Romana Jubiläum Band 4

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AMRAH - REICH DES WÜSTENPRINZEN von OAKLEY, NATASHA
In seinem Wüstenreich eine Doku über ihre Ururgroßmutter drehen dürfen: Mehr will Polly nicht von Scheich Rashid. Doch ein Blick in die blauen Augen des Herrschers von Amrah - und die hübsche Filmemacherin wird in das romantischste Abenteuer ihres Lebens hineingezogen!

WIE EIN MÄRCHEN AUS 1001 NACHT von RYDER, ALEX
... ist das Leben für Janene, als sie eines Morgens im marokkanischen Palast des feurigen Kassim erwacht. Verzückt genießt sie die Schönheit des Landes - und die orientalischen Nächte in Kassims Armen. Aber kann eine Liebe, die mit einer Entführung begann, für immer sein?

GEBORGEN IN DEN ARMEN DES SCHEICHS von FIELDING, LIZ
Lydia winkt ein Luxusurlaub - wenn sie sich als Lady Rose ausgibt und die Paparazzi von der Adligen ablenkt! Ein Kinderspiel, findet Profi-Double Lydia - bis sie sich in Kalil al-Zaki verliebt, der vor Ort für ihre Sicherheit sorgt. Denn auch der Wüstenprinz hält sie für die andere …


  • Erscheinungstag 09.12.2016
  • Bandnummer 0004
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743925
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natasha Oakley, Alex Ryder, Liz Fielding

ROMANA JUBILÄUM BAND 4

1. KAPITEL

„Müsste ich ihn kennen?“ Polly Anderson zog das große Foto zu sich heran und hielt es sich so dicht vor die Augen, als wäre sie kurzsichtig.

„Brauchst du vielleicht eine Brille?“, spottete ihre Freundin.

„Unsinn“, sagte Polly und trank einen Schluck heißen Tee. „Ich habe mal wieder zu wenig geschlafen und das Gefühl, Sand in den Augen zu haben.“

Sie setzte die blau-weiß gestreifte Tasse ab. „Diesem Mann bin ich bestimmt noch nie begegnet. Meines Erachtens gehört er nicht zu den Scheichen, mit denen Anthony gewöhnlich Geschäfte macht.“

„Weil er nicht dick und alt ist?“

„Genau.“

Minty lachte auf und präsentierte der Freundin ein zweites Foto. „Hier ist er ohne Turban. Ein gefährlich attraktiver Mann, oder?“

„Hm.“ Geradezu atemberaubend attraktiv, wie Polly fand. Vor allem seine Augen faszinierten sie. Überraschenderweise waren sie tiefblau, was für einen Araber äußerst ungewöhnlich war und auf sie irgendwie fremdartig und gleichzeitig vertraut wirkte. Und unglaublich sexy. Sie riefen in ihr Gefühle und Empfindungen wach, die sie bisher nicht verspürt hatte. Zumindest nicht so.

Polly lächelte. Vielleicht verband sie mit ihrer skandalumwitterten Ururgroßmutter mehr, als sie vermutet hatte. Der Gedanke war aufregend, aber gewiss keiner, dem sie ernsthaft nachhängen sollte. „Und wer ist das?“ Polly sah Minty fragend an.

„Sein offizieller Titel lautet Prinz Rashid bin Khalid bin Abdullah Al Baha. Hier im Westen nennt man ihn kurz Scheich Rashid Al Baha. Er ist neunundzwanzig Jahre alt, einen Meter neunzig groß, ledig, passionierter Reiter und sagenhaft reich.“ Minty beugte sich vor. „Und alles in allem verdammt sexy.“

Polly musste lachen. „Klingt so, als wärst du kein bisschen interessiert.“

„Natürlich nicht. Mehr als eine Augenweide kann der Mann für mich nicht sein. Er ist der zweitälteste Sohn von Kronprinz Khalid und das einzige Kind, das dieser mit seiner englischen Ehefrau …“

„Dann habe ich schon von ihm gehört“, unterbrach Polly ihre Freundin. „Er ist in Amrah als ausgesprochener Playboy bekannt, stimmt’s?“

Minty nickte. „Genau. Doch wirklich zu interessieren scheint ihn nur seine Pferdezucht. In der Branche gilt er als ein ganz Großer. Deshalb dachte ich, dass du ihn durch deinen schmierigen Stiefbruder vielleicht kennengelernt haben könntest. Na, macht nichts. Wir schaffen es auch so.“

Polly nahm noch einmal das erste Foto in die Hand, das den Mann im langen weißen Gewand sowie der traditionellen Kopfbedeckung zeigte. Minty hatte recht. Prinz Rashid bin Soundso war wirklich sexy. Wenn sie ihn jemals auf Shelton gesehen hätte, würde sie sich daran erinnern.

Sie kniff die Augen zusammen. „Ich entsinne mich an zwei Männer aus Amrah, die viel älter als dieser Typ und wohl kaum Scheichs waren. Anthony hat sie kein bisschen hofiert. Wenn es dir hilft, kann ich ihre Namen herausfinden.“

Minty schüttelte den Kopf und bückte sich nach dem Aktenordner, der an ihrem Stuhlbein lehnte. „Nicht nötig. Weil wir jedoch gerade dabei sind, könnten wir uns noch seinen älteren Bruder ansehen“, sagte sie und zog ein weiteres Bild hervor. „Dies ist Prinz Hanif bin Khalid bin Abdullah Al Baha, kurz Scheich Hanif Al Baha genannt. Vielleicht sollten wir uns an ihn wenden, solange der Kronprinz so krank ist.“

Wie unterschiedlich die beiden Brüder aussahen! Scheich Hanif strahlte vor allem Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein aus. Er schien einen gradlinigen Charakter zu haben, zu dem der traurige Ausdruck in seinen Augen im Gegensatz stand.

Rashid dagegen wirkte ganz anders. Seine Gesichtszüge verrieten eine gewisse Ruhelosigkeit und gefährliche Reizbarkeit. Polly seufzte. Böse Kerle waren leider meist die attraktiveren. „Beide habe ich ganz sicher noch nie auf Shelton gesehen.“

Minty blätterte stöhnend in ihrem Notizbuch. „Diese schrecklichen Namen! Ihr Vater, der Kronprinz, heißt Khalid bin Abdullah bin Abdul-Aalee Al Baha.“

„‚Bin‘ heißt Sohn von“, erklärte Polly und umfasste ihre warme Teetasse. „‚Baha‘ ist der Name des Stammes, dem die Verwandten des Königshauses angehören.“

„Trotzdem werde ich mir keinen dieser Namen merken können.“ Minty rieb sich die Schläfen. „Muss ich auch nicht, und du musst es auch nicht. Denk nur daran, dass du immer schön deine Haare und Schultern bedeckst und keine kurzen Röcke trägst, während du in Amrah bist. Dann wird schon nichts schiefgehen.“

„Das werde ich beherzigen.“ Polly streckte ihre langen Beine aus, die in hauchdünnen Strümpfen steckten. „Schade nur, dass ich gerade das Hübscheste an mir verstecken muss.“

„Stimmt. Es ist aber besser, als wegen unmoralischen Verhaltens in der Öffentlichkeit eingesperrt zu werden.“

„Sind sie dort wirklich so gnadenlos streng?“

„Keine Ahnung. Geh lieber auf Nummer sicher.“ Minty lachte auf. „Mach nicht so ein Gesicht. Du hast nichts zu befürchten. Ich stelle dir ein erfahrenes Team zur Seite.“

Polly nickte, obwohl sie nicht wirklich beruhigt war.

„Und der Historiker Matthew Wriggley, den ich engagiert habe, ist dabei, hochinteressantes Material über deine Ahnin Elizabeth Lewis zusammenzustellen. Du wirst begeistert sein.“ Sie begann, ihre Unterlagen in der Aktentasche zu verstauen. „Sorgen macht mir allerdings die Genehmigung zum Drehen. Ich fürchte, sie ist irgendwo in der Bürokratie stecken geblieben. Seit der Kronprinz krank geworden ist, scheinen in Amrah die Räder stillzustehen.“

Polly schwieg, trank erneut einen Schluck Tee und sah die Freundin erwartungsvoll an. Sie kannte Minty seit neun Jahren und wusste, dass diese noch nicht alles gesagt hatte.

„Wenn wir nicht bald die Genehmigung bekommen, werden wir das günstige Wetter verpassen. Deshalb musst du Scheich Rashid um Hilfe bitten und ihn davon überzeugen, dass wir mit unserem Film nichts Böses verfolgen.“

Polly runzelte die Stirn. „Sagtest du nicht, wir sollten uns an den ältesten Sohn des kranken Kronprinzen wenden?“

„Das wäre der offizielle Weg, denn er ist die rechte Hand seines Vaters. Es ist zurzeit jedoch vollkommen unmöglich, mit ihm Kontakt aufzunehmen.“

„Warum denn?“

„Weil er offenbar Tag und Nacht am Krankenbett seines Vaters sitzt. Es geht nur über Scheich Rashid …“

„Aha.“

„… von dem man weiß, dass er eine Schwäche für englische Blondinen hat.“

„Was für ein glücklicher Zufall.“

„Finde ich auch.“ Minty tat Süßstoff in ihren Tee. „Noch besser ist aber, dass er am kommenden Wochenende zu dem großen Wohltätigkeitsball bei euch auf Shelton erwartet wird. Deshalb müssen uns die Gründe, warum er nicht wie sein Bruder bei seinem Vater ist, herzlich wenig interessieren.“

Polly schüttelte den Kopf. „Sein Name steht nicht auf der Gästeliste.“

„Mag sein. Er kommt trotzdem. Und zwar in Begleitung des Duke of Aylesbury, der für weitere sechs Gäste hat reservieren lassen.“

„Woher zum Teufel weißt du, dass darunter der Scheich ist, wenn selbst ich davon keine Kenntnis habe?“

Minty machte ein unschuldiges Gesicht und zuckte die Schultern. „Auf einer langweiligen Dinnerparty habe ich neben einem betrunkenen und redseligen Ehemaligen aus Eton gesessen.“ Sie rührte ihren Tee um. „Kurzum: Hanif hat dort mit dem Duke of Aylesbury studiert, und die Freundschaft scheint sich auf den jüngeren Bruder ausgeweitet zu haben. Keine Ahnung, weshalb Rashid nach Shelton kommt, aber er wird dort erscheinen.“

Erstaunt schaute Polly ihre Freundin an.

„Es könnte das leidige Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen, wenn du deinen Charme als Schlossherrin spielen ließest und …“

„Wie bitte?“

Minty sah Polly an und lachte. „Du weißt schon, was ich meine. Zieh alle Register. Zeig ihm den Rembrandt oder etwas Ähnliches. Sprich über deine Mutter, die verwitwete Duchess, klimpere mit den Wimpern, und erwähne bloß nicht, dass du das Aschenputtel auf dem Schloss bist. Er wird dir zu Füßen liegen und uns die Drehgenehmigung …“ Irritiert schaute sie sich plötzlich um. „Was ist das für ein Geräusch?“

„Entschuldigung. Mein Handy. Ich habe vergessen, es auszustellen.“ Und schon hatte Polly sich hinuntergebeugt, um es aus ihrer Tasche zu fischen. Zu spät.

„Das war Anthony.“ Polly schaltete das Telefon aus. „Ich werde ihn nachher zurückrufen.“

„Gute Idee. Lass ihn ruhig schmoren. Es wird Zeit, dass er allein mit allem klarkommt.“

Polly rang sich ein kleines Lächeln ab. Nur aus Treue zu ihrem verstorbenen Stiefvater hielt sie sich zurück, wenn andere über Anthony schimpften.

„Wie lange ist Richard jetzt eigentlich schon tot?“, fragte Minty unvermittelt.

„Fast drei Jahre.“ Noch vier Monate und meine Mutter wird länger Witwe sein, als sie Richards Ehefrau war, dachte Polly. Unglaublich. Es war so viel geschehen seitdem.

„Eigentlich auch für Anthony lange genug, um in die Verantwortung hineingewachsen zu sein.“

Pollys Stiefbruder dachte nicht im Traum daran, Pflichten zu übernehmen.

„Und wenn seine Frau sich bequemen könnte, ihren Teil dazu beizutragen, wäre es auch nicht schlecht.“

„Sobald ich fort bin, müssen die beiden allein zurechtkommen!“

„Wir brauchen also dringend die Drehgenehmigung.“

„Ja“, sagte Polly schicksalergeben.

„Gut, dann versuch es auf deine Weise.“

„Mach ich.“ Polly wurde es schwer ums Herz bei dem Gedanken, Shelton zu verlassen, ohne es in guten Händen zu wissen.

Es gab dort so unendlich viel zu tun. Wer, wenn nicht sie, würde beispielsweise das Feuerwerks-Dinner organisieren oder den Ball am Valentinstag oder die Handwerksmesse, die jedes Jahr zu Ostern stattfand?

Alle diese Veranstaltungen waren wichtige Einkommensquellen, um Schloss Shelton in Familienbesitz zu halten. Warum das ausgerechnet ihr so am Herzen lag, wunderte Polly selbst immer wieder. Anthony müsste das doch viel mehr interessieren. Schließlich war er der Erbe des Besitzes. Er besaß das Privileg und die Pflicht, es für seine künftigen Kinder und Enkel zu bewahren.

Doch nicht er, sondern sie sah in Shelton eine Lebensaufgabe. Wenn sich daran nicht bald etwas änderte und sie nicht ihrer eigenen Wege ging, würde sie irgendwann mit leeren Händen dastehen.

Minty sah sie streng an. „Wir haben vereinbart, dass du Shelton verlässt.“

Ja, das hatten sie.

„Über kurz oder lang brauchst du eine Arbeit, für die du anständig bezahlt wirst“, erinnerte Minty sie.

Das stimmte. Polly musste ihr recht geben, obwohl das Gefühl ihr etwas ganz anderes sagte.

„Du hast weder Ersparnisse noch Einkünfte. Sogar eine solide Berufsaufbildung fehlt dir. Und du bist siebenundzwanzig.“

„Ja, ich weiß.“ Polly zerbrach sich zwar selten den Kopf darüber, doch ihr war bewusst, dass sie schon viel zu lange zögerte, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen.

Die Reise nach Amrah brachte vielleicht eine Lösung. Jedenfalls war sie der erste wirkliche Versuch, die Nabelschnur, die sie mit dem Schloss verband, zu durchtrennen.

„Gut. Dann sei nett zu Scheich Rashid, und ich sorge dafür, dass du vierundzwanzig Stunden nach Erhalt der Drehgenehmigung im Flugzeug sitzt.“

Sie sollte nett zu Scheich Rashid sein? Das war leichter gesagt als getan. An den Mann kam ja niemand heran. Um ihn unauffällig aus der Nähe beobachten zu können, flüchtete sich Polly hinter ein großes, extravagantes Blumenarrangement.

Statt wenigstens hin und wieder zu tanzen, saß der Prinz mit ausgestreckten Beinen und gelangweiltem Gesichtsausdruck am Tisch. Polly fand sein Benehmen hochmütig und unhöflich, ja geradezu ungezogen.

Keiner der Frauen, selbst wenn sie aussahen, als wären sie einem James-Bond-Film entsprungen, schenkte er die geringste Beachtung. Teilnahmslos nahm er es hin, umworben zu werden. Offenbar war er es gewohnt, überall, wo er auftauchte, im Mittelpunkt weiblichen Interesses zu stehen. Empörend!

Sosehr sein Verhalten Polly ärgerte, so wenig Verständnis hatte sie für seine Verehrerinnen. Gerade weil sie Herabsetzungen aller Art nur allzu gut kannte und die, übersehen zu werden, besonders erniedrigend fand, hielt sie einen würdevollen Rückzug für die einzig angemessene Antwort. Doch ihre Geschlechtsgenossinnen unternahmen aberwitzige Anstrengungen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie spielten sich auf, lächelten um die Wette und lachten zu laut.

All das machte es Polly völlig unmöglich, Mintys schlauen Plan auszuführen. Also blieb sie in ihrem Versteck und zermarterte sich den Kopf, was sie unternehmen könnte.

Minty würde sich gewiss einen Weg durch den Ballsaal bahnen, um mit einer Handbewegung alle Konkurrentinnen wie lästige Fliegen zu verscheuchen. Doch Polly war anders als ihre Freundin.

Außerdem hätte sie den Scheich auch unter günstigeren Umständen nur ungern angesprochen, denn mehr noch als auf den Fotos, die sie von ihm gesehen hatte, machte er in natura den Eindruck eines gefährlichen Frauenhelden.

Alles an ihm schüchterte sie ein. Er war zu groß, zu gut aussehend, zu selbstsicher, zu anziehend, zu kräftig. Er wirkte wie jemand, der mit der bloßen Hand Nüsse knacken konnte und nicht lange zögerte, auch Menschen zu zermalmen, falls er es für nötig hielt. Nach dem, was sie gelesen hatte, waren seine männlichen Vorfahren alle aus demselben Holz geschnitzt gewesen. Jahrhunderte dauernde Stammesfehden, Zeiten von Kolonialherrschaft und kriegerischen Aufständen hatten Amrah zu dem gemacht, was es heute war. Das musste auch seine Herrscher geformt haben.

Der Gedanke, dass ihre Ururgroßmutter eine, wenn auch unbedeutende Rolle in der Geschichte des Landes gespielt hatte, befremdete Polly immer mehr.

„Stimmt etwas nicht?“

Polly drehte sich zu ihrer Mutter um, die im Rollstuhl auf sie zugekommen war. „Nein, warum fragst du?“

„Du runzelst die Stirn, und ich habe mich gefragt, ob irgendetwas schiefgegangen ist.“

„Nein. Nichts, soweit ich weiß.“ Polly lächelte und stellte ihr volles Champagnerglas auf der Fensterbank ab. „Aber ich sollte vielleicht aufhören, etwas Derartiges zu befürchten.“

„Du hast wieder einmal alles perfekt vorbereitet. Das wollte ich dir sagen.“ Die Duchess griff nach Pollys Hand. „Anthony ahnt überhaupt nicht, wie viel Arbeit so ein Fest macht, aber ich weiß es. Du bist ein Organisationstalent.“

„Danke.“ Polly beugte sich hinunter und gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. „Hast du alles, was du brauchst? Soll ich dir einen Drink holen?“

Die verwitwete Duchess lachte. „Um Himmels willen. Willst du, dass ich die Gewalt über meinen Rollstuhl verliere und die Gäste anfahre? Geh du nur deiner Wege.“

„Wenn du dich zurückziehen möchtest, lass mich rufen“, sagte Polly.

„Mach meinetwegen bitte keine Umstände. Ich komme allein zurecht. Nur eine Frage noch, weißt du, wer der Mann dort ist? Den habe ich noch nie hier gesehen.“

Polly folgte dem Blick ihrer Mutter. „Der am Tisch des Duke of Aylesbury? Der unter dem Gemälde sitzt? Das ist …“ Sie verstummte unvermittelt, denn er schaute in diesem Moment in ihre Richtung und ihr in die Augen.

Wie peinlich! Wahrscheinlich hatte er gemerkt, dass sie ihn beobachtete. Trotzig richtete sie sich gerade auf, setzte ihr Gastgeberinnen-Lächeln auf und unterdrückte den Impuls zu prüfen, ob ihre Frisur noch saß.

Plötzlich beugte er sich zur Seite und sagte etwas zum Duke of Aylesbury, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Tapfer hob sie das Kinn.

Was war nur mit ihr los? Hatte sie etwa Angst? Was für ein Unsinn!

„Er sieht verärgert aus“, sagte ihre Mutter.

„Das ist Prinz Rashid bin Khalid bin Abdullah Al Baha.“ Der ellenlange Name kam Polly leicht über die Lippen, und erstaunlicherweise zitterte ihre Stimme nicht einmal dabei. Dann sah sie ihre Mutter an. „Warum glaubst du, dass er es ist?“

„Das weiß ich nicht. Vielleicht weil seine Miene so viel Kompromisslosigkeit ausdrückt. Ich hoffe nur, Anthony versucht nicht, Geschäfte mit ihm zu machen. Er würde gewiss den Kürzeren ziehen“, erwiderte ihre Mutter und setzte dann den Rollstuhl in Gang.

Polly sah ihr einen Moment lang nach, vermied es dabei jedoch tunlichst, zum Prinzen von Amrah hinüberzuschauen, und eilte dann zur Galerie. Dabei meinte sie den bohrenden Blick des Scheichs im Rücken zu spüren und fürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren. Die Koordination von Armen und Beinen fiel ihr plötzlich schwer, und sie wusste nicht wohin mit ihren Händen. Seit der Pubertät hatte sie sich nicht mehr so sehr auf dem Präsentierteller gefühlt.

Vor Erleichterung seufzend öffnete sie schließlich die Tür zur Bibliothek und rieb sich die Arme, die eine Gänsehaut bekommen hatten. Was war nur los mit ihr? Sie hatte doch in den vergangenen sechs Jahren gelernt, sich vor solchen hochnäsigen Menschen zu schützen. Sollten sie ruhig auf sie herabsehen! Es berührte sie nicht. Sie konnten ihr nichts anhaben, solange sie es nicht zuließ.

Doch …

Irgendwie verfehlten ihre Überlegungen diesmal die gewohnte Wirkung. Da war etwas. Etwas, das sie nicht recht fassen konnte. Doch irgendetwas sagte ihr, dass Scheich Rashids Verstimmung nichts mit ihrer bürgerlichen Herkunft zu tun hatte.

Nein, sein Blick hatte etwas anderes ausgedrückt. Er hatte sie angesehen, als wäre sie …

Himmel, warum fiel ihr das Wort nicht ein? Er hatte sie angeschaut, als wäre sie seine Feindin. Ja, so war es gewesen. Und so, als hätte er nur mit Mühe seinen Ärger unterdrücken können.

Polly schüttelte den Kopf. Ihr Eindruck war lächerlich. Hatten ihr sein dunkles Haar, die bronzebraune Haut und die leuchtend blauen Augen den gesunden Menschenverstand geraubt? Sie kannte ihn doch gar nicht und er sie auch nicht.

Oder verband er mit ihrem Gesicht ihren Antrag, in Amrah drehen zu dürfen, weil er in diesem Zusammenhang ein Foto von ihr gesehen hatte? War das eine Erklärung? Wohl kaum. Wenn er etwas dagegen hatte, konnte er dem Team die Einreise verwehren, und Minty wäre machtlos dagegen. Es gibt also keinen Grund für ihn, irgendeinen feindseligen Gedanken an mich zu verschwenden, überlegte Polly.

Für sie sah die Sache allerdings anders aus. Was sollte sie tun, wenn Scheich Rashid das Projekt zum Scheitern brachte? Würde sie es jemals schaffen, Shelton zu verlassen und ihr Leben zu verändern?

Der Geruch von Leder, Möbelpolitur und alten Büchern stieg ihr in die Nase. Diesen Raum des Schlosses liebte sie besonders.

„Alles in Ordnung, Miss Polly?“ Der alte Butler ihres Stiefvaters kam auf sie zu.

„Ja, ich will mich nur vergewissern, ob alle Vorbereitungen für das Feuerwerk getroffen sind.“

„Die Pyrotechniker halten sich bereit.“ Sein Blick verriet keine Gefühlsregung.

Polly lächelte und raffte den Rock ihres leuchtend blauen Abendkleides. „Dann haben wir es fast geschafft. Wenn es nicht doch noch zu regnen anfängt, geht es pünktlich um Mitternacht los.“

„Ja, Miss Polly.“

Miss Polly. Sie mochte es, wie Henry Phillips sie ansprach. Damit drückte er zartfühlend aus, dass sie zwar irgendwie zur herzoglichen Familie gehörte, aber eben doch nicht ganz. Sie würde immer die Tochter der Haushälterin bleiben, die der vierzehnte Duke of Missenden nur ein paar Jahre vor seinem Tod geheiratet hatte.

An der besonderen Beziehung zwischen ihr und dem Butler hatte sich kaum etwas geändert, seit sie so etwas wie ein Mitglied der herzoglichen Familie geworden war. Weder er noch sie würden jemals vergessen, wie er sie nach dem Tod ihres leiblichen Vaters in der Küche mit heißer, gesüßter Milch getröstet hatte.

„Henry …?“ Ihr war etwas eingefallen. „Was wissen Sie über Scheich Rashid Al Baha? Er war doch noch nie auf Shelton, oder?“

„Nein.“ Der Butler lächelte, was selten geschah. „Ich nehme an, er ist der Käufer von Golden Mile.“

„Er allein?“

„Das vermute ich.“

„Dann muss der Mann reich sein.“

„Schwerreich wohl eher.“ Wieder lächelte Henry Phillips. „Aus der Portokasse hat er das Pferd bestimmt nicht bezahlt, und der Kauf wird ihn vermutlich nicht viel ärmer gemacht haben.“

„Merkwürdig. Dann hätte er doch schon früher einmal hier auf Shelton gewesen sein müssen“, sagte Polly nachdenklich.

„Wahrscheinlich hat er die Verhandlungen von Agenten führen lassen. Seiner Durchlaucht und dem anonymen Käufer von Golden Mile war an einer diskreten Transaktion gelegen.“

„Aha.“

„Warum fragen Sie, Miss Polly?“

„Ach nur so.“ Ihr war plötzlich in den Sinn gekommen, dass Rashid Al Bahas eiskalter Blick vielleicht etwas mit Anthony zu tun haben könnte. Ihr Stiefbruder verstand es, sich Feinde zu machen.

„Stimmt es, dass Anthony und der Scheich sich heute getroffen haben?“

Der Butler nickte.

„Gab es Streit?“

„Für einen Prinzen seines Kulturkreises wäre das mehr als ungewöhnlich, schätze ich. Die beiden haben sich höflich miteinander unterhalten, aber …“, Henry suchte nach dem richtigen Wort, „aber irgendwie unterkühlt.“

Unbegreiflich. Reiche Prinzen aus dem Orient behandelte Anthony gewöhnlich mit ausgesuchtem Charme. Wenn es ihm nützte, konnte er sich sehr liebenswürdig geben. Irgendetwas musste zwischen den beiden vorgefallen sein.

Vielleicht hatte Rashid Al Baha sie deshalb so durchdringend angesehen.

2. KAPITEL

Rashid bemerkte, wie seine Tischdame an ihrer Diamantenkette fingerte, und war wieder einmal schrecklich gelangweilt. Im Heimatland seiner Mutter, wo er einen Großteil seiner Erziehung genossen hatte, fühlte er sich nicht wohl, und die meisten Menschen, die er hier traf, ließen ihn kalt.

Leer und seelenlos kamen sie ihm vor. Auch das Verhalten dieser jungen Frau befremdete ihn. War ihr denn nicht klar, dass er weder sie noch eine andere ihresgleichen zur Mutter seiner Kinder wählen würde?

Wieder spielte die Brünette aufreizend mit ihrem Schmuck, um seinen Blick auf den tiefen Ausschnitt ihres Kleides zu lenken. Die Zeiten, in denen solche Avancen Reiz auf ihn ausgeübt hatten, waren noch nicht lange vorbei. Früher hatte er sich gedankenlos ins Vergnügen gestürzt und sich darüber gefreut, dass europäische Frauen die Beziehung zu einem Mann offenbar ziemlich leichtnahmen.

„Sind Sie nächste Woche in London?“

Rashid drehte das Champagnerglas zwischen den Fingern, während er die perlende Flüssigkeit betrachtete. Er hatte noch nicht weiter darüber nachgedacht, was die Mutter seiner Kinder auszeichnen sollte. Das konnte er immer noch tun. Die Angelegenheit drängte ja nicht.

Doch irgendetwas hatte sich seit Kurzem verändert. Er begann, Skrupel zu entwickeln und sich nach etwas anderem zu sehnen als oberflächlichem Vergnügen. War es nur natürlich, dass ein Mann eines Tages das Bedürfnis verspürte, sich fortzupflanzen? Sich mit der Zukunft zu beschäftigen? Nach etwas zu suchen, das über sein eigenes Leben hinausging?

War er deshalb zunehmend unzufrieden? Sehnte er sich nach einem sinnvolleren Dasein?

„Ich fahre heute noch nach London zurück.“ Die Frau legte ihm eine Hand auf den Unterarm. „Es wäre doch schön, wenn wir die Zeit bis zu Ihrer Abreise miteinander verbringen könnten.“

„Nein.“ Er hätte sich auf die Zunge beißen mögen wegen seiner schrecklichen Unhöflichkeit. Entschuldigend zuckte er die Schulter. „Sie wissen es wahrscheinlich nicht, aber mein Vater …“

Er verstummte unvermittelt. Die Ärzte taten ihr Bestes, trotzdem konnte keiner vorhersagen, wie es in den kommenden Tagen, Wochen oder Monaten weitergehen würde.

Die junge Frau beugte sich vor und berührte nun seine Hand.

Doch Rashid konnte in ihrem Gesicht keine Spur von Mitgefühl erkennen. Ihre Augen blickten vollkommen unbeteiligt.

Mit solchen Menschen mochte er sich nicht länger beschäftigen. Am liebsten wäre er aufgesprungen und verschwunden. Er brauchte Luft zum Atmen. Doch aus Höflichkeit gegenüber den Freunden seines Gastgebers musste er bleiben und Konversation treiben.

Als es mit einem Mal draußen laut krachte und die Gespräche um ihn herum schlagartig verstummten, empfand er eine große Erleichterung. Er schaute hinaus in den Garten, der sich bis zu einem künstlichen See erstreckte und wo die silbrig glitzernden Kaskaden eines Feuerwerks den Himmel erhellten.

„Oh wie hübsch!“ Seine große, superschlanke Tischdame sprang auf, beschattete mit der rechten Hand die Augen, als könnte sie so besser wahrnehmen, was draußen vor sich ging, und rief: „Oh Rashid, ist das nicht zauberhaft?“

Nach dem nächsten Knall schienen knisternd goldene Sterne vom Himmel zu fallen.

„Ich liebe Feuerwerk, Rashid.“

An seinem Tisch brach nun Unruhe aus. Auch die anderen Leute um ihn herum stießen ihre Stühle zurück. Der Duke of Aylesbury legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Kommst du auch mit nach draußen?“

Rashid schüttelte den Kopf, wohl wissend, dass er mit dem Verständnis und der Toleranz seines Freundes rechnen konnte, zumal er unter anderen Umständen jetzt gar nicht hier wäre, sondern in Amrah. Sobald sein Vater ihn zu sehen wünschte, würde er nach Hause zurückkehren und seinen Bruder unterstützen sowie aufpassen, dass nicht andere die gegenwärtig schwierige Lage für sich ausnutzten.

Mit einer einladenden Handbewegung veranlasste sein Freund die Tischrunde, ihm nach draußen zu folgen. Rashid fuhr sich erleichtert über die Stirn und ließ den Blick über die getäfelten Wände schweifen. Hier sah alles ganz anders aus als zu Hause, aber deshalb nicht weniger schön. Shelton war ein prächtiges Schloss. Es wirkte zwar ein bisschen heruntergekommen, weil die Engländer alles aufbewahrten, was alt war.

Er war hergekommen, um manche Dinge besser zu verstehen. Doch es gelang ihm nicht. In seinen Augen war der fünfzehnte Duke of Missenden und Herr von Shelton ein ehrloser und schwacher Mann, der das Schicksal verdiente, das er ihm zugedacht hatte. Wenn den Duke sein Kommen erschreckt hatte, konnte das nur gut sein.

Zwischen den in festlichem Schwarz gekleideten Männern, die sich an der Terrassentür drängten, um das Feuerwerk zu beobachten, tauchte plötzlich etwas leuchtend Blaues auf: Miss Pollyanna Anderson, die sich einen Weg durch die Menge bahnte.

Sie stellte für ihn einen Unsicherheitsfaktor dar. Wie passte sie ins Bild? In der vergangenen Nacht hatte er der Auffassung seines Freundes Glauben geschenkt, dass die verwitwete Duchess und ihre Tochter von den Söhnen des verstorbenen Dukes nicht akzeptiert wurden und deshalb als Mittäter kaum infrage kamen.

Doch diese Pollyanna wirkte so selbstbewusst. Sie beherrschte das Geschehen, und das, obwohl sie bürgerlicher Herkunft war. Das Personal folgte ohne Ausnahme ihren Anweisungen. Sie schlichtete Auseinandersetzungen, bevor sie offen ausbrachen. Rashid kam sie stark und tatkräftig vor.

Was sollte er also von ihrem Antrag, Amrah bereisen zu wollen, halten? Handelte es sich um einen Zufall? Er verzog den Mund. Und wenn es keiner war, welche Absichten verfolgte sie?

Er kniff die Augen zusammen. Wollte sie ihn zum Schweigen bringen, indem sie die Verhältnisse in seinem Land verzerrt darstellte und schlechtmachte? Oder wollte sie ihn mit ihren Reizen in eine Falle locken, um seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern?

Das konnte er sich nicht vorstellen, denn sie bewegte sich graziös und selbstsicher, aber nicht herausfordernd. Ihr schlichtes Kleid verriet Geschmack und ließ ihre blauen Augen erstrahlen, im Vergleich zu ausgefallenen Designerstücken der anderen anwesenden Frauen wirkte es jedoch dezent.

Er musste sich eingestehen, dass er sie attraktiv fand, obwohl sie sehr englisch aussah mit ihren großen blauen Augen, der hellen Alabasterhaut und dem Haar, das ihn an die Farbe von Wüstensand in der Mittagssonne erinnerte. Doch als femme fatale schätzte er sie nicht ein. Nicht einmal angesprochen hatte sie ihn. Dabei wusste sie bestimmt, wer er war.

Sie war bisher mit dem Gelingen des Abends beschäftigt gewesen. Doch jetzt verfolgte sie für einen Moment zufrieden lächelnd das Feuerwerk, rieb sich den Nacken und eilte dann zielstrebig über das polierte Parkett zu einer schmalen Tür am Ende des Raums. Seine Anwesenheit in dem fast leeren Ballsaal war ihr offensichtlich entgangen.

Rashid, der Neugier zu seinen hervorstechenden Eigenschaften zählte, konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er stand auf und ging ihr nach. Die Tür, durch die sie verschwunden war, ließ sich leicht öffnen, und er betrat einen Wohnraum, dessen Einrichtung eher museal als heimelig anmutete.

Miss Anderson entdeckte er sofort. Sie saß auf einem Brokatsofa, das im rechten Winkel zum Kamin stand. Sie streifte sich gerade die Schuhe ab, schob den Rock ihres Kleides über die Knie und rieb ihre Zehen.

Es fesselte ihn, wie sanft sie ihre Füße massierte. Und weil sie sich dabei hinunterbeugte, erhaschte er sogar einen Blick in den Ausschnitt ihres Kleides, sodass er den Ansatz ihrer vollen Brüste sehen konnte.

Er zwang sich wegzuschauen und betrachtete stattdessen ihren Nacken. Dort kringelten sich blonde Strähnen, die sich aus dem Knoten gelöst hatten. Sofort verspürte er das Verlangen, seine Lippen sanft und lange auf ihre Haut zu drücken.

Diese Frau strahlte eine natürliche Sinnlichkeit aus. Hatte er ihre Anziehungskraft unterschätzt?

„Miss Anderson, mein Name ist Rashid al Baha.“

Sie fuhr herum. „Oh“, stieß sie dann hervor.

„Entschuldigen Sie die Störung.“ Rashid trat näher.

Sofort schlüpfte sie wieder in ihre Pumps und sprang auf. „Oh nein. Das ist … Ich …“ Geschickt schob sie die losen Haarsträhnen zurück in den Knoten. „Entschuldigen Sie, brauchen Sie etwas?“

In gehörigem Abstand zu ihr blieb er stehen. „Ich bin kein großer Freund von Feuerwerken.“

„Das tut mir leid.“

Ihm entging nicht, dass sie errötete und ihr Körper für westeuropäischen Geschmack zu ausgeprägte Kurven aufwies. Obwohl sie keine Schönheit im eigentlichen Sinn war, gefiel sie ihm außerordentlich gut.

Vor Jahrhunderten hätte er diese Frau vielleicht als Vergeltung für die Sünden ihres Stiefbruders gefordert. Ein paar Wochen in Miss Pollyanna Andersons Armen könnten seinen Ärger durchaus besänftigen.

Ihre vollen, bebenden Lippen erregten ihn. Rashid biss die Zähne zusammen und zwang sich, den Blick auf das prunkvoll gerahmte Rembrandt-Gemälde über dem Kamin zu richten.

„Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen zu sprechen.“ Er schaute sie wieder an.

„Sprechen? Mit mir?“ Sie strich den Rock ihres Kleides glatt und zog damit unbewusst die Aufmerksamkeit auf ihre Rundungen.

„Ist Ihnen denn nicht klar, dass Ihre Anfrage bezüglich einer Drehgenehmigung an mich weitergeleitet werden würde?“, fragte er gereizt.

„Doch, damit haben wir gerechnet.“ Sie lächelte und reichte ihm die Hand. „Es ist wirklich freundlich von Ihnen, Hoheit, dass Sie zu einem Gespräch bereit sind.“

Die Berührung und ihr Lächeln ließen ihn schwach werden. „Bitte nennen Sie mich Rashid“, forderte er sie auf.

Obwohl sie sich alle Mühe gab, gelassen zu erscheinen, verriet ihm ihre plötzliche Blässe, dass sie es keineswegs war.

„Rashid“, wiederholte sie folgsam. „Ich heiße Polly.“

Es fiel ihm schwer, ihre Hand loszulassen.

„Minty hat mich gebeten, heute Abend mit Ihnen zu sprechen. Doch ich fand nicht den Mut dazu.“

„Minty?“

„Araminta Woodville-Brown. Die Produzentin des Films. Sie hat den Antrag gestellt. Jedenfalls nehme ich an …“

Wirklich? Daran konnte er sich plötzlich nicht mehr erinnern, während er in Pollys blaue Augen sah.

„Ich nehme an, Sie möchten mich deshalb sprechen.“ Sie benetzte die Lippen. „Minty glaubt … Ich meine, sie möchte eine wirklich gute Sendung machen. Und ich …“ Sie verstummte unvermittelt, atmete tief ein und lächelte wieder. „Tut mir leid, dass ich mich so unklar ausdrücke.“

Für eine offizielle Erklärung hätte es wirklich nicht gereicht. Doch die ganze Situation hatte etwas so Intimes an sich, dass es ihn merkwürdig milde und nachgiebig stimmte.

Wieder atmete sie tief ein, und unwillkürlich musste Rashid auf ihre sich hebenden und senkenden Brüste blicken, deren Ansätze jetzt nicht mehr zu sehen waren, was er als weitaus erotischer empfand als den provozierend tiefen Ausschnitt seiner Tischdame.

„Was halten Sie davon, wenn ich uns einen Drink hole und wir von vorn beginnen?“, schlug sie vor.

„Danke, ich brauche nichts.“

„Stört es Sie, wenn ich mir etwas zu trinken nehme?“

„Nein, gar nicht.“

Polly ging zu der Mahagoni-Anrichte und wollte aus einer Karaffe Wasser in ein Glas füllen. Dabei zitterten ihr die Hände so, dass die Gefäße aneinanderstießen. Das hässliche Klirren machte ihr bewusst, wie still es im Raum war und dass Rashid, der hinter ihr stand, sich offenbar nicht bewegte. Er verhielt sich wie ein Panther, der den richtigen Augenblick zum Angriff abwartete.

Seine Gegenwart machte sie nervös und dünnhäutig. Gleich morgen früh werde ich Minty anrufen und sie auffordern, ihre Belange doch selbst in die Hand zu nehmen, dachte sie.

„Ich habe immer Wasser hier“, sagte Polly und bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, und schon lief der Inhalt des Glases über, breitete sich nicht nur auf dem Tablett, sondern auch auf der blank polierten, empfindlichen Fläche der Anrichte aus. „Oh nein“, stieß sie entsetzt hervor, während sie versuchte, die Lache mit der bloßen Hand zu beseitigen.

Was war nur mit ihr los? Warum passierte ihr ausgerechnet jetzt dieses Missgeschick? Hilfe suchend blickte sie sich um.

„Hier“, sagte Rashid und reichte ihr sein blütenweißes Taschentuch.

Sie nahm es, wischte damit das Holz und auch den Boden des Glases trocken. „Danke. Das war ungeschickt von mir. Wie verhext.“ Sie gab ihm das Taschentuch zurück. „Aber es ist Gott sei Dank nichts weiter passiert.“

Dann sah sie auf und nahm im gleichen Moment den Duft seiner Haut und den leichten Bartwuchs auf seinem Kinn wahr. Rashid Al Baha war ein starker Mann, dessen Gesichtszüge wie gemeißelt wirkten, und sein Körperbau verriet, dass er Sport betrieb. Der Blick seiner blauen Augen und sein rabenschwarzes Haar waren bemerkenswert.

„Seit 1792 steht diese Anrichte hier im Schloss“, sagte sie und spürte, wie ihr die Wangen brannten. „Ich wäre die Erste gewesen, die einen Makel darauf hinterlassen hätte.“

Rashid lächelte. Doch anders als vorhin erreichte sein Lächeln auch die Augen. Vielleicht war er doch menschlicher, als sie gedacht hatte.

„Bitte setzten Sie sich doch“, forderte sie ihn auf, während sie mit ihrer Halskette spielte. „Ich hätte Ihnen schon längst einen Platz anbieten müssen. Wahrscheinlich bin ich nervös.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Dazu besteht kein Grund.“

„Besser wäre es, wenn Minty mit Ihnen sprechen würde“, meinte Polly und setzte sich mit ihrem Wasserglas in eine Ecke des Sofas.

Rashid ließ sich auf der gegenüberstehenden Couch nieder, den Blick unverwandt auf sie gerichtet, was sie sehr verwirrte.

Sie solle es auf ihre Weise versuchen, hatte Minty gesagt. Gewiss hat sie nicht damit gerechnet, dass ich Wasser auf kostbaren Antiquitäten verschütten, ins Stottern geraten und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig sein würde, dachte Polly. Im Kopf empfand sie nur eine Leere.

Am schlimmsten war jedoch, ununterbrochen Rashids Blick ausgesetzt zu sein. Polly senkte die Lider und biss sich auf die Lippe.

„Ich wüsste gern, welche Aufgabe Sie bei den Dreharbeiten übernehmen wollen“, fragte er prompt, als traute er ihr nicht das Geringste zu.

Obwohl sein Englisch akzentfrei war, betonte er die einzelnen Worte irgendwie anders, als sie es gewohnt war. Trotz seiner Erziehung in England war seine Ausdrucksweise ein wenig fremdartig.

„In gewisser Hinsicht war das Ganze sogar meine Idee. Doch ich habe nie damit gerechnet, dass sie verwirklicht werden könnte.“ Sie schaute auf. „Minty ist die Filmemacherin. Sie plant eine eineinhalbstündige Sendung, die in drei Teilen ausgestrahlt werden soll.“

Er bewegte die Füße, und Polly ließ den Blick unwillkürlich zu seinen glänzenden italienischen Schuhen gleiten. Alles an ihm drückte Stil und verhaltene Eleganz aus. Der Mann konnte sich sogar ein Rennpferd wie Golden Mile leisten. Selbst in der Welt ihres Stiefbruders war es ungewöhnlich, dass ein so wertvolles Tier einem einzelnen Mann und nicht einem Konsortium gehörte.

Und mit diesem Mann saß sie nun allein hier und musste überzeugend wirken, weil ihre Zukunft davon abhing.

„Und Sie werden vor der Kamera stehen?“

„Ja, so ist es gedacht.“

Er neigte den Kopf. Er ist wie ein Panther, schoss es ihr durch den Kopf, stark, unberechenbar und gefährlich.

„Ich weiß, dass wir das erste Team wären, dem man erlaubt, in Amrah zu drehen …“

„Das zweite“, unterbrach er sie. „Als mein Großvater vor vierzehn Jahren König wurde, wollte er das Land für den Westen öffnen. Das Resultat stellte jedoch eine Beleidigung dar. Sowohl für unser Volk als auch für unsere Familie.“

Polly wäre am liebsten im Erdboden versunken. „Das wusste ich nicht.“

Jeden anderen Mann hätte sie gefragt, was an dem Film so beleidigend gewesen sei, doch jetzt wagte sie nicht, sich danach zu erkundigen, denn Rashid Al Baha und sie trennte eine unsichtbare Mauer.

Polly befeuchtete ihre Lippen und überlegte krampfhaft, wie sie ihn von der Harmlosigkeit des geplanten Films überzeugen konnte.

„Wir wollen uns auf Elizabeth Lewis’ Reise durch Amrah in den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts konzentrieren. Wir möchten die verschiedenen Etappen nachvollziehen und zeigen, was sie in ihren Lebenserinnerungen beschreibt.“

„Was zum Beispiel?“

„Die Wüste. Festungen.“ Sie wusste es noch nicht so genau. Vor dem Ball hatte sie keine Zeit gehabt, sich schon mit dem Stoff zu beschäftigen. „Kamelrennen. Ich meine mich zu erinnern, dass sie daran teilgenommen hat.“

Rashid lehnte sich zurück. „Die sind wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Ich glaube aber nicht, dass Westeuropäer ihnen aufgeschlossen gegenüberstehen.“

„Aber der König hat doch verboten, dass Kinder als Jockeys an diesen Veranstaltungen teilnehmen. Das war doch in Westeuropa der Stein des Anstoßes, wie ich meine.“

Amüsierte er sich etwa über sie? Er war wirklich nicht zu durchschauen.

Wie es wohl war, wenn Rashid Al Baha um eine Frau warb? Sie verlangend ansah und Leidenschaft zeigte. Der Gedanke reizte Polly zum Lachen. Es gab keinen Grund für Seine Hoheit Prinz Rashid bin Khalid bin Abdullah Al Baha, an eine Miss Anderson seinen Charme zu versprühen. Und wenn er es täte, würde sie sich schnellstens davonmachen, denn er jagte ihr Angst ein.

„Hm. Ich verstehe.“

Für Polly wurde das Gespräch langsam zum Albtraum. Natürlich brauchte er sich nicht von ihr erklären zu lassen, wie die westliche Gesellschaft über Kinder als Jockeys dachte. Schließlich war er ein gebildeter und informierter Mensch. Außerdem besaß er Einfluss in seinem Land. Vielleicht hatte er an dem Verbot sogar mitgearbeitet.

Röte stieg ihr in die Wangen, und sie musste vor Nervosität schlucken. Minty sollte sich auf etwas gefasst machen. Wenn herauskam, dass sie von dem früheren, beleidigenden Film etwas wusste, würde sie ihr persönlich den Hals umdrehen.

„Ich wollte damit nur sagen, dass wir nichts Umstrittenes anrühren werden. Es geht eher um allgemein Menschliches, um eine private Angelegenheit.“

„Eine private?“

„Ja, nun ja, so ist es vorgesehen.“

„Aber nicht um Ihre private Angelegenheit?“

Sie zuckte die Schultern. „Nur insoweit, als Elizabeth Lewis meine Ururgroßmutter war.“

„Wirklich? Davon steht nichts in dem Antrag“, stellte er fest und runzelte die Stirn.

„Ist das denn so wichtig?“

Rashid schwieg eine Weile. „In Amrah ist Elizabeth Lewis nicht vergessen“, sagte er schließlich.

Polly lächelte leicht. „Noch weiß ich zu wenig von ihr, aber ich vermute, sie war … ihrer Zeit voraus.“

„Sie war eine ungewöhnliche Frau“, erwiderte er trocken, doch seine Augen leuchteten.

Was er nun wirklich von ihr hielt, blieb Polly ein Rätsel.

„Minty und ich haben schon einmal zusammengearbeitet. Vor ungefähr zwei Jahren. Die halbstündige Sendung über Shelton …“

„Ich habe sie mir angesehen.“

„Ach, wirklich?“, fragte sie nervös. „Jedenfalls hat es Spaß gemacht, und die Einschaltquoten waren so hoch, dass Minty für unser jetziges Projekt auf offene Ohren stieß. Sie weiß viel besser Bescheid über das Vorhaben als ich. Vielleicht sollten Sie mit ihr darüber sprechen. Ich mache nur mit und bin bei den Dreharbeiten dabei, um dem Ganzen eine persönliche Note zu geben.“

Und natürlich weil Minty ihre beste Freundin war und ihr unbedingt helfen wollte, sich von Shelton zu lösen. Das brauchte Rashid Al Baha aber nicht zu wissen.

Wenn er ernsthaft mit dem Gedanken spielte, ein westliches Team in sein Land zu lassen, wollte er bestimmt mehr über den Film wissen. Ihr war es kaum möglich, seine Zweifel und Bedenken zu zerstreuen.

Als Rashid sich geschmeidig erhob – wieder erinnerten seine Bewegungen sie an die eines Panthers –, war es ihr mit einem Mal gleichgültig, zu welchem Ergebnis dieses Gespräch führte. Sie hatte ihr Bestes getan, und mehr konnte niemand von ihr verlangen. Wenn die Durchführung dieses Projekts nicht klappte, dann bestimmt die eines anderen. Irgendwann würde das Leben ihr eine Chance geben.

Polly leerte ihr Glas und stand ebenfalls auf. „Was meinen Sie? Sind wir in Amrah willkommen?“

Er warf ihr einen raschen Blick zu. „Unter bestimmten Bedingungen, ja.“

„Natürlich. Ich habe darauf zwar keinen Einfluss, aber Minty denkt wirklich an alles. Als wir die Sendung über Shelton drehten, habe ich miterlebt, wie rücksichtsvoll sich ihr Filmteam hier bewegt hat. Es hatte nichts Aufdringliches. Niemand fühlte sich belästigt oder schlecht behandelt.“

Zu ihrem Ärger zitterte ihre Stimme ein bisschen. Offenbar war es ihr unmöglich, in der Gegenwart dieses Mannes selbstbewusst zu klingen.

„Sie ist Ihre Freundin“, konterte er.

„Die Sendung über Shelton war eine von fünf, die Minty über englische Schlösser gemacht hat. Sie ist eine talentierte und erfolgreiche Dokumentarfilmerin.“ Polly hob das Kinn. „Wie werden Sie also entscheiden?“ Sie zwang sich, ihm in die Augen zu schauen. Doch sein Blick verriet nicht die leiseste Regung.

„Warum wollen Sie gerade jetzt filmen?“

Die Frage überraschte sie, denn sie hatte fest mit einer Ablehnung gerechnet. „Wegen des Wetters natürlich. Wenn wir in der Wüste drehen wollen …“

„Ich werde darüber nachdenken“, unterbrach Rashid sie, dann wandte er sich um und verließ abrupt den Raum.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, stand Polly immer noch regungslos da. Schließlich atmete sie tief ein. Das Ganze hätte viel schlimmer ausgehen können. Anders, als noch vor zehn Minuten zu erwarten gewesen war, hatte Rashid ihr eine kleine Hoffnung gelassen.

3. KAPITEL

Polly versuchte, ihr blondes Haar unter einem großen schwarzen Tuch zu verbergen. „Das Ding rutscht. Wie soll ich das bloß verhindern?“

Pete, der in ihrer Nähe stand, zog es ihr in die Stirn. „Keine Ahnung. Versuch es doch mal mit einem Haarklipp. Und wenn es nicht funktioniert, ist es auch nicht so schlimm. Touristinnen müssen ihren Kopf nur bedecken, wenn sie Sakralbauten betreten.“

Sie wusste das. Doch in der von Minty auf zweiunddreißig Seiten zusammengestellten Informationsbroschüre wurde die Kopfbedeckung nicht nur als Schutz gegen Sonne und Hitze empfohlen, sondern auch als Respektsbezeugung gegenüber dem Gastgeberland.

„Wo bleibt unser Dolmetscher, Ali Soundso?“, fragte Pete den Kameramann.

Der Dolmetscher hieß Ali Al-Sabt. Polly hatte Mintys Papiere wie die Bibel studiert, alles Wichtige unterstrichen und praktisch auswendig gelernt.

„Er soll hier mit einem Schild auf uns warten.“ Baz ließ suchend den Blick über die Menschenmenge schweifen.

„Kannst du ihn entdecken?“

Polly hörte der Unterhaltung ihrer Kollegen mit halbem Ohr zu. Die fünf Männer, die Minty engagiert hatte, hatten schon viele Länder bereist und waren überdies ein eingespieltes Team. Falls sie Polly als Ballast empfanden, machte ihr das jetzt zumindest nichts aus. Alles war so aufregend.

Um sie herum wimmelte es von Menschen. In Mintys Unterlagen hatte sie gelesen, dass Amrahis bei der Abreise von der ganzen Familie zum Flugplatz gebracht wurden und bei der Heimkehr ebenfalls von dem ganzen Clan abgeholt wurden. Hier ging es nicht so ruhig und geordnet zu wie in Heathrow, wo Polly in den Flieger gestiegen war. Trotzdem gefielen ihr der Lärm und das Stimmengewirr, die allgemeine Aufgeregtheit.

„Dahinten. Da steht John. Na dann los.“

Auch sie entdeckte den erhobenen Arm des Ankömmlings und versuchte, Pete nicht aus den Augen zu verlieren und dabei die Rollen ihres schwankenden Koffers auf Kurs zu halten.

John stand neben einem Mann in einer traditionellen weißen dishdasha, der Polly lächelnd mit As-salaam alaykum begrüßte.

„Wa alaykum as-salaam“, murmelte Polly, was, wie sie hoffte, so etwas wie „Der Friede sei mit dir“ bedeutete.

„Das ist Ali Al-Sabt …“

In diesem Moment erscholl ein lauter Ausruf, und die Menge geriet in Bewegung. Wie alle anderen auch ließ Polly den Blick nach oben zu dem verglasten VIP-Gang schweifen. Erst fiel ihr nur die Gruppe von Männern auf, die dort entlangeilten. Dann wurde ihr der Grund klar, und sie hatte das Gefühl, der Boden schwanke unter ihr.

Obwohl er die Landestracht trug, erkannte sie den Scheich sofort.

Sie hatte das Gefühl, dass auch er stutzte und ihr dann in die Augen sah. Alles um sie herum verschwand wie in einem Nebel. Es existierten nur noch sie und er.

Für einen Augenblick jedenfalls.

Dann aber holte das Geschiebe und Gedränge sie wieder zurück auf die Erde.

„Das war Rashid Al Baha. Er muss von dem Gipfeltreffen in Balkrash zurückgekehrt sein.“

Wer aus ihrem Team das sagte, wusste Polly, deren Blick Rashid folgte, bis er verschwunden war, nicht. Offenbar war sie nicht die Einzige, die von ihm fasziniert war. Der zweitälteste Sohn des Kronprinzen schien in seinem Land den Status eines Stars zu genießen. Die Menschen zeigten mit dem Finger dorthin, wo er eben noch gewesen war, und redeten laut durcheinander.

„Worum ging es denn bei dem Gipfeltreffen?“, fragte sie und machte sich an ihrer Handtasche zu schaffen.

„Solche Fragen sollten wir uns lieber nicht stellen“, erwiderte Steve, der einzige Amerikaner in ihrer Gruppe. „Wir sollten uns lieber aus der Politik heraushalten. Wenn wir das nicht tun, sitzen wir im nächsten Flieger nach Hause.“

Polly musste ihm recht geben. Schweigend wartete sie mit den anderen auf Graham, der mit der Ausrüstung zu ihnen stoßen wollte, und hing ihren Gedanken nach.

Wie schon auf Shelton hatte die Begegnung mit Rashid sie verwirrt. Sie hatte nicht den Eindruck, dass er sich von ihr angezogen fühlte, meinte aber, dass er sie beobachtete und irgendein Interesse an ihr hatte.

Ihr war, als suchte er nach Informationen, um sich ein Urteil über sie machen zu können. Und da er ein Mann war, den sich niemand zum Feind wünschte, beunruhigte sie das.

„Können wir aufbrechen, Polly?“, fragte Baz in diesem Moment. Sie nickte und folgte den anderen zum Ausgang.

Draußen verschlug ihr die trockene Hitze fast den Atem. So schlimm hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie war froh über das Tuch, das sie sich zum hijab gebunden hatte, weil es sie gegen die sengende Sonne schützte.

„Bitte, folgen Sie mir.“ Ali, der Dolmetscher, führte sie zu mehreren bereitstehenden Wagen – nagelneue, teure, glänzend polierte Limousinen, umgeben von bewaffneten Sicherheitsleuten.

„Bitte, Miss Anderson“, forderte der Dolmetscher sie auf weiterzugehen. Polly sah Pete in das dritte Auto einsteigen, in dem John, Baz und Steve bereits Platz genommen hatten, während Graham die wertvolle technische Ausrüstung im Kofferraum zu verstauen half.

Ali Al-Sabt führte Polly zum zweiten Wagen und hielt ihr die Tür auf. Doch sie zögerte einzusteigen, als sie bemerkte, dass ein Platz schon besetzt war. Dann erkannte sie, wer da saß.

„Sie?“

Rashid Al Baha nickte. „Wie Sie sehen.“

„Damit habe ich nicht gerechnet. Ich …“ Oh nein! Vor lauter Verlegenheit begann sie, an dem Tuch, das ihr Haar bedeckte, herumzuzerren. „War es vorgesehen, dass wir Sie treffen? Oder hat man vergessen, mich zu informieren?“

Seine Augen funkelten. „Dies ist eine spontane Geste der Gastfreundschaft. Aus Zeitgründen konnte ich mich nicht mit Ihnen absprechen.“

„Oh.“ Und etwas spät fiel ihr ein, sich bei ihm zu bedanken.

„Afwan.“

Was so viel wie „bitte schön“ bedeutete. Es zahlte sich also aus, dass sie ein paar Brocken Arabisch gelernt hatte. „Dürfen wir eigentlich zusammen in einem Auto fahren?“

Rashid lehnte den Kopf gegen die Polster und machte es sich bequem. „Sie haben falsche Vorstellungen von meinem Land.“

„Ich habe mich nur gefragt, ob es passend sei, weil Sie zur königlichen Familie gehören.“

„Aha.“ Er sah sie herausfordernd an. „Dann denken Sie also, dass ich mir als Prinz besondere Freiheiten herausnehme?“

Darauf fiel Polly keine Antwort ein. Sie hatte eigentlich nur wissen wollen, ob es in Amrah üblich war, dass eine Frau und ein Mann, die nicht miteinander verwandt waren, zusammen in einem Auto fuhren. Natürlich war Rashid das klar, wie ihr sein spöttischer Blick verriet.

Wenn ihm die Sitten seines Landes gleichgültig waren, dann brauchte auch sie sich darum nicht zu scheren. Schließlich lebte sie nicht hier. Also legte sie sich den Sicherheitsgurt um, schwieg und genoss die angenehme Kühle des klimatisierten Wagens – und versuchte zu ignorieren, dass Rashid Al Baha direkt neben ihr saß.

Doch entspannen konnte sie sich in seiner Nähe nicht.

„Sie kommen von einem Gipfeltreffen, wie ich gehört habe“, begann sie, weil die Stille unerträglich wurde.

„Ja.“

„Ist es gut … verlaufen?“ Steves Warnung vor heiklen Themen fiel ihr wieder ein und auch die Abmachung mit Rashid, nichts zu filmen, was von militärischer oder politischer Bedeutung war. „Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich wollte nicht indiskret sein“, setzte sie rasch hinzu.

Er schwieg und beobachtete sie aus dem Augenwinkel.

„Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich hier bin.“ Nervös spielte sie mit den Enden ihres Tuches. „Heute Morgen habe ich noch darüber diskutiert, ob die Kronleuchter in Shelton abgenommen und geputzt werden müssen, und ein paar Stunden später bin ich in einer anderen Welt.“

Der Versuch, ein Gespräch zu beginnen, schlug fehl. Wie peinlich! Ihr Herz pochte vor Aufregung, und ihr Körper vibrierte vor Erwartung. So hatte sie noch nie auf einen Mann reagiert. In ihrer Not schaute sie angestrengt durch die getönten Autoscheiben, war aber bald von dem fasziniert, was sie sah.

Sie hatte eine Wüstenlandschaft und endlosen Himmel erwartet, doch nun fuhren sie auf einer sechsspurigen Straße an modernen Bauten aus Glas und Stahl vorbei.

„Amrah ist ein sehr kontrastreiches Land“, sagte Rashid, als hätte er ihre Gedanken erraten.

„So jedenfalls habe ich mir Samaah nicht vorgestellt. Wie alt ist die Stadt eigentlich?“

Er richtete sich auf. „Viele Jahrhunderte alt. So wie heute, sieht sie jedoch erst seit zwanzig Jahren aus. Sie wächst zu einem internationalen Finanzzentrum heran, was dem Land einen erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung bringt.“

Das hatte sie gelesen. Da es aber nichts mit dem Thema ihres Films zu tun hatte, war es ihr wieder entfallen. „Ölvorkommen gibt es keine in Ihrem Land?“

„Einige, doch sie werden bald erschöpft sein.“

Polly sah wieder aus dem Fenster und betrachtete die interessanten Gebäude.

Wenn sie mit dem Schiff gekommen wären, hätten sie als Erstes die alten befestigten Wallanlagen gesehen. Das hatte sie in einem Reiseführer gelesen. Sie waren Zeugen der bewegten Geschichte des Landes. Aber diese Gebäude …

„Sind Sie enttäuscht?“, fragte er.

„Eher überrascht.“

„Kamele und Beduinenzelte gibt es aber auch noch“, spottete er.

Sie schaute ihn an und lächelte. Zum ersten Mal, seit sie zu ihm ins Auto gestiegen war. „Fahren Sie manchmal in die Wüste?“

„Wie fast alle meine Landsleute kehre ich mindestens einmal im Jahr dorthin zurück, weil dort meine Wurzeln sind. Es ist eine Tradition, wenn Sie so wollen. Dafür müssten Sie als Engländerin eigentlich Verständnis haben.“

Er sprach mit ihr, als gehörte sie einer anderen Spezies an. „Sie sind doch selbst ein halber Engländer.“

„Obwohl meine Mutter aus Ihrer Heimat kommt, bin ich ein ganzer Araber.“ Das klang hart, fast trotzig. „Im Übrigen fühle ich mich geschmeichelt, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, etwas über mich in Erfahrung zu bringen“, sagte er mit scharfer Stimme.

War das sein Ernst? Sie warf einen kurzen Blick in sein versteinertes Gesicht. Glaubte er vielleicht, sie hätte sich im Internet über ihn informiert?

In der Tat, das hatte sie. Doch dass er es vermutete, war ihr unangenehm. „Wenn ich beim Friseur bin, lese ich Zeitschriften. Über Sie wird immer wieder berichtet, weil Sie zu einem Königshaus gehören.“

„Dann sollte ich vielleicht derjenige sein, der sich das Recht herausnimmt, Fragen zu stellen.“

„Viel Interessantes über mich gibt es …“ Sie verstummte unvermittelt, weil sie am Majan International Hotel vorbeifuhren. „Sollten wir dort nicht absteigen?“

„Es wurde umdisponiert.“

Verunsichert sah sie ihn an. „Weshalb? Warum erfahre ich erst jetzt …“

„Ich habe mich entschieden, Sie als Gast in meinem Haus aufzunehmen, solange Sie in Samaah sind.“

Unwillkürlich drehte sie sich um, um festzustellen, ob die Limousine mit ihren Kollegen sich noch hinter ihnen befand.

„Sie und den Rest des Teams.“

Das beruhigte sie nicht vollständig. Warum tat er das? Selbst Minty glaubte, dass er die Drehgenehmigung nur widerwillig erteilt hatte.

„Ist das ein spontaner Entschluss?“, wollte Polly wissen.

„Nein. Sonst hätte ich Sie nicht persönlich abgeholt.“

Polly war sprachlos.

„Meine Schwester wird sich um Sie kümmern, da ich nicht immer abkömmlich bin.“

„Wohnen Sie sehr weit vom Flughafen entfernt?“

„Nein.“

„Muss das eigentlich sein?“, fragte sie und deutete auf die Polizeieskorte auf Motorrädern.

„Es ist sicherer.“

„Weil wir angegriffen werden könnten?“

„Weil ich die Zielscheibe werden könnte“, erklärte er kühl, wohl wissend, dass seine Antwort unzählige Fragen bei ihr aufwerfen würde, die zu stellen sie sich nicht traute, was ihm nur recht war.

Er streckte seine Beine aus. „Es besteht nur eine kleine, aber durchaus mögliche Gefahr. Die politische Zukunft des Landes ist im Moment unsicher.“

„Darüber habe ich gelesen.“ Sie sah ihm in die Augen. „Es tut mir leid, dass es Ihrem Vater schlecht geht.“

Eigenartig. Weder ihre Stimme noch ihre Miene verrieten die geringste Spur von Heuchelei. In den vergangenen Wochen hatte er ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, ob jemand das, was er sagte, ernst meinte. Viele hatten ihm ihr Mitgefühl ausgesprochen, darunter Männer, von denen Rashid wusste, dass sie den Tod seines Vaters herbeiwünschten, weil sie hofften, dass einer seiner konservativen Onkel an dessen Stelle nachrückte. Doch ihre Worte schienen von Herzen zu kommen.

Und wieder quälte ihn dieser Widerspruch zwischen dem, was er wusste, und dem, was er fühlte. Polly machte auf ihn einen vertrauenswürdigen Eindruck, aber er konnte nicht sicher sein, ob sie den nicht absichtlich erweckte.

„Seine Ärzte haben sich alle Mühe gegeben, sein Leben zu verlängern, doch ich fürchte, er wird bald sterben.“

„Das tut mir leid.“

„Ihr Mitgefühl sollten Sie lieber denjenigen schenken, die er hinterlässt.“

Polly griff nach ihrem Tuch, das wieder zu verrutschen drohte. „Das tue ich auch. Es ist schwer, den Vater zu verlieren.“ Sie schwieg eine Weile. „Sind Sie sicher, dass Sie in dieser für Sie schwierigen Zeit uns in Ihrem Haus aufnehmen möchten? Wir könnten uns genauso gut in einem Hotel einquartieren. Es ist ja nur für ein paar Tage.“

„Das habe ich alles bedacht.“

„Wären Sie denn jetzt nicht lieber bei Ihrer Familie?“

„Wenn man mich braucht, werde ich gerufen.“

Er bemerkte, dass sie zögerte, und war froh, dass sie ihm keine weiteren Fragen stellte. Denn mit dem letzten Satz hatte er ihr viel mehr verraten, als er sie hatte wissen lassen wollen.

Vielleicht lag es an ihrem leichten, aber verführerischen Parfüm. Es war ihm zu Kopf gestiegen und benebelte seinen Verstand so sehr, dass er Dinge sagte, die er lieber für sich behalten hätte. Es war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für ihn, Gäste bei sich aufzunehmen.

Und schon gar nicht diese.

Trotz der Informationen, die er über Pollyanna Anderson eingeholt hatte, hatte er nicht herausfinden können, was sie mit ihrem Besuch in Amrah bezweckte. Deshalb durfte er sie nicht aus den Augen lassen.

„Geht es Ihrer Familie gut?“

Sie blickte ihn mit ihren großen blauen Augen an. „Der Zustand meiner Mutter ist inzwischen stabil.“

„Und was ist mit Ihrem Bruder?“

„Ich habe keine Geschwister.“

Das entsprach der Wahrheit. Offenbar lebte sie freiwillig im Haus des Stiefsohnes ihrer Mutter, der erwiesenermaßen ein Lügner und Betrüger war.

„Sie haben aber Stiefbrüder“, sagte er so freundlich wie möglich. „Es stimmt doch, dass der verstorbene Mann ihrer Mutter drei Söhne hinterlassen hat, oder?“

„Ja. Anthony, dem derzeitigen Duke of Missenden, geht es gut. Von Benedict und Simon habe ich seit Monaten nichts gehört und gesehen. Sie kommen selten nach Shelton.“

Sollte er ihr das abnehmen? Alle drei Brüder waren Direktoren des Beaufort-Gestüts und an dessen Gewinn beteiligt. Unvorstellbar, dass in einem Familienunternehmen einer der Brüder etwas ohne das Wissen der anderen tat.

Er bemerkte, dass Pollyanna nervös mit ihrer Goldkette spielte. Er musste auf der Hut vor ihr sein, obwohl er viel lieber nach ihrer Hand gegriffen und sie geküsst hätte. Und sein Körper wünschte sich weitaus mehr.

Vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort. Rashid versank in Schweigen. Sein Bruder Hanif hatte ihn gebeten, ihm den Rücken freizuhalten, denn er konnte sich eine schlechte Auslandspresse zurzeit nicht leisten. Sein Großvater, der sich für eine reibungslose Machtübergabe ausgesprochen hatte, erwartete von ihm, dass Amrahs Finanzmarkt dabei keinen Schaden nahm.

Deshalb war es ratsam, das Filmteam genauestens zu beobachten, bis klar war, wie viel Freiheit er ihm gestatten durfte. Währenddessen wollte er sich ein klares Bild von Pollyanna machen.

In diesem Moment erreichte der Konvoi Rashids Anwesen. Sobald sie das Tor passiert hatten, hatte er das Gefühl, dass Pollyanna erstarrte.

„Willkommen in meinem Haus“, sagte er leise, als der Wagen hielt.

„Es ist wunderschön.“

„Shukran.“ Er begab sich zum Eingang, wo Bedienstete ihn erwarteten.

Polly löste den Gurt und stieg aus. Sprachlos bestaunte sie die weißen Marmorsäulen und das mit Schnitzerei verzierte Eingangsportal. Was für ein atemberaubend schönes Gebäude! Es war alt. Wie alt, konnte sie nicht einmal schätzen, denn der Architekturstil war ihr vollkommen unbekannt.

„Nicht schlecht, was?“, sagte Pete, der neben sie getreten war. „Ich hoffe, es war nicht zu anstrengend für dich, allein mit dem Scheich Konversation machen zu müssen. Wenn ich schneller geschaltet hätte, wäre ich zu euch eingestiegen.“

Polly bezweifelte, dass ihm das gelungen wäre. Auch an der Art, wie Rashid jetzt mit seinen Angestellten sprach, erkannte sie, dass er nichts dem Zufall überließ und genaue Anweisungen gegeben hatte, wer mit wem herfuhr. Er hatte mit ihr allein sprechen wollen.

„Dem Scheich wäre es bestimmt auch lieber gewesen. Er muss auf seinen Ruf achten. Hier in seinem Land wenigstens. Verstehst du?“

Unwillkürlich schaute Polly sich wieder nach Rashid um.

„Vielleicht nimmt es niemand tragisch, weil du Engländerin bist.“ Pete betrachtete das Anwesen. „Unglaublich. Ob wir es irgendwie schaffen, hier zu drehen?“

In diesem Moment trat Rashid zu ihnen, der jetzt ganz und gar in die offizielle Rolle des amrahischen Prinzen geschlüpft war und sie auf Arabisch ansprach.

„Bitte treten Sie ein, damit wir Ihnen Erfrischungen anbieten können“, übersetzte sein Dolmetscher, der plötzlich neben ihm aufgetaucht war.

„Das ist eine außerordentliche Ehre für uns“, flüsterte John. „Wahrscheinlich werden wir zu einer traditionellen Kaffeezeremonie eingeladen.“

Polly nickte und wollte sich ihren Kollegen anschließen, doch John hielt sie zurück. „Ich weiß nicht, ob das auch für dich gilt. Möglicherweise sollst du im Kreis der Frauen eine Erfrischung einnehmen. Also folge der Gruppe unauffällig, und pass auf, damit du nichts falsch machst.“

Was für Aussichten! Sie wollte nicht von den anderen getrennt werden, um sich wildfremden Frauen, deren Sprache sie nicht verstand, mit Händen und Füßen verständlich machen zu müssen.

Wenn sie jedoch Fehler beging, würde Rashid vielleicht ihre Reisepläne ändern. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Deshalb blieb sie stehen und zog sich das Tuch wieder sorgfältig über das Haar.

Doch Rashid wartete auf sie. „Ich möchte Sie meiner Schwester vorstellen. Sie wird Ihnen den Aufenthalt hier so bequem wie möglich machen.“

„Vielen Dank.“

„Meine Schwester, Ihre Hoheit Prinzessin Bahiyaa bint Khalid bint Abdullah Al Baha. Bahiyaa, ich möchte dir Miss Pollyanna Anderson vorstellen“, sagte er zu einer wunderschönen Frau, die an seine Seite getreten war.

„Sie sind herzlich willkommen, Miss Anderson“, sagte die Frau und gab Polly die Hand.

„Bitte nennen Sie mich Polly.“

„Gern. Ich bin Bahiyaa.“

War sie älter oder jünger als Rashid?

„Sie müssen vom Flug erschöpft sein.“

War sie das? Sie wusste nur, dass sie sich neben Bahiyaa unscheinbar und armselig vorkam. Die Prinzessin trug eine goldbestickte Tunika, einen lose geschlungenen herrlichen Schal um den Kopf und goldene Armreifen, auf denen das Sonnenlicht spielte. Sie war überwältigend schön.

Polly hatte vorsichtshalber ein langärmliges, viel zu dickes knöchellanges olivgrünes Leinenkleid angezogen.

„Lassen Sie uns hineingehen. Da ist es kühl.“

Die Männer gingen ihnen voraus. Doch mit Bahiyaa an ihrer Seite fühlte Polly sich keineswegs zurückgesetzt.

Nachdem sie einen Innenhof durchquert hatten, betraten sie einen hohen Raum, der über und über mit geometrischen Mustern verziert war. Durch eine Tür gelangten sie in einen anderen großen Raum und von dort aus in ein Zimmer, das Polly besonders gefiel. Es hatte offen stehende Glastüren, die in einen Garten führten. Viel davon konnte sie nicht erkennen, doch der Duft, der hereinströmte, war betörend. Stammte er von Rosen? Sie in diesem Klima gedeihen zu lassen musste sehr schwierig sein.

In der Mitte des Raumes standen, kreisförmig um einen niedrigen Tisch angeordnet, mit Seide bezogene Ottomanen. Bahiyaa ließ sich auf einer graziös nieder. Polly versuchte, es genauso zu machen, ohne dass der Rock ihres Kleides dabei hochrutschte.

„Sobald Sie sich gestärkt haben, werde ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen.“ Bahiyaa lächelte sie freundlich an. „Bis dahin wird Ihr Koffer ausgepackt sein.“

Oje. Was hatte sie nicht alles eingepackt! Aber nichts passte für den Aufenthalt in einem amrahischen Palast. Außerdem war sie es nicht gewohnt, sich bedienen zu lassen.

Ihnen gegenüber saß John, in ein Gespräch mit dem Gastgeber vertieft. Minty hatte ihn vor allem deshalb engagiert, weil er häufig Filme in arabischen Ländern drehte. Er wirkte entspannt, während die anderen Kollegen merkwürdig steif dasaßen. Der amrahische Übersetzer strahlte, als wäre ihm nie im Leben etwas Schöneres widerfahren.

Gewiss fühlt er sich geehrt, im Haus eines Prinzen seiner Arbeit nachzugehen, dachte Polly, zumal Scheich Rashid ein einflussreiches Mitglied der königlichen Familie zu sein scheint. Noch vor wenigen Stunden hatte er schließlich an einem Gipfeltreffen der arabischen Regierungschefs teilgenommen.

Natürlich war es klug, keine politischen Themen anzusprechen. Doch Polly interessierte sich dafür und fand es schwer, ihre Neugier zu bezwingen. Über die Zusammenkunft wurde bestimmt weltweit berichtet. Dort gefällte Entscheidungen betrafen eine ganze Region.

Falls er wirklich ein Playboy war, war hier und jetzt nichts davon zu spüren. Er stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, obwohl er sich eher zurückhaltend verhielt. Trotzdem schien sich seiner Ausstrahlung niemand entziehen zu können.

„Sind Sie zum ersten Mal in Amrah?“, fragte Bahiyaa.

„Ja. Überhaupt ist dies meine erste richtige Reise. Außer einem Wochenende in Paris, wo ich mich mit Studienfreunden getroffen habe, war ich sonst nirgendwo.“

„Dann müssen wir uns besondere Mühe geben, damit Sie Ihren Aufenthalt genießen.“ Bahiyaa sprach nicht weiter, weil neben tief gefrorenen Bällchen mit einer sirupähnlichen Sauce köstlich saftig aussehende frische Datteln in kleinen Schalen serviert wurden.

In ihrem Reiseführer hatte Polly gelesen, welche Bedeutung Kaffee in arabischen Ländern besaß, und sie hatte sich vorgenommen, ihn in einem Café zu kosten. Nun musste sie die Erfahrung unter Rashids wachsamem Blick machen. Außerdem spürte sie, dass er, obwohl er selbst in ein Gespräch verwickelt war, mit halbem Ohr auch ihre Unterhaltung mit seiner Schwester verfolgte.

Noch nie in ihrem Leben hatte Polly sich so orientierungslos gefühlt wie jetzt. Nicht einmal damals, als ihre Mutter ihr von der bevorstehenden Heirat mit Richard erzählt hatte und ihr Schlafzimmer vom Angestelltentrakt in den Familienflügel des Schlosses verlegt wurde. Was schon eigenartig gewesen war. Hier aber fühlte sie sich zutiefst fremd. Es gab nichts, an das sie anknüpfen konnte.

Sie warf Rashid einen verstohlenen Blick zu. Eigenartig. Obwohl seine Mutter Britin war und er in England Schule und Universität besucht hatte, hatte es den Anschein, als hätte er nie in Europa gelebt.

Ein Angestellter trug auf einem silbernen Tablett eine Kanne und acht kleine Trinkschalen herein und blieb vor Rashid stehen. Der sagte leise etwas auf Arabisch, bevor er Kaffee in eines der Schälchen goss. Dann führte er es zum Mund, trank es langsam aus und stellte es auf das Tablett zurück. Danach füllte er eine zweite Schale und reichte sie Polly.

So viel wusste sie immerhin über dieses Ritual, dass sich ihm niemand entziehen durfte, wenn er nicht unhöflich wirken wollte. Also nahm sie vorsichtig das Schälchen mit der rechten Hand entgegen, wie sie es im Reiseführer gelesen hatte.

Die Flüssigkeit sah, wie Polly fand, ekelhaft aus und verströmte einen Geruch, den sie nicht mochte. Musste sie sofort alles austrinken, oder sollte sie warten? Hilfe suchend sah sie Rashids Schwester an.

„Sie kennen gahwa bestimmt noch nicht. Er gehört so selbstverständlich zu unserem Leben, dass ich oft vergesse, wie gewöhnungsbedürftig sein Geschmack für europäische Gäste ist. Am ehesten könnte man ihn mit einem Espresso vergleichen.“

Bahiyaas Erklärung machte die Sache für Polly nicht gerade besser, denn für Espresso hatte sie ganz und gar nichts übrig.

„Probieren Sie.“

Polly nippte an dem Getränk. Es war sehr stark und mit zusätzlichen Aromen gewürzt, die sie nicht kannte.

Bahiyaa streckte ihre mit Henna gefärbte Hand aus und nahm eine Dattel. Polly machte es ihr nach und biss in eine Frucht hinein. Der Kontrast zwischen dem bitteren Nachgeschmack des Kaffees und der süßen, erfrischenden Frucht war einfach himmlisch.

Als sie aufsah, begegnete sie Rashids durchdringendem Blick. Wieso übte dieser Mann eine solche Anziehungskraft auf sie aus? Plötzlich gerieten ihre Vorstellungen über das Verhältnis von Frau und Mann ins Wanken. Auf einmal pochte ihr das Herz, als müsste es zerspringen. Der betäubende Rosenduft, der bittere Geschmack auf ihrer Zunge und die Wärme versetzten sie in einen Zustand der Unwirklichkeit.

Nur mit Mühe riss sie sich von dem Blick seiner blauen Augen los, beobachtete aber wie hypnotisiert, wie er einen zweiten Kaffee trank. Wie sich bei jedem Schluck sein Kehlkopf bewegte, wie er vorsichtig die Schale hielt. Er hatte schöne, kräftige Hände, die in ihr den Wunsch aufkommen ließen, von ihnen gestreichelt zu werden. Ihr Blick schweifte zu seinen Lippen. Lippen, die die Sehnsucht nach einem Kuss von ihm wachriefen.

Das war verrückt. Sie kannte Rashid doch gar nicht und wusste wenig von ihm. Er gehörte nicht zu ihrer Welt und würde nie dazu gehören. Trotzdem empfand sie dieses Verlangen, das ihr gleichzeitig Angst einflößte.

Es hatte nichts mit Zuneigung oder dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu tun. Es war Leidenschaft. Begehren. Instinktiv wusste sie, dass sie bei diesem Mann Erfüllung finden würde.

Unwillkürlich fasste Polly sich an die Schläfen. Ein eisernes Band schien sich ihr plötzlich um die Brust zu legen, und sie hatte das Gefühl, dass ihr die Hitze den Atem raubte und sie sich schnellstens hinlegen musste. Um zu schlafen …

Um …

„Polly.“

Wie durch einen Nebel hörte sie noch Bahiyaas Aufschrei, ehe die Welt um sie herum versank.

Rashid sprang auf.

„Sie ist ohnmächtig geworden“, sagte Bahiyaa und fühlte Pollys Puls. „Wahrscheinlich der Klimawechsel.“

Er ließ einen Krug mit Eiswasser bringen.

„Polly, können Sie mich hören?“

Sie zeigte kein Lebenszeichen. Nur ihre Brust hob und senkte sich. Ihr blondes Haar lag ausgebreitet wie ein Fächer auf dem Diwan. Blass und verletzlich sah sie aus. Und wunderschön. Rashid ballte die Hände zu Fäusten. Er hätte wetten mögen, dass Polly nicht wegen der Hitze ohnmächtig geworden war.

Etwas war zwischen ihnen geschehen. Er hatte das Verlangen in ihren Augen gesehen und ihre Gedanken erraten, als hätte sie diese laut ausgesprochen. Dass Pollyanna auf ihn reagierte, wie sie es bei noch keinem Mann getan hatte, hatte sie offenbar überrascht.

Als ihre Augenlider flatterten und ihre Lippen sich öffneten, gewann er seine Selbstbeherrschung zurück. „Meine Herren, ich schlage vor, wir gehen in den Rosengarten, solange Miss Anderson sich erholt. Meine Schwester wird bei ihr bleiben.“

Trotz seiner Ankündigung bewegte er sich nicht von der Stelle und ließ Polly nicht aus den Augen.

„Ich werde dir später berichten, wie es ihr geht“, versprach seine Schwester und legte Polly die Hand auf die Stirn.

Am liebsten hätte er Bahiyaa beiseitegeschoben und sich selbst um Polly gekümmert. Die Heftigkeit seines Wunsches wunderte ihn. Da er jedoch nicht allein mit ihr war, durfte er ihm nicht nachgeben.

„Rashid“, mahnte seine Schwester.

Er zögerte.

„Rashid, du hast Gäste.“

Die Gefühle für Pollyanna Anderson durchkreuzten seine Pläne. Insgeheim fluchend gestand er sich ein, dass er ihren Reizen schon auf Schloss Shelton verfallen war. Sonst wäre sie jetzt nicht in Amrah. Die Drehgenehmigung zu verweigern wäre vernünftig gewesen. Das Team war hier, weil Polly ihn faszinierte. Wider besseres Wissen.

Seine Schwester ahnte das, denn sie sah ihn mit ihren dunklen Augen mitfühlend an und lächelte. Ja, sie wusste es.

Er öffnete die Fäuste. Er war nur dem Reiz des Verbotenen erlegen und würde sich bald wieder fangen. In seinem Leben gab es für eine Pollyanna Anderson keinen Platz, selbst wenn sie nicht die Stiefschwester des Mannes gewesen wäre, den er zu ruinieren beabsichtigte.

„Wir sind hier im Weg“, sagte er zu seinen männlichen Gästen und führte sie hinaus.

4. KAPITEL

Polly erwachte in einem bequemen Bett. Sie war mit einem leichten Baumwolllaken zugedeckt. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sie nicht auf Shelton war, sondern in Amrah, zu Hause bei Rashid.

Diesen fremdartigen Raum hatte sie vorher noch nicht gesehen. Da sie ihn nicht betreten hatte, musste man sie hergetragen haben. Allein die Vorstellung war beschämend. Und wer mochte das getan haben? Einer ihrer Kollegen? Rashid?

Kurz bevor sie das Bewusstsein verloren hatte, war ihr schrecklich übel geworden. An mehr konnte sie sich nicht erinnern.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, beschwichtigte eine sanfte weibliche Stimme sie. „Sie sind wegen der Hitze in Ohnmacht gefallen.“

Polly entdeckte in dem halbdunklen Raum Prinzessin Bahiyaa im Lichtschein einer Leselampe. Nun legte sie ihr Buch aus der Hand und erhob sich, um Wasser in ein Glas zu füllen.

„Sie müssen sich an unser Wetter erst gewöhnen. Ich hätte Sie in einem klimatisierten Raum bewirten müssen. Bitte entschuldigen Sie meine Gedankenlosigkeit.“

Polly stützte sich auf einen Ellbogen, zog sich ein Kissen in den Rücken und lehnte sich dagegen. Erleichtert stellte sie fest, dass sie bekleidet war. Hastig strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. „Das ist mir noch nie passiert. Es ist mir richtig peinlich.“

„Das muss es nicht. Es war meine Schuld.“

Es war niemandes Schuld. Auch ihre eigene nicht oder die Rashids, dessen blaue Augen das Letzte waren, woran sie sich erinnerte.

„Shukran“, sagte sie, als Bahiyaa ihr das Glas reichte.

„Sie sprechen Arabisch?“

„Nur ein paar Worte. Ma-atakal-lam arabi.“ Sie trank einen Schluck des erfrischenden Wassers.

Bahiyaa lachte. „So, wie Sie das sagen, klingt es bezaubernd. Darf ich?“ Sie deutete auf die Bettkante.

Autor

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