natürlich, der Fernsehstar. Ihr seid beide begabte Heimwerker, geradezu perfekt füreinander.“

Sam seufzte. „Nur weil ich geschickte Hände habe, brauchst du noch lange nicht …“

„Hey!“ Emily stemmte die Fäuste in die Hüften, um die Diskussion ihrer Freundinnen abzubrechen, und es wurde sofort mucksmäuschenstill im Raum. Alle Augenpaare waren auf einmal auf Emilys Hüften gerichtet, die als einzige im Raum zu breit waren, viel zu breit. Emily seufzte innerlich. Es war deprimierend.

Hope, Lily und Samantha hatten für ihre Größe den perfekten Hüftumfang. Julia war zu dünn, obwohl sie wie ein Scheunendrescher aß. Zoey war wohl gerundet, obwohl sie sich selbst für zu dick hielt. Aber das war sie nicht. Emily war es.

Nicht so dick, dass es einem direkt ins Auge sprang, aber zwanzig bis fünfundzwanzig Pfund weniger würden ihr gut zu Gesicht stehen. Tatsache war, dass …

„Emily?“, unterbrach Hope ihre Gedanken.

„Ja?“

„Wolltest du uns nicht etwas sagen?“

„Oh ja. Hört endlich mit dem Zirkus auf.“

Die jungen Frauen brachen erneut in Lachen aus, und alles war wieder so, wie es sein sollte, nur dass Emily sich zum Lachen zwingen musste. Konnte sie nicht ein verflixtes Wochenende verbringen, ohne an ihr Gewicht zu denken?

Nein, das konnte sie nicht. Besonders nicht, nach den Neuigkeiten, die sie heute Morgen gehört hatte. Sie konnte es ihnen genauso gut gleich erzählen. Aber bevor sie begann, brauchte sie unbedingt noch einen Keks.

Als Emily nach der Tüte griff, goss Lily sich einen weiteren Daiquiri ein.

„Ich nehme an, das heißt, dass du J. T. morgen früh nicht zu fahren brauchst“, bemerkte Zoey, während sie einen vielsagenden Blick auf den Drink warf.

„Nein, ich kann trinken bis zum Umfallen.“

„Was du auf keinen Fall tun wirst“, erklärte Sam streng. „Heute Nacht wird sich nicht übergeben. Für solchen Unsinn sind wir zu alt.“

„Ja“, pflichtete Hope ihr bei. „Ein Kater hat nichts Verlockendes mehr für mich.“

„Ich habe eine Ankündigung zu machen“, warf Emily ein. Aber sie musste es sehr leise gesagt haben, denn niemand achtete auf sie. Sie räusperte sich und versuchte es erneut. „Ich habe eine Ankündigung zu machen.“

Diesmal wurde es still im Raum. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, und sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Sie hasste es, rot zu werden, aber das war auch etwas, über das sie leider keine Kontrolle hatte.

„Nun?“, fragte Sam.

„Scott Dillon kommt in die Stadt zurück.“

Schweigen.

Ein sehr langes Schweigen.

Hope sah Sam an. Lily schaute zu Julia hinüber. Zoey zu Emily.

„Wann?“, fragte Lily.

„Oh, morgen.“

„Was?“, riefen sie alle im Chor.

„Mir geht es gut“, versicherte Emily ihnen. „Kein Problem.“

„Donnerwetter“, stieß Zoey hervor und sprang auf. „Warum hast du uns das nicht schon früher gesagt?“

„Ich habe es gerade erst herausgefunden.“

„In den letzten fünf Sekunden?“

„Nein. Heute Morgen.“

Zoey griff nach einer kleinen Flasche Wasser, die auf dem Tisch stand, und sah dann wieder Emily an. „Was für eine Geschichte steckt dahinter?“

„Kelly hat es mir erzählt. Scotts Vater ist gestorben, und seine Mutter hat Schwierigkeiten, das Geschäft allein zu führen. Jetzt kommt Scott, um ihr zu helfen, bis sie wissen, wie es weitergehen soll.“

„Kelly?“ Hope wandte sich Lily zu. „Ist sie nicht Jeff Whaleys Freundin?“

„Ja. Ist das nicht die, die schon einmal in einer Striptease-Bar gearbeitet hat?“

Julia schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt Nebensache, meine Damen. Kommt wieder zum Thema zurück.“

Die Blicke richteten sich wieder auf Emily, die sich sehnlichst wünschte, das Interesse möge sich wieder auf Kelly mit ihrem anrüchigen Job richten. Sie redete nicht gern über Scott Dillon. Dieses Thema war einzig und allein ihren Träumen vorbehalten. Aber wenigstens brauchte sie keine langen Erklärungen abzugeben. Ihre Freundinnen wussten, dass sie seit der zehnten Klasse verrückt nach ihm war. Dass sie in der Theatergruppe die Julia gespielt und er ihr Romeo gewesen war – wodurch sie sich noch mehr in ihn verliebt hatte – und dass er ihr schließlich das Herz brach, als er mit Cathy Turner zum Abschlussball ging.

Anständig, wie ihre Freundinnen waren, hatten sie nie eine Bemerkung darüber fallen lassen, dass sie bei Scott von Anfang an chancenlos gewesen war. Ein Mädchenschwarm wie er, der Footballkapitän und Schulsprecher gewesen war, hätte niemals Interesse an einem Mädchen wie Emily gezeigt. So war es nun einmal auf dieser Welt. Sie war seine gute Freundin gewesen, die immer ein Ohr für ihn gehabt hatte. Aber niemals, niemals hätte er sich mit ihr verabredet und Interesse an ihrer Weiblichkeit gezeigt. Dazu waren ihre Wangen viel zu rund und ihre Hüften schlichtweg zu breit gewesen. Und das waren sie auch heute noch.

„Und was willst du jetzt machen?“, fragte Zoey.

„Was meinst du denn?“

„Frag ihn doch einfach, ob er mit dir ausgeht.“

Emily brach in Lachen aus. „Ha, ha. Hast du noch so einen Witz auf Lager?“

„Ich mache keine Witze. Er hat dich immer gemocht, Emily.

Ich meine, er ruft dich doch immer noch an, nicht wahr?“

„Er hat es einmal getan, vor ungefähr hundert Jahren. Als ein Freund, nichts weiter.“

„Er ist jetzt älter, reifer.“

„Und geht mit älteren, reiferen Supermodels aus. Es gibt absolut keine Chance, dass er jemals etwas anderes als eine gute Freundin in mir sieht.“

„Das weißt du doch gar nicht.“

Emily zog die linke Augenbraue hoch.

Zoeys Schultern sackten ein wenig nach vorn. „Na ja, es könnte doch passieren“, sagte sie kleinlaut.

„Nein, das könnte es nicht“, erklärte Emily seufzend. „Aber es wäre bestimmt aufregend, nicht wahr?“

„Was?“

„Na ja, eine Nacht mit ihm. So eine verrückt-romantische Nacht. Champagner, Vollmond, Musik, Blumen. Das würde mir schon reichen. Zumindest hätte ich etwas, an das ich mich erinnern könnte.“

Für einen Moment sagte niemand etwas. Emily nahm an, dass ihre Freundinnen jetzt an ihre geheimen Träume dachten. An diese sehnsüchtigen Wünsche, die niemals in Erfüllung gehen würden.

Ihr würde es gut gehen. Ganz bestimmt. Sie war eine Realistin. Sie war noch immer mit den Füßen auf dem Boden gelandet. „Also gut“, sagte sie. „Ich würde sagen, wir ziehen uns jetzt alle unsere Schlafanzüge an und reden dann weiter.“

„Hm?“

„Psst.“

Sam, die man aus dem Schlaf gerissen hatte, blinzelte. Es war zu dunkel, um etwas zu sehen und …

„Komm schon“, flüsterte Hope. „Und mach nur keinen Lärm.“

Sam warf die Bettdecke zurück und erhob sich von der Liege, die sie beim Schere-Stein-Papier-Spiel gewonnen hatte. Es war nicht das Bett, aber auch nicht der Boden. Sie folgte Hope zum Badezimmer, und als sie sah, dass es fast vier Uhr morgens war, hätte sie sich fast wieder herumgedreht und wäre wieder unter ihre Decke geschlüpft.

Doch Hope schien ihre Absicht zu erahnen und zog sie mit sich ins Badezimmer. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, knipste sie das Licht an, und Sam sah, dass alle da waren. Alle außer Emily.

Zoey trug ihren Bugs-Bunny-Pyjama. Lily ein Nachthemd, das für ein Buch von Stephen King warb, Julia ein T-Shirt und Boxershorts, die ihre langen schlanken Beine zur Geltung kommen ließen. Und Hope? Hope trug einen Männerschlafanzug. Sams konservatives weißes Nachthemd kam ihr auf einmal schrecklich langweilig vor.

„Also gut, jetzt hört, was ich vorschlage“, erklärte Hope und lehnte sich gegen das Waschbecken. „Ich sage euch, wir werden Emily geben, was sie sich wünscht.“

„Schlaf?“, schlug Zoey vor.

Hope warf ihr einen missbilligenden Blick zu. „Nein. Eine Nacht mit Scott Dillon. Eine irrsinnig schöne, romantische Nacht.“

Sam sah sie mit offen stehendem Mund an, auch die anderen schienen vor Erstaunen sprachlos zu sein.

„Bist du verrückt geworden?“, fragte Lily.

Zoey nickte. „Sie würde uns umbringen.“

Julia setzte sich auf einen Hocker. „Was sollen wir tun? Ihn hypnotisieren, damit er mit ihr ausgeht? Ihn für sie kaufen?“ Hope lächelte. „Das wird nicht nötig sein. Zumindest nicht, wenn wir unseren Job gut machen. Scott Dillon wird Emily von ganz allein fragen.“

„Und warum sollte er das tun?“, fragte Lily. „Schließlich ist er früher auch nicht an ihr interessiert gewesen.“

„Weil wir unsere kleine Emily in die aufregendste Frau verwandeln werden, die er je gesehen hat. Deswegen.“

Niemand sprach. Wirklich niemand. Sie sahen sich nur an. Schließlich streckte Hope dramatisch die Arme in die Höhe. „Was ist mit euch? Sind wir jetzt die Girlfriends oder nicht?“

„Klar sind wir das.“

„Und helfen wir, oder helfen wir uns nicht gegenseitig?“

„Das tun wir“, bestätigte Sam, „aber …“

„Aber nichts.“ Hope lehnte sich vor. „Wir schaffen das, Mädchen. Und wisst ihr, was passieren wird? Emily wird dadurch so viel Selbstbewusstsein gewinnen, so viel Stolz, dass sie in der Lage sein wird, sich jeden Mann zu angeln, den sie haben will. Scott Dillon, George Clooney. Wen auch immer.“

„Bist du nicht etwas zu optimistisch, Hope?“, fragte Julia. Hope schüttelte den Kopf. „Das wäre ich, wenn ich allein diese Aufgabe übernehmen müsste. Aber wir arbeiten ja zusammen daran. Wir schaffen es. Ich weiß es.“

Julia winkte. „Noch eines? Was ist, wenn Emily Nein sagt?“ Hope straffte sich. „Dann werden wir sie dazu bringen, Ja zu sagen.“

Die auf Hochglanz polierten Football-Pokale waren in perfekter Symmetrie in einer Reihe aufgestellt, genauso hatten sie auch schon vor neun Jahren auf dem Regal gestanden, als er das Haus seiner Eltern verlassen und zur Universitätsmannschaft von Texas gegangen war.

Scott schaute zur Wand hinüber, auf die Fotos, die grünen und weißen Flaggen, auf die Erinnerungsstücke der Sheridan-Highschool, die seine Eltern wie Heiligtümer aufbewahrt hatten. Das waren damals gute Zeiten gewesen. Wichtige Zeiten. Aber er war nicht dort stehen geblieben, er war weiter gegangen. Zumindest hatte er es versucht.

Er wandte sich wieder seinem Koffer zu und machte sich daran, seine Kleidungsstücke in die Kommode zu legen. Schuldgefühle nagten an ihm. Er wollte nicht hier sein. Nach Monaten der Enttäuschung war er endlich so weit, eine Traumkarriere in unmittelbarer Reichweite vor sich zu haben. Endlich wieder den Ruhm zu genießen, der ihm früher zuteilgeworden war. Doch statt sich auf das entscheidende Interview mit ESPN vorzubereiten, war er jetzt in seinem alten Zimmer, in seinem alten Leben.

Es war nicht fair. Aber das Leben war nun einmal nicht fair, wie Coach Teller immer zu sagen pflegte. Der Coach. Zumindest würde Scott ihn wiedersehen. Das war eine der guten Seiten dieser ganzen Sache.

Dann hörte er seine Mutter im Flur. „Scott?“

„Ja, Mom?“ Er schloss die Kommode, zwang sich zu einem Lächeln und drehte sich zu ihr um. Sie war alt geworden. Alt über ihre Jahre hinaus. So alt, dass es einem Angst machte.

Als seine Mutter ihn auf die Welt gebracht hatte, war sie bereits einundvierzig und sein Vater fünfundvierzig Jahre alt gewesen. Trotzdem hatte sie immer Energie für zwei gehabt. Aber jetzt waren ihre Schritte langsam geworden, und sie brauchte ihre Zeit, um die Treppe hinaufzukommen. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben, und es war jetzt weiß und nicht mehr rotblond, wie es früher immer gewesen war. Sie hatte ihre Lebensfreude, ihren Esprit verloren, und er hätte alles dafür gegeben, ihr zu helfen, wieder etwas davon zurückzugewinnen.

Ihr körperlicher Verfall hatte eingesetzt, als sein Vater starb. Sie hatte ihren Mann geliebt, und Scott hatte das Gefühl, dass sie ihm gern nachgefolgt wäre. Aber das würde nicht geschehen. Nicht solange sie noch einen Sohn hatte, der sich um sie kümmern konnte.

„Ich habe Kohlrouladen zum Abendessen gemacht“, erklärte sie.

„Ah, Mom, du verwöhnst mich.“

Sie lächelte, und die Falten um ihre Augen machten es ihm schwer, sein Lächeln beizubehalten. Er könnte es niemals über das Herz bringen, sie allein zu lassen.

„Hast du alles, was du brauchst?“

Er nickte. „Es ist so, wie es immer war.“

„Hier ist dein Zuhause“, sagte sie. „Es wird immer dein Zuhause sein. Das weißt du doch, oder?“

Seine Mutter war noch nie eine große Frau gewesen, aber in den letzten Jahren schien sie geschrumpft zu sein, denn als er sie umarmte, reichte sie ihm nur bis zum Kinn. Sie erschien ihm so zerbrechlich, dass er Angst hatte, sie zu fest an sich zu drücken. Sie erwiderte seine Umarmung, und für eine Weile hielten sie sich eng umschlungen.

Scott wusste, dass er für diese Frau verantwortlich war, so wie sie es früher in seiner Kindheit und Jugend für ihn gewesen war. Sie würde den Laden nicht verkaufen, und sie konnte ihn nicht allein führen, also musste er einspringen.

Statt mit sechsundzwanzig der jüngste ESPN-Kommentator zu werden, den es je gegeben hatte, würde er Leiter von Dillon’s Markt werden.

Nein, das Leben war nicht fair.

„Bist du verrückt geworden?“

Hope schüttelte den Kopf. „Komm schon, Emily. Du willst es doch selbst.“

„Nein, das will ich nicht!“ Emily sprang aus dem Bett und ergriff ihre Kleidungsstücke. Sie konnte es kaum erwarten, aus ihrem Nachthemd herauszukommen und diese Diskussion zu beenden.

„Natürlich willst du es“, erwiderte Hope ungerührt und folgte ihr durch das Hotelzimmer zum Badezimmer hinüber. „Es wird ein großartiges Abenteuer werden. Und stell dich endlich der Tatsache, Mädchen – du brauchst ein Abenteuer.“

„Siehst du die größte Demütigung, die mir je widerfahren könnte, als Abenteuer an? Nein danke.“

„Wer sagt hier etwas von Demütigung?“

Emily konnte nicht glauben, was ihre Freundinnen ihr vorschlugen. Zugegeben, Hope war eine Träumerin, die nicht immer die Konsequenzen ihres Handelns voraussah. Aber Lily stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Sam war die praktischste Person in Sheridan gewesen und jetzt, da sie umgezogen war, sicherlich auch die praktischste in ganz San Francisco. Zoey bekam hin und wieder einige Höhenflüge, doch selbst sie musste einsehen, dass dieser Plan geradewegs ins Unglück führte.

„Ich werde jetzt duschen“, erklärte Emily. „Und wenn ich das Badezimmer wieder verlasse, möchte ich nichts mehr über diesen Unsinn hören. Verstanden?“

Hope öffnete den Mund, doch Emily war nicht gewillt, ihr länger zuzuhören, sondern verschwand kurz entschlossen ins Badezimmer und drehte den Schlüssel um. Dann zog sie das Nachthemd aus und betrachtete sich im Spiegel.

Du meine Güte!

Nicht dass sie hässlich war. Nein, sie sah nur so schrecklich durchschnittlich aus. Langweiliges braunes Haar, ganz normale braune Augen und der Ansatz eines Doppelkinns. Und der Rest von ihr? Ein Meter und siebenundsechzig Zentimeter groß und fast fünfundsiebzig Kilo schwer. Sie hätte am liebsten geweint.

Stattdessen verbannte sie ihr Bild aus ihren Gedanken und stieg in die Dusche. Für eine Weile war sie mit Schrubben und Waschen beschäftigt, aber irgendwann musste sie aufhören, wenn sie noch Haut überbehalten wollte. Sie hielt inne und ließ das Wasser über Gesicht und Körper prasseln. Sie entspannte ihre Schultern und öffnete die Hände, die sie zu Fäusten geballt hatte.

Sie dachten, sie könnten mehr aus ihr machen. Sie so wie Aschenputtel vor dem Ball in eine Schönheit verwandeln. Aber sie wusste es besser. Sie war nicht aus dem Material geschaffen, aus dem Schönheiten gemacht wurden. Selbst wenn sie die überflüssigen Kilos abnehmen würde und sich neue Kleidung und ein neues Make-up zulegte, würde sie immer noch die alte langweilige Emily Proctor sein. Und für Emily Proctor würde sich ein Scott Dillon niemals interessieren.

Warum sollte sie sich dann die Mühe machen?

Sie hielt für einen Moment den Atem an und stützte sich mit einer Hand an der Kachelwand ab. Ihr wurde auf einmal klar, was sie da gerade gedacht hatte.

Warum sich Mühe geben? Warum sich anstrengen, wenn sie Scott Dillon doch nicht haben konnte? Du lieber Himmel! Sie war diejenige, die verrückt war, nicht ihre Freundinnen. Was war das für eine Lebenseinstellung? War sie es sich nicht wert, Mühe auf sich zu nehmen? Damit sie sich wohlfühlte? Damit sie das Beste aus sich machte?

Nein. Die Antwort lautete Nein. Und so hatte sie ihr ganzes Leben lang gedacht. Nur weil sie nicht so hübsch wie Julia oder so gestylt und witzig wie Hope oder so klassisch elegant wie Sam oder intelligent wie Zoey war – oder mutig wie Lily, hatte sie einfach das Handtuch geworfen.

Sie war ein Feigling. Jawohl, das war sie. Und was für ein jämmerlicher noch dazu! Sie versteckte sich vor der Welt und stopfte sich Schokolade in den Mund, statt am Leben teilzunehmen und es in vollen Zügen zu genießen.

Sie hatte das Spiel verloren, bevor es überhaupt begonnen hatte.

Was machte es schon, wenn sie niemals Scott Dillon bekam? Wenn sie nicht bald etwas unternahm, würde sie nie Emily Proctor werden. Zumindest nicht die Emily, die sie sein könnte, wenn sie all ihre Fähigkeiten ausschöpfte.

Mit sechsundzwanzig hatte sie keine Ahnung, wer sie eigentlich war. Highschool-Lehrerin? Ja, aber das machte nicht ihre ganze Persönlichkeit aus. Freundin? Ja, dieser Teil war wichtig für sie. Tochter? Natürlich. Sie liebte ihre Eltern. Aber sie war noch mehr.

Wer war sie jetzt in diesem Moment? In dem sie nackt in der Dusche des Sheridan-Holiday-Inn stand?

Tränen überströmten ihr Gesicht und wurden sofort wieder von dem niederprasselnden Wasser abgewaschen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und genauso spurlos würde auch ihr Leben verlaufen, wenn sie nicht bald etwas unternahm.

Warum also nicht den Vorschlag ihrer Freundinnen annehmen und mit der Scott-Dillon-Diät, mit Sport und einem Schönheitsprogramm beginnen? Mit der emotionalen, physischen und seelischen Unterstützung von den Girlfriends würde sie es schon schaffen.

Das würde bedeuten, keine Pommes frites mehr im Wagen hinunterzuschlingen. Nie mehr mitten in der Nacht eine Riesenportion Eiscreme zu vernaschen. Es bedeutete viel Sport, auch wenn man überhaupt keine Lust dazu hatte und lieber auf der Couch Pralinen essen würde. Sie würde etwas für ihren Körper tun, ihren Lebensstil ändern und ihre Einsamkeit anerkennen müssen.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. So etwas wie Angst, aber nicht nur Angst, sondern auch eine prickelnde Erregung. So eine Art Vorfreude.

Vielleicht konnte sie nicht Scott bekommen, aber sicherlich ein eigenes Leben. Und wenn sie es lernte, sich zu lieben und zu respektieren, würde sie vielleicht auch jemanden finden, der sie liebte.

Sie drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und griff nach einem Badetuch. Jetzt war ihre letzte Chance gekommen, ihre Meinung zu ändern. Wenn sie den Freundinnen jetzt sagte, dass sie mitmachte, würden die Mädchen sie nie auf dem schweren Weg zu sich selbst alleinlassen.

Sie schaute zum Spiegel hinüber, doch der war beschlagen. Sie trat näher und rieb eine Stelle frei. Es war an der Zeit, sich von dem alten Schmerz und den falschen Tröstungen zu verabschieden.

Sie winkte sich zu. Dann war der Spiegel wieder beschlagen.

2. KAPITEL

Das Pausenzeichen ertönte, und einundzwanzig Ausgaben von „Romeo und Julia“ wurden gleichzeitig zugeschlagen. Es hatte keinen Sinn mehr weiterzumachen, ihre Englischklasse war bereits in Gedanken zum Mittagessen gegangen, obwohl die Schüler noch ungeduldig vor ihr saßen und auf ihre Hausaufgaben warteten.

„Lest Seite achtzehn bis dreißig und schreibt mir zwei Seiten über die Beziehung zwischen den Montagues und den Capulets.“

Autor

Jo Leigh
<p>Seit Jo Leigh 1975 bei der großen Filmgesellschaft 20-Century-Fox als Lektorin in der Abteilung für Comedys einstieg, ist sie im Filmgeschäft zu Hause. Sie war für die Mediengesellschaften CBS, NBC und verschiedene andere große Produktionsfirmen tätig, wobei sie zunehmend Drehbücher konzeptionierte und bearbeitete. Kein Wunder, dass bei so viel Sachkenntnis...
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