Rivalen um Schwester Chloe

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Flirten? Für Dr. Brad Davis ist es harmloses Geplänkel, das ihn kalt lässt. Nur als die neue, hübsche Schwester Chloe ausgerechnet Dr. Coleman schöne Augen macht, seinem Erzfeind am Angel’s, wird Brad nervös. Eifersucht? Eigentlich hat er doch gar keinen Grund - oder?


  • Erscheinungstag 15.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717940
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

So nackt und schutzlos hatte sie sich noch nie gefühlt.

Chloe Jenkins zog den Gürtel ihres Trenchcoats enger. Was vor einer halben Stunde noch eine sexy Idee gewesen war, kam ihr jetzt jämmerlich und schlüpfrig vor.

Selbst zu dieser Zeit war die U-Bahn-Station voller Menschen, Körper überall, die sich berührten, aneinanderstießen, gegen sie drängten. Chloe strich sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wenigstens war sie dem strömenden Regen entronnen.

Und was jetzt?

Ihrem Mistkerl von Mann den Ehering mit den Worten „Betrachte das als unsere Scheidung!“ entgegenzuschleudern, mochte ein einigermaßen würdiger Abgang gewesen sein. Aber seit sie das Hotelzimmer fluchtartig verlassen hatte, sah ihre Situation alles andere als rosig aus. Sie befand sich mitten in New York und kannte niemanden hier.

Bis auf …

Nein, es musste einen anderen Weg geben.

Sie konnte nach Connecticut zurückfahren.

Und ihrem Bruder gegenübertreten? Ihrer Familie? Die hatten sie gewarnt, aber sie war zu naiv gewesen, um auf sie zu hören.

Mit einem Zischen glitten die Türen auseinander, und sie betrat den Wagen, vorsichtig darauf bedacht, die nackten Füße vor schmerzhaften Begegnungen mit den Schuhen ihrer Mitfahrer zu schützen.

Ich könnte mir ein Auto mieten. Zum Glück hatte sie ihre Handtasche mit dem Portemonnaie dabei. Aber dummerweise waren ihre Schuhe im Hotelzimmer geblieben, und es war verboten, barfuß zu fahren. Und wenn sich der Gürtel löste, stand sie völlig entblößt da.

Ihre Wangen brannten. Völlig stimmte zwar nicht ganz, aber das durchsichtige schwarze Negligé und das hauchdünne Höschen überließen wenig der Fantasie des Betrachters.

Sogar ihr Ex, betrunken wie er war, hatte sie unverhohlen gemustert, als sie wie eine Furie unter der Bettdecke hervorgeschossen war. Mit genau dem männlichen Interesse in den Augen, das sie so lange vermisst hatte.

Oh, verflixt! Warum hatte sie es überhaupt versucht?

Weil sie nichts davon hielt, aufzugeben. Weil sie um ihre Ehe kämpfen wollte.

Bis jetzt jedenfalls.

Die U-Bahn fuhr in den nächsten Bahnhof ein, und Chloe verlor kurz das Gleichgewicht, als der Fahrer die Geschwindigkeit drosselte. Hastig packte sie die Schlaufe fester, während sie mit der anderen Hand krampfhaft ihren Mantel zuhielt.

Jemand rempelte sie beim Aussteigen von hinten an, und sie stolperte, biss sich dabei auf die Lippe und schmeckte Blut.

„Tschuldigung.“

Sie spürte zwei kräftige Hände, spontane Hilfe, aber sie wich ihnen aus. Nicht auszudenken, wenn jemand herausfand, dass sie unter dem Mantel so gut wie nichts trug!

Chloe betastete mit der Zungenspitze ihre geschwollene Lippe. Nein, so hatte sie sich diese Nacht nicht vorgestellt.

Du hast recht, Baby, sie sieht echt frigide aus.

Travis’ neueste Eroberung hatte kichernd an seinem Arm gehangen, als sie Chloe im Bett entdeckten, die Decke bis zum Kinn hochgezogen.

Der letzte, verzweifelte Versuch, ihre Ehe zu retten, endete in einer unerträglichen Demütigung. Nicht nur, weil Travis sich wieder mit einer anderen vergnügte. Nein, er schlug auch noch vor, sie solle doch bleiben. Zu dritt hätten sie bestimmt viel Spaß.

Chloe war drauf und dran gewesen, ihm einen rechten Haken zu verpassen, wie ihr Bruder es ihr einmal beigebracht hatte. Aber dann hatte sie die Fäuste sinken lassen. Was hätte es genützt?

Es war vorbei.

Eine Welle der Übelkeit brannte in ihrer Kehle.

Sie könnte ihren Bruder anrufen und … was dann? Es war fast Mitternacht und Jason Hunderte von Meilen weit weg. Außerdem würde er sie mit Fragen löchern. War sie wirklich schon bereit, zuzugeben, dass Travis nur hinter dem Familienvermögen her gewesen war? Sie wollte er jedenfalls bestimmt nicht. Auch wenn er sehr charmant um sie geworben hatte. Aber nur – wie sie inzwischen wusste –, um in der Investmentbranche Fuß zu fassen.

Sie hatte ihm vertraut. Und wofür? Damit er ihr die größte Enttäuschung ihres Lebens bescherte!

Chloe überlegte. Wenn sie Jason jetzt anrief, kehrte der den großen Bruder heraus. Doch sie brauchte keinen Beschützer. Sie musste für eine Weile verschwinden, um ihre nächsten Schritte zu planen. Dass sie als Allererstes die Scheidung einreichte, stand außer Frage. Gleich am Montag.

Bis dahin musste sie irgendwo unterkommen. In einem anderen Hotel.

In deinem Aufzug? Klänge aus „Pretty Woman“ tanzten ihr durch den Kopf. Ja, klar. Chloe ahnte, was die Hotelangestellten denken würden, wenn sie mit klatschnassen Haaren, in einem Trenchcoat, der zwei Handbreit über den Knien endete, und ohne Schuhe am Empfang aufkreuzte, um ein Zimmer zu mieten. Man würde sie aus jedem seriösen Hotel schnellstens hinauskomplimentieren.

Und die weniger seriösen …

Schaudernd betrachtete Chloe den bunten Linienfahrplan über der Tür. Der Gedanke gefiel ihr gar nicht, aber wahrscheinlich blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an den einzigen Menschen zu wenden, den sie in New York kannte: Brad Davis. Sie wusste, dass er im Angel Mendez Children’s Hospital arbeitete, hatte jedoch keine Ahnung, in welchem Stadtteil das Krankenhaus lag. Geschweige denn, wo der alte Freund ihres Bruders wohnte. Oder auf welcher U-Bahn-Linie sie gerade fuhr.

Aber das ließ sich herausfinden. Soziale Netzwerke hatten auch ihr Gutes.

Bemüht, nicht wieder das Gleichgewicht zu verlieren, lehnte sie sich so gut es ging gegen die Haltestange und fischte ihr Smartphone aus der Handtasche.

Verwundert und erwartungsvoll zugleich wanderte Brad Davis im Wohnzimmer seines Apartments auf und ab. Es war Freitagabend, und er hatte sein Date gerade mit einem entschuldigenden Lächeln zur Tür begleitet. Unerwartet hätte sich Familienbesuch bei ihm angekündigt.

Was nicht völlig gelogen war. Chloe war praktisch Familie. Als Jugendlicher hatte er mehr Zeit bei Chloe und Jason verbracht als zu Hause. Trotz seiner Bikerjacke, der nietenbesetzten Armbänder und des höhnischen Grinsens, das er oft genug trug, war er bei den Eltern seiner Freunde immer willkommen gewesen. Sie hatten ihn akzeptiert, wie er war, sich um ihn gekümmert, während er sich fragte, ob seine Eltern überhaupt wussten, dass er existierte.

Und Chloe …

Bilder von früher tauchten vor seinem inneren Auge auf, allzu lebhafte Erinnerungen an rosige Wangen, glockenhelles Lachen und übermütige Neckereien.

Als er dann vor sechs Jahren hörte, dass sie heiraten würde, wollte er es zuerst nicht glauben. Und auf der Hochzeit wartete die nächste Überraschung. Aus dem schmalen Teenager war eine betörend schöne junge Frau geworden.

Er machte den Fehler, sie zum Tanz aufzufordern. Während sie sich auf der Tanzfläche drehten und ihr weißes Spitzenkleid raschelnd über den Boden glitt, erwachte in ihm verbotenes Verlangen. Der Anblick der Haarnadel, die eine seidig glänzende Locke an ihrem Platz hielt, weckte in ihm den Wunsch, sie zu lösen …

Beim Versuch, der Verlockung zu widerstehen, spannte er unbewusst die Arme an und zog Chloe dadurch näher an sich. Sein Körper reagierte, sein Puls beschleunigte. Brad hörte, wie sie leise nach Luft schnappte, spürte, dass sie die Finger, die auf seiner Schulter ruhten, unwillkürlich in seine Anzugjacke presste.

Er sah sie an, im selben Moment, als sie den Blick hob. Plötzlich war die Atmosphäre zwischen ihnen sinnlich aufgeladen. Chloe biss sich auf die Unterlippe, und beinahe hätte Brad aufgestöhnt. Wie gebannt starrte er auf ihren schimmernden Mund. Alles um ihn herum verblasste …

Wer weiß, wozu er sich hätte hinreißen lassen, wäre nicht Chloes Mann neben ihnen aufgetaucht. So als hätte er die Gefahr geahnt, streckte er mit warnender Miene die Hand aus und entführte Brad das bezaubernde Wesen mit den großen blauen Augen und den hinreißenden Kurven. Das Gefühl ihres anschmiegsamen Körpers an seinem verfolgte Brad noch bis spät in die Nacht.

Schluss! hatte er sich irgendwann ermahnt. Sie war die Schwester seines besten Freundes. Süß. Unschuldig.

Verheiratet.

Und Welten entfernt von den Frauen, mit denen er ausging. Frauen, die einer Affäre nicht abgeneigt waren und von Anfang an wussten, dass die Sache nicht von Dauer sein konnte. Nicht mit ihm. Frauen, die das genaue Gegenteil von Chloe Jenkins waren.

Was tat sie allein in New York, mitten in der Nacht? Es hätte Schwierigkeiten mit ihrer Hotelbuchung gegeben, hatte sie gesagt. Warum suchte sie sich kein anderes? Oder fuhr nach Connecticut zurück?

Nach ihrer Hochzeit hatte er sie nur ein einziges Mal gesehen und darüber hinaus keinen Kontakt zu ihr gehabt. Bis zu ihrem unverhofften Anruf vor wenigen Minuten.

Ich hätte Nein sagen sollen, dachte er. Hätte mich an den Tanz erinnern und ihr klarmachen sollen, dass ich Besuch habe. Damenbesuch.

Aber etwas in ihrer Stimme hatte ihn davon abgehalten. Ein bebender Unterton, so als erwartete Chloe, dass er rundweg ablehnen würde. Was ihm nie einfallen würde, nicht bei Chloe, auch wenn Jason nicht sein bester Freund gewesen wäre. Auch wenn es alle möglichen Risiken barg, sie wiederzusehen.

Es klingelte, und er drückte auf den Türöffner. Brad ging in den Flur und wartete darauf, dass der Fahrstuhl im fünfzehnten Stock hielt.

Keine Minute später glitten die Lifttüren auf. Anders als bei Katrina vorhin, deren zehn Zentimeter hohe Absätze auf dem Fußboden klackten, war kein Laut zu hören, als Chloe ihre zierlichen Füße anmutig wie eine Tänzerin auf den cremeweißen Marmor setzte.

Und da passierte es auch schon. Die Zeit schrumpfte zusammen auf einen einzigen Augenblick, die Erinnerung an die Minuten auf der Tanzfläche war wieder da, als wäre es gestern gewesen. Bei Brad klingelten die Alarmglocken.

Bis ihm etwas auffiel. Er blinzelte und sah genauer hin. Hatte er beim ersten flüchtigen Blick geglaubt, dass sie nudefarbene Schuhe trug, so stellte er jetzt fest, dass ihre Füße nackt waren. Rosa lackierte Fußnägel glänzten im matten Licht der Flurbeleuchtung. Noch während er sie anstarrte, zog Chloe die Zehen an, so als wollte sie ihre Blöße verstecken. Sofort war sein Kopf wieder klar.

Was zum Teufel war passiert? Hatte man sie überfallen? Ausgeraubt?

Brad ließ den Blick über ihre schlanken Waden gleiten, zu den Knien und verweilte schließlich auf ihrem Trenchcoat, den Chloe krampfhaft zusammenhielt.

„Chloe, ist alles okay?“, fragte er besorgt.

„J…ja.“

Er sah ihr in die Augen – verräterisch feuchte Augen –, nahm die verwischte Wimperntusche und die geschwollene Unterlippe wahr. Brad zählte eins und eins zusammen.

Chloe steckte in Schwierigkeiten.

Sie saß auf der Kante einer wuchtigen Ledercouch und trank einen Schluck Whiskey … ihr zweites Glas. Chloe zuckte zusammen, als der Alkohol auf ihrer wunden Unterlippe brannte.

Ihr gegenüber auf dem Polsterhocker aus dem gleichen teuren Leder saß Brad. In seinen Augen schwelte immer noch die kaum unterdrückte Wut wie vor einer Viertelstunde im Flur, als er ihren Mund berührt und gefragt hatte: „Wo ist der Bastard?“

Sie hatte eine Sekunde gebraucht, um zu begreifen, dass er dachte, Travis hätte sie geschlagen.

Hatte er auch. Nur nicht mit seinen Fäusten.

Aber um nichts in der Welt hätte sie über die bittere Demütigung sprechen können. Vor allem nicht mit einem Mann wie Brad, der schon damals auf der Highschool an jeder Hand zehn Mädchen hätte haben können. Mädchen, denen er mit seinem draufgängerischen Lächeln den Kopf verdreht hatte. Chloe war da keine Ausnahme gewesen. Nur hatte sich diese Schwärmerei mit der Zeit gegeben, war verblasst wie ein künstliches Tattoo.

Bis zu dem Abend ihrer Hochzeit. Als eine einzige Berührung von ihm genügte, um diese Gefühle wieder zum Leben zu erwecken. Sie war verlegen und zutiefst erschrocken gewesen, als sie begriff, dass er die Wahrheit in ihren Augen lesen konnte. Zum Glück hatte Travis sie rechtzeitig vor einer Dummheit bewahrt.

Glück? Damals ahnte sie nicht, dass sich ihr Prinz als Bösewicht entpuppen sollte, der die rosaroten Märchenwolken, auf denen sie schwebte, erbarmungslos zerriss.

Chloe nahm wieder einen Schluck, genoss die Wärme, die sich in ihrem Magen ausbreitete.

„Komm, lass mich dir den Mantel abnehmen.“ Brads raue Stimme holte sie aus ihrer Versunkenheit.

„Nein!“ Sie packte den Gürtel. „M…mir ist immer noch kalt.“

Was sollte sie tun? Wenn sie hier über Nacht blieb, würde er bald merken, dass sie unter dem Mantel nicht viel anhatte. Sie könnte sich auf Brads Sofa zusammenrollen, unter einer Decke. Der Gedanke weckte die Erinnerung daran, wie sie im Hotelzimmerbett lag, und sie konnte einen leisen Laut, halb hysterisches Lachen, halb Weinen, nicht ganz unterdrücken.

„Okay.“ Er richtete sich auf. „Erzählst du mir, was passiert ist?“

Sie wich seinem Blick aus, richtete ihn auf den anthrazitgrauen Marmorkamin. „Habe ich doch schon. Mein Hotel war überbucht. In meinem Zimmer waren … Leute.“

Ihre Fantasie schämte sich nicht, ihr vorzugaukeln, was diese „Leute“ dort gerade taten.

Falls Travis nicht schnarchend eingeschlafen war wie an den Abenden, wenn er zu viel getrunken hatte. Ihre Hochzeitsnacht war eine Katastrophe gewesen. Und die Nächte danach auch. Chloe hatte mitgelacht, wenn ihre Freundinnen kichernd berichteten, wie oft sie hintereinander „ihr-wisst-schon-was“ in ihren Flitterwochen getan hätten. Insgeheim fragte sie sich jedoch, ob mit ihr irgendetwas nicht stimmte.

Travis war unzufrieden mit ihr, das merkte sie deutlich. Also zwang sie sich, im Bett alles mitzumachen, in der Hoffnung, dass es irgendwann besser würde. Mit dem Erfolg, dass Travis anfing, abends länger zu arbeiten. Um für unsere Zukunft zu sorgen, sagte er. Sie hatte nicht gewusst, dass ihre Eltern zu seinen wichtigsten Kunden gehörten, bis sie eines Tages entsprechende Unterlagen auf seinem Schreibtisch fand. Anscheinend hatten sie ihm saftige Honorare dafür gezahlt, dass er sie in Investmentfragen beriet.

Wie es wirklich um ihre Ehe bestellt war, merkte sie allerdings erst, als sie von ihrer Nachtschicht wegen einer fiebrigen Erkältung frühzeitig nach Hause kam. Aus dem Schlafzimmer drangen schrille Schreie, und sie rannte mit klopfendem Herzen nach oben.

Travis lag nackt mit einer anderen im Bett, ihrem Ehebett. Er auf dem Rücken und sie rittlings auf ihm. Natürlich hatte er Chloe wortreich um Verzeihung gebeten, gesagt, es sei ein Fehler gewesen, und ihr versprochen, dass es nie wieder vorkommen würde.

Sollte sie ihn verlassen? Bei ihm bleiben?

Chloe beschloss, um ihre Ehe zu kämpften. Acht lange Monate versuchte sie, in ihm den Funken wiederzuerwecken, der sie damals zusammengeführt hatte. Und heute hatte sie zu dem letzten Mittel gegriffen, das ihr eingefallen war. Sie würde ihn verführen.

Aber Travis brauchte nicht verführt zu werden.

Travis brauchte eine andere Frau oder gleich mehrere. Aber nicht sie. Das war die bittere Wahrheit. Chloe setzte das Whiskeyglas an den Mund und trank einen großen Schluck.

„Hey.“ Das sanft gemurmelte Wort holte sie aus ihrem Jammertal. „Soll ich Jason anrufen?“

Sie hatte Mühe, das attraktive Männergesicht in ihrem Blickfeld zu fixieren. „Bitte nicht. Er macht sich nur Sorgen.“

„Das sollte er auch.“ Brad deutete mit dem Kopf auf ihre Füße. „Wo sind deine Schuhe, Chloe?“

Verflixt, warum hatte sie sich keine plausible Erklärung zurechtgelegt?

Weil es keine gab – außer der Wahrheit. Und damit konnte sie nicht herausrücken, unmöglich.

Wie war sie nur auf die blödsinnige Idee gekommen, den Vamp zu spielen? Wen konnte sie schon verführen? Bestimmt nicht ihren Ehemann, im Bett ein ruppiger, fordernder Kerl, bei dem sie sich hinterher benutzt und unfähig gefühlt hatte. Allerdings war sie ziemlich sicher, dass die Frau in ihrem Ehebett nicht vor Schmerzen geschrien hatte. An ihrem Mann konnte es also nicht liegen.

Frigide. Das schreckliche Wort hallte in ihren Ohren wider, trieb ein Schaudern durch ihren Körper. Chloe hob ihr Glas. Es war leer.

Sie streckte die Hand aus.

„Ich glaube nicht, dass …“, begann Brad.

„Bitte“, flüsterte sie, und er verstummte, stand auf, ging zur Bar und griff nach der Kristallkaraffe mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Ihr fiel auf, dass er sich nichts nachschenkte.

Brad reichte ihr das Glas und setzte sich wieder auf den Hocker.

Unbeholfen zuckte sie mit den Schultern. „Falls du was vorhattest, lass dich durch mich nicht stören.“ Beim letzten Wort entfuhr ihr ein albernes Kichern, und sie schlug die Hand vor den Mund. „Ups, entschuldige. Ich habe lange nichts getrunken.“ Sie hatte sich nie etwas aus Alkohol gemacht. Aber es war schon faszinierend, wie gut er den Schmerz betäubte.

Sie könnte sich daran gewöhnen …

Brad ignorierte ihre Bemerkung. „Deine Schuhe?“

Ach ja, richtig. Er wollte wissen, was sie mit ihren dummen Schuhen gemacht hatte.

„Hab sie dagelassen, zusammen mit meinen kleinen Fußfesseln.“ Der Klunker in ihrem Verlobungsring war allerdings nicht gerade klein gewesen. Wahrscheinlich hatte ihn ihr Daddy mit seinem Investmenthonorar bezahlt. Der Gedanke brachte sie wieder zum Lachen.

Brad legte seine Hand auf ihre, und seine Finger wärmten sie wie ein Kaminfeuer an einem eisigen Winterabend. Wie der Whiskey in ihrem Magen. Doch als sie das Glas heben wollte, um zu trinken, gelang es ihr nicht.

„Hey!“ Sie versuchte, ihm ihre Hand zu entwinden.

„Ich finde, du hast genug für heute.“

„Oh nein. Noch längst nicht.“ Ihr Kopf fühlte sich an wie eine komische Blume, die welker und schlaffer wurde, vornübersank, immer tiefer, weil sie nicht gegossen wurde …

Chloe fuhr hoch, als sie mit der Stirn Brads muskulösen Arm berührte. Eine seltsame Lethargie hatte sie befallen, und am liebsten hätte sie den Kopf wieder sinken lassen.

Behutsame, warme Finger entwanden ihr das Glas und stellten es auf den Holzfußboden. Als ihr Kopf … die Blume … wieder zu welken begann, spürte Chloe plötzlich starke Arme. Sie wurde hochgehoben, hatte das Gefühl zu schweben wie diese willenlosen Frauen in den Horrorfilmen, die von einem Dämon besessen waren.

Ihr Dämon sprach mit rauer, tiefer Stimme, genau wie in den Filmen, aber er klang nicht bedrohlich. Sein warmer Atem streichelte ihre Haut. Sie sog ihn tief ein in der beruhigenden Gewissheit, dass sie in Sicherheit war. Vor allen anderen bösen Geistern. Auch vor Travis. Chloe seufzte schwer, schmiegte sich an die breite Brust, die sie spürte, und ließ sich in die watteweiche Wolke sinken, die alles zudeckte.

Brad stieß die Schlafzimmertür auf, froh darüber, dass Katrina und er keine Zeit mehr gehabt hatten, das breite Bett zu benutzen … wie er es heute Nacht vorgehabt hatte. Er ließ Chloe vorsichtig auf die tabakbraune Seidenüberdecke gleiten und betrachtete sie unschlüssig. Das Gästezimmer war seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt worden. Wahrscheinlich war das Bett nicht einmal bezogen.

Während er sie ansah, berührten ihn Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit. Wie sie zu dritt im Swimmingpool der Jenkins’ herumtollten, die jüngere Chloe in die Luft warfen, die kreischend vor Vergnügen wieder ins Wasser platschte, schnell wieder auftauchte und mehr davon wollte.

Er dachte auch daran, wie peinlich es ihm gewesen war, als Jasons Eltern ihn von der Polizei abgeholt hatten. Damals war er achtzehn gewesen und hatte schon vom Leben die Nase voll gehabt. Sein Versuch, dem auf seinem Motorrad ein Ende zu setzen, war kläglich gescheitert, weil die blöde Maschine auf unbefestigter Straße unter ihm weggerutscht war, bevor er die Geschwindigkeit voll aufdrehen konnte. Als er die Augen aufschlug – noch immer sehr lebendig – war sein erster Gedanke, dass seine Eltern recht hatten: Er bekam nichts auf die Reihe.

Die Jenkins’ hatten ihn an dem Abend mit zu sich nach Hause genommen.

Brad sah wieder Chloe vor sich, als er damals durch die Tür kam, mit Hautabschürfungen auf einer Wange und am rechten Arm. Wie sie ihn entsetzt angestarrt und die Hände vor den Mund geschlagen hatte.

Ihr Blick hatte ihm die unerwartete Erkenntnis gebracht, dass es einen Menschen gab, dem er mit seinem Abgang wehgetan hätte. Seine Eltern hatten nur verächtlich die Nase gerümpft und sein Motorrad in die Reparaturwerkstatt bringen lassen. Sie hatten eine andere Art, ihre Missbilligung zum Ausdruck zu bringen – eine verschlossene Tür war eine mächtige Waffe.

Ja, Chloe Jenkins und er hatten schon einiges miteinander erlebt.

Aber nie, nicht einmal in seinen kühnsten Träumen, hatte er sie sich in seinem Bett vorgestellt. Okay, ein Mal. Und er verdammte sich bis in alle Ewigkeit dafür, dass er sich damals vorgestellt hatte, ihr das Brautkleid auszuziehen und ihre süße Unschuld ganz für sich zu haben.

Brad schüttelte die Erinnerungen ab und wollte Chloe schon zudecken, als ihm auffiel, dass ihr Mantel immer noch nass war. Es war besser, wenn sie nicht darin schlief, vor allem, weil sie schon gezittert hatte, als sie in seine Wohnung kam. Es war Spätfrühling in New York und damit warm und schwül. Aber Chloe schien zu frieren. Gerade deshalb hatte er ihr überhaupt Whiskey angeboten.

Was die Haare betraf, feuchte rotblonde Strähnen, die musste er so lassen, aber er konnte ihr wenigstens den Mantel ausziehen.

Es war nicht einfach, den Knoten zu lösen. Warum hatte sie den Gürtel so festgezurrt? Schließlich gelang es ihm, und er schlug den Mantel auf.

Brad schnappte nach Luft.

Unter dem Mantel war sie buchstäblich nackt. Das schwarze Negligé zählte nicht als Kleidungsstück, und das knappe Höschen darunter auch nicht. Wie ein zarter Schleier umhüllten hauchdünne Spitze und der durchsichtige Stoff ihren sinnlichen Körper.

Er wollte den Mantel schnell wieder schließen und kämpfte gleichzeitig mit dem Verlangen, sie ausgiebig zu betrachten. Die Vernunft siegte, und Brad drehte Chloe auf die Seite, um ihr den nassen Trenchcoat auszuziehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, so durch New York zu spazieren?

Sie war immer die Vorsichtige gewesen. Hatte sich nie überwinden können, bei ihm auf dem Motorrad mitzufahren, auch nicht, als er längst nicht mehr wie ein Verrückter durch die Gegend heizte.

Und jetzt war sie hier, in seiner Wohnung. Lag aufreizend und sexy auf seinem Bett wie eine dieser Männerfantasien. Aber bestimmt war sie nicht hergekommen, um ihn zu verführen.

Wen dann?

Er dachte an die verwischte Wimperntusche, den gehetzten Ausdruck in ihren Augen. Und plötzlich passte alles ins Bild. Jasons Bemerkung über seinen Schwager bekam eine neue Bedeutung. Dass Chloe sich zwar nie über ihre Ehe beklagt hätte, aber Jason davon überzeugt war, dass da etwas nicht stimmte. Und zwar schon lange. Travis schien ständig unterwegs zu sein und Chloe immer öfter allein zu Haus.

Brad zog die Bettdecke über sie. Er würde jede Wette eingehen, dass Travis auch in New York war, in einem Hotelzimmer, wo auch Chloes Schuhe lagen. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie in die Stadt gekommen war – und was sie bei ihrer Ankunft vorgefunden hatte. Mit wachsendem Unmut betrachtete er die dunklen Ringe unter ihren geschlossenen Lidern, die leichte Schwellung an ihrer Unterlippe.

Verdammter Kerl, er hat ihr wehgetan.

Dafür sollte Travis Maroni bezahlen!

2. KAPITEL

„Ich habe heute Morgen einen Anruf bekommen. Er sucht nach ihr.“

Jason klang besorgt, als er Brad auf dem Handy anrief. Brad sah von den Unterlagen, die er gerade studiert hatte, auf. Seine neueste Patientin war fünfunddreißig Jahre alt, und beim Ultraschall war bei ihrem Baby ein Herzschaden festgestellt worden. In der Gebärmutter war das Kind sicher, aber es würde sofort nach der Geburt sterben, wenn nicht etwas unternommen wurde.

Und zur Krönung hatte er bei Dienstbeginn auf seinem Schreibtisch ein knappes Kündigungsschreiben von Katrina vorgefunden – seiner Verabredung gestern Abend. Anscheinend hatte sie es ihm sehr übel genommen, dass er sie aus der Wohnung hi­nauskomplimentiert hatte.

Leider bedeutete das auch, dass sie jetzt auf der Station unterbesetzt waren.

Das hatte er nun davon, dass er sich mit einer Mitarbeiterin eingelassen hatte. Lass dir das eine Lehre sein!

„Brad, bist du noch dran?“

„Ja, klar. Entschuldige, ich war in Gedanken. Es ging ihr nicht gut, deshalb hatte ich dich angerufen.“

Autor

Tina Beckett
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