Sommer der Herzen: Alles ist möglich

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Ausgerechnet auf ihre Jugendliebe Steve, der sie hat abblitzen lassen, trifft Hallie bei ihrer Rückkehr. Aber sie ist nicht mehr der naive Teenager, was auch Steve auffällt - und plötzlich scheint in diesem Sommer alles möglich!


  • Erscheinungstag 10.08.2013
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493447
  • Seitenanzahl 140
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dorien Kelly

Sommer der Herzen: Alles ist möglich

Aus dem Amerikanischen von Alina Lantelme

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Girl Least Likely To …

Copyright © 2003 by Dorien Kelly

erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-344-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Hallie Brewer wäre zu gern eine kultivierte Frau gewesen, die stets souverän und gelassen auftrat. Eine Frau, deren Sommersprossen auf ihrer Nase kaum zu sehen waren und deren Haare bei feuchtem Wetter nicht völlig durcheinander gerieten.

Ein Blick in den Rückspiegel überzeugte sie davon, dass das nur fromme Wünsche waren.

Die Klimaanlage hatte bereits in Nevada den Geist aufgegeben, und Hallie hatte schon kurz vor Chicago den Mut verloren. Unbehaglich rutschte sie auf dem Vinylsitz hin und her, denn ihre Beine fühlten sich wie festgeklebt an. Sie wusste nicht mehr genau, wer gesagt hatte, man könne nicht mehr nach Hause zurückkehren. Auch wenn der Trip in die Heimat nicht unbedingt bequem war, war sie der lebende Beweis für das Gegenteil.

Sie fuhr an einem Holzschild mit der Aufschrift „Willkommen in Sandy Be d“ vorbei. Das „n“ in Bend war zum ersten Mal verloren gegangen, als Hallie die sechste Klasse besucht hatte. Nach einigen Jahren hatte man es aufgegeben, den Buchstaben immer wieder zu ersetzen.

Hallie nahm an, dass es etwas Tröstliches haben sollte, dass sich einige Dinge nie änderten, aber gerade deshalb war sie die letzten sieben Jahre nie wieder hergekommen. Sosehr sie auch glauben wollte, dass sie sich verändert hatte, es stimmte vielleicht nicht. Wieder hier zu sein war für sie auch ein Test. Sie wollte herauszufinden, ob hinter ihrer neuen, glänzenden Fassade immer noch die alte Hallie Brewer steckte, die in Sandy Bend von allen Horror-Hallie genannt worden war.

Horror-Hallie, die versehentlich den Picknickplatz des Ortes in Brand gesetzt und es jeden Sommer geschafft hatte, mindestens einmal mit einem Segelboot unterzugehen und dabei ihr Bikinioberteil zu verlieren.

Horror-Hallie, die als unbeholfener Wildfang eine beliebte Zielscheibe für Hohn und Spott gewesen war.

Um sie von Kalifornien nach Michigan zurückholen zu können, hatte es schon dreier starker Männer bedurft. Und jetzt, wo sie hier war, hatte sie nicht vor, auch nur eine Sekunde länger zu bleiben als unbedingt nötig.

Das Städtchen Sandy Bend, das auf der einen Seite vom Michigansee und auf der anderen Seite vom breiten Flussbett des Crystal River eingeschlossen war, schien immer noch derselbe malerische und idyllische Ort zu sein, aus dem sie nach ihrem Schulabschluss geflüchtet war. Zum Glück waren die Straßen wie üblich Mitte Juni voller Touristen. Hallie parkte ihr Auto auf einem der wenigen freien Plätze an der Main Street. Nur um ihr Selbstbewusstsein zu stärken, brachte sie ihre Frisur in Ordnung und trug Lippenstift und Wimperntusche auf. Schon besser. Auch wenn sie nicht gerade wie ein taufrisches Model aussah, war sie zumindest nicht mehr das von allen verspottete Mädchen von damals.

Nachdem sie mühsam ihre Beine vom Sitz gelöst hatte, versuchte sie, im Strom der Passanten unterzutauchen. Je mehr Zeit ihr blieb, bis sie jemand erkennen würde, umso besser.

„Du bist nicht dieselbe Person“, versicherte sie sich auf dem Weg ins Zentrum.

Sie bemerkte, dass eine Boutique mit trendiger Mode das frühere Haushaltswarengeschäft ersetzt hatte, und ein Café, das italienische Kaffeespezialitäten anbot, in die ehemalige Apotheke gezogen war. Offensichtlich war selbst Sandy Bend nicht völlig immun gegen den Fortschritt.

„Hallie Brewer, bist du es wirklich?“

Hallie sah die ältere Frau in rasantem Tempo auf sich zukommen. Olivia Hawkins war schon vor sieben Jahren winzig gewesen, doch jetzt wirkte sie fast wie ein Spatz. Dennoch hatte sie „Hawkins Foodland“ immer mit eiserner Hand geleitet. Mit ihr legte man sich besser nicht an.

Also blieb Hallie höflich stehen. „Ich bin es wirklich, Mrs Hawkins.“

„Nun, das sollte wieder etwas Schwung ins Städtchen bringen.“ Sie lachte leise. „Ich werde nie vergessen, wie du vor einigen Jahren den Punsch für die Tanzveranstaltung zubereitet hast und …“

„Das war vor zwölf Jahren“, unterbrach sie Hallie. „Das ist wirklich sehr, sehr lange her.“

„… und die rote Limonade durch Wasser und Ketchup ersetzt hast.“

Sie war damals verzweifelt und durcheinander gewesen, weil sie entdeckt hatte, dass ihre Brüder die Limonade einfach getrunken hatten, die sie vor ihnen versteckt hatte.

„Den Leuten ist der Punsch wieder aus der Nase herausgelaufen.“

Es war Zeit, Mrs Hawkins Erinnerungen Einhalt zu gebieten. Wenn die Lady vorhatte, jeden Blödsinn, den Hallie jemals angestellt hatte, wieder hervorzukramen, würden sie hier bis weit nach Sonnenuntergang stehen. „Nun, es war schön, Sie wieder zu sehen, Mrs Hawkins. Bye-bye.“

„Und als du damals …“

Hallie winkte ihr noch einmal zu, beeilte sich, zum Polizeirevier zu kommen, und betrat schnell das Gebäude.

Mit den beiden Schreibtischen und der winzigen Zelle war die Bezeichnung „Polizeirevier“ eigentlich etwas übertrieben. Einer der Polizisten des Städtchens hielt in einem Bürostuhl aus den fünfziger Jahren ein Nickerchen. Er hatte die Füße auf den Tisch und eine alte Ausgabe des „Angler’s Paradise“ auf sein Gesicht gelegt. Man traute sich fast nicht, ihn in seiner Ruhe zu stören. Aber Hallie hatte schließlich nur deswegen halb Amerika durchquert.

„Erklär mir das“, forderte sie ihn auf und knallte ihm einen Zeitungsausschnitt auf den Tisch.

Die Anglerzeitschrift flog durch die Luft und landete neben dem Zeitungsausschnitt. Ihr Bruder Mitch rappelte sich hoch. „Hallie? Was machst du denn hier?“

Sie tippte mit dem Finger auf den Zeitungsartikel. „Erklär es.“

Mitch öffnete seinen Mund und schloss ihn wortlos wieder. Obwohl Hallie fürchterlich wütend auf ihren großen Bruder war, erinnerte er sie im Augenblick an den Barsch, der die Titelseite der Anglerzeitschrift schmückte. Aber auch das änderte nichts daran, dass er wie alle Männer des Brewer-Clans gut aussah.

„Hier“, bot sie ihm zuckersüß an, „lass mich dir helfen. Die Überschrift lautet ,Polizeichef Brewer auf dem Weg der Besserung‘.“

„Äh … ja“, stammelte er. „Es ist keine große Sache. Wirklich.“

„Und es war wahrscheinlich auch keine große Sache, dass ich durch einen mir anonym zugeschickten Ausschnitt aus dem ,County Herald‘ erfahren habe, dass Dad einen Herzanfall erlitten hat und operiert worden ist?“

Mitch raufte sich die Haare. „Dad wollte dich nicht beunruhigen. Er glaubte, dass es zu teuer für dich werden würde, nach Hause zu kommen und …“ Er hielt inne und blinzelte. „Bist du irgendwie größer geworden oder so?“

Es war das „oder so“, das seine Aufmerksamkeit erregte. Mitch hatte sie nie in Kalifornien besucht, und Hallie war die klassische Spätentwicklerin gewesen. Die Kurven, die sie immer herbeigesehnt hatte, hatten sich bei ihr erst auf dem College eingestellt.

„Man nennt sie Brüste, Mitch.“

Ihr Bruder lief rot an. „Ach, verdammt, Hallie. Du bist meine Schwester.“

„Ja. Und da wir gerade bei den familiären Beziehungen sind: Dad ist mein Vater. Aber keiner meiner beiden Brüder war anscheinend in der Lage, den Hörer in die Hand zu nehmen und zum Beispiel zu sagen ,Dad geht es nicht gut. Vielleicht wäre es besser, wenn du für eine Weile nach Hause kommst.‘ Oder mir zumindest einen Hinweis zu geben, als ich letzte Woche angerufen habe.“

Mitch, der völlig zu vergessen schien, dass er fünfzehn Zentimeter größer und zwanzig Kilo schwerer war als sie, ging vorsichtig einen Schritt zurück.

„Es war ja nur ein kleiner Herzanfall und kein großer Eingriff. Cousine Althea kümmert sich um ihn …“

Prima. Althea Brewer Bonkowski war die Cousine von Hallies Vater und eine wilde Hummel. Außerdem war sie eine sehr gescheite Frau. Zumindest ahnte Hallie jetzt, wer ihr den Zeitungsausschnitt geschickt hatte.

„Althea hat ihre Gemeinschaft verlassen?“

Mitch verzog belustigt die Mundwinkel. „Nun, sie hat sie zwar verlassen, bleibt ihr aber trotzdem ganz verbunden.“

Hallie lächelte wider Willen. „Ich hoffe, es ist nicht illegal.“

„Eher nicht von dieser Welt. Kristalle, Aromatherapie und irgendeinen Singsang. Sie treibt Cal und mich in den Wahnsinn.“

„Und besonders Dad, würde ich wetten. Das wird seinem Herzen ungeheuer helfen.“

Mitch zuckte die Achseln. „Sie kommen miteinander aus. Im Übrigen hält es ihn in Form, mit Althea zu streiten. Und du hättest nicht den ganzen Weg hierher machen müssen, um nach ihm zu sehen. Du hättest anrufen können und …“

Hallie schüttelte den Kopf. „Ich hätte mit den Typen reden sollen, die sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, es mir überhaupt zu sagen? Ich hätte dir nicht geglaubt, Bruderherz. Ich will Dad mit eigenen Augen sehen. Ich werde nicht nach Carmel zurückgehen, bis ich sicher bin, dass ihr beiden alles unter Kontrolle habt.“

„Du traust uns nicht? Ich bin tief getroffen, Hal.“

„Nenn mich nicht Hal. Du weißt, ich hasse das.“ Sie deutete auf die Tür. „Ich mache mich jetzt auf den Weg nach Hause. Und du wirst nach der Arbeit nachkommen, okay?“

„Sicher“, hörte sie Mitch sagen, als sie sich umdrehte, um zu gehen. Doch dann blieb sie noch einmal stehen, um sich den Gemeindekalender anzusehen, der rechts neben der Tür hing. Über den Kalenderblättern prangten die Fotos der Honoratioren von Sandy Bend.

„Ihr Jungs leidet nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein, oder?“ Sie betrachtete amüsiert die Fotos, die ihren Dad, den Polizeichef, und ihre beiden Brüder, zwei der sechs hiesigen Polizisten, zeigten. Ihr Blick wanderte zum Bürgermeister und schließlich zu den Schulleitern.

Als Hallie das Foto des Rektors der Highschool sah, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Das war einfach nicht möglich. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber ihr Mund war wie ausgetrocknet.

Das Leben war nicht fair. Überhaupt nicht. Dem Mann hätten ja auch vorzeitig die Haare ausgehen können. Aber nein, er sah so großartig aus wie immer.

„Alles in Ordnung, Hal?“, erkundigte sich ihr Bruder. Sie fragte sich abwesend, wie lange sie schon dort gestanden haben musste.

„Hallie“, verbesserte sie ihn automatisch. Ohne den Blick von dem Foto zu wenden, holte sie tief Luft. „Mitch, du hast mir nie erzählt, dass Steve Whitman wieder hier ist.“

„Ich dachte nicht, dass es wichtig ist. Steve ist doch schon immer Cals Kumpel gewesen und nicht deiner.“

Hallie versuchte, den Schock abzuschütteln. „Richtig“, murmelte sie. „Natürlich.“

Tatsächlich hatte in Hallies Gedankenwelt Steve immer eher mit dem Beginn ihrer Leidensgeschichte mit Männern als mit der Bezeichnung Kumpel in Verbindung gestanden.

Doch jetzt, wo sie das Foto gesehen hatte, musste sie mehr erfahren. Und dieser Drang war ganz und gar nicht gut.

„Also, was macht Steve hier?“

Mitch lachte leise. „Das steht doch auf dem Kalender. Vor ungefähr einem Jahr kam er zurück und fing an zu unterrichten. Jetzt ist er Rektor der Highschool.“ Ihr Bruder machte eine Pause, bevor er fragte: „Bist du sicher, dass du keinen Jetlag hast oder etwas Ähnliches?“

Hallie strich sich die feuchten Haare aus der Stirn. Sie wünschte, sie würde wie vorhin einfach nur wegen der Hitze schwitzen und nicht aus Nervosität und einer fast krankhaften Aufregung, dass sie Steve wieder sehen würde. „Nein, ich bin mit dem Wagen gefahren. Für einen Flug war ich zu knapp bei Kasse.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ist er nicht noch etwas jung, um Rektor zu sein?“

Steve war wie ihr älterer Bruder Cal acht Jahre älter als Hallie. Er gehörte einer derjenigen reichen Familien an, die am Michigansee teure Ferienhäuser besaßen und jedes Jahr den Sommer dort verbrachten.

„Ja, aber nachdem der letzte Rektor in den Ruhestand gegangen ist, war sonst keiner verrückt genug, sich für diesen Posten zu bewerben.“ Mitch trat neben sie. „Nur gut, dass Steve keinen Job braucht, um seine Rechnungen zu bezahlen. In der Abschlussklasse des letzten Jahres waren nur noch dreißig Schüler. Die Highschool kämpft ums Überleben.“

Und Hallie kämpfte mit ihrer Fassung. Ihren ehemaligen Schulkameraden hier aus Selbstschutz weitgehend aus dem Weg gehen zu wollen war eine Sache. Aber zu wissen, dass Steve Whitman – sozusagen die leibhaftige Erinnerung an frühere Desaster – irgendwo draußen herumlief, eine ganz andere.

Mitch legte ihr die Hand auf die Schulter. „Du bist ein bisschen blass unter deinen Sommersprossen, Hal. Willst du, dass ich dich zur Farm fahre?“

Hallie schüttelte den Kopf. „Ich bin okay“, log sie. „Hast du eine Diät-Limo für mich?“

„Tut mir leid, ich habe nichts außer Cals zu starkem Kaffee. Du trinkst besser etwas im ,Corner Café‘.“ Er sah ihr besorgt in die Augen. „Ich werde dich hinbringen.“

Es war Jahre her, dass sie es zugelassen hatte, dass sich jemand um sie kümmerte. Impulsiv umarmte sie ihren Bruder.

„Ich habe dich vermisst“, sagte sie und bemerkte, wie gut ihr das Gefühl der Geborgenheit tat. Zweifellos hatten ihr die Umarmungen, die Neckereien und der Schutz eines großen Bruders gefehlt.

„Ich habe dich auch vermisst, Hal. Willkommen zu Hause.“

Nachdem sie ihn noch einmal fest gedrückt hatte, ließ sie ihn los. „Also, dann Partner, auf zu meiner Limo, und dann nichts wie nach Hause.“

Steve Whitman wusste, dass jemand, der das Leben in einer kleinen Stadt langweilig fand, noch nie in Sandy Bend gewesen sein konnte. Zum Beispiel war heute ein heißer Sommertag, den man mit einem kühlen Bier an jedem Ort am Michigansees wirklich genießen könnte. Aber nur in Sandy Bend konnte man einem Polizisten begegnen, der mit einer langbeinigen Brünetten im Arm auf einen zu schlenderte.

Und das in voller Uniform. Der Polizist natürlich.

Nicht die langbeinige Brünette. Sie hatte einen gut sitzenden und unverschämt kurzen gelben Rock und ein weißes T-Shirt an, das eigentlich nicht sexy sein sollte, es aber trotzdem irgendwie war.

In einer Großstadt könnte Mitch Brewer etwas erleben, wenn er während seiner Dienstzeit einen Bummel mit seiner neuen Flamme machen würde. Hier in Sandy Bend – wo die Polizei zugegebenermaßen auch nicht wahnsinnig viel zu tun hatte – würde ihn höchstens jeder anschauen und für einen Glückspilz halten. Und genau das Wort ging auch Steve durch den Kopf.

Er ging etwas schneller, um näher an die beiden heranzukommen und zu sehen, ob dieses Mädchen wirklich so bemerkenswert hübsch war, wie es ihm erschien, oder ob er nach einem Jahr ohne eine Verabredung mit einer Frau schon unter Wahnvorstellungen litt.

Die Brünette schaute Mitch an, als wäre er der Inbegriff von Kraft und Stärke. Und, ja, sie war eine heiße Frau mit ihrem langen, welligen Haar, das mit jedem ihrer Schritte in anderen Zimt- und Goldnuancen leuchtete. Und sie hatte Sommersprossen. Steve hatte schon immer eine Schwäche für Frauen mit Sommersprossen gehabt. Mitch Brewer war ein verdammter Glückspilz.

„Hallo, Mitch!“, rief Steve und überlegte, über welches Thema er nach der Begrüßung intelligent reden könnte. Aber alles, was ihm einfiel, war: Könntest du mich deiner Freundin vorstellen? Und würde es dich sehr stören, wenn ich sie erst zu einem romantischen Abendessen und anschließend zum Tanzen einladen würde?

Aber er musste sich gar keine Gedanken über derart idiotische Angebote machen. Aus irgendeinem Grund war die Brünette wie angewurzelt stehen geblieben, um sich dann hinter Mitch zu verstecken. Steve sah ihr kurz in die Augen und fragte sich, warum sie plötzlich so total erschrocken wirkte und ob ihre Augen wirklich so blau waren, wie sie ihm schienen.

Während Steve versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, wechselte der Gesichtsausdruck der Frau von Angst zu Ärger. Und all diese Gefühle schienen ihm zu gelten. Während sie Mitch wie einen Schild vor sich herschob, wich sie rückwärts in eine enge Gasse zwischen „Truro’s Tavern“ und der „Shady Sands Art Gallery“ aus.

Steve wusste, dass das Gässchen schon seit Jahren für den Durchgangsverkehr gesperrt war und nur noch als Abstellplatz für den mobilen Verkaufsstand des Hotdog-Händlers diente. Er hatte keine Ahnung, was sich die brünette Maus dabei dachte, sich gerade dieses Plätzchen auszusuchen.

Er sollte die beiden einfach allein lassen, was auch immer sie taten. Oder genauer gesagt, was die Frau tat. Aber das gelang ihm nicht. Sicherlich war er etwas neugierig, doch das gehörte in einer Kleinstadt ja fast zum guten Ton. Außerdem hatte es ihn total verblüfft, dass sie ihn angesehen hatte, als wäre er der leibhaftige Albtraum.

Steves Meinung nach war sein größtes Problem nämlich, von seiner Mutter dazu erzogen worden zu sein, zu nett und höflich zu sein. Und ein Whitman und dazu noch Rektor der Highschool zu sein bedeutete ohnehin, dass aller Augen – wenn auch freundlich – auf ihn gerichtet waren.

Er mochte es ganz und gar nicht, von einer Fremden so feindselig angestarrt zu werden. Besonders wenn sie sehr, sehr hübsch war. Nein, er musste diese Gelegenheit nutzen.

Hallie saß in der sprichwörtlichen Falle. Steve Whitman stand fast vor ihr, und es gab keinen Ausweg. Sie hätte sich am liebsten selbst in den Hintern getreten, dass sie vergessen hatte, dass diese Gasse schon lange eine Sackgasse war.

Es musste an der Luft in Sandy Bend liegen. Sie hatte in Kalifornien sieben Jahre lang nichts getan, was sie in größere Verlegenheit gebracht hatte. Und nach knapp einer halben Stunde zurück in der Heimat machte sie ihrem Spitznamen Horror-Hallie wieder alle Ehre.

Sie war von Mauern umgeben, und vor dem Ausgang ins Freie schlich groß, muskulös und gebräunt die entnervende Kombination aus schlimmstem Albtraum und Schwarm ihrer Jugend herum. Doch mittlerweile war sie erwachsen und würde jetzt einfach herauskommen und Steve mit einem Witz auf den Lippen begrüßen. Aber ihr war nicht nach Witzen zumute. Sie fühlte sich schmutzig, klebrig und müde. Und sie war zu stur, um zuzugeben, dass sie sich in eine unmögliche Situation gebracht hatte. Sie würde einfach da bleiben, wo sie war, bis die Welt unterging oder Steve verschwand.

Doch das war einfacher gesagt als getan. Sie versuchte, sich mit ihren Fingernägeln in den harten Baumwollstoff von Mitchs Uniform zu krallen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, so viel Geld für die Verlängerung ihrer Nägel auszugeben? Mit diesen Acryldingern bekam sie den Stoff kaum zu fassen.

„Was soll das denn? Lässt du mich jetzt los?“, fragte ihr Bruder eher verwirrt als verärgert. „Pst. Er kommt!“, zischte sie. „Gib mir Deckung.“

„Um Himmels willen, Hal.“

Als Mitch versuchte, auf Abstand zu gehen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und schlang von hinten ihre Arme um seinen Hals. „Hallo, Mitch, was gibt es Neues?“

Beim Klang von Steves unvergesslicher Stimme – tief und leicht rau, was sündhaft sexy wirkte, lehnte Hallie ihren Kopf an die breite Schulter ihres Bruders. Sieben Jahre hätten eigentlich ausreichen sollen, um dieses alberne Herzklopfen hinter sich zu lassen. Das war aber nicht der Fall.

„Äh, eigentlich nicht viel, Steve“, stammelte Mitch. Die dann einsetzende Stille hielt Hallie schließlich nicht mehr aus. Sie stupste Mitch mit ihrer Stirn an, und er schaffte es, etwas zu sagen. „Werdet du und Cal mit dem Boot deines Vaters am diesjährigen Rennen von Chicago nach Mickinac teilnehmen?“

„Ja, wie jedes Jahr, seit wir sechzehn sind.“

Steve klang amüsiert. Hallie war fast versucht, um ihren Bruder herum einen Blick auf ihn zu werfen.

„Toll. Wird bestimmt viel Spaß machen.“

Sie konnte Steves Schritte auf dem Pflaster hören, als er näherkam. „Also, wer versteckt sich hinter dir?“

„Hinter mir?“

„Ja, es sei denn, es wäre der letzte Schrei, die Arme einer Frau um den Hals zu tragen.“

Hallie nahm all ihren Mut zusammen. Sie wusste ohnehin, dass sie sich nicht die ganze Zeit hinter Mitch würde verstecken können. Sie holte tief Luft, um ihre Panik zu unterdrücken, und trat dann neben ihren Bruder.

Sie hatte Mühe, nicht einfach wegzurennen, als Steve Whitman sie bewundernd von unten bis oben musterte. Schließlich sahen sie sich in die Augen. In diesem Moment merkte sie, dass ihr erster Eindruck wirklich gestimmt hatte.

Er hatte tatsächlich keine Ahnung, wer sie war.

2. KAPITEL

Natürlich war es irrational, beleidigt zu sein, weil der Mann, der sie vor sieben Jahren gedemütigt hatte, sie nicht sofort erkannte. Eigentlich sollte sie deshalb eher einen Freudentanz aufführen.

„Das ist … stammelte Mitch, als ihn Hallie ganz gelassen unterbrach.

„Amanda Creswell … Doktor Amanda Creswell. Ich bin eine alte Freundin von Mitch.“ Sie wusste nicht, welcher Teufel sie geritten hatte, auch noch den Doktortitel anzuhängen. Doch jetzt war er nicht mehr zurückzunehmen.

Steve verzog den Mund zu seinem schiefen Lächeln, das Hallie früher immer hatte dahinschmelzen lassen. Jetzt war sie nicht mehr so leicht zu erweichen.

Sie ignorierte, dass er in den vergangenen Jahren noch attraktiver geworden und seine Augen immer noch in einem unglaublich hellem Kaffeebraun leuchteten. All das ignorierte sie einfach und war sehr stolz auf den Versuch.

„Nun, Doktor Creswell, willkommen in Sandy Bend.“

Hallie nickte ihm sehr würdevoll zu.

Nun sah Steve sie genauer an und runzelte leicht die Stirn. „Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor …“

Betont beiläufig zuckte sie die Achseln. „Ich habe ein Allerweltsgesicht. Mitch und ich sollten uns jetzt wirklich beeilen.“ Sie zog Mitch vorwärts, aber Steve stellte sich ihnen in den Weg.

„Woher kommen Sie, Doc?“

„Aus Arkansas“, hörte Hallie sich zu ihrem eigenen Entsetzen antworten. Warum hatte sie kein Bundesland nehmen können, über das sie etwas wusste?

„Ach ja? Darf man fragen, auf welches Gebiet Sie sich spezialisiert haben?“

„Ich bin Neurochirurgin.“ Das war zumindest eine gute und einschüchternde Wahl, die keinen Raum für Small Talk ließ. „Wirklich?“

Er wirkte so skeptisch, dass sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen konnte. „Denken Sie etwa, dass es in Arkansas keine Neurochirurginnen gibt?“

„Oh, ich bin sicher, dass es die auch in Arkansas gibt. Ich habe mich nur gerade gefragt …“

„Was?“ Ihre hohe Stimmlage klang überhaupt nicht mehr gelassen. Hallie versetzte ihrem Bruder, der sich verdächtig danach anhörte, als würde er sich nur mühsam das Lachen verkneifen, mit dem Ellbogen einen leichten Stoß in die Rippen.

„Ihre Fingernägel“, sagte Steve.

Hallie schaute auf ihre karminrot lackierten, verlängerten Nägel und versteckte dann schnell die Hände hinter dem Rücken.

Steve lächelte wieder. „Sind Ihnen die langen Fingernägel bei Operationen nicht im Weg? Ich nehme doch an, dass der Begriff Neurochirurgin beinhaltet, dass Sie auch operieren?“

Hallie suchte krampfhaft nach einer plausiblen Erklärung. „Ich arbeite an Forschungsprojekten mit Robotern. Vaskuläre Mikrochirurgie, genauer gesagt. Es geht darum, die Blutgefäße in der unteren cerebralen Cortex zu rekonstruieren.“ Nicht schlecht. Die vielen Krankenhausserien, die ich mir im Fernsehen angesehen hatte, haben sich ausgezahlt, dachte sie.

Steves Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. „Sehr beeindruckend. Und wenn man bedenkt, dass Cal mir erzählte, dass du die Kunstakademie besucht hast, musst du wirklich sehr beschäftigt gewesen sein, Hallie.“ Er hob mit dem Finger ihr Kinn hoch. „Schön, dich wieder zusehen … Doc.“

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