Unter glutroter Sonne: Tyler

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Die junge Rancherin Nell hat alles im Griff - nur ihre Gefühle nicht, seit der neue Verwalter Tyler für sie arbeitet. Dabei hatte sie sich doch geschworen, sich ein für alle Mal von Männern fernzuhalten!


  • Erscheinungstag 20.05.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783955764364
  • Seitenanzahl 120
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diana Palmer

Unter glutroter Sonne: Tyler

Übersetzer: Catharina Semeniuk

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Tyler

Copyright © 1988 by Diana Palmer

Übersetzt von: Catharina Semeniuk

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz / Chris Stanford

ISBN eBook 978-3-95576-436-4

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Für Tyler Jacobs hätte diese heiße Landschaft im Südosten von Arizona genauso gut auf dem Mars liegen können. Er fühlte sich immer noch fremd hier, auch wenn er bereits über zwei Monate auf der “Double R Dude Ranch” nahe Tucson als Vormann arbeitete.

Seufzend ließ er den Blick über die Kreosotbüsche schweifen. Außer dieser Art von Pflanzen wuchs kaum etwas auf dieser Ebene, die sich bis zu den Dragoon-Bergen erstreckte. Die Regenzeit war noch nicht vorüber, und schon waren es beinahe vierzig Grad. Tyler schwitzte, nahm den Hut ab und fuhr sich mit dem Arm über die Stirn.

Was für ein Land! dachte er. In Texas, wo er herkam …

Texas! Er runzelte die Stirn. Vielleicht machte ihn gerade die Erinnerung daran so nervös und bedrückt.

Letzte Woche war er zur Hochzeit seiner Schwester in seine Heimatstadt Jacobsville geflogen. Shelby hatte sich nun doch entschlossen, Justin Ballenger zu heiraten, obwohl sie seinen Antrag vor Jahren einmal abgelehnt hatte. Tyler wunderte sich noch heute über den plötzlichen Sinneswandel seiner Schwester, und es war ihm während der Hochzeitsfeierlichkeiten auch nicht entgangen, dass das Brautpaar nicht gerade glücklich gewirkt hatte.

“Aber das geht mich im Grunde nichts an”, murmelte Tyler jetzt vor sich hin und blickte zur Sonne hoch, die fast ihren höchsten Stand erreicht hatte. Schließlich war Shelby alt genug, um ihr eigenes Leben zu führen. Vielleicht würden sich die beiden mit der Zeit sehr gut verstehen.

Auf der Hochzeit hatte Tyler auch Abby mit Calhoun wiedergesehen. Erleichtert hatte Tyler festgestellt, dass seine Gefühle für sie abgeflaut waren. Eigentlich war er damals entschlossen gewesen, eine Familie zu gründen, und Abby war genau die Richtige für ihn. Aber dann hatte er seine Ranch verloren, und Abby hatte sich für einen anderen Mann entschieden.

Sicher war es besser so. Im Moment kam für ihn die Beziehung zu einer Frau überhaupt nicht infrage. Und liebte er vielleicht mehr die Liebe als die Frauen, die ihm bisher so oberflächlich erschienen?

Tyler lächelte. Neuerdings war er sich dessen nicht mehr so sicher.

Nell Regan zum Beispiel, die Besitzerin der Double R Dude Ranch, machte es ihm nicht leicht. Mit ihrer merkwürdigen Scheu und ihrer Verwundbarkeit, die sie durch Burschikosität und Kratzbürstigkeit zu überspielen suchte …

An die Arbeit, dachte Tyler und richtete sich im Sattel auf. Er war hinausgeritten, um ein paar streunende Herefordkälber einzufangen. Aufmerksam sah er sich um. In dieser Umgebung war es nicht leicht, die Orientierung zu behalten. Ein Tal ähnelte dem anderen. Die Gebirgszüge schienen sich ins Unendliche auszudehnen. Es war genau das Richtige für einen Mann, der seine Freiheit brauchte.

Plötzlich bemerkte er einen Reiter in der Ferne, und noch bevor er nähergekommen war, hatte Tyler Nell Regan erkannt. Verblüfft sah er ihr entgegen. Es musste auf der Ranch etwas passiert sein, denn Nell ging ihm sonst aus dem Weg. Anfangs waren sie wunderbar miteinander ausgekommen, sie waren sogar auf dem besten Weg gewesen, gute Freunde zu werden. Doch dann hatte Nell plötzlich ihr Verhalten geändert, was Tyler immer noch unverständlich war.

Auch gut, dachte Tyler. Er verdiente auf der Ranch gerade genug für den eigenen Lebensunterhalt. Sein früheres Vermögen war dahin. Er hatte also nichts, was er einer Frau wie Nell hätte bieten können. Und doch machte er sich ihretwegen manchmal Gedanken. Hatte er sie irgendwie verletzt?

Er wusste kaum etwas über ihre Vergangenheit. Aber er spürte, dass einmal etwas Entscheidendes vorgefallen sein musste, denn Nell war Männern gegenüber ungewöhnlich vorsichtig und misstrauisch. Sie machte sich so unscheinbar wie möglich, um ja nicht die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu lenken. Allerdings erreichte sie mit dieser Verkleidung eher das Gegenteil.

Er hatte sie zuerst für ein unbedarftes junges Ding gehalten, das sehr darauf bedacht war, ihm den Aufenthalt auf der Ranch so angenehm wie möglich zu machen. Tyler lächelte unwillkürlich. Er hatte ihre Gegenwart genossen, sie geneckt und ein wenig mit ihr geflirtet. Und dann nahm Bella, die Köchin, ihn eines Tages ins Gebet. Nell sei alles andere als ein unbefangenes Mädchen. Sie sei eine junge Frau von vierundzwanzig Jahren, die sein Verhalten falsch verstehen könnte.

Seitdem hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen merklich abgekühlt. Nell ging ihm möglichst aus dem Weg, und sie begegneten sich nur noch bei den Tanzabenden, die zweimal im Monat stattfanden.

Aber ganz unangenehm schien Nell seine Gegenwart auch wieder nicht zu sein. An den Tanzabenden in der Scheune hielt sie sich stets dicht an seiner Seite. Mehr war nicht von ihrem einstigen Einvernehmen geblieben. Nells abweisendes Verhalten verletzte Tylers Stolz und seine Eitelkeit. Er war es gewöhnt, bei den Frauen immer das zu erreichen, was er wollte.

Besorgt sah Tyler Nell jetzt entgegen. In den ausgebeulten Jeans, der weiten Bluse und dem Schlapphut wirkte sie wahrhaftig nicht wie eine Frau, die einen Mann verführen wollte. Umso besser, dachte er. Alles wäre noch schwieriger, würde sie ihre gute Figur auch noch betonen. Bei dem Gedanken an ihren Körper überlief Tyler ein leichtes Prickeln. Hastig verscheuchte er diese Vorstellung wieder.

“Hast du die Tiere schon gefunden?”, erkundigte sich Nell, als sie das Pferd neben ihm zügelte.

“Ich bin fast das ganze Gebiet abgeritten”, antwortete Tyler müde. “Wo immer die Tiere sein mögen, bestimmt ist ein Wasserloch in der Nähe. Bis auf die Regenzeit ist hier ja alles ausgedörrt und trocken, und das Überleben kann wirklich zu einem abenteuerlichen Kampf werden.”

Nell betrachtete ihn ruhig. “Dir gefällt Arizona nicht sehr, oder?”

“Es ist so anders.” Tyler ließ seinen Blick über die Bergkämme gleiten, die nach dem jeweiligen Stand der Sonne in die wundervollsten Rottöne getaucht waren. “Man muss sich an diese Landschaft erst langsam gewöhnen. Acht Wochen reichen dazu nicht aus.”

“Ich bin hier aufgewachsen”, entgegnete Nell. “Für mich gibt es nichts Schöneres. Es sieht nur so unwirtlich aus. Wenn man näher hinschaut, entdeckt man überall Leben.”

“Klapperschlangen und Eidechsen”, bemerkte er trocken.

“Schwarzdrosseln, Zaunkönige, Strauße, Eulen und Wild”, ergänzte Nell. “Ganz abgesehen von den Wildblumen in den Schluchten oder den Kaktusblüten.” Sie schien sich etwas zu entspannen.

Tyler zündete sich eine Zigarette an. “Für mich bleibt das eine unwirtliche Wüste. Wie läuft es mit den Ausritten für die Gäste?”

Die “Double R” hatte nicht nur einen großen Viehbestand, sondern war auch eine Gäste-Ranch, wo Touristen sich wochenweise einmieteten, um Cowboyromantik zu erleben.

“Charlie ist bei der Gruppe geblieben”, antwortete Nell seufzend. “Mr Howes sieht aus, als würde er vor Müdigkeit vom Pferd fallen. Ich hoffe nur, dass er es noch bis zur Ranch zurück schaffen wird.”

“Falls er vom Pferd fallen sollte, weiß ich nicht, wie wir ihn wieder hinaufhieven könnten. Bei seinem Übergewicht.”

Unwillkürlich lachte Nell auf. Tyler war früher einer der wenigen Menschen gewesen, der sie zum Lachen bringen konnte. Und dann hatte sie herausfinden müssen, wie er über sie dachte …

“Tyler, ich wollte dich bitten, beim Camping heute Nacht die Aufsicht zu übernehmen”, sagte Nell zögernd. “Ich muss nach Tucson fahren und Marguerite und die Jungen abholen. Die drei wollen wieder das Wochenende auf der Ranch verbringen.”

“Natürlich”, willigte er ein. “Jetzt sollte ich mich aber wieder um unsere Ausreißer kümmern. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, sich einen billigen Sonntagsbraten zu schießen.”

“Die Jungen wollen am Wochenende nach Apachenpfeilspitzen suchen. Ich musste ihnen versprechen, dich danach zu fragen.” Unsicher blickte Nell ihn an.

“Deine beiden Neffen sind wirklich nette Kerlchen”, erwiderte Tyler amüsiert. “Allerdings müssten sie strenger erzogen werden.”

“Marguerite ist nicht der Typ, um mit zwei so temperamentvollen Jungen fertig zu werden”, verteidigte Nell ihre Schwägerin. “Seit Teds Tod ist es noch schlimmer geworden. Er hat es verstanden, seine Söhne im Zaum zu halten.”

“Marguerite braucht einfach einen Ehemann.” Gedankenverloren lächelte Tyler. Marguerite erinnerte ihn an vergangene Zeiten und an Frauen, mit denen er damals ständig zusammen gewesen war. “Eine Frau wie Marguerite sollte keine Schwierigkeiten haben, einen Mann zu finden.”

Nell wusste, dass ihre Schwägerin schön war. Dennoch berührte es sie unangenehm, dass Tyler so anerkennend über Marguerite sprach. Unwillkürlich musste Nell dabei an ihr eigenes Aussehen denken. Ihr rundes Gesicht, die hohen Wangenknochen und die großen Augen wirkten gewiss nicht so anziehend wie Marguerites aparte Züge mit dem geschickten Make-up.

Nell zwang sich zu einem Lächeln und blickte in Tylers hellgrüne Augen. Er war der erste Mann, bei dem sie versucht hatte, Aufmerksamkeit zu erregen. Doch Bella hatte sie gewarnt, und wenig später hatte Nell diese hässlichen Worte selbst aus Tylers Mund gehört … Nun, Marguerite schien auch gut zu ihm zu passen, und außerdem war sie offensichtlich an Tyler interessiert.

“Solltest du die Kälber bis zur Dämmerung nicht gefunden haben, komm ohne sie zurück. Wir müssen dann morgen früh die anderen losschicken”, bemerkte Nell schließlich.

“Ich werde sie schon finden”, winkte Tyler zuversichtlich ab. “Ich brauche nur nach einem Wasserloch Ausschau zu halten.”

“Aber es ist hier in Arizona nicht ganz ungefährlich”, warnte sie ihn. “Es kann zwanzig Meilen entfernt regnen, ohne dass man etwas davon merkt, denn der Himmel bleibt klar. Und bevor man sich’s versieht, gerät man in Schwemmboden.”

“Bei uns in Texas kennt man solche Überflutungen auch”, erwiderte er ruhig. “Ich weiß, was ich tue.”

“Ich wollte dich auch nur darauf hinweisen”, verteidigte sie sich kühl.

Tyler runzelte die Stirn. Nells überheblicher Ton reizte ihn. “Wenn ich jemanden brauche, der sich um mich kümmert, werde ich es dich wissen lassen.”

Nell beherrschte sich und tat so, als hätte sie seine Zurechtweisung überhört. “Wenn du morgen Gelegenheit dazu hast, mochte ich, dass du mit Marlowe über seine Umgangsformen sprichst. Einige der Gäste haben sich bei mir über seine mürrische Art und sein Fluchen beschwert.”

“Warum erledigst du das nicht selbst?”

Nell senkte verlegen den Kopf. “Schließlich bist du der Vormann. Es ist deine Aufgabe, oder?”

“Wenn du meinst.” Lässig tippte er mit der Hand an den Hut.

Nell wandte ihr Pferd abrupt um und gab ihm die Fersen. Etwas in Tylers Haltung machte sie immer wütend.

Tyler blickte ihr gedankenverloren nach. Nell war für ihn ein Rätsel. Ihr Verhalten verwirrte ihn, und er war sehr enttäuscht gewesen, als ihre angehende Freundschaft zerbrach. Er hätte viel darum gegeben, die Gründe dafür zu wissen.

Er seufzte. Jetzt blieb ihm wahrhaftig nicht die Zeit, Tagträumen nachzuhängen. Er musste die sechs rot-weißen Kälber noch vor der Dunkelheit finden. Entschlossen wandte er sein Pferd um und ritt in die Wüste hinaus.

Nell ritt langsam zu dem aus roten Ziegeln gebauten Ranchhaus. Im Augenblick war sie auf Marguerites Gesellschaft nicht sehr versessen. Aber ihr war auch keine rechte Ausrede eingefallen, um den Wunsch ihrer Schwägerin abzulehnen. Tylers Bemerkung über Marguerite wollte ihr einfach nicht aus dem Sinn gehen. Er fand ihre Schwägerin also attraktiv, und Marguerites Lächeln und Gesten verrieten, was sie von Tyler hielt.

Marguerite sah wirklich sehr gut aus. Sie hatte langes, lockiges rotes Haar, große grüne Augen und die Figur eines Fotomodells. Nell und sie kamen im Grunde gut miteinander aus. Allerdings übergingen sie beide den Vorfall von vor neun Jahren, obwohl Nell die Geschichte nie würde vergessen können.

In letzter Zeit war es Nell auch bewusst geworden, dass Marguerite sie ausnutzte. Sie war so gedankenlos, dass sie einfach ihre Freunde zu Reitausflügen auf die Ranch einlud oder ihre beiden Söhne wie selbstverständlich in Nells Obhut ließ.

Bis vor Kurzem hatte Nell das alles nicht sehr gestört. Doch in letzter Zeit missfiel es ihr ungemein, dass ihre Schwägerin fast jedes zweite Wochenende auf der Ranch verbrachte und erwartete, jeder stünde zu ihrer persönlichen Verfügung.

Aber jetzt ist damit Schluss, entschied Nell. Sie hatte Marguerite bereits zu verstehen gegeben, dass es so nicht weiterging.

Außerdem war Nell sich ganz sicher, dass Marguerite nur wegen Tyler so oft die Ranch besuchte. Und Nell wusste nur zu gut, dass sie keine Konkurrenz für die erfahrenere Frau war.

Traurig dachte sie dabei an die erste Zeit mit Tyler zurück.

Marguerite und ihre beiden Söhne, Jess und Curt, warteten bereits, als Nell den Wagen vor den Stufen des Apartments in Tucson parkte. Die beiden Jungen, die ihrer Mutter sehr ähnelten, stürzten auf Nell zu. Mit sieben Jahren war Jess der Ältere. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Curt hatte das Temperament seiner Mutter geerbt und redete sofort wie ein Wasserfall auf Nell ein.

“Hallo, Tante Nell. Was hältst du davon, mit uns Eidechsen zu jagen?”, schlug Curt vor, während er vor seinem Bruder auf den Rücksitz sprang.

“Du mit deinen Eidechsen”, murrte Jess. “Ich möchte nach Pfeilspitzen von Indianern suchen. Tyler hat versprochen, mir eine Stelle zu zeigen, wo es viele davon gibt.”

“Ich habe ihn daran erinnert”, beschwichtigte Nell ihn und wandte sich dann Curt zu. “Und mit Curt werde ich auf Eidechsenjagd gehen.”

“Der Gedanke an Eidechsen jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken”, bemerkte Marguerite.

Sie war nicht ganz so groß wie Nell, aber ebenso schlank. Heute trug sie ein elegantes grün-weiß gestreiftes Kleid, grüne Ohrstecker und einen Ring mit einem grünen Stein. Ihren Ehering hatte sie abgelegt, seit Tyler als Vormann auf die Ranch gekommen war.

“Aber wenn ich eine Eidechse fange, will ich sie auch behalten dürfen”, verlangte Curt trotzig.

Nell lachte auf. Curts entschlossene Miene und seine Hartnäckigkeit erinnerten sie an ihren Bruder Ted. Der Gedanke an ihn betrübte sie ein wenig. Aber sein Tod lag nun schon zwei Jahre zurück, sodass der schlimmste Schmerz verblasst war. “Darf Curt die Eidechse behalten?”, fragte sie.

“So ein Vieh kommt mir nicht ins Haus”, wehrte Marguerite ab. Sie mochte kein Getier, und auch das Leben auf der Ranch hatte ihr nicht gefallen. Nach dem Tode ihres Mannes war sie mit den Kindern in die Stadt gezogen.

“Aber dann darf ich die Eidechse bestimmt bei Tante Nell lassen.”

“Hör endlich damit auf, ständig das letzte Wort zu haben”, wies Marguerite Curt ungeduldig zurecht. “Ich hoffe nur, dass diesmal alle Klimaanlagen funktionieren, Nell. Ich kann die Hitze nicht vertragen. Außerdem solltest du Bella anweisen, Mineralwasser zu kaufen. Das Wasser aus eurem Brunnen ist einfach ungenießbar.”

Schweigend setzte Nell sich ans Steuer. Marguerite spielte sich immer noch als Besitzerin der Ranch auf und kommandierte Nell herum. Aber damit würde jetzt Schluss sein!

“Die Ranch gehört mir”, erwiderte Nell gelassen. “Onkel Gerald als Testamentsvollstrecker verwaltet sie nur bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr. Mein Bruder und ich haben jeder die Hälfte der Ranch geerbt, und als Ted starb, hast du dich auszahlen lassen, Marguerite. Du hast also kein Recht, mir Vorschriften zu machen. Außerdem genießt du keine Sonderstellung, nur weil du meine Schwägerin bist.”

Marguerite schaute sie verdutzt an. Es war ganz und gar nicht Nells Art, sich so energisch zu behaupten. “Nell, das hatte ich damit gar nicht sagen wollen”, begann sie zögernd.

“Ich habe nicht vergessen, was vor neun Jahren geschehen ist. Du kannst dir noch so große Mühe geben”, erwiderte Nell ruhig.

Marguerite wurde blutrot und wandte sich hastig ab. “Es tut mir leid. Das solltest du mir einfach glauben. Ich muss doch auch damit leben. Nach der Party damals hat Ted mir große Vorwürfe gemacht. Wir haben eine schwere Krise durchlebt.” Sie unterbrach sich und fügte leise hinzu: “Ich vermisse Ted immer noch sehr.”

“Oh natürlich”, erwiderte Nell spitz und startete den Wagen. “Deshalb trägst du nur noch hochgeschlossene Kleider und erträgst die Hitze auf der Ranch. Aus Sehnsucht nach Ted musst du dich unbedingt mit meinen Angestellten trösten.”

Entgeistert schaute Marguerite sie an, doch Nell beachtete sie nicht weiter. Sie konzentrierte sich auf den Verkehr und begann den Jungen von den neu geborenen Kälbchen zu erzählen.

Marguerite schwieg während der ganzen Fahrt.

Wie üblich verließ Bella das Haus fluchtartig durch die Hintertür, als sie Marguerites Stimme an der Vordertür hörte. Diesmal musste die Haushälterin unbedingt einen Apfelkuchen in die Wohnbaracke der Cowboys hinüberbringen. Auf dem Weg dorthin kam ihr Tyler entgegen. Er sah erschöpft aus und war über und über mit Staub bedeckt.

“Was machst du denn hier?”, erkundigte er sich amüsiert, als sie an ihm vorbeistürzte.

“Ich flüchte”, erklärte Bella aufgebracht. Verärgert strich sie sich eine graue Haarsträhne aus der Stirn. “Sie ist wieder da”, fügte sie hinzu.

“Wer?”

“Na, unsere Gräfin.” Unwillig nahm Bella die Kuchenplatte in die andere Hand. “Genau das fehlte Nell noch. Dieser faule Rotschopf hat seit Teds Tod keinen Finger gerührt. Und wenn du wüsstest, was dieses leichtsinnige Fotomodell Nell angetan …” Bella unterbrach sich. Ihr wurde auf einmal bewusst, mit wem sie sprach. Verlegen räusperte sie sich. “Ich habe für euch Männer einen Kuchen gebacken.”

“Du hast den Kuchen doch für mich gebacken”, widersprach Nell, die zu den beiden getreten war. “Und jetzt verschenkst du den Kuchen, weil meine Schwägerin gekommen ist. Du weißt genau, wie gern die Jungen deinen Apfelkuchen essen.”

“Mal will sie dies, mal das. Dann soll ich ihr Bett machen, ihr ein Handtuch bringen, ihr ein Omelett backen. Man kann doch nicht von ihr verlangen, sich selbst eine Tasse Kaffee aufzubrühen oder selbst etwas vom Boden aufzuheben. Madam ist zu fein dazu.”

“Jetzt reicht’s aber”, wies Nell sie mit einem viel sagenden Blick auf Tyler zurecht.

Herausfordernd sah Bella sie an. “Er ist nicht blind”, verteidigte sie sich. “Tyler weiß sowieso, was hier vor sich geht.”

“Bitte bringe den Kuchen ins Haus zurück”, bat Nell.

Trotzig hob Bella das Kinn. “Sie wird nicht einen einzigen Bissen davon bekommen.”

“Dann sag ihr das.”

“Das werde ich auch tun. Aber du bekommst selbstverständlich ein Stück, Tyler.”

Er nahm den Hut ab und machte eine scherzhafte Verbeugung. “Ich werde jeden Krümel zu schätzen wissen.”

Bella lachte auf und ging ins Haus zurück.

“Bist du nicht ein bisschen spät dran mit dem Camping?”, erkundigte sich Nell erstaunt.

“Wir haben das Camping verschoben”, erklärte Tyler. “Mr Curtis ist in einen Kaktus gefallen, und Mrs Smith hat das Mittagessen nicht vertragen und muss das Bett hüten. Da hat der Rest beschlossen, den Abend lieber vorm Fernseher zu verbringen.”

Nell lächelte enttäuscht. “Nun ja, daran kann man nichts ändern. Wir müssen also am Wochenende noch ein Camping anbieten.”

Tyler betrachtete sie ruhig. “Über heute Nachmittag …”, begann er, ohne auf Nells erstaunten Gesichtsausdruck zu achten.

Doch bevor er weitersprechen konnte, wurde die Hintertür geöffnet.

“Ach Tyler, wie nett, dich wiederzusehen”, begrüßte Marguerite ihn lachend.

“Ganz meinerseits, Mrs Regan”, erwiderte er trocken. Unbeeindruckt glitt sein Blick über Marguerites gepflegte Gestalt. Ihr herausforderndes Verhalten reizte ihn nicht, sondern amüsierte ihn nur.

Nell kochte innerlich vor Wut, sie drehte sich um und ging ins Haus. Marguerite sah ihr erstaunt nach …

Beim Abendessen ging es sehr ruhig zu. Nur die Jungen redeten unaufhörlich.

“Tyler will morgen mit mir ausreiten”, bemerkte Marguerite beiläufig und sah Nell erwartungsvoll an. “Würde es dir etwas ausmachen, auf die Jungen aufzupassen?”

“Ich habe leider keine Zeit”, lehnte Nell ab. “Nimm sie doch mit. Tyler wollte ihnen sowieso zeigen, wo man Pfeilspitzen finden kann.”

“Ja, natürlich”, mischte Jess sich ein. “Ich würde so gern mitreiten.”

“Ich auch”, bettelte Curt.

Unwillig verzog Marguerite das Gesicht. “Ich will euch nicht dabeihaben.”

“Du liebst uns eben nicht”, klagte Jess.

“Das hast du noch nie getan”, pflichtete Curt ihm bei und begann zu weinen.

Vorwurfsvoll wandte sich Marguerite an Nell. “Sieh nur, was du angerichtet hast.”

“Ich habe gar nichts angerichtet. Ich habe nur keine Lust mehr, mich noch länger von dir ausnutzen zu lassen.” Nell schob den Teller zur Seite. “Soweit ich mich erinnern kann, hast du mich nicht gefragt, ob mir deine Anwesenheit gelegen kommt. Dies ist eine Ranch, und wir haben hier alle etwas zu tun. Erwarte also nicht, dass ich Zeit dafür habe, auf die Kinder aufzupassen.”

“Aber das hast du doch immer getan”, wandte Marguerite ein. “Was ist denn in dich gefahren?”

“Nichts”, entgegnete Nell. “Ich bin es nur leid, mich ständig um deine Angelegenheiten zu kümmern.”

Verdutzt schaute Marguerite auf. Doch Nell war bereits aufgestanden und verließ das Zimmer, bevor Marguerite etwas erwidern konnte.

Als Nell später noch einmal herunterkam, weil sie Hunger hatte, legte Bella den Finger auf die Lippen und deutete mit dem Kopf auf einen vorsintflutlichen Radioapparat.

Nell lächelte. Die allabendliche Horoskop-Voraussage von “Radio Tucson” war Bella so heilig wie das Geheimrezept ihres Schokoladenkuchens. Böse Zungen auf der Ranch behaupteten, dass Bella das Haus nicht verließ an Tagen, an denen ihr die Sterne ungünstig gesinnt waren. Dafür wurde sie draußen umso öfter gesehen, wenn ihr Glück in der Liebe vorausgesagt war. Dann zog es sie in die Nähe der Ställe, wo Charlie arbeitete.

Während Bella andächtig lauschte, bis ihr Sternbild an die Reihe kam, angelte Nell nach dem letzten Stück Kuchen. Schließlich hatte sie durch ihren vorzeitigen Abgang kein Dessert zum Abendessen bekommen.

“Lass den Kuchen liegen”, knurrte Bella.

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