Und sei es nur für eine Nacht

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Ganz allein will der eigensinnige Ingenieur Liam auf der einsamen kanadischen Insel Bell Island eine schwere Verletzung auskurieren. Deshalb reagiert er auf seine warmherzige Nachbarin Janes sehr feindselig. Liam will nicht, dass sie ihn im Rollstuhl sieht. Er lehnt ihre Hilfe ab und erst recht ihr Mitleid. Jane hat sich sofort in Liam verliebt und erträgt seine schlechten Stimmungen. Ohne dass er es merkt, schleicht sich die sanfte Jane in sein Herz. Und als er endlich wieder gehen kann, küsst er sie vor Glück. Unter dem funkelnden Sternenhimmel erfüllt sich ihre Sehnsucht nach seiner Liebe. Doch dann taucht die quirlige Brianna auf und zieht bei Liam ein. Jane fühlt sich zutiefst gedemütigt und will ihn nicht mehr sehen ...


  • Erscheinungstag 30.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754730
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Als ihr aufgegangen war, dass sie so ziemlich alles falsch gemacht hatte, begab sich Jane auf die Suche nach einem Sündenbock, den sie dafür verantwortlich machen konnte, dass sie Liam McGuire je begegnet war.

Ganz oben auf der Liste der Kandidaten stand ihr Großvater. Schließlich hatte er ihr hoch und heilig versprochen: „In diesem Jahr hast du unseren Teil der Insel für dich allein. Steve fährt zu seinem Sohn nach Kalifornien und bleibt den ganzen Sommer über dort.“

Leider hatte es der Angelkumpan ihres Großvaters nicht für nötig gehalten, irgendjemand zu erzählen, dass er sein Haus für die Dauer seiner Abwesenheit vermietet hatte. Damit rückte er an die erste Stelle. Fairerweise musste Jane allerdings zugeben, dass Steve mit seinem Eigentum tun und lassen konnte, was er wollte. Und weil er zudem langsam vergesslich wurde, kam er als Sündenbock vielleicht doch nicht so richtig infrage.

Blieb Liam McGuire selbst, der mit Abstand ungehobeltste Kerl, dem sie je begegnet war. Aber immerhin besaß er einen gültigen Mietvertrag für Steves Haus, und so leid es Jane tat, war er nicht verpflichtet, sich so zu benehmen, wie sie es für angemessen hielt.

Weil sie erneut in eine Sackgasse geraten war, versuchte Jane, ihrem Hund die Schuld zu geben. Warum musste Bounder auch alles, was ihm in die Quere kam, ins Maul nehmen? Aber streng genommen konnte sie ihm keinen Vorwurf machen. Schließlich war sie für seine Erziehung verantwortlich, und wenn sie sich rechtzeitig darum gekümmert hätte, hätte er sich solche Dummheiten gar nicht erst angewöhnt.

Schmerzlich wurde Jane bewusst, dass letztlich nur einer als Sündenbock übrig blieb: sie selbst. Und so kauerte sie schon nach wenigen Stunden des ersten Tages ihres Urlaubs, den sie nötiger hatte denn je, hinter einem Felsen am Strand, ein Häufchen Elend, das sich unendlich schämte und vor Peinlichkeit in den Boden hätte versinken mögen.

„Vielleicht wäre ich doch besser in der Stadt geblieben“, grummelte sie, während Bounder abwechselnd seinem Frauchen verständnisvolle Blicke zuwarf und voller Ungeduld die Wellen beobachtete, die sich, kaum fünfzig Meter entfernt, am Strand brachen.

Aber die Ruhe, nach der Jane sich so sehr sehnte, ließ sich in der Hektik Vancouvers unmöglich finden, und so hatte sie beschlossen, in das Paradies ihrer Kindheit zurückzukehren. Weil sie gestern erst nach Sonnenuntergang am Häuschen ihres Großvaters angekommen war, war sie gleich die enge Stiege hinauf in das Mansardenzimmer mit dem alten Messingbett geklettert und unter das weiche Federbett gekrochen. Vom Rauschen der Brandung und dem Duft des Meeres umgeben, war sie eingeschlafen.

Zum ersten Mal seit Monaten wurde Jane nicht von Albträumen geplagt, sondern fand in der Aussicht, in der Abgeschiedenheit von Bell Island ihre Ängste und Sorgen vergessen zu können, einige Stunden erholsamen Schlaf.

Früh am Morgen stand sie auf und ging zum Fenster, von dem aus man im Norden den Desolation Sound sehen konnte – ein Anblick, mit dem sich für sie die Erinnerung an eine glückliche Kindheit verband. Noch ahnte Jane nichts von dem Unheil, das mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages heraufzog. Und doch glitt ihr Blick vom tiefblauen Wasser, das sich durch die vielen kleinen Verästelungen der Bucht schlängelte, und den Bergen im Hintergrund immer wieder zu der dünnen Rauchfahne, die senkrecht über dem Schornstein des Nachbarhauses stand.

Möglicherweise wäre ihr später erspart geblieben, sich bis auf die Knochen zu blamieren, hätte sie in diesem Moment übersehen, dass die Fenster, die im Winter mit Brettern vernagelt waren, noch verrammelt waren. Weil inzwischen aber der Juni und mit ihm der Sommer begonnen hatte, schöpfte Jane Verdacht. Jemand, der auf legalem Weg in das Haus gelangt war, würde nicht freiwillig im Halbdunkel hocken, sondern alle Türen und Fenster aufreißen, um so viel Licht und Wärme wie möglich hereinzulassen.

„Irgendetwas stimmt da nicht“, sagte sie zu Bounder. „Ich glaube, wir sollten der Sache mal auf den Grund gehen.“

Aus sicherer Entfernung war das leicht gesagt, aber als sie sich der Veranda des Hauses näherte und sah, dass die Eingangstür nur angelehnt war, wurde ihr doch ein wenig mulmig. Plötzlich war Jane froh, dass sie einen achtzehn Monate alten Belgischen Schäferhund an ihrer Seite wusste. Sie fasste Bounder am Halsband, klopfte an die Tür und rief: „Hallo! Ist hier jemand?“

Aber mehr als die verlöschende Glut im Kamin, ein Stapel schmutziges Geschirr, der auf einem Tisch neben der Spüle stand, und ein Pullover, der achtlos über die Lehne eines Sofas geworfen worden war, ließ sich im Dämmerlicht nicht erkennen.

„Ein Einbrecher würde nicht solche Spuren hinterlassen“, dachte Jane, und ein wenig beruhigt betrat sie das Haus, um sich das Ganze näher anzusehen. Auf dem Couchtisch im Wohnzimmer lagen ein gutes Dutzend Bücher und ein Handy. Wer immer es sich hier bequem gemacht haben mochte, es handelte sich ganz offensichtlich um eine Leseratte, die, aus welchen Gründen auch immer, Wert darauf legte, jederzeit mit der Außenwelt in Verbindung treten zu können.

Auch im Schlafzimmer gab der schwache Lichtschein, der durch die Ritzen der Bretter fiel, nichts über die wahre Identität des Bewohners preis – außer dass er gar nicht erst versuchte, seine Anwesenheit zu verbergen. Der Fußboden war übersät mit Kleidungsstücken, dazwischen lagen ein Koffer und eine einsame Matratze mit einem zerknüllten Schlafsack.

Jane war sich sicher, dass es sich bei dem Bewohner um einen Mann handelte. Der Pullover im Wohnzimmer war zu groß, um einer Frau zu passen, und nur ein Mann würde seine Sachen so achtlos behandeln oder einen Schlafsack nach dem Aufstehen liegen lassen, wie er ihn verlassen hatte.

„Wenn du mich fragst“, sagte sie zu Bounder, „wer auch immer sich hier eingenistet hat, hätte doch zumindest die Bretter abnehmen und die Sonne hereinlassen können, von etwas frischer Luft ganz zu schweigen.“

Bounder reagierte mit einem leisen Knurren und stellte seine riesigen Ohren auf, ein deutliches Zeichen, dass sich jemand dem Haus näherte. Schlagartig wurde sich Jane bewusst, dass ihr harmloser Besuch längst den Tatbestand des Hausfriedensbruches erfüllte. Und wenn es sich schon nicht vermeiden ließ, dann wollte sie wenigstens nicht im Schlafzimmer erwischt werden. Aber noch bevor sie die Tür zum Wohnzimmer erreicht hatte, riss sich der Hund los, packte sich wahllos ein Kleidungsstück vom Fußboden und machte sich damit auf und davon.

„Bounder, nein!“, flehte sie und konnte sich nur mühsam beherrschen loszubrüllen. „Aus, Bounder! Sei ein braver Hund!“

Aber Bounder dachte nicht im Traum daran, zu gehorchen. Fröhlich und unbeirrt pflügte er auf seinen riesigen Pfoten durch das Haus, und tollpatschig, wie er war, ließ er eine Schneise der Verwüstung zurück. Erst hinter der Couch im Wohnzimmer gelang es Jane, ihn einzuholen und ihm die Beute aus dem Maul zu nehmen, als plötzlich ein Schatten an der geöffneten Haustür auftauchte und das Zimmer in Dunkelheit tauchte.

In der Erwartung, gleich eine plausible Erklärung für ihre Anwesenheit abgeben zu müssen, richtete Jane sich auf. ‚Mein Name ist Jane Ogilvie, ich wohne nebenan und bin vorbeigekommen, um Hallo zu sagen‘, wollte sie schon loslegen. Aber noch bevor sie auch nur ein Wort herausgebracht hatte, war ihr Versuch, die nette Nachbarin zu spielen, bereits gescheitert.

Ein Mann hatte die Türschwelle blockiert und damit jede Flucht unmöglich gemacht, und der kalte, abweisende Blick, mit dem er Jane musterte, hätte selbst ein Gewitter verstummen lassen. Aber weder die berechtigte Entrüstung, die aus dem Blick seiner tiefblauen Augen sprach, noch die Peinlichkeit, die sie empfand, weil sie in seinen Sachen herumgeschnüffelt hatte, hatten Jane die Sprache verschlagen. Stumm stand sie da, und obwohl sie genau wusste, dass sie es nicht tun sollte, konnte sie nicht umhin, die Beine des Fremden anzusehen.

Der unternahm allerdings nicht den geringsten Versuch, das Schweigen zu beenden, sondern ließ Jane zappeln. Allem Anschein nach gehörte er zu den Kerlen, die es genossen, wenn sie andere verunsicherten. Als Jane drauf und dran war, vor Demütigung im Boden zu versinken, sagte er mit bitterer Stimme: „Was ist, Blondie? Noch nie einen Mann im Rollstuhl gesehen?“

Und ob, hätte sie mit Fug und Recht antworten können. Aber der Mann war an einer Antwort überhaupt nicht interessiert. Von übelsten Flüchen und Verwünschungen begleitet, bugsierte er sich mit seinem Gefährt ins Haus und um den Küchentisch herum, wobei er einen Stuhl zur Seite fegte und nur knapp Bounders Schwanz verfehlte. „Aus dem Weg, Mistköter“, fuhr er ihn an.

Weil einem solchen Flegel gegenüber jegliches Feingefühl unangebracht war, beschloss Jane, in die Offensive zu gehen: „Weiß der Besitzer des Hauses, dass Sie hier sind?“, fragte sie ohne Umschweife. Dabei blickte sie ihrem Gegenüber direkt ins Gesicht, um zugleich vor Nervosität den Fetzen Stoff, den sie Bounder entrissen hatte und noch immer in den Händen hielt, zu zerknüllen.

„Was geht dich das an?“, antwortete der Fremde scharf. „Und was, zum Teufel, treibst du mit meinen Boxershorts?“

Eigentlich hatte Jane geglaubt, der Gipfel der Peinlichkeit sei schon erreicht. Als ihr aber bewusst wurde, dass sie die ganze Zeit die Boxershorts eines Mannes in der Hand gehabt hatte, dessen Namen sie nicht einmal kannte, war sie eines Besseren belehrt. „Nun ja …“, begann sie. Und um dem Besitzer nicht in die, wie ihr ausgerechnet jetzt auffiel, ziemlich schönen Augen sehen zu müssen, senkte sie verschämt den Blick und betrachtete die knallroten Ahornblätter, die das Corpus delicti zierten. „Oh, ich habe gar nicht gemerkt, was ich da in der Hand habe.“

„Nein?“ Der Mann verdrehte die Augen. „Dann hast du bestimmt auch nicht gemerkt, dass du dich auf meinem Grund und Boden befindest?“

„Aber das Haus gehört Ihnen nicht“, sagte sie, froh über die Gelegenheit, das Thema zu wechseln. „Es gehört Steve Coffey, einem alten Freund meines Großvaters.“ Und als sie merkte, dass sie sich selbst noch gar nicht vorgestellt hatte, fügte sie hinzu: „Mein Name ist Jane Ogilvie. Ich verbringe meinen Urlaub im Haus gegenüber.“

„Das glaube ich kaum“, entgegnete ihr Gegenüber barsch. „Mein Name ist Liam McGuire, und als ich dieses Haus gemietet habe, hat Coffey mir zugesagt, ich hätte den Strand den ganzen Sommer über für mich allein.“

„Dann hat man uns beiden etwas Falsches erzählt. Mein Großvater hat mir nämlich dasselbe versprochen. Aber keine Bange, ich werde Ihnen nicht lästig werden. Mir steht der Sinn ebenso wenig nach Urlaubsbekanntschaften wie Ihnen.“

„Tatsächlich?“ Demonstrativ blickte Liam auf seine Boxershorts. „Dann erklär mir doch bitte, warum du so großen Gefallen an meiner Wäsche findest.“

Die Röte, die Jane ins Gesicht schoss, konnte es an Intensität durchaus mit den Blättern auf dem Kleidungsstück aufnehmen, das sie noch immer in den Händen hielt. „Sie irren sich gewaltig!“

„Das glaube ich kaum“, entgegnete Liam spöttisch. „Die Inbrunst, mit der du sie festhältst, ist ziemlich eindeutig. Bestimmt fragst du dich insgeheim, wie ich wohl darin aussehen mag?“

Als hätte sie sich die Finger daran verbrannt, ließ sie das kleine Stück Stoff unvermittelt fallen. „Das interessiert mich nicht im Geringsten!“

„Warum nicht?“, fragte Liam provozierend. „Weil ein Mann, der im Rollstuhl sitzt, unterhalb der Taille tabu ist?“

„Nein“, sagte sie, entschlossen, sich auf das perfide Spiel, in das er sie hineinziehen wollte, gar nicht erst einzulassen. „Weil Sie nicht mein Typ sind.“

„Warum nicht?“, wiederholte er langsam. „Weil ich im Rollstuhl sitze?“

„Weil Sie ein eingebildeter Affe sind, den Charme eines Trampeltieres haben und es allem Anschein nach genießen, in einem Schweinestall zu hausen.“

Liam lächelte. Zumindest waren plötzlich seine makellos weißen Zähne zu sehen. „Ich darf also davon ausgehen, dass du davon absehen wirst, dich allmorgendlich zu vergewissern, ob der Hornochse von nebenan im Lauf der Nacht auch ja nicht aus dem Bett gefallen ist und sich seinen verdammten Hals gebrochen hat?“

„Genau davon können Sie ausgehen“, erwiderte Jane. Und mit einer Härte, die sie von sich sonst nicht kannte, fügte sie hinzu: „Von mir aus können Sie ans Ende der Mole fahren, sich ins Wasser stürzen und ertrinken!“

Sie fasste Bounder am Halsband, marschierte an Liam McGuire vorbei und suchte das Weite, ohne sich noch einmal umzudrehen. Nicht um alles in der Welt wollte sie ihn merken lassen, wie sehr er sie verunsichert hatte – und schon gar nicht, wie entsetzt sie über ihr eigenes Verhalten war.

Erst im Schutz des Felsens, hinter dem sie nun kauerte, begann sich Janes Anspannung zu legen, um von einer tiefen Scham abgelöst zu werden. Wie hatte sie sich nur hinreißen lassen können, solche Dinge zu sagen – ausgerechnet sie, die besser als die meisten wusste, was es bedeutete, an den Rollstuhl gefesselt zu sein? Wo war all ihr Mitgefühl geblieben, das sie empfunden hatte, als Derek noch lebte?

Mit seinem Tod ist es verdorrt, und nie wieder werde ich mich in ein solches Jammertal begeben, dachte sie. Ein zweites Mal würde sie es nicht überleben.

Jane schloss die Augen, als könnte sie damit zugleich die Stimme ihres Gewissens unterdrücken. Aber eines hatte sie zu gründlich gelernt, um es je wieder zu vergessen: Man änderte an den Tatsachen nichts, indem man sie ignorierte. Und Tatsache war, dass der Mann von nebenan behindert war. Sie wusste nicht, wie sehr er dadurch eingeschränkt war, aber sie verstand nun, warum die Fenster noch verrammelt waren und die Sachen nicht im Schrank hingen.

Mit einem tiefen Seufzer fügte sie sich in die Gewissheit, dass sie früher oder später doch wieder bei ihm anklopfen würde, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Denn so wenig sie die Flut aufhalten konnte, die langsam den Strand zu überspülen begann, so wenig konnte sie Liam McGuire oder seinen Zustand ignorieren.

„Miststück!“

Liam sank in seinem Rollstuhl zusammen und blickte starr auf seine Hände, die zu Fäusten geballt in seinem Schoß lagen. Als hätte er nicht genug am Hals, auch ohne sich mit einer Nachbarin herumärgern zu müssen, auf deren Stirn in großen Lettern „Barmherziger Samariter“, geschrieben stand.

Er hatte genau gesehen, wie sich Janes Blick veränderte, nachdem sie gesagt hatte, er könne sich ins Wasser stürzen – als hätte sie eine heiße Kartoffel verschluckt. Liam wusste haargenau, was ihn erwartete. Ihr Stolz wäre schneller verflogen als der Nebel, der heute Morgen über der Bucht gelegen hatte. Von Scham und Mitleid überwältigt, würde sie sich schwerste Vorhaltungen machen, weil sie den armen Tropf so garstig behandelt hatte. Und schließlich würde sie sich verpflichtet fühlen zurückzukommen, um alles wieder gutzumachen.

Mit ihren großen braunen Augen würde sie ihn ansehen, eine Entschuldigung hervorbringen und zum Zeichen der Reue einige Tränen vergießen. Um ihrem Auftritt die rechte Glaubwürdigkeit zu verleihen, würde sie garantiert irgendetwas Selbstgebackenes anschleppen – wahrscheinlich Leinsamenkekse, schließlich war allgemein bekannt, dass mangelnde Bewegung der Verdauung nicht eben förderlich war.

Schwungvoll wendete Liam den Rollstuhl, fuhr auf die Veranda und blickte auf die Uhr. Gleich halb elf. Vor einer knappen halben Stunde war Jane gegangen, bestimmt hockte sie jetzt irgendwo und überschüttete sich mit Vorwürfen. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis das Mitleid Oberhand gewonnen hätte, und spätestens am frühen Nachmittag, so hätte er wetten mögen, würde sie wieder vor der Tür stehen.

Aber vielleicht wäre das nicht einmal das Schlechteste. Er ging nämlich liebend gern zum Krebsfang, und da ihm die Köder ausgegangen waren, würden die Kekse gerade recht kommen. Es machte zwar einige Mühe und brauchte seine Zeit, bis er sich hinter das Steuer seines Wagens geklemmt hatte und zu den Fallen gefahren war, aber wenn die frisch gefangenen Krebse erst in einer Weißweinsauce über dem offenen Feuer im Garten schmorten, dann war er mehr als entschädigt.

Gutes Essen und ein guter Wein gehörten ohnehin zu den wenigen Freuden, die ihm geblieben waren, und unter anderen Umständen hätte er Jane vielleicht sogar überredet, zum Essen zu bleiben – und möglicherweise auch zu mehr. Denn abgesehen davon, dass sie zu wenig auf den Rippen hatte, war sie eine schöne Frau, ausgesprochen weiblich und elegant und von jener Zerbrechlichkeit, die früher einmal seinen Beschützerinstinkt geweckt hätte.

Umso besser, dass sich sein Sexualleben derzeit ausschließlich in seiner Fantasie abspielte, denn garantiert gehörte Jane zu jenen Frauen, die sich am nächsten Morgen nicht damit zufrieden gaben, dass man die Telefonnummern austauschte. Wenn er erst mal wieder seine Beine benutzen könnte und für anderes zu gebrauchen wäre, als sich mit Schmerzmitteln abzufüllen und vor Selbstmitleid zu zerfließen, hätte er einiges nachzuholen. Aber dafür sollte er sich nicht ausgerechnet Jane Ogilvie aussuchen. Diesen Typ Frau, der immer gleich ans Heiraten dachte, kannte er zu gut. Und heiraten war so ziemlich das Letzte, wonach ihm der Sinn stand.

Eine Bewegung unten am Strand riss Liam aus seinen Gedanken. Na also, da kam sie ja schon. Die Entschlossenheit, mit der Jane auf ihr Haus zuging, während ihr der tollpatschige Hund um die Füße herumsprang, ließ keinen Zweifel: Diese Frau hatte eine Mission.

Liam verzog das Gesicht, und plötzlich war ihm, als beanspruchte er Muskeln, an deren Existenz er sich kaum erinnern konnte. Und tatsächlich musste er bei dem drolligen Bild, das das ungleiche Paar abgab, unwillkürlich lachen – zum zweiten Mal in weniger als einer Stunde. Aber weil er völlig aus der Übung war, klang es eher wie das Lachen eines Seehundes, der an einer hartnäckigen Kehlkopfentzündung litt.

Immerhin verriet es, dass er langsam begann, an der Gratisvorstellung Gefallen zu finden. Und in freudiger Erwartung des nächsten Aktes beugte er sich in seinem Rollstuhl vor: Blondie erbarmt sich. Auch wenn Janes Mähne nicht blond, sondern dunkelbraun war, passte der Name – wie Liam fand – ganz gut.

Auch wenn es ihr nicht leicht fiel, konnte Jane dem Impuls, ihrem schlechten Gewissen nachzugeben, zunächst einigermaßen widerstehen. Keine noch so große Selbstdisziplin konnte sie allerdings davon abhalten, vor dem Zubettgehen aus dem Schlafzimmerfenster zu blicken, um nachzusehen, ob nebenan Licht brannte, und sich gleich nach dem Aufstehen anhand der Rauchsäule zu vergewissern, dass der Bewohner des Nachbarhauses wohlauf war.

„Es ist unverantwortlich von ihm, seine Ferien ganz allein zu verbringen“, beklagte sie sich bei Bounder. „Er hat kein Recht, im Falle eines Falles wildfremden Menschen die Verantwortung für sich aufzuhalsen.“

Aber mit solchen Argumenten konnte sie ihr Gewissen nicht lange beruhigen. Schuld daran waren allein diese verflixten Fenster. Und vielleicht noch die Hitze, die nach zwei Tagen völlig unerwartet einsetzte. Wie könnte es einer Frau, die auch nur einen Funken Mitgefühl im Leibe hatte, gleichgültig sein, dass Steves Haus, verrammelt, wie es war, bei Außentemperaturen um die dreißig Grad bis zum Abend zum Backofen werden würde?

Am Morgen des dritten Tages, gleich nach dem Frühstück, gab sich Jane einen Ruck, griff sich einen Hammer und ein Stemmeisen und ging hinüber. Mit keiner Beleidigung, die er ihr an den Kopf werfen würde, könnte Liam sie davon abhalten, zu tun, was sie für ihre Pflicht hielt.

Erneut war die Haustür nicht verschlossen, aber Jane hütete sich, den Fehler, den sie bei ihrem ersten Besuch gemacht hatte, zu wiederholen. Ohne das Haus zu betreten, klopfte sie deutlich vernehmbar an die Tür. „Sind Sie zu Hause, Mr. McGuire? Ich bin’s, Jane Ogilvie, Ihre Nachbarin.“

Keine Antwort, nichts rührte sich, nur Steves alte Hängematte, die quer über die Veranda gespannt war, schwang in der schwirrenden Hitze leicht hin und her. Vorausgesetzt, Liam McGuire war weder taub noch tot, musste er das Haus erneut verlassen haben. In Anbetracht seiner Behinderung und des unwegsamen Geländes hier draußen fragte sich Jane, wo er abgeblieben sein konnte.

Aber statt sich mit der Suche nach einer Antwort aufzuhalten, beschloss sie, die Gunst der Stunde zu nutzen. Eigentlich war sie sogar ganz froh, ihr Vorhaben ohne Zeugen ausführen zu können, denn sie war nicht gerade eine begnadete Handwerkerin. Vor allem auf die sarkastischen Kommentare eines gewissen Liam McGuire konnte sie verzichten – und Jane war sicher, dass er nicht damit gegeizt hätte. So holte sie die Leiter aus dem Schuppen und begann, die Bretter von den Fenstern zu nehmen und unter der Veranda zu verstauen.

Zunächst ging ihr die Arbeit erstaunlich leicht von der Hand, so dass sie gut vorankam. Die eigentlichen Schwierigkeiten begannen erst, als sie die Fenster des Schlafzimmers in Angriff nehmen wollte. Alle anderen waren von der Veranda aus zu erreichen, und dort hatte die Leiter festen Stand. Vor dem Schlafzimmer jedoch fiel der Boden steil ab, außerdem standen dort dichte Holundersträucher und Brennnesseln, die ihr mindestens bis zu den Knien reichten.

Nur mit Mühe gelang es Jane, die Leiter so aufzustellen, dass sie nicht beim leisesten Windhauch umfallen würde. Unter Aufbietung all ihren Mutes erklomm sie Sprosse um Sprosse. Sie war nicht schwindelfrei, und um alles noch schlimmer zu machen, sprang plötzlich ihr Hund auf und lief in heller Aufregung davon, wobei er der Leiter bedrohlich nahe kam.

„Vorsicht, Bounder!“, rief sie erschrocken und klammerte sich an den Fensterrahmen. „Wenn du die Leiter umschmeißt, werden wir beide ein ernstes Wörtchen miteinander reden müssen.“

Als Antwort ertönte von der Veranda Liam McGuires höhnischer Kommentar: „Vorausgesetzt, es gibt dann noch was zu bereden, Blondie. Dein entzückender Hund hat soeben ein Wespennest aufgescheucht, und wenn du nicht völlig zerstochen werden willst, dann solltest du dort oben bleiben, bis die Tierchen in ihr Haus zurückgekehrt sind. Das wird allerdings kaum vor Einbruch der Dunkelheit der Fall sein, also in ungefähr elf Stunden.“

In Anbetracht seines Hangs zum Zynismus bestand durchaus die Chance, dass er sich alles nur ausgedacht hatte, um ihr Angst einzujagen. Aber das leise Brummen, das ihr plötzlich auffiel, machte es nicht unwahrscheinlich, dass er recht hatte. „Seit wann sind Sie hier?“, fragte sie ihn und merkte im selben Moment, welchen Bärendienst sie sich damit erwiesen hatte.

„Das Gleiche wollte ich dich gerade fragen“, erwiderte Liam prompt. „Ich erinnere mich nicht, dich eingeladen zu haben. Aber ich erinnere mich sehr wohl an dein Versprechen, mich nicht mehr belästigen zu wollen.“

Das Summen kam jetzt bedrohlich näher, und die Vorstellung, jeden Moment würde sie die Wespen auf ihren nackten Beinen spüren, ließ Jane zusammenzucken. „Glauben Sie, wir könnten diese Diskussion verschieben, bis ich einen Ausweg aus meiner Lage gefunden habe?“, fragte sie und klammerte sich noch ein wenig fester.

„Dass ich nicht lache“, sagte Liam verächtlich. „Eher verhungerst du da oben. Mach dir nichts vor, Schätzchen, du bist jetzt auf mich angewiesen – es sei denn, du glaubst, Blunder könnte dir helfen.“

„Er heißt Bounder“, verbesserte sie ihn, darum bemüht, unbeeindruckt zu wirken. Und doch musste sie die Zähne zusammenbeißen, um gegen die Tränen anzukämpfen. „Gleichwohl wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihn von der Leiter fern halten könnten. Ich möchte nicht, dass er gestochen wird.“

„Gott behüte!“ Schon wieder verhöhnte Liam sie, aber anerkennend musste Jane feststellen, dass er immerhin den Versuch unternahm, den Hund zu sich zu kommandieren. Er schnippte kurz mit den Fingern und rief mit einer Stimme, die plötzlich völlig verändert klang: „Bei Fuß, Blunder.“

Zu Janes Verblüffung schien der Hund tatsächlich zu gehorchen, denn deutlich konnte sie das Tapsen seiner Pfoten auf der Veranda hören, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, als Liam McGuire befahl: „Sitz!“

„Eigentlich schade, dass Sie auf Menschen nicht genauso einnehmend wirken“, platzte Jane heraus.

„Ich an deiner Stelle würde mir jede Bemerkung verkneifen, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen hätte“, sagte Liam.

Sie riskierte einen Blick nach unten, schloss aber im gleichen Moment die Augen, weil der Boden zu schwanken schien. „Wie wollen Sie mich hier je wieder herunterbekommen? Es wimmelt doch nur so von Wespen!“

„Gar nicht“, sagte Liam kurz angebunden. „Das Einzige, was ich für dich tun kann, ist, von innen das Fenster zu öffnen, damit du ins Haus klettern kannst.“

Vergeblich versuchte Jane, sich die akrobatische Einlage vorzustellen, mit der sie auf die Fensterbank gelangen sollte. Selbst mit beiden Beinen auf der Leiter fiel es ihr schon schwer, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Ich glaube nicht, dass ich das schaffe, Mr. McGuire.“

„Dann kann ich nur hoffen, du warst noch mal pinkeln, bevor du hergekommen bist“, erklärte er erschreckend unverblümt.

Fürwahr, er war mit Abstand der vulgärste, unsensibelste Mann, den die Erde je gesehen hatte. Für eine Sekunde vergaß Jane, wo sie sich befand, warf den Kopf zurück, um Liam zu sagen, was sie von ihm hielt. Sofort begann die Leiter bedrohlich zu wackeln und erinnerte Jane schmerzlich daran, dass es nicht viel brauchte, um sie den Abhang hinunterzustürzen.

„Also gut, wir machen es so, wie Sie vorgeschlagen haben“, sagte sie wenig überzeugt.

„Braves Mädchen.“

Täuschte sie sich, oder hatte sie in seiner Stimme tatsächlich so etwas wie Milde oder gar Liebenswürdigkeit vernommen?

„Verhalt dich ruhig, bis ich im Schlafzimmer bin und das Fenster geöffnet habe“, ordnete Liam an. „Dann tust du genau das, was ich dir sage.“

Leise entfernte sich der Rollstuhl, und kurze Zeit darauf konnte Jane Liams Stimme aus dem Innern des Hauses hören. „Heute ist dein Glückstag, Janie. Eigentlich hatte ich erwartet, dass das Fenster klemmt und sich nicht öffnen lässt. Aber jetzt brauchst du nur noch ein paar von den Brettern abzunehmen, dann kannst du deinen Hintern durchs Fenster hieven. Den Rest übernehme ich.“

Jane hatte keinen Anlass, ihm zu vertrauen, schon gar nicht, was den letzten Punkt seiner Ausführungen betraf. Schließlich war er nicht nur an den Rollstuhl gefesselt, sondern hatte bislang auch nicht die geringste Neigung gezeigt, ritterlich zu sein. Aber blieb ihr denn eine andere Wahl?

Autor

Catherine Spencer
<p>Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills &amp; Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte den...
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