Nur eine sündige Erinnerung?

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Nach einer sinnlichen Nacht mit einer aufregenden Fremden steht das Leben von Staranwalt Daniel Harrington plötzlich Kopf - erst recht als ihm klar wird, wer die Schöne wirklich ist: Lady Kaitlin, Tochter des Duke of Fairfax und Aristokratin par excellence! Sie will nicht zu ihrer Affäre stehen? Für den smarten Daniel kein Problem! Denn um ein spektakuläres Wohltätigkeitsprojekt zu unterstützen, müssen sie beide nach Venedig reisen! Und wo könnte der attraktive Anwalt ihr besser beweisen, dass ihre Leidenschaft mehr ist als eine sündige Erinnerung?


  • Erscheinungstag 24.10.2017
  • Bandnummer 0022
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708726
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lady Kaitlin Derwent, Inbegriff einer Aristokratin, Tochter des Duke und der Duchess of Fairfax, starrte ihr Spiegelbild an und fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte … Nein, sie wusste, dass sie den Verstand verloren hatte.

Eine andere Erklärung gab es nicht für die Tatsache, dass sie in diesem Hotelzimmer in Barcelona stand. Dank einer billigen Tönung waren ihre tizianroten Haare jetzt blond, und himmelblaue Kontaktlinsen verbargen ihre grünen Augen. Perfekt für das Motto „Blauäugige Blondinen in Barcelona“ des Junggesellinnenabschieds jener Frau, die Kaitlin jahrelang nicht gesehen hatte.

„Alles in Ordnung?“ Lynette Cooper, Spielgefährtin aus Kindertagen und Braut in spe, beugte sich dicht vor den Spiegel und trug eine weitere Schicht knallroten Lippenstift auf. „Willst du wirklich nicht mitkommen? Erst mixen wir Cocktails, dann trinken wir sie.“

Kaitlin zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, danke. Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber ich würde dir nur deine Party verderben.“

Sie kannte keine der anderen Frauen. Aus einem verrückten Impuls heraus, der kein bisschen zu ihr passte, hatte sie Lynette gebeten, beim Junggesellinnenabschied mit von der Partie sein zu dürfen. Sie wollte für ein Wochenende einenTapetenwechsel haben, als Mitglied einer Gruppe mehr oder weniger anonym verreisen und eine Auszeit nehmen, um nachzudenken.

„Ehrlich, ich werde es genießen, hier auszuspannen. Ich bestelle etwas beim Zimmerservice, sehe mir einen Film an und gehe früh schlafen.“

Lynette neigte ihren Kopf. „Sicher?“

„Sicher.“

„Okay.“ Lynette lächelte und glich so sehr dem zehnjährigen Mädchen von früher, dass Kaitlin zurücklächeln musste.

„Und Lynette … Danke.“

„Gern geschehen, Kaitlin. Wir hatten uns aus den Augen verloren, aber ich freue mich, dass ich dir helfen kann. Echt.“

Lynette sah aus, als würde ihr noch etwas auf der Zunge liegen. Kaitlin entschied, ihr zuvorzukommen. Sie würde nicht erklären, warum die Freundschaft zwischen ihnen vor all den Jahren zerbrochen war – konnte nicht noch einmal jenes Trauma durchleben, das sie in das Reich des Surrealen verbannt hatte.

„Jetzt geh, und amüsier dich“, sagte sie deshalb. „Mach dir keine Sorgen um mich.“

Einen Moment lang stand Lynette unentschlossen da. Dann nickte sie. „Okay. Sei brav. Ruf mich an, wenn du deine Meinung änderst und dich uns anschließen willst.“

Sie tänzelte aus dem Zimmer und ließ eine Parfümwolke zurück.

Sei brav. Kein Problem. Lady Kaitlin Derwent war stets brav. Nicht der Hauch eines Skandals haftete ihrem Namen an, und so würde es auch bleiben. Mehr als in diesem Augenblick würde sie nie aus der Rolle fallen – verkleidet als Blondine, in einem Hotelzimmer in Barcelona versteckt, damit sie über ihre Zukunft nachdenken konnte.

Ihre Schläfen pochten, als sie sich an die Unterhaltung mit ihren Eltern erinnerte.

Die honigsüße, warme Stimme ihrer Mutter. Eine Wärme, von der alle Derwent-Kinder wussten, dass sie eine Illusion war. „Kaitlin. Gute Neuigkeiten. Prinz Frederick von Lycander sucht eine Braut. Wir glauben, du bist genau die Richtige.“

Der Duke of Fairfax hatte geschnaubt. „Wir sind davon überzeugt. Und wir erwarten, dass du alles tust, was in deiner Macht steht, damit du mit ihm vor den Altar trittst. Königliches Blut und Derwent-Blut, vereint in einer Allianz.“

Im Blick der aschblonden Duchess hatte etwas gelegen, das Anerkennung so nahekam, wie es bei Kaitlins Mutter möglich war. Sie hatte ihre Tochter von oben bis unten gemustert und genickt. „So soll es sein.“

Kaitlin hatte ihr cooles, selbstsicheres, abgeklärtes Lächeln aufgesetzt – eines von vielen, die sie vor dem Spiegel geübt hatte, bis ihre Wangenmuskeln schmerzten. „Ich werde mein Bestes geben.“

Jetzt saß sie auf dem Einzelbett des Hotelzimmers, schloss die Augen und fragte sich, was, um alles in der Welt, sie hier machte. Wozu nachdenken? Es gab keinen Grund zum Grübeln. Schließlich war ihre Zukunft vorherbestimmt. Reichtum und ein junger attraktiver Prinz obendrein – für diese Zukunft hätten die meisten Frauen glatt einen Mord begangen.

Sie schaute aus dem Fenster auf das dämmerige Barcelona. Mit der Brise drangen Gesprächsfetzen herein, der Geruch von heißem Straßenpflaster und einem Hauch Sangria. Kaitlin vergewisserte sich mit einem erneuten Blick in den Spiegel, dass ihre eigenen Geschwister sie nicht erkannt hätten.

Cora vielleicht, mit der Intuition eines Zwillings, aber Gabriel auf keinen Fall. Beim Gedanken an Cora keimte das vertraute schlechte Gewissen in ihr auf. Sie und ihre Schwester waren sich fremd geworden. Und Gabriel – Kaitlin wusste ja nicht einmal, wo sich ihr Bruder gerade aufhielt. Der künftige Duke of Fairfax war auf unbestimmte Zeit ins Ausland verschwunden, nachdem er seiner Freundin angeblich den Laufpass gegeben hatte.

Auf den ersten Blick schienen die Derwent-Geschwister Sonntagskinder zu sein, doch in Wirklichkeit …

Lange aufgestaute Gefühle versetzten Kaitlin in Aufruhr. Plötzlich kam ihr das Zimmer viel zu klein vor. Bevor sie sich versah, ging sie die mit Teppich ausgelegte Treppe zur Lobby hinunter.

Doch als sie auf dem Marmorboden stand, um sich herum lauter Fremde, packte sie die Panik. Von einer Sekunde zur anderen war sie ängstlich und beklommen wie seit – oh, wie seit so vielen Jahren nicht mehr.

Ich Dummkopf.

Sie hatte einen Fehler gemacht. Nie hätte sie herkommen, nie einen Fuß abseits ihres sorgfältig geplanten Alltags setzen dürfen. Wenigstens im sicheren Hotelzimmer hätte sie bleiben sollen. Sie musste umkehren. Wenn ihr nur die Beine gehorcht hätten! Pünktchen tanzten vor ihren Augen, und ihre Lunge weigerte sich, ihre Arbeit zu tun.

Mit dem letzten Rest ihres gesunden Menschenverstandes lehnte sie sich an eine Marmorsäule und hoffte, nicht aufzufallen …

Daniel Harrington trat aus dem Fahrstuhl in die Hotellobby. Vor lauter sinnlosem Ärger und Schmerz wurde sein Brustkorb eng.

Dämlicher geht es wohl kaum.

Welcher Teufel hatte ihn geritten, sich mit seiner Familie versöhnen zu wollen? Vor zehn Jahren hatte sie ihm den Rücken gekehrt. Sich geweigert, seine Entscheidung zu akzeptieren, seriös zu leben und nicht länger wegzuschauen.

„Wenn du aus dieser Tür gehst, darfst du nie zurückkommen, Danny. Niemals. Für uns wirst du tot sein.“

Das war der schwerste Gang seines Lebens gewesen. Aber er hatte ihn bewältigt, und es war töricht, von seinen Verwandten heute mehr Milde zu erwarten. Er konnte nur sich selbst die Schuld für die vergebliche Reise zuschreiben. Trotz allem hatte er gehofft, wenigstens seine Mutter würde einlenken und ihren ältesten Sohn sehen wollen.

Stattdessen hatte sein Stiefvater einen Vertreter geschickt – einen Mann, der die Nachricht so grausam überbrachte, dass Daniel all seine Selbstbeherrschung aufbieten musste.

Als er auf die Drehtüren zuschritt, hallten die Worte in seinen Ohren.

„Gespenster kriegen keinen Besuch. Tot ist tot, Danny. Der Tod ist endgültig, und für die Familie Rosso bist du tot.“

Aus dem Augenwinkel registrierte er jetzt eine Bewegung.

Blondierte Haare, zu einem zerzausten Pferdeschwanz gebunden, kummervolle blaue Augen … Die Frau lehnte an einer Marmorsäule, verborgen vor den meisten Menschen im Foyer. Angesichts ihrer heftigen Atemstöße tippte Daniel auf eine ausgewachsene Panikattacke.

Abrupt wechselte er die Richtung und blieb vor der Frau stehen. „Sind Sie okay?“

Dumme Frage, doch die Worte schienen sie ein wenig zu beruhigen.

Sie blinzelte. „Ja, ich bin …“ Es folgte etwas zwischen einem Keuchen und einem Lachen. „Nein, bin ich nicht.“

Daniel winkte einem Concierge. „Wasser, bitte.“ Er streckte der Frau einen Arm entgegen. „Lassen Sie mich Ihnen helfen. Sie müssen sich setzen.“

„Danke.“

Er sah ihr an, wie viel Kraft es sie kostete, sich zusammenzureißen. Sie atmete nicht mehr ganz so angestrengt und wich ein Stückchen von der Säule weg, hielt sich aber noch mit einer Hand daran fest.

„Mir geht es gleich besser.“ Dankbar nickte sie der Angestellten zu, die eine Wasserflasche brachte. „Wirklich.“

„Kann ich jemanden für Sie anrufen oder holen?“, bot Daniel an. „Oder …“

„Nein!“ Die Antwort kam ein bisschen zu scharf heraus. „Ich fühle mich wieder gut. Danke für Ihre Hilfe.“

„Ich habe ja kaum geholfen.“ Daniel las die Verletzlichkeit in ihren Augen und die Furcht, die sie nicht zeigen wollte. „Aber ich würde gern. Darf ich Sie zu einem Drink einladen? Bei Ihnen bleiben, bis ich sicher sein kann, dass Sie sich erholt haben?“

Sie runzelte die Stirn, überrascht und argwöhnisch zugleich.

„Nein, danke“, sagte sie ebenso höflich wie entschieden. „Ich trinke nicht mit Fremden.“

„Und ich lasse Damen in Not nicht in Hotellobbys allein. Wir können in der Hotelbar etwas trinken, dort sitzen etliche Leute. Wenn Sie in Schwierigkeiten sind, kann ich Ihnen vielleicht helfen.“

„Warum glauben Sie, dass ich in Schwierigkeiten bin?“

Daniel zuckte die Schultern. „Instinkt. Ich bin Anwalt. Viele meiner Klienten haben Probleme. Mit der Zeit erkennt man die Anzeichen.“

„Nun, in diesem Fall täuschen Sie sich. Ich weiß Ihre Sorge zu schätzen, aber ich habe keine Probleme und brauche nicht noch mehr Hilfe.“

Sie sprach leise, aber bestimmt. Ich sollte gehen, sagte Daniel sich. Doch auf seinen Instinkt konnte er sich normalerweise verlassen, und seine Ahnung, dass diese Frau in der Klemme steckte, ließ sich nicht abschütteln.

Es ging ihn nichts an. Trotzdem. Verdammt, war sie schön! Große blaue Augen mit dichten dunklen Wimpern, keine Spur von Make-up. Ein paar blonde Strähnen waren aus dem Pferdeschwanz gerutscht und schmiegten sich an ihr ovales Gesicht. Sie war schlank, hatte lange Beine und bewegte sich mit einer würdevollen Anmut und Selbstsicherheit.

Jetzt verlagerte sie das Gewicht von einen Fuß auf den anderen, als würde sie sich unter seinem forschenden Blick unwohl fühlen, und schaute zur Seite.

„Wenn Sie meine Unterstützung nicht brauchen, könnten wir einander vielleicht einfach Gesellschaft leisten?“, ließ er nicht locker. „Man sieht es mir nicht an, aber ich bin ein brillanter Gesprächspartner.“

Zu seiner und möglicherweise sogar ihrer eigenen Überraschung lächelte sie. Dennoch schüttelte sie den Kopf.

„Kommen Sie schon, tun Sie mir den Gefallen. Einen Drink. Damit ich mich davon überzeugen kann, dass es Ihnen gut geht. Sollten Sie Bedenken haben, können Sie die Angestellten bitten, uns im Auge zu behalten. Übrigens tun die das auch jetzt schon, glaube ich.“

Ihr Lächeln verschwand. Besorgt sah sie zum Concierge hinüber, der sie beobachtete.

Sie nickte. „Okay. Einen Drink.“

Er hielt ihr die rechte Hand hin. „Ich heiße Daniel.“

Die Frau zögerte kurz, bevor sie ihre Hand in seine legte. „Lynette.“

Eine halbe Stunde später saß sie Daniel in der eleganten Hotelbar gegenüber und trank den Rest ihres Pomegranate Cooler. Der alkoholfreie süßsaure Cocktail weckte ihre Lebensgeister.

Komm schon, Kaitlin.

Es lag weder am Drink noch an den bequemen cremefarbenen Sesseln oder den hellgelben Blumenarrangements – sondern an ihrem Gegenüber.

Daniel war nicht im klassischen Sinne attraktiv. Seine Nase war einen Tick schief, als hätte er sie sich früher mal gebrochen. Er hatte markante Gesichtszüge, und mit seiner Präsenz konnte er sogar ihrem Bruder Konkurrenz machen.

Dieser Mann hier strahlte eine raue Energie aus. Seine tiefblauen Augen, mit denen er sie aufmerksam anblickte … Sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Prompt schrillte eine Alarmglocke in ihrem Kopf und signalisierte, wie verrückt diese Situation war.

Kaitlin konnte es sich nicht leisten, jemanden reizvoll zu finden. Das hatte sie auch noch nie getan. Vermutlich eine Folge des Traumas aus ihrer Kindheit.

Stopp, Kaitlin. Denk nicht daran.

Mit aller Macht hatte sie die Entführung verdrängt. Um diesen Teil ihrer Erinnerungen auszulöschen, hatte sie die Figur der beherrschten Lady Kaitlin erfunden.

„Noch einen Drink?“ Daniels tiefe Stimme ließ sie an Samt auf ihrer Haut und an dunkle Schokolade denken. „Oder Dinner?“

„Danke.“ Aber nein – sie wusste, dass sie diese Worte hinzufügen sollte. Mit jeder Minute in Daniels Gegenwart stieg das Risiko, dass sie einen Fehler machte und ihre Tarnung aufflog. Das käme einer Katastrophe gleich. Ihre Eltern wären außer sich, falls sich herumsprach, dass sich Lady Kaitlin Derwent in einer Bar von einem Fremden abschleppen ließ. Nahm sie die Einladung zum Dinner an, handelte es sich nicht mehr um eine „medizinische“ Episode. Dann begab sie sich auf völlig anderes Terrain. Ein Minenfeld. „Aber ich möchte Ihre Pläne nicht durchkreuzen. Jetzt geht es mir ja gut. Danke für Ihre Hilfe.“

„Ich habe keine Pläne.“ In Daniels Stimme schwang ein trostloser Unterton mit.

„Irgendwelche müssen Sie doch haben. Sie waren auf dem Weg aus dem Hotel, als Sie mir begegnet sind.“

„Ohne besonderes Ziel. Ich hätte mich einfach treiben lassen.“

Er hob die breiten Schultern, und Kaitlins Blick heftete sich wie von selbst darauf. Wieder spürte sie diese eigentümliche Faszination – wie eine Strömung, die Daniel und sie mitriss.

„Also, was sagen Sie?“, fragte er.

„Ich … Ich sollte nicht.“

„Warum nicht?“ Er sah ihr in die Augen. „Wartet jemand auf Sie?“

„Nein.“

„Sie sind allein in Barcelona?“

Kaitlin stockte. Sie scheute die Komplikationen, die eine Erklärung mit sich gebracht hätte. Außerdem war sie im Grunde allein. „Ja.“

„Sicher?“

„Ja.“

„Wie wäre es in dem Fall mit Dinner? Keine Verpflichtungen. Wir sind beide allein in einer spannenden Stadt, und ich könnte Gesellschaft gebrauchen.“

Er klang aufrichtig. Kaitlin fragte sich, welche Dämonen er auf Abstand halten wollte.

Sie schwankte zwischen Versuchung und gesundem Menschenverstand. Essen musste sie schließlich …

„Ursprünglich hatte ich einen Tisch in einem der besten Restaurants von Barcelona reserviert“, meinte Daniel. „Ich könnte fragen, ob der noch frei ist.“

Kaitlin zog die Stirn kraus. „Sie hatten also doch Pläne.“

„Aus meinen Plänen ist nichts geworden.“

Das klang harsch. Etwas blitzte in seinen blauen Augen auf.

Er hat Kummer, spürte Kaitlin. Offenbar hatte man ihn versetzt – obwohl sie sich das kaum vorstellen konnte.

Lächerlich. Ja, Daniel sah gut aus und besaß Ausstrahlung und … und … Aber sie kannte ihn kaum und wusste auch nichts über seine Beziehungen.

Noch mehr Gründe, jetzt zu gehen.

Doch sie wollte nicht. So eine Chance bekam sie nie wieder: frei zu sein, nicht Lady Kaitlin zu spielen. Denn bald traf sie Prinz Frederick von Lycander und musste beweisen, dass sie sich als seine Braut eignete. Danach …

Genug.

„Dinner klingt wundervoll. Eine Nacht der Freiheit, bevor ich in einen goldenen Käfig steige.“

Oh nein. Sie hatte die Worte ausgesprochen, und jetzt blickte dieser Fremde sie scharf an, mit einer Eindringlichkeit, die sie sich nicht erklären konnte. Als würde er jemand anders vor sich sehen.

„Steigen Sie nie freiwillig in einen Käfig, für den Sie keinen Schlüssel haben.“

Er sagte es so vehement, dass sie fieberhaft überlegte, wie sie ihn ablenken konnte. Heute Abend wollte sie nicht an die Ehe denken, die ihr bevorstand und von der sie geglaubt hatte, sie zu wollen. Eine Allianz mit einer gesicherten Zukunft und einer Rolle, in der sie glänzen würde.

„Ich werde es mir merken.“ Sie lächelte ihr Lady Kaitlin-Lächeln, freundlich und unverbindlich. „Jetzt möchte ich gern über das Dinner reden. Es muss kein Toprestaurant sein.“ Denn das war Lady Kaitlins Milieu. „Wir gehen einfach los und lassen uns treiben.“

Du kennst den Mann nicht, warnte ihre angeborene Vorsicht. Du kannst ihm vertrauen, beteuerte ihr Instinkt. Doch sie wusste nur zu gut, wie töricht Vertrauen sein konnte. Leise Panik meldete sich.

Denk nach.

„Ich sage schnell einer Freundin Bescheid, dass ich sie jede Stunde anrufen werde.“

Lynette musste nichts vom Dinner mit einem Fremden erfahren. Kaitlin würde ihr einfach erzählen, dass sie spazieren gehen wollte.

„Gut.“

„Bin gleich wieder da.“

Zu ihrer Erleichterung machte Lynette kein Drama daraus. Zehn Minuten nach ihrem Telefonat trat Kaitlin mit Daniel aus der Drehtür des Hotels auf eine belebte Straße.

Unwillkürlich hielt sie inne, fast überwältigt von dem Stimmengewirr. Straßenkünstler wetteiferten um Zuschauer, aus den gut besuchten Tapasbars drang der Duft von Knoblauch, Chili und anderen Gewürzen.

„Alles in Ordnung?“

Kaitlin straffte die Schultern und nickte. Panik würde diesen Abend nicht ruinieren. Die unterschwellige Angst, die sie ständig begleitete und ihr bestimmte Regeln und Routinen aufzwang, wurde für heute außer Kraft gesetzt. Niemand kannte Kaitlin, und niemand wollte sie jetzt entführen.

„Bestens. Es ist nur so viel los, dass ich ganz verblüfft bin.“

Intuitiv hielt sie sich dicht neben Daniel. Er beschützt mich, fühlte sie. Vielleicht lag es an seiner Leg-dich-nicht-mit-mir-an-Aura oder an seinem durchtrainierten Körper. Was auch immer: Es funktionierte. Kaitlin entspannte sich und bewunderte dunkle gotische Fassaden neben Bauten des Katalanischen Modernismus.

Nicht nur die Mischung verschiedener Architekturstile faszinierte sie – ihr ganzer Körper schien in Daniels Nähe zu prickeln. Als würde die Luft zwischen ihnen schimmern und knistern. Das Phänomen wurde stärker, wenn sie im Gedränge aneinandergeschoben wurden oder sich ihre Hände zufällig streiften. Bei jeder Berührung wurde Kaitlin heiß, vollführte ihr Magen einen Purzelbaum.

Noch schwindliger machte sie der Gedanke, dass Daniel ebenso empfand. Sie konnte es spüren. Sehen, wenn er sie anblickte und sie das Verlangen in seinen blauen Augen las.

Abstand schien eine gute Idee zu sein, damit sie analysieren konnte, warum sie derart heftig auf Daniel reagierte. „Wollen wir dort essen?“ Sie zeigte auf eine Tapasbar.

„Gern.“

Kaitlin folgte ihm in das schummrige Lokal, wo sie einen kleinen quadratischen Tisch mit einer rot und weiß karierten Plastikdecke ergatterten.

Als sie sich umblickte, wurde ihr klar, wo sie sich befanden. „Das ist eine Pintxobar! Ich glaube, diese Art Lokal stammt aus dem Baskenland.“

Daniel nickte. „Pintxos sind Tapas – jedes Häppchen mit einem Zahnstocher. Wir gehen zum Tresen, bedienen uns und essen. Die Zahnstocher heben wir auf. Von ihrer Zahl hängt die Höhe der Rechnung ab.“

Etliche Leute standen am Tresen, aßen, plauderten und tranken gut gelaunt. Kaitlin wusste, dass sie sich fernhalten musste. Womöglich bekam sie die nächste Panikattacke, wenn sie im Gedränge stand oder gar erkannt wurde.

„Ich kann Kostproben für uns beide holen“, bot Daniel an.

„Danke. Das wäre freundlich.“ Für den Fall, dass sie zu aristokratisch-hochmütig klang, lächelte Kaitlin. „Und ich bestelle Drinks.“

Wenig später kehrte Daniel lächelnd zum Tisch zurück. „Es kann losgehen.“

„Sieht köstlich aus. Empanadillas mit Schinken, Sobrassada-Wurst mit Honig, knusprige Pintxos aus Idiazábal-Käse mit Huhn, Tempura mit Safranmayonnaise, geschmolzener Provolone mit Mango und Schinken und ein kleiner Brocheta-Spieß mit Schweinefleisch.“

„Beeindruckender Akzent. Sie sprechen Spanisch?“

„Ein bisschen.“ Die Duchess hatte dafür gesorgt, dass Kaitlin mehrere Sprachen beherrschte.

„Du musst vorbereitet sein, falls du ein Mitglied des europäischen Adels heiratest“, hatte ihre Mutter gesagt.

„Beruflich?“, erkundigte Daniel sich.

„Nein. Ich arbeite in einer Kunstgalerie.“ Das taten viele Leute, also durfte sie es ruhig preisgeben.

Er nahm ein Pintxo und betrachtete sie nachdenklich. „Sind Sie geschäftlich hier? In Barcelona gibt es ja jede Menge Kunst.“

Kaitlin schüttelte den Kopf. „Diese Reise ist privat.“

„Stecken Sie in Schwierigkeiten?“

Die Frage kam so unerwartet, dass Kaitlins Körper sich anspannte. Ein Tropfen Sangria schwappte über ihren Glasrand auf den Tisch. Sorgsam stellte sie das Glas hin und wischte den Tropfen mit einer Serviette weg.

„Das Thema hatten wir doch schon, und ich habe mit Nein geantwortet.“

„Ich weiß. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich Ihnen glaube.“

„Ich stecke nicht in Schwierigkeiten. Ich bin nach Barcelona gereist, weil ich eine Auszeit brauche. Heute Abend will ich die Vergangenheit und die Zukunft vergessen und nur in der Gegenwart leben.“

Im Kerzenschein der Nische sah sie, wie Daniel sie neugierig musterte. „Eine Nacht der Freiheit?“, wiederholte er ihre Worte von vorhin.

„Ja.“

Er hob sein Glas. „Auf Ihre Nacht der Freiheit.“

Ihre Blicke trafen sich, und Kaitlin spürte eine seltsame Euphorie. Regungslos saß sie da. So neu und mächtig war dieses Gefühl, dass es sie benommen machte. Sie spürte Energie durch ihren Körper fließen, als würde jeder Nerv erwartungsvoll kribbeln.

Die Stunden verflogen. Während Kaitlin und Daniel über Gott und die Welt redeten, schien die Luft um sie herum zu flimmern. In stillschweigendem Einvernehmen machten sie einen Bogen um persönliche Themen und redeten über Musik, Filme und Philosophie. Trotzdem steigerte jedes Wort die verheißungsvolle Spannung – sie fühlten sich zueinander hingezogen und merkten immer deutlicher, wie dieser Abend enden konnte.

Schließlich teilten sie sich ein exquisites Dessert aus dunkler Schokolade. Als Kaitlin den Rest auslöffelte und Daniel in die Augen sah, erkannte sie das Begehren darin. Behutsam nahm er ihr den Löffel aus den plötzlich erstarrten Fingern und legte ihn auf den Teller. Laut hallte der Klang von Metall auf Porzellan in ihren Ohren.

Daniel streckte einen Arm aus und fuhr sanft mit der Kuppe seines Daumens über Kaitlins Unterlippe. Unwillkürlich stöhnte sie auf, entgeistert von der heftigen Reaktion ihres Körpers. Ein übermächtiges Gefühl breitete sich in ihr aus … Eine Sehnsucht, die sie nicht kannte. Ohne nachzudenken, legte sie beide Hände an Daniels Wangen, spürte seine Bartstoppeln. Sein Gesicht kam näher, und die Welt schien stillzustehen.

Kaitlin schmeckte Kaffee und Schokolade, eine überbordende Lust und eine intensive, süße Wonne, die jeden Winkel ihres Körpers erfüllte. Noch nie im Leben hatte sie etwas Derartiges empfunden.

Daniel wich ein Stückchen zurück. Er atmete schwer und blickte Kaitlin tief in die Augen. „Lynette …“

Der Name rief ihr in Erinnerung, dass ihr einzig und allein dieser Abend blieb. Ihr schwirrte der Kopf. Mit einem Anflug von Angst fragte sie sich, ob sie es tatsächlich durchziehen konnte. Unabhängig davon, wie sehr sie es wollte. Und sie wollte, verdammt.

Jäh sah sie ihren dunkelhaarigen, bärtigen Entführer vor sich. Dann blickte sie Daniel an, und das Bild löste sich auf, verscheucht von der brennenden Hoffnung in den Augen des Mannes, der ihr gegenübersaß.

„Lass uns gehen“, sagte Kaitlin leise.

„Bist du sicher?“

Sie war absolut sicher – denn sie wusste, dass Lady Kaitlin nie so empfinden könnte. Vielleicht wegen der schrecklichen Dinge, die während der Entführung passiert waren … Egal. Wahrscheinlich würde sie niemals wieder so etwas erleben wie heute. Sie konnte sich nicht gegen dieses schwindelerregende sinnliche Verlangen wehren. Kaitlin wollte diesen Mann. Wider alle Vernunft fühlte es sich richtig an. Auch wenn es nur für eine einzige Nacht sein konnte.

„Ja. Ich bin sicher.“

2. KAPITEL

Neun Monate später …

Auf der Schwelle des imposanten Festzeltes hielt Daniel Harrington inne und ließ seinen Blick unbarmherzig über die Gästeschar schweifen. Flüchtig registrierte er die erlesene Eleganz des Hochzeitsempfangs von Gabriel Derwent, Earl of Wycliffe, Erbe des Duke of Fairfax. Die prächtigen Organzavorhänge, die funkelnden Lichterketten und chinesischen Laternen. Üppige Arrangements aus Gloriosen und Hyazinthen dufteten dezent.

Daniel interessierte sich nicht für die Dekoration und auch nur wenig für Braut und Bräutigam. Systematisch schaute er sich um, auf der Suche nach Lady Kaitlin Derwent – Schwester des Bräutigams und Brautjungfer.

Vorhin hatte er beobachtet, wie sie inmitten einer Schar von Brautjungfern durch die Kirche schritt. Nur für sie hatte er Augen gehabt. Angesichts ihrer graziösen Bewegungen waren aus seinen Spekulationen Überzeugungen geworden.

Kaum zu glauben, dass diese Schönheit mit den tizianroten Haaren und dem petrolfarbenen Designerkleid dieselbe Frau war, die er vor neun Monaten in Barcelona getroffen hatte. Während Hymnen und Gelübde in der malerischen mittelalterlichen Kirche ertönt waren, hatte Daniel nur dieses Wesen angesehen und Gewissheit erlangt.

Kein Zweifel: Lynette und Kaitlin Derwent waren ein und dieselbe Person.

Jetzt entdeckte er sie. Sie stand in einer Ecke des Festzeltes und sprach mit einem großen blonden Mann. Prinz Frederick von Lycander, Herrscher über das Fürstentum Lycander. Der Anblick war wie ein Schlag in die Magengrube. Unbändiger Zorn flammte in Daniel ebenso auf wie ungewolltes Sehnen. Sie gehört mir, schrie sein Instinkt.

Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten.

Bleib cool, Dan. Gewalt als Lösung war für ihn keine Option mehr, also konnte er keine Schlägerei anzetteln. Prinz Frederick traf keine Schuld an diesem Schlamassel. Es hätte Daniel nicht stören sollen, dass Kaitlins Hand auf dem Unterarm des Mannes ruhte, während sie zu ihm aufschaute.

Trotzdem nahm er ihr die Unehrlichkeit nach wie vor sehr übel. Er erinnerte sich noch sehr genau, wie einsam und ärgerlich er sich morgens in Barcelona gefühlt hatte. Kein Zeichen von jener Frau, mit der er eine so leidenschaftliche Nacht verbracht hatte. Nicht mal ein blondes Haar auf dem Kissen ließ erahnen, dass sie bei ihm gewesen war. Nur der schwache Rosenduft ihres Parfüms und die Sehnsucht, mit der Daniel aufgewacht war – in der Erwartung, Lynette liege neben ihm.

Gleich darauf hatten Sorgen eingesetzt, umso mehr, als es ihr erstes Mal gewesen war … Eine Tatsache, über die sie nicht reden wollte. Hatte er die wundervolle Nacht falsch interpretiert? Bereute sie, dass ihr erster Mann ein Fremder gewesen war?

Sie steckt doch in Schwierigkeiten, hatte Daniel gefolgert. Zum Teufel, vielleicht war sie sogar gezwungen gewesen, sich wegzuschleichen. Wie dumm von ihm.

Unter seinem beherrschten Äußeren loderte Zorn.

Daniel war ein zivilisierter Mensch. Seine Ziele erreichte er legal, mit fairen Verhandlungen. Das hatte er sich vor einem Jahrzehnt geschworen, und diesen Schwur hielt er.

Jetzt wollte er vor lauter Frust zuschlagen. Seine Muskeln spannten sich an. Aber er würde nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen – sich nicht die Moral seiner Familie zu eigen machen. Aus dem Grund war er vor zehn Jahren gegangen, obwohl ihn das viel gekostet hatte.

Autor

Nina Milne
<p>Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten. Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...
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