Sommerfrische

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Ein Gentleman wagt - und gewinnt
ANNE ASHLEY

Im mondänen Kurort Bath, Treffpunkt der feinsten Gesellschaft, begegnet Abbie dem Mann wieder, dem sie einst versprochen war - und den sie in einer zweideutigen Situation erwischte: Barton Cavanagh. Empört weist Abbie ihn ab, als er sie erneut umwirbt. Wie kann er es wagen! Doch dann setzt er sogar sein Leben für sie aufs Spiel. Hat sie ihm damals etwa Unrecht getan?
Verbotene Küsse im Mondschein
NICOLA CORNICK

Ihr tadelloser Ruf ist Lady Annis einziges Kapital, doch als Lord Adam Ashwick im eleganten Seebad Harrogate auftaucht, gerät ihre Tugend in Gefahr. Immer wieder bringt der charmante Lord sie in kompromittierende Situationen, indem er ihr zeigt, wie sehr er sie begehrt. Aber auch Anni sehnt sich nach Liebe und wird schließlich schwach. In Adams Armen liegend, überrascht man sie …


  • Erscheinungstag 01.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783955763626
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sommerfrische

Anne Ashley

Ein Gentleman wagt und gewinnt

Aus dem Englischen von Vera Möbius

Nicola Cornick

Verbotene Küsse im Mondschein

Aus dem Englischen von Roy Gottwald

image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Betrayed And Betrothed

Copyright © 2005 by Anne Ashley

The Chaperon Bride

Copyright © 2003 by Nicola Cornick

erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maja Gause

Titelabbildung: Harlequin Books S.A.

ISBN eBook 978-3-95576-362-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Anne Ashley

Ein Gentleman wagt und gewinnt

Aus dem Englischen von Vera Möbius

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PROLOG

1812

Major Barton Cavanagh stand bei seinem Pferd und überprüfte ein letztes Mal den Sitz seiner Satteltaschen, als seine Aufmerksamkeit von einem Trupp Soldaten abgelenkt wurde, der sich soeben anschickte, das Camp zu verlassen. Cavanagh blickte ihnen mit unbewegter Miene hinterher. Er war ein Mann, der selten zu lächeln pflegte, und es fiel seinen Mitmenschen oft schwer, seine Stimmung einzuschätzen. Trotzdem wunderte Captain Fergusson sich, als er auf den Freund zutrat und nicht einmal den Anflug einer Gefühlsregung in dem markanten Gesicht entdeckte.

“Großer Gott, Barton!”, rief er. “Fast könnte man annehmen, du würdest zu einem Scharmützel aufbrechen, statt nach London zurückzukehren und deinen überfälligen Urlaub zu genießen.”

Nun zeigten Bartons dunkle Augen wenigstens sekundenlang eine gewisse Belustigung. “Vorsicht, Giles!”, mahnte er und wandte sich zu dem jüngeren Offizier, dessen Kavallerieuniform in diesem Teil des Lagers ziemlich auffällig wirkte. “Wie du sehr wohl weißt, missfällt es deinen Kameraden, wenn du dich mit minderwertigen Infanteristen abgibst.”

“Wann immer ich dich sehen will, muss ich mich notgedrungen in die Niederungen des Pöbels wagen.” Gutmütig akzeptierte Giles die Hänselei des Majors, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet war. “Indes werde ich nie begreifen, warum ein so hervorragender Reiter wie du die Laufbahn eines Fußsoldaten gewählt hat.” Auf diesen Kommentar erhielt er keine Antwort, und er war klug genug, das Thema nicht weiterzuverfolgen. “Hast du Neuigkeiten über deinen Vater gehört?”

Barton schüttelte den Kopf. “Wenn ich die Intelligenz meiner Stiefmutter auch eher durchschnittlich finde, eins muss ich Eugenie zugestehen – sie neigt nicht zu Übertreibungen. Deshalb gehe ich davon aus, dass ihre Mitteilung über den besorgniserregenden Gesundheitszustand meines Vaters ernst zu nehmen ist. Doch selbst wenn es nicht so wäre, würde ich diesen Urlaub daheim verbringen. Höchste Zeit, dass ich mit meiner Familie Frieden schließe …” Bevor er weitersprach, beobachtete er wieder die Soldaten, die nun auf einen Höhenzug in ein paar Meilen Entfernung zumarschierten. “Diese letzten Jahre in Spanien haben meine Anschauungen entscheidend geändert. Was ich früher wichtig fand, spielt inzwischen kaum mehr eine Rolle für mich. Ich glaube, auf diese oder jene Weise beeinflussen Kriegserlebnisse die meisten Männer. In manchen bringen sie die besten Wesenszüge zum Vorschein, in anderen die schlimmsten.”

Zustimmend nickte Giles und folgte dem Blick seines Freundes. “Wellesley meint es offenbar ernst. Wie ich sehe, hat er den Profoss mit der Kolonne losgeschickt.”

“Nach den Verlusten in den letzten Monaten kann er nicht untätig bleiben. Die Leute desertieren scharenweise. Angeblich verstecken sich etwa hundert in dem unwegsamen Gelände dort droben. Wenn sie genug zu essen finden, können sie noch eine Weile durchhalten. Aber sobald der Winter beginnt, werden sie in Schwierigkeiten geraten.”

“Ich habe gehört, Wellesley wäre bereit, Nachsicht zu üben, wenn sich jemand freiwillig stellt. Indes würde er nicht zögern, alle anderen zu hängen.”

Mit schmalen Augen fixierte Barton die Bergkette. “Ehrlich gesagt, da draußen treibt sich jemand herum, den ich gern am Galgen sehen würde. Wellesley bezeichnet die gemeinen Soldaten als Abschaum. Und damit hat er völlig recht, was Septimus Searle betrifft. Einen niederträchtigeren Schurken wirst du kaum finden. Unglücklicherweise gehört er meiner Kompanie an. Ich bedauere es, dass ich nicht hier bin, wenn er seine gerechte Strafe erhält. Und das wird geschehen, denn es ist ausgeschlossen, dass er sich ergibt und sich erneut meinem Kommando unterstellt. Ich würde ihm das Leben zur Hölle machen. Das weiß er.”

Verblüfft hob Captain Fergusson die Brauen, denn sein Freund genoss den Ruf, seine Untergebenen besonnen und gerecht zu behandeln. Deshalb respektierten ihn seine Männer. “Diese Rachsucht passt nicht zu dir.”

Ohne die geringste Reue zu zeigen, stieg Barton auf sein Pferd. “Zwischen Vergewaltigung und Mord gibt es so gut wie kein Verbrechen, das Searle nicht begangen hätte. Mein Mitleid gilt den Opfern. Aber in den nächsten Wochen will ich die Erfahrungen vergessen, die ich auf der Halbinsel gesammelt habe, und angenehmeren Interessen nachgehen, während ich mich mit meiner Familie versöhne.”

1. KAPITEL

1816

Nur das stetige Ticken der Uhr auf dem Kaminsims war im Salon von Foxhunter Grange zu hören. Miss Abigail Graham starrte entschlossen aus dem Fenster und vermied es sorgsam, zu dem Teil des Gartens hinter den Büschen hinüberzuschauen, den sie nicht mehr betrat. Endlich hatte sie ihre Entscheidung getroffen – so konnte und wollte sie nicht weiterleben.

“Nun, mein Kind? Hast du nichts zu sagen?”, brach der ältere Herr, der auf einem Sessel in der Nähe des Kamins saß, das Schweigen. Seine Stimme klang merklich schärfer als zuvor bei der Mitteilung, er habe Arrangements für Abigails nächste Zukunft getroffen. “Verdiene ich kein einziges Dankeswort, nachdem ich dafür gesorgt habe, dass du während meiner Abwesenheit angemessen betreut wirst?”

“Ich soll dir danken?” Abbie wandte ihren Blick von der Blütenpracht draußen ab und drehte sich um.

Die Ähnlichkeit zwischen ihr und dem weißhaarigen Gentleman konnte niemandem entgehen. Ein gütiges Schicksal hatte Miss Graham die Hakennase erspart, die schon seit mehreren Generationen fast alle männlichen und ein paar bedauernswerte weibliche Familienmitglieder charakterisierte, doch sie hatte die blauvioletten Augen und das seidige schwarze Haar der Grahams geerbt und war von der Natur mit einer eleganten Haltung und einer schlanken Figur bedacht worden. Nicht einmal das unscheinbare graue Kleid, eher für eine Gouvernante geeignet, konnte ihre wohlgeformte Gestalt verbergen. Ebenso wenig vermochte ihre schlichte Frisur einen Betrachter von ihren fein gezeichneten, perfekt symmetrischen Zügen und dem makellosen Teint abzulenken.

“Würde ich glauben, dass du mich nach Bath schickst, damit ich die Gesellschaft meiner Patentante genieße, die ich fast sechzehn Jahre nicht gesehen habe – ja, dann wäre ich dir dankbar.” Nur die pochende Ader an Abigails Schläfe verriet den Zorn, der sich so lange in ihr angestaut hatte. Zum ersten Mal war sie nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. “Aber ich kenne dich zu gut. Du willst aus einem anderen Grund verhindern, dass ich in deiner Abwesenheit hierbleibe. Damit ich keine engere Freundschaft mit unserem neuen Arzt schließe!”

Sekundenlang verriet Colonel Augustus Grahams Mienenspiel ein gewisses Missbehagen, als er seine empörte Enkelin musterte. “Du redest Unsinn, Kind”, protestierte er dann und griff mit unmerklich zitternder Hand nach dem Brandyglas auf dem Tisch neben sich. “Ich fürchte, du leidest an einer kleinen Unpässlichkeit. Vielleicht sollten wir deine Reise um ein paar Tage verschieben, bis du dich besser fühlst.”

“Oh nein, Großvater. Morgen früh werde ich wie geplant aufbrechen. Wenn die Zofe, die meine Patentante mir freundlicherweise schickt, heute eintrifft, müsste sie sich über Nacht ausreichend erholen können.”

Abigails entschiedener Tonfall überraschte den Colonel. Bisher war sie ihm stets mit untadeligem Respekt begegnet. Er stand auf und lehnte sich gegen den Kamin, dann schaute er sie wieder an. “Offenbar bist du pikiert, weil ich dich eben erst über meine Vereinbarung mit Lady Penrose informiert habe.”

“Gewiss, ich wäre gern nach meinen Wünschen gefragt worden”, bestätigte Abbie. Irgendwie schaffte sie es, ihre bewundernswerte Selbstkontrolle zu wahren. “Aber obwohl kaum davon auszugehen ist, dass du es beabsichtigst – du tust mir einen Gefallen. Während ich bei meiner Patentante wohne, möchte ich entscheiden, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene, bis ich an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag über das Geld verfügen kann, das mir meine Mutter vermacht hat.”

“Um Himmels willen, was redest du da, Kind?”, rief der Colonel und gab sich keine Mühe, seinen wachsenden Unmut zu verhehlen. “Selbstverständlich wirst du nach Foxhunter Grange zurückkehren. Das Erbe deiner Mutter ist ein Almosen verglichen mit dem Vermögen, das du von mir erhalten wirst. Nach meinem Tod kannst du ein komfortables Leben führen – vorausgesetzt, du gibst mir keinen Grund, mein Testament zu ändern.”

Diese überflüssige, taktlose Drohung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Noch länger vermochte Abigail ihre Wut nicht zu zügeln. “Verdammt, dann ändere es eben!”

Nur wenige Männer, geschweige denn eine Frau, würden es wagen, so mit einem älteren Mitglied ihrer Familie zu sprechen. Das wusste sie. Doch davon ließ sie sich nicht beirren. Der unheilvolle Glanz in den Augen ihres Großvaters und seine verkniffenen Lippen schüchterten sie nicht ein. Nun würde er endlich erfahren, wie sehr sie unter seiner kalten Gleichgültigkeit litt – nachdem er ihr in ihrer Kindheit so viel Liebe und Güte bewiesen hatte.

“Du bist nicht mehr der Mann, der mich vor fünfzehn Jahren hierherbrachte, Großvater. Damals warst du freundlich und rücksichtsvoll …” Täuschte sie sich, oder zuckte ein Muskel an seinem Kinn, bevor er ihr den Rücken kehrte und zum Porträt seiner verstorbenen Frau aufblickte, das an einem Ehrenplatz über dem Kamin hing. “Indes änderte sich das abrupt, als ich mich weigerte, deinen kostbaren Patensohn zu heiraten, nicht wahr?”

“Zweifellos war die Art und Weise deiner Ablehnung unverzeihlich”, erwiderte er mit rauer Stimme und wandte sich wieder zu ihr um.

“Gewiss, ich habe mich unhöflich benommen”, gab sie zu. “Aber ich war gerade erst siebzehn. Und du hattest mir vorher keine Gelegenheit gegeben, mit dir darüber zu sprechen – allein, unter vier Augen …”

Abigail bekam keine Antwort, und wie sie seiner ablehnenden Miene entnahm, würde er ihren Standpunkt wohl niemals akzeptieren.

“Was in der Vergangenheit geschehen ist, kann ich nicht ändern, Großvater”, fuhr sie fort. “Und offen gestanden – ich würde es auch gar nicht versuchen, selbst wenn es möglich wäre. Niemals könnte ich mich mit einem Mann vermählen, den ich weder liebe noch achte.”

Wieder einmal traf sie jener kalte, harte Blick, an den sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt hatte. “Wieso sagst du das? Als kleines Mädchen mochtest du ihn.”

“Ja, vielleicht – ein wenig”, seufzte sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. “Doch Kinder werden erwachsen, Großvater. Wir hätten nicht zueinander gepasst.”

Ungeduldig winkte er ab. “Und wie kannst du einen Gentleman nicht achten, der seinem Vaterland im Krieg gegen Frankreich so hervorragende Dienste erwiesen hat? Seine Tapferkeit wurde sogar vom Prinzregenten gewürdigt. Also wirklich, deine Ansichten übersteigen mein Begriffsvermögen.”

“Hier geht es nicht um Bartons Heldentaten auf dem Schlachtfeld”, betonte Abigail, “sondern um seine Prinzipien.”

“Prinzipien!”, stieß der Colonel hervor. “Sei versichert, mein Mädchen, Bartons Grundsätze sind über jeden Verdacht erhaben. Wäre er an jenem Tag nicht dazwischengetreten, hätte ich dir eine wohlverdiente Tracht Prügel verabreicht.”

Falls er erwartete, dieses Geständnis würde Abigail für seinen Patensohn einnehmen, den er stets bewundert hatte, belehrte sie ihn eines Besseren. “Damit tat er mir keinen Gefallen. Viel lieber hätte ich Schläge ertragen als dein liebloses Verhalten.” Als der alte Mann den Mund öffnete und protestieren wollte, ließ sie ihn nicht zu Wort kommen. “Nach meiner Großjährigkeit überlegte ich, ob ich dieses Haus verlassen sollte, in dem ich wie ein besserer Dienstbote behandelt werde. Sicher wäre ich fähig gewesen, mich selbst zu ernähren. Wenn du glaubst, davor hätte ich mich gefürchtet, irrst du dich ganz gewaltig. Nein, ich blieb hier, weil ich hoffte, eines Tages würdest du mir verzeihen und unsere frühere innige Verbundenheit könnte wieder aufleben. Doch dieser Illusion gebe ich mich nicht länger hin.”

Seiner verächtlich gerunzelten Stirn merkte sie an, dass er ihre Ankündigung, sie würde von jetzt an für sich sorgen, nicht ernst nahm. Dann herrschte er sie an: “Mach dich nicht lächerlich, Kind! Wie willst du denn deinen Lebensunterhalt verdienen?”

Sie ließ sich von seinem geringschätzigen Ton nicht entmutigen. Herausfordernd hielt sie seinem frostigen Blick stand. “Nun, ich würde die Stellung einer Wirtschafterin antreten. Immerhin führe ich dir seit fast sechs Jahren den Haushalt. Oder ich arbeite als Gouvernante. Ich hatte Zeit im Übermaß, meine Kenntnisse zu schulen, während ich von dir ignoriert wurde.”

Voller Genugtuung beobachtete Abigail, wie die Arroganz in seinen Augen einer gewissen Unsicherheit wich.

“Außerdem”, fügte sie hinzu und schaute zu dem Porträt über dem Kamin hinauf, “könnte ich das künstlerische Talent nutzen, das ich von Großmutter geerbt habe. Was im Übrigen niemandem außer dir entgangen ist … Und ich schließe eine Heirat nicht völlig aus. Aber falls ich jemals eine Ehe erwäge, werde ich mich nicht für unseren Hausarzt entscheiden, obwohl ich seine Freundschaft schätze. Und keinesfalls für deinen großartigen Patensohn, der mich abstößt.”

Wütend schlug Augustus Graham mit der Faust auf den Kaminsims. Mehrere Ziergegenstände fielen herunter. “Was, zum Teufel, hat er dir getan? Warum hasst du ihn so sehr?”

“Danach erkundigst du dich etwas zu spät, Großvater, und ich möchte ihn nicht anschwärzen. Wenn du herausfinden willst, was mich an Barton Cavanagh stört, frag ihn selbst. Vielleicht erzählt er dir, was vor sechs Jahren im Sommerhaus geschah. Kurz bevor er um meine Hand anhielt …” Da sie jenen Zwischenfall, den sie lieber vergessen würde, nicht weiter erörtern mochte, wandte sie sich zum Gehen. “Heute Abend werde ich nicht mit dir dinieren. Ich muss das Personal beaufsichtigen, das meine Sachen packt. Deshalb verabschiede ich mich schon jetzt von dir, und ich wünsche dir einen angenehmen Aufenthalt bei deinem Freund in Schottland.”

Abigail schloss die Tür hinter sich, ohne einen Blick zurückzuwerfen, und so entging ihr der nachdenkliche Ausdruck in den Augen ihres Großvaters. Nachdem sie den Raum verlassen hatte, trat Colonel Augustus Graham ans Fenster und betrachtete das kleine Holzhaus am Ende der ausgedehnten Rasenfläche, das Bäume und Büsche fast verdeckten. Diesen Pavillon hatte seine Enkelin früher sehr gern aufgesucht, ebenso wie er selbst vor vielen Jahren mit seiner Frau und seinem Sohn. Ja, es stimmte – Abbie schien ihn zu meiden. Warum war ihm das niemals aufgefallen?

Aber dann schüttelte er den Kopf und verdrängte den beunruhigenden Gedanken. Drei Tage später traf die gemietete Postkutsche am frühen Nachmittag in Bath ein. Abigail und die Zofe ihrer Patentante hatten sich auf der Reise Zeit genommen, öfter Station gemacht und das milde Wetter genossen.

Für Abbie war die Fahrt ein besonderes Erlebnis gewesen. Jahrelang hatte sie den Landsitz ihres Großvaters im berühmten Jagdgebiet von Leicestershire nicht verlassen. Nun machte sie zahlreiche interessante Entdeckungen, während die Chaise südwärts rollte, und sie fand die Gesellschaft der Zofe sehr unterhaltsam.

Miss Evelina Felcham unterschied sich von allen Dienstboten, die Abigail kannte. Auf Foxhunter Grange fürchtete das Personal das unberechenbare Temperament des Colonels und begegnete ihm mit unterwürfigem Respekt.

So bedingungslos war Miss Felcham ihrer Herrin nicht ergeben. Und sie zögerte auch niemals, ihre Meinung zu äußern – gleichgültig, ob sie danach gefragt wurde oder nicht.

“Hoffentlich ist meine Patentante nicht beunruhigt, weil wir erst jetzt eintreffen. Aber ich wollte möglichst viel von der Gegend sehen, durch die wir gefahren sind.” Fasziniert spähte Abigail durch das Kutschenfenster auf die belebten Straßen von Bath.

“Machen Sie sich deshalb keine Gedanken, Miss”, erwiderte die Zofe. “Lady Penrose sorgt sich um gar nichts. Zumindest merkt man nichts davon. Seit dem Tod ihres Gatten ist ihr alles egal. Vielleicht würde sie sich anders verhalten, wäre sie mit Kindern gesegnet worden. Doch das sollte wohl nicht sein. Sicher wird ihr der Besuch ihrer Patentochter guttun.”

Die Stirn gerunzelt, wandte sich Abbie zu Miss Felcham. “Womöglich ist sie gekränkt, wenn ich sie nicht erkenne … Auch Sie waren mir fremd.”

“Kein Wunder, Miss. Als Ihre Eltern Sie damals zu uns brachten, waren Sie erst sieben oder acht Jahre alt. Dennoch hätte ich überall und jederzeit gewusst, dass Sie es sind. Mit Ihren blauen Augen und den dunklen Haaren gleichen Sie Ihrem Vater. Und Ihrer Mutter ebenfalls.”

“Tatsächlich?”, fragte Abigail erfreut. Im Lauf der Jahre hatte sie immer wieder das einzige Porträt ihrer Mutter studiert, das sie besaß, ein kleines Aquarell in einem Silberrahmen. Mitunter hatte sie geglaubt, eine gewisse Ähnlichkeit zu entdecken, war jedoch zu der Ansicht gelangt, dass sie eher nach den Grahams geraten sei. “Leider erinnere ich mich nur ganz vage an meine Eltern, Miss Felcham”, gestand sie und seufzte leise. “Kurz nach unserem Besuch in Lord und Lady Penroses Haus in Surrey reisten sie nach Italien.”

“Ja, Miss Abigail, das weiß ich”, erwiderte die Zofe wehmütig. “Welch eine Tragödie – beide sind dem Typhus erlegen. Prüfend schaute sie Abbie an. “Aber Sie müssen sich glücklich schätzen, weil Ihr Großvater so gut für Sie gesorgt hat. Wie mir meine Herrin erzählt hat, waren Ihre Briefe stets so optimistisch, voller Lebensfreude.”

“Gewiss …” Schnell schaute Abigail wieder aus dem Fenster, doch die nachdenkliche Miene der Zofe war ihr nicht entgangen.

Zu ihrer Erleichterung musste sie den forschenden Blick aus Miss Felchams dunklen Augen nicht mehr allzu lange ertragen. Wenige Minuten später hielt die Kutsche vor einem stattlichen Haus am Upper Camden Place. Eine ältere Haushälterin empfing sie und führte sie zu einem eleganten Salon im ersten Stock.

Eine Bonbonniere in der Hand, wandte sich die Hausherrin um, als die Tür aufging. Erfreut setzte sie das Gefäß ab und eilte ihrem Gast trotz ihrer rundlichen Figur erstaunlich schnell entgegen.

“Lass dich anschauen!”, rief Lady Penrose, nachdem sie Abigail zärtlich umarmt hatte. Aufmerksam musterte sie das lächelnde Gesicht unter dem schlichten altmodischen Hut. “Ja, du bist es! Überall hätte ich dich erkannt.”

Abigail, die eine so liebevolle Zuwendung jahrelang entbehrt hatte, war gerührt über den freundlichen Empfang und gleichzeitig ein wenig verlegen. Im Grunde stand eine völlig fremde Frau vor ihr.

“Vielen Dank für die Einladung, Tante Henrietta.” Sie ließ sich zu einem Sessel führen und nahm Platz, nachdem Lady Penrose wieder in die Sofapolster gesunken war. “Morgen werde ich anfangen, die Stadt zu erforschen. Darauf freue ich mich schon sehr.”

“Ich hoffe, du wirst die Zerstreuungen genießen, die Bath zu bieten hat.” Kritisch inspizierte Lady Penrose die unscheinbare Kleidung ihres Patenkinds. “Was das betrifft, können wir natürlich nicht mit der Hauptstadt konkurrieren. Aber du wirst dich auch hier gut unterhalten.”

Wie Abigail vermutete, schätzte ihre Patentante den gemächlichen Lebensstil in der einst so fashionablen Kurstadt. Lady Penrose strahlte träge Zufriedenheit aus. Offenbar hatte Miss Felcham recht, wenn sie behauptete, ihre Herrin sei in letzter Zeit immer gleichgültiger geworden. Andererseits gewann Abbie den Eindruck, dass Ihre Ladyschaft zwar körperliche Aktivitäten scheute, indes einen hellwachen Geist besaß.

“Sicher werde ich meinen Aufenthalt in Bath genießen, Tante Henrietta. Doch du solltest dich nicht um mein Amüsement bemühen. Ich bin an ein ruhiges, beschauliches Leben gewöhnt.”

Erstaunt hob Lady Penrose die Brauen. “Also hat die Jagdleidenschaft nachgelassen? Das überrascht mich. Eigentlich dachte ich, Leicestershire würde scharenweise junge Gentlemen anlocken, die diesem Sport huldigen.”

“Oh, daran hat sich nichts geändert”, erklärte Abbie. “Großvater lädt oft begeisterte Jäger nach Foxhunter Grange ein.”

“Ach, wirklich? Dann müsstest du dich auf dem gesellschaftlichen Parkett heimisch fühlen.” Erneut musterte Lady Penrose die altmodische Aufmachung ihrer Patentochter. Dann wandte sie sich dem Tablett mit Erfrischungen zu, das sie geordert hatte, und schenkte den Tee ein. “Ich muss sagen, der Colonel hat mich mit der Ankündigung deines Besuches ebenso überrascht wie erfreut”, fuhr sie fort.

Der forschende Blick, mit dem Abigail diese Bemerkung quittierte, blieb Ihrer Ladyschaft nicht verborgen, doch sie lenkte das Gespräch auf die Unternehmungen, die sie für Abbies Aufenthalt geplant hatte. Als nach einer knappen Stunde das Dienstmädchen kam, um abzuräumen, wies sie es an, der jungen Dame ihr Zimmer zu zeigen und Miss Felcham unverzüglich in den Salon zu schicken.

Sobald Abigail den Raum verlassen hatte, erhob sich Ihre Ladyschaft, ging zu ihrem Schreibtisch und nahm einen Brief aus einem Schubfach. Während sie ihn überflog, erschien die Zofe.

“Nun, was meinen Sie, Felchie?”, wollte Lady Penrose ohne Umschweife wissen.

Falls die Bedienstete über die unverblümte Frage staunte, ließ sie sich nichts dergleichen anmerken. Leise schloss sie die Tür hinter sich. “Ein Rätsel, Mylady. Finden Sie nicht auch?”

“Allerdings. Warum eine so schöne, charmante und gut erzogene junge Frau mit dreiundzwanzig Jahren noch immer unverheiratet ist, begreife ich nicht.”

“Nun, vielleicht fühlt sie sich wohl bei ihrem Großvater.” Miss Felcham klang unsicher, sodass ihre Herrin sofort nachhakte.

“Aber diesen Eindruck haben Sie nicht gewonnen.”

“Nein, Mylady”, gab die Zofe zu. “Ich glaube, Miss Graham und ihr Großvater verstehen sich nicht allzu gut. Am Morgen unserer Abreise verließ der Colonel zeitig das Haus. Miss Abbie wollte seine Rückkehr nicht abwarten, um sich von ihm zu verabschieden.”

“Könnte es sein, dass sie nicht herkommen wollte?”

“Ganz im Gegenteil”, versicherte die Zofe.

“Das glaube ich auch. Sie war ganz begeistert von den Aktivitäten, die ich ihr vorschlug und die wir zusammen unternehmen werden. Und doch …” Nachdenklich hielt Lady Penrose den Brief hoch. “Der Colonel schreibt mir, falls es nötig sei, soll ich ein paar Kleider für seine Enkelin anfertigen lassen und ihm die Rechnungen schicken.” Seufzend verdrehte sie die Augen. “In der Tat, ihre schäbige Aufmachung würde eher zu einer Küchenmagd passen. Besitzt sie nichts anderes zum Anziehen? Lediglich dieses altmodische Zeug? Wenn ja, muss ihr Großvater nicht bloß zwei oder drei neue Gewänder, sondern eine komplette Garderobe bezahlen.”

Die Zofe nickte verständnisvoll. Obwohl sich ihre Herrin bereits in mittleren Jahren befand und ihre Figur bedauerlicherweise immer fülliger wurde, zeigte sie ein lebhaftes Interesse an allen Belangen der Mode. “Abgesehen von zwei tauglichen Abendroben enthält Miss Abigails Truhe nichts, was Ihren Ansprüchen genügen würde, Mylady. Aber wie ich betonen muss – ihre Wäsche ist von erster Güte.”

“Immerhin etwas …” Lady Penrose strich sich mit Colonel Grahams Brief über das Doppelkinn. “Trotzdem werden wir morgen Vormittag die Geschäfte in der Milsom Street aufsuchen.”

Nicht nur das Wetter, das sich plötzlich verschlechterte, sondern auch Abbies erstaunlicher Mangel an Begeisterung bewogen ihre Patentante, den Einkaufsbummel zu verschieben. Natürlich war sie ein wenig enttäuscht, als die junge Dame betonte, sie interessiere sich nicht für die Mode und die Ausstattung, die sie mitgebracht habe, würde für den Aufenthalt in Bath genügen.

Doch als sie sich an diesem Abend in der Halle trafen, um zu einer Gesellschaft zu fahren, fand Lady Penrose nichts an der äußeren Erscheinung ihrer Patentochter auszusetzen. Offensichtlich war das schlichte nachtblaue Seidenkleid von einer erstklassigen Schneiderin angefertigt worden. Miss Felcham hatte die dunklen Locken des Mädchens kunstvoll frisiert, eine Perlenkette schmückte den schlanken Hals. Dazu trug Abbie passende Ohrringe.

Obwohl Ihre Ladyschaft Abigails zurückhaltend elegante Aufmachung mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm, gab sie ihren Plan, ihren Hausgast neu einzukleiden, keineswegs auf. Inständig wünschte sie, man würde ihre Patentochter zur fashionabelsten jungen Dame von Bath erklären.

“Dem Himmel sei Dank, es hat zu regnen aufgehört”, bemerkte Lady Penrose, während sie in die wartende Kutsche stiegen. “Wenn wir Glück haben, können wir morgen die Trinkhalle besuchen. Dort möchte ich dich meinen Freunden vorstellen. Allerdings nehme ich an, den meisten werden wir bereits heute Abend auf Agnes Fergussons kleiner Soiree begegnen.”

Abigail hob belustigt die Brauen. Anscheinend war Lady Penrose eine Gesellschaftslöwin, die alles kannte, was in Bath Rang und Namen hatte. “Meinetwegen brauchst du in dieser Hinsicht keine Mühen auf dich zu nehmen. Ich langweile mich nicht, und ich kann mich sehr gut allein beschäftigen.” Wieder einmal wurde sie mit jenem prüfenden Blick bedacht, der ihr seit der Ankunft in Bath schon öfter ein gewisses Unbehagen bereitet hatte. Noch während sie sich fragte, was im Kopf ihrer Patentante vorgehen mochte, erhielt sie die Antwort.

“Irgendwie habe ich das Gefühl, du führst ein sehr zurückgezogenes Leben. Hast du keinen Bekanntenkreis?”

“Darauf musste ich in den letzten Jahren verzichten”, gab Abbie zu, weil sie keinen Grund sah, die Wahrheit zu verheimlichen. “Meine gleichaltrigen Freundinnen haben geheiratet oder sind woandershin gezogen. Aber ich verstehe mich recht gut mit den Ehefrauen von Großvaters Nachbarn.”

“Sicher bist du viel jünger als sie.”

“Ja, Tante Henrietta. Wie ich gestehen muss, bevorzuge ich die Gesellschaft älterer Damen.”

“Vermutlich weil dir nichts anderes übrig bleibt …” Eine Zeit lang schwieg Lady Penrose, bevor sie sich erkundigte: “Gibt es heutzutage keine netten jungen Gentlemen mehr in Leicestershire?”

Abbie ahnte, worauf ihre Patentante hinauswollte, und unterdrückte ein Lächeln. Seltsamerweise fand sie die Frage nicht unangenehm. Es hätte sie eher verwundert, wäre das Thema ihres nach wie vor ledigen Standes nicht angeschnitten worden.

Nun wollte sie klarstellen, wie sie darüber dachte, um künftige Missverständnisse zu vermeiden. “Während der Jagdsaison kommen viele Junggesellen in unsere Gegend, und einige leben auch in der Nähe von Foxhunter Grange – zum Beispiel ein Arzt, mit dem ich Freundschaft geschlossen habe. Aber ich bin bislang keinem Mann begegnet, den ich heiraten möchte.”

“Dazu hattest du nicht allzu viele Gelegenheiten, meine Liebe, oder?” Verwirrt schüttelte Lady Penrose den Kopf. “Ich verstehe nicht, wieso dein Großvater dich erst jetzt zu mir geschickt hat. Seit deinem siebzehnten Geburtstag schrieb ich ihm mehrmals und schlug vor, du solltest mich in Bath besuchen.”

“Davon wusste ich nichts. In deinen Briefen an mich hast du es nie erwähnt.”

“Nein, natürlich nicht, Kindchen. Bevor ich dich einlud, wollte ich der Erlaubnis des Colonels sicher sein – das erschien mir nur recht und billig. Leider hatte ich keinen Erfolg.”

“Was mich nicht überrascht. Großvater würde es nicht riskieren, dass ich nähere Bekanntschaft mit einem Gentleman schließe.”

Empört runzelte Ihre Ladyschaft die Stirn. “Wie meinst du das? Ist er selbstsüchtig genug, dich auf Foxhunter Grange festzuhalten, damit du ihm in seinen letzten Lebensjahren Gesellschaft leistest?”

“Keineswegs, Tante Henrietta”, versicherte Abigail. “Doch er will mich immer noch mit dem Gentleman verheiraten, den er mir von Anfang an zugedacht hat. An diesem Entschluss hält er hartnäckig fest. Und deshalb finde ich es erstaunlich, dass ich deine freundliche Einladung diesmal annehmen durfte.”

“Oh nein, Liebes, nicht ich habe dem Colonel geschrieben”, erklärte Lady Penrose hastig. “Er war es, der mich bat, dich für einige Wochen aufzunehmen. Wie ich bereits erwähnte, habe ich mich über seinen Brief gewundert …” Als sie die Bestürzung ihrer Patentochter bemerkte, fügte sie rasch hinzu: “Selbstverständlich habe ich seinen Wunsch nur zu gern erfüllt. Er nahm an, du würdest es vorziehen, hierherzukommen, statt ihn ins schottische Hochland zu begleiten.”

Da hatte er recht, dachte Abbie. Und dann versuchte sie mit wachsender Besorgnis herauszufinden, warum sich ihr Großvater die Mühe gemacht hatte, ihre Reise nach Bath zu arrangieren. Wenn er verhindern wollte, dass sich eine tiefere Freundschaft zwischen seiner Enkelin und dem jungen Doktor entwickelte, hätte er sie einfach nach Schottland mitnehmen können. Es musste mehr hinter seinem Verhalten stecken. Aber was? Führte er irgendetwas im Schilde?

Die Chaise hielt vor einem imposanten Gebäude am Stadtrand. Nun war keine Zeit mehr, um über ihr Problem nachzudenken, und sie verdrängte es in den Hintergrund ihres Bewusstseins, während sie ihrer Patentante ins Haus folgte. Die Gastgeberin stand am Eingang eines großen, exquisit eingerichteten Salons und begrüßte die beiden Damen so herzlich, dass Abigails anfängliche Befangenheit sofort verflog.

“Wie nett und liebenswürdig deine Freundin ist, Tante Henrietta!”, bemerkte sie, als sie weitergingen. “Sie erinnert mich an eine Nachbarin meines Großvaters.”

“Ja, Agnes Fergusson ist eine gute Seele. Wir sind schon seit Jahren befreundet. Sei bloß nicht pikiert, wenn sie dich im Lauf des Abends mit sämtlichen vielversprechenden Junggesellen bekannt macht, die hier anwesend sind!”, warnte Lady Penrose. “Sie spielt für ihr Leben gern die Kupplerin, und das mit beträchtlichem Erfolg. Ihre fünf Töchter hat sie mühelos unter die Haube gebracht.”

“Keine Bange, ich werde mich nicht gekränkt fühlen”, beteuerte Abigail. Inzwischen hatten sie zwei leere Stühle an der Wand gefunden, und Abigail nahm auf einem von ihnen Platz, nachdem Ihre Ladyschaft sich gesetzt hatte. “Indes hoffe ich, ich beleidige sie nicht, wenn ich ihren ersten Fehlschlag heraufbeschwöre.” Da sie sich neugierig das Gedränge anschaute, das den Raum erfüllte, entging ihr, dass die Tante bei ihrer Bemerkung die Stirn runzelte. “Deine Freundin ist anscheinend eine sehr beliebte Gastgeberin. Wenn das eine kleine Soiree ist, würde mich interessieren …”

Lady Penrose wollte ihre Patentochter eben fragen, was sie so abrupt hatte verstummen lassen, als ihr Blick auf einen hochgewachsenen Gentleman in Begleitung einer älteren Dame und eines etwa siebzehnjährigen Mädchens fiel, der sich gerade vor der Hausherrin verneigte. Als sie daraufhin Abigail wieder ansah, gewahrte sie deren aschfahle Wangen und erschrak. “Was bedrückt dich denn, Liebes? Du bist ja ganz blass.”

Mit bebenden Fingern umklammerte Abigail ihren filigranen Fächer aus Elfenbein. “Oh, zur Hölle mit ihm!”

2. KAPITEL

Nur die sichtliche Besorgnis der Patentante hinderte Abigail daran, aus dem Salon zu stürmen. Mit einiger Mühe zügelte sie ihren Zorn. Aber es dauerte eine Weile, bis sie den Blick von der Ursache ihrer Entrüstung losreißen konnte und ihr die Stimme wieder gehorchte. “Kennst du den Gentleman, der gerade mit unserer Gastgeberin spricht?”

Lady Penrose spähte erneut zur Tür hinüber. “Nein. Weißt du, wer er ist?”

Aufgrund der prompten Entgegnung war Abbie sicher, dass Ihre Ladyschaft die Wahrheit sagte, und verwarf den Verdacht, die Tante könnte in Colonel Augustus Grahams infamen Machenschaften die Rolle einer Komplizin spielen. “Ja, allerdings”, gab sie zu und beobachtete, wie der Gegenstand ihres Unmuts seine beiden Begleiterinnen zu einem rotblonden Gentleman geleitete, der ihm fröhlich zugewunken hatte.

“Das ist niemand anderer als der Patensohn meines Großvaters, den ich unbedingt heiraten soll.”

Nun musterte Lady Penrose den Mann etwas genauer und registrierte den geschmeidigen Gang, die breiten Schultern, das aristokratische Profil. “Und dein Wunsch ist es nicht, Liebes?”, fragte sie leise und betrachtete verblüfft den entschlossenen Ausdruck, den Abigails fein gezeichnete Züge annahmen.

“Eher würde die Sonne im Westen aufgehen, bevor ich mich bereit erkläre, Barton Cavanagh zu ehelichen.”

Nach einem kurzen Schweigen nickte Ihre Ladyschaft. “Oh – ich verstehe …”

Ihre gemurmelten Worte bewogen Abigail zu einem ironischen Lächeln. “Und ich beginne zu verstehen, warum Großvater so großen Wert darauf legte, mich ausgerechnet jetzt nach Bath zu schicken. Offenbar wusste er, dass Cavanagh sich hier aufhält, und er erwartet natürlich, dass wir uns über den Weg laufen.”

In Lady Penroses Augen erlosch der sanfte Glanz, der sie normalerweise erhellte. “Hoffentlich glaubst du nicht, der Colonel hätte mich ins Vertrauen gezogen und über seine tückischen Absichten informiert.”

“Oh nein”, versicherte Abbie. “Indes musst du meine unerfreuliche Situation begreifen … Leider werde ich eine Begegnung mit Cavanagh nicht vermeiden können.”

“Und deshalb möchtest du gehen, nehme ich an”, erwiderte Lady Penrose, ohne zu protestieren. Sie wollte einen Lakaien zu sich winken und ihre Kutsche vorfahren lassen. Doch da spürte sie eine Hand auf ihrem Arm, die sie zurückhielt.

Wann immer Abigail später an diesen Abend zurückdenken sollte, erkannte sie unweigerlich, dass ihre Entscheidung – innerhalb eines Sekundenbruchteils getroffen – ihre Zukunft bestimmt hatte. Zum Glück wusste sie in diesem Moment nichts davon … Zu sehr erfüllte sie ein Gefühl tiefer Scham.

Lady Penrose mochte vermuten, dass ihre Patentochter nur den Wunsch hatte, die Gesellschaft zu verlassen, Abbie hingegen wäre am liebsten aus der Stadt geflohen. Aber das würde sie nicht tun. Nein, sie durfte nicht wie ein verängstigtes Kind weglaufen, weder aus diesem Haus noch aus Bath. Und sie würde ihrem Großvater nicht länger erlauben, ihr Vorschriften zu machen.

“Bemüh dich nicht, Tante, ich möchte hierbleiben. Mr. Cavanaghs Anwesenheit wird mein Verhalten nicht beeinflussen. Seinetwegen will ich ganz sicher nicht auf all die Vergnügungen verzichten, die Bath zu bieten hat.”

“So ist’s recht, Kindchen.” Lady Penrose seufzte erleichtert und strahlte vor Freude. Dann runzelte sie nachdenklich die Stirn. “Meinst du, dein Großvater hat seinem Patensohn mitgeteilt, dass du hier anzutreffen bist? Und dass Mr. Cavanagh sich lediglich deshalb hierherbegeben hat?”

Bisher hatte Abbie diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen. “Das kann ich nicht sagen. Ich nehme jedoch an, Großvater hat von Bartons Absicht, nach Bath zu reisen, gewusst. Aus diesem Grund schrieb er dir. Sechs Jahre lang habe ich diesen Mann nicht gesehen – das letzte Mal bei seinem Besuch in Foxhunter Grange, kurz vor seinem Eintritt in die Armee. Wir haben niemals korrespondiert. Indes bekam Großvater hin und wieder einen Brief von ihm.”

Gedankenverloren schwieg Lady Penrose und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf Mr. Cavanagh. Dabei gelangte sie zu der Überzeugung, dass der Gentleman nicht den Eindruck erweckte, an einer Begegnung mit der Enkelin seines Patenonkels interessiert zu sein. Zumindest schien er nicht nach ihr Ausschau zu halten. Schließlich richtete sie das Wort an Abigail. “Natürlich hätte er dich während seines Kriegsdienstes nur selten treffen können. Doch es gab nichts, was ihn gehindert hätte, dir zu schreiben. Vielleicht hat sich seine Einstellung zu dieser Heirat geändert, und du machst dir überflüssige Sorgen.”

Abigails unwillkürliches Gelächter lenkte die Blicke mehrerer Gäste in ihre Richtung. “Oh nein, Tante Henrietta, ich glaube kaum, dass er so empfindsam ist. Lediglich seinem Patenonkel zuliebe hätte er mich zur Frau genommen.”

Daran schien Ihre Ladyschaft zu zweifeln. “Nun, vielleicht hast du recht. Andererseits erweckt er nicht den Anschein, er würde sich zu Entschlüssen drängen lassen, die er missbilligt. Übrigens, wer sind die Frauen in seiner Begleitung?”

Das hatte sich Abbie auch schon gefragt. “Heute Abend sehe ich sie zum ersten Mal, also bin ich mir nicht ganz sicher. Da das Mädchen ihm gleicht, könnte es seine Halbschwester sein. Und die ältere Dame ist vermutlich seine Stiefmutter.”

“Falls das stimmt, kam er wohl lediglich als Eskorte der beiden hierher und keineswegs, um dich aufzuspüren. Außerdem ist der Gentleman, mit dem er sich gerade unterhält, Agnes Fergussons Sohn. Giles diente ebenfalls in der Armee und wurde bei Waterloo verwundet. Seither hinkt der arme Junge. Offensichtlich sind die zwei Männer befreundet, also ist anzunehmen, dass Mr. Cavanagh von Giles zu dieser Gesellschaft eingeladen wurde.”

Ehe Abigail diese einleuchtende Erklärung kommentieren konnte, begann die Kapelle zu spielen.

Einige Augenblicke später erschien ein junger Mann und bat sie um den ersten Tanz des Abends. Sie wollte höflich ablehnen, doch da flüsterte die Patentante ihr zu, dies sei ein Sohn einer ihrer besten Freundinnen. Da Abbie niemanden beleidigen mochte, besann sie sich eines Besseren und stand auf – trotz der Gefahr, ins Blickfeld eines gewissen hochgewachsenen Gentleman zu geraten.

Wie sich herausstellte, war diese Befürchtung nur allzu begründet. Die Schrittfolgen führten Abigail und ihren Partner an der Ecke vorbei, wo Barton Cavanagh und seine Begleiterinnen immer noch mit Giles Fergusson plauderten. Sofort fühlte Abigail, dass sie interessiert beobachtet wurde. Sie konzentrierte sich auf die Musik, bis ihre Neugier über die Vernunft siegte. Als sie den Kopf zur Seite wandte, schaute sie direkt in Bartons ausdrucksvolle dunkle Augen, die sein attraktives, markantes Gesicht beherrschten.

Von einer mutwilligen Regung getrieben, begrüßte sie ihn, indem sie ihm kaum merklich zunickte. Erst jetzt schien er sie zu erkennen. Sichtlich verwirrt hob er die Brauen, womit er bekundete, dass er nicht erwartet hatte, sie hier in Bath anzutreffen.

Nach dem Tanz geleitete ihr Partner sie zu Lady Penrose, und Abbie war nicht sonderlich überrascht, als Barton zielstrebig auf sie zukam und vor ihr stehen blieb. “Welch eine erstaunliche Begegnung, Miss Graham …”

“Ja, wie ich zugeben muss – Ihre Ankunft in diesem Salon hat mich ebenfalls überrascht, Mr. Cavanagh”, erwiderte sie. Dann machte sie ihn mit ihrer Patentante bekannt, die sich, sofern ihre funkelnden Augen diese Deutung gestatteten, köstlich über die eklatante Untertreibung amüsierte.

Inständig wünschte Abigail, sie könne die Situation ebenso komisch finden. Doch es war ihr in tiefster Seele zuwider, mit einem Mann reden zu müssen, den sie seit über einem Jahrzehnt verachtete, und sie hoffte, das würde er ihr nicht anmerken.

“Vor zwei Wochen erst schrieb mir der Colonel, ohne jedoch Ihren Aufenthalt in Bath zu erwähnen, Abbie.” Als er sie derart freimütig mit ihrem Vornamen ansprach, zuckte sie leicht zusammen, was ihm offenbar nicht entging, denn seine Augen verengten sich.

“Da Sie gerade davon sprechen, Mr. Cavanagh”, erwiderte sie kühl, “auch mir verriet er nicht, dass ich Sie hier wiedersehen könnte.”

“Tatsächlich nicht? Wie seltsam … Ich teilte ihm nämlich mit, es sei mir unmöglich, ihn in Schottland zu treffen, da ich meine Schwester und meine Mutter dieses Frühjahr nach Bath begleiten wolle.” Eine Zeit lang musterte er Abigail schweigend, mit einem durchdringenden Blick, der ihre Gedanken zu erforschen schien. “Darf ich Sie mit den Damen bekannt machen, Miss Graham? Die beiden würden Sie gern kennenlernen, nachdem ich so oft von Ihnen gesprochen habe.”

Diese Bitte durfte sie ihm nicht abschlagen. Es wäre zu unfreundlich gewesen. Und sie musste ihren Entschluss nicht bereuen, denn Kitty Cavanagh erwies sich als ein liebenswertes, lebhaftes Mädchen. Abbie fand die unbefangene Art der jungen Dame erfrischend, einige ihrer Bemerkungen allerdings etwas verwirrend.

“In Ihrem Alter haben Sie sicher schon viele Saisons genossen, Miss Graham”, meinte Kitty, als Abbie neben ihr stand. Höflich hatte sie Mrs. Cavanagh ihren Stuhl angeboten.

“Damit deutest du an, Miss Graham stünde kurz vor der Letzten Ölung, du freches kleines Ding”, schimpfte ihr Bruder und handelte sich einen vernichtenden Blick aus Kittys dunklen Augen ein, die seinen glichen. “Wann wirst du endlich lernen, deine dreiste Zunge zu hüten?” Zu Abbie gewandt, die ihren Lachreiz nur mühsam bezähmte, fuhr er fort: “Darf ich mich im Namen meiner taktlosen Schwester entschuldigen? Leider gehört es zu ihren zahlreichen Fehlern, erst zu reden und dann zu denken.”

“Natürlich wollte ich Miss Graham nicht beleidigen”, verteidigte sich Kitty. “Ich finde sie sehr hübsch. Gefällt sie dir auch, Barton?”

Nun wusste Abigail nicht mehr, wohin sie schauen sollte. Sie spürte, wie heiße Röte in ihre Wangen stieg, und fürchtete, ihre Verlegenheit würde den Gentleman an ihrer Seite belustigen.

“Sogar sehr.” Seine Mundwinkel zuckten. “Doch das dachte ich schon immer.” Lächelnd schaute er in Abigails blauviolette Augen, die ihn teils misstrauisch, teils erstaunt musterten. “Und wie ich mich entsinne, waren Miss Grahams Manieren stets über jeden Tadel erhaben. Was für dich bedauerlicherweise nicht gilt.”

Mühsam riss sich Abigail zusammen und beschloss einzugreifen, bevor Miss Cavanagh von ihrem strengen Bruder zu grausam gemaßregelt wurde. “Zu meinem Leidwesen durfte ich keine einzige Saison in der Hauptstadt genießen, Miss Cavanagh. Jetzt habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit den Landsitz meines Großvaters verlassen.”

“War das Ihr Wunsch, Miss Graham?”, erkundigte sich Barton.

Seine unverblümte Frage irritierte Abigail. Was sollte sie darauf antworten?

Gewiss, ihr Großvater hatte sie niemals zu längeren Reisen oder intensiveren gesellschaftlichen Kontakten ermutigt – vor lauter Angst, sie würde einem Gentleman begegnen, mit dem sie sich womöglich vermählen wollte. Natürlich durfte sie Barton nicht erzählen, der Colonel habe sie von jungen Männern ferngehalten, weil er wollte, dass sie mit seinem Patensohn vor den Traualtar trat.

Eine solche Bemerkung konnte Barton nur missverstehen. Womöglich glaubte er dann, sie würde bereuen, dass sie ihn vor sechs Jahren abgewiesen hatte, und einen neuerlichen Heiratsantrag erhoffen.

“Nun, ich war stets zufrieden, Sir.” Da sie seine Skepsis spürte, bekräftigte sie: “Und da ich den Ehestand niemals erstrebenswert fand, wäre eine kostspielige Londoner Saison sinnlos gewesen. Jetzt, wo die erste Jugendblüte hinter mir liegt, werde ich wohl kaum das Interesse irgendwelcher an Heirat interessierter Junggesellen erregen. Deshalb genieße ich den Aufenthalt in Bath, ohne unwillkommene Bewerber abwehren zu müssen.”

“Wenn Sie das ernst meinen, sind Sie nicht ganz richtig im Kopf, Miss Graham”, entgegnete Barton unverblümt.

Sein sichtlicher Ärger überraschte Abigail ebenso wie seine Schwester. Nachdenklich starrte Kitty ihn an, bevor sie sich wieder zu Abbie wandte, um das Wort an sie zu richten. Aber was immer sie sagen wollte – sie fand es offenbar ratsam, es für sich zu behalten.

Glücklicherweise musste Abigail die forschenden Blicke der Geschwister nicht mehr allzu lange ertragen, denn Mrs. Cavanagh holte ihre Tochter ab, um sich mit ihr unter die anderen Gäste zu mischen.

Zu Abbies Erleichterung blieb Barton nichts anderes übrig, als den beiden zu folgen, und von da an konnte sie die Soiree unbeschwert genießen.

Am nächsten Morgen frühstückte sie mit ihrer Patentante. Wieder einmal zürnte sie ihrem Großvater, der vor keiner Hinterhältigkeit zurückschreckte, um sein Ziel schließlich doch zu erreichen. Allerdings durfte sie Barton Cavanagh keine Mitschuld an dieser Intrige geben. Sie mochte ihn noch so sehr verachten – und sie bezweifelte, dass dies jemals anders würde –, gleichwohl musste sie ihm zugutehalten, dass er sich nicht verstellen konnte. Zweifellos war seine Verblüffung über das Wiedersehen auf Agnes Fergussons Gesellschaft echt gewesen. Außerdem hatte sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, dass er den Wunsch seines Patenonkels zu erfüllen suchte. Kein einziges Mal hatte er sie zum Tanz aufgefordert.

Während Lady Penrose ihr drittes gebuttertes Brötchen verzehrte, warf sie ihrer schweigsamen Tischgenossin einen verstohlenen Blick zu. Obwohl sie Abbie bislang nicht allzu gut kannte, hätte sie nicht vermutet, dass die junge Dame zur Übellaunigkeit neigte. Aber heute Morgen wirkte sie melancholisch und in sich gekehrt. Was mochte sie bedrücken? Mr. Cavanaghs Anwesenheit auf der Soiree?

Um das herauszufinden, gab es nur eine Möglichkeit. Sie musste das heikle Thema anschneiden. “Also wirklich, mein Liebes, du solltest dir keine unnötigen Sorgen machen. Immerhin bist du dreiundzwanzig Jahre alt. Niemand kann dich zwingen, einen Mann zu heiraten, der dir missfällt.”

“Ja, das stimmt. Trotzdem hofft Großvater unverdrossen, er könne es bewerkstelligen, und wir haben uns nicht im besten Einvernehmen getrennt.” In Abigails Stimme klang leise Wehmut mit. “Übrigens hat er angekündigt, er würde mich enterben, wenn ich mich mit dem falschen Mann vermähle.”

Bestürzt starrte ihre Patentante sie an. Allem Anschein nach war Colonel Graham ein kaltherziger alter Hagestolz, der keinerlei Rücksicht auf die Gefühle seiner Enkelin nahm. Diese Erkenntnis bewog Lady Penrose zu dem Entschluss, seine Pläne zu durchkreuzen. Gleichzeitig empfand sie Scham und tiefe Reue, weil sie sich niemals die Mühe gemacht hatte, die Tochter ihrer verstorbenen Freundin zu besuchen. Indes hatte sie geglaubt, ihr Patenkind sei bei seinem Großvater in den besten Händen. Offensichtlich war dies ein Irrtum gewesen. Und jetzt wollte sie wiedergutmachen, was sie in der Vergangenheit versäumt hatte.

Doch zuerst musste sie herausfinden, warum es der jungen Dame so sehr widerstrebte, sich mit Barton Cavanagh zu verehelichen. Auf sie hatte der Gentleman einen ausgezeichneten Eindruck gemacht.

“Wirst du dich in irgendeiner Weise von deinem Großvater beeinflussen lassen?”, fragte sie in sanftem Ton.

“Ganz sicher nicht!”, erwiderte Abigail entschieden. “Falls ich je vor den Traualtar trete, dann mit einem Mann, den ich mir selber aussuche.”

Erfreut über die Willenskraft ihrer Patentochter, bot Lady Penrose ihr Hilfe an. Abigail akzeptierte sie dankbar.

“Schon vor meiner Abreise aus Leicestershire erkannte ich, welch ein Fehler es wäre, nach Foxhunter Grange zurückzukehren”, gestand sie. “Dazu wäre ich bereit, falls ich hoffen dürfte, mein Großvater würde nachgeben und nicht mehr auf meiner Eheschließung mit seinem Patensohn bestehen …” Traurig schüttelte sie den Kopf. “Aber dieses Ziel verfolgt er nach wie vor. Sonst hätte er mich nicht gerade jetzt hierhergeschickt, wo sich auch Barton in Bath aufhält – ein unwiderlegbarer Beweis.”

Lady Penrose griff über den Tisch hinweg nach Abbies Hand. “Warst du sehr unglücklich, Kindchen?”

“Zumindest war ich in den letzen Jahren nicht sehr froh.”

“Allmählich entwickle ich eine heftige Abneigung gegen deinen Großvater.”

“Oh, bitte nicht, Tante!” Zu ihrer eigenen Überraschung verteidigte Abigail den Colonel. “Glaub mir, als er mich damals bei sich aufnahm, war er die Güte in Person.” Mit einem träumerischen Lächeln beschwor sie Bilder aus der Vergangenheit herauf. “Obwohl er viel Zeit mit mir verbrachte, stellte er zusätzlich eine Gouvernante ein, bei der ich einen ausgezeichneten Unterricht genoss. Er ging mit mir reiten und angeln. Und er lehrte mich sogar, eine Pistole zu benutzen. So viele glückliche Stunden erlebte ich in seiner Gesellschaft … Erst nachdem ich mich geweigert hatte, Barton zu heiraten, begegnete er mir kühl und unnahbar. Bis zu einem gewissen Grad verstehe ich sein Verhalten.” Diese Worte bekundeten eine Toleranz, die Ihre Ladyschaft bewundernswert fand.

“Barton besitzt viele der Eigenschaften, die Großvater an einem Mann schätzt”, fuhr Abigail fort. “Allein seine Reitkunst und seine hervorragenden Leistungen im Krieg hätten dem Colonel genügt, um seinen Patensohn auf ein Podest zu stellen. Doch er vergötterte ihn schon vor dem Feldzug. In seinen Augen kann Barton gar nichts falsch machen.”

“Aber du, mein Liebes, respektierst ihn nicht?”, fragte Lady Penrose vorsichtig.

Sofort verschloss sich die Miene ihrer Patentochter. Abbie stand auf und trat ans Fenster. “Nein, Tante, gewiss nicht.” Nur zu deutlich bekundete ihre kalte, harte Stimme, welch ein Fehler es wäre, nach den Gründen dieser Abneigung zu forschen.

Trotzdem konnte Lady Penrose ihre Neugier nicht bezähmen. “Gab es irgendeine Vereinbarung, die eure Vermählung betraf?”

“Von meiner Seite aus nicht”, antwortete Abigail nach einer Pause. “Indes nehme ich an, mein Großvater fasste diesen Entschluss bereits, als wir noch Kinder waren.”

“Mochtest du Mr. Cavanagh damals besser leiden?”

Darüber dachte Abigail eine Zeit lang nach. “Ich glaube schon – ich ärgerte mich allerdings, dass der Colonel mir weniger Aufmerksamkeit schenkte, wann immer Barton uns besuchte. Natürlich hatte ich wegen des Altersunterschiedes von sieben Jahren nicht viel mit dem Jungen gemein. Daher kannst du dir sicher vorstellen, dass der Wunsch meines Großvaters, seinen Patensohn zu ehelichen, mich schockierte.”

“Oh ja”, murmelte Lady Penrose. Mit schmalen Augen starrte sie vor sich hin. Der Altersunterschied war sicher nicht der Grund, warum das Mädchen Mr. Cavanaghs Antrag abgelehnt hat, dachte sie. Ausnahmsweise zügelte sie ihre Neugier und bemerkte lediglich: “Wie auch immer, dies alles gehört der Vergangenheit an. Nun sollten wir uns mit deiner Zukunft befassen.”

“Sehr gern”, stimmte Abbie bereitwillig zu und verdrängte die Schatten unangenehmer Erinnerungen. “Vielleicht würdest du mir zur Stellung einer Gouvernante oder Gesellschafterin verhelfen. Bis ich an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag über das Erbe verfügen kann, das mir meine Mutter hinterließ, möchte ich meinen Lebensunterhalt selbst verdienen.”

In sprachloser Verblüffung beobachtete Lady Penrose, wie ihre Patentochter zum Tisch zurückkehrte. Sie brauchte eine ganze Weile, um sich von ihrem Schrecken zu erholen. “Hast du den Verstand verloren, Kindchen? Ich verstehe, warum du nicht mehr bei deinem Großvater leben willst. Doch die Lösung deines Problems ist ganz einfach – du bleibst bei mir.”

“Oh … ich …”, begann Abbie.

“Keine Widerrede!”, fiel Lady Penrose ihr ins Wort und verriet eine Entschiedenheit, die ihre übliche sanfte, fast träge Haltung Lügen strafte. “Diese wundervolle Gelegenheit, mein Versäumnis wiedergutzumachen, darfst du mir nicht nehmen. In all den Jahren habe ich dich sträflich vernachlässigt. Dafür schäme ich mich, und ich werde … Nein, nein!”, betonte sie, als Abbie erneut protestieren wollte. “Mein Entschluss steht fest. Unter meinen Fittichen wirst du zur elegantesten, schönsten und beliebtesten jungen Dame von Bath avancieren. Oh, wie ich mich darauf freue!”

Obwohl Abbie ihrer Verwandlung in eine Modepuppe eher skeptisch entgegenblickte, nahm sie den Enthusiasmus ihrer Patentante schicksalsergeben hin. Fügsam folgte sie ihr am späteren Vormittag in den vornehmsten Schneidersalon der Stadt.

Madame Dupont, eigentlich Molly Blunt, hatte ihr Geschäft in Bath eröffnet, weil sie hier keine so erbarmungslose Konkurrenz fürchten musste wie in London. Mit dieser Entscheidung behielt sie recht, denn sie hatte schon nach kurzer Zeit einen ausgezeichneten Ruf erworben.

Lady Penrose war eine ihrer ersten Kundinnen gewesen und ihr seither treu geblieben. Und darum stellte Madame nur zu gern andere Aufträge zurück, um die Wünsche einer so hoch geschätzten Aristokratin zu erfüllen. Sie tat es umso bereitwilliger, nachdem sie die perfekte Figur der hübschen jungen Frau gemustert hatte, die sie stilvoll ausstatten sollte … Sie ging sogar so weit, ihr ein Ausgeh-Ensemble anzubieten, das sie für eine andere Kundin angefertigt hatte. Bedauerlicherweise versäumte es diese Dame immer wieder, ihre Rechnungen pünktlich zu begleichen.

Während Madames Assistentinnen kleinere Änderungen an dem Kleid vornahmen, damit die Kundin es gleich anziehen konnte, studierten Abbie und ihre Patentante ein paar Modezeichnungen, wählten Stoffe aus und bestellten mehrere Modelle. Dann verließen sie den Laden.

Zum ersten Mal in ihrem Leben war Abbie nach der neuesten Mode gekleidet.

“Auf Mollys Geschmack kann man sich stets verlassen”, bemerkte Lady Penrose, nachdem sie den Kutscher zum Upper Camden Place zurückgeschickt hatte, weil sie zu Fuß zur Trinkhalle gehen wollte. “Wie gut dir diese Kreation steht! Und die Farbe – genau richtig für dich!”

Auch Abigail freute sich über ihre Neuerwerbung, obwohl sie niemals großen Wert auf ihre Garderobe gelegt hatte. Allerdings konnte sie sich einen Kommentar über den enormen Preis nicht verkneifen.

“Mach dir über die Ausgaben keine Gedanken, Kindchen”, beruhigte Lady Penrose sie. “Ich jedenfalls tue es nicht. Außerdem werde ich die Rechnungen ohnehin an deinen Großvater schicken. Leider bleibt mir die Genugtuung versagt, sein Gesicht zu sehen, wenn er ordentlich tief in die Tasche greifen muss, um deine komplette Garderobe zu bezahlen. Nicht nur die paar Kleider, die er in seinem Brief erwähnt hat … Geschieht ihm recht, dem alten Knauser!”

Amüsiert über die Bosheit ihrer Patentante, vermochte Abigail ihren Lachreiz nicht zu bezähmen.

Wenig später betraten sie die Trinkhalle. Sogleich richtete sich die Aufmerksamkeit etlicher Herrschaften auf Abigail. Manch bewundernder, manch neidischer Blick traf die junge Dame. Auch einer aus wachsamen braunen Augen, die, wie Lady Penrose am Abend zuvor festgestellt hatte, während der Soiree mehrmals in die Richtung ihrer Patentochter geschweift waren.

Abbie dagegen nahm Bartons Anwesenheit ebenso wenig wahr wie sein Interesse ihr gegenüber – bis sie ihren ersten Schluck von dem berühmten Wasser nahm. Als sie schaudernd eine Grimasse schnitt, erklang eine tiefe Stimme an ihrer Seite.

“Eigentlich dachte ich, Sie wären zu vernünftig, um dieses grässliche Zeug zu trinken, Miss Graham.”

“Also wirklich, Mr. Cavanagh, Sie tauchen immer gerade da auf, wo man Sie am allerwenigsten erwartet”, erwiderte sie und hoffte, ihre Verwirrung zu überspielen. “Warum galoppieren Sie nicht über die Downs, statt diese Halle zu besuchen, in der sich angeblich alle Klatschmäuler der Stadt tummeln?”

“Natürlich wäre ich lieber woanders. Hier in Bath treibe ich mich nur notgedrungen herum.”

Unauffällig musterte sie ihn. An seiner äußeren Erscheinung gab es nichts auszusetzen. Offenbar bevorzugte er bequeme Kleidung, keine modischen Extravaganzen. Manche Gentlemen würden den Knoten seines Krawattentuchs zu schlicht und die Weste zu fantasielos finden. Und der Gehrock saß zu locker, um seine breiten Schultern vorteilhaft zu betonen. Aber mit der leicht gebräunten Haut und der kraftvollen Gestalt wirkte er auf sympathische Weise wie ein Mann, der sich lieber an der frischen Luft bewegte, als in vornehmen Salons Konversation zu machen.

Was, um alles in der Welt, hatte ihn nach Bath geführt, wo die Leute ihre Zeit am liebsten mit geruhsamen Spaziergängen, höflichem Geplauder und beschaulichen Dinnerpartys verbrachten? Was amüsierte einen Gentleman, der halsbrecherische Ritte und andere Arten körperlicher Ertüchtigungen liebte, in dieser Stadt?

“Sicher war es nicht die Sorge um Ihre Gesundheit, die Sie bewogen hat, nach Bath zu reisen.” Mit diesem Kommentar lenkte Abigail seine Aufmerksamkeit von dem blauen Band ab, das sie unter ihrem Kinn zu einer koketten Schleife gebunden hatte. “Welcher Not mussten Sie gehorchen?”

Seine Miene, die bis zu diesem Augenblick diskrete Bewunderung bezeugt hatte, wechselte zu unverhohlenem Ärger über, als er kurz über seine rechte Schulter blickte. “Bedauerlicherweise entschied mein Vater, ich müsste die Verantwortung für meine ungebärdige junge Schwester mit Eugenie teilen, die ihre Tochter viel zu nachsichtig behandelt.”

“Oh …” Abigail lächelte boshaft. “Also fällt sie Ihnen zur Last, Sir?”

“Das würde ich ihr nicht raten.”

“Armes Mädchen …” Durch halb gesenkte Wimpern, die ihm ungewöhnlich lang erschienen, schaute sie zu ihm auf. “Welch ein Glück, dass Sie nicht mein Bruder sind …”

“Glauben Sie mir, Miss Graham, diese Tatsache gefällt mir noch viel besser als Ihnen.” Ein unvermitteltes Lächeln milderte seine prägnanten Züge und trieb Abigail die Hitze in die Wangen. Zu ihrer Erleichterung blieb ihr eine Antwort erspart, denn in diesem Moment trat Kitty Cavanagh zu ihnen und erklärte ihrem Bruder, Giles Fergusson sei mit seiner Mutter eingetroffen und wolle mit ihm reden. Barton schien das Gespräch, das Abigail immer peinlicher gefunden hatte, nur ungern zu beenden – im Gegensatz zu ihr. Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich zu ihrer ahnungslosen Retterin.

“Wie schön, Sie wiederzusehen, Miss Graham!”, freute sich Kitty. “Ich brauche nämlich dringend Unterstützung, und ich weiß nicht, wen ich sonst darum bitten soll. Den ganzen Morgen habe ich überlegt, wie ich Sie unter vier Augen sprechen könnte.”

Für dieses Vorhaben erschien ihr die überfüllte Trinkhalle kaum der geeignete Ort. Aber Abigails Neugier war erwacht, und daher folgte sie der jungen Dame zur Fensterfront, wo sich weniger Leute aufhielten. “Was kann ich für Sie tun, Miss Cavanagh?”

“Wollen wir Freundschaft schließen?”, schlug Kitty vor. “Oh, ich hasse überflüssige Formalitäten! Darf ich Sie mit dem Vornamen anreden?” In ihren Augen lag ein so bittender, hoffnungsvoller Ausdruck, dass Abbie ohne Zögern nickte. “Oh, vielen Dank!”, fuhr das Mädchen hastig fort. “Wenn Sie es nicht gestattet hätten, würde es mir sehr schwer fallen, meinen Wunsch zu äußern.”

Allmählich empfand Abbie ein leichtes Unbehagen. “Kitty – wenn Sie ein ernsthaftes Problem haben, wäre es da nicht vielleicht besser, Sie würden sich Ihrer Mutter oder Ihrem Bruder anvertrauen?”

“Um Himmels willen, nein!” Allein der Gedanke schien der jungen Dame kaltes Entsetzen einzujagen. “In fast allen Belangen verlässt Mama sich auf Bartons Urteil. Und da meine Sorge ihn betrifft, kann ich ihm wohl kaum davon erzählen, nicht wahr?”

Das musste Abigail wohl oder übel bestätigen. Gleichwohl war sie zu weiteren Zugeständnissen nicht bereit, bevor sie nicht genauere Informationen erhielt.

Lange blieb sie nicht im Ungewissen. Kitty holte tief Atem. “Helfen Sie mir, Barton zu verheiraten.”

Abbie traute ihren Ohren nicht. “Wie bitte?”

Offenbar schwang in ihrer Frage ein Unterton mit, der Kitty auf den drohenden Verlust einer wertvollen Verbündeten hinwies. Ihre Miene änderte sich dramatisch, der erwartungsvolle Eifer wich schmerzlicher Verzweiflung. “Sie werden mir doch helfen, Abbie?”

“Ganz sicher nicht.” Ungerührt hielt Abigail dem beschwörenden Blick ihrer neuen Freundin stand. “Niemals würde ich eine Geschlechtsgenossin Ihrem Bruder ausliefern.” Im nächsten Moment hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Oh Gott, warum war ihr das herausgerutscht?

“Hegen Sie eine Abneigung gegen Barton?”, fragte Kitty prompt.

“Nein, natürlich nicht …” Zu ihrem Leidwesen klang ihre hastige Antwort nicht besonders überzeugend, und so fügte Abbie hinzu: “Aber wir sind keine engen Freunde.”

“Obwohl Sie ihn schon seit Jahren kennen? Barton schätzt Sie sehr, das weiß ich.”

Diese Enthüllung schockierte Abbie, indes fasste sie sich sofort wieder. “Wie auch immer, er würde es gewiss missbilligen, wenn ich mich in eine derart heikle private Angelegenheit einmische. Außerdem ist er durchaus fähig, selber auf Brautschau zu gehen.”

“Das tut er bereits”, verkündete Kitty zu ihrem Erstaunen. “Zumindest ist er bis über beide Ohren verknallt.”

“Dann begreife ich nicht, warum Sie meine Hilfe brauchen”, entgegnete Abigail, ein wenig irritiert von der taktlosen Wortwahl des Mädchens.

“Weil er der jungen Dame endlich einen Antrag machen soll. Wir bleiben nur bis Mitte Juli hier. Danach dürfte es eine Weile dauern, bis er sie wiedersieht. Und in der Zwischenzeit könnte alles Mögliche passieren. Vielleicht lernt sie jemand anderen kennen.”

“Sind Sie sicher, dass sie Bartons Gefühle erwidert? Übrigens, wer ist die Unglückli… Ich meine, wer ist die Frau, die das Wohlgefallen Ihres Bruders erregt hat?”

Eine Zeit lang musterte Kitty die Spitzen ihrer Slipper, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt. Als sie den Kopf hob, wirkte ihre Miene einfältig und beinahe ein wenig verlegen. Dann jedoch leuchteten ihre Augen auf, als sei ihr soeben eine brillante Idee gekommen. “Ah, da ist sie … Sehen Sie doch, Barton eilt ihr entgegen!”

Abbie schaute über die Schulter und beobachtete, wie Cavanagh sich über die Hand einer elegant gekleideten jungen Frau beugte. Sie wandte sich wieder zu Kitty um. “Wurde ich mit der Dame bekannt gemacht? Gestern Abend auf der Gesellschaft?”

“Ja, wahrscheinlich – sie war dort. Sie heißt Caroline Whitham, und der Gentleman, der sie begleitet, ist ihr Bruder Stephen. Wenn sie bloß nicht so schrecklich schüchtern wäre! Ich wette, in diesem Moment errötet sie bis unter die Haarwurzeln. Armes Ding …” Kitty warf Abbie einen flehentlichen Blick zu. “Bitte, helfen Sie mir! Treffen wir uns heute Nachmittag in den Sydney Gardens. Da werden wir in aller Ruhe überlegen, wie wir die beiden zusammenbringen können. Sicher fällt uns etwas ein. Ich glaube, Miss Whitham erwähnte, dass sie täglich im Park spazieren geht, wenn es das Wetter erlaubt. Sobald wir einen Plan geschmiedet haben, reden wir mit ihr.” Als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie unbeirrt fort: “Oh, Sie ahnen nicht, wie es ist, einen Bruder ertragen zu müssen, der immer alles besser weiß. Ich liebe ihn von ganzem Herzen. Aber er benimmt sich wirklich zu anmaßend. Dauernd schimpft er und macht mir Vorschriften. Wenn er heiratet, wird mein Martyrium ein Ende finden. Dann muss er sich um seine Gattin kümmern und wird mich in Ruhe lassen.”

Blicklos starrte Abigail durch das Fenster. Auch mein Problem wäre gelöst, wenn Barton diese Miss Whitham ehelicht …

3. KAPITEL

“Ein hübsches kleines Ding, Whithams Schwester …”, bemerkte Giles Fergusson, als sein Freund zu ihm kam.

Zustimmend nickte Barton und beobachtete, wie der junge Offizier, der im Krieg in Spanien unter ihm gedient hatte, seine Schwester zu der Stelle führte, wo das berühmte Heilquellenwasser ausgeschenkt wurde. “Ja, er ist zu beneiden. Miss Whitham benimmt sich untadelig.” Seufzend schaute er zu den Fenstern hinüber. “Was ich von meiner Schwester nicht behaupten kann.”

Giles folgte dem Blick seines Gefährten und lächelte nachsichtig. “Kitty ist einfach nur lebhaft. In ein oder zwei Jahren hat sie sich beruhigt.”

“Vielleicht”, erwiderte Barton, nicht sonderlich getröstet. “Aber bis dahin wird sie für eine ganze Menge Aufregung sorgen. Allerdings – gegen diese Freundschaft, die sie gerade schließt, habe ich nichts einzuwenden.”

Giles musterte Kittys Gesprächspartnerin. “Ach ja, gestern Abend erwähntest du, dass du Miss Graham kennst. Ich habe mich sogar kurz mit ihr unterhalten. Eine sehr vernünftige junge Frau. Und eine ausgesprochen erfreuliche Erscheinung. Wenn sie in Bath ist, um eine gute Partie zu machen, müsste sie Erfolg haben.” Da er keine Antwort bekam, wandte er sich wieder zu seinem Freund und sah eine düster gerunzelte Stirn. “Offenbar bist du anderer Meinung.”

“Keineswegs. Ich frage mich nur, warum sie immer noch ledig ist.”

“Vielleicht schreckt sie vor einer Heirat zurück.”

“Meinen Antrag hat sie jedenfalls abgewiesen.”

“Großer Gott!” Giles bemühte sich nicht, seine Überraschung zu verhehlen. “Und ich dachte, ich wüsste alles über dich, alter Junge. Dass du beinahe unters Ehejoch geraten wärst – davon hatte ich keine Ahnung.”

“Diese Verbindung schlug mein Patenonkel vor, Miss Grahams Großvater. Zum Glück ging Abbie nicht darauf ein. Wir waren beide viel zu jung.”

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