Verführung wider Willen

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VERFÜHRUNG IM WALZERTAKT?

Diana hat genug von London - den Bällen und den Männern, denen man nicht trauen kann. Um über ihren betrügerischen Exverlobten hinwegzukommen, kehrt sie zurück aufs Land. Sie führt ein ruhiges Leben, bis Brett Farnham, Earl of Coltonby, auftaucht. Gegen ihren Willen weckt der aufregende Londoner Lebemann längst vergessene Sehnsüchte: Wie wunderbar ist es, im Walzertakt herumgewirbelt und verführt zu werden vom Glanz in den Augen des Partners! Doch kaum beginnt Diana, den Glauben an die Liebe zurückzugewinnen, muss sie erkennen: Brett will nur eine Geliebte, keine Gattin …

VERRAT UND VERFÜHRUNG

England, 1708: Können diese klaren blauen Augen lügen? fragt sich Lord Simon Rockley, während er auf dem Ball wie gebannt die schöne Christina Atherton beobachtet. Eine geheime Mission hat ihn nach Oakbridge Hall, den Landsitz der Athertons, gebracht: Er ist dem gefährlichen Straßenräuber Buckley auf der Spur, den er in den Geheimgängen unter dem Schloss vermutet. Ihn zu überführen lautet der Auftrag des adligen Geheimagenten. Und bestimmt nicht, Christina zu einer leidenschaftlichen Nacht zu verführen! Doch genau das ist es, was Simon macht. Ohne zu wissen, ob seine hinreißende Geliebte eine Verräterin ist …

ITALIENISCHE VERFÜHRUNG

Eigentlich sollte sie an der Seite ihrer Gouvernante die Schönheiten Roms kennenlernen. Doch als die junge Britin Lady Diana den heißblütigen Antonio trifft, sind ihr die kulturellen Schätze Italiens auf einmal ganz egal. Seine Küsse rauben ihr den Atem, und sie verliebt sich Hals über Kopf in den charmanten Mann. Nur ist Antonio nicht der, der er vorgibt zu sein. Allein wegen einer schändlichen Wette hat er versucht, Diana zu verführen - und dabei sein Herz an sie verloren. Mehr als alles andere auf der Welt begehrt er die bildhübsche Lady zur Frau. Aber dann stößt er auf ein Geheimnis, das ihn zweifeln lässt …


  • Erscheinungstag 22.04.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787837
  • Seitenanzahl 736
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Styles, Helen Dickson, Miranda Jarrett

Verführung wider Willen

Michelle Styles

Verführung im Walzertakt?

IMPRESSUM

MYLADY erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Michelle Styles
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MYLADY
Band 521 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Corinna Wieja

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-196-3

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL
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September 1813, Tyne Valley, Northumberland

Diana Clare lag ein unerhört hässlicher Fluch auf den Lippen, ein Schimpfwort, von dem niemand annehmen würde, es sei einer unverheirateten Frau wie ihr überhaupt bekannt. Obwohl stark versucht, dem überwältigenden Verlangen lauthals zu fluchen nachzugeben, machte sie ihrem Ärger lediglich durch einen kurzen, kaum hörbaren Ausruf der Verdrossenheit Luft.

Ihre Stute Jester drehte daraufhin den Kopf und warf ihr einen empörten Blick zu. Bekümmert lehnte sich Diana auf der Sitzbank des Gigs zurück, denn insgeheim musste sie Jester recht geben. Sie hatte ihre Wut nicht bezähmt und damit eine ihrer eisernen Regeln gebrochen, die besagte, dass eine Dame niemals so unvernünftig sein durfte, sich von leidenschaftlichen Gefühlen übermannen zu lassen.

Sie holte tief Luft, zählte bis zehn und versuchte, die Situation gelassen zu nehmen, obwohl das Gig sich tief im Matsch festgefahren hatte und das Pochen hinter ihren Schläfen sich zu heftigen Kopfschmerzen auszuwachsen drohte. Als wäre dies nicht bereits schwer genug zu ertragen gewesen, fing Jester nun auch noch an, das süße Wiesengras in aller Seelenruhe büschelweise auszurupfen und schmatzend zu verspeisen.

Sich eine verirrte Locke hinter das Ohr streichend lugte Diana vorsichtig über den Rand des Einspänners. Sie allein trug die Schuld daran, dass der Wagen im Schlamm festsaß, daran ließ sich nichts deuteln. Aber Einsicht und der Wunsch, diese Einsicht zuzugeben, waren zwei verschiedene Paar Schuhe.

Natürlich hätte sie während der Fahrt nicht lesen sollen, obgleich sie das starke Bedürfnis verspürte, den grässlichen Besuch bei Lady Bolt und den dort vereinten schnatternden Klatschbasen aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen. Ungeniert hatten die Damen den Namen einer anderen Frau durch den Schmutz gezogen und damit deren Ruf ruiniert.

Es war ihr daher wie Vorsehung erschienen, dass der letzte Band von „Stolz und Vorurteil“ für sie bereitlag, als sie auf dem Rückweg in der Leihbücherei vorbeischaute. Das Buch bot ihr die Möglichkeit, ihre Gedanken von der schrecklichen Teegesellschaft abzulenken und ihre Ausgeglichenheit wiederzugewinnen. Die ersten beiden Teile hatte sie förmlich verschlungen. Als nun der sehnsüchtig erwartete dritte Band endlich neben ihr auf dem Sitz lag, hatte sie einfach nicht widerstehen können.

Oft hatte sie zu ihrem Bruder im Scherz gesagt, Jester kenne den Weg in- und auswendig, sie fände von ganz allein nach Hause. Die laschen Zügel, dazu das verlockende Gras am Wegesrand, stellten sich indes als zu große Versuchung für die Stute heraus. Unbemerkt von Diana, die in eine weitere Szene zwischen Miss Elizabeth Bennet und Mr. Darcy vertieft war, hatte Jester das Gig geradewegs in das Schlammloch gezogen.

Ihren Strohhut richtend maß Diana mit den Augen die Entfernung zu der Stelle, an der sie festen Boden unter den Füßen haben würde. Es könnte ihr leicht gelingen, das kurze Stück mit einem Sprung zu überwinden, selbstverständlich würdevoll und in damenhafter Weise. Auf das Beste hoffend sprang sie hinunter und landete, nur wenige Schritte vom trockenen Weg entfernt, mit den Stiefeletten mitten im feuchten Schlick.

Diana schnaubte verärgert, denn zu allem Übel rutschte ihr auch noch der Hut vom Kopf und entschwebte in den Matsch. Mit spitzen Fingern hob sie den Strohhut am Band auf.

„Eine Schönheit in Nöten“, hörte sie unvermittelt eine fremde Männerstimme hinter sich, kultiviert klingend, wenn auch ein deutlicher Unterton von Arroganz darin durchschimmerte.

Ihr wurde die Kehle eng, das Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren. Ganz unvermutet hatte sich ihre Situation um ein Vielfaches verschlimmert.

„Von Nöten kann gar keine Rede sein“, erwiderte Diana, ohne sich zu dem Fremden umzudrehen. Wenn sie ihn der Etikette entsprechend behandelte, würde er sie in Ruhe lassen. Nichts Unziemliches würde geschehen, wenn sie sich wie eine Dame benahm. „Mein Gig hat sich festgefahren. Dieses kleine Problem werde ich indes mit Ruhe, Umsicht und Gelassenheit schon lösen.“

Ohne den Mann eines Blickes zu würdigen, hielt Diana, auf einem Bein balancierend, nach einer einigermaßen schlammfreien Stelle Ausschau, auf die sie ihren Fuß setzen konnte. Möglicherweise würde der Fremde sich schneller entfernen, wenn sie ihm keinerlei Beachtung schenkte. Wäre er erst gegangen, würde auch die quälende Beklommenheit verfliegen, die ihr seine Anwesenheit verursachte.

Sie verlagerte ihr Gewicht und geriet dabei ins Taumeln. Die Arme ausstreckend bemühte sie sich, die Balance nicht zu verlieren und sich aufrecht zu halten.

„Wie ich bereits sagte – Sie sind eindeutig in Nöten.“

„Keineswegs. Ich komme gut allein zurecht. Ich muss lediglich ein wenig mehr Obacht walten lassen. Die Situation ist etwas verzwickter, als ich dachte.“ Fest stellte Diana den Fuß auf. Der braune Morast spritzte glucksend hoch, und sie spürte, wie sie langsam auf dem glitschigen Boden ausrutschte. Unwillkürlich entrang sich ein Schrei ihrer Kehle. Verzweifelt mit den Armen rudernd suchte sie zu verhindern, in den Schlamm zu fallen und dabei jegliche Würde und Schicklichkeit zu verlieren.

In letzter Sekunde bekamen ihre Finger etwas zu fassen, an dem sie sich mit aller Kraft festhielt. Als sie nachsah, was es war, stellte sie erschrocken fest, dass sie sich an den Ärmel eines Reisemantels klammerte. Nun war sie gezwungen, zwischen zwei Übeln zu wählen. Entweder konnte sie sich für einen beschämenden Sturz in die morastig braune Pfütze entscheiden oder die Unschicklichkeit in Kauf nehmen, die es bedeutete, sich an den Arm eines fremden Mannes zu hängen. Sie gab der Unschicklichkeit den Vorzug.

„Es wäre eine Schande, Ihr Kleid zu beschmutzen, will ich meinen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schlang er ihr die Hände um die Taille und hob sie hoch. Ihr Busen und ihre Oberschenkel streiften seine breite Brust. Einen Augenblick lang wurde ihr ganz schwindelig, doch sie mahnte sich, nicht in Panik zu geraten. Steif wie ein Stock verharrte sie in seinen Armen, darauf wartend, dass er sie endlich losließ, doch er schien gar nicht daran zu denken. Fest hielt er sie umschlungen.

„Sie können mich jetzt loslassen.“ Schrill klang ihr die eigene Stimme in den Ohren, während sie in seine tiefgrauen Augen blickte. Ein seltsames Gefühl wallte tief in ihrem Inneren auf, nahm mit heimtückischer Langsamkeit von ihr Besitz. Hartnäckig suchte sie es zu unterdrücken. „Bitte.“

„Nachdem Sie mir meine Belohnung gegeben haben.“

„Belohnung?“ Der Tag entwickelte sich rapide zu einem absoluten Albtraum. Gewiss musste dieser Mann, dieser Gentleman, doch sehen, dass sie eine Dame war? Sicherlich würde sie die schon einmal erhaltene Strafe nicht erneut erdulden müssen. „Warum sollte ich Sie belohnen?“

„Weil ich Sie gerettet habe. Meine galante, ritterliche Handlung ist gewiss ein kleines Dankeschön wert.“

Er senkte die Lippen, und sein Mund streifte den ihren, wenn auch nur kurz. Diese flüchtige Berührung reichte indes aus, um das Blut feurig durch ihre Adern pulsieren zu lassen. Erneut hüllte die Panik sie ein. Sie drehte den Kopf zur Seite und trommelte heftig mit den Fäusten gegen seine Brust.

„Lassen Sie mich sofort los!“

„Wenn das Ihr ausdrücklicher Wunsch ist.“

Schwer schluckend versuchte Diana, einen letzten Hauch Würde zu bewahren. Nur so würde sie das Schlimmste verhindern können, denn eine wahrhaft anständige, gebildete, vornehme Dame geriet niemals in Gefahr. „Ja, das ist mein Wunsch.“

„Man soll nicht über mich sagen können, dass ich die Wünsche einer schönen Frau nicht beherzige.“

Unvermittelt ließ ihr Retter sie los, wodurch sie kurzerhand auf das Gras am Wegesrand plumpste. Ihr Rock flog hoch und enthüllte ihre Waden. Hastig richtete Diana ihr Kleid, darauf hoffend, der Mann wäre Gentleman genug, nicht hinzuschauen. Stillschweigend schwor sie, nie wieder Romane zu lesen, wenn sie nur endlich diesem Albtraum entkommen könnte. Alles war allein ihre Schuld. Sie hatte ihre Regeln für damenhaftes Benehmen gebrochen, und dies hier geschah eben mit Frauen, die sich unziemlich benahmen.

Tief holte Diana Luft, um wenigstens ein klein wenig die Fassung wiederzugewinnen. Ihr Unbehagen durfte sie nicht zeigen, denn verriet man in solch einer Situation seine Gefühle, verschlimmerte man seine Lage dadurch bloß. „So unvermutet sollten Sie mich denn doch nicht absetzen.“

„Ich leistete lediglich Ihrem Wunsch Folge. Meine Schöne, Ihr Name ist Unentschlossenheit.“

„Nun, da Sie mich gerettet haben, können Sie gerne gehen.“

Zu ihrem Leidwesen rührten sich seine schwarzen Stiefel indes nicht von der Stelle. Inständig hoffend, sie würde ihm nie wieder in der Nachbarschaft begegnen müssen, schaute sie zu ihrem Retter auf. Der edel geschnittene Mantel betonte breite Schultern, und elegante Wildlederhosen umspannten muskulöse Beine. Ein tadellos gebundenes weißes Krawattentuch mit schwarzen Tupfen bauschte sich um seinen Hals. Dianas Blick verfinsterte sich. Ein solches Halstuch trugen die Mitglieder des bedeutendsten Kutschenklubs des Landes.

Erneut musterte sie sein Gesicht, eine Narbe gewahrend, die von seiner Schläfe bis zur Wange verlief. Ihr wurde bang ums Herz. Vor ihr stand Brett Farnham. Ausgerechnet! Diana schlug die Hände vor die Augen, sich wünschend, ihre Furcht würde verfliegen.

„Betrübt Sie etwas, meine Schöne?“ Der mitfühlende Ton in seiner Stimme lullte sie ein. „Verzeihen Sie, wenn ich Sie gekränkt haben sollte. Ich wollte Ihnen lediglich behilflich sein.“

„Nein, es ist nichts.“ Diana zwang sich zu einem unbekümmerten Lächeln. Sie musste sich hinter dem Schutzschild der Höflichkeit verstecken. Eine Dame war stets höflich. „Was sollte mich auch betrüben? Der heutige Tag ist rundum makellos.“

„Wenn man von der Tatsache absieht, dass sich Ihr Gig in einem Schlammloch festgefahren hat.“ Ein Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht.

„In der Tat.“

Diana widerstand der Versuchung, ihr Gesicht in den Händen zu vergraben. Sie hatte es zugelassen, dass einer der bekanntesten Lebemänner und Frauenhelden des Landes sie hochhob und küsste, ein Mann, der den berüchtigten Jehu Kutschenklub an der Universität von Cambridge gegründet hatte. Er war das Idol ihres verstorbenen Verlobten gewesen und sogar in den Vorfall verwickelt, der ihren Zukünftigen letztendlich das Leben gekostet hatte.

All die Jahre hier auf dem Land hatte sie versucht, die Ereignisse in London aus ihrer Erinnerung zu verbannen. Nun tauchte aus heiterem Himmel Brett Farnham auf, und alles stand ihr wieder so deutlich vor Augen, als sei es erst gestern geschehen. Allerdings durfte sie bei all dem nicht vergessen, dass ihr Schicksal von ihrem Handeln abhing. Wenn sie sich daher fortan an ihre Regeln hielt, konnte sie sich sicher fühlen. Das zumindest hatte sie London gelehrt. „Ich bitte Sie, gehen Sie. Ihre Anwesenheit ist nicht länger vonnöten.“

Er blieb jedoch wie angewurzelt stehen und sah von seiner stattlichen Größe auf sie herab. „Ich bin kein Narr. Ich sehe, es missfällt Ihnen, von mir gerettet worden zu sein.“

„Gewöhnlich wartet ein Gentleman, bis man ihn um Hilfe bittet.“

„Ein Gentleman handelt, wenn er eine Dame in Nöten sieht. Er versucht, sie vor größerem Unheil zu bewahren.“ Sein Blick schweifte über ihren Körper, und Diana war außerordentlich froh, dass sie ihr dunkelbraunes Kleid mit dem hohen Kragen trug. „Es wäre zu schade gewesen, wenn Sie Ihr Kleid mit Schlamm beschmutzt hätten.“

Diana zwang sich, ihre Augen von seinem Gesicht abzuwenden. Das Atmen fiel ihr schwer, erneut zog sich ihre Kehle zusammen. Was er sagte, war nur eine höfliche Plänkelei. Worte, die ihm ein Dutzend Mal jeden Tag über die Lippen kamen. Sie war töricht, wenn sie sich Sorgen machte. Sie würden sich nicht wieder begegnen. London blieb Teil ihrer Vergangenheit. Sie hatte nichts zu befürchten. Hier auf dem Land war ihr der Platz in der Gesellschaft sicher, solange sie die Haltung nicht verlor.

„Danke“, sagte sie ruhig. Höflich. Gelassen. Sie musste jede Andeutung von Emotion verscheuchen und sich so benehmen, als wären sie sich bei einer Teegesellschaft oder einem anderen gesellschaftlichen Anlass begegnet.

„Warten Sie hier. Ich werde Ihr Gig aus dem Schlamm holen.“ Ein Grübchen bildete sich in seiner Wange. „Sie werden sich dafür in angemessener Weise bei mir bedanken können … später.“

„Bemühen Sie sich nicht. Das kann ich durchaus ohne Ihre Hilfe erledigen.“ Sie rappelte sich auf und machte einige Schritte auf die Kutsche zu, doch er trat ihr in den Weg. Durch ein Räuspern versuchte Sie, das plötzliche Flattern in ihrem Bauch zu vertreiben. „Wenn Sie mich bitte vorbeilassen würden. Ich möchte keinesfalls in Ihrer Schuld stehen.“

Er hob eine Augenbraue. „Aha, nach all der Mühe, die ich mir gegeben haben, beabsichtigen Sie nun also, Ihre Stiefeletten zu ruinieren und Ihr … äh … hübsches Kleid gleich dazu. Das kann ich einer Schönheit wie Ihnen unmöglich gestatten.“

„Ich kann mich sehr gut selbst aus dieser misslichen Lage befreien.“ Diana verschränkte die Arme, seinen einschmeichelnden Ton ignorierend. Eine Schönheit, fürwahr. Sie war nicht die hübsche Tochter eines Bauern oder ein Backfisch, den man mit Schmeicheleien leicht beeindrucken konnte. Zweifellos beabsichtigte er, seinen unerhörten Worten Taten folgen zu lassen und ihr einen weiteren Kuss zu rauben. Das nächste Mal indes würde er ihre Lippen nicht nur streifen, sondern sie lang und fordernd küssen. Der Gedanke an die Folgen ließ sie erschauern.

„Nun, mir schien es, Sie würden dabei vom Regen in die schlammige Traufe geraten.“ Er legte eine Hand auf sein Herz und machte ein übertrieben zerknirschtes Gesicht. Zweifellos erwartete er, sie damit zum Schmunzeln bringen zu können. „Niemals könnte ich es zulassen, dass eine Schönheit wie Sie ein solch grausames Schicksal ereilt. Bedenken Sie doch, mein Ruf als Gentleman steht auf dem Spiel.“

„Ich bin wohl kaum ein zartes, unbeholfenes Mäuslein, das nicht weiß, wie man die Zügel handhabt. Ich werde das Gig schon aus dem Schlammloch befreien, wenn es auch eine Weile dauern mag.“

Er räusperte sich, vielsagend den Einspänner betrachtend, dessen Räder halb im Morast versunken waren. Es konnte geraume Zeit dauern, bis sie den Wagen aus der Schlammpfütze befreit hätte, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten, die sie mit Jester haben würde, denn die Stute schien das Gras bis zum letzten Halm vertilgen zu wollen.

„Ich bevorzuge es, wenn meine Straßen von Gefahren frei sind. Zum Glück ist nichts weiter geschehen, wenn es auch hätte schlimmer kommen können. Wäre meine Kutsche bei hoher Geschwindigkeit auf dieses unerwartete Hindernis getroffen, hätte es einen schweren Unfall geben können.“

„Das hier ist eine öffentliche Straße.“ Diana reckte ihr Kinn. Seine Straße, von wegen. Solch ein arroganter Mensch. Er kümmerte sich ausschließlich um sein eigenes Vergnügen und Wohlbefinden. Ihr Herz klopfte nicht mehr gar so wild. Sie hatte die Fassung wiedergewonnen. Brett Farnham und seinesgleichen konnten ihr nichts mehr anhaben. Gegen den Charme solcher Männer war sie nun immun, denn sie wusste, welche Gefahr sie darstellten.

„Ich jedenfalls bin noch niemals in ein Schlammloch gefahren, weder absichtlich noch unabsichtlich.“

„Glauben Sie etwa, ich wollte vorsätzlich in diese Lage geraten?“

„Da ich Ihre Gedanken nicht lesen kann, weiß ich auch nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht. In der Kunst der Hellseherei bin ich leider nicht sehr talentiert. Im Umgang mit Pferden indes schon.“ Innerhalb eines Augenblicks war Brett Farnham um das Gig herumgetreten und hatte Jester mit einigen geflüsterten Worten wieder auf die Straße gelotst.

Gleich darauf gab der Morast das Gig mit schmatzendem Geräusch frei. Diana musste widerwillig zugeben, dass Mr. Farnham dieses Problem weitaus zügiger gelöst hatte, als sie jemals dazu imstande gewesen wäre. Außer einigen Schlammspritzern auf seinen glänzenden Hessenstiefeln hatte er keinen Flecken abbekommen.

„Vielen Dank, das war äußerst geschickt von Ihnen.“

„Steigen Sie ein, dann können wir losfahren.“ Er deutete auf den Wagen. „Ich werde die Zügel übernehmen.“

„Wie bitte? Sie wollen fahren?“ Wie erstickt kamen die Worte aus ihrer Kehle, und plötzlich wurde sie sich der verlassenen Straße bewusst. Kein Haus befand sich in der Nähe. Sie war allein mit diesem Mann, ihm schutzlos ausgeliefert. „Ich werde nirgendwo mit Ihnen hinfahren.“

„Ich werde Sie nach Hause bringen. Immerhin sind Sie in ein Schlammloch gefahren. Da könnte leicht noch Schlimmeres geschehen.“

„Meine Fähigkeit, eine Kutsche zu lenken, ist bislang niemals infrage gestellt worden.“

Er verzog die Lippen und bedachte sie mit einem zweifelnden Blick. „Unsere Vorstellungen von Fähigkeit gehen da wohl etwas auseinander, fürchte ich. Ihr Pferd ist ein friedliches, gutmütiges Tier. Es kann leicht geführt werden.“

„Es ist nicht so, wie Sie denken. Mit Jester komme ich gut zurecht.“

„Ach, Sie wissen, was ich denke? Also ist die Hellseherei eine Ihrer Begabungen. Wie wundervoll.“ Seine Blicke durchbohrten sie förmlich. „Irgendwann einmal müssen Sie mir das Geheimnis der Gedankenleserei verraten. Im Moment gebe ich mich allerdings mit einer Erklärung zufrieden.“

„Ich habe nicht auf die Straße geachtet.“ Diana senkte den Kopf. Die Hitze schoss ihr in die Wangen. „Ich habe … gelesen.“

„Aha. Im Gig liegt kein Buch.“

„Aber es muss dort liegen“, rief Diana entsetzt. „Es ist der letzte Band von ‚Stolz und Vorurteil‘. Ich habe es auf den Sitz gelegt, bevor ich hinuntersprang. Es ist so gut geschrieben, dass ich einfach wissen musste, wie es weitergeht.“

„Ich stimme Ihnen zu. ‚Stolz und Vorurteil‘ ist außerordentlich gut geschrieben.“

„Ich nahm an, die Mitglieder des Jehuklubs messen Lesen und Bildung keinerlei Bedeutung bei, Mr. Farnham.“

„Woher wissen Sie von meiner Verbindung zum Jehuklub?“ Sein Blick wurde unvermittelt kalt wie Eis.

„Mein Verlobter war einer Ihrer Bewunderer.“ Diana schluckte. „Er hieß Algernon Finc.“

Er zog die Augenbrauen zusammen, dann schüttelte er den Kopf. „Dieser Name sagt mir nichts.“

„Er war jünger als Sie, aber er besuchte ebenfalls die Universität in Cambridge. Er sprach immer in höchsten Tönen von den Heldentaten der Mitglieder des Jehuklubs.“ Diana ballte die Hand zur Faust. Der Mann, der Algernons Torheiten noch gefördert und damit schließlich auch zu seinem Tod beigetragen hatte, leugnete nun jegliche Erinnerung an ihn. „Er hat uns einander vor fünf Jahren sogar vorgestellt.“

„Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Ich bedaure, dass dieser Anlass meinem Gedächtnis entfallen ist“, antwortete er zögernd.

Wohlige Zufriedenheit überflutete Diana. Es war unter ihrer Würde, dennoch genoss sie seine unvermittelte Unsicherheit.

„Ich freue mich darauf, unsere Bekanntschaft zu erneuern.“

„Er verstarb vor fünf Jahren, Mr. Farnham.“

„Mein Beileid. Manche Menschen neigen indes gelegentlich dazu, die Tiefe einer Bekanntschaft zu übertreiben.“ Er zuckte leicht mit seinen breiten Schultern, wieder einmal durch und durch der blasierte Gentleman. „Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie hören. Bedenken Sie dies beim nächsten Mal. Der Jehuklub hat sich schon vor Jahren aufgelöst. Außerdem redet man mich nicht länger mit Mr. Farnham an, da ich bereits seit sechs Monaten der sechste Earl of Coltonby bin.“

„Da habe ich wohl einen Irrtum begangen, Mylord.“ Diana neigte leicht den Kopf. „Ich bedaure Ihren Verlust. Indes verleiht ein Titel nicht das Recht, jede Frau nach Gutdünken zu verführen.“

Ein Grübchen zeigte sich in seinem Mundwinkel. „Zum Glück hegte ich keinen solchen Plan.“

„Ich bin erleichtert, dies zu hören.“

Er ließ den Blick langsam über ihren Körper schweifen, verweilte auf ihren Kurven. Diana brachte sich selbst in Erinnerung, dass sie ein einfaches Kleid trug, nichts, das ihrer Figur zu sehr schmeichelte. Für Besuche in der Nachbarschaft war es angemessen, aber in einer Stadt wie Newcastle, ganz zu schweigen in den Lichtern von London, würde es unelegant und unmodisch anmuten. Sie wirkte darin sittsam, bescheiden, unauffällig.

Er umschloss ihre Finger, nahm sie gefangen und hielt sie fest, bevor er ihre Hand an seine Lippen zog, sie dabei unverwandt ansehend. „Sie werden Fahrstunden nehmen. Darauf bestehe ich. Die öffentliche Sicherheit verlangt diese Maßnahme.“

„Die Öffentlichkeit verlangt dies durchaus nicht.“ Diana entzog ihm ihre Hand, ihren zittrigen Fingern keine Beachtung schenkend. „Ich bezweifle, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen.“

Brett Farnham bedachte sie mit einem ungläubigen Blick. Diese Unterhaltung verlief ganz und gar nicht in der Richtung, die er einzuschlagen gedacht hatte, nachdem er einen flüchtigen Blick auf ihre wohlgeformten Waden hatte werfen können. „Ich versichere Ihnen, die Klatschgeschichten über mich sind weit übertrieben.“

„Selbst wenn dem so wäre, würde meine Antwort nicht anders lauten. Außerdem ist London Ihr angestammter Aufenthaltsort. Ihr Besuch hier wird nur von kurzer Dauer sein.“

Als die Schönheit ihre vollen rosigen Lippen fest aufeinanderpresste, fragte sich Brett, wie es wohl wäre, sie erneut zu schmecken. Doch dies würde er nicht riskieren, bevor er nicht wusste, ob sie frei war. Immerhin behauptete sie, sie seien miteinander bekannt. Daher wäre er ein Narr, sich ihr ohne genauere Kenntnis ihrer Vorgeschichte, ihres Familienstandes zu nähern. Brett rühmte sich seines Scharfblicks. Er würde niemals mit einer Frau liebäugeln, die berechtigterweise eine Ehe im Sinn haben könnte. Frauen, die das Spiel verstanden, das er spielte, zog er bei Weitem vor.

„Mein Aufenthalt hier könnte länger dauern, als Sie annehmen“, sagte er, insgeheim hoffend, sie gehöre nicht zu den Frauen, denen er nicht nachstellen durfte, sondern zu denen, die er reinen Gewissens umgarnen konnte. „Ich habe kürzlich ein höchst begehrenswertes Anwesen in Northumberland gewonnen.“

„Ach, tatsächlich?“ Ihre blaugrünen Augen blitzten kalt, und sie zog die Augenbrauen hoch. „Es scheint mir, Sie spielen um hohe Einsätze. Um viel zu hohe Einsätze.“

„Cuthbert Biddlestone hatte dem Portwein zu sehr zugesprochen und forderte mich zu einem Rennen heraus. Das konnte ich einfach nicht ablehnen. Er stand bei mir in der Schuld, verstehen Sie. Wir spielten um doppelt oder nichts. Nun bin ich der rechtmäßige Eigentümer von Ladywell Park.“

„Sie haben sich mit einem Mann, der bekanntermaßen ein Trunkenbold ist, ein Rennen geliefert? Welch große Herausforderung.“

Brett entfernte ein Staubkorn von seinem Reisemantel. „Er hat darauf bestanden. Ich warnte ihn zwar noch, allerdings wollte er mir keinen Glauben schenken. Ich mache die Menschen stets nachdrücklich auf die möglichen Konsequenzen aufmerksam.“

„Haben Sie vor, das Anwesen zu behalten, oder werden Sie es in einem weiteren Rennen erneut aufs Spiel setzen?“

„Ich trinke nie zu viel. Was ich habe, behalte ich auch, Miss …“ Brett streckte seine Hand aus, um ihre Finger erneut zu umschließen.

Lächelnd gelang es ihr, ihm auszuweichen. „Durch solche Listen werden Sie meinen Namen nicht erfahren.“

„Sie behaupteten vorhin, wir seien miteinander bekannt.“

„Sie haben dies abgestritten.“

„Vielleicht war ich ein wenig voreilig.“ Brett verlieh seiner Stimme einen heiseren Klang. „Erhellen Sie mich, oh Schönheit des Wegesrandes, damit ich Sie angemessen verehren kann.“

„Ich ziehe es vor, zu warten, bis man uns den gesellschaftlichen Regeln entsprechend erneut einander vorgestellt hat“, erwiderte sie, das Kinn reckend. Ihre Augen blickten frostig und erinnerten an blaue Gletscher. „Falls Sie Ladywell Park tatsächlich gewonnen haben sollten.“

Insgeheim musste Brett lächeln. Sie gehörte also zur ansässigen feinen Gesellschaft. Und sie war höchstwahrscheinlich unverheiratet, da sie die Anrede „Miss“ nicht berichtigt hatte. Aufgrund ihres einfachen Kleides hatte er zunächst angenommen, sie sei eine Bauerntochter, und nicht angenommen, sie könne in denselben Kreisen verkehren wie er. Angesichts ihrer kultivierten Stimme und ihrer gebildeten Konversation musste er sich nun jedoch eingestehen, dass diese Vermutung nicht von der Hand zu weisen war. Eine ärgerliche, wenn auch unumstößliche Tatsache. Und wenn sie nun doch verheiratet war? Oder gar verwitwet, was ihm noch besser gefiele. Brett lächelte. Es bestanden einige Möglichkeiten. Er würde sein Glück versuchen.

„Da ist Ihr Buch ja, es ist in den Morast gefallen.“ Brett bückte sich und hob das schlammverspritzte Werk auf.

Sie streckte die Hand danach aus. „Vielen Dank.“

„Es könnte Sie erneut ablenken, das kann ich nicht zulassen.“ Brett hielt den Band hinter den Rücken. „Wenn Sie mir Ihren Namen verraten, werde ich es Ihnen überbringen.“

„Hören Sie auf, solche Spielchen zu treiben. Verhalten Sie sich, wie es die Schicklichkeit verlangt, und geben Sie mir unverzüglich mein Buch zurück!“ In ihre Wangen schoss eine tiefe Röte.

„Ich ziehe Unschicklichkeit bei Weitem vor.“ Ihr empörter Gesichtsausdruck entlockte ihm ein amüsiertes Schmunzeln.

„Bitte geben Sie mir nun mein Buch zurück, Lord Coltonby. Ich bin hier lange genug aufgehalten worden.“

Brett sah geflissentlich über ihre ausgestreckte Hand hinweg. „Ich hege keineswegs die Absicht, es länger zu behalten als nötig, doch im Augenblick glaube ich, nimmt es ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch.“ Sprachlos öffnete Diana den Mund, während Brett sich verbeugte. „Ich stehe zu Ihren Diensten, Madam, und blicke voller Vorfreude unserer nächsten Begegnung entgegen.“

Ohne ihm eine Antwort zu gönnen, stieg sie in das Gig und ließ Jester loslaufen. Brett schaute ihr nach. Sie würde einen Vorwand finden, um zu ihm zu kommen. Es war nur eine Frage der Zeit.

2. KAPITEL
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„Unverschämt, überheblich, unerträglich!“ Ihrem Ärger endlich Luft machend warf Diana ihre Handschuhe auf den Frisiertisch. Es war durchaus statthaft für eine Dame, leidenschaftliche Gefühle zu zeigen, wenn sie sich allein in ihren Räumlichkeiten aufhielt.

Lord Coltonby nahm allen Ernstes an, sie würde ihn aufsuchen! Schlimmer noch, er besaß einen ebensolch unheilvollen, gefährlichen Charme wie Algernon. Indes hatte sie ihre Lektion über die Vergänglichkeit solcher Dinge gelernt. Ihre Verhaltensregeln verhinderten seitdem, dass sie erneut in Gefahr geriet. Mit tiefen, gleichmäßigen Atemzügen versuchte Diana, sich zu beruhigen.

„Von wem sprechen Sie, Miss?“, fragte ihre Zofe Rose, die gerade einen losen Saum befestigte. Ich hätte die Welt längst nur noch schwarz in schwarz gesehen, dachte Diana, würde Rose nicht mein Leben mit ihrer pragmatischen Art und ihrem Sinn für Humor erhellen. „Was hat der gnädige Herr Ihnen nun wieder aufgetragen? Nach dem Frühstück waren Sie verstimmt über ihn. Ich konnte es daran erkennen, dass Sie die Lippen fest zusammenpressten, als er Sie anwies, Lady Bolt zu besuchen. Es ist mir ein Rätsel, warum er ein Interesse für ihre Tochter, Miss Miranda, hegt. Diese Frau ist eine Plage. Sie sieht in jeder kleinen Erkältung gleich eine Lungenentzündung und fällt bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Ohnmacht.“

„Es sind keineswegs die Reize von Miss Miranda, die meinen Bruder derart fesseln. Vielmehr reizt ihn die Möglichkeit, Sir Norman Bolts Landesteg am Tyne nutzen zu können, sollte sie seinen Antrag annehmen. Bei Simon dreht sich immer alles bloß ums Geschäft.“ Auflachend betrachtete Diana voller Zuneigung ihre Zofe. „Mir ist allerdings ein noch viel aufreibender Mensch begegnet als mein Bruder, ein waschechter Lebemann namens Brett Farnham, sechster Earl of Coltonby. Er glaubt, er brauche nur mit den Fingern zu schnippen, schon liegen ihm sämtliche Frauen zu Füßen.“

„Ist es denn so?“ Schmunzelnd legte Rose ihre Näharbeit in den Schoß. „Ich habe mir oft gewünscht, einem solchen Mann zu begegnen, nur um zu sehen, ob jemand tatsächlich eine solch große Anziehungskraft ausüben kann. Wie war er denn so, Ihr geheimnisvoller Lebemann?“

„Er ist nicht ‚mein‘ Lebemann. Noch ehe mein Gig außer Sichtweite verschwand, wird er mich vergessen haben. Spätestens aber dann, wenn er den nächsten Rock erblickt.“

„Sie urteilen zu hart über sich.“

Mit leichtem Schulterzucken schaute Diana in den großen Spiegel, der über dem Kamin hing. Sie fand, sie sah recht durchschnittlich aus: schwarzes Haar, einigermaßen hübsche Augen, ein üppig geschwungener Mund. Indes war sie Algernon Finc nicht aufgrund Ihres Aussehens aufgefallen. Allein die Größe ihres Vermögens hatte ihn angezogen. Geblendet von seinem entschlossenen Werben und seinem ungezwungenen Benehmen war ihr nie der Gedanke gekommen, seine Worte infrage zu stellen. Dies tat sie erst, als es bereits zu spät war, viel zu spät.

„Vor fünf Jahren sprach ganz London von Brett Farnhams Glück im Spiel, seinen Kutschfahrkünsten und seinem Erfolg bei den Frauen. Doch nur weil andere Frauen ihn vergöttern, ist das noch lange kein Grund anzunehmen, ich täte es ihnen gleich. Ich bin kein Backfisch mehr, der bereitwillig jede Lüge glaubt, die einem Mann über die Lippen kommt, ganz besonders nicht, wenn dieser Mann weltmännisch und charmant erscheint. Solche Männer machten mir in London den Hof, allerdings nicht, weil sie von meinem Aussehen oder meinem Wesen eingenommen waren, allein mein Vermögen zog sie an.“

Rose schüttelte so heftig den Kopf, dass die Bänder ihrer Haube flatterten. „Sie sollten nicht alle Männer über einen Kamm scheren. Hören Sie auf, sich wie eine alte, unansehnliche Jungfer zu gebärden, die keiner haben will. Verbannen Sie endlich Ihre Haube, und genießen Sie das Leben. So, nun habe ich gesagt, was mir schon seit einer geraumen Weile auf der Zunge lag, Miss Diana.“

Die Zofe legte ihre Näharbeit zur Seite. „Sie sollten sich eines dieser Damenmagazine besorgen, um sich über die neueste Mode zu informieren. Ich könnte leicht Ihre Londoner Roben ändern.“

Diana verneinte dies stumm. Längst zählte sie nicht mehr, wie viele ihrer Regeln sie an diesem Tag bereits gebrochen hatte. Doch Kleider zu tragen, die sie so gut wie unsichtbar machten, war unerlässlich für sie, denn es diente ihr als stete Ermahnung an das, was geschehen konnte, wenn man sich eine Blöße gab und sich als zu vertrauensselig erwies. „Meine Kleider gehören zu dem Leben, das ich mir gewählt habe.“

„Es ist jammerschade, all die schönen Seidengewänder nicht zu tragen.“

„Sie bleiben dort, wo sie sind – auf dem Dachboden.“

„Sie trauern schon zu lange um Ihren Verlobten, Miss Diana. Das erwartet niemand von Ihnen. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, in welcher Weise ihn der Tod ereilte.“

Diana erstarrte. Wie sollte sie erklären, dass sie jeden Abend Gott auf Knien dafür dankte, ihrem Verlobten noch einmal entronnen zu sein? Dass sie niemals wieder in eine solche Falle tappen wollte? Es gab Dinge in ihrer Vergangenheit, von denen selbst Rose nichts ahnte. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Stapel Briefe auf der Frisierkommode zu. „Die Post ist bereits gekommen. Das hättest du mir sagen sollen.“

Rose verzog lediglich den Mund, ein Zeichen, dass sie sich von der plötzlichen Begeisterung ihrer Herrin für Briefe nicht beeindrucken ließ. „Es ist ein Schreiben von Mr. Allen darunter.“

„Was hat Robert nun wieder angestellt? Das Schuljahr hat erst vor einer Woche begonnen.“ Diana öffnete das Schreiben des Schuldirektors. „Simon wird wütend werden.“

„Es wäre besser, wenn …“

Der Knall einer auffliegenden Tür ließ Rose verstummen. Das Geräusch hallte durch das ganze Haus. Ihrer Zofe einen erschrockenen Blick zuwerfend eilte Diana aus dem Zimmer.

„Er hat es tatsächlich geschafft! Er hat alles verloren. Bei einem Rennen!“

„Wer hat was geschafft, Simon?“ Diana schaute in das vor Wut verzerrte Gesicht ihres Bruders, der durch die Eingangshalle stürmte. „Du wirst noch krank werden, wenn du dich weiterhin so aufregst. So fasse dich doch.“

Simon schaute sie entrüstet an.

„Cuthbert Biddlestone hat sein Vermögen bei einem Kutschenrennen verwettet.“ Er reichte dem Butler seinen Stock und den Zylinder. „Er hat sein Anwesen in Northumberland verloren, alles, was nicht zum Erbgut zählt.“ Simon Clare schüttelte den Kopf, seine dunkelgrünen Augen blitzen wie Smaragde. „Sein gesamtes Vermögen hat er aufs Spiel gesetzt, weil er glaubte, die Zügel besser handhaben zu können als einer der besten Reiter des Landes! Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste.“

Diana bemühte sich um ein Lächeln, doch die Miene ihres Bruders wurde daraufhin noch finsterer. „Du hast derlei immer prophezeit. Wie nanntest du Sir Cuthbert doch gleich – einen einfältigen Fatzke?“

„Er ist ein Narr. In seinem Brief gibt er mir die Schuld an seinem Verlust und behauptet, er hätte nur deshalb gewettet, weil er den Gewinn in die Zugmaschine investieren wollte.“

„Das ist völliger Unfug!“

„Aber es sieht Biddlestone ähnlich. Er hat mir nicht zugehört. Ich bat ihn lediglich darum, eine kleinere Summe für die Entwicklung meiner neuen Zugmaschine zu erübrigen. Aus den Erträgen hätte er sein neues Herrenhaus im italienischen Stil bauen können, von dem er immerzu schwafelte. Ich war sogar bereit, ihm das Stück Land am Tyne zu einem spottbilligen Preis zu überlassen. Du weißt, welches ich meine. Das, auf dem der alte Holzschienenweg verläuft.“ Simon lockerte mit dem Finger seinen Kragen.

„Aber was hat das alles mit dem neuen Eigentümer zu tun?“

„Er will das Land. Er behauptet, Biddlestone hätte mit mir bereits eine Vereinbarung darüber getroffen. Nur der Himmel weiß, was er dann mit Sir Norman Bolt aushandeln wird. Bolt ist schon seit Jahren hinter diesem Stück Land her. Einzig seine Abneigung gegenüber Sir Norman zeugte davon, dass Biddlestone überhaupt einen Funken Verstand besaß. Ist es da ein Wunder, wenn ich nun wütend bin?“

Simon verzog die Lippen. „Dieser verflixte Earl of Coltonby verlangt, dass ich nach seiner Pfeife tanze. Diese Aristokraten sind doch alle gleich.“

„Mir ist Lord Coltonby bekannt“, sagte Diana ruhig. „Er war bei Algernons Duell Sekundant … für den Gegner. Das stand in Algernons letztem Brief. Brett Farnham …“

Diana schluckte und wollte bereits ansetzen, von ihrer heutigen Begegnung mit Lord Coltonby zu berichten, da fiel Simon ihr ins Wort.

„Bei allen Heiligen! Brett Farnham …“ Er schnaubte verächtlich. „Mir war nicht bewusst, dass dein Verlobter mit ihm bekannt war. Hätte ich davon geahnt, hätte ich nie auf Jayne gehört und mich mit der Verbindung einverstanden erklärt.“

„Du wolltest nie viel über Algernon wissen“, erwiderte Diana vorsichtig. Sie weigerte sich, schlecht von den Toten zu sprechen, weder von Algernon noch von Simons verstorbener Frau Jayne. „Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest Erkundigungen über ihn eingeholt. Woher kennst du Brett Farnham?“

„Farnham besuchte die Universität von Cambridge zur selben Zeit wie ich. In dem für ihn üblichen affektierten Ton und aalglatten Benehmen drohte er, mich in den Fluss zu werfen, weil ich einen Gehrock trug, der nicht seinem Geschmack entsprach.“

„Das war bestimmt nur ein Scherz. Ein schlechter Scherz zwar, dennoch gewiss nicht ernst gemeint.“

„Oh doch. Er machte seine Drohung wahr. Das Wasser war eiskalt, trotzdem gelang es mir, auf die andere Seite zu schwimmen, während er und seine Anhänger mich vom Ufer aus verhöhnten.“ Simon ballte die Hände zu Fäusten. „Der Mann ist von Grund auf verdorben, Diana. Er prahlte mit seinem überragenden Können im Spiel, protzte damit, wie meisterlich er Kutschen zu lenken verstünde. Reihenweise gingen die Frauen in seinen Gemächern ein und aus. Er und seinesgleichen sind einer der Gründe, warum ich Cambridge gehasst habe.“

Simon schlug mit der Hand so fest auf den Kaminsims, dass die Schäferin aus Dresdner Porzellan ins Schwanken geriet. „Ich hätte auf einer formellen schriftlichen Vereinbarung wegen des Grundstücks bestehen sollen, aber Sir Cuthbert druckste herum und meinte, wir seien doch Ehrenmänner. Er ein Ehrenmann! Da lachen ja die Hühner! Er hat seinen gesamten Besitz auf ein blödsinniges Pferderennen verwettet. Wie kann man das ehrenhaft nennen?“

„Er kommt eben nicht nach seinem Vater. Außerdem gelten in Adelskreisen nun einmal andere Regeln. Schulden gegenüber einem anderen Edelmann sind Ehrenschulden und werden daher immer beglichen.“

Simon winkte ungeduldig ab. „Ja, während man die Rechnungen seines Schneiders getrost vernachlässigen darf. Du brauchst mich nicht zu belehren, Diana. Uns beiden ist bekannt, wie sich diese hochwohlgeborenen Gentlemen gebärden. Und Coltonby ist der Schlimmste von allen. Gedenke meiner Worte. Er hat irgendeine Teufelei im Sinn.“

„Das kannst du nicht wissen.“ Diana legte eine Hand auf den Arm ihres Bruders. „Du wirst einen Geldgeber für deine Zugmaschine finden. Vielleicht hegt Lord Coltonby Begeisterung für all diese neuen Maschinen und sieht ebenfalls, welch große Möglichkeiten Dampf und Eisen bergen. Frage ihn. Möglicherweise will er ja investieren.“

„Ihn fragen? Mit Farnham kann man nicht reden. Er verzieht lediglich abschätzig die Lippen und lacht einen aus. Stets lehnte er in Cambridge in ausgesucht höflichem Ton ab, seine Stiefel aus dem Treppenhaus zu entfernen oder auf das Feiern von Orgien zu verzichten, auf denen es vor Trunkenbolden wimmelte.“

„Du könntest es dennoch versuchen. Menschen ändern sich. Du hast dich verändert.“ Diana schaute ihren Bruder an, der in einem teuren Gehrock vor ihr stand, das Inbild des wohlhabenden Gutsherrn. „Du bist nicht länger ein unbedeutender Student in Cambridge. Hier in Northumberland bist du eine hoch angesehene Persönlichkeit mit ausgezeichnetem Ruf. Du bist bekannt für deinen Sinn für Neuerungen, deinen Einfallsreichtum und deine Findigkeit. Lord Coltonby wird schlussendlich verstehen, dass du keineswegs verpflichtet bist, ihm dieses Stück Land zu überlassen.“

„Ich hoffe nur, du behältst recht, Schwester“, entgegnete Simon düster.

Brett schritt in der Bibliothek von Ladywell Park auf und ab. Die schöne Unbekannte vom Wegesrand beherrschte seine Gedanken, hinderte ihn daran, mehr über das schlecht verwaltete Anwesen zu erfahren. Sie hielt ihn auch davon ab, sein neues Haus zu planen, das den Tyne überblicken sollte. Ein Haus, in dem es keine Feuchtigkeit geben würde, keine bunt durcheinandergewürfelte Einrichtung in den Zimmern. Er hatte die Pläne schon vor Jahren zeichnen lassen. Nachdem es ihm inzwischen gelungen war, das Familienvermögen wieder aufzubauen, wollte er sich diesen Traum erfüllen. Das Anwesen war tatsächlich wunderschön gelegen. In diesem Punkt hatte Biddlestone recht.

Wer war sie? Ihre Augen ließen ihn nicht mehr los. Sie waren blau mit grünen Tupfern, von dunklen Wimpern umrahmt. Er hatte schon einmal in diese Augen geblickt. Nachdenklich nahm er ein Buch in die Hand. „Finc, Finc … Sollte ich diesen Namen kennen?“

„Pardon, Mylord, Singvögel wie Finken sind in diesem Band nicht verzeichnet.“ Hunt, der Butler, stellte das Tablett mit der Portweinkaraffe ab. „Bücher über Vögel und die Natur wurden immer am anderen Ende der Bibliothek aufbewahrt. Soll ich Ihnen ein entsprechendes Werk darüber holen?“

„Singvögel?“ Brett ließ das Buch zuschnappen und schaute seinen neuen Butler an. „Sie verfügen über eine bewundernswerte Scharfsichtigkeit, Hunt. Singvögel, in der Tat.“

„Ich gebe mein Bestes, Mylord.“

Brett machte eine Geste mit der Hand, die dem Butler bedeutete, er könne gehen. Allein im von Stille erfüllten Zimmer schenkte er sich ein Glas Portwein ein und schwenkte die rubinrote Flüssigkeit im Glas.

Singvogel. Fink. Algernon Finc. Der Sohn von Hubert Finc, Viscount Whittonstall. Er starb nach diesem unsäglich sinnlosen Duell um eine Kokotte. Wie konnte ich den Namen von Bagshotts Gegner vergessen, diesem törichten, ungehobelten Burschen, der unwissentlich das Leben meines besten Freundes ebenso wie auch sein eigenes Leben verändert hatte, dachte Brett düster.

Es beunruhigte ihn, dass ihm Singvogels Name entfallen war. Bislang war er der Überzeugung gewesen, sich an jede noch so kleine Einzelheit zu erinnern. Der Schlamm, der Nebel und das überwältigende, fassungslose Entsetzen, ein Leben auf diese Weise enden zu sehen. Bagshott hatte damals bis zum Hals in Schulden gesteckt, was ihn indes nicht davon abhielt, mit Singvogel einen Streit anzufangen. Dem Schiff nachblickend, auf das er Bagshott später verfrachtet hatte, damit er wegen des illegalen Duells nicht vor Gericht gestellt wurde, hatte er sich geschworen, sein Leben von Grund auf zu ändern, seine Talente nicht länger zu vergeuden, sondern vielmehr weise zu nutzen, um etwas aus sich zu machen und das Familienvermögen wieder aufzubauen. Wie hatte er Fincs Namen und den seiner Verlobten nur vergessen können. Wie viel mehr war seinem Gedächtnis entschlüpft? Brett drückte die Fingerknöchel an die Stirn.

Wenn er sich bloß auf ihren Namen besinnen könnte. Wenn er nur erst den Grund kennen würde, warum sie für ihn tabu war.

„Da kommt ein Gentleman die Auffahrt herauf“, sagte Rose am nächsten Morgen zu Diana, die gerade im Esszimmer das Frühstück einnahm. „Er fährt eine der flottesten Kutschen, die ich je gesehen habe.“

„Seit wann interessierst du dich für Kutschen?“ Scheinbar gelassen trank Diana einen Schluck Tee. „Wahrscheinlich erwartet Simon Besuch.“

„Der gnädige Herr ist zur Kohlengrube gefahren. Dort hält er sich dieser Tage immer auf.“

Diana stand auf und gesellte sich zu Rose. Beim Blick aus dem Fenster stockte ihr der Atem. Lord Coltonby sprang elegant von seinem Phaeton und übergab die Zügel seinem Reitknecht. Dann sah er auf, und sein eindringlicher Blick traf unvermittelt den ihren. Rasch wich sie zurück. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, obgleich sie sich dies nicht eingestehen wollte. „Das ist Lord Coltonby, Rose. Ich hoffe nur, Simon hat keine Unbesonnenheit begangen.“

„Soll ich Seiner Lordschaft sagen, dass Sie und der gnädige Herr nicht zu Hause sind, Miss Diana?“, fragte der Butler, der, ins Esszimmer tretend, ihre letzten Worte vernommen hatte.

„Nein, nein, Jenkins. Ich möchte wissen, warum er gekommen ist.“ Diana glättete mit den Händen ihr Kleid und richtete die züchtige Haube, die sie seit Algernons Tod trug, obwohl sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren eigentlich viel zu jung dafür war. Hauben verliehen ein gewisses Gefühl der Sicherheit. „Führen Sie Lord Coltonby bitte in den Salon, wenn er nach einem von uns beiden fragt. Sollte er nur Simon zu sehen wünschen, können Sie seine Karte entgegennehmen.“

„Soll ich bei Ihnen bleiben, Miss Diana?“

„Das wird nicht nötig sein, Rose. Ich denke, ich komme mit diesem Herrn schon zurecht.“ Diana ließ ihre Zofe gehen und begab sich in den Salon.

Die verschiedenen Vasen auf dem Kaminsims neu anordnend zwang sie sich zur Ruhe, während sie angestrengt versuchte, zu verstehen, was Lord Coltonby draußen in der Halle zu Jenkins sagte. Warum war er gekommen? Hatte er sich ihrer wieder erinnert? Diana lächelte bitter. Wenn dem so war, würde er sie gewiss nicht mehr als Schönheit bezeichnen. Sie würde dieser Situation jedoch gefasst begegnen und sich zurückhaltend förmlich geben – wie es sich für eine ledige Dame, eine graue Maus, geziemte.

Brett trat, vom Butler geleitet, in den Salon der Clares. Das Haus strahlte den erworbenen Reichtum seines Eigentümers aus. Der Salon war ganz nach der neuesten Mode eingerichtet, mit zahlreichen Alabasterlampen, Stühlen im ägyptischen Stil und goldgrün gestreiften Tapeten. Farben, die jeden erwachsenen Mann schmerzvoll zusammenzucken lassen konnten. Brett erinnerte sich gut daran, wie Clare mit seinem Vermögen an der Universität angegeben hatte. Immerzu sprach er von seinen neuesten Errungenschaften oder den Geschäften seines Vaters. Simon Clare war ein Mann, der den Preis von allen Dingen kannte, aber ihren wahren Wert nicht zu schätzen wusste. Ein Mann ohne Tiefgang. Er hatte sich nicht verändert.

Mit hochgezogenen Augenbrauen ließ Brett den Blick über Diana Clare schweifen. Selbst die übergroße Haube und das schlecht sitzende grüne Kleid, das dem schokoladenbraunen Teil von ihrer ersten Begegnung an Scheußlichkeit in nichts nachstand, konnten die Schönheit ihrer unvergesslichen Augen nicht schmälern. Diese mandelförmigen Augen und ihre vollen geschwungenen Lippen hatten ihn letzte Nacht bis in seine Träume verfolgt. „Ich bin erfreut, unsere Bekanntschaft auffrischen zu können, Miss Clare. Wenn ich nicht irre, haben wir seinerzeit hinsichtlich eines traurigen Ereignisses brieflich miteinander verkehrt.“

„Ich dachte, dies sei Ihnen entfallen …“ Dianas bleiche Wangen färbten sich dunkelrot.

Brett neigte den Kopf. „Ich bedaure, dass es eine Weile dauerte, bis ich Sie mit dem verblichenen Singvogel in Verbindung brachte. Verzeihen Sie mir bitte.“ Er musterte sie eindringlich. Die Geschehnisse jenes gewissen Tages wirkten immer noch in ihm nach. Seinen Entschluss, die Zeit nicht nur an den Spieltischen oder auf der Jagd nach hübschen Röcken zu verbringen, hatte er nie bereut.

„Singvogel?“ Verwundert kräuselte sie die makellose Stirn. „Ich fürchte, nun wissen Sie mehr als ich, Lord Coltonby.“

„Algernon Finc, meine ich. Erst sein Spitzname brachte ihn mir wieder in Erinnerung, eine wahre Schande. Ich hatte angenommen, jede Einzelheit hätte sich in mein Gedächtnis eingebrannt, wie ich indes feststellen musste, sind gewisse Details meiner Erinnerung entschlüpft. Dafür bitte ich tausend Mal um Vergebung.“ Brett fasste seinen Spazierstock fester, sich jegliche weitere Äußerungen verbietend. „Ein trauriges Ereignis. Völlig sinnlos. Bedauerlicherweise waren beide Männer vernünftigen Argumenten nicht zugänglich. Sie haben einen hohen Preis dafür bezahlt.“

„Sie erinnern sich tatsächlich.“ Ihre blaugrünen Augen weiteten sich leicht.

„Es ließ mir keine Ruhe, raubte mir sogar den Schlaf“, erklärte Brett. „Erst in den frühen Morgenstunden konnte ich mich Ihres Namens wieder entsinnen, und es überkam mich umgehend der unbezwingbare Wunsch, mich bei Ihnen für mein Benehmen zu entschuldigen.“

„Es wundert mich, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, sich all dies wieder ins Gedächtnis zu rufen.“ Er registrierte Miss Clares strahlendes Lächeln, aber auch, wie sie mit der Hand nervös an den Bändern ihrer grässlichen Haube spielte. „Es war impertinent von mir, Ihre Bekanntschaft mit meinem verstorbenen Verlobten zur Sprache zu bringen. Ich war ein wenig aufgebracht … wegen der Schwierigkeiten mit dem Gig. Bitte entschuldigen Sie, dass ich diese Angelegenheit erwähnt habe.“

Brett blickte sie erstaunt an. Jegliche Lebensfreude schien aus ihr gewichen zu sein. Die temperamentvolle, lebenssprühende Frau vom gestrigen Tag war verschwunden, lediglich diesen Schatten ihrer selbst hinterlassend. Wann hatte sie sich so verändert? Welches Wesen besaß die wahre Miss Clare? Er wusste, welches er vorziehen würde.

„Hoffentlich hat sich dieses unselige Duell nicht auf Ihre derzeitige Situation ungünstig ausgewirkt. Obwohl ich Ihnen dies bereits damals in meinem Brief bekundete, möchte ich Ihnen nochmals mein tiefstes Mitgefühl für Ihren traurigen Verlust aussprechen.“

„Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Mittlerweile habe ich mich mit diesem entsetzlichen, erschütternden Ereignis abgefunden, Lord Coltonby. Sie müssen meine Gefühle nicht schonen, sondern können ganz offen sprechen. Es ist mir bekannt, dass Algernon sich wegen einer Kurtisane duellierte. Einige meiner Freunde in London berichteten mir mit größtem Vergnügen davon.“

„In diesem Fall bedaure ich die Wahl Ihrer Freunde. Es sollte eine vertrauliche Angelegenheit bleiben.“ Brett räusperte sich. „Diejenigen, die davon wussten, taten alles in ihrer Macht Stehende, um diese Affäre zu vertuschen. Das müssen Sie mir glauben. Mir ist gewiss nie ein Wort über die Lippen gekommen.“

„Die Umstände eines Todes, wie ihn Algernon ereilte, können nicht geheim gehalten werden, Lord Coltonby.“ Diana hielt den Kopf aufrecht, doch innerlich bebte sie. Niemals zuvor hatte sie von den Stunden gesprochen, die Algernons Tod vorausgingen. Und sie hegte nicht die Absicht, jemanden ins Vertrauen zu ziehen, schon gar nicht einen Mann wie Lord Coltonby. „Was immer man damals auch über mich sagte, ist inzwischen vergessen. Die Lästerzungen und Klatschbasen haben längst neue Opfer gefunden.“

Brett schüttelte den Kopf, seine Augen nahmen eine warme hellgraue Farbe an. „Mir ist nichts Schlechtes über Sie zu Ohren gekommen. Allerdings hat Singvogel den Skandal förmlich angezogen. Er wäre nie ein guter Ehemann geworden.“

„Ich habe nicht um Mitleid gebeten.“ Diana drückte die Hände aneinander. Insgeheim musste sie Lord Coltonby recht geben. Jedoch konnte sie für Mrs. Tanners Benehmen keine Entschuldigung gelten lassen. Die Anstandsdame, die damals angestellt gewesen war, um Glücksritter von ihr fernzuhalten, hatte kläglich versagt. „Zu meiner Entschuldigung kann ich lediglich meine Naivität anführen. Ich war gutgläubig und weltfremd. Zweifellos durchschauten die meisten Frauen Algernon, meine Anstandsdame indes leider nicht.“

Lord Coltonbys Mundwinkel sanken nach unten. „Es ist jammerschade, dass Ihre Freunde Ihnen nicht rechtzeitig sagten, in welchem Ruf Singvogel stand. Auch seine finanzielle Lage war durchaus kein dunkles Geheimnis, sondern hinlänglich bekannt.“

„Der ton ist nicht so wohlwollend eingestellt, wenn man bloß am Rande der Gesellschaft steht.“ Den Kopf reckend unterdrückte sie die Flut alter Gefühle, in der sie zu versinken drohte. Bleib ruhig und gelassen. Seit der verhängnisvollen Nacht in den Vauxhall Gardens folgte sie ihren selbst aufgestellten Regeln, die ihr Schutz gaben. Die Erinnerungen verdrängend fuhr sie fort: „Ich ziehe das friedvolle Northumberland vor. Die Gesellschaft hier mag zwar insgesamt langweiliger sein, aber wenigstens kennt man die Menschen und ihren Ruf.“

„Warum sind Sie denn überhaupt nach London gereist?“

„Mein Vater hatte es sich in den Kopf gesetzt, für seine Kinder gute Partien zu finden. Die Mutter meiner verstorbenen Schwägerin riet ihm, mich nach London zu schicken.“

„Wie hat Ihr Vater diesen schändlichen Vorfall aufgenommen?“

„Er hat nie davon erfahren. Mein Vater starb. Es grassierte eine Epidemie, die auch meine Schwägerin Jayne dahinraffte. Mein Bruder setzte mich brieflich davon in Kenntnis. Natürlich war es meine Pflicht, umgehend nach Northumberland zurückzukehren.“ Noch während sie die Worte aussprach, wusste sie, dass diese bestenfalls nur zum Teil der Wahrheit entsprachen. Sie war froh gewesen, London entfliehen zu können. Der Brief, in dem Simon um ihre Rückkehr bat, war ihr wie ein Zeichen des Himmels vorgekommen, gab ihr dies doch Gelegenheit, ihre Wunden zu lecken und ihr Leben vernunftvollen Taten in friedvoller Abgeschiedenheit zu widmen. „Ich habe meine Lektion auf unsanfte Weise lernen müssen und hege weder Bedauern noch Vorwürfe.“

„Das ist schön zu hören.“ Sein Blick glitt über ihren Körper, blieb an ihrem züchtigen Dekolleté hängen. „Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen. Gewiss wäre es Singvogel nicht recht gewesen, wenn Sie ihn bedauerten.“

Zaudernd strich sie sich über ihr schlichtes grünes Kleid. „Gibt es einen weiteren Grund für Ihren Besuch, Lord Coltonby? Gewiss sind Sie nicht gekommen, um sich in Erinnerungen an verblichene Freunde zu ergehen.“

„Sie haben mich nicht aufgesucht, um Ihr Buch abzuholen, deshalb bringe ich es Ihnen. Ich war überzeugt, Sie würden es nach Ihrer sicheren Heimkehr benötigen.“

„Mein Buch.“ Diana blickte auf den Band in seinen Händen und dann wieder in Lord Coltonbys Gesicht. „Natürlich, mein Buch.“

Sie streckte die Hand danach aus, und er reichte es ihr. Ihre Finger berührten sich kurz, ein leichter Blitz zuckte durch ihren Arm, sodass ihr das Buch entglitt. Brett fing es geschickt auf und legte es behutsam auf einen kleinen Tisch.

„Ich hatte eine Nachricht von Ihnen erwartet, da Sie meinen Namen kannten, ich den Ihren indes nicht“, durchbrach er das Schweigen.

„Ich wollte weder Sie noch Ihre Dienerschaft mit solch einer Kleinigkeit belästigen“, hauchte Diana.

„Dabei hatte ich angenommen, Sie würden mich gerne wiedersehen.“ Er lächelte. Diana war es unmöglich, sein Lächeln nicht zu erwidern. „Lassen Sie uns die Vergangenheit vergessen. Wir könnten zugleich Freunde und Nachbarn sein.“

Scharf zog Diana die Luft ein. Freundschaft? Seit wann suchte ein Mann wie er die Freundschaft zu einer Frau? „Wir sind Nachbarn.“

„Und wie sollen wir dann diese gutnachbarliche Freundschaft besiegeln?“

Diana fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen. Besiegeln. Eine verblasste Erinnerung erwachte in ihr, warnte sie mit einem prickelnden Gefühl im Nacken. Sie bot ihm ihre Hand. „Wie es sich für einen Gentleman und eine Dame geziemt.“

Er schaute auf ihre Hand, dann wanderte sein Blick zu ihrem Mund. Unvermittelt wurde ihr heiß und kribbelig. Lächelnd ergriff er ihre Hand und hielt sie einen Augenblick länger als notwendig fest. „Es ist mir wie immer ein Vergnügen, Miss Clare.“

„Willkommen in Northumberland und unserer Nachbarschaft, Lord Coltonby“, sagte sie förmlich, bemüht, ihrem unverhofft wild klopfenden Herzen keine Beachtung zu schenken. Rasch entzog sie ihm ihre Hand.

„Ich freue mich darauf, zu erkunden, was Northumberland zu bieten hat. Ebenso sehr freue ich mich darauf, unsere Freundschaft zu vertiefen.“

„Zwischen Nachbarn und Freunden besteht ein Unterschied.“

„Ich vertraue darauf, dass wir beides sein werden.“

Diana richtete die Bänder ihrer Haube, sodass sie noch züchtiger ihren Kopf bedeckte. „Mein Bruder wird es bedauern, Ihren Besuch versäumt zu haben.“

„Das liefert mir einen guten Vorwand, Ihnen erneut meine Aufwartung zu machen.“ Lord Coltonbys dunkelgraue Augen hielten ihren Blick fest.

„Wenn es Ihnen beliebt“, erwiderte Diana und fügte im Geiste eine weitere Regel hinzu, die es zu beachten galt: Lord Coltonby bedeutete Gefahr, sie musste ihm zukünftig unbedingt aus dem Weg gehen. Ihr Überleben hing davon ab.

3. KAPITEL
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„Haben Sie die aufregende Neuigkeit bereits vernommen, Miss Clare?“ Die schrille Stimme Miss Miranda Bolts bohrte sich in Dianas Ohren, kaum dass sie am nächsten Morgen aus der Tür der Leihbücherei trat.

„Welche Neuigkeit?“, hakte Diana vorsichtig nach, nachdem sie die fein herausgeputzte junge Dame begrüßt hatte. Schon spürte sie ein schmerzhaftes Pochen hinter ihrer Stirn.

Miss Bolt schüttelte ihre hellblonden Locken. Ihre schmalen Lippen bebten vor Aufregung. „Meine Eltern werden zu Ehren unseres neuen Nachbarn einen Ball geben. Ich wurde ohnmächtig, als ich davon hörte. Mama musste mir Riechsalz verabreichen lassen.“

„Wir haben die Einladung gestern erhalten.“ Diana zwang sich zu einer unverbindlichen Miene. Sie beabsichtigte, am Nachmittag eine Absage zu formulieren, in der sie ihr Bedauern kundtat, nicht an dem Ball teilnehmen zu können. Simon konnte gehen, sollte er diesen Wunsch verspüren. Sie indes würde einen Grund ersinnen, aus dem sie nicht an der Festivität teilnehmen konnte. So wie sie sich allen gesellschaftlichen Veranstaltungen fernhielt.

„Sie und Ihr reizender Bruder müssen kommen. Sie haben sich bereits den Weihnachtsball in Newcastle im letzten Jahr entgehen lassen. Diesen Ball dürfen Sie einfach nicht versäumen.“ Miss Bolt klatschte in die Hände. „Gewiss werden alle infrage kommenden Junggesellen aus der Nachbarschaft zugegen sein. Natürlich wird man mich sehr umschwärmen, das habe ich Mama bereits erklärt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich eine brillante Partie machen werde, die meinem gesellschaftlichen Rang in höchstem Maße angemessen ist. Vergeben Sie mir, Miss Clare, falls Sie mich für hochmütig halten, indes gebe ich nur die Wahrheit kund.“

„In der Tat.“ Diana verkrampfte innerlich. Es fiel ihr nicht leicht, ihr Lächeln beizubehalten.

„Deshalb versuche ich auch, Mama von der Notwendigkeit einer Ballsaison in London zu überzeugen.“ Erschrocken legte Miss Bolt die Hand auf den Mund. „Oh, meine liebe Miss Clare, ich vergaß ganz, wie unangenehm es Ihnen sein muss, über London zu sprechen.“

„Warum sollte mir dies unangenehm sein?“

„Nun, wegen Ihres Desasters.“ Miss Bolt senkte die Stimme und legte Diana kurz die Hand an den Ellbogen, eine Geste falschen Mitgefühls. „Jedes Mal, wenn ich daran denke, möchte ich am liebsten weinen. Mama hat Ihr Fiasko erst kürzlich wieder erwähnt und mir empfohlen, daraus eine Lehre zu ziehen. Diesen Rat werde ich mir zu Herzen nehmen. Meine liebe, arme Miss Clare, wenn ich nach London reise, werde ich nicht als Mauerblümchen enden. Ich bin für einen Earl geschaffen, zumindest aber für einen Viscount.“ Miss Bolt strich sich neckisch über die blonden Locken. „Mit meinem Aussehen, meiner Erziehung und Papas Vermögen sollte ein Titel für mich durchaus in Reichweite sein.“

„Man sollte immer nach dem Erreichbaren streben.“

„Wie geistreich von Ihnen. Das Erreichbare, nicht das Unerreichbare. Das werde ich mir merken. Ich sammle solche Bonmots, um sie bei passender Gelegenheit vor meinen Freunden wiederzugeben.“ Miranda Bolt lachte trällernd. „Und, haben Sie?“

„Habe ich was?“ Diana blickte Miranda Bolt erstaunt an. War Miss Bolt der Verstand an diesem Morgen etwa vollständig abhandengekommen?

„Nun, nach dem Erreichbaren gestrebt“, erwiderte Miranda Bolt mit enervierender Selbstgefälligkeit. „Geriet Ihre Ballsaison deshalb zum Misserfolg?“

Diana zählte langsam stumm bis zehn. Leidenschaftliche Gefühle waren der Feind der Vernunft, dennoch war ihr der Gedanke, nach all den Jahren von Lady Bolt und ihrer grässlichen Tochter bemitleidet zu werden, unerträglich. „Ich musste aus familiären Gründen vorzeitig nach Northumberland zurückkehren.“

Miss Bolt rang nach Luft, um gleich darauf in albernes Gekicher auszubrechen. „Ist das nicht Lord Coltonbys Kutsche?“

Mit einem Prickeln im Nacken wandte Diana sich um und erblickte eine vornehme gelbe Karriole, gezogen von zwei schlanken Braunen, die ein Diener am Zügel festhielt. „Möglicherweise.“

„Er hat sein eigenes Vermögen gemacht, wussten Sie das?“, fuhr Miranda Bolt mit geröteten Wangen fort. „Papa erwähnte, dass Lord Coltonby nach dem Tod seines Bruders nur den Titel erbte, das Vermögen war verbraucht. Er hat Pferdeverstand“, fuhr sie zusammenhanglos fort. „Papa hofft, ihn für eine geschäftliche Angelegenheit zu gewinnen. Haben Sie ihn bereits kennengelernt? Immerhin ist er Ihr nächster Nachbar.“ Miranda Bolt faltete die Hände. „Er ist der bestaussehende Gentleman, der mir je begegnet ist. Kürzlich machte er Papa seine Aufwartung. Bei dieser Gelegenheit wurden wir einander vorgestellt. Mama hegt große Hoffnungen.“

„Wie erfreulich für Sie.“ Diana umfasste ihr Retikül fester. Sie durfte sich ihren Ärger nicht anmerken lassen. Warum nur stand sie in Miranda Bolts Gegenwart immer nahe davor, die grundlegenden Regeln der Etikette zu vergessen?

„Ich glaube, er hat zu uns rübergeschaut.“ Rasch glättete Miss Bolt ihren Rock und richtete ihren Hut. „Mama sagt, sein Vermögen sei größer als das von Lord Allendale und Lord Carlisle zusammengenommen. Mama irrt sich nie in solchen Dingen. Sie ist fest entschlossen, eine Heirat einzufädeln.“ Miss Bolt lachte zwitschernd. „Ich vergaß, liebe Miss Clare, dass Sie wahrscheinlich niemals in den Stand der Ehe treten werden. Schmerzt es Sie da, wenn andere von Heirat sprechen?“

„Es macht mir nicht im Geringsten etwas aus, Miss Bolt. Derlei Dinge kümmern mich nicht. Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen, Robert bat in seinem letzten Brief um einige Dinge, die ich ihm besorgen möchte.“ Diana wandte sich zum Gehen, aber Miss Bolt packte sie schmerzhaft fest am Arm.

„Bitte warten Sie, Miss Clare. Die Sachen für Ihren reizenden Neffen können Sie später noch besorgen. Ich bin im Augenblick in viel größerer Not.“

„Miss Bolt, so halten Sie sich doch bitte zurück“, meinte Diana, der jungen Frau einen verblüfften Blick zuwerfend. Zögernd lockerte Miss Bolt ihren schraubstockartigen Griff. Diana rieb sich den Arm, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen.

„Ich bitte vielmals um Pardon, indes flehe ich Sie an, bleiben Sie.“ Tränen glitzerten in Miss Bolts Augen. „Verlassen Sie mich nicht in dieser Stunde der Not.“

„Warum soll ich bleiben? Welches Unglück könnte Ihnen denn hier auf der Hauptstraße von Ladywell widerfahren?“ Diana bemühte sich inständig, die Geduld nicht zu verlieren.

„Lord Coltonby wird mich begrüßen wollen. Sehen Sie, er kommt zu mir herüber. Bei seinem Besuch sind wir uns zwar nur kurz begegnet, aber ich spürte gleich sein Interesse an mir.“ Sie seufzte vielsagend. „Ich konnte es an der Weise erkennen, wie er mir Guten Tag wünschte. Oh, was für ein aufregender Junggeselle!“

Miss Bolt deutete mit dem Kopf zum Mietstall hinüber, aus dem soeben Lord Coltonby trat; jeder Zoll an ihm verriet den wahren Gentleman. Indes kündeten seine geschmeidigen Bewegungen auch von einem unzähmbaren Wesen, das Diana magisch anzuziehen schien. Sie musste sich zwingen, den Blick abzuwenden. Tief ein- und ausamtend versuchte sie sich alle Gründe ins Gedächtnis zu rufen, die Lord Coltonby gefährlich machten, nur um festzustellen, dass sie an nichts anderes denken konnte als an sein Lächeln.

„Es mag den Anschein haben, dass er zu uns herüberkommt. Womöglich will er aber lediglich die Leihbücherei aufsuchen.“ Diana hoffte inständig, er würde nach einem kurzen, höflichen Gruß sogleich weitereilen.

„Mir werden die Knie weich.“ Hastig kniff sich Miss Bolt in die Wangen und glättete ihr Kleid. „Mama wird höchst entzückt sein, dass Lord Coltonby mir öffentlich die Gunst seiner Gesellschaft erweist. Wissen Sie, wie weit seine Ahnenreihe zurückreicht? Mama hat sie mich am gestrigen Abend auswendig lernen lassen. Das Glück steht auf der Seite der Vorbereiteten.“

„Ich bin mir sicher, Sie benötigen mich nicht.“ Diana schob Miss Bolts Hand von ihrem Ärmel. „Schließlich verfügen Sie dank Ihrer Frau Mama über eine gute Kinderstube.“

„Wie ich hörte, sagt man Lord Coltonby einen gewissen Ruf nach“, flüsterte Miss Bolt ihr zu. „Daher besteht Mama darauf, dass ich mich nicht ohne Anstandsdame in seine Gesellschaft begebe. Eine Frau von Rang und Namen kann nicht vorsichtig genug sein, besonders wenn sie sich mit einem Earl vermählen will.“

Diana kniff die Lippen zusammen, um die warnenden Worte, die ihr auf der Zunge lagen, zurückzuhalten. Die arme, dumme Miss Bolt. Nie hätte sie gedacht, jemals Mitleid mit der jungen Frau zu empfinden. Jemand sollte sie darüber aufklären, was es bedeutete, einen Lebemann in sein Netz bekommen zu wollen. Jemand, aber nicht ich. Miss Bolt würde mir keinen Glauben schenken, sondern in mir bloß eine eifersüchtige alte Jungfer sehen. Auch könnte sie Miss Bolt kaum warnen, ohne ihr eigenes Erlebnis zu enthüllen.

Erneut schaute sie zu Lord Coltonby hinüber, der zielstrebig auf sie zukam. Es würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen, Miss Bolt unauffällig vor ihm zu schützen. Das war ihre Pflicht.

„Ah, Miss Clare, ich bin entzückt, Sie wiederzusehen.“ Lord Coltonby ergriff Dianas Hand und führte sie an seine Lippen, die einen Augenblick länger auf ihren Fingern verweilten, als es der Schicklichkeit entsprach. Unwillig versuchte Diana, ihm ihre Hand zu entreißen, und spürte, wie er sie mit dem Daumen sanft liebkoste, bevor er sie schließlich freigab. Sie war dankbar, dass die Krempe ihres Schutenhutes die plötzliche Röte ihrer Wangen verbarg. Seine schwarzen Stiefel betrachtend zählte sie bis zehn, um wieder die Fassung zurückzugewinnen.

Miranda Bolt hüstelte und hielt ihm, mit flatternden Wimpern, vielsagend ihre Hand hin. „Lord Coltonby, wie wundervoll. Es ist ein solch unerwartetes Vergnügen, Sie hier zu treffen.“

„Miss Bolt.“ Lord Coltonby neigte den Kopf, machte aber keine Anstalten, die dargebotene Hand zu ergreifen. „Ich hoffe, Ihre Mutter ist wohlauf. Der Obstkorb, den sie mir zukommen ließ, war ein solch aufmerksames Willkommenspräsent.“

„Mama wird erfreut sein, dies zu hören.“ Miss Bolt versank in einem tiefen Knicks. „Sie trug mir auf, mich nach Ihrer Gesundheit zu erkundigen, sollten wir uns begegnen. Sie verfügt über ein Tonikum, das Ihnen gewiss Linderung verschafft, falls Ihnen die frische Luft in Northumberland Unbehagen bereitet …“

„Das ist ausgesprochen reizend von Lady Bolt. Im Augenblick benötige ich ihre Fürsorge jedoch nicht.“

Diana atmete erleichtert aus. Offenbar hegte er kein besonderes Interesse an Miss Bolt. Sie konnte sich also guten Gewissens verabschieden, wenn Miss Bolt sie nur zu Wort kommen ließe. Diese plapperte jedoch ohne Unterlass über das Wetter.

Gelangweilt griff Lord Coltonby in seine Tasche, eine Schnupftabaksdose hervorholend. Dianas Augen verengten sich, ihr ganzer Körper verkrampfte sich unvermittelt, erinnerte sie sich doch, dass auch Algernon diese List angewendet hatte. Sollte Sie eingreifen? Sie sah Miss Bolt unschlüssig auf die dargebotene Prise blicken, überlegen, ob sie diese annehmen sollte oder nicht. Vernehmlich hüstelnd schüttelte Diana den Kopf. Miss Bolts Gesicht zeigte eine säuerliche Miene, ihre Hand indes zog sie zurück.

„Sie missbilligen mein Handeln, Miss Clare. Das kann ich an Ihren hochgezogenen Augenbrauen erkennen“, sagte Lord Coltonby. Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen. „Sie tragen stets eine kaum merkliche Strenge zur Schau. Immer sind Sie eisern entschlossen, das Richtige zu tun und den Konventionen zu entsprechen.“

„Ob ich es nun billige oder nicht, spielt wohl keine Rolle, da Sie zweifellos beabsichtigen, dem Schnupftabak zu frönen, gleich, was ich dazu sage. Für eine junge Dame indes geziemt es sich nicht.“ Diana hob das Kinn und schaute ihn fest an, den Drang unterdrückend, sich schnellstmöglich würdevoll zu verabschieden. Sie musste Miranda schützen. Keinesfalls konnte sie es zulassen, dass ein unschuldiges Mädchen auf ihn hereinfiel. Jede wahre Dame würde dies verhindern.

„Ich lege allerdings größten Wert darauf, mich gut mit Ihnen zu stellen. Ihr Lächeln ist weitaus hübscher anzusehen als Ihr Stirnrunzeln.“ Er ließ die Tabaksdose in seine Tasche gleiten. „Also werde ich mich Ihrem Wissen über die regionalen Gepflogenheiten beugen, ebenso wie in anderen Dingen. Was in London statthaft sein mag …

„Die Regeln der Gesellschaft sind gewöhnlich überall recht ähnlich, Lord Coltonby.“ Ihr Retikül fest umfassend atmete Diana tief durch. „Wenn man gesunden Menschenverstand und Höflichkeit walten lässt, so finde ich, begeht man höchst selten einen Fauxpas.“

„Welch vernünftiger, schätzenswerter Rat, Miss Clare. Ist es da ein Wunder, wenn ich an jedem Ihrer Worte hänge?“ Ein Grübchen zeigte sich in seiner Wange.

„Mit nicht ernst gemeinten Schmeicheleien werden Sie sich keinen Gefallen erweisen, Lord Coltonby.“

„Woher wollen Sie wissen, dass meine Worte nicht ernst gemeint sind?“

„Ihr Grinsen hat es mir verraten“, sagte Diana mit niederschmetternder Bestimmtheit. Sie wollte dieses Gespräch endlich beenden und in den Schutz ihres Heimes zurückkehren.

Er lachte, und seine grauen Augen funkelten. „Wie immer fällt es mir schwer, Miss Clare, Sie aus der Fassung zu bringen. Aber es bereitet mir außerordentliches Vergnügen, dies zu versuchen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal derart amüsiert habe.“

„Es ist nicht Zweck meines Daseins, für Ihr Amüsement zu sorgen.“

„Dies ließe sich indes arrangieren, wenn Sie es wünschen.“ Seine Stimme glich einem leisen Schnurren, das mit ihren Sinnen spielte und süße Wonnen versprach, wenn sie es nur zuließe. Aber sie war keine naive Debütantin, die sich bei einem Besuch in den Vauxhall Gardens vom rechten Weg abbringen ließ.

Diana schüttelte den Kopf. Niemals würde sie vergessen können. Er war der Gründer des Jehuklubs, der Prinz der Schwerenöter. Solche Männer bedeuteten für eine unachtsame Frau nichts als Ärger. Sie waren nur an ihrem eigenen Vergnügen interessiert, nahmen lieber, denn dass sie gaben. Ein kleiner Teil von ihr wollte indes allzu gerne glauben, dass er sich geändert hatte.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie so gut mit Lord Coltonby bekannt sind, Miss Clare. Offenbar sind Sie ja sogar intime Freunde. Davon haben Sie mir gar nichts erzählt.“ Miss Bolts Stimme klang schneidend, und ihr kleiner Mund verzog sich, als ob sie eine besonders saure Frucht verspeist hätte, während sie sich zwischen Diana und Lord Coltonby schob. Die Federn an ihrem Hut kitzelten Dianas Nase. Ein Niesen unterdrückend tat sie einen Schritt zur Seite.

„Intime Freunde? Sind wir das?“ Mit hochgezogener Augenbraue schenkte Lord Coltonby Diana einen leicht süffisanten Blick. „Bitte klären Sie mich darüber auf, was man unter dem Begriff ‚intim‘ hier in Northumberland versteht, Miss Clare. Ich möchte prüfen, ob er mit meinem Verständnis davon übereinstimmt. Wie Sie wissen, liegt es mir fern, eine Dame zu enttäuschen.“

„Ich habe Lord Coltonby in London kennengelernt, Miss Bolt“, erwiderte Diana schwer schluckend. „Und vor Kurzem war er so freundlich, mich aufzusuchen, um unsere Bekanntschaft aufzufrischen. Er zieht die Menschen gerne auf. Solche provokanten Sticheleien sind ein Wesenszug von ihm. Sie sollten ihm daher einfach keine Beachtung schenken.“

„Ich erneuere gerne Bekanntschaften, falls es mir möglich ist.“ Brett bedachte sie mit einem strahlenden Blick. „Besonders, wenn sie so charmant sind wie Miss Clare. Grausamerweise fand unsere Beziehung recht unvermittelt ein Ende, und ich betrachte es als besonderes Geschenk, diese wieder pflegen zu können, nun, da ich mich hier niedergelassen habe.“

Diana neigte den Kopf und schaute ihn unter halb geschlossenen Lidern an. Dieses Mal trug sein Gesicht, von seinen strahlenden Augen einmal abgesehen, den Ausdruck völliger Ernsthaftigkeit. Niemand würde vermuten, dass er dies alles nur vortäuschte. Sie konnte ihren Herzschlag in ihren Ohren pulsieren hören. Am Knopf ihres Handschuhs nestelnd wünschte sie, sie wüsste, warum er dieses Spiel so entschlossen verfolgte.

„Sie haben Miss Clare ausfindig machen wollen und sie sogar vorsätzlich aufgesucht?“ Miss Bolt stampfte leicht mit dem Fuß auf. Der engelsgleiche Ausdruck in ihrem Gesicht war verschwunden. „Mir hat man immer zu verstehen gegeben, Miss Clares Aufenthalt in London sei ein durchschlagender Misserfolg gewesen, ein heilloses Fiasko.“

„Da hat man Sie falsch informiert, Miss Bolt.“ Brett verneigte sich tief. „Miss Clare war eines der Glanzlichter der Saison. Bedauerlicherweise rief die Pflicht sie nach Hause zurück. Die Hauptstadt wurde nach ihrer Abreise ein wenig grauer und trister.“

„Die Pflicht … ja, vermutlich.“ Miss Bolt tippte mit dem Finger an ihre verschränkten Arme. „Die Gemahlin des armen Simon Clare verstarb und hat ihn mit diesem … diesem Knaben zurückgelassen. Das hatte ich gar nicht in Betracht gezogen. Aber natürlich musste sie deshalb heimkehren. Nun, da ich darüber nachdenke, erscheint mir dies nur selbstverständlich. Die liebe Miss Clare hat sich wahrhaftig selbstlos verhalten.“

„Bei jeder meiner Begegnungen mit Miss Clare ist mir ihr nobler Charakter aufgefallen. Meine Achtung vor ihr ist sogar noch gestiegen, nun, da ich weiß, dass sie ein schwieriges Kind erzieht.“

„Robert ist keineswegs schwierig“, warf Diana ein. „Er ist ein reizender Junge, wenn auch ein wenig temperamentvoll. Ich bin stolz auf meinen Neffen.“

„Ein wenig temperamentvoll? Er hat Käfer in die Zuckerdose getan und damit meine arme Mama fast zu Tode geängstigt.“

„Er dachte, die Dose sei leer.“ Diana musste ein Lachen unterdrücken, als sie sich des Vorfalls im letzten Sommer erinnerte. Die Bolts indes hatte der Vorfall keineswegs amüsiert, denn einer der Käfer verirrte sich in Miss Bolts Dekolleté. Simon behauptete später, ihre Schreie seien so durchdringend gewesen, dass er sie sogar durch die geschlossene Tür seines Arbeitszimmers vernommen hätte. „Er hat sich entschuldigt.“

„Ja, aber bloß, weil Sie es von ihm verlangten.“ Miss Bolt schnaubte vernehmlich. „Zum Glück haben Sie den Käfer entfernen können!“

„Es ist schön zu hören, dass Miss Clare die Situation im Griff hatte. Ein schneller Verstand und ein kühler Kopf in schwierigen Situationen sind Charakterzüge, die ich bewundere.“

Diana hob den Kopf und begegnete Lord Coltonbys Blick. Nachdenklich biss sie sich auf die Lippe. Sie war so schnell bereit gewesen, das Schlimmste von ihm zu denken. Wenn sie nun aber mit ihrem Urteil falschlag? Wenn er in der Tat nur Freundschaft suchte?

„Ich muss gestehen, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Im Augenblick einer Krise einen kühlen Kopf bewahren. Das trifft durchaus zu.“ Miss Bolt zog die Unterlippe zwischen die Zähne, was ihr das Aussehen eines erschrockenen Kaninchens verlieh. „Womöglich irrt Mama gelegentlich in ihrem Urteil über manche Menschen.“

„Ich erachte es als das Beste, jeden Menschen selbst zu beurteilen. Geschwätz und Heuchelei sollte man möglichst keinerlei Beachtung schenken.“

Miss Bolts Lächeln schwand, rasch blickte sie von einem zum anderen. „Ich gebe nichts auf Klatsch und Tratsch.“

„Sie tragen einen weisen Kopf auf Ihren jungen Schultern, Miss Bolt. Entdecke den wahren Charakter einer Person, das ist der Schlüssel zum Erfolg.“

Diana wusste, die Worte waren dazu gedacht, Miss Bolt in ihre Schranken zu weisen, aber zu ihrer Überraschung wünschte ein kleiner Teil von ihr, dass er tatsächlich eine gute Meinung von ihr hatte, trotz der Klatschgeschichten, die man damals in London über sie verbreitet hatte, trotz Lady Bolts missgünstiger Ansichten über sie.

Eine Hand an ihre Wange legend mahnte sich Diana insgeheim aufzuwachen. Wenn sie nicht achtgab, würde sie bald schon wieder von Dingen träumen, die unmöglich wahr werden konnten. Im Alltag lag Sicherheit. Die gewohnten Abläufe und strengen Regeln verhinderten spontane Handlungen. Ungestüm hatte ein Mal zu ihrem Fall geführt. Niemals wieder würde ihr dieser Fehler unterlaufen. Sie hatte ihre Unbesonnenheit bezwungen.

„Es war reizend, Sie wiederzusehen, Lord Coltonby“, sagte sie, den Kopf neigend. „Es freut mich zu hören, dass Sie mir immer noch wohlgesonnen sind.“

„Meine Gefühle Ihnen gegenüber haben sich nicht verändert, seit dem Tag, an dem ich zum ersten Mal einen Blick auf Sie werfen durfte“, sagte er leise, umfasste ihre Hand erneut und zog sie an seine Lippen.

Diana zwang sich stillzustehen, als sein Mund den schmalen Streifen Haut berührte, den der aufgeknöpfte Handschuhknopf freigab. Hitze durchflutete sie. Rasch entzog sie ihm ihre Hand und knöpfte den Handschuh zu. Der sardonische Zug, der um seinen Mund lag, während er sie unverhohlen musterte, entging ihr nicht.

„Oh-oh, da ist Mama. Sie wird wissen wollen …“ Ohne den Satz zu beenden, eilte Miss Bolt davon.

Ein Lächeln erschien auf Lord Coltonbys Lippen, während sie Miss Bolt nachblickten. Offensichtlich brannte sie darauf, ihrer Mutter den neuesten Klatsch, den sie soeben erfahren hatte, in allen Einzelheiten zu schildern.

„Das verlief ja ausgezeichnet. Nun erklären Sie mir bitte, was man unter dem Begriff ‚intim‘ hier in Northumberland versteht.“

„Ich weiß nicht, welches Spiel Sie spielen, aber es gefällt mir nicht.“ Diana atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Wir hatten nie und werden nie eine Liaison miteinander haben. Wie konnten Sie es wagen, derlei anzudeuten?“

„Tat ich das? Sie müssen wohl zu viel in meine Worte hineingedeutet haben. Eine schlechte Angewohnheit, Miss Clare. Ich meine immer genau das, was ich sage. Dadurch erspart man sich manchen Ärger.“

„Ich muss meine Einkäufe erledigen. Ich habe keine Zeit, mit flüchtig bekannten Nachbarn auf der Hauptstraße Wortklaubereien zu betreiben.“

„Dabei habe ich uns bereits als gute Freunde gesehen.“

„Ich fürchte, Lord Coltonby, unsere Bekanntschaft wird sich immer nur auf gute Nachbarschaft beschränken.“ Diana straffte den Rücken und ging mit einem Seufzer der Erleichterung, wie sie sich einredete, davon. Sie weigerte sich, auch nur einen Blick zurückzuwerfen, selbst als sie glaubte, das Wort „Feigling“ zu hören.

Den bernsteinfarbenen Cognac im Kristallglas schwenkend betrachtete Brett die allmählich in Dunkelheit versinkende Landschaft. Der heutige Tag war recht vergnüglich gewesen. Er hatte es genossen, mit Diana Clare mündlich die Klingen zu kreuzen.

Sie mochte nicht von konventioneller Schönheit sein, ihr kratzbürstiges Benehmen indes faszinierte ihn. Warum war sie so sehr gegen ihn eingenommen? Was hatte er ihr denn bloß getan?

„Mr. Simon Clare macht Ihnen seine Aufwartung.“ Kaum hatte der Butler die Worte ausgesprochen, da schob sich auch schon ein großer Mann an ihm vorbei. Der Schnitt seines Anzugs mochte vornehmer sein, die Stiefel mehr Glanz zeigen als damals in Cambridge, doch Brett hätte Clare an seinem durchdringenden Blick überall erkannt – ebenso wie an seinem mangelnden Benehmen.

Er kniff die Lippen zusammen. Die Tage, in denen er nichts besaß außer seinem Namen und einem Blick für Pferde, waren längst passé. Er würde sich nicht von einem Mann einschüchtern lassen, der das Neueste vom Neuen trug, um damit zu protzen. Simon Clare war stets der Annahme gewesen, sein Vermögen gäbe ihm das Recht, sich über die in der Gesellschaft üblichen Regeln des Anstands und der Höflichkeit hinwegzusetzen.

„Ah, Clare“, sagte er, nach der Karaffe greifend. „Wir haben uns lange nicht gesehen.“

„Ich bin gekommen, um Ihre letzte Forderung zu besprechen.“ Simon wedelte mit einem Blatt Papier. „Ich nehme an, Sie haben mich deswegen gestern aufsuchen wollen.“

„Ja, um zu prüfen, ob wir die Angelegenheit zur beiderseitigen Zufriedenheit klären können, ohne unsere Anwälte einschalten zu müssen.“ Brett hielt inne. Wie sollte er sich ausdrücken, um Clare nicht gegen sich aufzubringen? „Sozusagen unter Gutsherrn. Streitigkeiten geraten so leicht aus dem Ruder.“

„Das mag für die erlauchten Kreise der Aristokratie zutreffend sein“, höhnte Clare. „Aber keine Sorge. Ich kenne meinen Platz. Ich kann mir auch denken, welchen Mumpitz Biddlestone Ihnen erzählt haben mag, doch ich hege keineswegs die Absicht, dieses Stück Land zu verkaufen. Ich werde es in naher Zukunft möglicherweise selbst benötigen.“

„Daran zweifle ich.“ Brett ließ den Cognac im Glas kreisen. Clare hatte sich nicht verändert. Er war immer noch der gleiche ehrgeizige Emporkömmling wie damals in Cambridge, darauf bedacht, jede sich ihm bietende Gelegenheit zu seinem Vorteil zu nutzen. Er entbehrte jeder Tiefe und missgönnte den anderen selbst Dinge, die er gar nicht gebrauchen konnte – so wie brachliegendes Land. „Sie haben den Lorenweg nicht mehr benutzt, seit Sie die neue Verladestelle haben bauen lassen. Sie haben keine Verwendung mehr dafür. Ich habe Ihnen unter den gegebenen Umständen einen angemessenen Preis geboten.“

„Wissen Sie nun also über den Kohlebergbau ebenso gut Bescheid wie über Pferde? Sobald ich eine Zugmaschine habe, könnte der alte Schienenweg höchst nützlich sein.“

„Ich kann erkennen, wenn ein Mann nur seinen Vorteil sucht. Zugmaschinen sind bekanntermaßen höchst unzuverlässig. Ich möchte das Land erwerben, weil es einen schönen Blick über den Tyne bietet. Nicht, dass Sie das verstehen würden. Der Mensch solle nicht nach seinem Vergnügen trachten, sondern nach Wohlstand. Diese Ansicht vertraten Sie doch damals in Cambridge, nicht wahr?“

Simon schnaubte verächtlich. „Sie haben ein besseres Gedächtnis als ich. Ist diese lächerliche Summe Ihr letztes Angebot?“

„Es ist ein angemessener Betrag. Denken Sie darüber nach. Das ist alles, worum ich Sie bitte.“ Brett griff erneut nach dem Cognac, bereit, Clare ein Glas einzuschenken. Sie mussten die Feindseligkeiten der Vergangenheit begraben. Schließlich waren sie jetzt Nachbarn. „Bei meinem Besuch habe ich das Gespräch mit Ihrer Schwester sehr genossen.“

„Sie haben sie auch auf der Hauptstraße angesprochen.“ Die Arme verschränkend bedachte Simon ihn mit finsterer Miene. „Welches Spiel spielen Sie, Lord Coltonby?“

„Wir wurden in London einander vorgestellt. Damals ahnte ich nicht, dass sie Ihre Schwester ist. Sie ist irgendwie viel …“

„Kultivierter? Suchen Sie nach diesem Wort? Meine Schwester wurde an einer Akademie für höhere Töchter erzogen. Sie ist zu jung, um sich daran zu erinnern, wie mein Vater mit dem Geld knausern und jeden Penny zweimal umdrehen musste.“

„Geselliger war das Wort, das ich suchte.“ Brett setzte ein Lächeln auf. „Es wäre unhöflich gewesen, sie zu schneiden. Sicher stimmen Sie mir in diesem Punkt zu, Clare.“

Ein Muskel in Simons Wange zuckte. „Ich kenne Sie und Ihresgleichen. Sie versuchen, meine Schwester für Ihre Zwecke zu benutzen.“

„Tue ich das?“ Brett gelang es, seine Wut zu zügeln. „Wie stelle ich das an, wenn Sie mir das bitte verraten wollen?“

„Meine Schwester ist eine Dame. Merken Sie sich das.“

Brett schaute den Mann verblüfft an. „Sagen Sie mir, in welcher Weise ich mich ihr gegenüber ungehörig verhalten habe.“

„Ihre Machenschaften und Affären damals in Cambridge sind mir noch deutlich in Erinnerung.“ Simon beugte sich vor. „Ich bin derjenige, mit dem Sie Geschäfte machen wollen. Halten Sie sich also zukünftig von meiner Schwester fern. Sie sind kein passender Umgang für sie.“

Er stolzierte davon, die Tür krachend hinter sich ins Schloss ziehend.

„Den Umgang mit Ihrer Schwester können Sie mir kaum verbieten. Wie wollen Sie mich davon abhalten, mit ihr zu verkehren? Welchen Preis wären Sie bereit zu zahlen, damit ich mich von ihr fernhalte?“, fragte Brett ruhig in die Stille des Zimmers. „Würden Sie mir das Land verkaufen? Nein, Sie würden mir das Land vielmehr bereitwillig überlassen, Clare!“

Wenn es eine Frau gab, die ein romantisches Techtelmechtel in ihrem Leben nötig hatte, dann wohl Miss Clare. Jeder Mann in Ladywell würde ihm Dank zollen, wenn sie für ihn auf das Tragen ihrer scheußlichen Haube verzichtete. Er hatte sich entschieden. Er würde sie umgarnen, um Simon Clare zur Räson zu bringen. Es würde nicht einfach werden, aber letztendlich würde Clare kapitulieren.

Brett erhob sein Glas. „Auf die Auserwählte dieser Woche – auf Miss Diana Clare.“

4. KAPITEL
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Diana stützte den Korb, der am Morgen noch bis zum Rand mit Geschenken für die Kranken gefüllt gewesen war, auf ihre Hüfte. Sie hatte ihn nur mühsam tragen können, nun indes, nach dem Besuch in den Cottages der Bergbauarbeiter, war er leer und federleicht. Auch ihr Kopf war inzwischen wieder frei von befremdend träumerischen Gedanken, hatte sie sich doch den ganzen Morgen mit den Problemen anderer Menschen beschäftigen können.

„Miss Clare, bitte warten Sie einen Augenblick, ich werde Sie begleiten“, rief Lord Coltonby ihr zu, bevor er sein Gespräch mit den Landarbeitern fortsetzte. Den Hut trug er leicht aus der Stirn geschoben, cremefarbene Kniehosen schmiegten sich eng an seine Beine, an seinen Fingern ließ er lässig seinen Spazierstock baumeln. Obwohl er sich deutlich von den Männern unterschied, die sich um ihn geschart hatten, so schien er sich dennoch unter ihnen sehr wohlzufühlen.

Diana beschirmte mit der Hand ihre Augen. Da er sie direkt angesprochen hatte, konnte sie wohl kaum vorgeben, ihn nicht gesehen zu haben. Dumpf schlug ihr Herz, aber sie versuchte, es zu ignorieren. „Lord Coltonby, welche Überraschung, Sie hier zu treffen. Sir Cuthbert vermied es nach Möglichkeit, sich ins Arbeiterviertel zu begeben.“

Mit einigen wenigen großen Schritten überbrückte Brett die Entfernung zwischen ihnen. „Ich denke, Sie und meine Pächter werden feststellen, dass ich dieses Anwesen völlig anders führen werde als Sir Cuthbert. Fruchtwechsel, Ernteerträge und Viehzucht finden mein Interesse. Schon vor langer Zeit habe ich mir geschworen, nicht durch Abwesenheit zu glänzen, sollte ich einmal Gutsherr eines solchen Anwesens werden. Vielmehr beabsichtige ich, auf meinem Besitz zu residieren und ihm die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Es zahlt sich aus, wenn man sein Eigentum hegt und pflegt.“

„Dann haben Sie also die Absicht, die Cottages an der Ostseite reparieren zu lassen?“, fragte Diana, unfähig den Zweifel in ihrer Stimme zu verbergen. Seine eben gegebene Antwort war ihm allzu leicht über die Lippen gekommen. Hege und Pflege, wer’s glaubt. Sir Cuthbert hatte sich nie auch nur einen Deut um seine Pächter geschert. „Einige der Grubenarbeiter wohnen mit ihren Familien dort zur Miete. Ich habe Sir Cuthbert öfters auf die nötigen Reparaturen angesprochen, doch trotz seiner Versprechungen ist bisher nichts geschehen.“

„Reparaturen kosten Geld.“

„Der Besitz unbewohnbarer Bruchbuden kommt Sie auf lange Sicht viel teurer zu stehen. Der Gutsherr hat seinen Pächtern gegenüber Pflichten.“

„Das ist wahr.“ Er hob eine Augenbraue. „Übrigens bin ich hier, um die zu meinem Anwesen gehörenden Gebäude zu besichtigen. Ich möchte daher darum bitten, mich nach meinen Worten und Taten zu beurteilen, Miss Clare.“

„Sie haben also gesehen, was dringend der Reparatur bedarf? Haben Sie die Löcher in den Dächern und die verrußten Schornsteine bemerkt?“, fragte Diana rasch, ehe der Mut sie verließ. Sie kannte die Bedingungen, unter denen die Menschen hier leben mussten. Ihr war klar: Die Sorge um das Wohlergehen anderer war damals nach ihrer Rückkehr ihre Rettung gewesen.

„Ich habe mich noch nie vor meinen Pflichten gedrückt, Miss Clare. Sir Cuthbert hat sich nicht um seine Ländereien gekümmert, und sein Verwalter war unfähig. Darin bin ich mit Ihnen einer Meinung. Das Anwesen ist in weitaus schlechterem Zustand, als er mich glauben machte. Geben Sie mir Zeit, um die Dinge zu richten. Ich bin mir gewiss, Sie werden höchst zufrieden mit mir sein.“

„Wollen Sie damit etwa sagen, Sie hätten das Anwesen nicht übernommen, wenn Sie von seinem schlechten Zustand gewusst hätten?“, fragte Diana, den Korb auf ihre andere Hüfte wechselnd. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie wusste nicht, warum diese Vorstellung sie in Unruhe versetzte.

„Ich genieße die Herausforderung, Miss Clare, sie bewahrt mich vor Langeweile.“

„Langeweile ist also nicht wünschenswert?“

„Wenn man immer nur auf seine Sicherheit bedacht ist, führt man nur ein halbes Leben.“ Sein Blick wurde stahlhart. „Um wahrhaft zu leben, muss man Risiken eingehen.“

„Aha, bedeutet das, Sie werden bald abreisen?“

„Ich denke, Ladywell Park bietet mir gegenwärtig genügend Herausforderungen.“ Brett blieb bei einem Apfelbaum stehen. Er pflückte zwei Äpfel von einem über der Straße hängenden Ast und bot ihr einen davon an. Diana nahm die Frucht mit bebenden Fingern entgegen, sie unschlüssig in der Hand haltend, während er herzhaft in seinen Apfel biss. „Ich mache nicht gerne Voraussagen für die Zukunft, da diese sich jeden Augenblick ändern kann.“

Der Versuchung widerstehend legte Diana den Apfel in ihren Korb. „Sir Cuthbert hasste es, sich hier aufzuhalten. Er zog das Leben in London vor. Die Attraktionen der Hauptstadt können eine große Anziehungskraft ausüben.“

„Sir Cuthbert und ich ähneln uns in keiner Weise.“ Er nahm einen weiteren großen Bissen seines Apfels. „Mein Hauptinteresse gilt der Pferdezucht und den Pferderennen, Miss Clare. Damit finanziere ich meinen Lebensunterhalt. Das Gras in Northumberland ist saftig. Die Luft ist sauber. Die Brieftaschen und Teller sind reich gefüllt, denn die ansässigen Gutsherren verdienen gut mit der Kohle. Die Rechnung ist einfach.“

„Jeder hier wird froh darüber sein, wenn Sie Ladywell Park herrichten. Es war einst ein blühendes Anwesen.“

„Das wird es auch wieder sein, sogar noch herrlicher als zuvor. Ich beabsichtige ein neues Herrenhaus mit Blick über den Fluss zu erbauen. Schon vor langer Zeit habe ich mir Pläne für ein solches Haus zeichnen lassen.“ Brett aß den letzten Bissen seines Apfels und warf den Stutzen fort.

„Deshalb möchten Sie dieses Landstück von meinem Bruder erwerben?“ Diana neigte den Kopf. Der Grund, warum Lord Coltonby ihr so viel Aufmerksamkeit schenkte, stand ihr nun deutlich vor Augen. Er wollte, dass sie sich bei Simon für ihn einsetzte. Das hätte sie sich gleich denken können. Das Wissen um seine Absicht hinterließ Erleichterung, aber auch einen Hauch der Enttäuschung. „Ich bedaure, Lord Coltonby, mein Bruder wird sich von mir nicht in seinen Entscheidungen beeinflussen lassen.“

Seine Augen weiteten sich leicht. „Woher wussten Sie, dass ich Sie darum bitten wollte?“

„Das liegt auf der Hand. Simon kehrte gestern in schrecklich schlechter Stimmung zurück.“

„Sie würden mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Sie wenigstens mit ihm darüber sprechen würden.“ Er hielt inne. „Wir waren zur selben Zeit in Cambridge, ich fürchte, er trägt mir meine Jugendsünden immer noch nach.“

„Mein Bruder lässt sich im Geschäftsleben nicht von persönlichen Gefühlen oder Animositäten leiten.“

„In der Tat?“ Auf Bretts Lippen zeigte sich ein Lächeln. „Ich frage mich, ob das gut ist, oder eher nicht.“

„In geschäftlichen Dingen fragt er mich nie um Rat.“ Diana umschloss den Korb fester. Das Gespräch hatte einen unerwarteten Verlauf genommen. Es verlangte sie nicht danach, dass sich der Zwischenfall von der Hauptstraße wiederholte. „Sagen Sie, ist diese Region tatsächlich so vorteilhaft für Ihre Zwecke? Jeder in Ladywell wird das wissen wollen.“

„Unbedingt.“ Sein Blick wurde ernst. „Rennpferde sind meine Passion. Wenn ich an einem Rennen teilnehme, will ich siegen. Daher halte ich mich vorzugsweise dort auf, wo die Brieftaschen am dicksten gefüllt sind. Dann gibt es die höchsten Einsätze und Gewinne.“

„Das werde ich mir merken.“ Sie lachte beklommen. „Indes bezweifle ich, dass wir jemals ein Rennen gegeneinander austragen oder auch nur unseren Verstand messen werden.“

„Das kann man nie wissen. Es könnte Ihnen möglicherweise Freude bereiten.“ Samtweich flossen die Worte über seine Lippen. Sie glaubte beinahe, sie einem sanften Streicheln gleich auf ihrer Haut zu spüren. „Soll das heißen, Sie würden mich gerne einmal herausfordern, Miss Clare?“

„Nein.“ Diana hob das Kinn, bemüht, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Er wollte sie lediglich aus der Fassung bringen, mehr nicht. „Wenn London mich eines gelehrt hat, dann ist es Vorsicht. Es ist kaum zu fassen, wie viele unziemliche Offerten mir unterbreitet worden sind, noch ehe Algernon im kühlen Grab ruhte. Guten Tag, Lord Coltonby.“

Sie eilte davon, aber nach wenigen Schritten spürte sie seine Hand am Ellbogen, die sie am Weitergehen hinderte. Warm streifte sein Atem über ihre Wange. Stocksteif stand Diana da, ihr ganzes Augenmerk auf einen Stein gerichtet, der auf der Straße lag. „Lassen Sie mich sofort los.“

„Ich kann mich für das ungehobelte, derbe Benehmen von Singvogels Freunden nur entschuldigen. Mich haben Sie indes völlig missverstanden.“ Seine Stimme wurde schneidend, seine Augen blickten kalt. „Niemals würde ich eine Frau mit Hinterlist zu etwas zwingen, das sie nicht auch selbst möchte. Von mir haben Sie nichts zu befürchten, Miss Clare, ob Sie nun diese altjüngferliche Haube tragen oder nicht.“

Diana wusste, dass ihr Kleid und die Haube sie unattraktiv wirken ließen. Selbst Simon hatte Bemerkungen über die Abscheulichkeit ihrer Garderobe fallen lassen. Bisher war sie mit der Wirkung ihres Aussehens äußerst zufrieden gewesen. Nun jedoch erwachte unvermittelt in ihr der Wunsch, Lord Coltonby möge in ihr etwas Besonderes sehen. Ein sanftes Beben erfasste ihren Körper. Es war, als hätte sich die Büchse der Pandora geöffnet und all die tief in ihrem Inneren verschlossenen Gedanken und Wünsche schlagartig freigelassen. Möglicherweise bot ihr die Haube keinen Schutz mehr, hatte dies nie getan? Nein, das konnte nicht sein.

Fest zog Diana an den Bändern ihrer Haube, so heftig, dass der Stoff zerriss. Als sie beklommen zu ihm aufblickte, bemerkte sie ein Funkeln in seinen Augen, das ihr die Schamesröte in die Wangen trieb.

„Hören Sie auf meinen Rat, Miss Clare, legen Sie die Haube ab. Besser noch, verbrennen Sie sie. Ein wahrhaft entschlossener Verehrer würde ihr ohnehin keine Beachtung schenken. Sie gibt Ihnen nur ein falsches Gefühl der Sicherheit.“

Der Mann war unerträglich. Wie konnte er es wagen, in dieser Weise mit ihr zu sprechen. Ihre Haube war ihr wichtig. Sie schützte sie. Sie zeigte der Welt, dass sie eine Dame war, dass sie an einem Gatten keinen Bedarf hatte. „Was soll das heißen, sie gibt mir ein falsches Gefühl der Sicherheit?“

„Ich kannte einmal einen Mann, der Stein und Bein darauf schwor, eine gewisse Hasenpfote behüte ihn vor Krankheit und Schulden. Er zahlte einen hohen Preis dafür.“

„Was geschah mit dem Mann?“

„Mein Bruder starb an Typhus, während er die Hasenpfote fest umklammert hielt. Sein Plan, sich auf den Kontinent zurückzuziehen, um seinen Gläubigern zu entkommen, wurde damit hinfällig.“

„Das tut mir leid.“

„Das muss es nicht. Ich wollte Ihnen nur bildhaft deutlich machen, was geschieht, wenn man sein Vertrauen in Gegenstände setzt. Taten zählen, nicht Gegenstände, Miss Clare.“

„Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Lord Coltonby.“

„Auch Ihnen einen guten Tag, Miss Clare.“

Brett sah ihr zufrieden nach. Die Begegnung war besser verlaufen, als er zu hoffen gewagt hatte. Ein beiläufig erwähnter Vorschlag. Freundliches Geplänkel. Nichts zu Offenkundiges. Miss Clare würde letzen Endes seine Wünsche erfüllen, das konnte auch Simon Clare nicht verhindern, selbst wenn er noch so sehr vor Wut schäumen würde.

Brett lächelte. Er freute sich schon darauf, den Ausdruck in Clares Gesicht zu sehen, wenn er davon erfuhr. Doch viel mehr noch freute er sich darauf, herauszufinden, was Miss Clare als Nächstes zu tun gedachte. Sie zu umwerben war in vielerlei Hinsicht weitaus befriedigender, denn sie endgültig zu erobern, wenngleich dies unweigerlich noch folgen würde.

„Ich wähnte dich zu Hause“, begrüßte Simon sie verstimmt, bevor Diana noch ihren Korb abstellen konnte.

„Ich habe den Familien deiner Arbeiter einen Besuch abgestattet. Du warst mit mir über die Wichtigkeit dessen einer Meinung. Es ist unsere Pflicht, uns um sie zu kümmern.“

„Ja, ja. Du machst das auch ausgezeichnet. Aber jetzt musst du mit mir zur Mine kommen.“

„Zur Mine? Jetzt gleich? Kann das nicht bis morgen warten? Dann könnte ich auf dem Weg bei der Witwe Bosworth vorbeischauen. Du weißt ja, wie sehr sie sich nach Gesellschaft sehnt, nun, da alle ihre Söhne im Bergwerk arbeiten.“

„Ich möchte dir etwas zeigen.“ Er legte seine Hand auf die ihre. „Bitte, Diana, tu mir den Gefallen und komm mit.“

Wenn er sie auf diese Weise aus seinen dunkelgrünen Augen ansah, erinnerte er Diana unwillkürlich an den Menschen, der er vor seiner Heirat mit Jayne gewesen war, bevor die Geschäfte sein ganzes Leben bestimmten. Was auch immer er ihr zeigen wollte, es würde ihre Gedanken von Lord Coltonby ablenken, und das konnte nur gut sein. „Ich komme mit dir.“

„Hier erblickst du die Zukunft!“, verkündete Simon, nachdem sie an der Kohlengrube angekommen waren.

Verblüfft betrachtete Diana die riesige schwarze Maschine auf Rädern. Ein gigantischer Schornstein ragte an einem Ende empor, auf der anderen Seite befand sich eine Plattform, auf der eine Person Platz fand. Ihr wurde der Mund trocken. „Was ist das?“

„Eine Lokomotive.“

Eine Lokomotive. Der größte Schatz eines jeden Kohlengrubenbesitzers in der Region.

„Aber wie bist du an sie gelangt? Letzte Woche erst hast du gesagt, du sähest keine Möglichkeit, eine Lokomotive zu erwerben oder auch nur die Pläne dafür zu erhalten.“

„Nun, ich habe eben meine Mittel und Wege. Und nun kann ich mich damit auseinandersetzen, die Zugmaschine zu verbessern.“ Zum ersten Mal seit Monaten sah Diana ein echtes Strahlen in seinem Gesicht, nicht dieses verbissene Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Wenn sie erst einmal läuft, werden sich ganz neue Perspektiven für uns eröffnen. Ich kann Little Ladywell wieder in Betrieb nehmen und die Waggons auf dem derzeit ungenutzten Schienenweg entlangführen. Dann kann niemand mehr behaupten, das Land sei wertlos und werde nicht gebraucht.“

Diana zog scharf die Luft ein. Der ungenutzte Schienenweg verlief über die Parzelle, die Lord Coltonby zu kaufen wünschte. Obwohl sie nicht infrage stellte, dass Simon tatsächlich den Plan hegte, eine Lokomotive auf dem alten Schienenweg in Betrieb zu nehmen, wunderte sie sich dennoch, ob ihn zudem nicht auch der Wunsch anspornte, seinem Rivalen aus Cambridgetagen einen Strich durch dessen Pläne zu machen. „Hast du darüber schon mit Lord Coltonby gesprochen?“

„Man hat sie erst heute geliefert. Daher konnte ich ihm wohl kaum vorher davon berichten.“ Simon ging zu der großen schwarzen Maschine hinüber und fuhr mit der Hand darüber. „Außerdem werde ich nicht zulassen, dass ein blasierter Aristokrat mir sagt, wie ich meine Geschäfte zu führen habe.“

„Simon!“, stieß Diana zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Dein Benehmen ist höchst anmaßend. Du wirst ihn dir noch zum Feind machen.“ Sie holte tief Luft. Sie würde ihm von ihrer Begegnung mit Lord Coltonby berichten und ihm erzählen müssen, was sie dabei erfahren hatte. „Der Earl ist anders, als du denkst. Er legt sein Hauptaugenmerk nicht darauf, den Weinkeller leer zu trinken und sein Erbe zu verspielen.“

„Wovon in aller Welt sprichst du, Diana? Ich kenne Coltonby von der Universität. Spielen und Trinken sind sein Lebensinhalt. Es lässt sich schon gar nicht mehr zählen, an wie vielen Kartentischen er gesessen, an wie vielen Gelagen er teilgenommen hat und danach in Raufereien verwickelt war.“

„Das ist lange her. Mir scheint es, man sollte ihn lieber zum Verbündeten haben, denn zum Feind.“

„Er war der überprivilegierte Sohn eines Earls, ein Wichtigtuer, der mich demütigte. Ich weigere mich, nach seiner Pfeife zu tanzen und mich seinen Wünschen zu beugen. Er wird nicht einen Zentimeter meines Bodens bekommen, bis er nicht Blut dafür geschwitzt hat.“

Diana blickte auf die riesige schwarze Maschine. Ihr war nie bewusst gewesen, wie tief die Erfahrungen an der Universität auf Simons Wesen Einfluss genommen hatten. Aber sie hatte auch die Leidenschaft in Lord Coltonbys Stimme vernommen, als er von dem Wunsch sprach, sein Anwesen wieder profitabel zu machen. Der Mann war keineswegs oberflächlich. Wenn Simon dies nur erkennen würde.

„Simon, du musst endlich erwachsen werden. Du darfst dich nicht länger allein von Erlebnissen leiten lassen, die dir vor vielen Jahren zugestoßen sind.“

Bruder und Schwester schauten sich finster an. Seinen Kragen lockernd wandte Simon schließlich den Kopf ab. „Wenn die Zugmaschine, ich habe sie ‚Duke‘ benannt, erst einmal zufriedenstellend läuft, werde ich sehen, ob ich dieses Stück Land benötige. Wenn nicht, werde ich es ihm zum dann gültigen Marktpreis verkaufen, nicht zu dem lumpigen Preis, den Coltonby mir geboten hat. Ich habe es Biddlestone damals nur zur Beschwichtigung offeriert – als Gegenleistung dafür, dass er in die Lokomotive investieren wollte. Gibst du dich damit zufrieden?“

„Das werde ich wohl müssen.“ Hinter ihrer Stirn lauerte bereits der Kopfschmerz. Simon hatte beschlossen, eine Auseinandersetzung mit Lord Coltonby heraufzubeschwören, und das bedeutete für niemanden etwas Gutes. Sie wandte den Blick auf die Lokomotive. „Warum nennst du sie ‚Duke‘? Ist sie nach dem Duke of Northumberland benannt? Hoffst du auf seine Investition?“

„Nein, ich nenne sie so, weil sie lärmend ist und recht oft heiße Luft ausspeit.“ Simon grinste.

Diana betrachtete ihren Bruder, und ihr sank das Herz. Er war störrisch, eigensinnig und nicht bereit, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Es kümmerte ihn nicht, wie viele Feinde er sich machte, solange sein Geschäft florierte. Eines Tages würde er hoffentlich begreifen, dass der Sinn des Lebens nicht allein darin lag, seine Geschäftstüchtigkeit unter Beweis zu stellen. „Simon, manche glauben, es werde niemals gelingen, eine zuverlässige Lokomotive zu bauen.“

„Mir wird es gelingen. Wann habe ich je bei der Konstruktion einer Maschine versagt?“ Er ergriff ihre Hände. Ein flüchtiges Lächeln überzog sein Gesicht, das sie wieder an den Jungen erinnerte, den sie aus ihrer Kindheit kannte. Einen kurzen Augenblick lang vertrieb dieses Lächeln den verbitterten Mann, den sie nach ihrer Rückkehr aus London angetroffen hatte. „Verlass dich darauf, dass ich das Richtige tue. Ich werde Erfolg haben. Das weiß ich. Hab Vertrauen in mich.“

„Ich habe ja Vertrauen in dich, Simon. Wie kannst du daran nur zweifeln?“ Diana erschauerte. „Ich hoffe, du behältst recht. Ich denke, mit Lord Coltonby sollte man es sich besser nicht verderben.“

„Mit mir auch nicht, Diana, mit mir auch nicht.“

Stumm hoffte Diana, dass es nicht zum Streit kommen würde. Sie warf einen letzten Blick auf den „Duke“, der schwarz und Unheil verkündend vor der Zeche stand, und fragte sich, ob Simons Zuversicht nur vorgetäuscht war.

5. KAPITEL
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„Haben Sie sonst noch einen Wunsch, Miss Clare?“ Der Inhaber des Kurzwarenladens stand mit gezückter Feder vor Diana.

„Nein, das wäre alles“, erwiderte sie.

„Sehr wohl.“ Der Ladenbesitzer griff nach der Schere, um den gewünschten Stoff zuzuschneiden. Kurze Zeit später reichte er ihr ihre Einkäufe. Sie nahm das in braunes Papier gehüllte Päckchen entgegen und wäre beim Verlassen des Geschäfts beinahe mit Lord Coltonby zusammengestoßen. Eine Hitzewelle überflutete sie, rasch trat sie einen Schritt rückwärts. Dabei wäre sie beinahe über einen Eimer gestolpert. Geistesgegenwärtig fasste er nach vorne und gab ihr mit starken Händen Halt. Fest schlossen sich seine Finger um ihre Unterarme.

„Sie scheinen durcheinander, Miss Clare“, sagte er mit einem Zwinkern. „Darf ich hoffen, ich habe Sie aus der Fassung gebracht?“

„Nein, Lord Coltonby, ich bin nicht durcheinander, sondern lediglich in Eile.“ Diana richtete mit einer Hand ihren Hut.

Langsam glitt sein Blick über sie. „Wie ich sehe, haben Sie Ihre Haube abgelegt. Sie sehen um Jahre jünger aus, meinen Glückwunsch. Vielleicht ziehen Sie jetzt noch in Betracht, eine kleidsamere Farbe zu tragen?“

„Ich habe genug andere Dinge zu tun. Außerdem lege ich keinen Wert darauf, von Ihnen als netter Zeitvertreib angesehen zu werden, der lediglich Ihrer Erheiterung dient. Solch überschwängliche Schwärmerei verfliegt schnell, das weiß ich aus Erfahrung.“

Er trat ihr in den Weg. „Ich möchte nach meinem eigenen Charakter beurteilt werden, Miss Clare, nicht nach dem eines armen, bedauernswerten Tropfes. Das ist wahrlich eine kleine Bitte.“

Ihre Wangen färbten sich rot. Es quälte sie, dass er recht hatte. Ihre Meinung über ihn basierte in der Tat auf einem Urteil, das sie über jemand anderen gefällt hatte. „Ich muss jetzt zur Leihbibliothek, einige Bücher abholen.“

„Ein weiterer Roman von der Autorin von ‚Stolz und Vorurteil‘? Was regt heute Ihre Fantasie an, Miss Clare?“

„Lehrwerke über Landwirtschaft und Fruchtwechsel“, erwiderte Diana in vernichtendem Ton.

„Verzichten Sie nun auf das Lesen von Romanen, damit Sie nicht mehr vom rechten Weg abkommen?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Ich dachte, es würde genügen, die Bücher während der Fahrt in einem Korb aufzubewahren.“

„Sie sind ein enervierender Mann.“

„Ich gebe mein Bestes.“ Er neigte den Kopf. „Sie erwecken mein Interesse, Miss Clare. Wollen Sie sich wahrlich ein Lehrwerk ausleihen?“

Ihm keine Antwort gönnend hastete sie in Richtung der Leihbücherei davon, doch er passte seine Schritte ihrer Geschwindigkeit an. Da sie kein Aufsehen erregen wollte, zog sie es vor, so zu tun, als bemerke sie seine Anwesenheit gar nicht. Der Bibliothekar grüßte sie mit einem Nicken, als Diana an ihm vorbei auf das betreffende Regal zueilte. Wahllos zog sie ein Buch heraus. „Wie Sie sehen, will ich mir in der Tat ein Lehrwerk über Landwirtschaft ausleihen.“

„Das habe ich nie bezweifelt, aber dieses ist besonders trocken.“

„Sie haben es gelesen?“ Sie schaute ihn verblüfft an. „Ein Buch über Fruchtwechsel?“

„Ich informiere mich. Das erleichtert das Leben.“ Er nahm ihr das Buch aus der Hand und stellte es in das Regal zurück. Dabei kam er ihr so nahe, dass sie jede einzelne kunstvoll arrangierte Falte in seinem Krawattentuch erkennen konnte.

Einige Büchereibesucher blieben stehen und nickten ihr zu. Diana erwiderte den Gruß, in der Hoffnung, Lord Coltonby würde sich daraufhin endlich verabschieden, doch er blieb, einer stummen Schildwache gleich, geduldig neben ihr stehen, während sein Blick über die Bücherreihen glitt. „Werden Sie den Ball bei den Bolts besuchen? Oder ängstigen Sie solche Veranstaltungen?“

Die Frage kam so unerwartet, dass sie beinahe das Buch hätte fallen lassen, das sie soeben aus dem Regal genommen hatte. „Ich denke, ich sollte nun besser meine Wahl treffen. Man macht bereits Bemerkungen über uns.“

„Eindeutig etwas, das Sie vermeiden möchten.“

„Ich ziehe die Wahrheit vor.“

„Die Wahrheit hat viele Gesichter, Miss Clare.“

„Ich weiß, in welchem Ruf Sie stehen, Lord Coltonby. Ich weiß von ihren vielen Liebesabenteuern.“ Kurz auflachend trat sie von ihm fort.

„Sie erweisen mir zu viel der Ehre. Ich versichere Ihnen, auch ich bin nur ein Mensch. Die Geschichten über meine Liebschaften sind maßlos übertrieben. Ich habe nie mit einer Dame getändelt, die nicht willens dazu war.“

Unschlüssig schaute sie ihn an. Zu gerne wollte sie ihm glauben, ihrer inneren Stimme vertrauen, doch dieses Risiko konnte sie nicht eingehen. Die Vergangenheit hatte ihr gezeigt, dass sie sich auf ihre Gefühle nicht verlassen konnte, denn diese hatten sie schon einmal schmerzlich getrogen.

„Die Bibliothek ist wohl kaum ein geeigneter Ort, um ein solches Gespräch zu führen.“

„Ich bin immer offen für Vorschläge, Miss Clare“, schnurrte er mit seidenweicher Stimme, als hätte sie ihm etwas Unziemliches vorgeschlagen. So eine Frechheit!

„Lord Coltonby, Sie benehmen sich unerhört. Und das sogar absichtlich!“

„Nein, ich genieße unsere Unterhaltung und wünsche lediglich, diese fortzusetzen.“ Er hob eine Augenbraue. „Was haben Sie dagegen einzuwenden? Bitte erklären Sie es mir. Immerhin sind wir Nachbarn.“

Diana zog ein Predigtbuch aus dem Regal. „Wenn ich das tue, werden Sie mich dann in Ruhe lassen und gehen?“

„Wenn ich die Gründe nachvollziehen kann, werde ich diesem Wunsch selbstverständlich entsprechen. Schließlich bin ich ein verständiger Mann.“

Stumm wies Diana um sich. Plötzlich schien ihr Kopf wie leer gefegt. Sie konnte an nichts anderes mehr denken, außer an die Art und Weise, in der seine schlanken Finger die Bücher hielten, die er sich ausgewählt hatte. „Zum einen sind wir in einer Leihbücherei.“

„Das lässt sich ändern, sobald Sie die von Ihnen benötigten Bücher über Landwirtschaft zusammengestellt haben.“

Diana schüttelte den Kopf. Mit jedem Atemzug, den sie tat, schien sich das Flattern in ihrem Bauch zu vergrößern. Nur noch das Predigtbuch, das sie fest an ihre Brust drückte, hielt sie auf dem Boden der Tatsachen fest.

„Es ist gleich, wie fest Sie dieses Buch umarmen oder ob Sie hässliche Hauben tragen, vor dem wahren Leben können Sie sich nicht verstecken.“

„Ich habe keine Angst vor dem Leben.“ Ihre Stimme klang scharf. „Kann man es mir verdenken, wenn Ihr Ruf mich argwöhnisch werden lässt?“

„Wenn ich Ihnen nun aber mein Ehrenwort gebe, mich artig und anständig zu benehmen?“ Seine Stimme lullte sie ein. „Werden Sie diese Unterhaltung dann fortsetzen? Ich möchte gerne mehr über Ihre Ansichten über mein Anwesen erfahren und welche Schritte ich unternehmen sollte.“

Diana schaute ihn finster an. Er war der Vernunft nicht zugänglich. Eine leise Stimme in ihrem Inneren warnte sie vor den Gefahren, die ihr drohten, wenn sie sich, wie kurz auch immer, mit einem berüchtigten Lebemann einließ, doch sie brachte diese Stimme zum Schweigen. Lord Coltonby war einzig an ihrer Meinung als Nachbarin interessiert. Ein Hauch der Enttäuschung stieg in ihr auf.

„Da ich mich offenbar Ihrer Gesellschaft nicht entledigen kann, dürfen Sie mich zu meinem Gig begleiten.“

„Ihre Einsichtigkeit erfreut mich, Miss Clare.“

„Miss Bolt und ich haben kürzlich Ihre Karriole bewundert“, sagte sie, als sie die Hauptstraße zum Mietstall hinunterschlenderten. Sie war fest entschlossen, das Gespräch in unpersönlichere Bahnen zu lenken. „Nun ja, sie bewunderte Ihre Karriole, ich hatte mein Augenmerk eher auf Ihre Pferde gerichtet.“

Brett schaute Miss Clare an. Ihre langen Wimpern strichen über ihre elfenbeinfarbene Haut. Jeder noch so kleine Schritt, den sie in seiner Anwesenheit tat, kam einem Sieg für ihn gleich. Langsam, behutsam würde er sie auf den Pfad führen, dem sie folgen sollte. Dies indes war ein schwierigeres Unterfangen, als er angenommen hatte, denn sie hatte einen Schutzwall um sich errichtet, den er erst überwinden musste. Die Frage war nur, wie?

„Mögen Sie Pferde?“, fragte er, sich die Bücher, die er ausgeliehen hatte, unter den Arm klemmend.

„Mein Bruder verzweifelt ob meiner Vorliebe für Pferde noch an mir. Er ist der festen Meinung, ich werde mir eines Tages bei einem Ausritt das Genick brechen. Für ihn stellen Pferde lediglich ein unvollkommenes Transportmittel dar.“

„Ihr Bruder mag keine Pferde? Das wundert mich nicht. Ich vertraue nie einem Mann, der keine Leidenschaft für Pferde hegt.“ Er bemühte sich, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen. „Ein solcher Mann hat gewöhnlich auch nichts für die Annehmlichkeiten des Lebens übrig.“

„Er hat seine Gründe. Ausgezeichnete Gründe.“ Miss Clare machte eine unbestimmte Geste mit der Hand. „Ich kann ihn verstehen, wenn ich auch anderer Ansicht bin. Ich liebe es zu kutschieren, seit mein Vater mir zum ersten Mal die Zügel überließ. Damals war ich etwa vier Jahre alt.“

„Ah, das erklärt einiges.“ Brett lachte kurz auf, sich ihrer Entrüstung erinnernd, als er sie im Schlamm feststeckend vorfand. Seine Schultern entspannten sich. Er würde dieses neu erlangte Wissen zu seinem Vorteil nutzen.

„Tut es das?“ Sie neigte den Kopf zur Seite.

„Ja, ich kann Ihre Verstimmung bei unserer ersten Begegnung nun nachvollziehen.“ Brett nahm ihren Arm und schlenderte auf seine Karriole zu. Bloß nichts übereilen. Sie blickte ihn erschrocken an, aber mit stiller Freude bemerkte er, dass sie nicht zurückwich oder eine Ausrede fand, um Abschied zu nehmen. Er würde die Mauern, die sie errichtet hatte, niederreißen. „Ich dachte, Sie seien über meinen Rettungsversuch ungehalten, stattdessen galt Ihre Verärgerung vielmehr der Situation an sich. Es war Ihnen verhasst, dabei ertappt worden zu sein, einen Fehler begangen zu haben, einmal nicht vollkommen zu sein. Ist dies der Fall, ziehen Sie sich zurück.“

„Es war Überheblichkeit eher denn Unerfahrenheit, die mich in dieses Schlammloch führte.“

Brett beobachtete, wie ein Sonnenstrahl ihre Wangen küsste. Diese Frau besaß Leidenschaft, sosehr sie diese auch verstecken mochte. Er konnte es fühlen. Doch sie unterdrückte sie, verbarg sie sogar vor sich selbst. Er würde die Flamme der Leidenschaft in ihr wieder entfachen und sehen, ob die Frau, zu der sie geworden war, Ähnlichkeit mit dem quicklebendigen Mädchen hatte, dem er damals in London begegnet war. Vor seinem inneren Auge tauchte unvermittelt eine Erinnerung auf. Er sah sie lachend das Feuerwerk in den Vauxhall Gardens bewundern, und ihm wurde bewusst, dass er dieses Lachen noch einmal hören wollte. „Ihre Augen blitzten vor Wut an jenem Tag in dem Schlammloch. Sie leuchteten heller als die Feuerwerke in Vauxhall, an die Sie sich gewiss erinnern werden.“

Unvermittelt umwölkte sich Miss Clares Miene. Jegliche Lebensfreude schien aus ihr gewichen.

„Ich versuche, London zu vergessen.“ Sie senkte den Blick, verbarg die von langen Wimpern umrahmten Augen und beugte die Schultern vor. Es war, als ob sie erwartete, geschlagen zu werden. Eine maßlose Wut überflutete Brett, kaum dass er seinen dummen Fehler bemerkte, denn natürlich hatte sie die Vauxhall Gardens in Begleitung von Finc besucht. Er verwünschte den Mann für seine Sorglosigkeit, die solch verheerende Folgen hatte. Schon damals konnte er Fincs oberflächlichen Charme und sein unbekümmertes, rücksichtsloses Benehmen nicht ausstehen.

„Verurteilen Sie nicht alle Männer wegen der Fehler eines Einzelnen.“

Er wartete. Der Wind blies ihr eine Haarsträhne ins Gesicht. Ungeduldig strich sie die Locke fort, immer noch schweigend. Er hoffte, sie würde sich ihm nicht verschließen.

„Ich dachte, meine Liebe zu Pferden hätte seine Aufmerksamkeit erregt“, sagte sie schließlich mit leiser Stimme, während sie unruhig an den Bindfäden des Päckchens nestelte, das ihre Einkäufe enthielt. „Ich glaubte, wir … seien durch Gemeinsamkeiten verbunden. Das Einzige indes, das uns verband, war mein Vermögen und sein Bedürfnis nach finanziellen Mitteln.“ Sie lachte erstickt auf.

„Ich bin mir gewiss, es gab noch weitere Gründe für seinen Entschluss, Sie ehelichen zu wollen.“

„Das ist ein zweifelhaftes Kompliment.“

„Aber es ist aufrichtig gemeint“, sagte Brett sanft. „Gehen Sie das Risiko ein. Vertrauen Sie mir, dass ich anders bin.“

Sie blinzelte, und ihre Miene änderte sich. Nun glich sie wieder der Frau vom Schlammloch. Eine gewisse Erleichterung überkam ihn. Die beklommene Stimmung war gewichen. Er konnte wieder zu ihr durchdringen.

„Aufrichtigkeit ist mir immer willkommen.“

„Möchten Sie kurz mit mir zu meiner Karriole kommen, um sich meine Pferde anzusehen?“

„Das würde mir gefallen. Das würde mir sogar sehr gefallen.“

Kaum näherten sie sich der Karriole, hoben die Braunen die Köpfe und trappelten unruhig umher. Brett erwartete fast, Miss Clare würde sich wie andere Frauen aufführen und sich ängstlich an seinen Arm klammern oder missbilligend den Mund verziehen. Stattdessen lächelte sie erfreut, ein Lächeln, das ihre Augen erreichte, und trat an die Pferde heran. Ihren Hals tätschelnd sprach sie mit leiser, beruhigender Stimme auf sie ein. Bretts Reitknecht nickte anerkennend.

„Es ist schön zu sehen, dass Sie keine Furcht vor ihnen haben, Miss Clare.“

Ihre Hand glitt ein letztes Mal über die Braunen, dann tat sie einen Schritt zur Seite. „Sie sind wahre Schönheiten. Zu gerne würde ich auf dem Kutschbock hinter ihnen sitzen …“, bemerkte sie wehmütig.

„Dann fahren Sie doch einfach mit mir.“

Ein seltsames Schimmern blitzte in ihren Augen auf, und er fragte sich schon, ob er sie verloren hatte. Inständig wünschte er, sie würde seinem Vorschlag zustimmen.

„Bedeutet das, ich soll fahren oder Ihnen beim Fahren zuschauen?“

„Sie müssen sich erst beweisen, bevor ich Ihnen die Zügel überlasse.“ Brett schaute ihr in die Augen. Der Ausdruck darin wechselte erneut. „Viele Menschen behaupten, ausgezeichnet mit den Zügeln umgehen zu können, obwohl sie in Wahrheit nicht sehr geschickt sind“, erklärte er schulterzuckend.

„Wie aber soll ich beweisen, ob ich gut mit den Zügeln umgehen kann, wenn Sie mich nicht fahren lassen?“

Er betrachtete Miss Clares behandschuhte Hände. Sie machten einen fähigen Eindruck, doch waren sie auch sehr zierlich. Ihm schauderte bei dem Gedanken, was geschehen konnte, wenn die Pferde durchgingen. Es erforderte selbst seine ganze Stärke und Geschicklichkeit, die Braunen sicher zu führen. „Bevor ich jemandem erlaube, meine Pferde zu lenken – gleich ob Mann, Frau oder Kind – vergewissere ich mich vorsichtshalber, dass der Kutscher dieser Aufgabe gewachsen ist.“

„Vorsicht? Dieses Wort würde ich kaum mit Ihnen in Verbindung bringen.“

„Ich handle vorausschauend, um Unfälle zu verhüten.“

„Sind sie denn so schwer zu kontrollieren?“

„Sie stellen in der Tat eine gewisse Herausforderung dar. Ich genieße Herausforderungen. Die Braunen fliegen förmlich über die Straße, wenn ich es zulasse, aber in den Händen eines unerfahrenen Kutschers … Für die möglichen Folgen möchte ich nicht gerne verantwortlich gemacht werden. Sind Sie in Versuchung geführt, Miss Clare?“

„Ich bin mit meinem Gig in der Stadt.“

„Mein Diener kann es zurückbringen.“ Tief einatmend hob er die Hand. Ihm war zumute wie bei einer Partie Whist, bei der es um einen hohen Einsatz ging. Ein letzter Versuch, dann würde er zu einer anderen Strategie greifen müssen. Aber er würde gewinnen. Sie wollte es. Er konnte es bis ins Mark spüren. „Ich verspreche Ihnen, ich werde mich vorbildlich benehmen. Möchten Sie eine Kutschfahrt mit diesen Pferden machen? Den Wind in Ihrem Gesicht spüren? Sie erreichen eine Geschwindigkeit, die beinahe unübertroffen ist. Natürlich kann ich verstehen, wenn Sie es vorziehen, mit Ihrer gesetzten Stute gemächlich nach Hause zurückzukehren. Sie können mir jedenfalls nicht vorwerfen, Sie nicht gefragt zu haben.“

„Ich bin kein Feigling.“ Am Knopf ihres Handschuhs nestelnd fragte sich Diana, ob sie es wagen konnte, das Risiko einzugehen. Lord Coltonby hatte ihr längst zu verstehen gegeben, dass er kein romantisches Interesse an ihr hegte. Sie unternahm also bloß eine Kutschfahrt mit einem Nachbarn. Eine Tatsache, die ihren guten Ruf wohl nicht gefährden würde. „Gern möchte ich den Wind in meinem Gesicht spüren.“

„Ich bringe Sie nach Hause, mehr nicht.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich möchte Ihnen lediglich einen nachbarschaftlichen Gefallen erweisen, Miss Clare.“

Diana befeuchtete ihre Lippen, warf einen letzten Blick auf die Hauptstraße und nickte.

6. KAPITEL
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Brett versuchte, sich ganz auf das Führen der Pferde zu konzentrieren, nicht auf die schlanke Frau, die neben ihm saß. Reichlich oft indes warf er ihr verstohlene Blicke zu und gewahrte, wie sie mit verzückter Miene jede Bewegung der Braunen verfolgte. Er hatte erwartet, sie würde sich an seinen Arm klammern, sobald er die Pferde davonstürmen ließ, doch sie blieb mit auf dem Schoß gefalteten Händen ungerührt sitzen, ohne ein Zeichen von Angst. Vielmehr schien sie die Fahrt in vollen Zügen zu genießen.

Mit geröteten Wangen, ein strahlendes Funkeln in den blaugrünen Augen, lehnte sie sich leicht nach vorne, als ob sie die Pferde zu noch höherem Tempo antreiben wolle. Eine Bö verfing sich in ihrem Hut und blies ihn ihr vom Kopf.

„Ich hatte völlig vergessen, wie es ist, sich den Wind durch das Haar wehen zu lassen“, sagte sie lachend, während sie ihren Hut richtete und ihn danach mit einer Hand festhielt.

„Gefällt es Ihnen?“

„Es gefällt mir sehr. Es ist überaus belebend.“

„Gut, das freut mich.“

„Können sie noch schneller laufen?“

Brett trieb das Gespann an, woraufhin die Pferde förmlich über die Straße flogen. Im selben Augenblick wurde ihm bewusst, dass er nie zuvor eine solch große Lebensfreude bei einer Frau wahrgenommen hatte. Ihre Liebe zu schnellen Pferden strahlte aus ihr, umgab sie mit einem Leuchten – allerdings konnte sie ihm dadurch auch gefährlich werden.

Er zog die Zügel an, schnell kamen die Pferde zum Stehen.

„Warum halten Sie hier?“ Beim Anblick der verlassen liegenden Straße umwölkte sich ihre Miene, fortgewischt war ihr Strahlen, jegliche Lebendigkeit in ihren Zügen verblasst. „Sollte ich etwa einen ausgesprochen törichten Fehler begangen haben? Sie haben mir Ihr Wort gegeben, Lord Coltonby. Sie wollten mich geradewegs nach Hause bringen.“

„Wir sind auf dem Weg dorthin, aber ich möchte hier einen kurzen Halt einlegen, um ein vertrauliches Gespräch mit Ihnen zu führen. Wir müssen den Rahmen unserer Beziehung abstecken.“

„Bringen Sie mich sofort zurück!“, begehrte sie mit schriller Stimme. „Ich verlange es! Ich bitte Sie darum!“

Brett unterdrückte den Zwang, laut zu fluchen, da er die Situation falsch eingeschätzt hatte. Er musste ihr Vertrauen gewinnen, allerdings bedurfte es auch einiger klärender Worte, bevor sich ihre Beziehung weiter entwickelte. Seine Liebschaften begann er immer auf diese Weise. Es machte die Dinge weniger verfahren und schmutzig, wenn die Zeit für den Abschied kam. Diana Clare sollte keine unbegründeten Erwartungen hegen, nicht behaupten können, er hätte ihr falsche Hoffnungen gemacht.

„Ich halte mich an meinen Ehrenkodex, Miss Clare. Sie haben hier ebenso wenig von mir zu befürchten wie in der Leihbibliothek. Ich möchte lediglich ungestört ein vertrauliches Gespräch mit Ihnen führen. Verzeihen Sie, wenn ich dafür zu dieser kleinen List griff.“

„Ein vertrauliches Gespräch?“ Ihre Augen weiteten sich.

„Sie sollen wissen, dass ich keinerlei Heiratsabsichten hege.“ Brett achtete darauf, die Worte langsam und mit gleichgültig klingender Stimme auszusprechen. „Die Aufmerksamkeit, mit der ich Sie bedenke, ist nicht als Werben zu verstehen. Ich mache Ihnen keineswegs den Hof. Eine Ehe kommt für mich nicht in Betracht.“

„Erwarten Sie, mich ob dieser weltbewegenden Neuigkeit in Ohnmacht fallen zu sehen, Lord Coltonby? Sie erzählen mir nichts, was ich nicht schon weiß.“ Sie deutete heftig auf die Straße. „Sie können also getrost weiterfahren, nun, da Sie diese reizenden Worte geäußert haben. Erlauben Sie mir, Ihrer Eitelkeit zu schmeicheln, indem ich Ihnen versichere, auch ich hege keineswegs die Absicht, eine Ehe mit Ihnen einzugehen.“

„Schön, dass wir einander verstehen. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn es hierüber ein Missverständnis gäbe.“

„Mir ebenso.“ Sie wandte den Kopf ab.

Er legte seine Hand über die ihre, doch sie zuckte ob der Berührung zusammen. Sofort ließ er sie wieder los. Für den Augenblick würde er die strengen Grenzen ihrer Beziehung hinnehmen, indes hatte er nicht die Absicht, sich damit zufriedenzugeben. Er wollte mehr. Unter dem frostigen Äußeren verbarg sich eine leidenschaftliche Frau, dessen war er sich gewiss. Stumm verfluchte er all jene, die sie zu dem verängstigten Wesen gemacht hatten, das sie nun war. Einer Frau, die sich beharrlich hinter einer Maske versteckte, damit niemand ihr wahres Ich entdeckte. Der Klatsch nach dem Vorfall in London hatte sie tief getroffen, indes erkannte er, dass die Frau, die sie in ihrem Inneren verschlossen hielt, versuchte, aus ihrem Gefängnis auszubrechen. „Die Gesellschaft mit Ihnen bietet mir eine willkommene Ablenkung von der notwendigen Aufgabe, mir einen Überblick über den Zustand des Anwesens und die anstehenden Arbeiten zu verschaffen. Ich schätze unsere Freundschaft sehr. Außerdem höre ich gern Ihre Meinung zu den Problemen, denen ich mich gegenübersehe. Biddlestone hat den Besitz beinahe bis zum Ruin heruntergewirtschaftet.“

„Dann können wir von Glück sagen, dass Sie das Gut in Ihren Besitz gebracht haben und sich seiner annehmen wollen, denn es hat liebevolle Aufmerksamkeit verdient.“

„Auch wenn es dem zufälligen Betrachter wenig liebenswert erscheint.“

„Sind Sie ein zufälliger Betrachter?“

„Ich rühme mich eines scharfen Blickes, Miss Clare.“

Diana rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her, um den Abstand zwischen sich und Lord Coltonby zu vergrößern. Wenn sein Bein an das ihre gepresst war, konnte sie kaum an etwas anderes denken, denn an seine stattliche Gestalt. Zudem befürchtete sie, er hätte bei seinen Worten nicht nur sein Gut im Sinn, sondern bezog diese möglicherweise auch auf sie. Ein Gedanke, der ihr Angst und Schrecken einjagte. „Für hohle Schmeicheleien habe ich nichts übrig, Lord Coltonby. Wenn Sie sich weiterhin in dieser Weise zu benehmen gedenken, werden wir wohl kaum mehr als flüchtige Bekannte sein können. Wir sollten entscheiden, welches der Cottages Sie …“

„Brett“, fiel er ihr mit seidenweicher Stimme ins Wort.

Der Blick, den er ihr schenkte, zeugte von offenkundigem männlichen Interesse und brachte ihr Herz zum Rasen. Es ist der Blick eines Lebemannes, eines erfahrenen Verführers, mahnte ihr Herz.

„Ich bestehe darauf, dass Sie mich bei meinem Vornamen nennen, nun, da wir intime Freunde geworden sind.“

Intime Freunde. Das Bild, das dieses Wort vor ihrem inneren Auge heraufbeschwor, ließ ihr die Hitze in die Wangen schießen. Rasch vertrieb sie die Fantasie und sperrte sie in den kleinen Teil ihres Gedächtnisses, in dem sie die Erinnerungen aufbewahrte, die sie sich selbst nicht wachzurufen erlaubte. Sich des erlittenen Schmerzes und der Demütigung entsinnend brachte sie die zarte Stimme zum Schweigen, die beharrlich behauptete, Brett sei anders. Tief atmete Diana durch, langsam gewann sie die Beherrschung zurück. Sie würde ihr sich selbst gegebenes Versprechen nicht brechen. Nie wieder würde sie sich verführen lassen. Sie hatte ihre Lektion gelernt.

„Eine Bekanntschaft erfordert keine Intimität.“ Das Kinn hebend richtete sie den Blick auf die Ohren der Pferde. „Ich kann Sie nicht mit Ihrem Vornamen ansprechen. Denken Sie nur an den Skandal.“

„Da bin ich anderer Meinung. Ein vertrautes Wort unter vier Augen wird keine Wellen schlagen.“

Diana fragte sich, worauf sie sich nur eingelassen hatte. Niemals hätte sie seine Einladung zu dieser Kutschfahrt so impulsiv annehmen dürfen. Wann würde sie endlich lernen, Verlockungen zu widerstehen, und sich allein von der Stimme der Vernunft leiten lassen?

Seine Hand glitt über ihre Schulter, seine Finger schlangen sich um die ihren, hielten sie leicht, doch zärtlich fest. Diana widerstand dem Drang, mit ihrer Hand die seine zu umfassen. „Versuchen Sie es. Hier und jetzt. Niemand außer mir wird es hören.“

„Aber ich …“ Ihre Zunge verweigerte den Dienst, rasch wandte sie den Kopf ab.

„Bitte lassen Sie meinen Namen von Ihren Lippen perlen.“

„Brett“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Sagen Sie es so, dass ich Sie auch hören kann.“

„Brett!“, stieß Diana zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „So. Sind Sie nun zufrieden?“

„Ich hätte einen honigsüßen, verführerischen Klang in ihrer Stimme vorgezogen, für den Augenblick indes werde ich mich mit diesem essigsauren Ton zufriedengeben.“ Er schnalzte mit der Zunge, und die Karriole setzte sich in Bewegung.

Diana entwich ein Seufzer. Ob er dem Bedauern oder der Enttäuschung entsprang, konnte sie indes nicht sagen, da sie sich weigerte, über ihre Gefühle nachzudenken. „Sie sind unverbesserlich.“

„Das haben mir meine Kinderfrauen auch immer gesagt.“

„Sie hatten mehrere Kinderfrauen?“

„Mein Bruder und ich hatten eine ganze Reihe von Betreuerinnen. Immer so lange, wie mein Vater über die nötigen Geldmittel verfügte. Meine Mutter brachte er mit seinen finanziellen Eskapaden zur Verzweiflung. Zu allem Übel war auch noch das Dach undicht, und es war feucht und kalt in dem alten Kasten. Man kann sagen, ich war in vielerlei Hinsicht froh, den Familiensitz nach dem Tod meines Bruders abstoßen zu können. Die immer wieder nötigen Reparaturen an einem Haus, das vor Feuchtigkeit triefte, haben mir die Entscheidung, einen Neuanfang zu wagen, erleichtert.“

Diana sog dieses neue Wissen in sich auf. „Immerhin war ihr Vater ein Earl. Da sollte er gewiss über ausreichend Vermögen verfügt haben, um das Dach ausbessern zu lassen und die Feuchtigkeit zu vertreiben.“

„Mein Vater war allerdings auch ein Spieler und Hasardeur, dem das Glück nicht beistand. Er neigte dazu, spontanen Eingebungen übereilt nachzugeben, ohne sich vorher genauer zu informieren. Vor seinem Tod hat er keine Vorkehrungen für unsere Versorgung getroffen.“

„Nun sind Sie wohlhabend. Oder irrt sich Lady Bolt auch darin?“

„Mein Vermögen habe ich mir selbst erwirtschaftet, Miss Clare. In dieser Hinsicht erwies ich mich geschickter als mein Vater und mein Bruder. Nur den Titel übernahm ich von meinen Vorfahren. Das ist ein Unterschied.“

„Halt! Halt!“ Unvermittelt rannte ein junges Mädchen wild mit den Armen wedelnd auf die Straße.

Heftig zog Brett die Zügel an und brachte die Karriole sicher zum Stehen.

„Jenny Satterwaite, was soll denn dieser Unfug?“, fragte Diana.

„Es geht um meine Mama. Sie steckt in der Treppe fest. Ich und Jimmy haben gezogen und gezogen, aber sie rührt sich nicht vom Fleck.“

„Wie ist das nur geschehen?“

„Die Stufen sind lose, weil sie niemand repariert hat. Wir wollten den neuen Lord fragen, wenn er kommt. Meine Mama sagt, er wird’s richten.“

Beklommen saß Diana auf ihrem Sitz, wagte es nicht, Brett anzuschauen. Sie würde es nicht ertragen, wenn er das Mädchen zurückwies.

„Hier ist er schon. Wenn er kann, wird er euch helfen.“ Brett sprang von der Karriole. „Kann jemand die Pferde halten?“

Jenny nickte. „Das kann Jimmy machen. Er liebt Pferde.“

Rufend rannte sie zurück zum Haus, während Diana ihrem Begleiter einen verblüfften Blick zuwarf.

„Verzeihen Sie, Miss Clare, Ihre Heimkehr wird sich nun etwas verzögern. Gewiss stimmen Sie mit mir überein, dass die Notlage dieser Frau Vorrang hat.“

Ein schmächtiger Junge kam aus dem Haus gelaufen. Beim Anblick der Pferde weiteten sich seine Augen erfreut. „Also hat die Jenny mich doch nicht veräppelt.“

„Ich gebe dir einen Penny, wenn du die Pferde hältst. Aber du musst mit festem Griff zupacken. Lasse nicht zu, dass sie sich von der Stelle rühren.“

„Wird gemacht, Sir.“

Brett streckte die Hand nach Diana aus. „Gut, dann kümmern wir uns nun um die missliche Lage dieser Frau.“

Ein Stöhnen begrüßte sie beim Betreten des Cottages. Mrs. Satterwaite stand tatsächlich mit schmerzverzerrtem Gesicht inmitten der geborstenen Stufen gefangen.

Ohne Zögern ging Brett zu ihr hinüber und hob sie mit starkem Griff aus dem Loch in der Treppe, deren morsches Holz dabei weiter zerbarst.

„Vielen Dank, Mylord.“ Mrs. Satterwaite lächelte erschöpft. „Ich hätt nich gewusst, wie ich das hätt aushalten sollen, bis da nebenan einer von der Arbeit heimgekommen wär.“

„Würden Sie das bitte halten.“ Brett zog seinen Gehrock aus und reichte ihn Diana. Ihre Finger schlossen sich um den warmen Stoff und drückten ihn an sich. „Ich denke, ich kann das notdürftig richten. Dürfte ich um Bretter, Nägel und einen Hammer bitten, Miss Jenny Satterwaite.“

Das Mädchen rannte davon und kam bald darauf mit dem Gewünschten zurück. Diana sah Lord Coltonby die Bretter über die morschen Stellen nageln. Danach überprüfte er auch die anderen Stufen. „Nicht vollkommen, aber für den Augenblick wird es wohl genügen. Ich werde morgen Arbeiter schicken, um die Treppe ordentlich zu reparieren.“

„Ja, Mylord.“ Mrs. Satterwaites Augen wurden groß. „Vielen Dank, Mylord.“

„Alle notwendigen Reparaturen werden veranlasst werden, denn ich habe die Absicht, mich um meine Pächter zu kümmern.“ Die Worte hallten in dem kleinen Cottage. Diana war sich sicher gewesen, er mache nur leere Worte, nun indes konnte sie sehen, dass er es aufrichtig meinte. Er sorgte sich tatsächlich um diese Menschen. „Ich nehme an, dagegen haben Sie nichts einzuwenden, Miss Clare.“

Er nahm ihr den Gehrock aus den Fingern, und sie verließen das Haus. Kaum näherte sich Brett den Pferden, da begannen die Braunen auch schon, unruhig zu tänzeln. Doch Jimmy Satterwaite hielt die Zügel entschlossen fest, sodass sich die Karriole nicht vom Platz rührte.

„Mein Pferdebursche hätte dies nicht besser machen können.“ Brett gab dem Jungen eine Münze. „Komm zu meinen Ställen. Für einen Jungen, der gut mit Pferden umgehen kann, habe ich immer Verwendung.“

Diana sah dem Jungen nach, der freudestrahlend zum Cottage zurücklief, die Nachricht lauthals verkündend. „Sie entsprechen nicht meinen Erwartungen“, sagte sie.

„Sie den meinen ebenfalls nicht“, erwiderte er leise, nachdem sie auf dem Sitz saßen und die Karriole sich wieder in Bewegung setzte. „Habe ich nun Ihre Erlaubnis? Darf ich Sie Miss Diana nennen, wie es die Satterwaites tun?“

„Wenn es denn sein muss“, erwiderte sie mit tiefem Atemzug, wobei sie sich insgeheim wünschte, die Fahrt würde ein wenig länger dauern. Indes kamen die Tore ihres Anwesens bereits in Sicht.

„Diana, benannt nach der römischen Göttin der Jagd und des Mondes.“ Seine Stimme schnurrte ihren Namen, was ein seltsames Gefühl in ihrer Magengrube verursachte. „Sind Sie schon einmal in Italien oder Griechenland gewesen, Miss Diana? Haben Sie den Mond groß und gelb über dem Meer erscheinen sehen?“

„Ich bin nur ein Mal von Northumberland fort gewesen – in London.“

„Eine Schande.“ Er ließ die Pferde in langsamen Schritt verfallen und legte den Arm auf die Rückenlehne. „Sie sollten Griechenland wahrlich einmal bereisen. Gerne würde ich Ihnen die im Mondlicht schimmernden Strände der versteckt liegenden Buchten zeigen.“

Autor

Miranda Jarrett
Hinter dem Pseudonym Miranda Jarrett verbirgt sich die Autorin Susan Holloway Scott. Ihr erstes Buch als Miranda Jarret war ein historischer Liebesroman, der in der Zeit der amerikanischen Revolution angesiedelt war und 1992 unter dem Titel "Steal the Stars" veröffentlicht wurde. Seither hat Miranda Jarrett mehr als dreißig Liebesroman-Bestseller geschrieben,...
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Michelle Styles
<p>Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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Helen Dickson
Helen Dickson lebt seit ihrer Geburt in South Yorkshire, England, und ist seit über 30 Jahren glücklich verheiratet. Ihre Krankenschwesterausbildung unterbrach sie, um eine Familie zu gründen.
Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes begann Helen Liebesromane zu schreiben und hatte auch sehr schnell ihren ersten Erfolg.
Sie bevorzugt zwar persönlich sehr die...
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