Süß duftet der Jasmin

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Auf einem rauschenden Fest verliebt Keira sich unsterblich in den faszinierenden Brian. Noch in dieser Nacht wird sie in seinem imposanten Haus am Pazifik zu seiner Geliebten. Aber schon am nächsten Morgen droht ihr Liebesglück wieder zu zerbrechen …


  • Erscheinungstag 11.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756482
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Keira Mary Brooks bewegte die Hüften auf dem beengten Sitz, weil der Po schmerzte und die Glieder taub waren. Sie reiste in der Touristenklasse, da man ihr im Reisebüro versichert hatte, damit könne sie bei dem vierundzwanzigstündigen Flug ein Vermögen sparen.

Keira seufzte. Wie konnte man ein Vermögen sparen, wenn man keins besaß? Wegen ihrer hoffnungslosen Finanzlage hätte sie sich einen teureren Platz gar nicht zu leisten vermocht. Der Angestellte im Reisebüro hätte sie lieber darauf hinweisen sollen, dass sie für den Billigtarif den unbequemsten Platz in der Boeing 747 in Kauf nehmen musste.

Keira war auf ihrem Mittelsitz in den mittleren Reihen im Mittelteil der Maschine buchstäblich eingekeilt. Aber damit nicht genug. Sie saß ausgerechnet zwischen einem älteren schwergewichtigen Herrn, der früher Ringer gewesen sein musste, und einer Dame, die mit ihrer Leibesfülle gut in einem Zirkus hätte auftreten können.

Vorsichtig verlagerte Keira das Gewicht nach links, um ihr Kreuz zu entlasten, dabei bemerkte sie, dass der massige Mann sie beobachtete. Sie musste den Kopf ein gutes Stück heben, um zu dem Mann aufsehen zu können, denn sie reichte ihm nur bis zur Schulter.

Er hatte ein fleischiges Gesicht, das durch seinen Walrossschnurrbart interessanter wurde, und machte einen steifen, würdevollen Eindruck. Die wenigen Worte, die der Mann im Laufe der dreiundzwanzig Flugstunden mit der Stewardess gesprochen hatte, wiesen ihn als Engländer aus. Der lange Flug schien ihn allerdings um die berühmte britische Zurückhaltung gebracht zu haben, denn er fuhr fort, Keira anzustarren.

Sie war es gewöhnt, die Aufmerksamkeit anderer zu erregen. In Ländern mit überwiegend dunkler Bevölkerung fiel Keira mit ihrem hellen, seidigen Haar, das alle Schattierungen von Weizenblond bis Goldblond aufwies, unweigerlich auf. Obwohl sie es für die Reise zu einem dicken Zopf geflochten hatte, der ihr über die Schulter fiel, zog Keira auch jetzt die Blicke auf sich.

Eigentlich hätten Keiras Augenbrauen und Wimpern auch blond sein müssen, doch sie waren hellbraun, was den grünen Augen einen geheimnisvollen Ausdruck verlieh. Der Blick des „pensionierten Ringers“ verweilte lange auf ihren Augen, ehe er zu der geraden Nase und zum Mund glitt.

Keira hatte volle Lippen, die die hohen Wangenknochen und das energische Kinn weicher wirken ließen. Es störte Keira nicht, dass ihr Mund etwas zu breit war und ihre Zähne freigab, wenn sie lächelte. Ihr war aufgefallen, dass ihr Lächeln manche Leute aus der Fassung brachte.

Da Keira das Gefühl hatte, dass der Engländer neben ihr noch mehr zu leiden schien als sie, lächelte sie liebenswürdig. Er hielt einen Kaffeebecher in der Hand, und auf Keiras Lächeln hin hielt er ihn schief. Sie bemerkte aus den Augenwinkeln, dass die heiße Flüssigkeit über den Rand zu schwappen drohte.

„Ihr Kaffee, Sir!“, versuchte Keira, den Mann zu warnen.

Zu spät. Er stieß einen Schmerzensschrei aus und griff sich an den Schoß. Dann sprang der Mann auf, ließ den Becher fallen und strich sich aufgebracht über die Hose. Ohne Rücksicht auf die anderen Mitreisenden in der Reihe bahnte der Dicke sich einen Weg zum Gang und hastete zum hinteren Teil der Maschine.

„Tut mir leid!“, rief Keira dem Mann betroffen nach, aber er hörte sie nicht.

Es schien ihr Schicksal zu sein, hässliche kleine Szenen wie diese heraufzubeschwören. Keira seufzte. Der Dicke tat ihr aufrichtig leid. Doch nun hatte sie mehr Platz und konnte sich bequemer hinsetzen. Keira reckte sich, um ihre verkrampften Muskeln zu lockern, dann machte sie sich auf beiden Sitzen breit.

Jetzt konnte sie auch besser nachdenken. Dazu war es höchste Zeit, denn in einer halben Stunde würde die Maschine landen. In der Handtasche hatte Keira noch genug Geld für einen Telefonanruf und eine Taxifahrt. Für die ganze Strecke würde die Barschaft vermutlich nicht reichen, und Keira war darauf gefasst, ein Stück zu Fuß gehen zu müssen.

Sofort nach der Ankunft musste sie Justin anrufen. Ihr Vetter war Wirtschaftsprüfer und ein überaus vorsichtiger, konservativer Mann. Aus Keiras Sicht war er auch wohlhabend und im Moment ihre einzige Hoffnung. Aber man musste geschickt mit ihm umgehen.

Justin war verheiratet, hatte aber noch keine Kinder. Keira hatte ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, sie erinnerte sich jedoch gut an seine Gewohnheiten. Er war ein Mann, der Zahlen auf Papier malte, sie addierte und daraus Schlussfolgerungen zog, über die er sich endlos ausließ.

Keira hielt nicht viel davon, sie fand: Eine Familie geht miteinander durch dick und dünn. Blutsverwandtschaft zählt mehr als lächerliche Zahlen auf einem Papier. Schon jetzt wusste Keira, dass Justin sich mit den Fingern durchs Haar fahren und murren würde, wenn sie ihm ihr Anliegen vortrug. Das Problem bei ihm lag darin, dass er Zahlen und Familie stets unter einen Hut bringen wollte. Bei ihr, Keira, klappte das nicht, und damit konnte er sich einfach nicht abfinden.

Wie damals, als er ihr Geld geschickt hatte, damit sie zu seiner Hochzeit kommen konnte. Keira wäre auch heimgeflogen, denn die Familie hatte Vorrang, doch damals war sie in Kenia auf einer Safari gewesen, wo sie einen Scheich kennen lernte, der sie nach Marokko einlud. Als der Scheck sie endlich erreichte, hatte die Hochzeit bereits stattgefunden. Da hätte es keinen Sinn gehabt, nach Australien zu reisen, während das frisch getraute Paar bereits unterwegs in die Flitterwochen auf den Fidschi-Inseln war. Justin schien das jedoch anders zu sehen.

Zwar hatte Keira ihm den Scheck mit vielen Entschuldigungen, Erklärungen und Glückwünschen zurückgeschickt, aber seit dieser Geschichte ließ die Beziehung zwischen ihnen zu wünschen übrig. Obwohl Justin es nicht direkt in Worte gefasst hatte, spürte Keira, dass er sich von ihr im Stich gelassen fühlte. Jedenfalls schickte er ihr seitdem nur noch Geburtstags- und Weihnachtsgrüße mit dem ironischen Zusatz: „Lebst du noch?“

Keira hatte ihm mit Postkarten aus den Ländern, die sie bereiste, regelmäßig ihr Überleben bestätigt. Dass sie das getan hatte, erinnerte sie an das Problem, wie sie das Gespräch beginnen sollte, wenn sie Justin anrief. Davon konnte unter Umständen alles abhängen. Ihr Vetter glaubte schließlich, sie sei immer noch in Reykjavik. Er würde ziemlich überrascht sein, und Justin liebte Überraschungen nicht. Vielleicht sollte sie …

Der „Ringer“ kehrte mit leidender Miene zurück, und Keira räumte seinen Platz wieder. Dieser Flug war wirklich das Letzte.

Es ist jedoch Zeit, heimzukehren, dachte sie.

Noch vor wenigen Jahren war sie glücklich gewesen, auf einem Frachter zu reisen und fremde Länder kennen zu lernen. Jetzt sehnte sie sich nach einem gemütlichen Zuhause. Sie konnte nur hoffen, dass Justin ihr das für ein Weilchen bot, bis sie wieder auf eigenen Füßen stehen konnte.

Das Rauchverbotszeichen leuchtete auf. Bitte anschnallen. Noch zehn Minuten bis zur Landung.

Keira wurde bewusst, dass sie immer noch nicht wusste, wie sie sich Justin gegenüber verhalten sollte. Sie zuckte die Schultern. Vielleicht ließ sie das besser offen und handelte dann aus der Situation des Augenblicks heraus.

Von ihrem ungünstigen Platz aus erhaschte Keira nur flüchtige Blicke auf Sydney, während die Maschine einschwenkte und zur Landung auf dem „Mascot Airport“ ansetzte. Dennoch riefen selbst die flüchtigen Blicke auf die Wahrzeichen Gefühle in Keira wach, die sie überraschten.

Es stimmt, dachte sie. Zu Hause ist es am schönsten.

Seit fünf Jahren war sie in der Welt herumgegondelt und hatte sich an vielen Orten wohl gefühlt. Doch im Herzen war Keira Australierin geblieben, und ihre Heimatstadt ging ihr über alles.

Die Boeing 747 rollte langsam aus. Keira atmete auf. Der lange, strapaziöse Flug war überstanden. Ihre Geduld wurde dann erneut auf eine harte Probe gestellt, denn es dauerte ziemlich lange, bis Keira von Bord und durch den Tunnelgang der Fahrgastbrücke ins Flughafengebäude gehen konnte. Sie holte ihren Rucksack und den Seesack vom Gepäckkarussell und musste sich vor der Zollabfertigung noch einmal in eine Warteschlange einreihen.

Schließlich war auch das überstanden. Jetzt brauchte Keira nur noch ein Telefon zu finden, um Justin anzurufen. Es war halb sieben. So früh am Morgen musste er daheim sein. Sie entdeckte eine freie Kabine, wählte die Nummer und verspürte ein nervöses Kribbeln, als am anderen Ende abgenommen wurde.

„Justin Brooks“, meldete sich eine verschlafene Männerstimme.

Keira legte ihren ganzen Schmelz in ihre Stimme: „Justin, Schätzchen, ich bin’s, Keira, dein rastlos umherziehendes Cousinchen.“

Ungläubiges Schweigen.

Keira schlug einen entschuldigenden Ton an. „Tut mir ehrlich leid, falls ich dich geweckt haben sollte …“

„Der Zeitunterschied“, brummelte Justin, dann schien er schlagartig wach zu werden. „Wo bist du? In welchem Teil der Welt?“

Er klang tatsächlich besorgt. Das hatte sie nicht erwartet. „Das verlorene Schaf ist heimgekehrt, Justin. Ich bin in Sydney, am Mascot-Flughafen.“

„Gott sei Dank! Bleib, wo du bist! Ich komme sofort.“

Sie war fassungslos. Sie hatte gehofft, dass ihr Vetter sie aufnehmen würde, doch mit einer so überwältigenden Bezeugung verwandtschaftlicher Zuneigung hatte sie nicht gerechnet. „Bist du dir da sicher, Justin?“, fragte Keira vorsichtig. „Ich meine, ich kann warten …“

„Nein!“, unterbrach er sie scharf. „Rühr dich nicht von der Stelle. Ich fahre sofort los. In einer knappen halben Stunde bin ich bei dir. Dass du mir ja nicht in der Gegend herumspazierst, hörst du?“

Die Dinge entwickelten sich sehr viel erfreulicher, als Keira erwartet hatte. „Also, wenn du darauf bestehst, dass ich …“

„Ja, das tue ich. Versprich mir, dass du dich nicht von der Stelle rührst.“

Sie hatte keine Lust, eine halbe Stunde herumzustehen. „Kann ich in der Cafeteria wenigstens eine Tasse Kaffee trinken gehen?“, erkundigte Keira sich.

„Gute Idee! Dort finde ich dich leicht. Setz dich an einen Tisch, lauf mir bloß nicht fort. Ach, Keira …“ Justin seufzte. „Du bist doch nicht dick geworden, oder?“

Komische Frage, dachte sie. „Nein, das würde ich nicht sagen“, antwortete sie. „Warum ist das wichtig, Justin? Hast du jetzt einen kleinen Wagen?“

„Ach, das war nur … Es hat nichts weiter zu bedeuten. Aber immerhin habe ich dich fünf Jahre nicht gesehen. Werde ich dich überhaupt erkennen?“

„Ich sehe noch genauso aus wie früher“, erklärte sie.

„Wunderbar!“ Justin klang erleichtert. „Ich brauche dich, Cousinchen. Du darfst mich nicht im Stich lassen.“

„Aber nein, das würde ich nie tun“, versicherte sie. „Ich … brauche dich auch.“

„Das trifft sich ja prima“, stellte er zufrieden fest.

„Prima inwiefern?“

„Das erzähle ich dir nachher.“ Damit beendete Justin das Gespräch.

Keira hängte den Hörer amüsiert ein. Justin hatte sie in seinem ganzen Leben noch nicht gebraucht. Sie hatte eher das Gefühl gehabt, dass er sie als Störfaktor, als Eindringling empfunden hatte. Er schien nicht sehr glücklich gewesen zu sein, als ihre Tante und ihr Onkel sie in die Familie aufgenommen hatten, nachdem die Eltern bei einem Autounglück ums Leben gekommen waren.

Damals war Keira zehn, Justin vierzehn gewesen. Schon als Teenager musste für ihn alles ordentlich und überschaubar sein. Er hatte die Rolle des verantwortungsbewussten, älteren Bruders gespielt, aber eigentlich hatten sie nie auf der gleichen Wellenlänge gelegen.

Keira vermutete, dass Justin sie als eine Art Kreuz betrachtet hatte, das er der Familie wegen tragen musste. Inzwischen war sie jedoch sechsundzwanzig und er dreißig – möglich, dass er nun anders zu ihr stand.

Was immer Justins Beweggründe sein mochten, sie musste froh sein, dass er sie brauchte, denn sie war jetzt auf ihn angewiesen. Für sie war das die ideale Lösung ihres momentanen Problems. Keira wusste zwar nicht, warum sich das für Justin „prima“ traf, aber das würde sie bald erfahren.

Auf dem Weg zur Cafeteria sann sie darüber nach, worauf Justin mit seiner Frage, ob sie dick geworden sei, hinauswollte. Er musste sich doch denken, dass sie kein Fett ansetzen konnte, wenn sie mit wenig Geld in der Tasche durch die Welt zigeunerte. Keira war rank und schlank, und an ihrer Figur ließ sich wirklich nichts aussetzen.

Das schienen auch einige Männer zu finden, die Keira fasziniert beobachteten, während sie durch die Flughafenhalle schlenderte. Die Blicke wurden von den vollen Brüsten angezogen, die unter dem Herrenhemd aufreizend wippten, um dann unweigerlich zum Po in den engen Jeans zu gleiten, den Keira leicht wiegend bewegte, weil er vom langen Sitzen immer noch schmerzte.

Von dort wanderten die Blicke zu den langen, schlanken Beinen, die noch aufregender gewirkt hätten, wenn Keira hochhackige Schuhe statt der derben Armeestiefel getragen hätte, die für lange Märsche sehr viel praktischer und bequemer waren.

Sie merkte von diesen Begutachtungen nichts. Sie freute sich auf den Kaffee, den sie sich nun guten Gewissens leisten konnte. Ihre Welt war wieder in Ordnung. Justin würde sie bei sich aufnehmen, weil er sie brauchte.

Nachdem sie die Cafeteria gefunden und Geld für einen dampfenden Cappuccino hingelegt hatte, setzte Keira sich an einen Tisch und überdachte ihre Lage.

Natürlich würde sie tun, was immer Justin von ihr erwartete. Sie konnte nur hoffen, dass er ihr aus Dankbarkeit dafür das Geld für die Fahrt zu seinen Eltern lieh, die sich in Queensland an der Goldküste zur Ruhe gesetzt hatten. Danach wollte Keira sich nach einem Job umsehen.

Keira war neugierig auf Justins Frau. Er hatte Louise bei dem Telefonat nicht erwähnt, aber sicherlich hatte er sie inzwischen gewarnt, dass seine weltenbummelnde Cousine, die sich nicht einmal auf der Hochzeit hatte blicken lassen, im Anrücken sei und ihr geordnetes Leben durcheinander wirbeln würde.

Plötzlich entdeckte Keira ihren Vetter, der auf die Cafeteria zueilte, und traute ihren Augen nicht. Justin hatte sich nicht einmal Zeit zum Rasieren genommen! Unglaublich! Wenn er so aus dem Haus ging, musste eine Krise schlimmsten Ausmaßes vorliegen. Zwar trug er eine konservative graue Hose und ein sauberes weißes Hemd, aber möglicherweise besaß er nur solche Sachen.

Seine Stirn wirkte höher, weil sein hellbraunes Haar sich vorn gelichtet hatte, doch sein Gesicht war noch genauso, wie Keira es in Erinnerung hatte. Justin besaß ebenmäßige Züge, und wenn er lächelte, sah er sehr attraktiv aus, aber er lächelte nur selten. Im Augenblick wirkte er sorgenvoll und irgendwie gehetzt. An seiner Figur ließ sich nichts aussetzen.

Justins Miene hellte sich auf, als er Keira bemerkte. Also war sie ihm tatsächlich willkommen. Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Seine braunen Augen leuchteten auf, während er sie betrachtete. Justin war offenbar mit ihr zufrieden. Dieses Wiedersehen wurde immer seltsamer.

„Was bin ich froh, dich zu sehen!“, begrüßte er sie begeistert.

„Das möchte ich dir auch sagen“, erwiderte Keira in leichtem Ton. „Darf ich mich jetzt von der Stelle rühren?“

„Ja.“ Justin legte die Hände auf Rucksack und Seesack, als betrachte er ihr Gepäck als Unterpfand. „Und jetzt lass uns gehen.“

Keira stand auf und gab Justin einen Kuss auf die unrasierte Wange. Sie freute sich wirklich, ihren Vetter wiederzusehen, obwohl sie so grundverschieden waren. Er gab ihr das Gefühl, wirklich zu Hause zu sein.

„Lieb von dir, dass du sofort hergekommen bist, um mich abzuholen, Justin.“

Er seufzte. „Wir leben in einer problematischen Zeit.“

„Genau“, pflichtete Keira ihm bei.

Er sah sie forschend an. „Bist du müde?“

„Ist es weit bis zu deinem Wagen?“

„Er steht drüben auf dem Parkplatz auf der anderen Seite der Straße. Bis dorthin ist’s nur ein Katzensprung … keine hundert Meter.“

„Ich bin vom langen Sitzen völlig fertig“, gestand Keira, „aber so weit komme ich noch.“

Unterwegs warf Justin ihr wiederholt prüfende Blicke zu.

„Wie geht es Tante Joan und Onkel Bruce?“, erkundigte sie sich.

„Mom und Dad?“ Justin wirkte geistesabwesend. „Wie immer. Bestens, soweit ich weiß.“

Sie atmete erleichtert auf. Wenigstens in dieser Hinsicht war alles in Ordnung. Keira hing sehr an Justins Eltern. Zwar hatten sie sie nie wirklich verstanden, aber sie hatten sie auch nicht kritisiert. Die beiden waren ihr gegenüber stets wohlwollend tolerant gewesen. Gelegentlich hatten sie Keira mit ihrem Vater verglichen, der zu Lebzeiten eine ungewöhnliche Wanderlust an den Tag gelegt hatte.

„Glaubst du, dass du bis heute Abend wieder in Form bist?“, fragte Justin unvermittelt.

„Wofür?“

Seine Miene wurde grimmig. „Für einen Mann.“

Keira hatte den Eindruck, dass er diesem Herrn nicht gerade wohl gesinnt war. „Was für ein Mann?“, hakte sie nach.

„Er dürfte dir sogar gefallen, Cousinchen“, entgegnete Justin zynisch. „Die meisten Frauen sind von ihm fasziniert. Er soll ein überaus begehrter Junggeselle sein.“

Interessant, dachte Keira. „Und was soll ich tun?“, erkundigte sie sich.

„Benimm dich ganz natürlich. Sei einfach du selbst, tu dir keinen Zwang an.“

Justin lächelte auf eine Weise, die Keira stutzig machte. Er hatte immer größtes Unbehagen an den Tag gelegt, wenn sie „sie selbst“ war. Für ihn musste alles seine feste Ordnung haben, und er hatte ihre Lebenseinstellung nie gebilligt.

„Ist das alles?“, fragte Keira argwöhnisch.

Er warf ihr einen strengen Blick zu. „Du musst vergessen, dass du meine Cousine bist. Das ist sehr wichtig.“

Ihr gefiel diese Forderung nicht, sie wollte Justin das auch sagen, doch er fuhr bereits fort:

„Abgesehen davon musst du alles daransetzen, ihn zu verführen. Er muss so unmöglich dastehen, dass er für immer blamiert ist.“

Keira traute ihren Ohren nicht und kniff die Augen leicht zusammen. „Du meine Güte, Justin, wofür hältst du mich eigentlich? Ich soll einen Mann ins Bett locken?“

Justin nickte. „Dann könnte ich den Spieß umdrehen.“

„Aber …“

„Tut mir leid, dass du so angeschlagen bist, Keira, aber du kannst dich den ganzen Tag ausruhen und schlafen“, unterbrach er sie und maß sie von der Seite. „Dann müsstest du heute Abend wieder fit sein.“

Keira holte tief Luft. Das frühe Wecken schien den sonst so klaren Verstand Justins umnebelt zu haben. „Du erwartest, dass ich einen Mann verführe, den ich nicht einmal kenne? Das meinst du doch wohl nicht im Ernst!“

„Da du darin genug Übung hast, dürfte dir das nicht schwer fallen“, erwiderte Justin aalglatt.

„Das habe ich nicht!“, brauste Keira auf. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Mann verführt!“

Sein Blick verriet, dass Justin ihr nicht glaubte. „Dann kannst du mit dem Üben heute Abend anfangen“, riet er.

Sie hielt es für klüger, nicht darüber zu diskutieren. Eine Auseinandersetzung mit Justin konnte sie sich jetzt nicht leisten. Sie dachte nicht daran, jemanden zu verführen, weder aus Liebe noch für Geld, aber sie brauchte ihren Vetter und durfte ihn nicht vor den Kopf stoßen.

Kommt Zeit, kommt Rat, sagte sie sich. Ich lasse die Sache erst mal auf mich zukommen. Wenn es so weit ist, werde ich schon einen Weg finden, mich elegant aus der Affäre zu ziehen.

„Ich habe keine Ahnung, wie ich das anfangen soll“, erklärte sie.

„Ach, das ist doch ganz einfach, Cousinchen.“ Justin warf ihr einen wissenden Blick zu. „Feuer bekämpft man mit Feuer. Ich übernehme das Kämpfen. Du bist das Feuer. Wir geben ein tolles Gespann ab.“

Keira schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht recht, Justin. Für die Familie würde ich wirklich eine Menge tun, aber das geht wohl ein bisschen zu weit.“

„Hör zu, Keira, es handelt sich um eine unerhört wichtige Sache.“ Er sprach jetzt beschwörend, fast leidenschaftlich. „Tu mir diesen einen Gefallen, und ich werde mein Leben lang in deiner Schuld stehen. Damit kannst du beweisen, was die Familie dir bedeutet.“ Er sah sie eindringlich an. „Möchtest du, dass ich dir für den Rest meines Lebens verpflichtet bin?“

Die Vorstellung war verlockend. In Notfällen auf einen so zuverlässigen Menschen wie Justin zurückgreifen zu können, war nicht zu verachten. Trotzdem dachte Keira nicht daran, dafür ihren Körper zu verkaufen.

„Das wäre natürlich schön“, antwortete sie ausweichend. Sie hatten das Flughafengelände noch nicht verlassen, überquerten nun die Straße vor dem Parkplatz. Keinesfalls durfte sie, Keira, riskieren, dass Justin sie mit ihrem Gepäck einfach stehen ließ.

„Dann zieh die Sache für mich durch“, forderte er energisch.

Keira versuchte, Zeit zu gewinnen. „Erst müsste ich aber noch mehr Einzelheiten erfahren, Justin. Ich meine, wenn ich die Sache richtig machen soll …“

Er seufzte und setzte eine überlegene Miene auf. „Es hätte keinen Zweck, dir die Einzelheiten auseinander zu setzen, Keira. Dafür ist das Ganze viel zu kompliziert. Tu einfach nur, was ich dir sage.“

Als sie schwieg, setzte Justin warnend hinzu: „Du bist nun mal so, wie du bist, das ist mir klar. Aber in den nächsten Tagen darfst du auf keinen Fall spontanen Entschlüssen folgen oder eigenmächtig Dinge unternehmen, die sich zufällig ergeben. Hier geht es um eine militärisch ausgeklügelte Operation, die genau nach Plan ablaufen muss. Ich bin der Feldmarschall. Du bist der Soldat. Ich erteile die Befehle, und du marschierst los und führst sie aus.“

Befehle auszuführen, das war ganz und gar nicht nach Keiras Geschmack. „Das scheint mir eine recht einseitige Angelegenheit zu sein“, gab sie zu bedenken.

„Willst du, dass ich dir ewig dankbar bin?“

Justin stellte das Gepäck auf dem Gehsteig hinter einer Mercedeslimousine ab. Vor fünf Jahren war er einen einfachen Ford gefahren. Jetzt besaß Justin eine Luxuskarosse. Also schien es ihm finanziell gut zu gehen.

„Ja“, sagte Keira.

„Dann sind wir uns einig. Wie gesagt, du bist der Soldat, ich bin der Feldmarschall.“

Keira ließ das Gepäck von ihrem Feldmarschall im Kofferraum verstauen und setzte sich auf den weich gepolsterten Beifahrersitz. Ihr schmerzender Po war dankbar für diesen Luxus. Das Leben als Soldat schien gar nicht so übel zu sein. Aber das mit dem Befehle ausführen … und dann auch noch Justins …

Sie wartete, bis sie auf der Straße waren, ehe sie fragte: „Bist du sicher, dass dein Plan auch funktioniert?“

„Lass das nur meine Sorge sein“, erklärte Justin ziemlich großspurig.

„Aber du bist mir für meine Hilfe dankbar?“

„Sehr.“

„So dankbar, dass du mir Geld leihst?“ Keira hielt den Zeitpunkt für gekommen, einen Vorstoß zu wagen.

Justin bewegte sich unbehaglich. „Wie viel?“

Sie rechnete kurz und nannte sicherheitshalber einen dreimal so hohen Betrag. Justin lächelte gequält, dann teilte er die Summe durch sechs und kam auf fünfhundert Dollar.

Keira machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. „Damit könnte ich mich höchstens ein paar Tage über Wasser halten, Justin.“

„Der Rest folgt bei Lieferung“, versprach er.

Er will sichergehen, dass ich spure, dachte Keira. Mein lieber Vetter traut mir nicht. Und ausgerechnet er redet von Familienzusammengehörigkeit.

„Was soll ich denn liefern, ehe ich den Rest bekomme? Den Kopf des Mannes auf einer Silberplatte?“, fragte Keira ironisch.

„Das wäre fabelhaft.“ Justin schien das durchaus ernst zu meinen.

„Ich soll also so eine Art moderne Delila spielen?“

Justin runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Ich meine die Delila aus der Bibel, die Philisterin, die Samson, einen Richter der Israelis, verführt und ihn dann ihrem Volk ausgeliefert hat.“ Keira sah Justin scharf an. „Jetzt verrat mir wenigstens, warum ich so etwas tun soll.“

Er wurde puterrot, und seine Augen glitzerten gefährlich. „Weil ich meine Frau zurückhaben will. Und dabei wirst du mir helfen.“

Keira schwieg schockiert. Louise war offenbar mit einem anderen Mann durchgebrannt. Der arme Justin! Deshalb brauchte er also Hilfe. Da war sie, Keira, als Familienmitglied tatsächlich verpflichtet, ihm zu helfen.

„Wenn du mit einem arabischen Scheich losziehst und deshalb meine Hochzeit verpasst …“

Autor

Emma Darcy
Emma Darcy ist das Pseudonym des Autoren-Ehepaars Frank und Wendy Brennan. Gemeinsam haben die beiden über 100 Romane geschrieben, die insgesamt mehr als 60 Millionen Mal verkauft wurden. Frank und Wendy lernten sich in ihrer Heimat Australien kennen. Wendy studierte dort Englisch und Französisch, kurzzeitig interessierte sie sich sogar für...
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