Verführung im Walzertakt

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Diana hat genug von London - den Bällen und den Männern, denen man nicht trauen kann. Um über ihren betrügerischen Exverlobten hinwegzukommen, kehrt sie zurück aufs Land. Sie führt ein ruhiges Leben, bis Brett Farnham, Earl of Coltonby, auftaucht. Gegen ihren Willen weckt der aufregende Londoner Lebemann längst vergessene Sehnsüchte: Wie wunderbar ist es, im Walzertakt herumgewirbelt und verführt zu werden vom Glanz in den Augen des Partners! Doch kaum beginnt Diana, den Glauben an die Liebe zurückzugewinnen, muss sie erkennen: Brett will nur eine Geliebte, keine Gattin..


  • Erscheinungstag 03.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767426
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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September 1813, Tyne Valley, Northumberland

Diana Clare lag ein unerhört hässlicher Fluch auf den Lippen, ein Schimpfwort, von dem niemand annehmen würde, es sei einer unverheirateten Frau wie ihr überhaupt bekannt. Obwohl stark versucht, dem überwältigenden Verlangen lauthals zu fluchen nachzugeben, machte sie ihrem Ärger lediglich durch einen kurzen, kaum hörbaren Ausruf der Verdrossenheit Luft.

Ihre Stute Jester drehte daraufhin den Kopf und warf ihr einen empörten Blick zu. Bekümmert lehnte sich Diana auf der Sitzbank des Gigs zurück, denn insgeheim musste sie Jester recht geben. Sie hatte ihre Wut nicht bezähmt und damit eine ihrer eisernen Regeln gebrochen, die besagte, dass eine Dame niemals so unvernünftig sein durfte, sich von leidenschaftlichen Gefühlen übermannen zu lassen.

Sie holte tief Luft, zählte bis zehn und versuchte, die Situation gelassen zu nehmen, obwohl das Gig sich tief im Matsch festgefahren hatte und das Pochen hinter ihren Schläfen sich zu heftigen Kopfschmerzen auszuwachsen drohte. Als wäre dies nicht bereits schwer genug zu ertragen gewesen, fing Jester nun auch noch an, das süße Wiesengras in aller Seelenruhe büschelweise auszurupfen und schmatzend zu verspeisen.

Sich eine verirrte Locke hinter das Ohr streichend lugte Diana vorsichtig über den Rand des Einspänners. Sie allein trug die Schuld daran, dass der Wagen im Schlamm festsaß, daran ließ sich nichts deuteln. Aber Einsicht und der Wunsch, diese Einsicht zuzugeben, waren zwei verschiedene Paar Schuhe.

Natürlich hätte sie während der Fahrt nicht lesen sollen, obgleich sie das starke Bedürfnis verspürte, den grässlichen Besuch bei Lady Bolt und den dort vereinten schnatternden Klatschbasen aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen. Ungeniert hatten die Damen den Namen einer anderen Frau durch den Schmutz gezogen und damit deren Ruf ruiniert.

Es war ihr daher wie Vorsehung erschienen, dass der letzte Band von „Stolz und Vorurteil“ für sie bereitlag, als sie auf dem Rückweg in der Leihbücherei vorbeischaute. Das Buch bot ihr die Möglichkeit, ihre Gedanken von der schrecklichen Teegesellschaft abzulenken und ihre Ausgeglichenheit wiederzugewinnen. Die ersten beiden Teile hatte sie förmlich verschlungen. Als nun der sehnsüchtig erwartete dritte Band endlich neben ihr auf dem Sitz lag, hatte sie einfach nicht widerstehen können.

Oft hatte sie zu ihrem Bruder im Scherz gesagt, Jester kenne den Weg in- und auswendig, sie fände von ganz allein nach Hause. Die laschen Zügel, dazu das verlockende Gras am Wegesrand, stellten sich indes als zu große Versuchung für die Stute heraus. Unbemerkt von Diana, die in eine weitere Szene zwischen Miss Elizabeth Bennet und Mr. Darcy vertieft war, hatte Jester das Gig geradewegs in das Schlammloch gezogen.

Ihren Strohhut richtend maß Diana mit den Augen die Entfernung zu der Stelle, an der sie festen Boden unter den Füßen haben würde. Es könnte ihr leicht gelingen, das kurze Stück mit einem Sprung zu überwinden, selbstverständlich würdevoll und in damenhafter Weise. Auf das Beste hoffend sprang sie hinunter und landete, nur wenige Schritte vom trockenen Weg entfernt, mit den Stiefeletten mitten im feuchten Schlick.

Diana schnaubte verärgert, denn zu allem Übel rutschte ihr auch noch der Hut vom Kopf und entschwebte in den Matsch. Mit spitzen Fingern hob sie den Strohhut am Band auf.

„Eine Schönheit in Nöten“, hörte sie unvermittelt eine fremde Männerstimme hinter sich, kultiviert klingend, wenn auch ein deutlicher Unterton von Arroganz darin durchschimmerte.

Ihr wurde die Kehle eng, das Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren. Ganz unvermutet hatte sich ihre Situation um ein Vielfaches verschlimmert.

„Von Nöten kann gar keine Rede sein“, erwiderte Diana, ohne sich zu dem Fremden umzudrehen. Wenn sie ihn der Etikette entsprechend behandelte, würde er sie in Ruhe lassen. Nichts Unziemliches würde geschehen, wenn sie sich wie eine Dame benahm. „Mein Gig hat sich festgefahren. Dieses kleine Problem werde ich indes mit Ruhe, Umsicht und Gelassenheit schon lösen.“

Ohne den Mann eines Blickes zu würdigen, hielt Diana, auf einem Bein balancierend, nach einer einigermaßen schlammfreien Stelle Ausschau, auf die sie ihren Fuß setzen konnte. Möglicherweise würde der Fremde sich schneller entfernen, wenn sie ihm keinerlei Beachtung schenkte. Wäre er erst gegangen, würde auch die quälende Beklommenheit verfliegen, die ihr seine Anwesenheit verursachte.

Sie verlagerte ihr Gewicht und geriet dabei ins Taumeln. Die Arme ausstreckend bemühte sie sich, die Balance nicht zu verlieren und sich aufrecht zu halten.

„Wie ich bereits sagte – Sie sind eindeutig in Nöten.“

„Keineswegs. Ich komme gut allein zurecht. Ich muss lediglich ein wenig mehr Obacht walten lassen. Die Situation ist etwas verzwickter, als ich dachte.“ Fest stellte Diana den Fuß auf. Der braune Morast spritzte glucksend hoch, und sie spürte, wie sie langsam auf dem glitschigen Boden ausrutschte. Unwillkürlich entrang sich ein Schrei ihrer Kehle. Verzweifelt mit den Armen rudernd suchte sie zu verhindern, in den Schlamm zu fallen und dabei jegliche Würde und Schicklichkeit zu verlieren.

In letzter Sekunde bekamen ihre Finger etwas zu fassen, an dem sie sich mit aller Kraft festhielt. Als sie nachsah, was es war, stellte sie erschrocken fest, dass sie sich an den Ärmel eines Reisemantels klammerte. Nun war sie gezwungen, zwischen zwei Übeln zu wählen. Entweder konnte sie sich für einen beschämenden Sturz in die morastig braune Pfütze entscheiden oder die Unschicklichkeit in Kauf nehmen, die es bedeutete, sich an den Arm eines fremden Mannes zu hängen. Sie gab der Unschicklichkeit den Vorzug.

„Es wäre eine Schande, Ihr Kleid zu beschmutzen, will ich meinen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schlang er ihr die Hände um die Taille und hob sie hoch. Ihr Busen und ihre Oberschenkel streiften seine breite Brust. Einen Augenblick lang wurde ihr ganz schwindelig, doch sie mahnte sich, nicht in Panik zu geraten. Steif wie ein Stock verharrte sie in seinen Armen, darauf wartend, dass er sie endlich losließ, doch er schien gar nicht daran zu denken. Fest hielt er sie umschlungen.

„Sie können mich jetzt loslassen.“ Schrill klang ihr die eigene Stimme in den Ohren, während sie in seine tiefgrauen Augen blickte. Ein seltsames Gefühl wallte tief in ihrem Inneren auf, nahm mit heimtückischer Langsamkeit von ihr Besitz. Hartnäckig suchte sie es zu unterdrücken. „Bitte.“

„Nachdem Sie mir meine Belohnung gegeben haben.“

„Belohnung?“ Der Tag entwickelte sich rapide zu einem absoluten Albtraum. Gewiss musste dieser Mann, dieser Gentleman, doch sehen, dass sie eine Dame war? Sicherlich würde sie die schon einmal erhaltene Strafe nicht erneut erdulden müssen. „Warum sollte ich Sie belohnen?“

„Weil ich Sie gerettet habe. Meine galante, ritterliche Handlung ist gewiss ein kleines Dankeschön wert.“

Er senkte die Lippen, und sein Mund streifte den ihren, wenn auch nur kurz. Diese flüchtige Berührung reichte indes aus, um das Blut feurig durch ihre Adern pulsieren zu lassen. Erneut hüllte die Panik sie ein. Sie drehte den Kopf zur Seite und trommelte heftig mit den Fäusten gegen seine Brust.

„Lassen Sie mich sofort los!“

„Wenn das Ihr ausdrücklicher Wunsch ist.“

Schwer schluckend versuchte Diana, einen letzten Hauch Würde zu bewahren. Nur so würde sie das Schlimmste verhindern können, denn eine wahrhaft anständige, gebildete, vornehme Dame geriet niemals in Gefahr. „Ja, das ist mein Wunsch.“

„Man soll nicht über mich sagen können, dass ich die Wünsche einer schönen Frau nicht beherzige.“

Unvermittelt ließ ihr Retter sie los, wodurch sie kurzerhand auf das Gras am Wegesrand plumpste. Ihr Rock flog hoch und enthüllte ihre Waden. Hastig richtete Diana ihr Kleid, darauf hoffend, der Mann wäre Gentleman genug, nicht hinzuschauen. Stillschweigend schwor sie, nie wieder Romane zu lesen, wenn sie nur endlich diesem Albtraum entkommen könnte. Alles war allein ihre Schuld. Sie hatte ihre Regeln für damenhaftes Benehmen gebrochen, und dies hier geschah eben mit Frauen, die sich unziemlich benahmen.

Tief holte Diana Luft, um wenigstens ein klein wenig die Fassung wiederzugewinnen. Ihr Unbehagen durfte sie nicht zeigen, denn verriet man in solch einer Situation seine Gefühle, verschlimmerte man seine Lage dadurch bloß. „So unvermutet sollten Sie mich denn doch nicht absetzen.“

„Ich leistete lediglich Ihrem Wunsch Folge. Meine Schöne, Ihr Name ist Unentschlossenheit.“

„Nun, da Sie mich gerettet haben, können Sie gerne gehen.“

Zu ihrem Leidwesen rührten sich seine schwarzen Stiefel indes nicht von der Stelle. Inständig hoffend, sie würde ihm nie wieder in der Nachbarschaft begegnen müssen, schaute sie zu ihrem Retter auf. Der edel geschnittene Mantel betonte breite Schultern, und elegante Wildlederhosen umspannten muskulöse Beine. Ein tadellos gebundenes weißes Krawattentuch mit schwarzen Tupfen bauschte sich um seinen Hals. Dianas Blick verfinsterte sich. Ein solches Halstuch trugen die Mitglieder des bedeutendsten Kutschenklubs des Landes.

Erneut musterte sie sein Gesicht, eine Narbe gewahrend, die von seiner Schläfe bis zur Wange verlief. Ihr wurde bang ums Herz. Vor ihr stand Brett Farnham. Ausgerechnet! Diana schlug die Hände vor die Augen, sich wünschend, ihre Furcht würde verfliegen.

„Betrübt Sie etwas, meine Schöne?“ Der mitfühlende Ton in seiner Stimme lullte sie ein. „Verzeihen Sie, wenn ich Sie gekränkt haben sollte. Ich wollte Ihnen lediglich behilflich sein.“

„Nein, es ist nichts.“ Diana zwang sich zu einem unbekümmerten Lächeln. Sie musste sich hinter dem Schutzschild der Höflichkeit verstecken. Eine Dame war stets höflich. „Was sollte mich auch betrüben? Der heutige Tag ist rundum makellos.“

„Wenn man von der Tatsache absieht, dass sich Ihr Gig in einem Schlammloch festgefahren hat.“ Ein Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht.

„In der Tat.“

Diana widerstand der Versuchung, ihr Gesicht in den Händen zu vergraben. Sie hatte es zugelassen, dass einer der bekanntesten Lebemänner und Frauenhelden des Landes sie hochhob und küsste, ein Mann, der den berüchtigten Jehu Kutschenklub an der Universität von Cambridge gegründet hatte. Er war das Idol ihres verstorbenen Verlobten gewesen und sogar in den Vorfall verwickelt, der ihren Zukünftigen letztendlich das Leben gekostet hatte.

All die Jahre hier auf dem Land hatte sie versucht, die Ereignisse in London aus ihrer Erinnerung zu verbannen. Nun tauchte aus heiterem Himmel Brett Farnham auf, und alles stand ihr wieder so deutlich vor Augen, als sei es erst gestern geschehen. Allerdings durfte sie bei all dem nicht vergessen, dass ihr Schicksal von ihrem Handeln abhing. Wenn sie sich daher fortan an ihre Regeln hielt, konnte sie sich sicher fühlen. Das zumindest hatte sie London gelehrt. „Ich bitte Sie, gehen Sie. Ihre Anwesenheit ist nicht länger vonnöten.“

Er blieb jedoch wie angewurzelt stehen und sah von seiner stattlichen Größe auf sie herab. „Ich bin kein Narr. Ich sehe, es missfällt Ihnen, von mir gerettet worden zu sein.“

„Gewöhnlich wartet ein Gentleman, bis man ihn um Hilfe bittet.“

„Ein Gentleman handelt, wenn er eine Dame in Nöten sieht. Er versucht, sie vor größerem Unheil zu bewahren.“ Sein Blick schweifte über ihren Körper, und Diana war außerordentlich froh, dass sie ihr dunkelbraunes Kleid mit dem hohen Kragen trug. „Es wäre zu schade gewesen, wenn Sie Ihr Kleid mit Schlamm beschmutzt hätten.“

Diana zwang sich, ihre Augen von seinem Gesicht abzuwenden. Das Atmen fiel ihr schwer, erneut zog sich ihre Kehle zusammen. Was er sagte, war nur eine höfliche Plänkelei. Worte, die ihm ein Dutzend Mal jeden Tag über die Lippen kamen. Sie war töricht, wenn sie sich Sorgen machte. Sie würden sich nicht wieder begegnen. London blieb Teil ihrer Vergangenheit. Sie hatte nichts zu befürchten. Hier auf dem Land war ihr der Platz in der Gesellschaft sicher, solange sie die Haltung nicht verlor.

„Danke“, sagte sie ruhig. Höflich. Gelassen. Sie musste jede Andeutung von Emotion verscheuchen und sich so benehmen, als wären sie sich bei einer Teegesellschaft oder einem anderen gesellschaftlichen Anlass begegnet.

„Warten Sie hier. Ich werde Ihr Gig aus dem Schlamm holen.“ Ein Grübchen bildete sich in seiner Wange. „Sie werden sich dafür in angemessener Weise bei mir bedanken können … später.“

„Bemühen Sie sich nicht. Das kann ich durchaus ohne Ihre Hilfe erledigen.“ Sie rappelte sich auf und machte einige Schritte auf die Kutsche zu, doch er trat ihr in den Weg. Durch ein Räuspern versuchte Sie, das plötzliche Flattern in ihrem Bauch zu vertreiben. „Wenn Sie mich bitte vorbeilassen würden. Ich möchte keinesfalls in Ihrer Schuld stehen.“

Er hob eine Augenbraue. „Aha, nach all der Mühe, die ich mir gegeben haben, beabsichtigen Sie nun also, Ihre Stiefeletten zu ruinieren und Ihr … äh … hübsches Kleid gleich dazu. Das kann ich einer Schönheit wie Ihnen unmöglich gestatten.“

„Ich kann mich sehr gut selbst aus dieser misslichen Lage befreien.“ Diana verschränkte die Arme, seinen einschmeichelnden Ton ignorierend. Eine Schönheit, fürwahr. Sie war nicht die hübsche Tochter eines Bauern oder ein Backfisch, den man mit Schmeicheleien leicht beeindrucken konnte. Zweifellos beabsichtigte er, seinen unerhörten Worten Taten folgen zu lassen und ihr einen weiteren Kuss zu rauben. Das nächste Mal indes würde er ihre Lippen nicht nur streifen, sondern sie lang und fordernd küssen. Der Gedanke an die Folgen ließ sie erschauern.

„Nun, mir schien es, Sie würden dabei vom Regen in die schlammige Traufe geraten.“ Er legte eine Hand auf sein Herz und machte ein übertrieben zerknirschtes Gesicht. Zweifellos erwartete er, sie damit zum Schmunzeln bringen zu können. „Niemals könnte ich es zulassen, dass eine Schönheit wie Sie ein solch grausames Schicksal ereilt. Bedenken Sie doch, mein Ruf als Gentleman steht auf dem Spiel.“

„Ich bin wohl kaum ein zartes, unbeholfenes Mäuslein, das nicht weiß, wie man die Zügel handhabt. Ich werde das Gig schon aus dem Schlammloch befreien, wenn es auch eine Weile dauern mag.“

Er räusperte sich, vielsagend den Einspänner betrachtend, dessen Räder halb im Morast versunken waren. Es konnte geraume Zeit dauern, bis sie den Wagen aus der Schlammpfütze befreit hätte, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten, die sie mit Jester haben würde, denn die Stute schien das Gras bis zum letzten Halm vertilgen zu wollen.

„Ich bevorzuge es, wenn meine Straßen von Gefahren frei sind. Zum Glück ist nichts weiter geschehen, wenn es auch hätte schlimmer kommen können. Wäre meine Kutsche bei hoher Geschwindigkeit auf dieses unerwartete Hindernis getroffen, hätte es einen schweren Unfall geben können.“

„Das hier ist eine öffentliche Straße.“ Diana reckte ihr Kinn. Seine Straße, von wegen. Solch ein arroganter Mensch. Er kümmerte sich ausschließlich um sein eigenes Vergnügen und Wohlbefinden. Ihr Herz klopfte nicht mehr gar so wild. Sie hatte die Fassung wiedergewonnen. Brett Farnham und seinesgleichen konnten ihr nichts mehr anhaben. Gegen den Charme solcher Männer war sie nun immun, denn sie wusste, welche Gefahr sie darstellten.

„Ich jedenfalls bin noch niemals in ein Schlammloch gefahren, weder absichtlich noch unabsichtlich.“

„Glauben Sie etwa, ich wollte vorsätzlich in diese Lage geraten?“

„Da ich Ihre Gedanken nicht lesen kann, weiß ich auch nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht. In der Kunst der Hellseherei bin ich leider nicht sehr talentiert. Im Umgang mit Pferden indes schon.“ Innerhalb eines Augenblicks war Brett Farnham um das Gig herumgetreten und hatte Jester mit einigen geflüsterten Worten wieder auf die Straße gelotst.

Gleich darauf gab der Morast das Gig mit schmatzendem Geräusch frei. Diana musste widerwillig zugeben, dass Mr. Farnham dieses Problem weitaus zügiger gelöst hatte, als sie jemals dazu imstande gewesen wäre. Außer einigen Schlammspritzern auf seinen glänzenden Hessenstiefeln hatte er keinen Flecken abbekommen.

„Vielen Dank, das war äußerst geschickt von Ihnen.“

„Steigen Sie ein, dann können wir losfahren.“ Er deutete auf den Wagen. „Ich werde die Zügel übernehmen.“

„Wie bitte? Sie wollen fahren?“ Wie erstickt kamen die Worte aus ihrer Kehle, und plötzlich wurde sie sich der verlassenen Straße bewusst. Kein Haus befand sich in der Nähe. Sie war allein mit diesem Mann, ihm schutzlos ausgeliefert. „Ich werde nirgendwo mit Ihnen hinfahren.“

„Ich werde Sie nach Hause bringen. Immerhin sind Sie in ein Schlammloch gefahren. Da könnte leicht noch Schlimmeres geschehen.“

„Meine Fähigkeit, eine Kutsche zu lenken, ist bislang niemals infrage gestellt worden.“

Er verzog die Lippen und bedachte sie mit einem zweifelnden Blick. „Unsere Vorstellungen von Fähigkeit gehen da wohl etwas auseinander, fürchte ich. Ihr Pferd ist ein friedliches, gutmütiges Tier. Es kann leicht geführt werden.“

„Es ist nicht so, wie Sie denken. Mit Jester komme ich gut zurecht.“

„Ach, Sie wissen, was ich denke? Also ist die Hellseherei eine Ihrer Begabungen. Wie wundervoll.“ Seine Blicke durchbohrten sie förmlich. „Irgendwann einmal müssen Sie mir das Geheimnis der Gedankenleserei verraten. Im Moment gebe ich mich allerdings mit einer Erklärung zufrieden.“

„Ich habe nicht auf die Straße geachtet.“ Diana senkte den Kopf. Die Hitze schoss ihr in die Wangen. „Ich habe … gelesen.“

„Aha. Im Gig liegt kein Buch.“

„Aber es muss dort liegen“, rief Diana entsetzt. „Es ist der letzte Band von ‚Stolz und Vorurteil‘. Ich habe es auf den Sitz gelegt, bevor ich hinuntersprang. Es ist so gut geschrieben, dass ich einfach wissen musste, wie es weitergeht.“

„Ich stimme Ihnen zu. ‚Stolz und Vorurteil‘ ist außerordentlich gut geschrieben.“

„Ich nahm an, die Mitglieder des Jehuklubs messen Lesen und Bildung keinerlei Bedeutung bei, Mr. Farnham.“

„Woher wissen Sie von meiner Verbindung zum Jehuklub?“ Sein Blick wurde unvermittelt kalt wie Eis.

„Mein Verlobter war einer Ihrer Bewunderer.“ Diana schluckte. „Er hieß Algernon Finc.“

Er zog die Augenbrauen zusammen, dann schüttelte er den Kopf. „Dieser Name sagt mir nichts.“

„Er war jünger als Sie, aber er besuchte ebenfalls die Universität in Cambridge. Er sprach immer in höchsten Tönen von den Heldentaten der Mitglieder des Jehuklubs.“ Diana ballte die Hand zur Faust. Der Mann, der Algernons Torheiten noch gefördert und damit schließlich auch zu seinem Tod beigetragen hatte, leugnete nun jegliche Erinnerung an ihn. „Er hat uns einander vor fünf Jahren sogar vorgestellt.“

„Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Ich bedaure, dass dieser Anlass meinem Gedächtnis entfallen ist“, antwortete er zögernd.

Wohlige Zufriedenheit überflutete Diana. Es war unter ihrer Würde, dennoch genoss sie seine unvermittelte Unsicherheit.

„Ich freue mich darauf, unsere Bekanntschaft zu erneuern.“

„Er verstarb vor fünf Jahren, Mr. Farnham.“

„Mein Beileid. Manche Menschen neigen indes gelegentlich dazu, die Tiefe einer Bekanntschaft zu übertreiben.“ Er zuckte leicht mit seinen breiten Schultern, wieder einmal durch und durch der blasierte Gentleman. „Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie hören. Bedenken Sie dies beim nächsten Mal. Der Jehuklub hat sich schon vor Jahren aufgelöst. Außerdem redet man mich nicht länger mit Mr. Farnham an, da ich bereits seit sechs Monaten der sechste Earl of Coltonby bin.“

„Da habe ich wohl einen Irrtum begangen, Mylord.“ Diana neigte leicht den Kopf. „Ich bedaure Ihren Verlust. Indes verleiht ein Titel nicht das Recht, jede Frau nach Gutdünken zu verführen.“

Ein Grübchen zeigte sich in seinem Mundwinkel. „Zum Glück hegte ich keinen solchen Plan.“

„Ich bin erleichtert, dies zu hören.“

Er ließ den Blick langsam über ihren Körper schweifen, verweilte auf ihren Kurven. Diana brachte sich selbst in Erinnerung, dass sie ein einfaches Kleid trug, nichts, das ihrer Figur zu sehr schmeichelte. Für Besuche in der Nachbarschaft war es angemessen, aber in einer Stadt wie Newcastle, ganz zu schweigen in den Lichtern von London, würde es unelegant und unmodisch anmuten. Sie wirkte darin sittsam, bescheiden, unauffällig.

Er umschloss ihre Finger, nahm sie gefangen und hielt sie fest, bevor er ihre Hand an seine Lippen zog, sie dabei unverwandt ansehend. „Sie werden Fahrstunden nehmen. Darauf bestehe ich. Die öffentliche Sicherheit verlangt diese Maßnahme.“

„Die Öffentlichkeit verlangt dies durchaus nicht.“ Diana entzog ihm ihre Hand, ihren zittrigen Fingern keine Beachtung schenkend. „Ich bezweifle, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen.“

Brett Farnham bedachte sie mit einem ungläubigen Blick. Diese Unterhaltung verlief ganz und gar nicht in der Richtung, die er einzuschlagen gedacht hatte, nachdem er einen flüchtigen Blick auf ihre wohlgeformten Waden hatte werfen können. „Ich versichere Ihnen, die Klatschgeschichten über mich sind weit übertrieben.“

„Selbst wenn dem so wäre, würde meine Antwort nicht anders lauten. Außerdem ist London Ihr angestammter Aufenthaltsort. Ihr Besuch hier wird nur von kurzer Dauer sein.“

Als die Schönheit ihre vollen rosigen Lippen fest aufeinanderpresste, fragte sich Brett, wie es wohl wäre, sie erneut zu schmecken. Doch dies würde er nicht riskieren, bevor er nicht wusste, ob sie frei war. Immerhin behauptete sie, sie seien miteinander bekannt. Daher wäre er ein Narr, sich ihr ohne genauere Kenntnis ihrer Vorgeschichte, ihres Familienstandes zu nähern. Brett rühmte sich seines Scharfblicks. Er würde niemals mit einer Frau liebäugeln, die berechtigterweise eine Ehe im Sinn haben könnte. Frauen, die das Spiel verstanden, das er spielte, zog er bei Weitem vor.

„Mein Aufenthalt hier könnte länger dauern, als Sie annehmen“, sagte er, insgeheim hoffend, sie gehöre nicht zu den Frauen, denen er nicht nachstellen durfte, sondern zu denen, die er reinen Gewissens umgarnen konnte. „Ich habe kürzlich ein höchst begehrenswertes Anwesen in Northumberland gewonnen.“

„Ach, tatsächlich?“ Ihre blaugrünen Augen blitzten kalt, und sie zog die Augenbrauen hoch. „Es scheint mir, Sie spielen um hohe Einsätze. Um viel zu hohe Einsätze.“

„Cuthbert Biddlestone hatte dem Portwein zu sehr zugesprochen und forderte mich zu einem Rennen heraus. Das konnte ich einfach nicht ablehnen. Er stand bei mir in der Schuld, verstehen Sie. Wir spielten um doppelt oder nichts. Nun bin ich der rechtmäßige Eigentümer von Ladywell Park.“

„Sie haben sich mit einem Mann, der bekanntermaßen ein Trunkenbold ist, ein Rennen geliefert? Welch große Herausforderung.“

Brett entfernte ein Staubkorn von seinem Reisemantel. „Er hat darauf bestanden. Ich warnte ihn zwar noch, allerdings wollte er mir keinen Glauben schenken. Ich mache die Menschen stets nachdrücklich auf die möglichen Konsequenzen aufmerksam.“

„Haben Sie vor, das Anwesen zu behalten, oder werden Sie es in einem weiteren Rennen erneut aufs Spiel setzen?“

„Ich trinke nie zu viel. Was ich habe, behalte ich auch, Miss …“ Brett streckte seine Hand aus, um ihre Finger erneut zu umschließen.

Lächelnd gelang es ihr, ihm auszuweichen. „Durch solche Listen werden Sie meinen Namen nicht erfahren.“

„Sie behaupteten vorhin, wir seien miteinander bekannt.“

„Sie haben dies abgestritten.“

„Vielleicht war ich ein wenig voreilig.“ Brett verlieh seiner Stimme einen heiseren Klang. „Erhellen Sie mich, oh Schönheit des Wegesrandes, damit ich Sie angemessen verehren kann.“

„Ich ziehe es vor, zu warten, bis man uns den gesellschaftlichen Regeln entsprechend erneut einander vorgestellt hat“, erwiderte sie, das Kinn reckend. Ihre Augen blickten frostig und erinnerten an blaue Gletscher. „Falls Sie Ladywell Park tatsächlich gewonnen haben sollten.“

Insgeheim musste Brett lächeln. Sie gehörte also zur ansässigen feinen Gesellschaft. Und sie war höchstwahrscheinlich unverheiratet, da sie die Anrede „Miss“ nicht berichtigt hatte. Aufgrund ihres einfachen Kleides hatte er zunächst angenommen, sie sei eine Bauerntochter, und nicht angenommen, sie könne in denselben Kreisen verkehren wie er. Angesichts ihrer kultivierten Stimme und ihrer gebildeten Konversation musste er sich nun jedoch eingestehen, dass diese Vermutung nicht von der Hand zu weisen war. Eine ärgerliche, wenn auch unumstößliche Tatsache. Und wenn sie nun doch verheiratet war? Oder gar verwitwet, was ihm noch besser gefiele. Brett lächelte. Es bestanden einige Möglichkeiten. Er würde sein Glück versuchen.

„Da ist Ihr Buch ja, es ist in den Morast gefallen.“ Brett bückte sich und hob das schlammverspritzte Werk auf.

Sie streckte die Hand danach aus. „Vielen Dank.“

„Es könnte Sie erneut ablenken, das kann ich nicht zulassen.“ Brett hielt den Band hinter den Rücken. „Wenn Sie mir Ihren Namen verraten, werde ich es Ihnen überbringen.“

„Hören Sie auf, solche Spielchen zu treiben. Verhalten Sie sich, wie es die Schicklichkeit verlangt, und geben Sie mir unverzüglich mein Buch zurück!“ In ihre Wangen schoss eine tiefe Röte.

„Ich ziehe Unschicklichkeit bei Weitem vor.“ Ihr empörter Gesichtsausdruck entlockte ihm ein amüsiertes Schmunzeln.

„Bitte geben Sie mir nun mein Buch zurück, Lord Coltonby. Ich bin hier lange genug aufgehalten worden.“

Brett sah geflissentlich über ihre ausgestreckte Hand hinweg. „Ich hege keineswegs die Absicht, es länger zu behalten als nötig, doch im Augenblick glaube ich, nimmt es ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch.“ Sprachlos öffnete Diana den Mund, während Brett sich verbeugte. „Ich stehe zu Ihren Diensten, Madam, und blicke voller Vorfreude unserer nächsten Begegnung entgegen.“

Ohne ihm eine Antwort zu gönnen, stieg sie in das Gig und ließ Jester loslaufen. Brett schaute ihr nach. Sie würde einen Vorwand finden, um zu ihm zu kommen. Es war nur eine Frage der Zeit.

2. KAPITEL
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„Unverschämt, überheblich, unerträglich!“ Ihrem Ärger endlich Luft machend warf Diana ihre Handschuhe auf den Frisiertisch. Es war durchaus statthaft für eine Dame, leidenschaftliche Gefühle zu zeigen, wenn sie sich allein in ihren Räumlichkeiten aufhielt.

Lord Coltonby nahm allen Ernstes an, sie würde ihn aufsuchen! Schlimmer noch, er besaß einen ebensolch unheilvollen, gefährlichen Charme wie Algernon. Indes hatte sie ihre Lektion über die Vergänglichkeit solcher Dinge gelernt. Ihre Verhaltensregeln verhinderten seitdem, dass sie erneut in Gefahr geriet. Mit tiefen, gleichmäßigen Atemzügen versuchte Diana, sich zu beruhigen.

„Von wem sprechen Sie, Miss?“, fragte ihre Zofe Rose, die gerade einen losen Saum befestigte. Ich hätte die Welt längst nur noch schwarz in schwarz gesehen, dachte Diana, würde Rose nicht mein Leben mit ihrer pragmatischen Art und ihrem Sinn für Humor erhellen. „Was hat der gnädige Herr Ihnen nun wieder aufgetragen? Nach dem Frühstück waren Sie verstimmt über ihn. Ich konnte es daran erkennen, dass Sie die Lippen fest zusammenpressten, als er Sie anwies, Lady Bolt zu besuchen. Es ist mir ein Rätsel, warum er ein Interesse für ihre Tochter, Miss Miranda, hegt. Diese Frau ist eine Plage. Sie sieht in jeder kleinen Erkältung gleich eine Lungenentzündung und fällt bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Ohnmacht.“

„Es sind keineswegs die Reize von Miss Miranda, die meinen Bruder derart fesseln. Vielmehr reizt ihn die Möglichkeit, Sir Norman Bolts Landesteg am Tyne nutzen zu können, sollte sie seinen Antrag annehmen. Bei Simon dreht sich immer alles bloß ums Geschäft.“ Auflachend betrachtete Diana voller Zuneigung ihre Zofe. „Mir ist allerdings ein noch viel aufreibender Mensch begegnet als mein Bruder, ein waschechter Lebemann namens Brett Farnham, sechster Earl of Coltonby. Er glaubt, er brauche nur mit den Fingern zu schnippen, schon liegen ihm sämtliche Frauen zu Füßen.“

„Ist es denn so?“ Schmunzelnd legte Rose ihre Näharbeit in den Schoß. „Ich habe mir oft gewünscht, einem solchen Mann zu begegnen, nur um zu sehen, ob jemand tatsächlich eine solch große Anziehungskraft ausüben kann. Wie war er denn so, Ihr geheimnisvoller Lebemann?“

„Er ist nicht ‚mein‘ Lebemann. Noch ehe mein Gig außer Sichtweite verschwand, wird er mich vergessen haben. Spätestens aber dann, wenn er den nächsten Rock erblickt.“

„Sie urteilen zu hart über sich.“

Mit leichtem Schulterzucken schaute Diana in den großen Spiegel, der über dem Kamin hing. Sie fand, sie sah recht durchschnittlich aus: schwarzes Haar, einigermaßen hübsche Augen, ein üppig geschwungener Mund. Indes war sie Algernon Finc nicht aufgrund Ihres Aussehens aufgefallen. Allein die Größe ihres Vermögens hatte ihn angezogen. Geblendet von seinem entschlossenen Werben und seinem ungezwungenen Benehmen war ihr nie der Gedanke gekommen, seine Worte infrage zu stellen. Dies tat sie erst, als es bereits zu spät war, viel zu spät.

„Vor fünf Jahren sprach ganz London von Brett Farnhams Glück im Spiel, seinen Kutschfahrkünsten und seinem Erfolg bei den Frauen. Doch nur weil andere Frauen ihn vergöttern, ist das noch lange kein Grund anzunehmen, ich täte es ihnen gleich. Ich bin kein Backfisch mehr, der bereitwillig jede Lüge glaubt, die einem Mann über die Lippen kommt, ganz besonders nicht, wenn dieser Mann weltmännisch und charmant erscheint. Solche Männer machten mir in London den Hof, allerdings nicht, weil sie von meinem Aussehen oder meinem Wesen eingenommen waren, allein mein Vermögen zog sie an.“

Rose schüttelte so heftig den Kopf, dass die Bänder ihrer Haube flatterten. „Sie sollten nicht alle Männer über einen Kamm scheren. Hören Sie auf, sich wie eine alte, unansehnliche Jungfer zu gebärden, die keiner haben will. Verbannen Sie endlich Ihre Haube, und genießen Sie das Leben. So, nun habe ich gesagt, was mir schon seit einer geraumen Weile auf der Zunge lag, Miss Diana.“

Die Zofe legte ihre Näharbeit zur Seite. „Sie sollten sich eines dieser Damenmagazine besorgen, um sich über die neueste Mode zu informieren. Ich könnte leicht Ihre Londoner Roben ändern.“

Diana verneinte dies stumm. Längst zählte sie nicht mehr, wie viele ihrer Regeln sie an diesem Tag bereits gebrochen hatte. Doch Kleider zu tragen, die sie so gut wie unsichtbar machten, war unerlässlich für sie, denn es diente ihr als stete Ermahnung an das, was geschehen konnte, wenn man sich eine Blöße gab und sich als zu vertrauensselig erwies. „Meine Kleider gehören zu dem Leben, das ich mir gewählt habe.“

„Es ist jammerschade, all die schönen Seidengewänder nicht zu tragen.“

„Sie bleiben dort, wo sie sind – auf dem Dachboden.“

„Sie trauern schon zu lange um Ihren Verlobten, Miss Diana. Das erwartet niemand von Ihnen. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, in welcher Weise ihn der Tod ereilte.“

Diana erstarrte. Wie sollte sie erklären, dass sie jeden Abend Gott auf Knien dafür dankte, ihrem Verlobten noch einmal entronnen zu sein? Dass sie niemals wieder in eine solche Falle tappen wollte? Es gab Dinge in ihrer Vergangenheit, von denen selbst Rose nichts ahnte. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Stapel Briefe auf der Frisierkommode zu. „Die Post ist bereits gekommen. Das hättest du mir sagen sollen.“

Rose verzog lediglich den Mund, ein Zeichen, dass sie sich von der plötzlichen Begeisterung ihrer Herrin für Briefe nicht beeindrucken ließ. „Es ist ein Schreiben von Mr. Allen darunter.“

„Was hat Robert nun wieder angestellt? Das Schuljahr hat erst vor einer Woche begonnen.“ Diana öffnete das Schreiben des Schuldirektors. „Simon wird wütend werden.“

„Es wäre besser, wenn …“

Der Knall einer auffliegenden Tür ließ Rose verstummen. Das Geräusch hallte durch das ganze Haus. Ihrer Zofe einen erschrockenen Blick zuwerfend eilte Diana aus dem Zimmer.

„Er hat es tatsächlich geschafft! Er hat alles verloren. Bei einem Rennen!“

„Wer hat was geschafft, Simon?“ Diana schaute in das vor Wut verzerrte Gesicht ihres Bruders, der durch die Eingangshalle stürmte. „Du wirst noch krank werden, wenn du dich weiterhin so aufregst. So fasse dich doch.“

Simon schaute sie entrüstet an.

„Cuthbert Biddlestone hat sein Vermögen bei einem Kutschenrennen verwettet.“ Er reichte dem Butler seinen Stock und den Zylinder. „Er hat sein Anwesen in Northumberland verloren, alles, was nicht zum Erbgut zählt.“ Simon Clare schüttelte den Kopf, seine dunkelgrünen Augen blitzen wie Smaragde. „Sein gesamtes Vermögen hat er aufs Spiel gesetzt, weil er glaubte, die Zügel besser handhaben zu können als einer der besten Reiter des Landes! Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste.“

Diana bemühte sich um ein Lächeln, doch die Miene ihres Bruders wurde daraufhin noch finsterer. „Du hast derlei immer prophezeit. Wie nanntest du Sir Cuthbert doch gleich – einen einfältigen Fatzke?“

„Er ist ein Narr. In seinem Brief gibt er mir die Schuld an seinem Verlust und behauptet, er hätte nur deshalb gewettet, weil er den Gewinn in die Zugmaschine investieren wollte.“

„Das ist völliger Unfug!“

„Aber es sieht Biddlestone ähnlich. Er hat mir nicht zugehört. Ich bat ihn lediglich darum, eine kleinere Summe für die Entwicklung meiner neuen Zugmaschine zu erübrigen. Aus den Erträgen hätte er sein neues Herrenhaus im italienischen Stil bauen können, von dem er immerzu schwafelte. Ich war sogar bereit, ihm das Stück Land am Tyne zu einem spottbilligen Preis zu überlassen. Du weißt, welches ich meine. Das, auf dem der alte Holzschienenweg verläuft.“ Simon lockerte mit dem Finger seinen Kragen.

„Aber was hat das alles mit dem neuen Eigentümer zu tun?“

„Er will das Land. Er behauptet, Biddlestone hätte mit mir bereits eine Vereinbarung darüber getroffen. Nur der Himmel weiß, was er dann mit Sir Norman Bolt aushandeln wird. Bolt ist schon seit Jahren hinter diesem Stück Land her. Einzig seine Abneigung gegenüber Sir Norman zeugte davon, dass Biddlestone überhaupt einen Funken Verstand besaß. Ist es da ein Wunder, wenn ich nun wütend bin?“

Simon verzog die Lippen. „Dieser verflixte Earl of Coltonby verlangt, dass ich nach seiner Pfeife tanze. Diese Aristokraten sind doch alle gleich.“

„Mir ist Lord Coltonby bekannt“, sagte Diana ruhig. „Er war bei Algernons Duell Sekundant … für den Gegner. Das stand in Algernons letztem Brief. Brett Farnham …“

Diana schluckte und wollte bereits ansetzen, von ihrer heutigen Begegnung mit Lord Coltonby zu berichten, da fiel Simon ihr ins Wort.

„Bei allen Heiligen! Brett Farnham …“ Er schnaubte verächtlich. „Mir war nicht bewusst, dass dein Verlobter mit ihm bekannt war. Hätte ich davon geahnt, hätte ich nie auf Jayne gehört und mich mit der Verbindung einverstanden erklärt.“

„Du wolltest nie viel über Algernon wissen“, erwiderte Diana vorsichtig. Sie weigerte sich, schlecht von den Toten zu sprechen, weder von Algernon noch von Simons verstorbener Frau Jayne. „Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest Erkundigungen über ihn eingeholt. Woher kennst du Brett Farnham?“

„Farnham besuchte die Universität von Cambridge zur selben Zeit wie ich. In dem für ihn üblichen affektierten Ton und aalglatten Benehmen drohte er, mich in den Fluss zu werfen, weil ich einen Gehrock trug, der nicht seinem Geschmack entsprach.“

„Das war bestimmt nur ein Scherz. Ein schlechter Scherz zwar, dennoch gewiss nicht ernst gemeint.“

„Oh doch. Er machte seine Drohung wahr. Das Wasser war eiskalt, trotzdem gelang es mir, auf die andere Seite zu schwimmen, während er und seine Anhänger mich vom Ufer aus verhöhnten.“ Simon ballte die Hände zu Fäusten. „Der Mann ist von Grund auf verdorben, Diana. Er prahlte mit seinem überragenden Können im Spiel, protzte damit, wie meisterlich er Kutschen zu lenken verstünde. Reihenweise gingen die Frauen in seinen Gemächern ein und aus. Er und seinesgleichen sind einer der Gründe, warum ich Cambridge gehasst habe.“

Simon schlug mit der Hand so fest auf den Kaminsims, dass die Schäferin aus Dresdner Porzellan ins Schwanken geriet. „Ich hätte auf einer formellen schriftlichen Vereinbarung wegen des Grundstücks bestehen sollen, aber Sir Cuthbert druckste herum und meinte, wir seien doch Ehrenmänner. Er ein Ehrenmann! Da lachen ja die Hühner! Er hat seinen gesamten Besitz auf ein blödsinniges Pferderennen verwettet. Wie kann man das ehrenhaft nennen?“

„Er kommt eben nicht nach seinem Vater. Außerdem gelten in Adelskreisen nun einmal andere Regeln. Schulden gegenüber einem anderen Edelmann sind Ehrenschulden und werden daher immer beglichen.“

Simon winkte ungeduldig ab. „Ja, während man die Rechnungen seines Schneiders getrost vernachlässigen darf. Du brauchst mich nicht zu belehren, Diana. Uns beiden ist bekannt, wie sich diese hochwohlgeborenen Gentlemen gebärden. Und Coltonby ist der Schlimmste von allen. Gedenke meiner Worte. Er hat irgendeine Teufelei im Sinn.“

„Das kannst du nicht wissen.“ Diana legte eine Hand auf den Arm ihres Bruders. „Du wirst einen Geldgeber für deine Zugmaschine finden. Vielleicht hegt Lord Coltonby Begeisterung für all diese neuen Maschinen und sieht ebenfalls, welch große Möglichkeiten Dampf und Eisen bergen. Frage ihn. Möglicherweise will er ja investieren.“

Autor

Michelle Styles
<p>Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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Michelle Styles
<p>Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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