Bianca Extra Band 111

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KÜSTENSOMMER DER ZÄRTLICHKEIT von SHANNON STACEY
Wird in Blackberry Bay alles besser? Die junge Witwe Meredith zieht zurück in den idyllischen Küstenort ihrer Kindheit. Mit dem attraktiven Cam Maguire, ihrem Nachbarn, scheint sie nichts gemeinsam zu haben als die Grundstücksgrenze – und jede Menge Streitgespräche. Bis Cam sie küsst …

DU BIST STARK, CASSIE von JO MCNALLY
Cassie ist auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ex. Da ist der sexy Security-Experte Nick wie ein Himmelsgeschenk: Er beweist ihr, dass sie stark ist – und echtes, dauerhaftes Lebensglück verdient hat! Doch braucht Cassie in ihrem Leben wirklich mehr als einen guten Freund?

WAS NUR EIN ECHTER DADDY WEISS von SHIRLEY JUMP
Dylan will sich mit seinem Onkel versöhnen und kommt dafür vorübergehend nach Stone Gap. Doch als er die schöne Abby kennenlernt, ändert sich sein Zeitplan! Denn er begehrt Abby – und ihre beiden Söhne brauchen dringend jemanden, der Abby für sie niemals sein kann: einen Daddy …

SO VIEL MUT IN SCHÖNEN AUGEN von DIANA PALMER
Bernadette lässt sich nicht von ihrer chronischen Erkrankung unterkriegen! Aber sie fragt sich, was der mächtige Unternehmer Michael Fiore in ihr sieht. Will er ihr mitleidig helfen – oder hat das Glitzern in seinen Augen etwas anderes zu bedeuten?


  • Erscheinungstag 28.06.2022
  • Bandnummer 111
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507820
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shannon Stacey, Jo McNally, Shirley Jump, Diana Palmer

BIANCA EXTRA BAND 111

SHANNON STACEY

Küstensommer der Zärtlichkeit

Cam Maguire ist in Blackberry Bay, um ein altes Familiengeheimnis aufzuklären. Schnellstmöglich will er wieder weg! Doch dann sieht er jenseits des Gartenzauns seine faszinierende Nachbarin …

JO MCNALLY

Du bist stark, Cassie

Cassie braucht seine Hilfe nicht mehr? Soll Nick, der in den letzten Wochen wie ein Bodyguard für ihre Sicherheit gesorgt hat, enttäuscht sein – oder die Schönheit nur noch mehr für ihren Mut lieben?

SHIRLEY JUMP

Was nur ein echter Daddy weiß

Dylan ist so sexy – aber mit jeder Faser überzeugter Junggeselle! Abby ist gewarnt. Doch obwohl der smarte Alleskönner nicht an Bindungen glaubt, ist er für ihre beiden Söhne bald wie ein Daddy …

DIANA PALMER

So viel Mut in schönen Augen

Sanft und stolz zugleich, erobert die hübsche Bernadette sein rastloses Herz. Sogar eine Ehe mit ihr ist für Michael vorstellbar! Doch eine hinterhältige Intrige kommt ihnen in die Quere …

1. KAPITEL

„Ist das unser neues Haus, Mommy?“

Ohne die zaghafte Stimme vom Rücksitz hätte Meredith Price wahrscheinlich bis zum Sonnenuntergang in ihrem SUV gesessen und versucht, das Lenkrad mit beiden Händen aus der Verankerung zu reißen.

„Ja, Honey.“ Sie stellte den Motor ab und schnallte sich los. Der kleine weiße Hund, der neben Sophie geschlafen hatte, sprang nach vorn und auf ihren Schoß.

„Es ist klein.“

Meredith war sich ziemlich sicher, dass ihr neues Haus kleiner war als die Garage der 560 Quadratmeter großen Villa, in der sie bisher gewohnt hatten. „Es ist genau richtig für uns.“

Oscar jaulte, und sie hielt den flauschigen Bichon Frisé fest, um ihn an die Leine zu nehmen. „Sei still, Oscar.“

„Ich will aussteigen“, jammerte ihre Tochter.

„Warte, Sophie. Erst muss Oscar angeleint sein.“ Sie bekam durchaus mit, wie frustriert ihre eigene Stimme klang, und atmete tief durch. „Ich mache dir die Tür auf, okay?“

Sie konnte gut verstehen, warum die beiden ins Freie wollten. Die Fahrt von Kalifornien nach New Hampshire hatte für eine Sechsjährige und einen energiegeladenen Hund einfach zu lange gedauert.

An die Ostküste zu fliegen und das Auto herbringen zu lassen, wäre wahrscheinlich vernünftiger gewesen, aber die Fahrt quer durchs Land war ihr wie ein tolles Abenteuer erschienen. Als Abenteuer hatte sich das Unterfangen tatsächlich erwiesen, aber toll würde sie es nicht mehr nennen.

Sobald Oscar angeleint war, stieg Meredith aus und setzte ihn ab. Sofort rannte er ins Gras und hob ein Hinterbein. Hinter ihr wurde eine Wagentür zugeknallt, dann schob Sophie eine Hand in ihre, und sie starrten beide auf ihr neues Zuhause.

„Was hast du, Mommy?“

Meredith rang sich ein Lächeln ab und schaute in das Gesicht, das eine jüngere Version ihres eigenen war. Wie sie hatte ihre Tochter langes dunkelblondes Haar und ein ovales Gesicht mit einer etwas zu kleinen Nase. „Nichts, Honey. Ich bin nur müde, weil es eine sehr lange Fahrt war.“

„Hast du Angst?“

„Ich bin nicht ängstlich, mein Schatz.“ Sie log, weil es einfacher war, als die Wahrheit zuzugeben.

Sie hatte das Haus aus dreitausend Meilen Entfernung gekauft und sich dabei nur auf eine Onlinebesichtigung verlassen – und auf ihr Bauchgefühl und die verschwommenen, aber warmen Erinnerungen an eine glückliche Kindheit in Blackberry Bay, New Hampshire.

Sie gab den Code ein, den der Makler ihr gegeben hatte. Als das Schloss klickte, holte sie noch einmal tief Luft und drehte den Türknauf.

Sophie stürmte hinein. Meredith folgte ihr, schloss die Tür und nahm Oscar die Leine ab. Der Hund rannte hinter ihrer Tochter her.

Sie lehnte sich gegen die Tür und versuchte, den Moment zu genießen.

An diesem Ort wollte sie neu anfangen. Das Haus war erst vier Jahre alt – ein kleiner moderner Bungalow mit einem luftigen Wohn- und Essbereich, offener Küche und zwei Schlafzimmern mit einem Bad dazwischen. Die cremefarbenen Wände, edle Holzböden und die hochwertige Ausstattung entsprachen ihrem Geschmack, und als Sommerhaus war der Bungalow behaglich eingerichtet, mit einem bequemen Sofa und Sesseln in hellem Blau.

Die Vorbesitzer hatten es nicht ausräumen wollen, deshalb hatte Meredith es möbliert zu einem günstigen Preis kaufen können. Sie hatte mit dem Haus in San Diego genug zu tun gehabt und war froh gewesen, keine neue Einrichtung aussuchen und auf die Lieferung warten zu müssen. Der Neubau hatte ihr auf Anhieb so gefallen, wie er war, denn seine Helligkeit verströmte Frieden und Entspannung.

Aber für sie und Sophie sollte es kein Ferienhaus sein, ab jetzt würden sie beide hier leben. Als sie hörte, wie aufgeregt ihre Tochter auf Oscar einredete, wusste sie, vollkommen richtig entschieden zu haben.

„Warte!“, rief sie, als Sophie die Terrassentür öffnen wollte. „Erst muss Oscar angeleint sein.“

Sophie hopste ungeduldig auf der Stelle, und Meredith musste lächeln, als sie den Hund anleinte und die Glastür aufschob. Ihr kam es so vor, als hätte sie ihre Tochter nicht mehr derart quicklebendig gesehen, seit Devin vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall getötet worden war und er sie ohne Ehemann und Sophie ohne ihren geliebten Vater zurückgelassen hatte.

Meredith schaute aufs Wasser und spürte dessen beruhigende, tröstende Wirkung. Blackberry Bay war ein Nebenarm des Lake Winnipesaukee und ideal für ein Leben am See ohne die großen, schnellen Motorboote. Links entdeckte sie ein Kanu und rechts eine Gruppe Stand-up-Paddler. Spontan nahm sie sich vor, ein kleines Boot zu kaufen. Devin hatte ihnen genug Geld hinterlassen, und vom Verkauf des alten Hauses war noch eine Menge übrig, also würde sie sich so schnell keine finanziellen Sorgen machen müssen, wenn sie auf überflüssige Ausgaben verzichtete.

Sobald die Schule wieder begann und sie richtig angekommen waren, würde sie überlegen, womit sie selbst ihre Tage ausfüllen wollte. Sie musste zwar nicht arbeiten, aber sie wollte es, zumal sie dann ihre Ersparnisse und Geldanlagen nicht anzugreifen brauchte. Außerdem schlug das Finanzamt bei Seegrundstücken bekanntlich ziemlich heftig zu.

Und das war es wert – die Terrasse sah zwar aus wie aus Holz, bestand aber aus einem nicht splitternden oder abblätternden Material. Sie war so breit wie das ganze Häuschen und groß genug, um dort zusätzlich zu den fest eingebauten Bänken eine Sitzgarnitur und einen Grill aufstellen zu können.

Eine Treppe führte in den Garten, der einen saftig grünen Rasen hatte und bis zum Ufer reichte, wo ein Steg mit einer überdachten Hollywoodschaukel in den See hineinreichte. An Land war der Steg von Wildblumen umgeben, die Meredith auf den Fotos und im Video gar nicht aufgefallen waren. Sie freute sich über die angenehme Überraschung.

„Sei vorsichtig!“, rief sie, als Sophie mit Oscar auf den Armen den Steg betrat.

Ihre Tochter war eine gute Schwimmerin, aber der Hund nicht. Und jetzt, da sie am Wasser lebten, würde sie mit ihrer Tochter über die möglichen Gefahren reden müssen.

„Wer sind Sie?!“, hörte sie Sophie fragen und nahm den Blick von dem Blumenbeet, über das sie sich gebeugt hatte.

Ein Mann stand im Nachbargarten. „Ich bin Cam“, antwortete er mit einer tiefen Stimme, die zu seiner Erscheinung passte. Er war groß und breitschultrig, mit dunklem Haar und einem Dreitagebart, der nicht so aussah, als hätte er sich absichtlich nicht rasiert. Seine Füße steckten in lässigen Loafern, er trug Jeans, aber kein Hemd. Seine Haut schimmerte leicht rötlich und verriet, dass er normalerweise nicht mit freiem Oberkörper herumlief und zu viel Sonne abbekommen hatte. „Und wer bist du?!“

„Ich bin Sophie. Das ist mein neues Haus. Und das ist mein Hund. Er heißt Oscar.“

„Hallo“, sagte Meredith, bevor Sophie dem Fremden noch mehr Einzelheiten verraten konnte.

„Hi.“ Er war nah genug, sodass sie seine strahlend blauen Augen erkennen konnte. „Um beim Thema zu bleiben, wer sind Sie?“

„Meine Name ist Meredith. Sind Sie … so etwas wie ein Hausmeister?“

Die Frage erschien ihr nicht unbegründet, denn vielleicht trug er kein Hemd, weil er draußen arbeitete. Als der Mann lachte, stellte sie erstaunt fest, lächeln zu müssen, denn sein Lachen wirkte ansteckend.

„Nein, ich mähe hier nicht den Rasen. Ich verbringe den Sommer hier.“

Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Sie haben das Cottage gemietet?“

Es war eins der letzten Gebäude am See. Die anderen Cottages waren alle abgerissen worden, um Platz für moderne Ferienhäuser zu schaffen. Das zum Nachbarsgarten gehörende Cottage war farbenfroh, wenn auch etwas heruntergekommen.

Die Schindeln waren in hellem Pink gestrichen, die Fenster türkisfarben abgesetzt. Die Kästen davor hingen etwas schief, einige davon enthielten Plastikblumen und bunte Kreisel, die sich langsam im Wind drehten. Das alles bildete einen starken Kontrast zu Merediths dezent weiß gestrichenem Bungalow aus Zedernholz.

„Nein, das Häuschen gehört mir.“

„Der Makler hat mir erzählt, dass nebenan Mrs. Archambault wohnt.“ Sie erinnerte sich nur noch vage an die ältere Frau, aber auch ihretwegen hatte sie dieses Haus zwei anderen vorgezogen, weil sie ein wenig gehofft hatte, eine großmütterliche Nachbarin würde es Sophie etwas erleichtern, sich einzuleben.

Seine Miene wurde verschlossen. „Sie lebt nicht mehr hier.“

Cam Maguire war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Er war hinausgegangen, um die Katze seiner Großmutter zu suchen, und was hatte er gefunden? Eine attraktive Frau, ein kleines Mädchen und ein flauschiges weißes Knäuel, das höchstwahrscheinlich ein Hund war.

Jetzt lebt sie nicht mehr hier.

„Ich verstehe nicht“, sagte die Frau namens Meredith.

„Die Frau, die hier gewohnt hat, Carolina Archambault, war meine Großmutter und ist kürzlich verstorben. Das muss gewesen sein, nachdem Sie mit Ihrem Makler über die Nachbarschaft gesprochen haben.“

„Mein herzliches Beileid.“

„Danke“, erwiderte er, weil man das zu erwidern hatte.

Er hatte Carolina Archambault nie kennengelernt, die seine leibliche Großmutter väterlicherseits gewesen war und in diesem exzentrischen Cottage am See gelebt hatte.

„Da bist du ja!“, begrüßte er die sehr große und sehr langhaarige schwarze Katze, die in den Garten schlenderte, als wäre sie nicht vier Stunden lang verschwunden gewesen. Und sie hatte schon wieder so viele Kletten am Schwanz, dass er wünschte, er wäre auf dem College Torhüter beim Hockey gewesen und hätte deshalb die richtige Sicherheitsausrüstung parat. „Ich habe dich gesucht.“

Elinor – was für ein alberner Name für ein Katze seiner Meinung nach – ignorierte ihn und marschierte auf den Rasen der Nachbarin, als wäre sie die Eigentümerin.

Das kleine Mädchen hatte den Steg verlassen und erkundete den Garten mit ihrem Hund, die Leine fest in der kleinen Hand. Der Hund ließ die Katze nicht aus den Augen, war aber schlau genug, sich nicht mit ihr anzulegen. Sophie sah ihrer Mutter sehr ähnlich, und beide blickten ernst drein.

„Ich würde Ihnen ja gern ein paar Tipps über das Leben in Blackberry Bay geben“, sagte er, „aber ich bin noch gar nicht lange hier.“

„Ich stamme von hier, war aber viele Jahre in Kalifornien. Wahrscheinlich hat sich hier kaum etwas geändert.“

„Was bringt Sie zurück?“ Er bereute die Frage sofort, als ihr hübsches Gesicht sich verfinsterte.

„Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben, und ich hoffe, dass Sophie und ich hier glücklich sein können. Meine Eltern leben in der Nähe, und ich habe schöne Erinnerungen an die Stadt.“

Er schaute zum kleinen Mädchen hinüber und stellte sich vor, wie schrecklich es sein musste, so jung den Vater zu verlieren. Und wie hart es wohl für Meredith gewesen war, Sophie über diesen Schicksalsschlag hinwegzuhelfen.

„Das mit Ihrem Mann tut mir aufrichtig leid.“

„Danke.“ Sie lächelte matt. „Sie verbringen also den Sommer hier? Wo wohnen Sie sonst?“

„In New York City.“

Ihre braunen Augen wurden groß. „Wow. Das ist eine ziemliche Umstellung.“

„Ist es, aber ich brauchte eine Auszeit.“

„Was tun Sie dort?“

„Ich arbeite für meinen Dad“, erwiderte er. Es war nicht gelogen, entsprach aber auch nicht ganz der Wahrheit. „Buchführung, Papierkram und so langweiliges Zeug.“

Sie rümpfte die Nase. „Mir liegen Zahlen auch nicht.“

Ein Bellen ließ sie herumfahren, und sie sah, wie Elinor nach Oscar schlug. Sophie hob den Hund auf und drehte sich so, dass die Katze ihn nicht mehr sah.

„Oha, Ihre Katze scheint meinen Hund zu schikanieren.“

„Das ist nicht meine Katze, und beleidigen Sie bitte Ihren Hund nicht.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wenn Sie bezweifeln, dass Katzen Hunde schikanieren können, dann verbringen Sie nicht viel Zeit im Internet.“

„Sie will ihm nur zeigen, wer hier das Kommando hat.“

„Es ist jetzt sein Garten.“

„Sie ist eine Katze.“

„Guter Punkt.“ Sie lächelte belustigt. „Die beiden werden sich schon aneinander gewöhnen. Und jetzt, da ich weiß, dass Sie für eine Weile mein Nachbar sind, sollte ich mich richtig vorstellen. Ich bin Meredith Price, und das hier sind Sophie und Oscar.“

„Calvin Maguire.“ Er streckte die Hand aus. „Aber alle nennen mich Cam.“

Als sie seine Hand schüttelte, fiel ihm auf, wie weich ihre Haut war. Er musste sich beherrschen, um sie nicht mit dem Daumen zu streicheln.

Sie entzog ihre Hand seinen Fingern. „Wie kommt man denn von Calvin auf Cam?“

„Meine Anfangsbuchstaben – Calvin Anthony Maguire …“, er verzog die Mundwinkel, „… der Vierte.“

„Ah, interessant.“

„Besser, als das ganze Leben Little Cal zu sein.“ Er wich weiteren Fragen zu seiner Familie aus, denn die war das Letzte, worüber er gerne reden wollte. „Da Oscar aus Kalifornien kommt, lassen Sie mich raten – nach dem Modedesigner Óscar de la Renta aus Santo Domingo?“

Sie lachte. „Nein, nein, Oscar der Griesgram.“

„Im Ernst?“ Der Hund sah aus wie einer, mit dem für teures Hundefutter geworben wurde. „Ich sehe optisch keine Ähnlichkeit zu Oscar aus der Sesamstraße, der aus seiner Mülltonne heraus miese Stimmung verbreitet, aber vielleicht geht es um die Persönlichkeit.“

„Er ist nach Sophies damaliger Lieblingsserie benannt, und glauben Sie mir, wir haben Tage gebraucht, ihr zu erklären, warum wir sein Fell nicht grün einfärben konnten.“

„Er bellt nicht viel, oder?“

„Nein. Es ist eher ein schrilles Jaulen.“

„Das wird lustig, wenn ich Kalkulationen überfliege.“ Er malte sich aus, wie er den Sommer mit einer störrischen Katze und einem nervösen Hund verbrachte. „Vielleicht hätte ich meine Schallschutzkopfhörer mitbringen sollen.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Ich habe nun einmal ein Kind und einen Hund.“

„Vielleicht wäre ein Maulkorb angebracht?“, fragte er, meinte es aber nicht ernst.

Sie starrte ihn sekundenlang an, bevor sie ihn mit einem herablassenden Blick bedachte. „Ich weiß nicht, ob ich einen in Ihrer Größe finde, aber ich kann es ja versuchen.“

Cam schmunzelte, aber sie verzog keine Miene.

„Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, wir haben viel zu tun.“

„War nett, Sie kennenzulernen“, sagte er, als sie davonging. Sie hob eine Hand, ohne sich umzudrehen, sodass es eher einer abfälligen Geste glich.

Die neue Nachbarin würde schon bald merken, dass ihm egal war, was sie von ihm hielt. Er hatte ohnehin Besseres zu tun – mehr über Carolina Archambault herauszufinden und deren Katze klarzumachen, dass er der Chef war, zum Beispiel.

„Auf meine To-do-Liste kommt ein Zaun, das steht fest“, sagte Meredith zu Oscar, als sie geduldig darauf wartete, dass der Hund die perfekte Stelle für sein Geschäft fand.

Selbst Mitte Juni war der Morgen feucht und kühl, und sie war mit nicht mehr als einer Strickjacke über ihrem Camisole, in Schlafshorts und mit Flip-Flops nach draußen gegangen.

Aber es war ein unbekannter Garten, und Oscar wollte an jedem Grashalm schnuppern, bevor er sich entschied. Fröstelnd zog sie die Strickjacke über ihrem Hemdchen mit den Spaghettiträgern zusammen.

„Ja, wir brauchen eindeutig einen Zaun“, fuhr sie fort. „Dann kann ich dich einfach hinauslassen, und du kannst dir so viel Zeit lassen, wie du brauchst.“

„Einziehen und als Erstes einen Zaun hochziehen, ja?!“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr, und sie wirbelte so schnell herum, dass Oscars Leine sich um ihre Beine wickelte.

Cam stand auf seiner hinteren Terrasse, diesmal trug er glücklicherweise ein Shirt. Es betonte seine sexy Figur, und Meredith versuchte zu ignorieren, was der Anblick in ihr auslöste.

Seit Devins Tod hatte sie niemanden mehr gedatet. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihre eigene Reaktion willkommen hieß oder nicht. Immerhin tröstete es sie, so etwas wie Erregung offensichtlich überhaupt noch empfinden zu können – doch dass diese von Cam Maguire ausgelöst wurde, empfand sie nicht als ideal.

Einerseits war es ungefährlich, einen Mann attraktiv zu finden, der am Ende des Sommers abreisen würde. Andererseits konnte ein Sommer endlos erscheinen, wenn sie einen sexy Mann zu ignorieren versuchte, den sie bestimmt tagtäglich sehen würde, weil er eben nebenan wohnte. Sie wollte das körperliche Verlangen zwar genießen, aber diesem keineswegs nachgeben.

Cam hielt einen dampfenden pinkfarbenen, mit einer Katzenpfote verzierten Becher in der Hand. „Ich finde Zäune nicht sehr nachbarschaftlich.“

„Dann können Sie nachbarschaftlich sein und hier warten, während mein Hund sich alle Zeit der Welt lässt“, erwiderte sie und versuchte, nicht daran zu denken, dass sie für ein Gespräch mit dem neuen Nachbarn nicht gerade richtig angezogen war.

Eigentlich war sie für kein Gespräch mit jemandem außer ihrer Tochter und ihrem Hund richtig angezogen, erst recht nicht für den attraktiven Typen von nebenan. Aber als sein Blick an ihren Beinen hinabwanderte, bevor er zu ihrem Gesicht zurückkehrte, hob sie das Kinn und wehrte sich gegen die Verlegenheit.

Hey, ich habe tolle Beine.

„Es gibt Vorschriften über den Bau von Zäunen an Grundstücksgrenzen. Es geht um Abstände – alle möglichen Dinge.“

„Ich rede nicht von einem Palisadenzaun“, sagte sie und zog die Beine aus Oscars Leine. „Er ist ein winziger Hund.“

„Dem Gesetz ist es egal, ob es sechs Zoll oder sechs Fuß sind.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ein Zaun ist schließlich ein Zaun.“

„Das ist übrigens ein interessanter Becher für jemanden, der behauptet, die Katze in seinem Haus gehöre nicht ihm.“

Er betrachtete den Aufdruck, als hätte er ihn bisher nicht bemerkt. „Es ist nicht meine Katze. Und auch nicht mein Becher.“

Sie wartete, aber er sagte nichts mehr. Der Mann war ein Rätsel, und sie hatte weder die Zeit noch die Geduld, ihm mehr zu entlocken.

Oscar wollte zurück ins Haus, und als er das Ende seiner Leine erreichte, warf er ihr einen fragenden Blick zu. Sie hatte zwar einen Beutel dabei, aber wenig Lust, nach seinem Haufen zu suchen, während Cam sie beobachtete. Sie würde es tun, wenn er nicht mehr da war. Da er den Sommer hier verbrachte und Kalkulationen erwähnt hatte, arbeitete er vermutlich von hier und verbrachte seine Tage am Computer.

„Dann überlasse ich Sie dem Becher von jemand anderem“, sagte sie, und er hob ihn grüßend, bevor sie Oscar ins Haus folgte.

Sophie lag unter einer leichten Decke auf dem Soda. „Hier ist es eiskalt, Mommy.“

„Mein kleines sonnenverwöhntes kalifornisches Baby.“ Sie lächelte. „Du wirst dich daran gewöhnen.“

Das werden wir beide, dachte sie. Sie kam zwar aus New Hampshire, war aber zum Studium nach Kalifornien gegangen und dort geblieben.

„Mommy, wann kommen meine Sachen?“

„In ein paar Tagen, Süße. Ich wollte nicht, dass der Lastwagen vor uns eintrifft.“

Sie hatten das Notwendigste eingepackt und den Kofferraum des SUV mit Kleidung, Büchern und ein paar Spielsachen gefüllt – und einem kleinen Karton mit Devins Sachen, die sie beim Umzug auf keinen Fall verlieren wollte. Den Rest würde die Umzugsfirma bringen.

„Was machen wir heute?“

Sie hatte Futter und Leckerli für Oscar und Snacks für sich und Sophie mitgenommen, und die Backwaren, die sie unterwegs gekauft hatte, waren kaum noch genießbar.

„Wir müssen Lebensmittel einkaufen“, erwiderte sie und legte ihr Notizbuch auf den Tisch. Sie schlug es auf, schrieb Zaun bauen hinein, dachte an ihr Gespräch mit Cam und fügte im Rathaus nach Zaunvorschriften fragen hinzu.

„In meinem Buch habe ich nur noch sechzehn Seiten!“, sagte Sophie, und ihre Stimme klang, als würde der Weltuntergang bevorstehen.

„Dann sollten wir schnellstens in die nächstbeste Bibliothek gehen.“ Meredith notierte auch das, zusammen mit Lebensmittel einkaufen. „Wir leihen uns ein paar Bücher, vielleicht auch Filme aus, wenn sie gute haben.“

„Meinst du, es gibt hier ein Sommerleseprogramm?“

Das wäre perfekt, denn auf die Weise könnte Sophie andere Kinder mit ähnlichen Interessen kennenlernen.

„Ich weiß es nicht, aber vermutlich schon.“

„Du könntest Cam fragen!“, schlug ihre Tochter begeistert vor.

„Mr. Maguire“, verbesserte Meredith sanft. „Und ich bezweifle, dass er so etwas weiß, Honey. Ich habe nebenan keine Kinder gesehen und weiß nicht, ob er welche hat.“

Zwischen ihnen und dem Nachbarn auf der anderen Seite lag ein großer bewaldeter Bereich, und die meisten Häuser an diesem Ufer der Bucht schienen nur im Sommer bewohnt zu sein. Wenn sie Glück hatten, gab es ein paar Familien mit jungen Kindern, die mehr als nur die Wochenenden am See verbrachten.

„Wann kommen Grandpa und Grandma?“, fragte Sophie.

„Morgen.“ Kurz nachdem Meredith aufs College gegangen war, hatten ihre Eltern Blackberry Bay verlassen, um in eine Wohnung in Concord zu ziehen. Das war nur eine Stunde entfernt und somit nahe genug, um in Sophies Leben eine aktive Rolle zu spielen. „Freust du dich darauf, sie wiederzusehen?“

„Ja, auch wenn ich mich gar nicht mehr richtig an sie erinnern kann.“

Nach dem Frühstück zog Meredith sich an und ging in den Garten, um Oscars Hinterlassenschaft zu beseitigen. Sie brauchte einige Minuten, um die Stelle zu finden, und verknotete gerade den Beutel, als sie sah, dass ihr Nachbar am Wasser in einer Hängematte lag. Der Anblick weckte in ihr etwas, das sie lange nicht mehr gefühlt hatte, und sie wandte sich abrupt ab, ging die Stufen hinauf und legte den gefüllten Beutel aufs Geländer. Sie würde einen kleinen Mülleimer für die Veranda kaufen müssen. Und einen Zaun aufstellen, dachte sie. Einen möglichst hohen – und blickdichten.

Cam tat so, als hätte er seine sexy Nachbarin nicht bemerkt – und war verdammt stolz darauf. Leider schien sie seinen Humor nicht zu verstehen. Sie zu ärgern, war das Letzte, worauf er es abgesehen hatte.

Er schaute auf die Bucht hinaus, um sich von der Ruhe anstecken zu lassen, die über dem Wasser lag. Die brauchte er dringend. In den zwei Wochen seit seiner Ankunft in Blackberry Bay war der Spannungskopfschmerz, der ihn seit Jahren quälte, schon etwas weniger geworden, und er schlief besser.

Angesichts der Umstände, die ihn hergeführt hatten, war das bemerkenswert. Der Brief hatte zusammen mit der restlichen Post auf seinem Schreibtisch gelegen, und er erinnerte sich noch gut, gezögert zu haben, bevor er den Umschlag geöffnet hatte.

Die Nachricht eines Rechtsanwalts, dass seine leibliche Großmutter verstorben war, hätte ihn nicht so hart treffen dürfen. Er war ihr nie begegnet, und eigentlich hätte er gar nicht wissen sollen, dass es für ihn eine biologische Seite seiner Familie gab. Die unglücklichen Maguires sprachen nie offen darüber, wie seine Mutter seinen Vater verlassen und sich in irgendeinen anderen Mann verliebt hatte. Erst recht erwähnte niemand, dass sie ausgerechnet in jenem Moment schwanger geworden war, als ihr aufgegangen war, wie sehr sie das Bankkonto ihres Ehemann vermisste. Cam hatte sich die Geschichte dann irgendwann selbst zusammengereimt.

Calvin Maguire III hatte einen Sohn gebraucht, um seinen eigenen Vater zufriedenzustellen, und Melissa hatte finanzielle Sicherheit gewollt. Der zufällige Erzeuger bekam einen Scheck, Papiere wurden unterzeichnet, und niemand erklärte Cam, warum er keinem der anderen Männer aus der Maguire-Sippe ähnelte, aber auch nicht wie seine Mutter aussah. Er kannte den Grund schon, denn die Leute tuschelten gern. Versteckte Spitzen beim Ehestreit waren nicht immer gut versteckt. Und seine Großmutter mütterlicherseits hatte ihrer Schwiegertochter nie verziehen, und Cam hatte einen hitzigen Streit über einen Scheck mitbekommen, bevor er überhaupt gewusst hatte, was ein Scheck war.

Er hatte nie den Mut aufgebracht, nach der Identität seines leiblichen Vaters zu fragen. Jedes Mal, wenn er in den Spiegel schaute, wurde Cam daran erinnert, dass seine Anwesenheit in der Familie der Maguires nur deshalb toleriert wurde, weil vier Generationen auf dem Briefkopf sich besser machten als drei.

Dann hatte er den Brief bekommen. Er hatte nichts von Carolina Archambault gewusst, aber sie von ihm. Und sie hatte ihm ihr Cottage hinterlassen, weil er der einzige Angehörige war, der ihr geblieben war – so stand es jedenfalls in ihrem handschriftlichen Brief, den der Anwalt mitgeschickt hatte. Ihr Sohn – Cams leiblicher Vater – war vor ihr gestorben. Der Anwalt hatte Cam gebeten, so bald wie möglich nach Blackberry Bay zu kommen, um sein Erbe anzutreten, das Cottage zu übernehmen und die Katze seiner Großmutter aus dem örtlichen Tierheim zu holen.

Er hatte genug Geld und Mitarbeiter, um sich vertreten zu lassen, aber der Anwalt hatte ihren Nachruf beigelegt, und das Foto hatte ihn wie ein Schlag in die Magengrube getroffen. Er hatte sofort erkannt, dass er die Augen seiner Großmutter geerbt hatte. Und anders als sein Blick strahlten ihre Augen Wärme und Humor aus. Die Frau auf dem Foto hätte ihn von ganzem Herzen geliebt, das spürte er irgendwie.

Cam hatte seinen Eltern vorgelogen, eine aussichtsreiche Heiratskandidatin im Sommerhaus von deren Eltern besuchen zu wollen, hatte das Notwendigste in seinen Wagen geladen und war nach Blackberry Bay gefahren.

Ihm blieb die Luft weg, als ein großes schwarzes Fellbündel ohne Vorwarnung auf seinem Bauch landete. Als Elinor zu kneten begann und dabei die Krallen in seine Haut bohrte, ertrug er es tapfer, denn Gegenwehr hätte es nur noch schlimmer gemacht. Nach einem Moment legte sie sich an seine Brust und starrte ihn an.

„Hallo, Katze.“ Sie blinzelte. „Okay, ich bin nicht sehr gut darin. Ich hatte nie ein Haustier, aber ich gebe mein Bestes. Also tu mir einen Gefallen und lass den kleinen Hund von nebenan in Frieden, okay?“

Sie wirkte uninteressiert, und er schmunzelte, was ihm wieder einige Sekunden Kontakt mit ihren Krallen einbrachte. Er hätte nicht gedacht, dass er jemals mit einem Tier sprechen würde, aber sie waren überraschend gute Zuhörer. Sicher, Elinor konnte etwas streitbar sein, aber wenigstens diskutierte sich nicht mit ihm.

„Mr. Maguire?!“

Die helle Stimme ließ ihn zusammenzucken. Elinor erschrak und stieß sich von seiner Brust ab. Cam biss die Zähne zusammen und atmete tief durch.

„Hi, Sophie“, sagte er so ruhig wie möglich.

„Darf ich Sie etwas fragen?“ Sie stand dort, wo sich die Grenze zwischen den Grundstücken befinden musste, und schaute ängstlich herüber.

„Natürlich.“

„Können Sie mir sagen, wo Sie die gekauft haben?“ Sie zeigte auf die Hängematte. „Ich will meine Mom bitten, mir eine zu schenken, aber ich weiß gar nicht, wo es so etwas gibt.“

„Leider war die Hängematte schon hier, als ich ankam, deshalb weiß ich es auch nicht.“ Stirnrunzelnd betrachtete er das mit einem Sonnenschirm versehene Gestell, in dem die Matte hing. „Ich glaube nicht, dass meine Großmutter im Internet eingekauft hat, also stammt sie wahrscheinlich aus einem Laden im Ort.“

„Okay, danke.“ Sie drehte sich um.

„Hey, Sophie. Wenn du deiner Mom sagst, dass du dir eine Hängematte wünschst, findet sie bestimmt eine. Und wahrscheinlich gibt es auch kleinere, in die du leichter hineinklettern kannst.“

„Ich brauche eine große, weil sie für mich und Oscar und meine Bücher sein soll.“

„Aha. Ich sag dir was. Wenn ich nicht in meiner Hängematte liege, können du und Oscar und deine Bücher sie gern benutzen. Vorausgesetzt, deine Mom ist einverstanden und du lässt dir von ihr zeigen, wie du hineinklettern kannst, ohne dir wehzutun.“

Als das Mädchen im Haus verschwand, nahm er sich ein paar Minuten Zeit, um das Gestell abzusenken, bis die Hängematte so tief wie möglich über dem Boden schwebte. Vielleicht musste er es wieder umbauen, bevor er sie benutzte, aber so war es einfacher und ungefährlicher für Sophie.

Als er zwanzig Minuten später seinen Laptop aufklappte, klopfte es an der Tür, und er sah Meredith davor stehen. Seufzend schloss er den Computer und ging hinüber.

„Guten Morgen, Frau Nachbarin.“

„Guten Morgen. Sophie hat mir erzählt, dass sie Ihre Hängematte benutzen darf, und ich wollte nur sicherstellen, dass Sie es wirklich erlaubt haben.“

„Habe ich, aber hat sie Ihnen auch erzählt, dass Sie ihr zeigen sollen, wie sie sich hineinlegen kann, ohne sich oder dem Hund wehzutun?“

Lächelnd strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. „Hat sie. Ich passe auf. Und danke. Sie liebt es, mit Oscar zu kuscheln und zu lesen, und eine Hängematte macht mehr Spaß als ein Liegestuhl. Ich kaufe ihr eine eigene, sobald ich eine finde.“

„Nehmen Sie zwei. Man kann sich herrlich darin entspannen. Sie wissen doch, wie man hineinklettert, oder?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Sie vergessen, dass ich diejenige bin, die hier aufgewachsen ist. Natürlich kann ich mit einer Hängematte umgehen.“

„Als Erwachsene?“ Er lachte, als sie seinem Blick auswich.

„Ich will Sie nicht länger stören.“

Aus irgendeinem Grund wollte er nicht, dass sie ging. „Ich habe nichts Wichtiges zu tun.“

„Ich muss mit Sophie in die Stadt. Meine Eltern besuchen uns morgen, und wir brauchen dringend etwas zu essen. Nochmals danke, dass sie Ihre Hängematte benutzen darf. Vielleicht zeige ich ihr nachher, wie sie hineinklettern kann, wenn Sie wirklich nichts dagegen haben.“

„Absolut nichts.“ Im Gegenteil, er freute sich darauf, zu beobachten, wie seine Nachbarin mit seiner Hängematte umging. Vielleicht würde er sich einen Drink eingießen und sich auf die Terrasse setzen und sie dabei ein wenig beobachten …

Als Meredith fort war, wandte er sich wieder dem chaotischen Durcheinander zu, das Carolina hinterlassen hatte. Erst in dem Moment wurde ihm bewusst, was Meredith gerade erzählt hatte – dass sie in Blackberry Bay aufgewachsen war und ihre Eltern sie morgen besuchten.

Das bedeutete, dass sie alle seine Großmutter gekannt haben konnten. Ihre Eltern hatten möglicherweise sogar seinen leiblichen Vater gekannt. Die Vorstellung wühlte ihn so sehr auf, dass er sich auf die geblümte Couch setzen musste. Gedankenverloren starrte er auf den geschlossenen Laptop.

Der Anblick einer attraktiven Frau, die sich mit seiner Hängematte abmühte, war vielleicht nicht der einzige Vorteil, den seine neue Nachbarin mit sich brachte.

2. KAPITEL

Blackberry Bay hatte sich kaum verändert, seit Meredith zum Studium fortgegangen war, und trotzdem erschien es ihr so fremd, als wäre sie noch nie hier gewesen.

Sie war sich nicht sicher, ob es an all den Erfahrungen lag, die sie seitdem gemacht hatte. Als sie sich in dieser Stadt zu Hause gefühlt hatte, war sie achtzehn gewesen und hatte sich aufs College gefreut. Sie hatte nicht wissen können, dass sie Devin kennenlernen, eine Tochter bekommen und ein glückliches Leben auf der anderen Seite des Landes führen würde. Und sie hatte nicht ahnen können, dass dieses Leben schlagartig enden würde, weil ein Autofahrer eine Sekunde lang unachtsam war.

Nein, sie war nicht mehr der Mensch, der sie damals gewesen war. Jetzt war sie eine Witwe, die ihr Kind allein aufzog. Dennoch war ihr hier, inmitten des frühsommerlichen Trubels von Blackberry Bay, so leicht ums Herz wie selten seit jener schrecklichen Nacht. Die Sonne schien, Blumen dufteten, und ihre Tochter hielt ihre Hand fest, während sie den historischen Ortskern erkundeten.

„Weißt du, wo die Bibliothek ist?“

Meredith lächelte. „Natürlich. Als ich so alt war wie du, habe ich viel Zeit dort verbracht.“

„Gibt es da viele Bücher für Kinder?“

Verglichen mit den Bibliotheken in Kalifornien wahrscheinlich nicht. „Das weiß ich nicht, aber wir gehen jetzt hin. Und denk dran, wenn sie ein Buch, das du lesen möchtest, nicht dahaben, dann können sie es vielleicht über Fernleihe besorgen.“

Die kleine Sorgenfalte zwischen Sophies Augen kehrte zurück. „Aber wenn sie ein Buch nicht dahaben, wie soll ich wissen, ob ich es lesen will?“

Lachend blieb Meredith am Fuß der Granitstufen zur Bibliothek stehen. „Das ist ein sehr guter Punkt. Ich schlage vor, darüber machen wir uns Gedanken, wenn wir wissen, ob sie viele Bücher haben, die du noch nicht gelesen hast.“

Mit leuchtenden Augen schaute Sophie zur Bibliothek hinauf. Es handelte sich um eins der ältesten Gebäude in Blackberry Bay, eher klein und schlicht, aber die weiße Holzfassade glänzte im Sonnenschein. Schmale Fenster rahmten die dunkelgrün gestrichene Eingangstür ein, und nur ein kleines Schild auf dem Rasen verkündete, dass dies die Spurr Memorial Library war.

Meredith kannte die Bibliothekarin nicht. Sie schien deutlich jünger zu sein, als es diejenige Frau gewesen war, die mit strengem Blick über ihren Bücherbestand gewacht hatte, als Meredith ein Kind gewesen war. Lisa – so durften sie die junge Bibliothekarin nennen – war ein leiser Typ, aber engagiert, und schon bald erkundeten sie und Sophie gemeinsam die recht ansehnliche Kinderbuchabteilung. Sophie war eine anspruchsvolle Leserin, und Lektüre für sie auszusuchen, konnte eine Herausforderung sein. Meredith war froh, es einer Fachfrau überlassen zu können.

Sie nutzte die Zeit, um sich ein paar neue Romane auszusuchen, obwohl die E-Books auf ihrem Tablet sicherlich für die nächsten Jahre reichten. Zum Glück akzeptierte die Bibliothekarin die Grundstücksdokumente als Nachweis, in Blackberry Bay wohnhaft zu sein, und Sophie nahm strahlend die neue Ausleihkarte entgegen. Meredith ließ sich dazu überreden, eine der mit dem Logo der Spurr Memorial Library versehenen Stofftaschen zu kaufen, um die Bücher nach Hause zu tragen.

Aber das Highlight des Tages war für Sophie die Anmeldung zum Sommerleseprogramm, und Meredith freute sich mit ihr. Während es ihrer Tochter vor allem um die Sticker ging, die sie für jedes gelesene Buch bekommen würde, interessierte sich Meredith in erster Linie für die Veranstaltungen, bei denen Sophie andere Kinder kennenlernen konnte.

„Legen wir die Bücher ins Auto, dann können wir Lebensmittel einkaufen“, sagte sie, als sie die Bibliothek verließen.

„Ich bin müde!“, erwiderte Sophie.

„Wir haben den angenehmen Teil zuerst erledigt, weil es zu heiß ist, um Lebensmittel im Wagen liegen zu lassen, aber wir sind eben nicht nur hier, um Spaß zu haben.“

„Ich will mit Oscar in der Hängematte meine neuen Bücher lesen.“

Meredith schloss den SUV auf und stellte die Tasche hinein.

„Mal sehen, ob wir nachher noch Zeit für die Hängematte haben, Sophie. Wir haben nichts zu essen und müssen jetzt einkaufen.“ Sie warf ihrer Tochter einen strengen Blick zu. „Und wenn du zu müde zum Einkaufen bist, bist du auch zu müde, um zu lernen, wie man in die Hängematte klettert.“

Sophie schob die Unterlippe vor, aber sie widersprach nicht, als Meredith den kleinen Supermarkt ansteuerte. In Zukunft würde sie bei den großen Discountern am Stadtrand einkaufen, aber heute fehlte ihr dazu die Energie.

Sie schafften es, die ganze Liste abzuarbeiten, ohne dass Sophie die Geduld verlor, aber Meredith wunderte es nicht, als sie einschlief, sobald der Motor wieder lief. Die Fahrt zum Haus dauerte nicht lange, aber sie wusste, dass ihre Tochter das Nickerchen brauchte. Also fuhr Meredith noch eine Weile herum und genoss die Erinnerungen, welche die einstmals vertrauten Straßen in ihr weckten.

Die meisten Geschäfte entlang des Seeufers dienten dem touristischen Bedarf – von überteuerter Bademode bis hin zu Tauchausrüstungen und Skiern für das nicht sehr weit entfernte Wintersportgebiet. Es gab Eiscafés, edle Kaffeebars, einen neuen Buchladen und einen Friseursalon. Das alte Schulgebäude war jetzt Sitz der Historical Society, die sich für den Erhalt des natürlich gewachsenen alten Ortskerns einsetzte. Die größeren Schulen lagen am Stadtrand, auch die dreistöckige Highschool, an der sie ihren Abschluss gemacht hatte.

Meredith fragte sich, wie viele von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern wohl noch in Blackberry Bay lebten. Der Ort lebte vor allem vom Tourismus, und viele Jugendliche, die anderswo aufs College gingen, kehrten nicht zurück. Aber manche waren bestimmt noch da, und sie freute sich darauf, ein paar alte Bekanntschaften aufzufrischen.

Zwanzig Minuten mussten reichen, um Sophie Zeit zu geben, ihre Batterien aufzuladen, ohne wiederum ihren Schlafrhythmus durcheinanderzubringen. Also fuhr Meredith nach Hause und hielt in der Einfahrt.

Die schnittige dunkle Limousine ihres neuen Nachbarn stand am Cottage. Bestimmt las er nicht aus Spaß Kalkulationen, also hatte es vermutlich mit seinem Job zu tun.

Sie ließ die Wagentür auf, damit es nicht zu warm für Sophie wurde, und sah überrascht, wie Cam mit der Katze auf dem Arm aus ihrem Garten kam.

„Hallo. Entschuldigung, dass ich so einfach Ihr Grundstück betreten habe, aber ich musste Elinor suchen. Mal wieder!

„Ich hoffe, Oscar hat nicht die ganze Zeit gebellt“, erwiderte sie, als der Hund sie lautstark begrüßte.

„Wie Sie gesagt haben, ist es eher ein schrilles Jaulen.“ Bevor sie sich entschuldigen konnte, lächelte er. „Und das auch nur, als ich mit einem Zweig an den Fenstern gekratzt habe.“

Sie lachte und sagte sich, dass er bestimmt nur scherzte. Hoffentlich, dachte sie. Seine Augen funkelten. Vermutlich war das mit dem Maulkorb auch nur ein Scherz gewesen.

„Na ja, eigentlich hat er nur gebellt, weil Queen Elinor ihn geärgert hat.“

Die Katze hob das Kinn, als Meredith sie kraulte. „Du bist ein kleiner Störenfried, was?“

„Ein riesiger Störenfried. Wo steckt Sophie?“

„Sie ist im Wagen eingeschlafen. Zum Glück. Das Kind brauchte eindeutig ein Nickerchen.“

„Das liegt an der frischen Seeluft.“ Er schmunzelte. „Soll ich sie ins Haus tragen?“

Die Vorstellung, wie dieser Mann ihre schlafende Tochter trug, ging ihr unweigerlich ans Herz. Devin hatte Sophie oft nach oben getragen, ins Bett gelegt und auf die Stirn geküsst. Sie wünschte sich für Sophie eine Vaterfigur, und sie selbst wollte den Rest ihres Lebens nicht allein verbringen, aber über die Zukunft hatte sie noch nicht nachgedacht.

„Meredith?“

„Oh.“ Sie konzentrierte sich wieder aufs Hier und Jetzt. „Danke für das Angebot, aber wenn sie zu lange schläft, bekomme ich sie heute Abend nicht ins Bett.“

Er nickte. „Ich muss dieses Monster nach Hause bringen und etwas arbeiten.“

Meredith brachte Sophie hinein, ließ Oscar in den Garten und brachte die Lebensmittel ins Haus. Sophie hatte Spaß daran, die Dosen zu sortieren – allerdings nach Farben, nicht nach dem Inhalt. Sie genossen es, aus dem Einräumen ein Spiel zu machen.

Meredith spielte mit, aber in Gedanken weilte sie bei der Vorstellung, wie es wäre, wenn sie wieder einen Mann in ihrem Leben begrüßen würde. Natürlich nicht Cam, denn er war nicht ihr Typ und nur den Sommer über hier. Sie malte es sich so zaghaft aus, wie man mit der Zungenspitze einen empfindlichen Zahn betastete. Vielleicht wäre ein neuer Anfang für sie so gut wie hoffentlich für ihre Tochter.

Ich bin schon wieder ins Rathaus bestellt worden. Sie glauben, wenn sie sich lange genug über mein Cottage beschweren und irgendwelche Gesetze zitieren, dann gebe ich auf und tue, was die von mir wollen.

Dabei sollten sie sich weniger darüber aufregen, wie ein Haus aussieht, sondern sie sollten sich fragen, wie ein Mensch sich darin fühlt. Dieses Cottage macht mich glücklich. Ich habe nicht mehr viel. Ich habe meinen Thomas vor vielen Jahren verloren und dann unseren Michael. Ich habe mein Enkelkind nie in den Armen halten dürfen. Es gibt nur noch Elinor und mich, und wir sind glücklich, und das liegt auch am Cottage.

Wen interessiert es schon, dass es pink statt cremefarben gestrichen ist und dass die Fenster türkis statt blau sind, wie es vorgeschrieben sein soll!? Es ist mein Zuhause, und wenn sie es nicht mögen, dann sollen sie eben aufhören, daran vorbeizufahren und es zu fotografieren und mir böse Briefe zu schicken.

Allerdings erhalte ich auf diese Weise ein paar schöne Aufnahmen von meinem hübschen Zuhause am See.

Man muss immer das Positive sehen. Dann schläft man nachts besser.

Cam klappte das Tagebuch zu und legte den Kopf zurück.

Carolina Archambault – die Großmutter, die er nie kennengelernt hatte – war eine imponierende Frau gewesen. Das Tagebuch, das sie ihm hinterlassen hatte, glich eher einer Sammlung von Briefen an die Welt um sie herum. Oder vielleicht an ihren unbekannten Enkelsohn.

Eigentlich sollte er sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sich die geplanten Steueränderungen auf den Gewinn des Unternehmens auswirken würden, und die wichtigsten Punkte in einer knappen Empfehlung für seinen Vater zusammenfassen. Er hatte sogar den Laptop geöffnet, bevor er nach dem Tagebuch daneben gegriffen hatte.

Das Cottage war schuld. Es war einfach nicht die richtige Umgebung für geschäftliche Überlegungen. Vor allem das Foto, das ihm gegenüber an den Wand hing, lenkte ihn immer wieder ab.

Michael Archambault. Mein leiblicher Vater.

Cam ähnelte ihm. Michael hatte Cams Haar, die Augen und den Mund, und selbst der Gesichtsausdruck glich seinem auf den Fotos, die er von sich selbst gesehen hatte. Das Foto an der Wand antwortete auf die Frage, die er so oft von seinem verstorbenen Großvater Calvin Anthony Maguire II gehört hatte: „Warum kannst du deinem Vater nicht ähnlicher sein?“

Weil Calvin Anthony Maguire III nicht sein Vater war. Dieser Mann auf dem Foto war es, und man hatte Cam nicht erlaubt, ihn kennenzulernen.

Fast ohne Vorwarnung sprang Elinor auf die Rückenlehne der Couch. Weil sie so groß war, gab es dort nur einen Platz, an dem sie es sich bequem machen konnte – zu diesem Platz gehörte sein Kopf, und er ließ es sich gefallen.

Wann war er zu einem Mann geworden, der den Sommer in einem kleinen, vollgestellten Cottage verbringen und eine Katze wie einen Hut tragen konnte?

Als er sich vorstellte, wie seine Eltern darauf reagieren würden, musste er schmunzeln. Na ja, sein Vater kannte nur einen Gesichtsausdruck – versteinert. Und seine Mutter wäre definitiv nicht belustigt.

Er kannte seinen Vater gut genug, um zwischen den Zeilen der knappen E-Mails lesen zu können. Dem Mann gefiel es nicht, dass er fort war. Der leere Stuhl am Konferenztisch ärgerte ihn zutiefst.

Im Moment war es Cam egal. Elinor schnurrte auf seinem Kopf, und das Lachen des kleinen Mädchens nebenan hatte etwas Beruhigendes.

Natürlich war ihm diese neue Welt noch immer fremd. Die ersten Nächte hatte er in einem Hotel verbracht, und die ungewohnte Stille im Zentrum von Blackberry Bay hatte ihn am Einschlafen regelrecht gehindert. Er hatte den Fernseher anlassen müssen, damit ihm irgendwann die Augen zufielen.

Er hatte sich an viele Dinge gewöhnen müssen. Nicht nur daran, dass er sich um zehn Uhr abends nichts liefern lassen konnte, wenn er über der Arbeit vergessen hatte zu essen. Er konnte sich nicht einmal zum Mittagessen etwas bestellen, denn es gab keinen Lieferservice.

Und dann war da das Cottage – unaufgeräumt und altmodisch. Er hatte sich im Internet eine Kaffeemaschine und Kapseln besorgt. Und für seine paar Sachen gab es kaum genug Platz, weil Carolina offenbar keinen Flohmarkt ausgelassen hatte. Das ganze Häuschen war ein Chaos, das seinen ordnungsliebenden Verstand auf eine harte Probe stellte.

Die Leute hier waren freundlich, aber auch neugierig. Sie stellten eine Menge Fragen, was nicht so angenehm war. Soweit er wusste, war Carolinas Anwalt der Einzige, der über den wahren Grund seines Hierseins informiert war. Und Meredith wohl auch, obwohl sie keine Einzelheiten kannte. Er war im Supermarkt, an einer Tankstelle und im Baumarkt gefragt worden, warum er in Carolinas Cottage wohnte. Er antwortete ausweichend und tat so, als wäre er einfach nur ein Sommergast, obwohl er ahnte, dass an diesem Ort nichts lange geheim blieb. Außerdem würde er irgendwann mit Leuten reden müssen, die Michael und Carolina gekannt hatten.

Vorläufig war er damit zufrieden, herumzusitzen und sich zu entspannen. Er verspürte nicht das geringste Bedürfnis, aufzustehen und etwas Produktives zu leisten.

Dann bellte nebenan der Hund, und sofort fuhr Elinor ihre Krallen aus. Sie bohrten sich in Cams Haut, und er hätte die Katze gern gepackt und von seinem Kopf genommen, aber er befürchtete, dass sie sich wehren würde.

Zum Glück beschloss Elinor selbst, sich einen anderen Platz zu suchen. Ohne Blutvergießen stieg sie von ihm und der Couch herab, und er warf ihr einen strengen Blick zu. „Ich glaube, wenn wir beide den Sommer überstehen wollen, müssen wir ein paar Regeln aufstellen.“

Sie zuckte nur mit dem Schwanz und ging davon. Er fragte sich, was passieren würde, falls sie es schafften, miteinander auszukommen. Er konnte sie auf keinen Fall mitnehmen, wenn er in sein altes Leben zurückkehrte.

Abgesehen davon, dass er keine riesige schwarze Katze wollte, die sich an allem vergriff, was er besaß, liebte Elinor ihre Freiheit. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie sich einsperren ließ.

Das Tierheim kam jedenfalls nicht infrage. Elinor schien äußerst stolz zu sein und mehr als nur etwas verwöhnt und konnte dort nicht glücklich gewesen sein. Als er sie ins Cottage zurückgebracht hatte, war sie ihm ganz nahe gekommen und hatte ihn mit dem Kopf angestupst, um ihm ihre Dankbarkeit zu zeigen. Jedenfalls nahm er das an. Vielleicht hat sie mich auch nur aus dem Haus schieben wollen?

Er überlegte, ob er das Haus verkaufen und die neuen Eigentümer verpflichten konnte, Elinor zu lieben und bis ans Ende ihres Lebens zu versorgen. Was ist los mit mir? Ruckartig stand er auf.

Die Umzugskartons, die er gekauft hatte, standen noch gefaltet an der Wand. Eigentlich hatte er vor, Carolinas persönliche Sachen einzupacken und den Rest verkaufen oder spenden zu lassen. Sie hatte allerdings so viel Zeug angesammelt, dass er nicht wusste, wo er anfangen sollte. Und jedes Mal, wenn er ein Schmuckstück oder Foto in die Hand nahm, weckte es seine Neugier, und er griff wieder und wieder nach ihren Tagebüchern.

Wenn er in diesem Schneckentempo weitermachte, würde er mehr als nur einen Sommer brauchen. Er nahm sich eine Limonade und ging auf die Terrasse, um frische Luft zu schnappen.

Seine Nachbarn saßen in ihrer Hollywoodschaukel, hatten die Köpfe zusammengesteckt und lachten fröhlich. Aber dann hob Sophie den Blick und bemerkte ihn.

„Mr. Maguire!“ Sie sprang auf und rannte zu ihm. Der Hund folgte ihr, und Cam hielt unwillkürlich den Atem an, als die beiden von der Terrasse sprangen.

Eine Sekunde lang ärgerte er sich, weil es ein langer Sommer werden würde, wenn er nicht einmal einen Drink genießen konnte, ohne dass ein Kind ihn störte. Doch das kleine Mädchen war liebenswert, und insgeheim war er froh, dass es ihn ablenkte.

„Warum heißt Ihre Katze Elinor, Mr. Maguire?“

Die förmliche Anrede erinnerte ihn daran, wer er war und was er jetzt eigentlich tun sollte – die Gewinne des Familienunternehmens im Auge behalten. „Ich weiß es nicht. Mein Großmutter hat ihr den Namen gegeben.“

„Oh.“ Sophie seufzte enttäuscht. „Das ist ein komischer Name für eine Katze, und meine Mom hat gemeint, dass Sie es vielleicht wissen.“

„Tut mir leid, Kleine. Aber wenn ich es herausfinde, erzähle ich es dir.“

„Oscar, nein!“

Merediths Ausruf machte Cam klar, dass ihr kleiner Hund seine offene Tür als Einladung betrachtet hatte.

„Er kann nichts anrichten“, versicherte er ihr, als sie außer Atem bei ihm ankam.

„Er darf nicht einfach so in fremde Häuser gehen.“

„Mr. Maguire hat die Tür offen gelassen“, wandte Sophie ein, und ihm gefiel, wie sie ihren Hund in Schutz nahm.

„Soll ich ihn holen oder …“

Als Meredith verstummte, zögerte er. Er wollte sie und ihre Tochter nicht ins Cottage lassen, denn er hatte keine Lust, eine Unmenge Fragen zu Carolinas angesammelten Sachen zu beantworten. Allerdings konnte es durchaus sein, dass der Hund sich nicht von ihm einfangen lassen würde.

Bevor er etwas sagen konnte, drang ein lautes Jaulen nach draußen, und das weiße Fellknäuel sauste an ihnen vorbei, dicht gefolgt von Elinor. Oscar rannte zurück in seinen eigenen Garten. Sophie eilte hinter ihm her.

Elinor blieb stehen und rieb sich an Cams Beinen. Dann sprang sie auf den Tisch und legte sich in die Sonne.

„Tut mir leid.“ Meredith lächelte.

„Ich hoffe, sie hat ihm nicht wehgetan. Sie ist ein Biest, und ihre Krallen sind kein Spaß.“

„Sophie tröstet ihn schon.“

Cam schaute hinüber. „Ich wollte Sie etwas fragen, aber nicht vor Sophie.“

„Okay.“ Ihr Mund wurde schmal.

„Ich hatte gehofft, dass sie mich Cam nennen darf.“

„Oh. Ich …“ Meredith runzelte die Stirn. „Eigentlich nicht, aber wenn es Ihnen recht ist, dann sollte ich es ihr wohl erlauben.“

Er würde es ihr erklären müssen, wollte aber nicht zu sehr in die Tiefe gehen. „Ich arbeite gerade einige familiäre … Probleme auf, und wenn ich Mr. Maguire höre, dann muss ich sofort an meinen Vater denken. Wir stehen uns nicht sonderlich nahe, und das ist dann ein echter Stimmungstöter.“

„Das tut mir leid.“ Sie musterte ihn, als wollte sie nachfragen, aber dann entspannte sich ihre Miene. „Natürlich darf Sophie Sie Cam nennen. Schließlich sind wir Nachbarn.“

„Möchten Sie eine Limonade oder so etwas?“, fragte er, weil man es ihm schon als Kind beigebracht hatte.

„Nein, danke. Sieht aus, als würde es bald regnen, deshalb muss ich Sophie sagen, dass sie ihre Bücher und die Hundespielsachen ins Haus bringen soll.“

„Dann vielleicht ein anderes Mal“, erwiderte er und fragte sich, warum. Er war nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Er musste arbeiten, ein Cottage entrümpeln und es dann verkaufen.

Ihr Blick verriet, dass sie so überrascht war wie er. Dann lächelte sie freundlich, aber distanziert. „Ja, vielleicht. Nochmals Entschuldigung für Oscars Eindringen. Und für Sophies Verhalten wohl auch. Ich werde ihr erklären, dass man Grenzen respektieren muss, auch wenn es ohne Zaun nicht so einfach ist.“

Er lachte. „Sie sind fest entschlossen, einen aufzustellen, was?“

Ihr Lächeln verblasste. „Zäune helfen einem, daran zu denken, wohin man gehört. Und Sie wissen ja, was man sagt: Gute Zäune sorgen für gute Nachbarn.“

Als sie davonging, sah er ihr nach und kehrte dann ins Cottage zurück. Elinor folgte ihm nicht, sondern schien den letzten Sonnenschein vor dem Regen genießen zu wollen.

Meredith wusste nicht, wann sie das letzte Mal so laut gelacht hatte. Ihr Bauch schmerzte fast so sehr wie der Po, obwohl beide Körperteile nicht halb so verletzt waren wie ihr Stolz.

„Vielleicht solltest du dich lieber in die Hollywoodschaukel auf unserem Steg setzen?!“, sagte Sophie und begann wieder zu kichern, als Meredith der Hängematte einen zornigen Blick zuwarf.

„Ich schaffe es schon.“

„So langsam frage ich mich, ob die Haftpflichtversicherung für dieses Cottage es auch abdeckt, wenn Frau Nachbarin aus meiner Hängematte fällt.“ Die tiefe Männerstimme ließ Meredith mit geröteten Wangen herumfahren, und fast wäre sie gestolpert. Cam streckte die Hand aus, um sie zu stützen, und als er die bloße Haut an ihrem Arm berührte, wurde ihr noch heißer.

„Es ist wohl doch länger her, als ich dachte“, gab sie zu. „Außerdem wusste ich nicht, dass Sie zu Hause sind.“

„War ich gar nicht. Und Ihr tapferer Wachhund war wohl zu sehr damit beschäftigt, Sie auszulachen.“

„Elinor hat auf dem Geländer gehockt und mich beobachtet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch gelacht hat.“

„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte er.

Sie wusste nicht, wie genau er ihr helfen sollte. Aber klar war, dass er ihr nicht in die Hängematte helfen konnte, ohne sie zu berühren. Ihre Wangen brannten vor Scham. Hastig wandte sie sich ab.

„Danke, aber für heute gebe ich auf. Meine Eltern werden bald hier sein, und ich habe Schmutz unter den Fingernägeln und Grasflecken am Po.“

Muss sie das ausgerechnet in dem Moment erwähnen, in dem sie sich nach ihren Sandalen bückt?

„Ich habe es ihr gezeigt“, warf Sophie ein und sprang in die Hängematte, als hätte sie es schon ihr ganzes Leben lang getan, „aber Mommy ist nicht sehr geschickt.“

Oscar stellte sich auf die Hinterpfoten, und Sophie hob ihn zu sich, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.

„Ich bin beeindruckt“, sagte Cam.

„Angeberin“, murmelte Meredith. „Aber jetzt, da Mr. … Cam zu Hause ist, sollten wir seinen Garten räumen.“

„Sie stören mich nicht.“

„Siehst du, Mom? Hab ich doch gesagt.“

„Das ist sehr nett von ihm, aber deine Großeltern kommen gleich. Wir müssen uns etwas saubermachen.“

„Denen ist egal, ob ich schmutzig bin.“ Sophie verschränkte die Arme vor der Brust, und Meredith sah, wie Cam die Lippen zusammenpresste, um nicht zu lachen.

„Sophie Grace Price, ich möchte es kein zweites Mal sagen müssen.“

Wenn sie den ungeliebten zweiten Vornamen in den Mund nahm, wirkte es meistens. Ihre Tochter seufzte dramatisch, drückte Oscar an sich und rollte sich aus der Hängematte. Sie landete auf den Füßen und setzte den Hund ins Gras.

Akrobatisch, dachte Meredith, von mir hat sie das nicht.

„Grandma!“, rief Sophie, und Meredith drehte sich zu ihren Eltern um, die in diesem Moment über den Rasen kamen.

Oscar rannte bellend im Kreis herum, als erst Sophie und dann Meredith die beiden umarmten.

„Du hast dir einen schönen Platz ausgesucht.“ Ihr Vater schaute übers Wasser. „Ich habe diese Seite der Bucht immer sehr geliebt.“

Meredith versuchte, den aufgeregten Oscar zu beruhigen.

Ihre Mutter warf ihr einen fragenden Blick zu und nickte unauffällig in Cams Richtung.

„Mom und Dad, das ist unser Nachbar Cam Maguire. Cam, das sind meine Eltern – Neal und Erin Lane.“ Sie gaben einander die Hand, und bevor Meredith ihre Familie zurück auf ihr eigenes Grundstück scheuchen konnte, waren ihr Vater und Cam bereits in ein Gespräch übers Angeln und die im See anzutreffenden Fische vertieft.

„Er scheint nett zu sein“, flüsterte ihre Mutter.

„Das kannst du jetzt schon beurteilen?!“ Meredith verdrehte die Augen, aber ihre Mutter schaute zu den Männern hinüber, die mit Sophie ans Ufer gegangen waren.

„Fang nicht so an“, entgegnete Erin. „Ich bin deine Mutter und möchte nicht, dass du neben einem mürrischen Axtmörder wohnst.“

„Ich habe noch keine Axt gesehen.“

„Gut. Ich möchte, dass du hier glücklich bist. Als ich dich und Sophie lachen gehört habe, konnte ich zum ersten Mal seit dem Unfall wieder richtig durchatmen, um ehrlich zu sein. Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht.“

„Glaub bloß nicht, dass es an Cam liegt!“, warnte sie.

„Mir ist egal, was euch glücklich macht, solange ihr beide so fröhlich lacht.“

Zum Glück ließ ihre Mutter das Thema nun ruhen und begnügte sich damit zu beobachten, wie Sophie neben ihrem Großvater ging – ihre kleine Hand in seiner großen faltigen Hand.

„Dieser Garten ist perfekt für eine Party, Meredith“, sagte ihr Vater, als die Männer sich wieder zu ihnen gesellten.

„Eigentlich ist es Cams Garten, und einen Grill muss ich erst noch kaufen.“

„Ich habe einen.“ Cam zeigte zu seiner Terrasse. „Und ich spiele äußerst gern den Gastgeber, wenn Sie bloß etwas zum Grillen haben. Und vielleicht ein paar Beilagen. Ich hätte eine Tüte Kartoffelchips, glaube ich.“

„Mommy hat Steaks gekauft“, verriet Sophie.

„Perfekt!“, sagte Erin. Meredith warf ihr einen vielsagenden Blick zu und bekam als Antwort ein unschuldiges Lächeln.

Sie wollte nicht, dass ihre Mutter sich falsche Hoffnungen machte. Ihr Nachbar war nett, nachbarschaftlich nett. Mehr war es nicht, und mehr würde es nie sein.

Allerdings würde sie heute nicht kochen müssen, was eindeutig ein Pluspunkt war. Cam schenkte ihr ein Lächeln, das ihre Knie weich werden ließ. Dass sie in dieser Sekunde gerade an Pappteller gedacht hatte, die sie nicht abzuwaschen brauchte, musste er nicht wissen. Sollte er doch annehmen, was er wollte. Hauptsache, er lächelte sie weiterhin so strahlend an.

3. KAPITEL

Das ist alles Carolinas Schuld.

In ihrem Cottage zu wohnen, umgeben vom Durcheinander eines langen, erfüllten Lebens, schien irgendwie auf ihn abzufärben. Cam fiel keine andere Erklärung dafür ein, dass er versprochen hatte, in seinem Garten eine Grillparty für Menschen zu veranstalten, die er nicht einmal kannte.

Na gut, vielleicht war der Einfluss von Carolinas Cottage nicht der einzige Grund. Vermutlich hatte es auch mit Merediths Lächeln zu tun. Sie und ihre Tochter wirkten immer so ernst, auch deshalb hatte ihn Merediths Lächeln und Sophies Jubel ergriffen, und irgendwie schien er nicht genug davon bekommen zu können.

Er starrte auf den Grill und versuchte, daran zu glauben, was er sich gerade gesagt hatte. Er würde es schon hinbekommen. Sicher, er war in Manhattan geboren und aufgewachsen und hatte noch nie selbstständig Fleisch gegrillt. Aber wie schwierig konnte das sein?

Er hatte sich im Internet einige Videos dazu angesehen und würde sich jetzt hoffentlich nicht mehr die Augenbrauen versengen. Natürlich wäre es einfacher, die ganze Sache Neal zu überlassen. Doch unter Merediths Augen die Grillzange einem anderen Mann zu übergeben, wäre peinlich, was wiederum natürlich Unsinn war, und er wusste es. Es blieb dabei – er hatte sich fest vorgenommen, für diese Leuten ein paar Steaks zu grillen.

Meredith stellte sich zu ihm. „Haben Sie das schon mal gemacht?“, fragte sie leise.

„Was ist das denn für eine Frage?“

„Sie kommen aus New York City.“

„Ob Sie es glauben oder nicht, auch dort grillt man.“

„Sie auch?“

Ihre Nähe lenkte ihn so sehr ab, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. „Ich haben neben einem gestanden, der gegrillt hat.“

„Wir könnten klein anfangen. Vielleicht mit Hotdogs.“

Es gab sich große Mühe, entrüstet auszusehen, aber die Idee war gar nicht mal so schlecht. „Wir nehmen die Hotdogs als eiserne Reserve für den Notfall.“

Sie schmunzelte. „Wie viele YouTube-Videos haben Sie schon angesehen?“

„Alle, die ich finden konnte?“

„Gut. Übrigens mag ich meine Steaks medium – rosa auf den Punkt.“

Er lachte. „Ganz schön anspruchsvoll für eine Frau mit Grasflecken am Po.“

Als sie mit ihm lachte, spürte er ein eigenartiges Gefühl in der Brust. Am Grill zu stehen und mit einer wunderschönen Frau zu lachen, während ein Hund ein kleines Mädchen zur Belustigung von dessen Großeltern durch den Garten jagte, empfand er als einen so perfekten Moment, dass er fast unwirklich erschien.

Meredith ging zu Sophie, und Cam zwang sich, in die Realität zurückzukehren.

Das hier war nichts für ihn – eines Tages vielleicht. Selbst dann würde es sich allerdings um in Edelstahlküchen zubereitete Mahlzeiten handeln, oder er würde in die besten Restaurants gehen, zu Cocktailpartys, geschäftlichen Empfängen. Mindestens einmal wöchentlich nahm er an einem Abendessen mit seinen Eltern teil. Mit etwas Glück hätte seine eigene kleine Familie dann ihr eigenes Ferienhaus, und er könnte sie ab und zu an einem Sommerwochenende besuchen.

Das Sommerhaus der Maguire-Sippe in den Hamptons war nur ein Ort, an den seine Mutter vor ihrem Ehemann flüchtete und wo sie mit ihren Freundinnen über den Durst trinken konnte – was leichter war, wenn sie ihren Sohn bei einer Nanny und seinem Vater ließ …

Nach einer Weile schaute Meredith über seinen Arm, als er gerade in ein Steak schnitt, um zu prüfen, wie weit es gediehen war. Ihre Nähe und die Hitze des Feuers ließen sein Gesicht glühen. „Ich glaube, es ist etwas mehr als medium.“

„Die Steaks sehen toll aus.“

Er lächelte stolz. „Hoffen wir, dass sie auch so schmecken.“

Das taten sie, und der Makkaronisalat, den Meredith und ihre Mutter zubereitet hatten, war die perfekte Beilage. Elinor beobachtete sie von der anderen Seite der Terrassentür, als sie sich an Carolinas Gartentisch setzten und aßen – mit ein paar Stühlen von nebenan und Sophie auf dem Knie ihres Großvaters.

Cam sprach nicht sonderlich viel. Die Lane-Price-Familie war lange nicht zusammen gewesen und hatte viel nachzuholen. Und falls es doch einmal eine Gesprächspause gab, füllte Sophie sie rasch.

Es machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, er blieb lieber im Hintergrund und beobachtete, wie seine Gäste miteinander umgingen. Sie schienen sich alle gern zu haben und lachten viel. Bei den Maguires herrschte am Tisch meistens Stille, und wenn nicht, dann ging es ums Geschäft.

Bisher hatte er Meredith eher als zurückhaltend erlebt, aber inmitten ihrer Familie funkelten ihre Augen, und ihr Lachen war echt und ansteckend. Er nippte an seiner Limonade und dachte über seine rätselhafte Nachbarin nach.

Sie musste über Geld verfügen, was ihr teurer SUV ebenso verriet wie das Haus am See, das sie gekauft hatte. Er kannte sich zwar mit Mode und Marken nicht sehr gut aus, aber er wusste, dass ihre Outfits in den Kreisen seiner Mutter nicht unangenehm aufgefallen wären.

Im Gegenteil, sie schien sehr gut in seine Welt zu passen. Woraufhin er sich fragte, ob ihr Ehemann ein bekannter Geschäftsmann gewesen war. Er würde seine Assistentin beizeiten bitten, alles herauszufinden, was es über Familie Lane, Meredith und ihren verstorbenen Mann Devin Price zu wissen gab.

Aber die Angelegenheit betrachtete er als privat, und er wollte auf kein Dossier hinaus. Er wollte, dass Meredith freiwillig von sich und ihrem Leben erzählte. Als ihre Blicke sich trafen und bei ihr ein Mundwinkel zuckte, ging ihm auf, dass sie ihn dabei erwischt hatte, sie anzustarren.

„Wie sollten uns langsam auf den Weg machte“, sagte Neal zu Meredith, als der Stand des Sonnenlichts sich verändert hatte und Sophie stiller geworden war. „Damit ihr beide noch etwas abschalten könnt, bevor ihr zu Bett geht.“

Cam sah auf die Uhr und staunte, wie schnell der Nachmittag vorübergegangen war.

„Ja, wir sollten zu uns gehen und Cam etwas Ruhe gönnen“, erwiderte Meredith. „Sollen wir wirklich nicht noch mit aufräumen?“

„Wirklich nicht. Das meiste kann ich wegwerfen, also gibt es nicht viel zu tun.“ Und er wollte kein Publikum, wenn er sich bei YouTube darüber informierte, wie er den Gasgrill sauberzumachen hatte.

Er gab ihren Eltern die Hand, bedankte sich für ihren Besuch und zerzauste Sophies Haar. „Es war schön mit euch.“

„Finde ich auch.“ Meredith schenkte ihm wieder ein atemberaubendes Lächeln. „Danke für die spontane Einladung.“

Als Cam allein war, ließ er heißes Wasser in die Spüle laufen und legte die wenigen Porzellanteller, die sie benutzt hatten, und das Grillbesteck hinein. Elinor warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

„Sieh mich nicht so an. Sie sind nett, und ab und zu können wir mal gute Nachbarn sein.“

Er hätte ihre Gesellschaft gern noch etwas länger genossen. Als er am Morgen erwacht war, hatte ihm der Trubel der City so sehr gefehlt, dass er zum Café gefahren war, um zu frühstücken. Aber selbst dort hatte er sich plötzlich einsam gefühlt.

Beim Nachhausekommen hatte er das Gelächter hinter dem Cottage nebenan gehört, und das hatte unglaublich gutgetan. Vielleicht würde er ja eines Tages vom Lachen einer Frau und eigener Kinder empfangen werden, wenn auch wohl erst weit in der Zukunft. Seine Familie war nie warmherzig gewesen, deshalb hatte er es auch nie eilig gehabt, eine eigene zu gründen. Doch da ich so auf Merediths und Sophies Fröhlichkeit reagiere, besteht für mich vielleicht doch noch Hoffnung …

Eine Woche später ging Meredith auf ihren Steg am See und setzte sich in die Hollywoodschaukel. Sie legte den Kopf zurück, schloss die Augen und atmete tief durch.

Der Umzug war offiziell abgeschlossen.

Sie hatte einige Schubladenunterteilungen und Regale online bestellen müssen, aber jetzt waren alle ihre Sachen untergebracht. Der letzte zerrissene Umzugskarton lag schon im Papiermüll.

Sie hatte damit gerechnet, mindestens eine Woche zu brauchen, da eine Sechsjährige und ein energiegeladener Hund nicht gerade die idealen Partner waren. Doch sie hatte zwei Listen aufgestellt, eine für sich und eine für Sophie, und sie hatten miteinander gewetteifert, wer zuerst alles abgehakt hatte.

Mit einem dumpfen Geräusch landete etwas neben ihr auf der Hollywoodschaukel, und Meredith öffnete die Augen, als Elinor auf ihren Schoß kletterte.

„Hallo“, begrüßte sie die Katze, die sich hinhockte und sie anstarrte. „Warum habe ich das Gefühl, dass du nur hier bist, um mich einzuhaaren, damit mein Hund durchdreht, wenn ich wieder ins Haus gehe?“

„Weil es stimmt.“

Meredith ignorierte ihr Herzklopfen und drehte sich zu Cam um. Wahrscheinlich war er nur gekommen, um seine Katze zu holen.

„Ich wollte sie erwischen, bevor sie Sie belästigt, aber sie kann ganz schön schnell sein, wenn sie will.“ Er hielt etwas zum Knabbern hoch. „Und leider ist sie nicht so verrückt nach diesem Zeug, wie ich gehofft habe.“

Elinor hatte ihn bisher missachtet, aber jetzt gab sie ein forderndes Quäken von sich.

„Wenn ich es dir jetzt gebe, belohne ich dich bloß dafür, dass du unserer Nachbarin auf den Schoß gesprungen bist, während sie in aller Seelenruhe geschlafen hat.“

„Ich unterbreche Ihre Diskussion mit Ihrer Katze nur ungern, aber ich habe nicht geschlafen, sondern mich nur darüber gefreut, dass ich meinen Umzug offiziell abgeschlossen habe.“

„Sie ist nicht meine Katze“, murmelte er, bevor er vortrat und ihr die Leckerei hinhielt. Elinor rührte sich nicht, also musste er sich vorbeugen, bis sie zu fressen geruhte. Cam schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich bin noch keinem lebenden Wesen begegnet, dass so eigensinnig wie diese Katze ist – und das schließt meinen Vater ein.“

Meredith streichelte das Tier. Elinor schmiegte sich an ihre Hand und warf Cam einen triumphierenden Blick zu. „Ich bin zwar eher ein Hundetyp“, gab sie zu, „aber ich habe gehört, dass Katzen auf andere Art schwierig sein können.“

Schmunzelnd schob Cam die Hände in die Taschen. Meredith entging nicht, wie sein Haar im Sonnenschein schimmerte, bevor sie sich wieder der Katze zuwandte.

Sie hatte seit einer Woche nicht mehr mit ihrem Nachbarn gesprochen, aber seine Stimme gehört – erst laut und zornig bei einem offenbar geschäftlichen Telefonat und dann bei seinen zahlreichen schmeichlerischen Versuchen, Elinor ins Haus zu locken. Und sie hatte ihn auf seiner Terrasse hämmern gehört, gefolgt von einem Wort, das zu wiederholen sie Sophie strikt verboten hatte.

„Sie können sie auch einfach auf den Boden setzen“, sagte er. „Sie wird es höchstens sieben oder acht Mal wieder versuchen, bevor sie aufgibt und sich ein anderes Opfer sucht.“

„Vermutlich Oscar.“

„Vermutlich.“ Wenigstens schien es ihm etwas unangenehm zu sein, dass seine Katze den armen Hund immer wieder reizte.

„Sie stört mich nicht“, versicherte Meredith. „Sie ist viel ruhiger als Oscar, der gerade bei Sophie auf dem Bett liegt, weil sie versucht, ihm Lesen beizubringen.“

Er lachte, und der warme, lebhafte Laut hinterließ einen starken Eindruck bei ihr.

„Tun Sie mir einen Gefallen“, bat er, „wenn Sophie es schafft, ihm Lesen beizubringen, dann muss sie versprechen, Elinor nicht zu unterrichten. Die Katze ist auch so schon anstrengend genug.“

„Was meinen Sie, wie ihr New York City gefallen wird?“

Seine Miene verfinsterte sich. „Meine Wohnung wird sie nicht mögen, und Auslauf wird sie auch nicht bekommen. Ich werde ihr einen neuen Halter suchen müssen.“

Nachdenklich streichelte Meredith die Katze. Wahrscheinlich kannte Elinor kein anderes Zuhause als das Cottage.

„Ihr beide braucht mich gar nicht so anzusehen!“, sagte Cam verärgert. „Sie ist keine Großstadtkatze. Ich lebe in der Großstadt.“

„Na ja, das geht mich nichts an.“ Meredith hielt die Luft an, als Elinor von ihrem Schoß sprang.

Cam hob die Katze auf. „Tut mir leid. Ich weiß nur noch nicht, was ich mit ihr machen soll. Ich sage ihr immer, dass sie in ihrem eigenen Garten bleiben soll, aber sie hört nicht auf mich.“

„Vielleicht kapiert sie es, wenn der Zaun steht.“

„Ich fürchte, kein Zaun ist hoch genug, um sie aufzuhalten, wenn sie Ihren Hund ärgern will.“

Er ging davon, und Meredith gönnte sich das Vergnügen, ihm nachzusehen. Ihr gefiel, wie er sich bewegte.

Es tat gut, mal wieder so etwas wie Verlangen zu fühlen. Sie war schließlich jung. Sie wusste, dass sie sich noch einmal verlieben konnte, und einen Mann anziehend zu finden, war ein guter Anfang – und ein erschreckender Gedanke, da sie seit der Collegezeit mit Devin zusammen gewesen war. Aber ein definitiv gesunder Gedanke.

Vielleicht wäre es sogar beunruhigender, wenn sie einen passenderen Mann begehren würde – einen, der in Blackberry Bay lebte und nach dem Sommer nicht nach New York City zurückkehrte. Ihre Gefühle für Cam hatten eine derart unrealistische Grundlage, dass die Sache harmlos war.

Seufzend stand sie auf und ging zum Haus zurück. Sie musste Sophie zu einer im Rahmen des Sommerleseprogramms stattfindenden Puppentheateraufführung fahren.

„Meinst du, es kommen viele Kinder?“, fragte ihre Tochter, als sie im Wagen saßen.

„Das weiß ich nicht, aber es wäre doch schön, welche kennenzulernen. Vielleicht sind sie in deinem Alter und gehen mit dir zur Schule.“

„Ich hoffe, ich mag die Schule.“

„Bestimmt. Ich fand sie toll, als ich dort war.“

Sie brauchten eine Weile, um einen Parkplatz zu finden, und betraten die Bibliothek erst kurz vor Veranstaltungsbeginn. „Ich komme wieder, bevor es vorbei ist, aber du wartest hier im Kinderbereich, okay?“

Sophie nickte, dann setzte die Musik ein. Ein anderes Mädchen lächelte Sophie scheu zu, und als Meredith kurz darauf noch einmal nach ihrer Tochter schaute, saßen die beiden zusammen.

Sie hatte eine Stunde frei und keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Eigentlich hatte sie sich im Rathaus nach den Vorschriften für die Aufstellung von Zäunen erkundigen wollen, aber die Information war heute geschlossen. Dann sah sie das Schild von Bishop’s Auto Care & Bakery und blieb wie angewurzelt stehen.

Reyna Bishop. Ihrem Vater gehörte die Kfz-Werkstatt in der Stadt, und ihre Mutter hatte immer leckere Kuchen für den Schulbasar gebacken.

Sie könnte sich ein Cupcake kaufen und herausfinden, ob Reyna noch hier lebte. Die ältere Frau hinter der Verkaufstheke begrüßte sie lächelnd. „Womit kann ich Ihnen heute eine Freude machen?“

„Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht an mich, Mrs. Bishop. Ich bin mit Reyna zur Schule gegangen. Jetzt heiße ich Meredith Price, damals Meredith Lane.“

„Du meine Güte!“ Mrs. Bishop strahlte sie an. „Du hast dich überhaupt nicht verändert! Wie geht es deinen Eltern? Ich habe deine Mom nur selten gesehen, seit sie weggezogen sind.“

„Denen geht es gut, aber wir sehen uns jetzt bestimmt häufiger, weil ich hierher zurückgezogen bin. Ich habe ein kleines Mädchen. Es ist sechs, deshalb bleibt meine Mutter wohl nicht mehr so lange fort.“

„Oh, dann hast du das Haus neben Carolina Archambaults Cottage gekauft?“ Sie pfiff durch die Zähne. „Es ist ein schönes Haus. Ich habe von deinem Mann gehört. Es tut mir sehr leid.“

„Danke.“ Die Trauer durchzuckte sie noch immer unerwartet. „Und wie geht es Reyna? Lebt sie noch hier?“

„Oh, der geht es gut. Sie arbeitet gerade in der Werkstatt. Ich habe meinen Mann vor ein paar Jahren an Krebs verloren, und sie ist eingesprungen und dabeigeblieben.“

„Es tut mir so leid, Mrs. Bishop. Das wusste ich nicht.“

„Woher auch?“ Seufzend legte Mrs. Bishop ihre Hand auf Merediths Finger. „Ich komme zurecht, aber manche Tage sind besser als andere.“

„Das ist nur zu wahr. Meinen Sie, es würde Reyna stören, wenn ich kurz Hallo sage?“

„Natürlich nicht! Du kannst ums Haus herum nach hinten gehen oder durch die Tür dort. Am Ende des Flurs ist ihr Büro.“

„Ich gehe außen herum“, sagte Meredith, „aber vorher greife ich bei den Brownies zu.“

Sie stopfte die Tüte in ihre Tasche, verabschiedete sich von Mrs. Bishop und ging ums Haus herum. Der Geruch vom Öl alter Ersatzteile umfing sie, als sie das Büro betrat. Vor ihr befand sich ein hoher Tresen mit einem Computer, rechts ein großes Rolltor, hinter dem die Wagen repariert und gewartet wurden.

„Ich bin gleich da!“, rief eine Frau, und kurz darauf erschien Reyna. Sie hatte sich kaum verändert und trug ein dunkelblaues T-Shirt und fleckige Jeans. Noch immer hatte sie die Figur, nach der sich in der Highschool alle Jungen umgedreht hatten. Ihr Haar war hochgesteckt, eine Wange ölverschmiert, aber selbst das unterstrich nur, was für eine attraktive Frau sie war.

„Meredith Lane! Wie ist es dir ergangen?“

„Gut. Aber heiße jetzt Meredith Price.“

„Es ist lange her.“

Reyna klang ganz sachlich, aber Meredith schämte sich trotzdem, denn es war tatsächlich lange her, dass sie miteinander gesprochen hatten, dabei waren sie in der Schule richtig gute Freundinnen gewesen.

„Ich habe gehört, dass du wieder da bist“, fuhr Reyna fort. „Mit einem kleinen Mädchen?“

„Sophie ist sechs. Sie ist gerade beim Puppentheater, aber ich hoffe, ihr lernt euch bald kennen.“

„Ihr geht doch bestimmt zum Feuerwerk am vierten Juli? Am nächsten Wochenende. Wir könnten uns dort treffen.“

„Gute Idee.“ Blackberry Bay beging den Unabhängigkeitstag immer ganz groß.

Sie tauschten noch ein paar Erinnerungen aus und lachten über gemeinsame Erlebnisse und Streiche. „Und? Hast du geheiratet? Kinder bekommen?“

„Nein.“ Reyna seufzte. „Ich habe kein Glück mit Männern.“

„Das mit deinem Dad tut mir leid. Du betreibst die Werkstatt allein?“

„Ja. Ich hatte mein Leben zwar anders geplant, aber der Job in der Werkstatt bezahlt meine Rechnungen und macht mich im Moment auch glücklich.“ Sie lächelte. „Ich gebe dir meine Handynummer. Dann schreibst du mir, sobald ihr im Park seid, damit wir uns nicht verpassen.“

Meredith fügte Reyna zu ihren Kontakten hinzu und gab ihr ihre Nummer, die sie auf einem Block neben dem Computer notierte. „Ich würde sie abspeichern, aber mein Handy ist derzeit aus, weil ein Mann mich nach unserem allerersten Date seiner Mutter vorstellen wollte.“

„Autsch.“

„Oh ja, autsch ist das offizielle Motto meiner bisherigen Dates.“

„Ich will dich nicht länger von der Arbeit abhalten. Wir treffen uns nächstes Wochenende!“

„Es war schön, dich wiederzusehen, Meredith.“

Als sie die Werkstatt verließ, war ihr so leicht ums Herz wie schon lange nicht mehr. In Kalifornien hatte sie viele Freunde gehabt, aber die verdankte sie eben Devins Arbeit oder Sophies Kindergarten. Eine Freundin zu haben, die sie kannte und mit der sie eine gemeinsame Geschichte verband, fühlte sich anders an.

Ein weiterer Höhepunkt des Tages war Sophies Lächeln, als sie sich nach dem Puppentheater in Merediths Arme warf. „Es war so lustig, Mommy!“

„Du kannst es mir im Wagen erzählen, okay?“

Und das tat sie. „Kiki ist meine neue Freundin. Sie heißt Christina, aber ihr kleiner Bruder hat sie Kiki genannt, bevor er richtig sprechen konnte, und jetzt nennen alle sie so.“

Meredith lächelte erleichtert, als sie feststellte, dass Sophie wieder auftaute.

Als sie in ihrer Einfahrt hielt und Cam an seinem Wagen lehnen sah, dachte sie urplötzlich: Wir beide, er und ich. Cam hatte die Arme verschränkt und schaute auf sein Cottage.

„Ich erzähle Cam vom Puppentheater!“ Sophie stieg sofort aus, als Meredith den Motor ausstellte.

Sie wollte ihre Tochter noch aufhalten, kam aber zu spät. Offenbar waren sie beide für Cams Charme empfänglich.

4. KAPITEL

„Cam!“

Er drehte sich um.

„Hallo, Sophie. Wo kommst du denn her?“

Was folgte, war eine Flut aufgeregter Worte über Puppen und eine gewisse Kiki, und er kam kaum mit. Aber es musste mit der Bibliothek zu tun haben, und er wusste, wie gern seine kleine Nachbarin las, also musste sie einen tollen Nachmittag gehabt haben.

„Haben Sie einen Büchereiausweis?“ Ihr Blick machte ihm klar, dass dies eine Art Persönlichkeitstest war, jedenfalls für sie.

„Noch nicht.“

„Meine Mom kann Ihnen helfen“, fuhr Sophie fort.

„Ich glaube, ich hatte noch nie einen“, gab er zu.

Sophies Augen wurden groß, und sie starrte ihn mit offenem Mund an. „Du hattest noch nie einen Büchereiausweis? Im ganzen Leben nicht?“

„Niemals.“

„Das ist traurig.“ Das Mitgefühl in ihren Augen brach ihm fast das Herz.

„Vielleicht hilft deine Mom mir ja, einen zu bekommen“, sagte er, weil er Sophie wieder lächeln sehen wollte. Jetzt sah Meredith so aus wie ihre Tochter gerade – große Augen, leicht geöffneter Mund.

„Das tut sie!“ Sophie drehte sich zu ihrer Mutter um und hopste vor Aufregung auf der Stelle. „Mommy, du hilfst Cam doch, einen Bibliotheksausweis zu bekommen, oder?“

Meredith warf ihm einen scharfen Blick zu, bevor sie Sophie zulächelte. „Sophie, bestimmt ist Cam in der Lage, zur Bücherei zu gehen und sich einen Ausweis geben zu lassen.“

„Aber er hatte noch nie einen!“

Cam genoss es, wie Meredith tief durchatmen musste, bevor sie erneut ein Lächeln zustande brachte. Und es imponierte ihm, dass sie keinen Schuh auszog und damit nach ihm warf.

„Wenn Cam Hilfe braucht, dann wird Lisa ihm zeigen, wie es geht. Vielleicht ist der Papierkram zu schwierig für ihn.“

„Hey!“, protestierte er, aber Meredith schenkte ihm nur ein süßliches Lächeln.

Okay, wahrscheinlich war er selbst schuld. „Wenn ihr zwei das nächste Mal hingeht, kann ich ja mitkommen, und danach lade ich euch auf ein Eis ein.“

Sophie klatschte in die Hände. „Bitte, Mommy? Bitte?!

Er hatte einen Fehler gemacht. Das erkannte Cam daran, wie Merediths Lippen schmal wurden. Im Ärgere-deine-Nachbarin-Spiel war er einen Schritt zu weit gegangen.

„Mal sehen“, antwortete sie.

„Das sagst du immer, Mommy. Bitte?! Cam braucht einen Büchereiausweis, und du liebst Eiscreme!“

„Na gut.“ Meredith seufzte tief. „Jetzt bring Oscar in den Garten. Nimm ihn an die Leine, bevor du die Terrassentür aufmachst.“

Als Sophie triumphierend im Haus verschwand, hob er eine Hand. „Bevor Sie etwas sagen – es tut mir leid. Ich habe die Situation nicht rechtzeitig durchschaut.“

Sie schwieg einige Sekunden lang, um danach zu nicken. „Danke. Ich hätte nämlich nicht ablehnen können, ohne meiner Tochter das Herz zu brechen. Ein Kind zu benutzen, um die Mutter zu einem Date zu bewegen, wäre uncool gewesen.“

Ein Date? Ist das wirklich ein Date?

Sein Verstand sagte ihm, dass es keine gute Idee war, etwas mit einer allein erziehenden Witwe anzufangen, wenn er am Ende des Sommers abreiste.

„Ich wollte Sophie eine Freude machen.“

„Ein Tag mit Büchern und Eiscreme ist für sie ein toller Tag.“

Sie lächelte. „Und für mich auch.“

Cam atmete auf. „Hoffentlich reichen meine Papiere für einen Bibliotheksausweis. Wenn sie mir keinen ausstellen, könnte Sophie in Rage geraten.“

Sie lachte. „Ganz bestimmt sogar. Als ich klein war, gab es Sommerausweise für die Urlauber am See. Und da wir gerade von Touristen reden – warum haben Sie auf das Cottage gestarrt, als ich ankam?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe überlegt, wie es auf Fremde wirkt.“

„Es ist … ungewöhnlich.“

„Das klingt, als wäre das schlimm.“

„Nein, aber wenn Sie es verkaufen wollen …“

Carolina Archambault hatte dieses Cottage geliebt und dafür gekämpft, dass es so wild aussehen durfte, wie es aussah.

„Es wäre ein Abrissobjekt“, fuhr sie fort. „Jemand würde es des Grundstücks wegen kaufen und etwas Neues hinstellen.“

Nein.

Cam war stolz auf seinen Geschäftssinn. Der Expansionskurs seines Familienunternehmens war zum großen Teil ihm zu verdanken. Er wusste, dass Meredith richtiglag mit ihrer Einschätzung.

Aber sie war noch nicht fertig mit ihren Überlegungen. „Und das würde den Wert aller Häuser in der unmittelbaren Umgebung erhöhen!“

„Sie hören sich an wie ein Snob“, entfuhr es ihm.

Ihre Augen weiteten sich. „Oder wie eine Hausbesitzerin, die viel Geld in ihr Eigentum investiert hat und es schützen will.“

„Vielleicht sollten Sie doch den Zaun bauen!“ Bevor sie etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verschwand im Cottage.

Was war los mit ihm? Hatte er zu oft in Carolinas Tagebüchern gelesen? Geschäft war Geschäft, und bei jedem anderen vergleichbaren Objekt hätte er selbst vorgeschlagen, das Häuschen abzureißen. Ohne permanente Hintergrundgeräusche schlafen zu können und auf einen mitternächtlichen Lieferservice zu verzichten, war eine normale Anpassung auf seine neue Umgebung. Aber so sentimental auf einen vernünftigen geschäftlichen Vorschlag zu reagieren, war so gar nicht seine Art. Fast hatte er Angst, in den Spiegel zu schauen.

Eine kurzzeitige Schwäche, mehr nicht. Kakishorts und Hängematten und pinkfarbene Katzenbecher änderten nichts an einer wesentlichen Tatsache – Michael Archambault mochte sein leiblicher Vater sein, aber er, Calvin Anthony Maguire IV, war und blieb ein Maguire.

Am Sonntagmorgen kurz vor acht wurde Meredith von Oscars Bellen geweckt – und von einem Rasenmäher, der sich direkt vor ihrem Fenster zu befinden schien.

Das geht nun aber gar nicht, dachte sie und schaute nach draußen.

Cam schob einen der ältesten Rasenmäher, die sie je gesehen hatte, ohne darauf zu achten, welchen Qualm der ausstieß und welchen höllischen Lärm der zu so früher Stunde von sich gab.

Sie verspürte immer noch Wut auf seine Reaktion auf ihre ehrliche Meinung, dass ein Abriss des Cottages das Grundstück attraktiver machen würde. Und dass der Wert ihres Hauses dadurch steigen würde, war keine bloße Meinung, sondern eine Tatsache, auch wenn sie dies durchaus etwas taktvoller hätte formulieren können.

Und jetzt diese Aktion am frühen Morgen?

Oscar musste nach draußen, also zog sie eine Wolljacke über und nahm den Hund an die Leine.

Sie starrte auf den Rücken ihres Nachbarn und dessen breite Schultern unter dem Shirt, während sie darauf wartete, dass Oscar sein Geschäft erledigte. Plötzlich drehte Cam sich um, und ihre Blicke trafen sich. Sie tat alles, um mit ihrem Gesicht und der Körpersprache auszudrücken, wie verärgert sie über die Ruhestörung war.

Es schien zu gelingen, denn er ließ den Griff los, und der Rasenmäher verstummte stotternd.

„Wissen Sie, wie spät es ist?“, sagte sie.

„Nur, wenn ich nachsehe.“

„Es gibt Vorschriften über so etwas.“

Er verschränkte die Arme. „Tatsächlich?“

Wahrscheinlich gab es in Blackberry Bay solche Vorschriften, aber sie hatte keine Ahnung, was darin stand. „Es gibt neuere Modelle, die weniger Benzin verbrauchen und leiser sind. Es gibt sogar elektrische, die überhaupt keinen Lärm machen.“

„Warum sollte ich Geld für eine neuen Mäher ausgeben, wenn ich diese zuverlässige Schönheit habe?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass jemand mit so einem Wagen sich problemlos einen neuen Rasenmäher leisten kann.“

Seine Lippen zuckten. „Vielleicht kann ich mir einen solchen Wagen leisten, weil ich kein Geld ausgebe, um funktionierende Geräte auszutauschen?“

Ohne einen Kaffee getrunken zu haben, würde sie bei ihm nicht weit kommen. Sie drehte sich um und ging zum Haus. Zum Glück folgte Oscar ihr widerstandslos.

Sie gab ihm eine Leckerei und wollte sich gerade wieder ins Bett legen, als der Rasenmäher knatternd wieder zum Leben erwachte.

Acht Uhr an einem Sonntagmorgen war eindeutig zu früh. Wer um alles in der Welt mähte um diese Zeit den Rasen? Blackberry Bay lebte vom Tourismus, und bestimmt war eine solche Lärmbelästigung verboten.

Sophie kam aus ihrem Zimmer und rieb sich die Augen. „Können wir heute Pfannkuchen machen?“

„Auch dir einen guten Morgen, mein Schatz!“ Meredith nahm sie auf den Schoß. „Ja, wir können heute Herzpfannkuchen machen.“

Autor

Shannon Stacey
Mit ihrem Mann und zwei Söhnen lebt die Bestsellerautorin Shannon Stacey in New England, das für seinen farbenprächtigen Indian Summer bekannt ist, aber auch für sehr kalte Winter. Dann macht sie es sich gerne zu Hause gemütlich. Leider weigern sich Shannons Katzen hartnäckig, auf ihrem Schoß als Wärmflasche zu dienen,...
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