Susannah und der Milliardär

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

"Ich bin Kane. Nur Kane!" Verliebt genießt Susannah die geflüsterten Worte des geheimnisvollen Unbekannten und seine zärtlichen Küsse - ohne zu ahnen, dass sie gerade ihr Herz an einen New Yorker Milliardär verliert, der ihr noch viel mehr als nur seinen Reichtum verheimlicht …


  • Erscheinungstag 12.09.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727369
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Seine nackten Füße sanken in das saftige Frühlingsgras, die Zehen verschwanden zwischen den dichten grünen Halmen. Kane Lennox hatte schon auf Matratzen geschlafen, die so viel wie eine kleine Limousine kosteten. Er war schon auf im Orient handgeknüpften Teppichen gelaufen und hatte Schuhe getragen, die auf Bestellung von einem Schuster in Italien für ihn angefertigt wurden. Aber all jene Erfahrungen verblassten neben dieser. Behagen durchströmte ihn, der Stress fiel von ihm ab, und Kane hatte nicht mehr dieses Engegefühl in der Brust, als würde er kurz vor einem Herzinfarkt stehen.

Es war ihm ein Rätsel. Warum konnte etwas so Einfaches, wie barfuß über einen Rasen zu laufen, so wundervoll sein?

„Was soll das?“, fragte eine Frau hinter ihm.

Schnell drehte sich Kane um. Sie war groß und schlank, hatte langes blondes Haar, klassisch schöne feine Gesichtszüge, grüne Augen und einen sinnlichen Mund. Verwirrt und ärgerlich blickte sie ihn an. In einer Hand hielt sie ein Handy, und der Daumen schwebte über der Taste, um jeden Moment die Notrufnummer zu drücken.

Nicht, dass Kane es ihr verübeln konnte. Er musste einräumen, dass das, was er hier tat, ziemlich … seltsam aussehen mochte. „Für mein Benehmen gibt es eine völlig logische Erklärung“, sagte er. „Und für meine Anwesenheit ebenfalls.“

„Ein Fremder. Barfuß. Im Vorgarten auf dem Rasen. Mitten am Tag. Ja doch. Dafür gibt es bestimmt eine logische Erklärung.“ Die junge Frau sah sich suchend um. „Entweder springt gleich ein Team von ‚Versteckte Kamera‘ aus dem Gebüsch, oder Sie haben sich auf einem Klapsmühlenausflug abgesetzt.“

Kane lachte. „Ich versichere Ihnen, ich bin nicht verrückt.“

Obwohl ihn die vergangenen Wochen fast in den Wahnsinn getrieben hatten. Was ihn dazu gebracht hatte hierherzukommen. In die Kleinstadt Chapel Ridge mitten in Indiana, um darüber hinaus an einem strahlenden Apriltag barfuß im Vorgarten auf dem Rasen zu stehen. Na gut, es war leicht verrückt.

„Damit bleibt die ‚Versteckte Kamera‘, wozu ich absolut keine Lust habe. Oder … widerrechtliches Betreten eines Grundstücks. Wie auch immer, ich rufe jetzt die Polizei.“

„Warten Sie.“ Kane machte einen Schritt vorwärts, besann sich eines Besseren und trat wieder zurück. Als er erneut den Blick über die junge Frau gleiten ließ, kam sie ihm bekannt vor. „Sie müssen …“ Er zerbrach sich den Kopf. Normalerweise konnte sich Kane Namen so gut merken, aber ihrer fiel ihm nicht ein. „Sie müssen die Schwester der Braut sein. Jackies Schwester.“

„Ich hab’s. Sie sind ein Detektiv, der barfuß am besten kombinieren kann.“ Sie lächelte spöttisch. „Muss ja ein schweres Stück Arbeit gewesen sein, so viele Puzzleteile zusammenzusetzen: Mit dem Schild ‚Herzlichen Glückwunsch Jackie und Paul‘ vor dem Haus, den Papierhochzeitsglocken am Briefkasten und dem Glück, das rund ums Haus in der Luft liegt … Einen Moment mal. Woher wissen Sie, wer ich bin?“

Der Frage wich Kane aus. „Was hat Sie so zynisch gemacht?“

Seufzend senkte sie das Handy. „Ich habe einen harten Tag. Ein hartes Leben und …“ Sie verstummte. „Ich muss Ihnen überhaupt nichts über mich erzählen.“

„Hören Sie, ich verschwinde und überlasse Sie Ihrem Tag. Offensichtlich komme ich ungelegen.“ Kane bückte sich, hob seine italienischen Designerschuhe auf und ging los.

„Halt! Sie haben mir noch immer nicht gesagt, warum Sie hier barfuß auf dem Rasen herumgestapft sind.“

Verärgert drehte er sich um. „Sind wir jetzt wieder bei dem Thema?“

„Wann hatten wir es denn abgehakt?“ Sie stemmte die Hände in die Seiten, das Handy zwischen zwei Fingern haltend.

Ihr verraten, warum er hier war und was er hier suchte? Das brachte mit sich, auf viel zu viele persönliche Dinge zu sprechen zu kommen. Und wenn er anfing, über seine Probleme zu reden, würden in Kürze alle viertausendneunhundertzehn Einwohner von Chapel Ridge wissen, wer er war. Dann wäre es vorbei mit seiner dringend benötigten Ruhe und Erholung.

Nein, er hatte nicht die Absicht, irgendjemandem irgendetwas zu erzählen. Besonders nicht Jackies Schwester.

Susannah Wilson. Das war ihr Name, aber sie wurde von allen Suzie genannt.

Bevor sie ihn weiter ausfragen konnte, ging Kane zu seinem kleinen blauen Mietwagen, einem billigen amerikanischen Modell. Himmelweit entfernt von dem silberfarbenen Bentley-Cabrio, das er sonst fuhr. Der Mietwagen war nichtssagend, unscheinbar. Ein Auto, das sonst wer fahren könnte. Und damit perfekt für ihn.

Susannah folgte ihm. Keine, die ohne Weiteres aufgab, so viel war sicher.

„Sie haben noch immer nicht meine Frage beantwortet. Wer sind Sie? Und warum sind Sie hier?“

„Das sind zwei Fragen. Und ich muss Ihnen auch nichts erzählen. Ich kann tun und lassen, was ich will.“ Kane konnte fast hören, wie Susannah Wilson innerlich aufschrie vor Frustration. Oh, dies würde amüsant werden.

Finster blickte sie ihn an. „Widerrechtliches Betreten eines Grundstücks ist eine Straftat.“

Er lächelte breit. Dass ihn dieses kleine Energiebündel hier erwarten würde, hatte er ja nicht geahnt, als er die Reise gebucht hatte. „Nur, wenn man nicht eingeladen ist. Und ich bin eingeladen.“ Kane machte eine Pause und beobachtete, wie Susannahs Augen groß wurden vor Überraschung. „Schließlich bin ich der beste Freund des Bräutigams und sein Trauzeuge.“

„Was die Wahl deiner Freunde betrifft, hast du einen denkbar schlechten Geschmack.“

Paul Hurst, Jackies Verlobter, lachte. „Gib Kane eine Chance, Suzie. Er ist gar nicht so übel. Und er hatte bestimmt seine Gründe für das, was er da getan hat.“

„Wo hast du ihn überhaupt kennengelernt?“

„Auf dem College. Er hatte im Studentenheim das Zimmer neben meinem, wir haben ein paar Seminare zusammen besucht. Und er ist …“ Paul unterbrach sich. „Er ist ein anständiger Kerl. Vertrau mir einfach.“

Susannah stand auf und sammelte das Geschirr ein. Im Laufe des Tages waren es immer mehr Teller und Gläser geworden, während ihrer Abwesenheit hatte sich die Menge auf dem Couchtisch im Wohnzimmer des alten Hauses vervielfacht. Paul und Jackie rührten sich nicht. Paul hatte die Füße auf den verschrammten Tisch gelegt, Jackie hatte es sich neben ihrem Verlobten gemütlich gemacht. Auf dem Großbildschirmfernseher – ein vorzeitiges Hochzeitsgeschenk von Susannah und den Brautjungfern – lief ein Krimi.

„Das letzte Mal, als ich dir vertraut habe, hast du das Herz meiner Schwester gestohlen.“

Lachend legte Paul den Arm um Jackie und zog sie an sich. Das Ledersofa quietschte unter seinem Gewicht. „Stell dir einfach vor, dass du einen Bruder gewonnen hast.“

Jackie schmiegte sich an den braunhaarigen Mann, mit dem sie seit fast drei Jahren zusammen war, und küsste ihn auf die Wange. „Einen sehr gut aussehenden Bruder.“

„Der Weihnachtsmann hat mich wohl nicht gehört, als ich gesagt habe, ich wünsche mir ein Pony.“ Lächelnd trug Susannah das Geschirr in die Küche, stellte es in die Spüle und ließ heißes Wasser einlaufen, dann gab sie Spülmittel dazu und begann abzuwaschen.

An dieser Spüle stand sie schon, seit sie alt genug gewesen war, auf den kleinen Holzhocker zu klettern und in das Edelstahlbecken zu langen. Während sie abwusch, sah sie aus dem Fenster in den Garten hinaus. Früher hatte ihre Mutter neben Susannah gestanden und das Geschirr abgetrocknet. Im Hintergrund hatte das Radio gespielt, und die sonnige, gelb gestrichene Küche war so heiter und fröhlich gewesen wie die Stimme ihrer Mutter.

Doch diese Zeiten waren vorbei. Das Radio war bereits vor Jahren kaputtgegangen, die gelbe Farbe inzwischen verblasst und Abwaschen eine unangenehme Aufgabe geworden.

„Du musst das nicht tun.“ Jackie kam herein, lehnte sich an den Kühlschrank und feilte sich die Fingernägel.

„Wenn man es stehen lässt …“

„Wird es nicht zerbrechen“, unterbrach Jackie sie. „Mach den Abwasch später. Oder noch besser, überhaupt nicht.“

Er würde nie gemacht werden, wenn Susannah ihn nicht erledigte. Weder Jackie noch Paul hatten viel Sinn für Hausarbeit, trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen. Sie hatten einen Kredit aufgenommen, um das Haus instand zu setzen, und Susannah wohnte für eine sehr niedrige Miete bei den beiden, die ihnen half, die Hypothek abzuzahlen. Als Gegenleistung hatte sich Susannah bereit erklärt, den größten Teil der Hausarbeit zu übernehmen.

Tatsächlich war es so gekommen, dass sie sich schließlich um alles allein kümmerte. Aber an den meisten Tagen war ihr das sehr recht. Sie sparte Geld für ihr höchstes Ziel. Freiheit.

Eine Woche. Nur noch eine Woche, dann würde sie hier raus sein. Raus aus diesem Haus. Raus aus dieser Stadt. Auf dem Weg in das Leben, von dem sie schon so lange träumte, dass es Susannah vorkam, als wäre sie mit dem Traum geboren worden. Ihr Blick glitt zu dem Buntglaseiffelturm, der im Küchenfenster hing. Goldene und orangefarbene Lichtschimmer tanzten auf den Arbeitsflächen, als die Strahlen der Nachmittagssonne in den winzigen Glasscherben reflektierten.

Ihre Mutter hatte ihr die kleine Nachbildung des berühmtesten Wahrzeichens von Paris an jenem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt. „Ich bin nie dort gewesen“, hatte sie gesagt, „aber ich hoffe, dass du eines Tages hinfahren kannst, Susannah. Dir die Welt ansehen kannst. Ich habe es nie geschafft.“

Susannah würde es tun. Ganz gleich, was es sie kostete.

„Ich spüle nur eben die paar Teile ab, bevor ich zur Arbeit gehe.“

„Du bist gerade erst nach Hause gekommen. Ich dachte, du bist für heute fertig.“

„Vorhin hatte ich noch drei späte Anmeldungen. Jede davon bringt Geld.“

Jackie betrachtete prüfend alle zehn Finger, hielt sie für perfekt und steckte die Nagelfeile in die Hosentasche. „Du arbeitest zu viel.“

„Alles für das höchste Ziel, Schwesterherz.“

„Womit du taktvoll sagst, dass du es hasst, bei uns zu wohnen.“ Jackie lachte zum Zeichen, dass sie nicht beleidigt war. „Oh, würdest du mir bitte einen Gefallen tun und den Tischschmuck abholen? Ich habe heute Abend Anprobe und danach ist die …“

„Party.“

Die Junggesellinnenabschiedsparty, die Susannah als erste Brautjungfer organisiert hatte – an der sie jedoch nicht teilnahm. Sie hatte Jackies Freundinnen nie richtig gut kennengelernt und keine Lust, den Abend mit den anderen Brautjungfern zu verbringen. Die Frauen waren immer schon Jackies Freundinnen gewesen und hatten Susannah lediglich nachträglich einbezogen.

„Du kannst trotzdem noch kommen. Schließlich bist du eine von den Brautjungfern. Die Party gehört zu ihren Privilegien.“ Jackie lächelte fröhlich.

„Mir macht das nichts aus.“ Susannah schrubbte mit dem Schwamm einen Teller ab, bis er glänzte. „Ich bin sowieso nicht so für Partys.“

„Du drückst dich, wie immer.“

„Nein, tue ich nicht. Ich muss arbeiten.“

Jackie seufzte, ließ das Thema aber fallen. „Ich bin dir wirklich dankbar, dass du den Tischschmuck abholst. Du rettest mich. Mal wieder.“

Nicht, dass Susannah Zeit dafür hatte. Sie musste an diesem Abend drei Hunde waschen und zig Besorgungen für sich selbst machen. „Was ist mit Paul?“

„Ich glaube nicht, dass er überhaupt weiß, was Tischschmuck ist.“ Jackie lachte.

„Wann wolltest du ihn eigentlich zusammensetzen und aufstellen?“

„Zusammensetzen und aufstellen?“ Jackie schlug sich an die Stirn. „Verdammt. Das habe ich total vergessen. Vielleicht morgen Nachmittag. Nein, da ist die Besprechung mit dem Pfarrer. Hm … morgen Abend? Geht auch nicht. Paul und ich sind bei den Fitzgeralds eingeladen. Keine Ahnung, wie lange wir bei ihnen bleiben. Du weißt, wie sie reden können. Und am Dienstagabend haben wir die Pro…“

„Kurzum, du hast eine Million andere Dinge zu tun“, unterbrach Susannah sie.

Wie meistens. Auf Jackies Liste standen viele Verabredungen und Vergnügungen, aber nur sehr wenige Pflichten. Mit sechsundzwanzig war Susannah vier Jahre älter als Jackie und hatte ihr Leben immer genau gegenteilig geführt. Sie unterdrückte einen Anflug von Ärger. Bald würde Jackie verheiratet sein und verantwortungsbewusst handeln müssen. Weil ihre große Schwester nicht mehr da sein würde, um ihr alles abzunehmen.

„Ein Wunder, dass ich die Zeit finde, zur Arbeit zu gehen“, meinte Jackie lachend. „Glaub mir, wenn Paul und ich nicht das Geld brauchen würden, dann würde ich mich jeden Tag krankmelden. Mensch, wie soll ich bloß alles für die Hochzeit erledigen? Jerry hat gesagt, wir können die Tische ruhig schon decken, weil an diesem Wochenende keine anderen Veranstaltungen geplant sind, aber ich habe ja nicht einmal …“

Jackie verstummte, und dann erschien dieses hoffnungsvolle Lächeln, das Susannah so gut kannte.

„He, was machst du eigentlich heute Abend?“

Kopfschüttelnd zog Susannah den Stöpsel heraus. „Kommt gar nicht infrage, Jackie. Ich muss …“

„Bitte, Suzie. Bitte?“ Jackie warf ihrer Schwester einen flehenden Blick zu. „Nur noch diesen einen Gefallen. Ich schwöre, dass ich dich nie wieder um einen bitten werde.“

Und Susannah sagte Ja. Genau wie immer.

2. KAPITEL

Kane konnte ein milliardenschweres Edelsteinimportunternehmen leiten und über Millionendollargeschäfte verhandeln. Er verstand die schwierigsten Finanzberichte. Also würde er ja wohl ein Feuer machen können. Die Streichholzflamme traf auf das Holzscheit, zischte und ging aus.

Anscheinend nicht.

Er hatte die Hütte am Stadtrand gemietet, Holz bestellt, im Laden in der Stadt Streichhölzer gekauft und geglaubt, er müsste nur eins anzünden und es an ein Scheit halten.

Hm … ganz so einfach war es nicht.

Nach dem sechsten Versuch ging Kane fluchend nach draußen und atmete tief die frische Landluft ein. Vor einer Stunde hatte ihn diese neue Erfahrung noch begeistert. Jetzt war er so weit, seinen Chauffeur anzurufen, ihn schnellstens mit der Limousine herkommen und sich von ihm zum Privatjet der „Lennox Gem Corporation“ fahren zu lassen.

Nein. Er würde das schaffen. Er musste das schaffen.

Zunächst rief er sich die Abenteuerfilme ins Gedächtnis zurück, die er gesehen hatte, dann die Bücher über Camping, die er auf seiner Flucht vor der Wirklichkeit im Flugzeug gelesen hatte. Zu viele, zu große Holzscheite. Nicht genug Kleinholz.

Kane begann, Reisig vom Boden aufzusammeln. Nachdem er einen feststeckenden dünnen Zweig aus der Erde gelöst hatte, staunte er über seine schmutzige Hand. Noch nie hatte er Dreck unter den Fingernägeln gehabt. Kane kniete sich hin und presste die Hände in die weiche dunkelbraune Erde. Ein schwerer erdiger Geruch stieg ihm in die Nase. Dann zerbröckelten die Klumpen, die Erde rutschte ihm durch die Finger und plumpste wie dicke Regentropfen auf den Boden.

Leise lachte Kane. Wer hätte das gedacht! Einem der reichsten Männer der Welt machte es Spaß, Zwiesprache mit der Natur zu halten.

Irgendetwas ließ die Büsche neben ihm erzittern. Ruckartig stand Kane auf, packte sein Reisig und stieß den Arm vor. Dann sah er ein, dass er mit seiner Bäumchenmunition so gefährlich wie eine Sonnenblume war. „Wer ist da?“

Oder vielmehr, was war dort?

Als er vor zwei Tagen beschlossen hatte, sich länger als nur für Pauls Hochzeit hier aufzuhalten, hatte sich Kane schnell einen Überblick über den Ort verschafft – bis hin zum letzten Mangel an Komfort. Leider war ihm nicht eingefallen, „einheimische wilde Tiere“ nachzuschlagen. Um Himmels willen, das nur zwei Meter von ihm entfernt herumraschelnde Etwas konnte ein Bär sein! Das Rascheln wurde lauter, die Blätter bewegten sich stärker. Kane machte einen Schritt rückwärts. Sollte er zur Hütte laufen? Seinen Mann stehen? Im Geiste sah er die Schlagzeile schon vor sich:

Vertrottelter milliardenschwerer Vorstandsvorsitzender tot. Gegen Bär im Wald kommt Geld nicht an.

Aus dem Gebüsch sprang ein Fellbündel auf ihn zu, und Kane rannte los, bis er erkannte, dass das Bündel …

Ein Hund war.

Der kleine braun-weiße Kerl mit Schlappohren bellte ihn an, dann stürzte er sich schwanzwedelnd auf Kanes Beine. Oh Mann, jetzt sprang er an ihm hoch! Und sabberte! Kane hatte keine Erfahrung mit Haustieren. Außer, man zählte die eine Woche mit, in der seine Mutter geglaubt hatte, es wäre süß, ein Schoßhündchen zu haben. Sie hatte ihre Meinung geändert, sobald ihr klar wurde, dass lebendige Tiere Aa machten. Das Hausmädchen hatte den Pekinesen geschenkt bekommen.

Vorsichtig streckte Kane die Hand aus und tätschelte dem Hund unbeholfen den Kopf. „So. Jetzt geh schön nach Hause.“

Der Hund bellte, plumpste auf sein Hinterteil und wischte mit dem Schwanz einen Halbkreis in die Erde, wobei er eine Staubwolke aufwirbelte. Eigensinnig.

„Tja, wenn du nicht gehst, dann gehe ich.“ Kane marschierte in die Hütte. Doch bevor er die Tür schließen konnte, war der Hund da.

Drinnen.

Mit ihm.

„Oh nein, lass das. Husch!“ Vergeblich versuchte Kane, ihn nach draußen zu scheuchen.

Erwartungsvoll blickte ihn der Hund an und bellte wieder. Kane war zwar keinesfalls sicher, aber das Tier schien hungrig zu sein.

„Ich habe kein Hundefutter …“

Menschenfutter hatte er auch nicht. Für einen Mann, der nach Plan lebte, hatte er das hier lausig vorbereitet.

Es lag an der Frau. Sie hatte ihn heute Morgen völlig durcheinandergebracht. Wenn er ihr nicht begegnet wäre, hätte er nicht vergessen, Lebensmittel zu kaufen. Oder gründlich seine Umgebung zu checken. Oder rechtzeitig Kleinholz zu sammeln. Und dann würde ihn dieses Tier jetzt nicht unverwandt anstarren.

Den Besitzer konnte Kane nicht anrufen, weil der Hund kein Halsband trug. Aber hierbehalten konnte er ihn auf keinen Fall. Kane holte sein Handy heraus und tippte die Nummer der Frau ein, die ihm die Hütte vermietet hatte.

„Mrs. Maxwell, haben Sie einen Hund?“

Angela Maxwell war eine ältere Dame mit grauem Haar und freundlichem Lächeln, die vor allem keine neugierigen Fragen stellte, wenn sie erst einmal eine gültige Kreditkartennummer zur Verfügung hatte. „Nein, mein Lieber. Aber bei den Hütten streunen viele Hunde herum. Wir haben hier keinen Leinenzwang. Die Leute lassen ihre Hunde einfach laufen. Schließlich ist es eine Kleinstadt. Fast jeder kennt den Hund von fast jedem.“

„Kennen Sie diesen? Er ist braun und weiß. Klein. Eigensinnig.“ Kane warf ihm einen wütenden Blick zu und hätte schwören können, dass der Hund ihn angrinste.

„Nein, aber ich weiß, wer ihn vielleicht kennt. Bringen Sie ihn zu ‚The Sudsy Dog‘. Die Besitzerin leitet eine Art Tierheim. Sie wird Ihnen helfen.“

„‘The Sudsy Dog‘?“

„Das ist ein Hundesalon. In einer Querstraße zur Main Street. Sie können ihn nicht übersehen. Auf dem Schild ist …“

„Lassen Sie mich raten. Ein Hund, der ein Schaumbad nimmt?“

„Ein Dackel. Es ist das allerniedlichste Ladenschild der Welt. Mein Orin hat es gemalt.“ Mrs. Maxwell legte auf.

Kane stöhnte. Er blickte den Hund an, der mit dem Schwanz wedelte. „Tja, wir müssen wohl eine Fahrt mit dem Auto machen.“

Voller Vorfreude sprang der Hund los. Doch Kane zuckte allein bei dem Gedanken an Hundehaare im Wageninnern zusammen und folgte dem Tier widerwillig nach draußen. Er öffnete die Autotür, und bevor er sagen konnte „Leg dich auf den Boden“, saß der Hund schon auf dem Beifahrersitz.

Anscheinend hatte Kane für die nächsten Minuten einen neuen besten Freund.

Ob er es wollte oder nicht.

Susannah schloss den großen Drahtkorb, in dem Mrs. Prudhommes Pudel saß, dann band sie die Schürze ab und strich sich den Pony aus der Stirn. „Du siehst toll aus nach deiner Schönheitsbehandlung, Fancy Pants. Was ich von mir nicht behaupten kann.“

Die weiße Hündin bellte, bevor sie sich hinlegte, um darauf zu warten, dass ihre Besitzerin sie abholte. Fancy Pants kam alle zwei Wochen. Die Maniküre ließ sie sich nur mit gutem Zureden gefallen, aber sie genoss das Waschen und Striegeln.

Hoffnungsvoll blickte Susannah das Poster des Arc de Triomphe, das an der Wand hing, an. Neunhundert Hunde gebadet, getrimmt und geschoren. Dreihundert Katzen in Pflege gehabt. Und jetzt hatte sie genug Geld gespart, um diese Reise zu machen. Um endlich ein Leben außerhalb dieser Kleinstadt kennenzulernen. Sie würde den jahrelangen Französischunterricht in die Praxis umsetzen. Ihren noch nie benutzten Reisepass aus der Schublade holen. Die Welt sehen.

Die Glocke über der Tür bimmelte, und Susannah seufzte. Zurück an die Arbeit. Zurück in die Wirklichkeit.

„Nehmen Sie ihn mir ab. Bitte.“

Schnell drehte sich Susannah um. Zu ihren Füßen entdeckte sie einen entzückenden braun-weißen Hund. Hinter ihm betrat der beste Freund des Bräutigams den Salon. Der Mann vom Vormittag. Allerdings trug er diesmal Schuhe und runzelte wütend die Stirn. „Sie schon wieder“, begrüßte sie ihn unwirsch.

„Ich könnte dasselbe sagen. Sie arbeiten hier?“

Susannah nickte. Sie machte sich nicht die Mühe, ihm zu erzählen, dass sie die Eigentümerin des Geschäfts war. „Ist das Ihrer?“ Sie bückte sich und kraulte den Hund hinter den Ohren. Glücklich seufzend drückte er sich an ihr Bein.

„Himmel, nein. Er ist ein Streuner, der offenbar keinen Wink versteht.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Davon scheinen in letzter Zeit viele in der Stadt zu sein.“

Den Ellbogen auf die Vitrine gestützt, lächelte Kane sie an. Das Lächeln verwandelte ihn, machte aus einem durchschnittlich attraktiven Mann einen außergewöhnlich gut aussehenden. Ein Schauer durchlief Susannah.

„Sprechen Sie etwa von mir?“, fragte er.

„Keineswegs.“ Sie richtete sich auf. „Und? Wem gehört der Spaniel?“

„Sagen Sie es mir. Er ist bei mir aufgetaucht.“ Kane zeigte mit dem Daumen nach Osten. „Ich wohne in einem der Ferienhäuser am Lake Everett.“

Er hatte eine von den einfachen Hütten gemietet? Sicher, er trug Jeans und T-Shirt, aber beides sah aus wie neu. Und die Schuhe …

Autor

Shirley Jump
Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
Mehr erfahren