Romantisches Geständnis in Rom

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Caroline war stürmisch verliebt, blutjung und vertraute Paolo blindlings. Aber nach einer einzigen Nacht der Leidenschaft meldete er sich nicht mehr. Nie wieder wollte Caroline nach Rom zurückkehren - doch das Schicksal schweißt sie und Paolo erneut eng aneinander! Die einstigen Liebenden müssen sich um verwaiste Zwillinge kümmern. Bittersüße Erinnerungen erwachen in Caroline, als der noch immer so faszinierende Paolo ihr tief in die Augen sieht. Ein Blick, der sie mitten ins Herz trifft...


  • Erscheinungstag 09.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753146
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Callie war achtzehn gewesen, als sie diese tiefe, südländische Stimme zuletzt gehört hatte. Damals hatte sie den Ratschlag ihrer Mutter ohne zu zögern in den Wind geschlagen, sich für „den Richtigen aufzuheben“. Für den Mann, dem sie vor dem Altar das Jawort für die Ewigkeit geben würde.

Achtzehn.

Das war neun Jahre, also eine ganze Ewigkeit her.

Dennoch erkannte sie die Stimme sogleich, obwohl das Klingeln des Telefons sie aus dem Tiefschlaf gerissen hatte. Callie stockte der Atem.

„Hier ist Paolo Rainero, Caroline“, sagte er. Und dann fügte er hinzu, als bedürfe es einer weiteren Erklärung: „Ermannos Bruder.“

Und meine erste Liebe. Mein erster Liebhaber. Mein einziger.

Callie räusperte sich und schluckte. „Buon giorno“, sagte sie und knipste die Nachttischlampe an. Sie wünschte, ihr Italienisch wäre so fließend wie Paolos Englisch. „Was für eine Überraschung, nach so langer Zeit von dir zu hören, Paolo. Wie geht es dir?“

Er ließ einen Augenblick verstreichen, ehe er antwortete, und so erstarb die aufflackernde Hoffnung, er sei in Amerika und wollte ihre Bekanntschaft um des reinen Vergnügens willen, sie wiederzusehen, erneuern. Mit schrecklicher Gewissheit erkannte sie, dass er ihr nichts Gutes zu sagen hatte.

Immer noch bemühte sie sich um einen heiteren Ton. „Von wo rufst du an?“

„Rom. Caroline …“

„Bist du sicher? Du hörst dich an, als seist du gleich nebenan. Ich hätte nie gedacht, dass du auf der anderen Seite der Erde bist. Es ist wirklich erstaunlich …“

Paolo verstand, dass ihr atemloses Plaudern nur eine Verzögerungstaktik war. „Caroline“, setzte er erneut an. „Ich fürchte, ich habe dir etwas Schmerzhaftes mitzuteilen.“

Die Kinder. Den Kindern war etwas zugestoßen.

Ihr Mund wurde trocken, ihr Puls begann zu rasen, und ihr Magen schnürte sich unwillkürlich zusammen.

„Wie schmerzhaft?“, fragte sie bang.

„Sehr, cara. Es hat einen Unfall gegeben. Eine Explosion auf See.“ Er schwieg einen Augenblick. „Ermanno und Vanessa waren während der Explosion auf der Yacht.“

„Mit den Kindern?“, zwang sie sich zu fragen.

„Nein. Mit vier Gästen und einer Crew von sechs Mann. Die Kinder hatten sie bei meinen Eltern gelassen.“

Trotz ihrer anhaltenden Sorge verspürte Callie eine tiefe Erleichterung. „Und? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Paolo. Wie schwer ist meine Schwester verletzt?“

„Es tut mir leid, aber es gab keine Überlebenden.“

Der Raum verschwamm vor ihren Augen. „Keine?“

„Keine.“

Ihre schöne, großherzige, liebevolle Schwester war tot? Ihr Körper in Stücke gerissen und bis zur Unkenntlichkeit entstellt?

Callie kniff die Augen zusammen, als entsetzliche Bilder auf sie einstürmten. Mit eisernem Griff umklammerte sie den Telefonhörer. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Die Explosion war meilenweit zu sehen. Andere Yachten kamen zu Hilfe. Rettungs- und Suchboote waren im Einsatz. Vergeblich. Es war offensichtlich, dass niemand überlebt haben konnte.“

„Aber vielleicht sind sie in die See geschleudert worden und haben es irgendwie an die Küste geschafft. Vielleicht wurde die Suche auch zu früh abgebrochen. Vanessa ist eine gute Schwimmerin. Möglicherweise …“

„Nein, Caroline“, widersprach er bestimmt. „Es ist unmöglich. Die Situation war zu eindeutig. Es gibt keine Zweifel.“

Nie zuvor hatte er so liebevoll, so einfühlsam mit ihr gesprochen. Dass er es nun tat, brach ihr beinahe das Herz.

Sie hatte einen riesigen Kloß im Hals, und in ihren Ohren rauschte es. Dann hörte sie einen Laut, so unwirklich und fremd, dass sie zunächst nicht begriff, dass er aus ihrer Kehle drang.

„Ist jemand bei dir, Caroline?“

Was für eine Frage. Mit welchem Recht stellte er ihr solch eine Frage? „Es ist mitten in der Nacht, und ich bin im Bett. Allein.“

Seine Stimme liebkoste sie geradezu. „Das ist nicht gut.“

Dass sie allein war oder dass sie allein im Bett war?

„Du stehst unter Schock, wie wir alle“, fuhr er fort. „Gibt es niemanden, den du anrufen kannst, der bei dir sein kann, bis die Reisevorkehrungen getroffen sind?“

„Welche Reise?“

„Nach Rom, zur Beerdigung Ende der Woche. Du wirst natürlich dabei sein.“

Natürlich. Er bestimmte, und sie sollte nach seiner Pfeife tanzen. Manche Dinge änderten sich eben nie.

„Natürlich komme ich“, gab sie dennoch zurück. „Wie haben die Kinder es aufgenommen?“

„Nicht gut. Sie sind alt genug, um zu verstehen, was der Tod bedeutet. Sie wissen, dass sie ihre Eltern nie wiedersehen werden. Gina weint viel, und obwohl Clemente versucht, tapfer zu sein, bin ich sicher, dass er insgeheim auch weint.“

Callie schob ihre eigene Trauer beiseite. „Grüß die beiden von mir. Sag ihnen, ihre … ihre Tante Callie kommt bald.“

„Das mache ich. Allerdings weiß ich nicht, ob ihnen das etwas bedeutet.“

Zorn wallte in Callie auf. „Willst du damit sagen, ich bin ihnen gleichgültig, Paolo?“

„Absolut nicht. Natürlich wissen die Zwillinge, dass sie eine Tante in Amerika haben, aber sie kennen dich nicht wirklich. Du bist ein Name, eine Fotografie, jemand, der nie vergisst, ihnen zu Weihnachten und zum Geburtstag eine Karte und ein Geschenk zu schicken. Aber als du das letzte Mal Zeit gefunden hast, uns zu besuchen, waren sie noch zu klein, um sich jetzt noch an dich zu erinnern. In den vergangenen acht Jahren haben sie dich mit ihren Eltern zwei- oder dreimal besucht, und was ist das schon?“ Er seufzte bedauernd. „Die traurige Wahrheit ist, dass die Kinder und du so gut wie Fremde seid. Aus den Augen, aus dem Sinn, fürchte ich.“

Das mochte seine Ansicht sein, aber Callie wusste es besser. Kein Tag verging, an dem sie nicht an diese beiden geliebten Kinder dachte. Stundenlang blätterte sie in Fotoalben und verfolgte ihre Entwicklung vom Säuglingsalter bis heute. In ihrer Wohnung hingen unzählige gerahmte Fotografien von ihnen. Auch auf ihrem Schreibtisch im Büro stand ein aktuelles Bild. Sie hätte die beiden ohne zu zögern aus einer Gruppe von Hunderten von Kindern heraussuchen können.

Fremde, Paolo? Was weißt du denn schon!

„Dennoch bin ich ihre Tante, und sie können sich auf mich verlassen“, erklärte sie. „Ich werde morgen früh abreisen und, wenn es keine Verzögerungen gibt, schon übermorgen bei euch sein.“

„Ich schicke dir eine Flugverbindung und Tickets.“

„Mach dir keine Umstände, Paolo“, entgegnete sie kühl. „Ich komme schon zurecht.“

„Nein, Caroline.“ Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. „Hier geht es nicht um Geld. Wir sind eine Familie, und als dein Schwager möchte ich mich um deinen Flug kümmern. Ganz gleich, wie du es sehen magst, durch die Hochzeit unserer Geschwister sind wir auf ewig miteinander verbunden.“

Ja, natürlich, Paolo. Sie unterdrückte den Anflug von Hysterie. Dadurch und durch eine Menge anderes, wovon du nicht die geringste Ahnung hast.

Paolo missdeutete ihr Schweigen als Einverständnis. „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, über unsere Beziehung zu diskutieren, Caroline. Wie auch immer du dazu stehst, wir haben eine Nichte und einen Neffen gemeinsam, und wir müssen uns um ihretwillen zusammenreißen.“

Wie anmaßend und arrogant er doch klang. Wie moralisch aufrichtig. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte Callie ihm glatt den ehrenhaften, verantwortungsbewussten Onkel abgekauft.

„Da könnten wir uns nicht einiger sein, Paolo“, stimmte sie ihm widerwillig zu. „Es würde mir nicht im Traum einfallen, die Kinder im Stich zu lassen, jetzt, wo sie jede Unterstützung brauchen. Ich werde spätestens am Dienstag in Rom sein.“

„Erlaubst du mir also, die Reisevorkehrungen für dich zu treffen?“

Warum nicht? Falscher Stolz war angesichts des tragischen Unglücks nicht angebracht. Außerdem musste sie ihre Kräfte für größere Schlachten aufsparen. Sie konnte ihm das Geld ja später zurückgeben. „Wenn du darauf bestehst.“

Eccelente! Danke, dass du mich das tun lässt.“

Freu dich bloß nicht zu früh, Paolo, dachte sie. Das Lachen wird dir noch vergehen, wenn ich die Kinder mitnehme.

Vor dem umgebauten Palazzo aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen komplette obere Etage Paolos Eltern bewohnten, floss der Berufsverkehr dahin, als sei nichts gewesen. Im Haus und insbesondere in der Nähe der getäfelten Bibliothek seines Vaters herrschten jedoch Schweigen und Trauer. Paolo legte den Hörer auf und ging zurück in den Salon, in dem seine Eltern auf ihn warteten.

Seine Mutter war in den vergangenen zwei Tagen um Jahre gealtert. Ihre schönen Augen waren vom Weinen und den durchwachten Nächten gezeichnet. Ihre Lippen zitterten unkontrolliert. In ihrem dunklen Haar waren nun silberne Strähnen erkennbar, die es vor einer Woche noch nicht gegeben hatte. Verzweifelt klammerte sie sich an die Hand ihres Mannes.

„Wie hat sie es aufgenommen? Kommt sie zur Beerdigung?“ Salvatore Rainero war kultiviert, hatte sich Reichtum erkämpft und genoss großen Einfluss und Respekt in der internationalen Geschäftswelt. Er ließ sich von seinem Kummer nicht sichtbar beugen. Paolo jedoch kannte seinen Vater gut, und er nahm seinen Schmerz am leichten Hängen der Schultern wahr.

„Sie wird kommen.“ Paolo zuckte erschöpft mit den Schultern. Die eigene Trauer lastete schwer auf ihm. „Sie war schockiert, außer sich, wie wir alle.“

Seine Mutter wischte sich die Tränen von der Wange. „Hat sie nach den Kindern gefragt?“

„Ja, aber mach dir keine Sorgen. Sie lässt die beiden grüßen.“

„Hat sie eine Ahnung, dass …“

„Nein. Sie hat auch nicht danach gefragt. Aber mein Anruf kam auch unerwartet, und sie konnte wahrscheinlich nicht klar denken. In den nächsten Tagen wird sie sich bestimmt darüber Gedanken machen. Sobald die Testamente verlesen sind, werden wir die Klauseln sowieso nicht mehr vor ihr geheim halten können.“

Seine Mutter stöhnte. „Und wer weiß, wie sie reagieren wird …“

„Sie mag reagieren, wie sie möchte, Lidia“, sagte Paolos Vater grimmig. „Aber ich werde nicht zulassen, dass sie unsere Enkelkinder noch trauriger macht. Sie hat in den letzten Jahren keinerlei Rolle in ihrem Leben spielen wollen, deshalb hat sie auch kein Recht, dies in der Zukunft zu tun.“ Er funkelte Paolo an. „War es schwer, sie zu überreden, dass wir die Reisekosten übernehmen?“

„Nicht wirklich.“

„Gut.“ Triumph flackerte im Blick des alten Mannes auf. „Dann ist sie käuflich.“

„Oh, Salvatore, das ist grausam“, wies ihn seine Frau zurecht. „Caroline trauert zu sehr um ihre Schwester, als dass sie an Geld denken würde.“

„Da stimme ich dir zu“, sagte Paolo. „Ich glaube, das arme Ding war viel zu betäubt von den Ereignissen. Wenn sie den ersten Schock verwunden hat, wird sie ihre Meinung bezüglich der Kosten wahrscheinlich ändern. Ich habe sie als äußerst stolze und unabhängige junge Frau in Erinnerung.“

„Ihr täuscht euch beide.“ Salvatore erhob sich vom Sofa und schritt im Raum auf und ab. „Sie war alles andere als stolz, als sie sich dir nach der Hochzeit deines Bruders an den Hals geworfen hat, Paolo. Hättest du sie im Mindesten ermutigt, wärst du umgehend in die Fußstapfen deines Bruders getreten und hättest dich vor dem Altar wiedergefunden.“

Wieder griff seine Frau ein. Sie verteidigte Caroline recht heftig, insbesondere wenn man bedachte, dass sie sie kaum kannte. „Du bist ungerecht, Salvatore! Ich habe mich lange mit Caroline unterhalten, als sie hier war. Sie freute sich damals auf ihr Studium im September. Ich glaube nicht, dass sie ihre Pläne geändert hätte, selbst wenn Paolo sie ermutigt hätte.“

Paolos schlechtes Gewissen meldete sich. Damals hatte er viele Laster gehabt, doch der Alkoholgenuss hatte nicht dazu gehört. In jener Hochzeitsnacht jedoch hatte er zu viel Champagner getrunken. Er erinnerte sich kaum noch an etwas, außer daran, dass die Schwester der Braut außergewöhnlich schön, jung und sehr begehrenswert gewesen war. Es war ihm nicht schwer gefallen, sie zu beeindrucken, denn trotz ihrer Neugierde war sie unerfahrener gewesen, als sie vorgegeben hatte.

Eine Nacht mit einer Jungfrau hatte allerdings ausgereicht, ihn von diesen Abenteuern zu kurieren. Paolo war es nicht gewöhnt gewesen, dass Frauen so naiv und frei giebig waren. Sie hatte ihm vertraut, und darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Carolines Unschuld, ihre Ernsthaftigkeit und Güte hatten ihm Angst gemacht, ihm, Paolo Giovanni Vittorio Rainero, einem Mann, der nichts und niemanden fürchtete. Aber sie hatte ihn gezwungen, einen Blick in sein Innerstes zu werfen, und was er dort gesehen hatte, hatte ihm ganz und gar nicht gefallen.

In seinen Adern floss blaues Blut, und doch hatte er sich neben ihr, einem mittellosen, bürgerlichen Mädchen, wie ein Nichts gefühlt. Sie dagegen hatte einen edlen Charakter. Sie verdiente mehr, als er ihr bieten konnte.

Am nächsten Morgen hatte er ihr nicht ins Gesicht sehen können. Enttäuscht hatte sie den Blick gesenkt. Die Gewissheit, dass er ihr wehgetan hatte, war mehr, als er hatte ertragen können. Also hatte er die Flucht angetreten.

Er hatte nicht erwartet, ihr noch einmal zu begegnen. Doch wenige Tage nach der Hochzeit hatten sich ihre Wege vor dem Apartment seiner Eltern gekreuzt. Ihre ehemalige Ergebenheit hatte sich zu seiner Verwirrung jedoch in kühle Distanz verwandelt. Eine Woche hatte für sie ausgereicht, zu erkennen, was für ein Mann Paolo Rainero war.

Nach ihrem Tonfall am Telefon zu urteilen, hatte sie ihre Meinung über ihn nicht geändert. Wenn sich die Hoffnungen seiner Eltern erfüllen sollten, würde Paolo dafür hart an seinem Image polieren müssen und Caroline mit allen Mitteln für sich einzunehmen versuchen.

Diese Erkenntnis schmeckte bitter. Verführung um der Verführung willen hatte seit langem ihren Reiz für ihn verloren. Besonders wenn sie nur Mittel zum Zweck war.

„Wo sind die Zwillinge jetzt?“

„Mit Tullia im Park“, antwortete sein Vater. „Wir dachten, ein kleiner Tapetenwechsel würde ihnen gut tun.“

Das war sicher richtig. Seit dem tragischen Unfall trafen täglich riesige Blumenbouquets mit Kondolenzkarten ein. Der überwältigende Lilienduft erfüllte den ganzen Palazzo und schuf eine unerträgliche Grabesatmosphäre. Die Bestattung und die Besuche der Verwandtschaft würden bis Montag dauern. Die Kinder brauchten zwischendurch eine kleine Atempause und etwas Ablenkung.

Paolos Mutter trat auf den Balkon, der auf den Hof hinausging. „Ich weiß nicht, wie die Kinder ohne Tullia zurechtkämen“, bemerkte sie mit einem Seufzen. „Sie betreut sie, seit sie Babys waren, und sie hängen so an ihr. Irgendwie scheinen sie sie viel mehr zu brauchen als uns.“

„Und uns brauchen sie viel mehr als eine Tante, die sie überhaupt nicht kennen“, fügte Salvatore bestimmt hinzu und legte den Arm um seine Frau. „Komm, Lidia, meine Liebe. Mach dir keine Sorgen um Caroline Leighton. Es wird Zeit, dass du dich um dich selbst kümmerst. Du hast kaum ein Auge zugetan, seit wir von dem Unglück gehört haben. Du brauchst Ruhe.“

Ohne Widerstand ließ sie sich von ihm führen. „Wirst du später noch da sein, Paolo?“

„Ja.“ Paolo las die unausgesprochene Bitte in seines Vaters Blick. „Ich bleibe, solange ihr mich braucht. Ihr könnt euch darauf verlassen, dass ich alles tun werde, um unsere Familie zusammenzuhalten.“

Hoffentlich würde ihm das gelingen, und zwar auf eine Art und Weise, bei der er noch vor sich selbst würde bestehen können.

Die Air France Boeing 777-200 landete am Dienstag um kurz nach elf am Flughafen Charles de Gaulle in Paris. Genau zehn Stunden zuvor war Caroline in San Francisco losgeflogen. Nun musste sie in die Maschine nach Rom umsteigen. Obwohl zehn Stunden keine so lange Flugzeit für sie waren und sie erster Klasse hatte fliegen dürfen, fühlte sie sich elend. Zu Hause war es jetzt zwei Uhr morgens, und Jetlag und Trauer hatten ihr zugesetzt. Sie musste furchtbar aussehen von all dem Weinen. Es würde einer Menge Make-up und der ganzen zwei Stunden, die sie in Paris Aufenthalt hatte, bedürfen, um sich so weit herzurichten, dass sie den Raineros entgegentreten konnte. Wenn sie Paolo Rainero begegnete, wollte sie sich und die Situation im Griff haben.

Wäre sie weniger mit ihrer Strategie beschäftigt gewesen, hätte sie ihn möglicherweise schneller entdeckt. So aber bemerkte sie ihn erst, als er sich ihr in den Weg stellte.

Ciao, Caroline“, begrüßte er sie, und bevor sie sich für ihre Reaktion auf seine männliche Stimme wappnen konnte, hatte er sie an den Schultern gepackt und ihr einen leichten Kuss auf jede Wange gedrückt.

Sie hatte sich gefragt, ob sie ihn überhaupt wiedererkennen würde. Ob er sich in den neun Jahren verändert hatte. Sie hatte sich gefragt, ob sein Lebenswandel seinen Körper schneller hatte altern lassen. Irgendwie hatte sie es sogar gehofft. Dann wäre das Treffen leichter gewesen. Aber der Mann, der ihr gegenüber stand, hatte nichts von seinem männlichen Charme und seiner Anziehungskraft eingebüßt. Im Gegenteil.

Seine Schultern waren breiter geworden, ebenso seine Brust, und dennoch hatte er kein Gramm zu viel an seinem Körper. Seine geschwungenen Lippen und sein markantes Kinn erinnerten sie nur zu schmerzlich an früher. Seine Haltung hatte inzwischen jedoch etwas Ehrenhaftes, Starkes. Autorität lag in seinem Blick. Paolo war erwachsen geworden.

Sein Haar war voll und glänzend schwarz, und um seine Augen hatten sich feine Lachfalten gebildet.

Fasziniert starrte sie ihn an. Das war einfach nicht fair. Er hatte ein ungesundes, schnelles Leben geführt, aber die Zeit hatte ihn kaum verändert. Angesichts seiner Attraktivität wurde Caroline sich ihres eigenen, momentan recht unvorteilhaften Aussehens nur umso bewusster. „Was machst du denn hier?“

Er lächelte, als wollte er ihr zeigen, dass auch noch alle seine schönen Zähne vorhanden waren. Sie hätte gewettet, irgendein gehörnter Ehemann hätte ihm ein paar davon bereits ausgeschlagen.

„Ich wollte dich abholen, Caroline, was glaubst du denn?“

Sie hätte ihm eine Ohrfeige dafür geben mögen, dass er immer noch in der Lage war, sie aus der Fassung zu bringen. „Falls du es vergessen haben solltest, hast du mir einen Flug bis Rom gebucht. Wir sind noch nicht einmal in Italien.“

„Es gibt eine kleine Planänderung“, erklärte er sachlich. „Den Rest des Wegs reist du mit mir im Privatjet der Raineros.“

„Und warum?“

Paolo zuckte die Schultern. „Warum nicht?“

„Weil es keine Veranlassung dafür gibt. Ich habe ein Ticket. Außerdem ist mein Gepäck schon aufgegeben. Und die Fluggesellschaft wird mich ausrufen …“

„Keine Sorge, Caroline“, beschwichtigte er sie. „Ich habe mich um alles gekümmert. Indem du hier Probleme heraufbeschwörst, schaffst du mir nur Unannehmlichkeiten.“

Das zumindest war unverändert. Er war so arrogant wie eh und je. „Gott behüte, dass sich dir jemand in den Weg stellt, Paolo!“

Er sah sie mitleidig an. „Du bist erschöpft und traurig, cara, und das macht dich ein wenig unleidlich.“ Er nahm ihr Handgepäck.

„Was ja wohl kein Wunder ist, bedenkt man die Umstände!“

„Deshalb wollte ich dir ja auch die Wartezeit hier ersparen. Auf diese Weise bist du bereits sicher in Rom, wenn dein Flieger hier erst abheben würde.“

„Es hätte mir nichts ausgemacht zu warten.“ Caroline versuchte, sich aus Paolos Arm zu winden. „Ich wollte mich nach dem langen Flug sowieso gerne ein wenig frisch machen.“

„Unser Firmenjet ist mit erstklassigen Toilettenräumen ausgestattet, die dir selbstverständlich zur Verfügung stehen. Komm schon, Caroline. Erlaube mir, dich ein wenig zu umsorgen, jetzt, wo du Unterstützung so nötig brauchst.“

Er führte sie aus dem Terminal zu der wartenden Limousine, in der er neben ihr Platz nahm. So nah saßen sie beieinander, dass Caroline seine Körperwärme spüren konnte.

Entnervt rutschte sie näher ans Fenster, während sich der Wagen durch den Verkehr von Paris schlängelte. Paolo bemerkte es und lächelte. „Versuch, dich zu entspannen, cara. Du bist bei mir in den besten Händen.“

In den besten Händen? Nicht wenn er noch derselbe Mann war wie vor neun Jahren. Und dennoch wirkte seine Fürsorge echt. Er schien ihre Gefühle zu verstehen und sie ernst zu nehmen. Hatte sie ihn möglicherweise falsch eingeschätzt? Vielleicht hatte er sich ja doch verändert. Alles war möglich. Callie selbst war nicht mehr annähernd das naive Mädchen, das sie damals gewesen war. Vielleicht waren sie beide erwachsen geworden.

„So“, sagte er und lehnte sich an sie, um aus dem Fenster blicken zu können. „Wir sind gleich da.“

„Was genau meinst du mit da?“

„Le Bourget. Ein Privatflughafen.“

Bald, viel zu bald für Callies Seelenfrieden, erreichten sie den Flughafen und stiegen in den kleinen Jet. Kaum hatten sie sich angeschnallt, fuhr die Maschine bereits auf die Startbahn und hob ab.

Paris verschwand unter ihnen, und der Jet hielt sich östlich.

„Du bist sehr still, Caroline“, bemerkte er eine halbe Stunde später, als sie immer noch kein Wort gewechselt hatten. „Sehr reserviert.“

„Ich habe gerade meine Schwester verloren“, wies sie ihn zurecht. „Ich bin nicht in Partystimmung.“

„Das habe ich auch nicht erwartet. Aber ich dachte, du möchtest vielleicht die Beerdigung mit mir besprechen …“ Er hielt inne. „Oder über die Kinder reden.“

„Nein.“ Sie sah aus dem Fenster in den blauen Himmel hinaus. „Nicht jetzt. Im Moment muss ich mich noch an den Gedanken gewöhnen, dass ich Vanessa nie wieder sehen werde. Ich hoffe immer noch, dass das alles ein böser Traum ist, aus dem ich erwachen werde. Vielleicht kann ich es glauben, wenn ich die Kinder und deine Eltern gesehen habe … Wie gehen sie mit dieser schrecklichen Tragödie um? Deine Eltern, meine ich.“

„Sie sind noch verstörter, als du es von dir selbst behaupten kannst.“

Sie musste sich verhört haben. Empört fuhr sie zu ihm herum. „Wie kannst du es wagen? Willst du behaupten, meine Gefühle seien nicht echt?“

Paolo hob sein Glas und trank einen Schluck. „Es wäre ja nicht das erste Mal, meine Liebe, nicht wahr?“

Sein Blick war kalt, und Callie wusste, dass sie ihren Instinkten hätte folgen sollen. Indem sie in diesen Jet gestiegen war, hatte sie einen fatalen Fehler gemacht.

Sie hatte sich einem Mann ausgeliefert, der vor neun Jahren ihr Leben ruiniert hatte. Zweifellos war er immer noch derselbe skrupellose Schurke wie damals. Wenn sie ihm auch nur einen Finger reichte, würde er sie wieder in den Sumpf ziehen.

2. KAPITEL

„Du strafst mich für diese Bemerkung also mit Nichtachtung?“, grollte er. „Hast du nichts dazu zu sagen, dass ich dich nicht für ehrlich halte?“

Callie unterdrückte ihren Zorn und gab bedrohlich ruhig zurück: „Missverstehe mein Schweigen nicht als Eingeständnis irgendeiner Schuld, Paolo. Deine Unverschämtheit raubt mir die Worte.“

„Aber du widersprichst mir nicht?“

„Natürlich!“, spie sie ihm entgegen. „Ich habe dich nie angelogen.“

„Nicht einmal durch Verschweigen?“

Wieder fehlten ihr die Worte, diesmal jedoch aus Furcht. Er konnte die Wahrheit nicht kennen. Außer, Vanessa und Ermanno hatten ihm davon erzählt …

Doch das hatten sie sicher nicht. Was hätten sie dadurch schon gewonnen? Sie hätten verloren, was sie am meisten liebten …

„Du bist blass geworden, Caroline.“ Skrupellos fuhr er fort, sie zu quälen. „Kommt die Erinnerung doch langsam zurück?“

Unsicher sah Callie ihn an. „Die Erinnerung an was?“

„An den Hochzeitstag deiner Schwester und meines Bruders. Oder vielmehr an die Nacht nach der Hochzeit.“

Ihr Geheimnis war also sicher. Hand in Hand mit ihrer Erleichterung durchflutete sie jedoch auch Beschämung. „Oh“, stammelte sie und errötete. „Das.“

„Genau das. Mal sehen, ob ich die Ereignisse noch richtig zusammenbekomme.“ Er spielte wie beiläufig mit seinem Wasserglas. „Da waren der Mond und die unzähligen Sterne … Ein Strand mit weißem, weichem Sand und angenehm warmen Wellen. Es war ganz abgeschieden. Du in einem Kleid, das wie zum Ausziehen geschaffen war, und ich …“

„Das reicht“, wies ihn Callie zurecht. „Ich erinnere mich.“

Als wenn sie jene Nacht jemals hätte vergessen können. Dabei hatte sie es wirklich versucht, doch vergeblich. Schließlich war es die Nacht gewesen, in der sie ihre Unschuld und ihr Herz verloren hatte. Selbst jetzt, nach langen neun Jahren, sah sie alles noch vor sich, als wäre es gestern gewesen …

„Ist er nicht der bestaussehende Mann der Welt?“ Vanessa hatte in ihrem perlenbestickten Brautkleid hinter dem Vorhang hervorgelugt und geseufzt. Ihr Frischvermählter, Ermanno, hatte sich dort draußen mit den gerade eingetroffenen Gästen aus aller Welt unterhalten. Überall standen prachtvolle Blumenbouquets.

Anders als ihre Schwester hatte Callie jedoch nicht den strahlenden Bräutigam betrachtet, sondern dessen großen, dunkelhaarigen jüngeren Bruder, der sich gerade eine Gardenie ins Knopfloch seines weißen Jacketts steckte.

„Ja“, hatte sie gehaucht. „Er ist … göttlich.“

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, hob Paolo den Kopf, sah sie direkt an und schenkte ihr ein verschwörerisches Lächeln, als teilten sie ein delikates Geheimnis miteinander, von dem niemand wusste. Mit weichen Knien erwiderte Callie den Blick.

Autor

Catherine Spencer
<p>Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills &amp; Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte den...
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Catherine Spencer
<p>Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills &amp; Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte den...
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