Traumhafte Nächte in San Francisco

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Obwohl Ex-Detective Mac nie wieder ermitteln wollte, kann er nicht anders, als der verzweifelten jungen Frau zu helfen: Lindas Nichte, die kleine June, ist entführt worden! Eine Spur führt nach San Francisco, und hier genießen Linda und Mac eine traumhafte Liebesnacht …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757786
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

An dem Tag, als man ihre Schwester mit dem Krankenwagen in die psychiatrische Abteilung des Lion’s Gate Hospital einlieferte, beschloss Linda Carr, von nun an alles selbst in die Hand zu nehmen. Soweit sie es beurteilen konnte, führten die Ermittlungen der Polizei zu nichts. Es war schlimm genug, dass das Baby inzwischen seit sieben Wochen vermisst wurde. Sie konnte nicht länger untätig zusehen, wie man ihre Schwester zunehmend unter Beruhigungsmittel setzte.

Natürlich machte sie June keinen Vorwurf daraus. Sie hatte selbst viele schlaflose Nächte gehabt, seit der Vater der Kleinen diese aus der Säuglingsstation entführt hatte. Eigentlich hätten sie damit rechnen müssen, dass Kirk Thayer so etwas tun würde, denn er hatte sich praktisch von dem Moment an, als er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, extrem verhalten. Aus dem Grund hatte June sich auch geweigert, ihn zu heiraten. Dass er allerdings so weit gehen würde, die Kleine zu entführen und spurlos zu verschwinden …

„Ich bringe dir deine Tochter zurück“, versprach Linda, als sie June am nächsten Morgen besuchte. „Konzentrier du dich nur darauf, wieder gesund zu werden.“

„Und wie willst du das anstellen?“, fragte ihre Freundin Melissa, als sie an diesem Abend zusammen in ihrem Lieblingsrestaurant im Westen von Vancouver saßen. „Du bist Köchin, keine Privatdetektivin. Immerhin hat die Polizei herausgefunden, dass Thayer noch am selben Tag Vancouver verlassen hat und wahrscheinlich in die Staaten zurückgekehrt ist. Du wirst einen Experten brauchen, um ihn zu finden.“

„Nicht einen, sondern den Experten“, erwiderte Linda. „Erinnerst du dich noch an deinen Artikel, den du mir geschickt hast, als ich in Rom gelebt habe? Den über den Polizisten, der den Dienst quittiert hat, weil er von dem ganzen Papierkram die Nase voll hatte?“

Melissa betrachtete sie ungläubig. „Du meinst doch nicht etwa den ehemaligen Detective Mac Sullivan, der jetzt an der Küste von Oregon lebt, oder?“

„Doch, genau den.“

„Mac Sullivan ist nicht der Mann, den du brauchst. Er wird dir nicht helfen. Mir ist noch nie jemand begegnet, der so dickköpfig ist wie er. Mit ihm ein Interview zu bekommen war schwieriger, als die Königin von England zu einem persönlichen Gespräch zu bewegen.“

„Das ist mir egal. Er gilt als der Experte für das Auffinden von vermissten Personen, und wenn es nötig ist, werde ich sogar vor seiner Haustür kampieren. Ich kann es nicht länger mit ansehen, wie June immer mehr verfällt.“

„Das verstehe ich. Ich habe sie das letzte Mal kaum wieder erkannt. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.“ Melissa blickte in ihr Weinglas und seufzte übertrieben. „Also, wie kann ich dir helfen?“

„Ich möchte, dass du herausfindest, wo dieser Sullivan lebt. ‚An der Küste von Oregon‘ ist keine sehr präzise Ortsangabe.“

„Das kann ich dir auch so sagen. Sein Haus befindet sich am Strand von Trillium Cove. Das liegt zwischen Bandon und Coos Bay und ist ein sehr exklusiver Wohnort. Man hat uns damals wie Aussätzige behandelt. Daher rate ich dir, sehr diskret vorzugehen und dich als Frau von Welt zu geben, was dir ja nicht schwerfallen dürfte. Da der Ort sehr klein ist, haben die meisten Straßen keine Namen. Sein Haus liegt am Ende einer Schotterstraße, die westlich von der Post verläuft. Aber wenn du ihn findest …“

„Ich werde ihn finden“, fiel Linda ihr ins Wort. „Ich muss es einfach. So kann es nicht weitergehen. Unsere Mutter ist auch krank vor Sorge, und du weißt ja, was sie schon alles durchmachen musste.“

„Also wenn du ihn findest, überstürz nichts.“

„Warum nicht? Die Zeit drängt.“

„Trillium Cove ist nicht Rom oder Paris – auch nicht Vancouver. Dort ist das Tempo anders, und Mac Sullivan ist kein Mensch, der sich zu etwas drängen lässt. In dem kurzen Interview hat er klargestellt, dass die Fertigstellung seines Buchs für ihn momentan Vorrang vor allem anderen hat und er jede Ablenkung vermeidet. Allerdings hat er eingeräumt, dass er die Polizei von Zeit zu Zeit bei ihren Ermittlungen berät.“

„Er wird eine Ausnahme machen, wenn ich ihm erzähle, was passiert ist. Das muss er einfach.“

Melissa wickelte einige Nudeln auf und schüttelte energisch den Kopf. „Er muss gar nichts. Er ist ein Mann, der seine Privatsphäre schätzt und sich genau aussucht, mit wem er seine Zeit verbringt.“

„Er wird sich diesen Fall aussuchen, wenn er erfährt, wie viel ich zu zahlen bereit bin.“

Wieder schüttelte Melissa den Kopf. „Er schwimmt außerdem im Geld. Wenn du ihn für deinen Fall begeistern willst, musst du zu anderen Mitteln greifen und sehr überzeugend sein – wenn du verstehst, was ich meine.“

Beleidigt sah Linda sie an. „Du willst damit hoffentlich nicht sagen, dass ich mich an ihn ranmachen soll, oder?“

„So hätte ich es zwar nicht ausgedrückt, aber genau das will ich damit sagen.“

„Keine Chance!“

„Du sollst ihm ja nur schmeicheln, nicht splitternackt vor seiner Haustür stehen und ihm eine Ganzkörpermassage anbieten!“

„Nein!“, beharrte Linda. Während ihrer mehrjährigen Ausbildung in Europa hatte sie alle Avancen verliebter Chefkochs und Inhaber von Fünf-Sterne-Restaurants erfolgreich abgewehrt. Und sie hatte nicht vor wegen eines ehemaligen Polizisten aus der Provinz, der sich maßlos überschätzte, gegen ihre Prinzipien zu verstoßen. „Du kennst mich. Außerdem habe ich für derartige Spielchen keine Zeit.“

„Die Zeit musst du dir eben nehmen. Und was sind schon ein paar Tage, wenn du damit dein Ziel erreichst?“, erwiderte Melissa in versöhnlicherem Tonfall. „Du bist wirklich der geradlinigste Mensch, den ich kenne, Linda. Aber deine Familie befindet sich in einer Extremsituation, und wenn du diesem Elend ein Ende bereiten willst, musst du dich darauf konzentrieren, deine Nichte wohlbehalten zurückzubringen und dafür zu sorgen, dass Kirk Thayer zur Rechenschaft gezogen wird.“

Nachdem Linda einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, seufzte sie tief. „Vielleicht hast du recht“, räumte sie ein. „Wenn ich Mac Sullivan durch Schmeicheleien gewinnen kann, werde ich tun, was ich kann.“

„Ich wünsche dir viel Glück dabei. Du kannst es gebrauchen, glaub mir.“

Selbst jetzt, Mitte August und nach wochenlanger Hitze und Trockenheit, war der Ozean kalt. So kalt, dass Mac beim Surfen einen Neoprenanzug trug, andererseits nicht kalt genug, um ihm vom allmorgendlichen Schwimmen abzuhalten. Er brauchte das erfrischende Bad, um einen klaren Kopf zu bekommen und besser arbeiten zu können. Sein tägliches Pensum beinhaltete mindestens tausend Wörter vor sechzehn Uhr. Außerdem nahmen die Recherchen und Notizen viel Zeit in Anspruch.

Da die Brandung an diesem Tag stärker als sonst war, musste er sich mehr konzentrieren. Das war vielleicht auch der Grund dafür, dass er die Frau, die seinen Strandabschnitt betreten hatte, erst bemerkte, als er ans Ufer watete.

Er war immer noch ein wenig von der Sonne geblendet, sodass er sie zuerst nur an ihrer Stimme als Frau erkannte. Es war eine klare, kultiviert und leicht herrisch klingende Stimme, wie ihm durch den Kopf ging, als er mit dem Surfbrett unter dem Arm die Stufen zu seinem Haus hinaufzugehen begann.

„Passen Sie doch auf mit dem Ding!“, sagte die Frau. „Sie hätten mir fast den Kopf abgeschlagen.“

„Und Sie hätten es vermeiden können, wenn Sie auf Ihre Umgebung geachtet hätten“, informierte Mac sie. „Sie befinden sich auf Privateigentum, Lady.“

„Und woher sollte ich das wissen?“

Er wandte den Kopf und deutete auf die Schilder an den Kiefern, die die Dünen säumten. „Sie könnten es mal mit Lesen versuchen – wenn Sie es können.“

Inzwischen konnte er wieder gut sehen und beobachtete, wie sie wütend einen Schritt zurückwich. „Ich hatte ja schon gehört, dass Sie nicht gerade die besten Umgangsformen pflegen. Aber dass Sie so ein Neandertaler sind, hätte ich nicht gedacht.“

„Nun wissen Sie es. Also, warum gehen Sie nicht wieder und lassen mich in Frieden grunzen?“

„Weil …“ Die Frau verstummte.

Sie hatte kurze blonde Locken und ein herzförmiges Gesicht mit großen blaugrünen Augen und sinnlichen, energisch wirkenden Lippen. Sie war zierlich, nur etwa einsfünfundsechzig groß, und hatte schöne Beine. Mac schätzte sie auf etwa Mitte zwanzig. Sie wirkte sehr angespannt.

Er registrierte das alles nicht, weil er sich für sie interessierte, sondern weil er in elf Jahren Polizeidienst gelernt hatte, genau zu beobachten.

„,Weil‘ ist kein Grund“, erklärte er.

Die Frau betrachtete ihre krampfhaft gefalteten Hände. „Tut mir leid, dass ich hier eingedrungen bin. Ich habe die Schilder wirklich nicht bemerkt.“

„Verstehe ich nicht. Sie sind nicht zu übersehen.“

Nachdem sie einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, setzte sie ein unterwürfiges Lächeln auf und sagte: „Sie aber auch nicht. Sie surfen fantastisch.“

„Ja, das habe ich schon oft gehört – allerdings von Frauen, die eine etwas subtilere Art hatten als Sie.“

Sie errötete. „Ich versuche nicht, mit Ihnen zu flirten.“

„Sicher tun Sie das, nur nicht besonders gut. Also, warum spucken Sie nicht einfach aus, was Sie wirklich wollen?“

„Ich brauche Ihre Hilfe. Das Baby meiner Schwester wurde von seinem Vater entführt, und sie ist am Ende.“

Mac unterdrückte ein Seufzen und wandte sich ab, um auf den Ozean zu blicken. Das menschliche Elend verfolgte ihn ständig, egal, wie sehr er sich bemühte, Abstand dazu zu gewinnen. „Wahrscheinlich kommt er zurück, sobald es Zeit wird, die Windel zu wechseln.“

„Nein“, entgegnete sie. „Er hat die Kleine einen Tag nach ihrer Geburt vor fast zwei Monaten aus dem Krankenhaus entführt, und seitdem hat niemand mehr von ihm gehört.“

Verdammt! „Dann hätten Sie die Polizei einschalten sollen.“

„Das haben wir ja.“ Die Frau klang jetzt nicht mehr herrisch, sondern verzweifelt. „Aber sie ist mit den Ermittlungen kaum weitergekommen.“

„Und wie kommen Sie darauf, dass ich mehr erreichen könnte?“

„Ihr Ruf spricht für sich.“

Wieder drehte er sich um, denn er konnte den hoffnungsvollen Ausdruck in ihren Augen nicht ertragen. Es gab kaum noch Dinge, die ihm nahe gingen, doch eine Kindesentführung rührte bei ihm an einen wunden Punkt.

„Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht“, erklärte Mac ausdruckslos. „Sonst wüssten Sie, dass ich schon vor drei Jahren den Dienst quittiert habe. Ich bin gern bereit, Ihnen einen Privatdetektiv zu empfehlen.“

„Ich will aber Sie.“

„Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich kann Ihnen nicht helfen.“

„Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?“

Er wirbelte herum. „Hören Sie, Ms. …“

„Carr“, erwiderte die Frau. „Linda Carr. Und meine Nichte heißt Angela. Bei der Geburt war sie neunundvierzig Zentimeter lang und wog zweitausendsiebenhundert Gramm. Aber mittlerweile ist sie sicher größer und schwerer und sieht auch ganz anders aus. Ihre Mutter hat keine Ahnung, ob sie wächst und gedeiht und richtig versorgt wird. Sie weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben ist.“

„Welchen Grund hätte der Vater, der Kleinen etwas zu tun?“

„Welchen Grund hatte er, sie zu entführen?“

„Wahrscheinlich hatte er Probleme mit der Mutter.“

Linda Carr nickte. „Ja. Ihre Beziehung ging einige Monate vor Angelas Geburt in die Brüche.“

„Ist sie das erste Kind Ihrer Schwester?“

„Ja, aber das zweite von Kirk. Er hat einen Sohn aus erster Ehe, den er allerdings nur selten sieht, weil er bei seiner Exfrau in Australien lebt.“

„Wahrscheinlich hatte er Angst, dass er auch dieses Kind nicht sehen darf.“

„Wovor er Angst hatte, schert mich einen Dreck, Mr. Sullivan“, sagte sie ärgerlich. „Mich interessiert meine Schwester, die kurz vor dem völligen Zusammenbruch steht. Und meine Nichte. Und wenn Sie auch nur einen Funken Mitgefühl haben, sollte es Sie auch interessieren.“

„Ich kann mir nicht die Probleme der ganzen Menschheit aufladen, Ms. Carr“, erwiderte Mac resigniert. „Schließlich habe ich schon genug damit zu tun, gegen meine Dämonen zu kämpfen. Ich kann Ihnen nur raten, jemand zu engagieren, der sich auf solche Fälle spezialisiert hat, und zwar so schnell wie möglich.“

Um seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen, ging er die Stufen hoch und ließ Ms. Carr einfach stehen.

Frustriert blickte Linda Mac Sullivan nach.

Warum hatte Melissa sie nicht gewarnt? Warum hatte sie ihr nicht erzählt, dass Mac Sullivan kein gewöhnlicher Mann war, sondern das Gesicht eines gefallenen Engels, den Körper eines Gottes und eine äußerst sinnliche Stimme hatte?

Entsetzt über ihre Gedanken, barg Linda das Gesicht in den Händen. Sie konnte Melissa nicht die Schuld daran geben, denn sie war so dumm gewesen, sich vorher ein Bild von ihm zu machen. Sie hatte zu viele Filme über abgebrühte Polizisten mit dicken Bäuchen und Doppelkinn gesehen, die Verdächtige verhörten und dabei Kaffee schlürften und einen Doughnut nach dem anderen verschlangen. Und sie hatte zu viele Stunden mit Beamten verbracht, die an ihre Vorschriften gebunden waren.

Sie war in der Annahme hierher gekommen, dass sie gut vorbereitet war. Doch sie war weder auf die anstrengende, fast zwei Tage dauernde lange Fahrt von Seattle nach Olympia und auf der überfüllten Küstenstraße nach Oregon vorbereitet gewesen. Und schon gar nicht auf die Begegnung mit Mac Sullivan.

Selbst der Ort war ihr fremd gewesen. Sie war in Vancouver aufgewachsen und hatte ihre Ausbildung in New York und New Orleans sowie in Paris und Rom gemacht und fühlte sich in diesen Städten mehr zu Hause als an diesem einsamen Strand. Ja, hier war sie eine Fremde. Und sie war ihrem Ziel keinen Schritt nähergekommen.

Plötzlich fühlte Linda sich so erschöpft, dass sie mit den Tränen kämpfte. Während der Fahrt hatte sie sich genau überlegt, was sie zu Mac Sullivan sagen würde, aber er hatte sie überrumpelt und sie mit seinem Aussehen und seiner Ausstrahlung in seinen Bann geschlagen.

Statt ihrer Schwester, die apathisch in ihrem Krankenhauszimmer lag, und ihrer friedlich schlafenden Nichte am Tag ihrer Geburt sah sie nun einen Mann vor sich, der aus der Brandung an den Strand kam und sich das Salzwasser aus dem schwarzen Haar schüttelte. Eines Mannes, der breite Schultern und lange, muskulöse Beine hatte, ein tief gebräuntes Gesicht und blaugraue Augen.

Es konnte nur an ihrer Erschöpfung liegen. Sie sank auf ein Stück Treibholz. Sie hatte keine Ahnung, wo sie die Nacht verbringen und was sie als Nächstes tun sollte.

Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont. Linda sehnte sich nach einem gemütlichen Hotelzimmer, einem heißen Bad, einem guten Abendessen und nach ausreichend Schlaf, um für den nächsten Tag gewappnet zu sein. Allerdings wusste sie, dass sie in Trillium Cove kein Zimmer finden würde. In dem einzigen Gasthof im Ort hatte sie ein Schild mit der Aufschrift „Belegt“ gesehen, und Restaurants gab es nicht.

„Hör auf, dich selbst zu bemitleiden!“, sagte sie sich. „Reiß dich zusammen, und tu etwas, denn so erreichst du nichts!“

Die ständigen Sorgen und der Frust der vergangenen Wochen machten sich jedoch bemerkbar, und entmutigt stützte Linda das Kinn auf die verschränkten Arme und sah starr zum Horizont.

Zur Hölle mit Linda Carr! Wie lange wollte sie noch wie eine gestrandete Meerjungfrau dort sitzen, die auf die Flut wartete?

Mac, der sich über sich selbst genauso ärgerte wie über sie, lehnte sich auf dem Korbsessel zurück, legte die Füße auf das Verandageländer und trank einen großen Schluck Bourbon. Normalerweise war er zufrieden, wenn er den Tag mit einem Glas Whisky und einem perfekten Sonnenuntergang ausklingen lassen konnte.

Normalerweise gab es aber auch keine verzweifelten Frauen, die ihm die Aussicht verdarben. Normalerweise gab es überhaupt keine Frau in seinem Leben, es sei denn, er wollte es, was nur gelegentlich der Fall war. Und dann sorgte er dafür, dass sie keine überzogenen Erwartungen an ihn stellte.

Mac hob das Glas in die Sonne und betrachtete es. Wenn man genug von dem Zeug trank, konnte man all seine Probleme vergessen. Doch er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass er danach einen schlimmen Kater hatte und die Probleme immer noch da waren.

Er stellte das Glas auf den Tisch neben sich, sprang auf und funkelte Linda Carr wütend an. Seit einer halben Stunde saß sie regungslos und mit gesenktem Kopf da. Was ihn am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass er sie und ihr Anliegen nicht vergessen konnte, obwohl er nicht verpflichtet war, ihr Problem zu seinem zu machen.

Hätte sie ihn gebeten, ihren abtrünnigen Ehemann oder einen Betrüger ausfindig zu machen, hätte er sie guten Gewissens wegschicken können. Hier ging es allerdings um ein hilfloses Baby, das vermisst wurde.

Mit seinen hervorragenden Beziehungen und seiner langjährigen Erfahrung hätte er ihr ohne Weiteres helfen können. Aber er lebte nach seinen eigenen Prinzipien, und so brauchte er nicht darauf zurückzugreifen. Was ihn nun zurückhielt, war jedoch Angst. Die Angst davor, womöglich herauszufinden, dass es bereits zu spät war und Linda Carr ihrer Schwester nur einen kleinen weißen Sarg zurückbringen würde.

Das würde er kein zweites Mal durchstehen.

Nervös ging Mac auf der Veranda auf und ab und blickte schließlich wieder zum Strand. Auf dem zwei Meilen langen Abschnitt, der zu seinem Anwesen gehörte, war niemand zu sehen.

Sie hatte aufgegeben. Er konnte guten Gewissens zu Abend essen. Erleichtert atmete er auf.

Seine Küche lag nach Südosten hinaus, und eine Glasschiebetür führte auf eine zweite Veranda. Dort stand auch sein Grill. Mac nahm ein Steak aus der Gefriertruhe und suchte gerade im Kühlschrank nach Salatzutaten, als jemand zaghaft den Türklopfer betätigte.

Mac fluchte leise, bevor er durch den Wohnbereich in den Flur ging, denn ihm war klar, wer vor der Tür stand.

„Bitte“ war alles, was Linda Carr sagte, als er die Tür öffnete, und er war verloren.

„Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass Sie sich nicht so schnell in Luft auflösen können.“ Er bedeutete ihr einzutreten.

Sie war blass und zitterte am ganzen Körper. Schnell umfasste er ihren Arm und erschrak, weil sie sich so kalt anfühlte. „Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?“, erkundigte er sich scharf.

Nachdem sie einen Moment überlegt hatte, erwiderte Linda Carr: „Heute Morgen habe ich einen Kaffee getrunken.“

„Eine richtige Mahlzeit, meine ich.“

„Ich weiß nicht.“ Sie zuckte die Schultern. „Gestern Abend, schätze ich.“

Mac fluchte wieder und führte sie zur Ledercouch vor dem Kamin. „Setzen Sie sich!“, ordnete er an, und nachdem sie es getan hatte, nahm er die Wolldecke, die seine Mutter ihm geschickt hatte, und legte ihn ihr um die Schultern.

Linda Carr kuschelte sich hinein und blinzelte. Sie hatte die längsten Wimpern, die er je gesehen hatte. Er nahm ein Streichholz und zündete die Holzscheite an, die er bereits im Kamin gestapelt hatte. Dann kehrte er in die Küche zurück, um Wasser für seinen Spezialgrog aufzusetzen.

Ungefähr fünf Minuten später ging er wieder ins Wohnzimmer, den Becher mit dem Grog in der Hand. Doch sie war inzwischen eingeschlafen, den Kopf auf der Armlehne und die Füße angezogen.

Nachdem Mac den Becher auf den Kaminsims gestellt hatte, legte er einige Scheite nach und lehnte sich an den Sims. Er schätzte seine Privatsphäre, aber er konnte ihr Problem einfach nicht ignorieren.

Ein Kind wurde vermisst, und er wusste selbst am besten, was für eine große Belastung so etwas war. Und er hatte Angst. Angst vor seiner Reaktion auf eine Frau, die sich in einer Notlage befand. Angst, weil sie ausgerechnet ihn um Hilfe gebeten hatte. Er hatte ihr in die Augen gesehen und erinnerte sich an den vertrauensvollen und zugleich schmerzlichen Ausdruck darin. Und er fürchtete sich davor, wieder zu versagen.

„Verdammt!“, stieß er hervor. „Warum ausgerechnet ich?“

Linda Carr bewegte sich im Schlaf und seufzte. Dann änderte sie ihre Position.

Mac seufzte ebenfalls und kehrte in die Küche zurück, um ein zweites Steak aus der Gefriertruhe zu nehmen. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Sie würde bleiben, ob es ihm gefiel oder nicht. Natürlich gefiel es ihm nicht, und das würde er ihr auch deutlich zu verstehen geben, sobald sie wieder wach war.

2. KAPITEL

Linda schlief sehr schlecht und hatte noch schlimmere Albträume, weil sie das Gefühl hatte, dass sie beobachtet wurde. Irgendwann schreckte sie hoch und setzte sich auf. Es dauerte einen Moment, bis sie sich gesammelt hatte, und sie stellte fest, dass sie eine warme Decke um die Schultern hatte und ihr rechtes Bein eingeschlafen war. Ihr Gesicht war warm von den Flammen eines Feuers, die sich in der Glasfront zu ihrer Linken spiegelten. Über dem Kamin hing ein gerahmtes Bild mit einer Berglandschaft. Die Decke hatte massive Holzbalken. In einem offenen Schrank aus dunklem Holz stand eine Stereoanlage, aus der klassische Musik erklang.

Dann blickte Linda in das unvergleichlich schöne Gesicht eines Mannes, der sie musterte. Er saß in einem Sessel auf der anderen Seite des Granitkamins, ein Glas in der Hand. Offenbar hatte er inzwischen geduscht, denn sein schwarzes Haar war noch feucht, und der schwache Geruch seines After Shaves stieg ihr in die Nase. Er trug jetzt ein langärmeliges blaugraues Hemd und eine schwarze Cargohose.

Auf den ersten Blick wirkte er ganz entspannt, doch in seinen Augen lag ein wachsamer Ausdruck, und wäre es nötig gewesen, wäre er mit einem Satz aufgesprungen. Mac Sullivan war teils Mann, teils Maschine, beängstigend intelligent und distanziert.

„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte Linda heiser.

„Fast eine Stunde.“

„Sie hätten mich wecken sollen.“

„Warum?“

„Weil …“ Sie verstummte.

„Ich sagte Ihnen bereits, dass ‚weil‘ kein Grund ist.“

Linda wünschte, er würde sie nicht so durchdringend ansehen, denn sie fühlte sich ihm hilflos ausgeliefert. „Ich war wohl sehr müde.“

„Ja.“ Mac Sullivan verlagerte seine Position, trank einen Schluck und betrachtete sie dann wieder. „Bestimmt möchten Sie sich frisch machen. Rechts von der Eingangstür ist ein Bad.“

Normalerweise hätte sie sich seinen Befehlston nicht gefallen lassen. Da sie jetzt allerdings merkte, dass sie zur Toilette musste, stand sie auf. Sie konnte kaum auftreten.

„Ich habe Schmerzen“, erklärte sie, als sie einen Fuß vor den anderen zu setzen versuchte.

„Sie meinen, Sie haben Ihre Regel?“, erkundigte er sich ausdruckslos. „Tut mir leid, aber da kann ich Ihnen nichts geben.“

Linda errötete beschämt. „Ich habe Schmerzen im Bein“, verbesserte sie ihn und humpelte aus dem Zimmer.

Mit den weißen Marmorfliesen, den dunkelgrünen Sanitärobjekten und den Messingarmaturen hatte das Bad eine genauso maskuline Note wie der Wohnbereich. Als sie in den Spiegel blickte, stellte sie fest, dass sie richtig verschlafen aussah. Kein Wunder, dass Mac Sullivan sie so durchdringend gemustert hatte! Sie wusch sich das Gesicht mit Seife und Wasser. Am liebsten hätte sie sich auch die Zähne geputzt und sich gekämmt, doch ihre Kulturtasche lag im Wagen, der oben in seiner Auffahrt stand, und sie wollte auf keinen Fall riskieren, das Haus zu verlassen und womöglich nicht wieder hereingelassen zu werden.

„Männer brauchen dafür halb so lange“, bemerkte Mac Sullivan, als sie kurz darauf wieder den Wohnbereich betrat. „Hier, trinken Sie das.“ Er reichte ihr einen Becher mit dampfendem Inhalt.

Argwöhnisch schnupperte sie daran. „Was ist das?“

„Heißer Rum mit Zitrone und Zucker. Ich habe es gerade aufgewärmt. Verbrennen Sie sich nicht.“

„Ich mag keinen Rum.“

„Und ich mag keine uneingeladenen Gäste mit Lungenentzündung. Also trinken Sie. Sie sind viel zu dünn angezogen.“

„Mir ist nicht kalt.“

Mac Sullivan strich mit der Fingerspitze über ihren nackten Arm. „Und warum haben Sie dann eine Gänsehaut?“

Weil Sie mich berühren, dachte sie und erschauerte unwillkürlich. „Das kommt vielleicht vom Schlaf.“

Er schob sie zum Kamin. „Setzen Sie sich. Ich mache uns inzwischen etwas zu essen. Mögen Sie rotes Fleisch?“

„Würde es einen Unterschied machen, wenn ich Nein sagen würde?“

„Nein“, erwiderte er fröhlich. „Ich esse Steak mit einer Ofenkartoffel, Pilzen und Salat. Sie können entweder mitessen oder zusehen.“

„Steak ist okay“, sagte Linda. „Danke für die Einladung.“

Mac Sullivan lachte humorlos. „Als hätte ich eine Wahl gehabt! Medium?“

„Perfekt.“

Der Grog schmeckte erstaunlich gut und wärmte sie von innen. In der Küche, die durch einen Rundbogen vom Wohnbereich abgetrennt war, hörte sie ihren Gastgeber hantieren. Nach den aufreibenden letzten Wochen empfand sie diese alltäglichen Geräusche als seltsam tröstlich. Das Licht der untergehenden Sonne ließ die weiße Wand gegenüber der Glasfront rötlich schimmern. Statt sich vor den Kamin zu setzen, ging sie zu den Glasschiebetüren.

Die Aussicht war atemberaubend – so weit das Auge reichte, nur Meer, Sand, Felsen und verkrüppelte Kiefern. Linda konnte gut nachvollziehen, warum Mac Sullivan sich hierher zurückgezogen hatte.

Und dieses Zimmer war nicht weniger beeindruckend. Melissa hatte gesagt, er würde im Geld schwimmen, und sie hatte nicht übertrieben. Auch an den anderen Wänden hingen zahlreiche Bilder, Ölgemälde und Aquarelle, alles Originale. Auch die Dekogegenstände, eine Jadeschnitzerei, ein Berglöwe aus Onyx, ein Messingsamowar sowie eine große Kupferschale mit Muscheln, zeugten von gutem Geschmack. Auf dem hellen Holzfußboden lagen dunkle Kelims, die Ledersofas wirkten sehr edel, und außerdem gab es einen großen antiken Esstisch, an dem gut zwölf Personen Platz hatten.

Linda ging zum Rundbogen und beobachtete Mac Sullivan bei der Arbeit. „Leben Sie schon lange hier?“

„Fast vier Jahre.“

„Das Haus ist sehr schön. Sie hatten Glück, dass Sie es gefunden haben.“

Autor

Catherine Spencer
<p>Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills &amp; Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte den...
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