Palast der Stürme

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Claire hat keine Wahl: Ein Jahr lang muss sie Raoul D’Albros Ehefrau spielen und mit ihm in seinem eleganten Palast in Omarah leben. Aber sie hat sich diese Vernunftehe viel leichter vorgestellt. Denn von Gefühlen war nie die Rede. Doch der faszinierende Finanzminister des Ölstaates am Golf weckt heißes Verlangen in ihr. Stürmisch flammt das Feuer der Leidenschaft zwischen ihnen auf, und als Raoul ihr den verlockenden Vorschlag: "Komm heute Nacht zu mir ..." macht, steht Claire vor einer schweren Entscheidung …


  • Erscheinungstag 30.06.2008
  • Bandnummer 0016
  • ISBN / Artikelnummer 9783863494896
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Es tut mir so leid, Liebes. Es sollte doch ein Urlaub für dich werden.“

„Bei Onkel Henri zu sein ist viel wichtiger, als einen Einkaufsbummel mit mir zu machen“, versicherte Claire ihrer Patentante. „Nur gut, dass das Krankenhaus uns noch rechtzeitig erreicht hat, bevor wir das Hotel verlassen haben.“

„Ja …“ Tiefe Sorgenfalten standen auf der Stirn von Susan Dupont. „Henri hat solche Anfälle schon öfter gehabt, aber …“

„Du musst zu ihm“, drängte Claire entschieden. Der zweite Ehemann ihrer Tante litt seit mehreren Jahren regelmäßig an Angina pectoris. Claire wusste, dass Susan ihre Sorge herunterzuspielen versuchte, weil sie Claire nicht verderben wollte, was als Geschenk für deren zweiundzwanzigsten Geburtstag gedacht war.

„In einer Stunde geht ein Flug zurück nach Paris. Ich könnte in der Maschine sitzen …“

„Du wirst in der Maschine sitzen“, berichtigte Claire bestimmt. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Es war erst sieben Uhr morgens. Vor knapp einer Stunde hatte der Anruf sie aus dem Schlaf gerissen, dabei schien es schon eine Ewigkeit her zu sein. „Ich helfe dir beim Packen und komme mit zum Flughafen.“

„Nein, Claire“, beharrte ihre Tante. „Ich will, dass du hierbleibst und den Tag genießt, so wie es geplant war. Du siehst so müde aus, Liebes“, fügte Susan mitfühlend hinzu. „Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun. Wenn ich doch nur Teddys Schulgeld übernehmen könnte …“

Das Thema hatten sie schon öfter besprochen, Susan kannte Claires Reaktion bereits. Henri war ein guter und fürsorglicher Ehemann, aber Susan war finanziell von ihm abhängig. Sie wussten beide, dass Susan Teddys Schulgeld nur hätte bezahlen können, wenn ihr Ehemann nichts davon erfuhr. Henri hatte volles Verständnis, dass Susan ihr Patenkind Claire ab und zu verwöhnen wollte, doch er sah nicht ein, weshalb er für das Schulgeld von Claires Bruder aufkommen sollte. Und Claire würde nie zulassen, dass Susan ihren Ehemann ihretwegen täuschte.

„Versprich mir, dass du dir einen schönen Tag machen wirst, mit Einkaufen und Bummeln“, bat Susan. „Das Hotelzimmer ist gebucht, ich sage unten an der Rezeption Bescheid, dass sie mir die Rechnung zuschicken sollen.“

Mit einem Lächeln gab Claire nach. Zwei Tage im Londoner Dorchester Hotel inklusive aller Spesen waren eine wunderbare Geburtstagsüberraschung ihrer Patentante gewesen. Und auch wenn nun der Einkaufsbummel in den teuren Läden ausfiel, den Susan ursprünglich geplant hatte, so würde sie keine Probleme haben, die Zeit zu nutzen. Sie würde Galerien und Museen besuchen, dann hatte sie Teddy auch etwas in ihrem nächsten Brief zu berichten. Außerdem … wenn sie wie Susan nach Hause zurückkehrte, würde sie nur in ihrem winzigen Apartment sitzen und Trübsal blasen.

Claire seufzte leise. Seit dem Tod ihrer Eltern war das Leben nicht einfach. Zehn Jahre Altersunterschied trennten die Geschwister, und Teddy war damals erst acht gewesen. Da die Eltern im Ausland arbeiteten, hatte er bereits zwei Jahre die exklusive und teure Privatschule besucht, auf der auch ihr Vater gewesen war. Claire hatte damals gerade mit dem Studium begonnen. Auch sie war zuvor auf dem Internat gewesen, die Eltern verdienten gut, und Claire hatte sich eigentlich niemals Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen würde.

Dann, innerhalb von sechs kurzen Monaten, war das sorgenfreie Leben des Teenagers zu einem abrupten Halt gekommen. Mit dem Tod der Eltern blieb das großzügige Gehalt aus, und außer einer kleinen Lebensversicherung hatte es keine Rücklagen gegeben. Es gab nicht einmal ein Haus zu verkaufen, denn der Arbeitgeber des Vaters hatte im Ausland das Domizil gestellt.

Der Familienanwalt war so behutsam wie möglich gewesen. Teddy würde die Schule verlassen müssen, hatte er Claire geraten. Die Lebensversicherung reiche gerade aus für ein kleines Haus und bescheidene monatliche Zahlungen. Ob nun richtig oder falsch, Claire hatte sich dennoch dagegen entschieden. Schule und Schulfreunde waren Teddys Welt. Ihn nach dem Tod der Eltern auch noch aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen würde unabsehbare Folgen für ihn haben. Außerdem würde sie für die Betreuung des Bruders zahlen müssen, während sie arbeiten ging.

Also hatte sich Claire mit einem Teil des ausgezahlten Geldes die Ausbildung zur Sekretärin finanziert und den größten Teil für Teddys Schulgeld beiseitegelegt. Doch das Geld schrumpfte schneller als erwartet, da die Gebühren für die Schule immer weiter stiegen, und so musste Claire einen immer größeren Teil ihres Gehalts für Teddys Ausbildung abzweigen. Dabei hatte sie eine gut bezahlte Stelle gefunden, als Chefsekretärin des Leiters eines florierenden Elektronikkonzerns, doch selbst das würde nicht reichen, um sechs weitere Jahre Teddys Ausbildung zu finanzieren. Teddy war überdurchschnittlich intelligent, auf jeden Fall „Oxford-Material“, so nannten es seine Lehrer, und seit Monaten schon suchte Claire nach einer Lösung, wie Teddy auf der Schule bleiben konnte. Ihr würde wohl nichts anderes bleiben, als noch einen zusätzlichen Job am Abend zu übernehmen.

Dieser Kurzurlaub in London war ein außergewöhnlicher Luxus, nur durfte sie Susan nicht sehen lassen, wie enttäuscht sie war, dass sie die Tage nicht mit ihrer Tante verbringen konnte.

„Versprich mir, dass du zum Frühstück hinuntergehen und nicht allein hier oben auf dem Zimmer bleiben wirst“, sagte Susan, nachdem sie ihre Sachen zusammengepackt hatte. „Wer weiß, vielleicht triffst du ja wieder diesen umwerfend aussehenden Mann von gestern Abend.“

Ihre Patentante war eine unverbesserliche Kupplerin, Claire verkniff sich einen bissigen Kommentar. Dieser „umwerfend aussehende“ Mann, den Susan meinte, hatte sie sich klein und unscheinbar fühlen lassen. Oh ja, sicher sah er gut aus, mit den außergewöhnlich grünen Augen und dem dichten schwarzen Haar. Zu gut. Und trotz des maßgeschneiderten Anzugs und seiner faszinierenden Augen war seine zumindest zu Teilen arabische Herkunft unübersehbar. Sie war in dem harten Stolz seines Profils zu erkennen gewesen. Bei seinem Anblick war Claire ein unerklärlicher Schauer über den Rücken gelaufen, obwohl sie ihn auf Anhieb unsympathisch fand. Es hatte etwas in seinem Blick gelegen, mit dem er sie kurz angesehen hatte … eine Überheblichkeit, mit der er sie musterte und offensichtlich sofort verurteilte. Seine unmissverständliche Verachtung hatte an ihrem Stolz gekratzt.

Später, im Restaurant, waren sie ihm noch einmal begegnet. Er saß mit anderen Männern an einem Tisch. Claire war nicht einmal aufgefallen, dass sie ihn anstarrte, bis Susan sie darauf ansprach.

„Dieser große dunkle Typ hat etwas faszinierend Anziehendes, nicht wahr?“, hatte diese sie gutmütig geneckt, und Claire war prompt das Blut in die Wangen geschossen.

„Wahrscheinlich gehört er zu den Männern, die sich einbilden, einer Frau nur ein hübsches kleines Diamantarmband vor die Augen halten zu müssen, damit sie in sein Bett hüpft“, hatte sie ihre Verlegenheit mit einer bissigen Bemerkung zu überspielen versucht.

Susans laszives Lachen hatte sie verblüfft. „Liebes, die meisten Frauen würden diesem Mann Diamanten anbieten, damit er auch nur die Spur von Interesse an ihnen zeigt.“ Claires schockierte Miene hatte ihr ein weiteres Lachen entlockt, doch dann hatte sie still geseufzt. Sie bewunderte ihre Patentochter dafür, wie diese die Verantwortung nach dem Tod der Eltern übernommen hatte. Doch manchmal dachte sie, dass das Mädchen vor seiner Zeit alt wurde. Da blieb kein Raum mehr für Spaß, für unbeschwertes Flirten. Claire richtete all ihre Energie auf ihre Arbeit und ihren jüngeren Bruder. Wenn Henri doch nur zustimmen würde zu helfen … Doch er hatte eigene Nichten und Neffen, und Teddy war eben kein Verwandter.

„Du brauchst wirklich nicht zum Flughafen mitzukommen“, wiederholte Susan, als sie vor dem Hotel standen und zusahen, wie das Gepäck ins Taxi geladen wurde. „Geh wieder hinein, und frühstücke in Ruhe.“ Bevor sie in das Taxi stieg, drückte sie der erstaunten Claire noch einen Scheck in die Hand. „Das ist der Rest deines Geburtstagsgeschenks. Kauf dir etwas Hübsches dafür … Etwas, das sexy ist“, fügte sie mit verschmitzt funkelnden Augen hinzu, „etwas, das unserem Freund aus dem Restaurant gestern gefallen würde.“

Sie war verschwunden, bevor Claire überhaupt protestieren konnte. Es war ein großzügiger Scheck, aber Claire wusste bereits, dass sie ihn nicht für sich ausgeben würde. Zwölfjährige Jungen wuchsen so schnell, und Teddy brauchte unter anderem dringend eine neue Schuluniform …

Mit einem stillen Seufzer ging Claire in das Hotel zurück. Die bewundernden Blicke der Hotelangestellten bemerkte sie gar nicht. Schlank und zierlich, haftete ihr eine Aura von reizvoller Zerbrechlichkeit an. Das silberblonde schulterlange Haar umrahmte ein fein geschnittenes Gesicht. Und graue Augen mit langen Wimpern schauten mit kühler Zurückhaltung auf die Welt. Ihre Aufmachung war eher praktisch als verlockend, Kostüme und Blusen, die sie auch zur Arbeit trug und ausschließlich im Schlussverkauf erstanden hatte. Etwas Ausgefallenes gab es in ihrer Garderobe nicht, ausgenommen die sündhaft teuren Geschenke, die Susan ihr machte – Spitzen- und Seidendessous oder ein Kaschmirpullover. Wenn sie diese Sachen trug, musste sie immer daran denken, wie viel nützlicher das Geld doch hätte ausgegeben werden können. Natürlich wünschte sie sich eine schicke Garderobe, und vielleicht, wenn Teddy die Universität abgeschlossen hatte … Aber bis dahin war sie längst über dreißig, also dachte sie lieber nicht daran.

In der Firma hatte es mehrere Männer gegeben, die sich um eine Verabredung mit ihr bemüht hatten, doch sobald sie von Teddy erfuhren, ließ das Interesse immer rapide nach. Claire nahm es ihnen nicht einmal übel. Welcher Mann wollte schon eine feste Beziehung mit einer Frau, die sich um einen kleinen Bruder kümmern musste? Und da Claire nicht der Typ für flüchtige Affären war, hatte sie sich angewöhnt, sämtliche Avancen von vornherein abzublocken.

Natürlich hatte sie früher von einer eigenen Familie geträumt, von einem Mann und Kindern, aber das Singledasein war heutzutage schließlich nicht ungewöhnlich. Sie hatte einen guten Job und ein kleines eigenes Apartment, und wenn Teddy erst die Universität beendet hatte, dann würde sie die Welt bereisen können.

Dennoch war es eigentlich nicht das Bild, das sie sich von ihrer Zukunft erträumt hatte. Sie mochte ihren Job, aber sie war keine Karrierefrau. Allerdings würde sie sich auch nicht an einen Mann binden, nur um dem Alleinsein zu entfliehen. Nein, sie wollte lieben und geliebt werden, sie wollte ihr Leben mit einem Mann teilen, wirklich und wahrhaftig teilen …

Claire ging in den Speisesaal. Zuerst glaubte sie, sich vielleicht verirrt zu haben und in einem Privatraum gelandet zu sein. Eine Gruppe arabischer Männer saß in angeregtem Gespräch zusammen, und bei Claires Eintritt verstummte das Gespräch abrupt, bis ein Kellner kam und sie zu einem Tisch führte.

Auf dem Weg dorthin war Claire sich überdeutlich der abschätzenden Blicke der Männer bewusst, die jeden Schritt von ihr verfolgten, doch am intensivsten spürte sie ein Paar grüner Augen auf sich liegen.

Die Blicke machten sie nervös, und Claire war entsetzt über sich selbst, als sie merkte, wie sehr ihre Hände zitterten, bis sie endlich auf ihrem Platz saß. Sie hätte besser in ihrem Zimmer frühstücken sollen, doch jetzt war es zu spät. Nun konnte sie nicht mehr aufstehen und gehen, das wäre zu offensichtlich gewesen.

Als sie wieder etwas ruhiger war, fiel ihr auf, dass sie nicht die einzige Frau im Raum war. Einige Tische weiter saß ein arabisches Mädchen, das ein Baby auf einem Hochstuhl zu füttern versuchte. Das Kind, ein kleiner Junge, wehrte sich lautstark, und Claire konnte sehen, dass die junge Frau mehr und mehr die Geduld verlor. Die Mutter des Kleinen war sie bestimmt nicht, dazu ging sie zu wenig fürsorglich und zu unwirsch mit dem Kind um. Wahrscheinlich das Kindermädchen, vermutete Claire. Viel Zuneigung bestand zwischen den beiden allerdings nicht. Als sie sich nun erneut im Raum umblickte, fiel ihr auf, dass der Mann mit den grünen Augen ebenfalls die Szene zwischen dem Mädchen und dem Kleinen beobachtete, eine tiefe Falte auf der Stirn.

Als die kleine Hand den vollen Breilöffel zum wiederholten Mal wegschlug, verlor das Mädchen endgültig die Fassung. Sie schob den Löffel mit Gewalt in den kleinen Mund. Die unvermeidliche Reaktion folgte sofort – der Kleine fing lautstark an zu brüllen. Die Schüssel fiel um, und der Brei ergoss sich über den Tisch und den Boden. Das Mädchen ließ klappernd den Löffel fallen, versetzte dem Kind einen harten Schlag auf die nackten Beinchen und schob den eigenen Stuhl zurück. Claire fiel auf, dass es beim Aufstehen auf seine Armbanduhr schaute, bevor es etwas in Arabisch zu den anwesenden Männern sagte und dann zur Tür ging.

Das Baby weinte herzerweichend, und in Claire wallte Mitleid für den Kleinen auf. Sicher, er war trotzig gewesen, aber sicherlich wäre das Mädchen mit gutem Zureden weiter gekommen als mit seiner barschen Ungeduld. Der Junge weinte und strampelte jetzt so heftig, dass der Stuhl zu wanken begann. Instinktiv sprang Claire auf und hielt den Stuhl fest, bevor er mit dem Kind umfallen konnte.

Es war ein entzückendes Kind mit olivbrauner Haut und großen braunen Augen, in denen allerdings die Tränen schwammen. Mit beiden Händchen klammerte es sich an ihre Bluse, und das Weinen verstummte, als es zu ihr aufschaute. Der Junge war nicht einmal richtig in dem Stuhl gesichert, und Claire wunderte sich über die Eltern, die ein so unerfahrenes Kindermädchen einstellten. War einer der Männer dort sein Vater? Sie sah zu dem Tisch hinüber und traf auf einen harten Blick aus grünen Augen. Was war los mit diesem Mann?, fragte sie sich. Glaubte er etwa, sie wolle das Baby entführen?

Vielleicht lag es an diesem herausfordernden Blick, vielleicht war es aber auch das klägliche Jammern des Kleinen, das sie zu ihrem nächsten Schritt veranlasste. Eigentlich hatte sie nämlich bereits weggehen wollen, aber der Kleine streckte die Arme nach ihr aus.

Fast erwartete sie, dass der Mann aufspringen und ihr das Baby aus den Armen reißen würde, als sie den Jungen aus dem Stuhl hob, um ihn zu trösten. Das kleine Gesicht war rot und erhitzt, die Haut heiß, und Claire nahm an, dass der Junge zahnte. Er trug teure Kleidung, doch sie war verschwitzt und verschmiert mit Brei. Plötzlich wurde Claire sich bewusst, was sie da tat, und wollte das fremde Baby zurück in den Stuhl setzen. Doch der Kleine klammerte sich noch immer weinend an sie. Schwankend zwischen Vernunft und Beschützerinstinkt, sah Claire zu dem Tisch hinüber. Der fremde Mann beobachtete sie noch immer, und etwas in seinem Blick ließ Trotz in ihr aufsteigen. Unablässig tröstende Worte auf den Kleinen einredend, drehte sie sich um und ging zu ihrem Tisch zurück. Sie war kaum angekommen, als sie einen Mann in den Saal stürmen sah.

Später wurde ihr klar, dass sie aus reinem Instinkt gehandelt hatte, denn es war gar nicht genug Zeit gewesen, dass sie die Waffe hätte sehen können, die der Mann auf den jetzt leeren Hochstuhl richtete. Selbst als er sich suchend umschaute und sie erblickte, reagierte sie automatisch und kauerte sich unter den Tisch, das Baby schützend an sich gedrückt.

Und dann ging alles rasend schnell. Mündungsfeuer kannte Claire nur aus dem Fernsehen, und es war eine schreckliche Erfahrung, es aus nächster Nähe miterleben zu müssen. Die Stille nach dem Stakkato der Schüsse allerdings war fast noch unheimlicher. Nur benommen vernahm Claire hektische Schritte, das Schlagen von Türen, und dann lag plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter.

Eiskalte Angst griff nach ihr. Sie begann unkontrolliert zu zittern. Jemand zog sie auf die Füße, sie hörte eine Stimme leise murmeln, erkannte nur kurz die grünen Augen, und dann wurde ihr Kopf sanft an eine Schulter gedrückt. Dankbar ließ sie sich von starken Armen an die muskulöse Brust ziehen und nahm den angebotenen Schutz fraglos an, obgleich ihr Verstand ihr sagte, sie müsse widerstehen und sich zurückziehen.

Die Arme, die sie hielten, lösten sich jetzt von ihr, und Claire sagte sich, wie dumm und albern es war, ein solch immenses Gefühl von Verlust zu empfinden. Nur mühsam registrierte sie, was um sie herum geschehen war. Sie sah den leblosen Körper auf dem Boden liegen, sah den aufgeregt gestikulierenden kleinen, korpulenten Mann, dessen Gesicht ihr irgendwie bekannt vorkam, und sah den Mann mit den grünen Augen leise auf ihn einreden.

Erst als das Baby einen protestierenden Schrei von sich gab, merkte sie, dass sie den Kleinen viel zu fest an sich drückte. Ihr Kopf schien wie in Watte gepackt. Sie hatte sich verlaufen, war in einer anderen Welt gestrandet, in die sie nicht gehörte. Sie hatte Schwierigkeiten, das soeben Geschehene überhaupt zu begreifen.

„Bitte verzeihen Sie mir … Ich bin so aufgewühlt, dass ich meine Manieren vergesse.“ Der kleine korpulente Mann stand vor Claire. „Ich bin Scheich Ahmed ibn Hassan. Wenn Sie nicht eingegriffen hätten …“ Er musste sich zusammennehmen, langsam schüttelte er den Kopf. „Allah muss uns heute sehr wohlgesonnen gewesen sein, Miss …“

Automatisch nannte Claire ihren Namen.

„Aber hier sollten wir nicht bleiben, wir können hier nicht reden. Würden Sie mir die Ehre erweisen und mich in meine Suite begleiten, damit ich Ihnen meinen Dank aussprechen kann?“ Er bemerkte ihr Zögern und lächelte warm und herzlich. Und in diesem Moment wusste Claire, wer dieser kleine Mann war.

Sie hatte sein Foto in der Zeitung gesehen. Er war das Oberhaupt eines kleinen Staates im Mittleren Osten und zu einem Staatsbesuch in Großbritannien. Dieser Staat könnte ein strategisch wichtiger Stützpunkt für Europa werden, die Presse vermutete darin den Grund für den Besuch. Auch erinnerte Claire sich, gelesen zu haben, dass der Neffe und Erbe des Scheichs erst kürzlich zusammen mit seiner Frau bei einem Unfall das Leben verloren hatte. Gerüchte hielten sich hartnäckig, dass es kein echter Unfall gewesen war, sondern ein Attentat konservativer Mächte im Land, die eine zu enge Bindung an den Westen zu verhindern versuchten.

„Ich kann die Hotelleitung bitten, für meine Identität zu garantieren“, drang die Stimme des Scheichs an ihr Ohr, und ihr wurde klar, dass er ihr Zögern missverstanden hatte.

„Das wird nicht nötig sein, Scheich“, sagte sie mit einem kurzen Lächeln. „Die Zeitungen sind heute voll mit Fotos von Ihnen.“

Eingekreist von einer ganzen Phalanx von schweigenden Männern, verließ Claire mit hoch erhobenem Kopf an der Seite des Scheichs den Speisesaal, das Baby noch immer an sich gedrückt. Ein Mann allerdings blieb zurück, und die grünen Augen schienen Claire voller Spott zu folgen.

Die Pracht in der Suite des Scheichs ließ Claire blinzeln. Als sie Platz nahm, fragte sie sich zum ersten Mal, wer das Kind wohl sein mochte, das sie auf dem Arm hielt.

„Ich bin sicher, Sie wundern sich, was hier überhaupt vorgeht“, hob der Scheich an, nachdem Claire den angebotenen Kaffee dankend abgelehnt hatte und das Gefolge des Scheichs sich zurückzog. „Der Junge“, er deutete mit dem Kopf auf das Baby auf ihrem Schoß, „ist der einzige Sohn meines Neffen brüderlicherseits und wird zu gegebener Zeit Herrscher unseres Landes sein. Die heutigen Ereignisse lassen keinen Zweifel mehr daran, dass sein Leben in Gefahr ist.“ Er runzelte die Stirn, als das Baby zu weinen begann. „Stimmt etwas nicht mit ihm?“

„Nicht wirklich.“ Claire schüttelte den Kopf. „Seine Windel ist nass, und er hat Hunger. Das Kindermädchen, das auch im Speisesaal war …“

„Ich vermute, man hat sie bezahlt, damit sie das Kind unbeaufsichtigt lässt. Normalerweise wird er rund um die Uhr bewacht, aber Raoul berichtete mir, das Mädchen habe darauf beharrt, ich hätte angewiesen, dass der Junge im Speisesaal gefüttert wird. Was nicht stimmt. Wenn Sie nicht so schnell reagiert hätten …“

„Ich dachte wirklich, wir würden alle sterben.“

„Und dennoch haben Sie Saud nicht allein gelassen.“ Der Scheich musterte sie anerkennend. „Raoul sagte mir auch, dass Saud ohne Ihr Eingreifen jetzt tot wäre.“

„Hatten … hatten Sie erwartet, dass so etwas passiert?“ Mit einem Schauer erinnerte sie sich an all die Waffen, die die Männer des Scheichs plötzlich in den Händen gehalten hatten.

Der Scheich zuckte ergeben mit den Schultern. „Nicht erwartet, aber vermutet. Es gibt in unserem Land eine Gruppe, die mit der westlichen Orientierung des Herrscherhauses nicht einverstanden ist. So wird es immer schwieriger, Freund und Feind zu unterscheiden. Sauds Kindermädchen ist ein Beispiel, wie leicht man getäuscht werden kann. Ich selbst bin Witwer und habe auch keine engen weiblichen Verwandten, die sich um das Kind kümmern könnten.“ Der Scheich sah plötzlich müde und verloren aus. „Aber ich will Sie nicht mit meinen Problemen belasten. Ich hatte Sie eingeladen, weil ich Ihnen eine Belohnung …“

„Nein, bitte“, fiel Claire ihm hastig ins Wort. „Bitte, das ist nicht nötig. Ich habe aus reinem Instinkt gehandelt.“ Sie sah auf den Kleinen, der in ihren Armen eingeschlafen war. „Gibt es jemanden, der ihn füttern und ihm die Windeln wechseln kann?“

„Ich hatte eigentlich geplant, für die Dauer unseres Aufenthalts eine Nanny für ihn zu finden, aber Raoul war der Ansicht, dass Saud besser von einer Angehörigen des eigenen Volkes betreut werden sollte.“ Der Scheich lächelte. „Wahrscheinlich ist es Raouls eigene gemischte Herkunft, weshalb er so vehement gegen eine fremde Nanny ist. Er spürt die Unterschiede sehr stark, die ihn von seinen Landsmännern abgrenzen.“

Claire fragte sich, in welcher Beziehung Raoul zu dem Baby stehen mochte, doch diese Frage würde sie ganz sicher nicht stellen.

„Nun …“ Sie sah die Ratlosigkeit auf der Miene des Scheichs, ein Gefühl, das er sicherlich nicht oft verspürte. „Sauds Zimmer ist dort.“ Er zeigte auf eine angrenzende Tür. „Wäre es unverschämt, Sie zu bitten …?“

„Sie möchten, dass ich das übernehme?“ Sie verbarg ihr Lächeln.

„Wir reisen nur mit kleinem Gefolge. Das Kindermädchen für Saud hätte reichen sollen. Ich hatte Angst, ihn allein zurückzulassen, doch nun … Ich denke, die Ereignisse des heutigen Morgens werden auch Raoul beweisen, dass wir von nun an extrem vorsichtig bei der Wahl eines Kindermädchens sein müssen. Dabei kam das Mädchen mit den besten Empfehlungen, und doch ist klar, dass es mit den Attentätern unter einer Decke steckte.“

Während Claire sich mit dem schlafenden Saud vom Scheich ins Kinderzimmer führen ließ, unterdrückte sie ein amüsiertes Lächeln. Das war sicherlich nicht das, was ihre Patentante sich für den Aufenthalt in London vorgestellt hatte!

Der Kleine war mit jedem erdenklichen Luxus ausgestattet, angefangen bei Spielzeugen bis hin zu der teuersten Kleidung, und doch schienen in seinem jungen Leben Liebe und herzliche Wärme zu fehlen. Er war auch kein schwieriges Baby, wie Claire feststellte, als sie ihn fütterte und badete. Im Gegenteil, er lachte und gurgelte zufrieden, als sie ihn, in das Badelaken eingewickelt, auf ihren Schoß setzte. In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Claire zuckte unwillkürlich zusammen. Die Erinnerung an die vielen Waffen und die pfeifenden Kugeln war noch zu frisch.

Kühle grüne Augen musterten sie abschätzig. „Welch trautes Bild. Nur schade, dass ich es bin, der es sieht, und nicht Ahmed. Was erwarten Sie sich von dieser Zurschaustellung mütterlicher Fürsorge, Miss Miles? Offensichtlich mehr als ein Diamantarmband.“

Claire krümmte sich innerlich. Er hatte also ihr Gespräch mit Susan aufgeschnappt. Doch dann drängte sich Verärgerung an die Stelle der Verlegenheit. Er unterstellte ihr, sie handle aus rein materialistischen Motiven. Eine Sekunde lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm das nackte Baby in den Arm zu drücken. Sollte er sich doch um den Kleinen kümmern! Sie stellte sich sein verdutztes Gesicht vor und musste das Kichern unterdrücken.

„Scheich Ahmed bat mich um Hilfe, und ich habe zugesagt“, erwiderte sie ruhig. „Und das auch nur, weil Saud nass und hungrig war und noch zu klein ist, um sich selbst zu versorgen. Scheich Ahmed hat mir bereits gesagt, dass Sie keine europäische Nanny für Saud wollen.“

„Oh, Sie sind ja schon sehr vertraut mit dem Scheich. Was hat er Ihnen sonst noch erzählt?“

„Nichts.“

„Lügnerin. So wie ich meinen Onkel kenne, hat er Sie auch über meine Herkunft aufgeklärt. Und wahrscheinlich kommen Sie jetzt halb um vor Neugier.“

Seine Arroganz provozierte sie nur noch mehr. „Im Gegenteil“, erwiderte sie kühl, „ich habe nicht das geringste Interesse, mehr über Sie herauszufinden. Warum sollte ich?“ Sie schloss Sauds Windel, stand auf und drückte ihm das Baby in den Arm. Dann rauschte sie an ihm vorbei und aus dem Zimmer, bevor er sie zurückhalten konnte.

Sie schäumte vor Wut – weil er recht hatte. Sie war neugierig. Natürlich war er daran gewöhnt, dass Frauen ihn faszinierend fanden. Diese Mischung aus Ost und West war beeindruckend – und er wusste es!

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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