Sehnsucht, die nie vergeht

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Obwohl Stephanie zu gerne den Beteuerungen Sebastians, dass er sie nie vergessen konnte, glauben möchte, wagt sie nicht, an ein neues Glück mit ihm zu denken. Noch immer weiß sie nicht, warum er sie verließ. Warum sollte es diesmal anders sein? Stephanie ahnt nicht, dass ihr Vater Sebastian damals drohte, sie zu enterben, wenn er nicht die Finger von seiner Tochter ließe …


  • Erscheinungstag 29.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759179
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Eine Woche war mittlerweile vergangen, und doch hatte sie immer noch das Gefühl, dass ihre ganze Welt eingestürzt war.

Es fiel ihr äußerst schwer, sich von dem letzten Schicksalsschlag zu erholen. Obwohl Stephanie Yarbourough in Luxus aufgewachsen war und es ihr zumindest finanziell nie an etwas gemangelt hatte, waren ihr Rückschläge, die ihr das Leben plötzlich ohne Vorwarnung bereitete, nicht fremd. Bisher war es ihr allerdings immer gelungen, sich von solchen Schlägen zu erholen.

Zuerst war Joan, ihre Mutter, einfach verschwunden und hatte sich nie wieder gemeldet. Nicht einmal durch eine Karte zu Weihnachten hatte sie zu erkennen gegeben, dass sie sich daran erinnerte, ihren Mann und ihre Tochter verlassen zu haben.

Es hatte viel Zeit gebraucht, aber Stephanie war darüber hinweggekommen, dass sie mit acht Jahren vergessen worden war.

Und dann war Sebastian aus ihrem Leben verschwunden, in dem Sommer vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, aber auch das hatte sie verkraftet. Oder nicht?

Nun, vielleicht nicht völlig, aber zumindest so weit, dass sie wieder ein normales Leben führen konnte. Zorn hatte ihr geholfen. Zorn hatte den Schmerz überlagert, den ohnmächtigen Kummer, dass er sie ohne ein Wort der Erklärung zurückgewiesen hatte.

Doch dieser letzte Schicksalsschlag hatte sie schwer getroffen. Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nehmen sollte, sich davon zu erholen.

Wieder spürte sie die Tritte. Sie kamen in rascher Folge, wie, um ihr in Erinnerung zu rufen, dass sie nicht allein war.

Ihr blieb keine andere Wahl, als stark zu sein, sich zusammenzureißen. Es ging nicht nur um sie selbst, sondern um die Babys, die in ihr heranwuchsen. Sie waren am meisten betroffen.

Tränen brannten in ihren Augen, als sie eine Hand schützend auf ihren gewölbten Bauch legte. Die Babys von Holly und Brett.

„Geht es Ihnen nicht gut, Mrs. Yarbourough?“

Sie blinzelte und blickte den alten, weißhaarigen Apotheker an, der sie mit einem Anflug von Besorgnis musterte. „Wie bitte?“

Er betrachtete sie mit wachsender Sorge. „Ich habe gefragt, ob es Ihnen nicht gut geht. Sie haben plötzlich aufgehört, das Rezept zu unterschreiben, und Sie sehen aus, als wären Sie meilenweit entfernt.“

Stephanie lächelte beschwichtigend. Fassaden gehörten seit ihrer Kindheit zu ihrem Leben, und sie hatte die Lektion von ihrem Vater gut gelernt: Zeig nie, was du denkst. „Das war ich auch.“ Schnell unterschrieb sie das Rezept und reichte es ihm zurück.

„Hoffentlich an einem klimatisierten Ort.“ Silas Abernathy schmunzelte. „Dieser heiße Wind hier ist wirklich schwer zu ertragen.“

„Ein bisschen Luft ist besser als keine“, murmelte Stephanie philosophisch, während sie das Wechselgeld einsteckte. Ein nettes, banales Thema, dachte sie.

Doch im nächsten Moment stieg eine Woge der Bitterkeit in ihr auf. Die Hitzewelle hatte Holly und Brett veranlasst, aus dem Stegreif einen Kurzurlaub anzutreten. Stephanie hatte mitfahren sollen, war aber wegen ihres Zustandes zu Hause geblieben. Hätte sie es nicht getan …

„Eine gute Einstellung.“ Mr. Abernathy steckte das Medikament in eine Tüte. „Ich wünschte, all meine Kunden würden so denken. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele sich über die Hitze im Geschäft beklagen. Als ob dieses Energiesparprogramm meine Idee wäre!“ Er schüttelte den Kopf. „Und dabei sind die nicht mal in Ihrem Zustand.“ Sein Blick ruhte auf ihrem Bauch. „Es kann jeden Tag so weit sein, oder?“

Da er so alt war, dass er ihr Großvater hätte sein können, und ebenso freundlich, nahm sie ihm die persönliche Frage nicht übel, obwohl sie in letzter Zeit an fast allem Anstoß nahm. „Ja, jeden Tag“, bestätigte sie.

Und damit viel zu früh, dachte sie, während sie die Tüte mit den Vitaminen einsteckte, die ihre Gynäkologin ihr zusätzlich verschrieben hatte, weil sie immer noch anämisch war. Die Schwangerschaft raubte ihr viel Kraft.

Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, diese Babys zu behalten, die nicht ihre waren, die plötzlich zu ihrer alleinigen Verantwortung geworden waren. Sie wusste nicht, ob sie ihnen so viel Liebe schenken konnte, wie sie verdienten.

„Auf Wiedersehen“, murmelte Stephanie und wandte sich vom Ladentisch ab.

Die Tür glitt auf, als sie sich dem Ausgang näherte. Ein Schwall drückend heißer Luft strömte ihr entgegen. Sie seufzte, als sie hinaus in die sengende Sonne von Kalifornien trat.

Es hatte alles so leicht gewirkt, viel einfacher als die meisten Vereinbarungen mit Leihmüttern. Ihr Bruder Matthew war Anwalt und hatte auf der Ausfertigung von Dokumenten bestanden, obwohl sie selbst es nicht für nötig erachtet hatte. Sie hatte es aus Zuneigung zu Holly getan, die ihr näher gestanden hatte als eine Schwester, wesentlich näher als ihr eigener Vater.

Sie selbst war sogar auf die Idee gekommen. Trotz ihres sehnlichen Kinderwunsches hatten Holly und Brett sie verschonen wollen und zunächst heftig protestiert. Doch Stephanie war es gelungen, sie zu überzeugen, dass sie ihnen herzlich gern ihren Traum von einem eigenen Kind erfüllte.

Doch aus dem einen Kind waren zwei geworden, wie sich bald herausgestellt hatte. Die Prozedur hatte nur zwei Anläufe erfordert. Stephanie war die Fruchtbarkeit in Person. Aber das wusste sie schon lange. Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie und Sebastian hatten damals nur eine einzige Nacht miteinander verbracht, und doch sie war von ihm schwanger geworden.

Er hatte nie von dem Kind erfahren, das sie kurz nach ihrer Trennung verloren hatte. Anscheinend war es ihr nicht vergönnt, irgendetwas von ihm zu behalten.

Außer den Erinnerungen, die sie nicht abschütteln konnte, so sehr sie sich auch bemühte. Doch er war kein Teil ihres Lebens mehr, schon seit sieben Jahren nicht.

Die elternlosen Babys hingegen gehörten zu ihr. Verdammt, warum musste das Leben so kompliziert sein? Warum konnte nicht zur Abwechslung einmal alles glattgehen? War das zu viel verlangt?

Sie hob sich die Haare im Nacken hoch, als sie aus dem Schatten der Markise vor der Apotheke trat und sich auf den Parkplatz wagte. Der Asphalt glühte förmlich.

Ebenso wie ich, sinnierte Stephanie. Sie hatte Hitze nie gut vertragen, und seit der Schwangerschaft war es doppelt so schlimm.

Seufzend blickte sie sich um und versuchte, sich zu erinnern, wo sie ihren Wagen mit der rettenden Klimaanlage abgestellt hatte.

Stephanie Yarbourough.

Ihr Anblick traf ihn wie ein Hieb.

Sie war nicht die letzte Person, die er zu sehen erwartet hatte. Schließlich war Bedford ihr Heimatort, ebenso wie seiner. Aber er hatte nicht erwartet, sie so zu sehen. Ihr Bauch wölbte sich deutlich unter dem blau-weiß geblümten Kleid hervor.

Stephanie trug das Kind eines anderen Mannes.

Warum auch nicht?, fragte er sich mürrisch. Sie hatte das Recht, ihr eigenes Leben zu führen. Gerade deshalb hatte er Bedford vor sieben Jahren verlassen. Damit sie das Leben führen konnte, das ihr bestimmt war, mit jemandem ihrer eigenen Klasse. Mit jemandem, der wusste, welche Gabel für welchen Gang benutzt wurde, welche Worte in welcher Situation angemessen waren. Mit jemandem, dessen sie sich nie schämen musste, der ihr bieten konnte, was er ihr nicht bieten konnte.

Deshalb war er fortgegangen. Doch in all der Zeit, die vergangen war, hatte er nie die Möglichkeit erwogen, dass sie sich einem anderen Mann hingeben könnte.

Du wolltest sie ganz für dich allein, dachte er spöttisch, trotz deiner so genannten „edlen Absichten“. Doch das beruhte nicht auf Eitelkeit oder Stolz. Vielmehr hatte er sie geliebt und sich erhofft, dass sie ihn ebenso liebte. Das bewies, wie naiv der wilde, aus ärmlichen Verhältnissen stammende Junge gewesen war.

Sebastian hielt abrupt an und beugte sich über das Lenkrad vor, um einen besseren Blick auf sie zu erhaschen. In seiner Erinnerung war Stephanie ewig zwanzig, ewig unschuldig geblieben.

Er erwog, den Anblick einfach zu verdrängen und weiterzufahren. Schließlich war er nicht nach Bedford zurückgekehrt, um dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. Er war zurückgekommen, weil er gebraucht wurde.

Fahr weiter, ermahnte er sich, sie hat dich nicht gesehen.

Er hörte jedoch nicht auf die innere Stimme. Stattdessen schaltete er den Motor ab und stieg aus. „Stevi?“

Stephanie erstarrte, als sie die Stimme über den Lärm der vorüberfahrenden Autos und dem Krach auf dem Parkplatz hörte. Trotz der sengenden Hitze zuckten eisige Schauer wie Blitze über ihren Rücken. Sie redete sich ein, dass sie sich seine Stimme nur eingebildet hatte, wie Hunderte Male zuvor, seit er gegangen war.

Nur eine Person auf der ganzen Welt nannte sie Stevi. Und diese Person war vor sieben Jahren aus ihrem Leben verschwunden.

Plötzlich fühlten sich ihre Gliedmaßen schwer wie Blei an. Steif drehte sie sich um – um sich zu beweisen, dass sie sich die Stimme nur eingebildet hatte.

Ihre Blicke begegneten sich. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, und schlug dann so schnell, dass ihr schwindelte.

Als Verteidigungsmechanismus stieg Zorn auf, abrupt und heftig. Das Leben war unfair. Was suchte Sebastian Caine hier? Und außerdem hätte er nicht so verdammt gut aussehen dürfen.

Sein Gesicht war schlanker und gebräunter, als sie es erinnerte. Die Miene des wilden, bösen Jungen – wie ihr Vater es stets genannt hatte – schien inzwischen für immer eingemeißelt zu sein. Dadurch sah er noch attraktiver aus als damals, noch sinnlicher.

Stephanie stand wie angewurzelt da. Ihr Wagen, ihr Zustand, alles war vergessen außer dem Mann, der plötzlich ohne Vorwarnung erneut in ihrem Leben aufgetaucht war. Genau, wie er verschwunden war.

Wäre das Leben fair, hätte es ihn dicker, hässlich, kahlköpfig oder grauhaarig werden lassen. Doch sein lockiges Haar war noch immer kastanienbraun und dicht.

Als er zu ihr trat, wirkte das Spiel seiner Muskeln so geschmeidig wie bei einem Jaguar, der sich an seine Beute heranpirscht.

Außer, dass es nichts zu pirschen gab. Es sei denn, Jaguare pirschen sich an hochschwangere Frauen heran, verspottete sie sich selbst. Sie hatte das Gefühl, in den letzten Sekunden hundert Pfund zugenommen zu haben.

Doch was machte das schon? Er hatte sie nicht gewollt, als sie gertenschlank wie ein Model und bereit gewesen war, für ihn alles aufzugeben. Sie hatte ihm deutlich gesagt, dass sie ihm bis ans Ende der Welt gefolgt wäre, dass für sie nur wichtig war, bei ihm zu sein.

Doch sie hatte ihm offensichtlich nicht genug bedeutet.

Stephanie suchte fieberhaft nach geeigneten Worten, obwohl sie gleichzeitig nach ihrem Wagen Ausschau hielt, um eiligst zu entfliehen. Warum vergaß sie ständig, wo sie geparkt hatte? Und warum ausgerechnet jetzt?

Was sollte sie als Erstes sagen, wenn sie nach sieben Jahren den Mann wieder sah, der ihr das Herz gebrochen und ihre Träume vernichtet hatte? Sollte sie toben oder ihn ignorieren?

Vielleicht lag es daran, dass eine anständige Lady nicht fallen gelassen wurde wie eine heiße Kartoffel. Eine anständige Lady schüttete nicht ihr Herz aus und verriet einem Mann nicht, dass sie ihn liebte. Doch zwischen Stephanie und Sebastian hatte es nie Geheimnisse gegeben. Außer einem einzigen: dem Grund, aus dem er sie verlassen hatte.

Dort stand ihr Auto, im nächsten Gang. Da sie es nicht erreichen konnte, ohne an ihm vorbeizugehen, bot sie all das Training auf, dem ihr Vater sie jahrelang unterzogen hatte – damit er sich ihrer nie schämen musste. Gekonnt legte sie ein bedeutungsloses, kühles Lächeln auf. „Hallo, Sebastian. Wie geht es dir?“

Die Kälte in ihrer Stimme traf ihn wie ein Eisberg. Er hätte weiterfahren sollen. Aber er musste sie sich einfach aus der Nähe ansehen, obwohl sie nun zu einem anderen Mann gehörte.

Ihm blieb keine andere Wahl. Er war nicht stark genug und hatte seit seiner Ankunft am Vortag nicht die Zeit gehabt, sein Schutzschild gegen die einzige Frau zu verstärken, die er je geliebt hatte. Er wollte ihr nur noch ein letztes Mal in die Augen schauen.

„Es geht mir gut.“ Er war nie redselig gewesen und wusste, dass seine Antwort steif klang. Spontan nahm er ihre Hand in dem Drang, sie zu berühren. „Du siehst gut aus.“ Sein Blick glitt zu ihrem dicken Bauch, und er zwang sich zu lächeln. „Ich glaube, ‚blühend‘ ist der richtige Ausdruck.“

„Das liegt an der Hitze“, entgegnete sie beiläufig. Wie ein Soldat straffte sie die Schultern. „Bist du zu Besuch hier?“

Das vage Lächeln auf seinen Lippen wurde rätselhaft. „Es ist etwas komplizierter.“ Er spürte die alten Sehnsüchte in sich aufsteigen, als wären sie nie verblasst. Doch er hatte kein Recht, so für sie zu empfinden. Über ihren Kopf hinweg erblickte er ein kleines Straßencafé mit einem halben Dutzend Tischen auf dem Bürgersteig. Neu, dachte er. Alles war neu, außer seinen Gefühlen für Stephanie.

Lass es gut sein und verabschiede dich, redete er sich selbst zu. „Vielleicht sollten wir uns in den Schatten setzen und eine Tasse Kaffee trinken – im Gedenken an alte Zeiten und …“

Es gibt kein Gedenken an alte Zeiten, wollte sie kontern. Stattdessen blickte sie ihn kalt an und entzog ihm abrupt die Hand. „Ich glaube nicht, dass es klug wäre.“

Nun, was hatte er anderes erwartet? Trotzdem drohte Enttäuschung ihm die mühsam aufgebaute Fassung zu rauben. „Ich verstehe. Eifersüchtiger Ehemann, wie?“

Mit ihren tiefblauen Augen, in denen er sich so gern verloren hatte, warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu. „Du hast vor langer Zeit das Recht verloren, solche Fragen zu stellen, Sebastian.“

Damit wandte sie sich ab in dem Wissen, dass sie andernfalls etwas Dummes getan hätte. Zum Beispiel, sich in seine Arme zu werfen. Oder zu fragen, warum er ihr derart wehgetan hatte.

Aber in den sieben Jahren hatte er es für nötig gehalten, ihr zu schreiben, sie anzurufen, irgendwie Kontakt zu ihr aufzunehmen und ihr sein Verhalten zu erklären. Sie beabsichtigte nicht, sich jetzt herabzulassen und ihn danach zu fragen. Außerdem kannte sie den Grund. Ihr Vater hatte mit Enterbung gedroht, und ohne ihr Geld lag Sebastian nicht genug an ihr.

Mit hoch erhobenem Kopf ging Stephanie so würdevoll wie möglich zu ihrem Wagen. Es hatte keinen Sinn, stehen zu bleiben und mit ihm zu reden. Es hätte nur dazu geführt, dass er ihre Gefühle durchschaute, die sie dummerweise immer noch für ihn hegte, sosehr sie es auch zu verbergen suchte.

Benommen blickte er ihr nach, sah sie in das Auto steigen und hörte, wie sie den Motor anließ. Wie im Traum registrierte er Marke, Farbe und Kennzeichen.

Es hat alles keinen Sinn, sagte er sich. Er war rein zufällig durch diese Einkaufsstraße gefahren. Auf dem Beifahrersitz des alten Wagens, mit dem er den ganzen Weg aus Seattle gekommen war, lagen einige Videofilme, die seine Mutter sich gewünscht hatte. Wenn er nicht weiterfuhr, würden die durch Hitze noch ruiniert werden.

Verdammt, aber das Wiedersehen hatte ihn aufgewühlt. Derartige Aufregungen konnte er nicht gebrauchen. Sein Leben war hektisch genug verlaufen. Nun musste er viele Dinge regeln. Aber er würde einen Weg finden, die Begegnung zu verkraften. Es brauchte nur etwas Zeit.

Als er die Fahrertür öffnete, hörte er hinter sich das Quietschen von Reifen. Instinktiv wirbelte er herum. Ein schwarzer Lieferwagen versuchte, Stephanie auszuweichen, die gerade aus der Parklücke fuhr. Das Manöver verlief nicht erfolgreich. Die Motorhaube prallte gegen ihren linken vorderen Kotflügel und brachte sie ins Schleudern.

Sie ist verletzt, schoss es ihm durch den Kopf.

Automatisch griff er nach seinem Arztkoffer und rannte über den Parkplatz, noch bevor ihm der Unfall vollends bewusst wurde.

2. KAPITEL

Der Krach des Aufpralls hatte Schaulustige angezogen, die einen großen Kreis um die beiden verbeulten, ineinander verkeilten Fahrzeuge bildeten.

Erschüttert, aber offensichtlich unverletzt stieg der etwa vierzigjährige Fahrer des Lieferwagens aus. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er sah, dass sich auf dem Fahrersitz des anderen, viel kleineren Autos nichts rührte. „Ich habe sie nicht gesehen!“, rief er. „Ich schwöre, dass ich sie nicht sehen konnte!“

Unter den Umstehenden erhob sich eine Debatte über die Schuldfrage, als Sebastian sich einen Weg durch die Menge bahnte und dabei seinen Arztkoffer als Schild benutzte.

„Lassen Sie mich durch“, verlangte er. „Ich bin Arzt.“ Mit größter Willenskraft zwang er sich, rein professionell auf die Situation zu reagieren. Er durfte seine Angst nicht übermächtig werden lassen, damit seine Handlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt wurde.

Ihm gefiel nicht, was er sah. Stephanies Augen waren geschlossen, als er die Fahrertür aufriss. Aus einer Platzwunde an der Stirn strömte Blut und verklebte ihr blondes Haar. Der Gedanke an innere Verletzungen ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. „Stephanie, kannst du mich hören?“, rief er.

Die Stimme erreichte sie wie aus weiter Ferne, zog sie aus einem tiefen, finsteren Abgrund herauf. Ihre Lider fühlten sich schwer an, als sie die Augen zu öffnen versuchte. Es kostete sie große Mühe, ihm zu antworten. Ein stechender Schmerz raubte ihr den Atem.

„Du schreist doch“, brachte sie rau hervor. „Warum sollte ich dich nicht hören können?“

Erleichterung überwältigte ihn. Zumindest war sie bei Bewusstsein. Er hockte sich neben sie, prüfte ihre Pupillen und sah keine nennenswerte Erweiterung. „Weißt du, welcher Tag heute ist?“

Jemand schien mit einem Amboss auf ihren Kopf zu hämmern. Sie griff zu der schmerzenden Stelle und spürte etwas Klebriges an ihren Fingern.

„Der drittschlimmste Tag meines Lebens.“ Sie spürte, dass Sebastian ihr die Hand von der Stirn zog. „Oder vielleicht der zweitschlimmste“, räumte sie ein.

Er gestattete sich nicht, über ihre Bemerkung nachzudenken, und konzentrierte sich völlig auf seine Arbeit. Mit geschickten, sicheren Bewegungen untersuchte er die Wunde an ihrer Stirn, die glücklicherweise nur oberflächlich war, und prüfte dann ihre Gliedmaßen auf Knochenbrüche. Er fand keine.

Es kostete Stephanie Mühe, bei Bewusstsein zu bleiben. Ihr schwindelte immer wieder. Nur undeutlich spürte sie seine forschenden Hände. „Ein verdammt schlechter Zeitpunkt, mich zu begrapschen, Sebastian“, murmelte sie matt. „Es gibt Zeugen.“

Flüchtig begegnete er ihrem Blick. Einen Moment lang fühlte er sich Jahre zurückversetzt in eine andere Zeit, als derartige Neckereien ihre Gefühle zueinander ausgedrückt hatten. „Ich prüfe nur, ob du dir etwas gebrochen hast“, versicherte er ihr. „Es scheint aber nicht der Fall zu sein.“

„Falsch, Sherlock“, murmelte sie. „Ich glaube, meine Fruchtblase ist geplatzt.“

„Bist du schon am Termin?“

„Eigentlich erst in zwei Wochen.“

Sie stützte sich auf das Lenkrad und versuchte, sich aus dem Auto zu wuchten. Sebastian ergriff ihre Arme und zog sie vom Sitz. Ihre Knie gaben nach, und sie wäre zu Boden gesunken, hätte er sie nicht aufgefangen.

Ihr Herz hämmerte, und sie nahm die Leute um sie herum nicht mehr wahr. Plötzlich fühlte sie sich zurückversetzt in eine Zeit ihres Lebens, in der sie nur ihn gehabt und sich an ihn um Hilfe gewandt hatte.

„Sebastian, ich glaube, sie kommen.“

„Sie?“

Stephanie nickte und bereute es sogleich, da ihr Kopf augenblicklich heftiger schmerzte. „Ich kriege Zwillinge.“

Er blickte über die Schulter und wandte sich an eine ältere Frau, die direkt hinter ihm stand. „Rufen Sie den Notruf an“, wies er sie an. „Wir brauchen einen Krankenwagen.“

„Wir brauchen viel mehr“, stöhnte Stephanie und klammerte sich an ihn. „Sie kommen wirklich.“

Sebastian wusste, dass Mütter bei der ersten Geburt dazu neigten, in Panik zu geraten. Zudem hatte der Unfall ihr einen Schrecken eingejagt und die Fassung geraubt. „Es wird noch dauern“, entgegnete er zuversichtlich. „Die Wehen können gerade erst eingesetzt haben.“

„Hast du eine Ahnung! Sie haben heute früh angefangen.“ Eigentlich hatte sie längst ihre Ärztin anrufen wollen – gleich nach dem Apothekenbesuch, den sie am Vortag vergessen hatte. In letzter Zeit entfielen ihr viele Dinge. Alles war durcheinandergeraten, seit sie von dem Autounfall erfahren hatte, der ihr die besten Freunde und den ungeborenen Kindern die Eltern genommen hatte.

Nun erübrigte sich der Anruf offensichtlich. Der Stärke und Abfolge der Wehen nach zu urteilen, kamen die Babys, lange bevor Dr. Pollack eintreffen konnte.

Ihr wurde bewusst, dass Sebastian sie etwas gefragt hatte. „Wie bitte?“

„Ich möchte wissen, in welchem Abstand sie kommen“, wiederholte er mit erhobener Stimme. „Die Wehen, meine ich.“

„Warum?“ Verwirrt blickte sie ihn an. „Willst du etwa Wasser aufsetzen?“, fragte sie spöttisch. Vor Schmerz und Zorn wollte sie einfach irgendjemanden angreifen, und Sebastian war der geeignetste Kandidat dafür.

„Ich bin Arzt“, entgegnete er ruhig, während er überlegte, ob er sie einfach selbst ins nächste Krankenhaus fahren sollte. „Gynäkologe.“

Die Neuigkeit verblüffte sie dermaßen, dass sie kurzfristig ihre Schmerzen vergaß. Ihr heimlicher Stolz war stärker, als der Zorn und die Trauer der vergangenen Jahre. Ihr Vater hatte stets gehöhnt, dass Sebastian sein Ziel niemals erreichen würde. „Du hast es also doch geschafft.“

Er blickte ihr in die Augen. Sie hatte immer an ihn geglaubt – sie und seine Mutter. „Ja.“

Unvermittelt sank sie in sich zusammen. Eine besonders starke Wehe raubte ihr die Kraft. Er hob sie auf die Arme und blickte sich um.

Die Frau, die er angewiesen hatte, den Rettungswagen zu rufen, hielt ihr Handy hoch. „Sie kommen.“

„Gut.“ Mit etwas Glück traf die Ambulanz rechtzeitig ein, aber allmählich bezweifelte er das.

Eine junge Rothaarige in engen Jeans und noch engerem Top winkte ihm zu. „Hier, Sie können sie in meinen Wagen bringen.“ Sie eilte zum Heck eines hellblauen Lieferwagens und öffnete die Doppeltür. „Die Ladefläche ist sogar mit dickem Teppichboden ausgelegt.“

Die Umstehenden machten bereitwillig Platz, als Sebastian zu dem Fahrzeug eilte. Gerade hatte er Stephanie auf die Ladefläche gelegt, als sie ihm stöhnend die Fingernägel in den Arm grub.

„Wenn du mir den Arm abreißt, kann ich ihn nicht einsetzen, um dir zu helfen“, warnte er und brachte dabei ein schiefes Lächeln zustande. Er hockte sich neben sie und blickte zur Tür. „Danke“, sagte er zu der Besitzerin des Kleinlasters. „Wollen Sie reinkommen?“

Ihr Gesicht wurde bleich unter dem kühnen Make-up. Sie wich zurück. „Lieber nicht. Ich warte auf die Sanitäter und sage ihnen, wo Sie sind.“ Sie schloss die Türen gegen die neugierigen Blicke der Leute, die sich nicht entfernt hatten.

Stephanie war allein mit Sebastian. Allein in einem fremden Lieferwagen. Allein mit einer schmerzlichen Vergangenheit und einer Gegenwart, die sie körperlich zu zerreißen drohte. „Wie kommst du auf die Idee, dass ich mir von dir helfen lasse?“, brachte sie keuchend hervor.

Starrsinnig wie eh und je, dachte er und versuchte, die Woge der Zuneigung zu ignorieren, die aus dem Nichts in ihm aufwallte. „Ich glaube nicht, dass du eine Wahl hast, Stevi.“ Er zog sie hoch und lehnte sie mit dem Rücken an die Seitenwand. „Es sei denn, du willst Abenteurerin spielen. Dann bringe ich dich zum nächsten Weizenfeld, und du kannst sehen, wie du allein klarkommst.“

Schweiß durchnässte ihre Haare und ihr Kleid. „Du hast einen verdammt schwarzen Humor.“

„Ich weiß. Aber momentan ist er eher verloren gegangen.“ Er blickte sich in dem Van um und entdeckte nichts, außer einem Korb mit Konserven. „Bist du sicher, dass es Zwillinge sind?“

„Ganz sicher.“

Er sah sie erblassen und die Hände zu Fäusten ballen. „Wieder eine Wehe?“

Sie nickte mühsam und biss die Zähne zusammen. Erschöpft bereitete sie sich auf die nächste Wehe vor. Ihr blieb nicht mal eine Minute.

„Schon wieder?“, fragte er ungläubig. Die schnellste Geburt, die er je erlebt hatte, hatte drei Stunden gedauert. Diese schien in weniger als drei Minuten abzulaufen.

Stephanies Lippen waren trocken und rissig. Niemand hatte sie gewarnt, dass es so furchtbar werden würde. Und niemand hatte ihr gesagt, dass sie in einem brütend heißen Fahrzeug auf einem Parkplatz gebären würde, versorgt von einem Mann, den sie eigentlich nicht mehr hätte lieben sollen. „Sehr scharfsinnig“, murmelte sie matt.

Vergeblich lauschte Sebastian der Sirene des Krankenwagens, der zu spät eintreffen würde. Er schlug den Saum ihres Kleides zurück. Eine rasche Untersuchung bestätigte seine Befürchtung. „Der Muttermund ist voll geöffnet.“

Nicht schreien, dachte sie verzweifelt. „Sag mir … etwas, was … ich … noch nicht … weiß.“

Er warf einen flüchtigen Blick in ihr Gesicht. Wie würde sie reagieren, wenn er sie beim Wort nähme? Wenn er ihr sagte, dass er sie trotz aller Bemühungen, sie zu vergessen, immer noch liebte und vermutlich bis zum Ende seiner Tage lieben würde?

Es hatte jedoch keinen Sinn, ihr das anzuvertrauen. Damit musste er allein fertig werden. „Ich konnte nie etwas vor dir verbergen“, murmelte er. Erneut blickte er sich um nach einer Decke oder irgendetwas, in das er die Neugeborenen einwickeln konnte. Es war nichts da.

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
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