Nur du bist meine Leidenschaft

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Mit gemischten Gefühlen kehrt Harper zurück nach Blue Moon Bay. Sie hat schmerzliche Erinnerungen an den kleinen Küstenort und ihre Jugendliebe Cormac Wharton. Er hat ihre Liebe damals schmählich verraten. Das hat Harper bis heute nicht überwunden. Sie versucht, ihre Gefühle unter Verschluss zu halten, doch als sie dem smarten Anwalt nach all den Jahren gegenübersteht, kann sie die Anziehung zwischen ihnen nicht leugnen. Die alte Leidenschaft flammt wieder auf. Aber Harper weiß: Eine neue Enttäuschung wird ihr verletztes Herz nicht überstehen!


  • Erscheinungstag 14.01.2020
  • Bandnummer 012020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713881
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Cormac Wharton saß auf dem Kofferraumdeckel seines Oldtimers, die Füße auf die Stoßstange gestützt. Geduldig sah er seiner Hündin Novak dabei zu, wie sie den Stock holte, den er gerade für sie geworfen hatte. Nicht zum ersten Mal während der langen Zeit, die er nun schon wartete.

Gerade hatte er ein leises Motorengeräusch von der Hauptstraße her gehört, die hinter der hohen Hecke des Anwesens, lag. Doch der Wagen war weitergefahren, ohne in die kiesbestreute Einfahrt abzubiegen.

Er war Trauzeuge seines besten Freunds, Grayson Chadwick, und es ging um Grays Hochzeit, also musste er geduldig sein. Freundschaft war das Stichwort. Loyalität. Respekt. Balance. Zuverlässigkeit. Die Pfeiler, auf denen man ein erfolgreiches Leben aufbauen konnte.

Harper Addison – die Trauzeugin der Braut, auf die Cormac seit mehr als vierzig Minuten wartete – schien das anders zu sehen.

Es waren nur noch ein paar Tage bis zur Hochzeit, und Harper hatte sich endlich bequemt, in ein Flugzeug zu steigen. Allerdings hatte sie sich nicht dazu herabgelassen, jemandem mitzuteilen, wann sie ankam, bis sie längst gelandet war. Und statt darauf zu warten, dass jemand sie in Melbourne abholte, hatte sie sich ein Auto gemietet, um die Küste entlang bis nach Blue Moon Bay zu fahren.

Lola, die zukünftige Braut, hatte gesagt, es machte ihr nichts aus, dass sie nicht wusste, wann ihre Schwester ankommen würde. Sie hatte Verständnis dafür, wie viel Harper beruflich zu tun hatte.

Cormac wusste es besser. So etwas sagte man nur, um Familienkrach zu vermeiden.

Pfoten auf Kies kündigten Novaks Rückkehr an. Vor Cormac blieb sie hechelnd stehen, den Stock im Maul. In ihren großen dunklen Augen standen Bewunderung und Vertrauen.

„Braves Mädchen“, sagte Cormac, und Novak ließ den feuchten Stock in seine Handfläche fallen.

Als Cormac wieder die Einfahrt hinunterschaute, sah er ein unbekanntes Auto um die Ecke biegen.

„Na endlich“, murmelte er, stützte sich von der Motorhaube ab und stand auf.

Kein Mietwagen. Eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben samt Fahrer. Für die anderthalbstündige Fahrt war das schon fast dekadent, selbst nach den Maßstäben von Blue Moon Bay, wo die Leute mehr Geld hatten als Verstand.

Was sagte das über Harper Addison aus?

Cormac versuchte, sich ein Bild von ihr in Erinnerung zu rufen.

Sie war ein oder zwei Jahrgänge unter ihm an der Highschool gewesen. Hatte sie nicht immer unten an der Treppe gestanden und für irgendeinen guten Zweck gesammelt? Mit wilden braunen Locken, zerrissenen Jeans, einer großen Klappe und einem andauernden Stirnrunzeln.

Ihre Schwester Lola war ein echtes Goldstück, klug, unbeschwert und humorvoll. Harper kam ihm wie das genaue Gegenteil vor.

Das Auto hielt vor den Stufen, die zum Haus hinaufführten. Einen Moment später stieg ein grauhaariger Chauffeur aus und öffnete mit einer Verbeugung die Rücksitztür.

Erst tauchte ein Damenschuh auf – in Zeitlupe, fast wie in einem Hollywoodfilm. Champagnerfarben, mit hohen Pfennigabsätzen. Es folgte der zweite, gefolgt von einem Paar langer Beine.

Die Frau, die dazugehörte, kam als Letztes. Sie legte eine Hand mit glänzenden schwarzen Fingernägeln auf die obere Türkante und stieg aus, ohne sich vom dienstbeflissenen Chauffeur dabei helfen zu lassen. Im hellen Tageslicht blinzelnd, hob sie den Kopf und starrte zum Haus der Chadwicks hinauf.

Keine Brünette, stellte Cormac fest, und keine Locken, sondern glatte karamellfarbene Wellen, in die sich Gold und Bronze mischten. Und auch keine zerrissenen Jeans, sondern ein langer teurer Mantel – viel zu dick für die heißen Temperaturen, aber im gleichen Champagnerton wie die Schuhe.

Eindeutig nicht die rebellische Göre, die er vor Augen gehabt hatte. Das überraschte ihn nicht. Die Erinnerungen an seine Schulzeit waren bestenfalls verschwommen.

Der Fahrer richtete eine Frage an sie, doch in diesem Moment klingelte ein Mobiltelefon. Sie hob eine Hand, um den Fahrer zu unterbrechen, und meldete sich mit einem knappen: „Ja?“

Ehrlich? Cormac fuhr sich mit der Hand über den Nacken und zählte dabei innerlich die Stunden bis zur Hochzeit. Stunden, in denen er sich mit Lolas Trauzeugin herumschlagen musste, statt zu arbeiten, surfen zu gehen oder ins Leere zu starren.

Freundschaft, erinnerte er sich. Loyalität. Respekt. Balance. Zuverlässigkeit.

Der Fahrer schaute zu Cormac hinüber, als wüsste er nicht recht, was er tun sollte. Cormac hob die Hand und ging mit großen Schritten auf das Auto zu.

Als ob sie ihn gehört hatte, drehte sie sich um.

Cormac wurde langsamer, als wären seine Batterien leer, und blieb schließlich unvermittelt stehen.

Harper Addison sah aus wie eine Femme fatale der Fünfzigerjahre. Eine glänzende Haarwelle über dem rechten Auge. Kunstvolle Schatten unter hohen Wangenknochen. Volle Lippen, leicht geöffnet, als wollte sie ihm einen Luftkuss zuwerfen.

Die Hitze, die ihn durchflutete, war wie ein Schlag in die Magengrube.

Harper schüttelte sich das Haar aus den Augen, beendete das Gespräch und ließ das Telefon in ihre Handtasche gleiten.

Ihre Blicke trafen sich.

Cormac hatte sich richtig erinnert. Wenn er damals mit Gray, Adele, Tara und den anderen die Treppe heruntergekommen war, hatte sie da gestanden, hinter sich ein Plakat mit Bildern einer Flutkatastrophe oder Hungersnot, die Sammelbüchse in der Hand. Und sie hatte ihn damals genauso eindringlich angesehen wie heute.

Eine feuchte Schnauze berührte Cormacs Handfläche, und er zuckte zusammen. Novak lehnte sich gegen sein Bein und schaute zu ihm auf, als wäre er das Einzige auf der Welt, was zählte.

„Braves Mädchen“, murmelte er und kraulte sie unter dem Kinn, bevor er sich zusammenriss und Harper weiter entgegenging.

Cormac Wharton.

Musste gerade er das erste vertraue Gesicht sein, das sie bei ihrer Ankunft sah – bei ihrem ersten Besuch in ihrem Heimatort seit zehn Jahren?

Harper stockte der Atem, als er auf sie zukam.

Sie schaute wieder zum riesigen Anwesen der Chadwicks auf, in der Hoffnung, Lola würde mit ausgebreiteten Armen aus der Tür kommen. Leider konnte Cormacs Gegenwart nur eins bedeuten: Die Chadwicks hatten ihn dazu abgestellt, auf sie zu warten und sich um sie zu kümmern. In diesem Teil der Welt sagte niemand Nein zu den Chadwicks, schon gar nicht Cormac Wharton.

Wahrscheinlich war es ihre eigene Schuld, weil ihre Ankunft mehr oder weniger spontan war. Aber nachdem sie endlich ihren letzten Auftrag beendet hatte, hatte sie nur noch so schnell wie möglich ins Flugzeug steigen wollen.

Harper riss sich zusammen und blickte dem Mann entgegen, der auf sie zukam. Eine dunkle Sonnenbrille bedeckte sein Gesicht beinahe zur Hälfte. Er trug ein flaschengrünes T-Shirt, das seine breiten Schultern betonte. Seine Jeans saßen genau richtig. Der Haarschnitt hatte sich nicht verändert – Typ „Reicher Junge“, kastanienbraune Igelstacheln. Nur der schlanke braune Hund, der ihn begleitete, war neu.

Cormac Wharton sah gut aus. Andererseits hatte er schon immer gut ausgesehen. Dunkle Augen, Charme im Überfluss und ein Lächeln, das den Raum erhellte. Jedes Mädchen an der Schule hatte für ihn geschwärmt, Harper eingeschlossen.

„Ma’am?“

Harper wandte sich zu dem Fahrer um, der neben dem Wagen stehen geblieben war und auf Anweisungen wartete.

„Entschuldigung“, sagte sie lächelnd. „Sam, richtig?“

„Ja. Und Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Darf ich Ihr Gepäck hineinbringen?“

„Nein danke. Ich bleibe nicht hier. Es war nur ein Zwischenstopp, falls meine Schwester hier wäre. Das ist sie anscheinend nicht, also fahren wir weiter ins Hotel.“

Das freundliche Lächeln des Fahrers verblasste, als ein Schatten über sie fiel.

Cormac Whartons Schatten.

Harper stellten sich die Nackenhaare auf. Sie wappnete sich gegen das Unvermeidliche und drehte sich um. Cormac hatte seine Sonnenbrille abgenommen, und nun erkannte sie eine Reihe schrecklich anziehender Lachfältchen um seine tiefbraunen Augen. Seine Haut sah aus, als wäre sie sonnenwarm. Ein Dreitagebart bedeckte seinen markanten Kiefer. Und mit ihren eins fünfundsiebzig musste sie zu ihm aufschauen – trotz ihrer zehn Zentimeter hohen Absätze.

Nicht länger ein süßer Junge, dessen Lächeln ihr die Knie weich werden ließ. Eindeutig ein Mann.

„Cormac Wharton höchstpersönlich“, sagte sie. Ihren neutralen Tonfall verdankte sie ihrer beruflichen Erfahrung.

„Harper Addison. Schön, dich zu sehen.“ Seine Stimme war dieselbe wie früher, vielleicht ein wenig tiefer. Klangvoll, mit einem Anflug von Heiserkeit. Und er tat fast so, als wären sie alte Freunde. Andererseits wäre es sicher albern, wenn sich die beiden Trauzeugen – der beste Freund des Bräutigams und die Schwester der Braut – übertrieben förmlich verhielten.

Eine Sekunde hatte Harper Angst, er würde sie auf die Wange küssen. Glücklicherweise blieb er in etwa einem Meter Abstand vor ihr stehen. Sein Hund ließ sich zu seinen Füßen nieder und schaute bewundernd zu ihm auf.

„Ich hatte gehofft, Lola wäre hier“, sagte Harper. Cormac schüttelte den Kopf, aber auf eine Erklärung wartete sie vergeblich. „Okay, dann fahre ich jetzt ins Hotel.“ Sie wandte sich dem Fahrer zu, der sofort diensteifrig die Tür öffnete.

„Stopp.“

Sam erstarrte. Harper schaute zu Cormac.

„Dee-Dee und Weston erwarten, dass du bei ihnen übernachtest.“

Sie schaute auf die riesige georgianische Villa. Die Villa schaute zurück, von oben herab. Dee-Dee und Weston waren reich wie Krösus, aber alles Geld der Welt würde Harper nicht dazu bringen, in ihrem Haus zu übernachten.

„Ich habe im Moonlight Inn eine Suite gebucht“, sagte sie und lächelte entschuldigend. „Ich werde es dort sehr bequem haben. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“

„Um deine Bequemlichkeit geht es mir nicht.“

Harpers Lächeln erstarb. „Worum dann?“

„Um Gray. Um Dee-Dee und Weston. Und um deine Schwester. Lola hat das Zimmer hier schon vor einer ganzen Weile für dich eingerichtet. Sie dachte, du würdest früher kommen.“

Harper war seit vierundzwanzig Stunden unterwegs. Und nach den Schwierigkeiten bei ihrem letzten Auftrag in London war sie immer noch ein wenig dünnhäutig.

Sie wollte Lola sehen. Ihre Schwester in den Arm nehmen, sich vergewissern, dass Lola wirklich so glücklich war, wie sie behauptete. Und das ohne die Gegenwart der Chadwicks und ihrer Bekannten. Cormac Wharton hatte sie nicht mit einkalkuliert. Aber er hatte gerade eine Trumpfkarte ausgespielt: schwesterliches Schuldgefühl.

Mit Mühe verkniff sich Harper alle Bemerkungen, die sie Cormac gern an den Kopf geworfen hätte. Stattdessen wandte sie sich an den Fahrer. „Planänderung, Sam.“

Sam warf Cormac einen skeptischen Blick zu. „Sind Sie sicher, Ma’am? Wenn Sie lieber fahren möchten, müssen Sie es nur sagen.“

Sie schaute Cormac an. Es zuckte um seine Mundwinkel, nur ein ganz klein wenig. Aber dieses Lächeln tat Dinge, die keinem anderen Lächeln auf der Welt gelangen. Es brachte Harpers Magen zum Kribbeln.

„Danke, Sam.“ Sie wandte Cormac bewusst den Rücken zu. „Sie sind ein Gentleman. Aber wenn meine Schwester will, dass ich bleibe, dann tue ich das.“

Sam schlug die Hacken zusammen, dann machte er sich daran, ihr Gepäck aus dem Wagen zu laden. Sie drückte ihm ein großzügiges Trinkgeld in die Hand und verabschiedete sich. Als das Auto langsam die Einfahrt hinunterrollte, hoffte Harper, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

„Mir scheint, du hast einen Fan“, sagte Cormac.

Harper wandte sich zu ihm um und erwiderte seinen Blick. Das Kribbeln in ihrem Magen hielt immer noch an. „Wo ist meine Schwester?“

„Kümmert sich um das Catering. Danach hat sie eine Anprobe. Und sie muss mit dem DJ über die Musikauswahl sprechen. Das ließ sich nicht verschieben, obwohl sie so aufgeregt ist, dass du endlich kommst.“

Harper wollte aufbegehren, aber es gelang ihr, den Mund zu halten.

Ihr war klar, wie viele Termine sie verpasst hatte. Per Skype zusammen ein Hochzeitskleid auszusuchen war einfach nicht dasselbe, wie live dabei zu sein und Lola dabei zuzusehen, wie sie aufgeregt vor dem Spiegel herumwirbelte. Schande über sie. Schließlich war sie alles für Lola, was von ihrer Familie noch übrig geblieben war.

Lola hatte ihr versichert, es sei schon okay. Immerhin habe sie Gray. Und die Chadwicks seien eine große Hilfe.

Sie hatte Verständnis dafür, dass Harpers Terminkalender zu voll war und sie einfach nicht früher kommen konnte. Immerhin war es das Geld, das Harper als Wirtschaftsmediatorin verdiente, das Lola erlaubt hatte, weiter in Blue Moon Bay zu wohnen, und ihr die Chance gegeben hatte, Grayson Chadwick kennenzulernen.

Während Cormac sie so aufmerksam aus seinen tiefbraunen Augen ansah, würde Harper jedenfalls keine Schwäche zeigen. Wenn sie die nächsten fünf Minuten überstehen wollte, von der nächsten Woche ganz zu schweigen, musste sie Cormac Wharton klarmachen, dass sie nicht mehr das sentimentale, naive Mädchen von früher war.

Und das würde sie schon schaffen. Harper verdiente mit dem Bluffen ihren Lebensunterhalt. Nichts und niemand durchdrang ihre Fassade.

„Du weißt aber wirklich Bescheid über die Hochzeit“, flötete sie, um seine Reaktion zu testen.

Sie bestand aus einem grimmigen Lächeln, bei dem er keine Zähne zeigte. „Ich bin nicht umsonst Trauzeuge. Und da die Trauzeugin der Braut leider durch Abwesenheit geglänzt hat, habe ich Lola eben zur Seite gestanden.“

Er war gut.

Aber Harper war besser.

Sie lächelte und presste sich die Hand aufs Herz. „Ich danke dir von Herzen, dass du eingesprungen bist – als Cheerleader, Schulter zum Anlehnen und beste Freundin –, bis ich kommen konnte.“

Cormacs Lächeln vertiefte sich, und diesmal zeigten sich Lachfältchen an seinen Augenwinkeln. Das Kribbeln in ihrem Magen wurde stärker. Krampfhaft versuchte Harper, es zu unterdrücken, bevor es zu einem echten Problem wurde.

Etwas Nasses, Kaltes drängte sich unter ihren Mantel und stupste sie in die Kniekehle. Sie zuckte zusammen und wirbelte herum. Cormacs vierbeiniger Gefährte stand hinter ihr, hechelnd und schwanzwedelnd. Mit feuchten braunen Augen, die Harper an ihren Besitzer erinnerten, schaute der Hund zu ihr auf.

„Oh, hallo.“

„Das ist Novak“, sagte Cormac, der auf einmal viel zu dicht hinter ihr stand.

„Novak?“

„Benannt nach der unverwechselbaren, unerreichten Kim Novak. Der Schauspielerin aus Hitchcocks Vertigo.“

Harper, die mehr Zeit in Flugzeugen und Hotels verbrachte als in ihrer Wohnung in Dubai, hatte selten mit Hunden zu tun. „Hallo, Novak. Haben wir dich nicht genug beachtet?“ Novaks Wedeln verstärkte sich, und sie machte vor Harper Sitz. „Können Hunde lächeln?“, fragte Harper. „Es sieht nämlich ganz so aus.“

Sie schaute über ihre Schulter. Cormac war ihr so nahe, dass sie seine dichten dunklen Wimpern zählen konnte.

Auf einmal lächelte er. Und ihre Gedanken zerstoben wie die Samen einer Pusteblume. Als er sich vorbeugte, atmete Harper Meersalz und Sommer. Er griff nach ihren beiden Reisetaschen und hängte sie sich über die Schulter, als wären sie federleicht.

Streng rief Harper sich zur Ordnung. Er mochte zwar aussehen wie der Junge, für den sie damals so viel empfunden hatte, aber ihre Zuneigung war verflogen, als er ihr mit Worten förmlich ein Messer in die Brust gestoßen hatte.

Sie griff nach ihrem Koffer und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück. Allerdings nicht diskret genug, denn Cormac warf ihr ein vielsagendes Lächeln zu.

„Das ist eine Menge Ballast, den du da mit dir herumschleppst.“

Schätzchen, du hast ja keine Ahnung.

„Na, dann los“, sagte er und stieg die Stufen zum Eingang hinauf.

Weston Chadwicks Vater hatte das beeindruckende georgianische Anwesen damals als Sommerhaus auf den Klippen über Blue Moon Bay bauen lassen. Die nächste Generation der Familie hatte den Stammsitz ihres international erfolgreichen Unternehmens, das Surfbretter und andere Sportartikel herstellte, hierher verlegt. Das einstige Feriendomizil war zum dauerhaften Heim geworden. Andere wohlhabende Familien folgten den Chadwicks nach Blue Moon Bay. Das schläfrige Städtchen wurde zu einem Rückzugsort für reiche Leute, die das Leben am Meer genossen.

Denen, die mit den Chadwicks mithalten konnten, ging es gut. Denen, die es nicht konnten …

„Komm schon!“, rief Cormac.

Harper hob die Augenbrauen. Doch dann trottete Novak ihrem Herrchen hinterher, und Harper begriff, dass er die Hündin gemeint hatte, nicht sie.

Cormac und Novak schritten so selbstverständlich durch die doppelflügelige Eingangstür, als hätten sie es schon tausendmal getan. Das hatten sie wahrscheinlich auch. Gerüchteweise war Cormac nach der Highschool in das Poolhaus der Chadwicks gezogen. Später hatten Grayson und er an der Melbourne University zusammen Jura studiert, bevor Grayson seinen Platz im Aufsichtsrat des riesigen Familienunternehmens eingenommen hatte. Cormac hatte seine eigene Kanzlei eröffnet. Er hatte genau einen Kunden: die Familie Chadwick.

Nach außen war es eine kluge Entscheidung, sich mit den Chadwicks gut zu stellen. Aber auf dem Weg zur Eingangstür fragte sich Harper, ob Cormac dafür seine Seele hatte verkaufen müssen.

Der Gedanke half ihr nicht, sich besser zu fühlen bei der Aussicht, dass ihre kleine Schwester in diese Welt – in diese Familie – einheiraten würde.

Harper folgte Cormac erst durch die gigantische Eingangshalle, dann die Treppe in den ersten Stock hinauf. Sie fand ihn in einer Gästesuite wieder, wo er an einer Kommode lehnte und Novaks Ohr streichelte. Harpers Taschen hatte er auf eine gepolsterte Sitzbank am Fuß eines breiten Betts gestellt.

Sonnenlicht fiel durch die Musselinvorhänge auf gebeizte Bauernmöbel und blaue und weiße Stoffe und Borten. Das Zimmer war elegant und entsprach genau Harpers Geschmack. Cormac hatte recht gehabt, Lola hatte es extra für sie eingerichtet.

Harper zog den Mantel aus und hängte ihn über eine gepolsterte Stuhllehne. Darunter trug sie ein cremefarbenes Hemdkleid und, wie immer, hochhackige Schuhe.

Cormac räusperte sich. Als sie zu ihm herüberschaute, lag in seinen tiefbraunen Augen noch ein Hauch der Zuneigung, mit der er seine Hündin angeschaut hatte.

„Also gut“, sagte Harper. „Soll ich hier warten, bis Lola kommt? Oder haben sie dir gesagt, was du mit mir tun sollst?“

In seinen Augen flackerte etwas, aber bevor sie daraus schlau werden konnte, war es wieder verschwunden. Cormac steckte die Hände in die Hosentaschen, was einen interessanten Effekt auf den Sitz seiner Jeans hatte.

Nicht dass Harper hinsah.

„Hast du Hunger?“

„Es geht schon“, log sie. Dabei war sie ziemlich ausgehungert. Aber ein gemeinsames Essen war eine Taktik, die sie selbst oft während einer Verhandlung anwandte, um alle Beteiligten versöhnlich zu stimmen. Und sie wollte sich nicht versöhnlich stimmen lassen. Nicht von ihm.

„Dann können wir auch hier herumstehen und Small Talk machen, bis jemand nach Hause kommt.“

Harper blickte auf ihre Armbanduhr. Es war erst zwei Uhr nachmittags. „Danke, nein.“

„Hm. Das überrascht mich nicht.“ Cormac machte einen Schritt in Richtung Tür. „Wenn wir erst mit meinen berühmten Schinkensandwichs am Tisch sitzen, brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Lass mich nur machen.“

Harper fragte sich, wie oft er mit dieser Masche Erfolg hatte. Dem Glitzern in seinen Augen nach zu urteilen, jedes Mal. Sie wollte schon nachgeben, als auf einmal eine Tür knallte und Stimmen erklangen, gefolgt von hastigen Schritten auf der Treppe.

Ein Wirbelwind aus blondem Haar, Yoga-Klamotten und Joggingschuhen stürmte durch die Tür und warf sich in Harpers Arme. Sie stolperte und fiel rücklings auf das Bett. Unwillkürlich lachte sie.

Lola ließ sie nicht los. „Du bist wirklich da! Du bist wirklich da!“

Harper vergewisserte sich flüchtig, dass beim Aufprall niemand Schaden genommen hatte, dann umarmte auch sie ihre kleine Schwester ganz fest. Nahm ihren Anblick in sich auf, den Klang ihrer Stimme. Ihren Geruch.

Sie schloss die Augen, als sie spürte, dass Tränen darin brannten. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht vor Zeugen.

„Natürlich bin ich da.“ Die Kehle war ihr eng. „Lass mich los, bevor du mich erdrückst. Oder dir wehtust. Du heiratest immerhin dieses Wochenende.“

Lola ließ sie los und streckte sich auf dem Rücken aus. „Ich heirate dieses Wochenende.“

Harper setzte sich auf, strich ihr Kleid glatt und fuhr sich über das Haar. „So sagt man.“

Ein leises Geräusch ließ sie zur Tür schauen. Dort stand Cormac und beobachtete sie beide. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er. Nur ganz leicht, aber das Kribbeln in ihrem Magen meldete sich trotzdem zurück.

Harper runzelte die Stirn. So lange hatte sie auf diesen Moment gewartet, das Wiedersehen mit ihrer Schwester – ihrem Fleisch und Blut, ihrer anderen Hälfte, ihrer geliebten Lola. Und er – mit seiner Anwesenheit, seiner Nähe zu den Chadwicks und seinem wissenden Blick – ruinierte alles.

„Ach, hallo, Cormac!“ Lola setzte sich ebenfalls auf und legte den Kopf an Harpers Schulter. „Ich habe dich gar nicht gesehen.“

Cormac zwinkerte Lola zu. Sein Gesicht hellte sich auf, und er schien sich ein wenig zu entspannen.

„Habt ihr euch beide wieder miteinander bekannt gemacht? Über gute alte Zeiten geplaudert?“

„Ich weiß nicht, ob ‚gute alte Zeiten‘ der richtige Ausdruck ist. Harper, was denkst du? Du warst … wie viele Jahrgänge unter mir?“

„Ein Jahr.“ Sie war froh, wie gleichmütig es klang. Dann kehrte sie ihm bewusst den Rücken und wandte sich Lola zu. Schloss ihn aus.

Sie nahm Lolas Hand und legte sie auf ihr Herz. Und schaute sie an, mit dem Gefühl, nicht genug bekommen zu können.

Das letzte Mal, als Lola nach Paris geflogen war, um ihren Urlaub mit Harper zu verbringen, hatte sie noch Pausbäckchen gehabt, aber die waren jetzt verschwunden. Ihr Haar war länger und frisch geschnitten, der Blondton ein bisschen heller.

Und unter ihren leuchtend blauen Augen lagen Ringe.

Zu wenig Schlaf? Zu viele Sorgen?

Als ihre Familie damals zerbrochen war, hatte Harper ihr Möglichstes getan, um Lola vor den schlimmsten Folgen zu bewahren. Sie hatte die Bürde auf sich genommen, Probleme gelöst und Geheimnisse für sich behalten, damit Lola so weiterleben konnte wie zuvor.

Deshalb wusste Lola auch nicht, welche Rolle die Chadwicks damals bei alldem gespielt hatten.

Als sie ihrer Schwester in die Augen sah, wusste Harper, es war an der Zeit. Lola musste die Wahrheit endlich erfahren. „Wie geht es dir, Lolly?“, fragte sie mit weicher Stimme und musterte Lola forschend. „Ganz ehrlich.“

Erst begann ihre Unterlippe zu zittern, dann brach Lola unvermittelt in Tränen aus.

2. KAPITEL

Als die Uhr sieben schlug, ging Harper in der Bibliothek der Chadwicks auf und ab. Sie wartete ungeduldig auf ihre Schwester.

Es war vier Stunden her, seit Lola in Tränen ausgebrochen war. Bevor Harper richtig begriffen hatte, was vor sich ging, war Grayson Chadwick in der Tür zu ihrem Zimmer erschienen.

Er war hereingekommen, hatte sich auf das Bett gesetzt und sie beide fest umarmt.

In dem Moment hatte Lola zu lachen begonnen. Sie wischte sich die Tränen ab, schaute von ihrer Schwester zu ihrem Verlobten und rief aus, dass sie keine Ahnung hatte, warum sie so durcheinander war. Wahrscheinlich nur die Aufregung, der viele Stress und die überwältigende Freude, dass Harper endlich da war.

Lola stand vom Bett auf. „Du bist sicher erschöpft. Ruh dich ein bisschen aus, entspann dich. Ich hole dich nachher in der Bibliothek ab. Um sieben Uhr.“

Danach gingen sie alle, Cormac als Letzter.

„Den Wert von Entspannung sollte man nicht unterschätzen“, sagte er bedeutungsvoll, schenkte ihr eins seiner umwerfenden Lächeln und ging.

Sobald sie wieder mit ihrer kleinen Schwester allein war, würde sie Lolas Tränen auf den Grund gehen, hatte Harper beschlossen. Herausfinden, wie viel Lola wirklich über ihre Schwiegereltern wusste.

Als Harper Schritte hörte, drehte sie sich um. Und sah sich einmal mehr Cormac Wharton gegenüber.

Inzwischen trug er einen anthrazitgrauen Anzug und ein weißes Hemd, dessen oberster Knopf offen stand. Er wirkte weltmännisch und entspannt. Der Dreitagebart verlieh ihm gerade die richtige Menge rauen Charme. Als Junge war er ein Charmeur gewesen. Als Mann war er deutlich gefährlicher.

Harper sagte nichts, während er sie musterte. In Vorbereitung auf ihre Begegnung mit den Chadwicks hatte sie ein Kleid gewählt, das ihr Selbstbewusstsein stärkte, mitternachtsblau und schulterfrei mit langem Rock, tiefem Dekolleté und eng anliegenden Ärmeln. Cormacs Blick wanderte über ihre Beine, ihre Taille und ihren Ausschnitt. Ihr stockte der Atem, als sich ihre Blicke erneut trafen.

„Guten Abend, Harper.“ Wie ein Raubtier auf dem Sprung kam er in den Raum.

Sie nickte nur, weil sie ihrer Stimme nicht traute. Und begann wieder, auf und ab zu gehen. Er tat das Gleiche. „Hast du Lola gesehen?“

„Leider nicht. Ich bin gerade erst wieder angekommen.“

„Ein kurzer Trip zum Poolhaus und zurück?“

„Poolhaus? Da wohne ich schon seit Jahren nicht mehr. Woher weißt du überhaupt davon?“

Verflucht. Harper tat, als gälte ihr Interesse den Büchern im Regal. Dabei nahm sie in Wirklichkeit nur eins wahr: seine Gegenwart. „Lola erzählt mir immer viel über Blue Moon Bay.“

„Aber das war, bevor Lola und Gray zusammengekommen sind. Hast du nach mir gefragt?“

Doppelt verflucht. „Wohl kaum.“

Cormac blieb stehen und bürstete einen Fussel von der Stuhllehne. Harper schaute ihm interessiert dabei zu. Als er weiterging, tat sie es auch. Sie spielten förmlich um das Sofa herum Fangen, und aus dem Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, wurde allmählich ein breites Grinsen.

Harper setzte sich und griff nach einem Buch, das auf dem Couchtisch lag, als hätte sie das die ganze Zeit geplant.

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen. Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges...
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