Wer sind Sie, Madame Fortune?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Getarnt als Madame Fortune genießt Lady Celia die rauschenden Nächte im Masquerade Club. Der Inhaber John Rhysdale entführt sie in eine Welt ungeahnter Sinnlichkeit. Aber ihr Traum kann jederzeit enden - wenn John herausfindet, dass sie hinter der Maske steckt!


  • Erscheinungstag 07.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715861
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

London, Juni 1819

Rhys war die Frau sofort aufgefallen, als sie in der Türöffnung erschien. Sie war ungewöhnlich groß, und erhobenen Hauptes blickte sie sich im Saal um. Eine mit Federn geschmückte schwarze Maske, die an jene erinnerte, die er in Venedig gesehen hatte, bedeckte die obere Gesichtshälfte. Ein roter Granatstein funkelte zwischen den Augenschlitzen.

In ihrem tiefroten Kleid passte sie hervorragend zu den Rot-, Grün- und Goldtönen des Spielsaals. Er beobachtete, wie sie anmutig den Raum betrat. Hatte sie vor, sich auf eines der riskanten Glücksspiele einzulassen, oder würde sie sich für ein Kartenspiel entscheiden? Er wollte unbedingt, dass dieser Frau gefiel, was er aus der heruntergekommenen Spielhölle gemacht hatte, und dass sie sich hier vergnügte.

Rhys wollte, dass sie wiederkam.

Der Masquerade Club sollte ein großer Erfolg werden. Er würde sich erst zufriedengeben, wenn er Londons beliebtester Spielsalon war, ein Haus, das bei den Gentlemen ebenso gut ankam wie bei den Damen der feinen Gesellschaft. Dabei ging es ihm nicht um das Geld, das er verdienen würde. Er wollte unter Beweis stellen, dass er bei allem, was er in Angriff nahm, der Beste war.

Eine solche Herausforderung hatte er zuletzt vor einer Schlacht empfunden. Auch wenn ihm diesmal kein Blutbad bevorstand.

Hier und heute war es nur seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine bezaubernde Frau sich amüsierte.

In der Mitte des Saals blieb sie stehen, und er schritt eilig auf sie zu.

„Guten Abend, Madam.“ Er verbeugte sich. „Ich bin John Rhysdale, der Besitzer des Clubs. Welches Spiel möchten Sie spielen? Es wäre mir eine Freude, Ihnen behilflich zu sein.“

Sie blickte durch die Sehschlitze der schwarzen Maske zu ihm hoch. Ihre Augen funkelten in einem faszinierenden Grün. Das lange hellbraune Haar, in dem goldene Strähnen aufschimmerten, trug sie locker hochgesteckt.

Wer war sie?

„Mr Rhysdale.“ Sie nickte, und ihre Stimme klang erstaunlich leise und zurückhaltend. „Ich würde gern Whist spielen, doch ich habe keinen Partner.“

Am liebsten hätte er sich selbst als Spielpartner angeboten, aber er hielt sich an den Grundsatz, nicht im eigenen Haus zu spielen. Er musste also einen Gentleman finden, der gewillt war, die Aufgabe zu übernehmen. Sein Freund Xavier würde gewiss mit Vergnügen neben ihr am Kartentisch Platz nehmen, wenn er ihn darum bat. Doch Frauen ließen sich viel zu leicht von Xaviers attraktivem Äußeren blenden. Nein, er würde sie nicht Xavier überlassen.

Er wollte sie für sich haben.

1. KAPITEL

London, Mai 1819, einen Monat zuvor

Rhys und sein Freund Xavier saßen an einem Tisch im Speisesaal des Stephen’s Hotel. Gerade hatte man ihnen das Essen serviert, als Rhys einen Blick auf den Eingang warf.

Dort standen zwei Männer, die offenbar nach jemandem Ausschau hielten.

Rhys kannte die beiden. Er kannte sie seit seiner Kindheit. Es waren Viscount William Neddington, genannt Ned, und sein Bruder Hugh Carstairs, die beiden legitimen Söhne des Earl of Westleigh.

Seine Halbbrüder.

Rhys wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Essen zu.

Klirrend ließ Xavier die Gabel fallen. „Teufel noch einmal!“ Er wies mit dem Kopf in Richtung Eingang. „Schau mal, wer da steht.“

Rhys sah hoch. „Sie suchen nach jemandem.“

Im Stephen’s Hotel verkehrten hauptsächlich Offiziere oder ehemalige Militärangehörige wie Rhys und Xavier. Es gehörte nicht zu den Orten, an denen sich die Söhne des Earls normalerweise aufhielten.

Rhys wartete den unausweichlichen Moment ab, in dem einer der Brüder ihn bemerken und dann schnell wegsehen würde. Wann immer sich ihre Wege im Laufe der Jahre gekreuzt hatten, waren Neddington und Hugh bemüht gewesen, ihn wie Luft zu behandeln. Gewiss wünschten sie sich, dass er gar nicht existierte.

Ned, der ältere und größere der Brüder, drehte den Kopf in Rhys’ Richtung. Ihre Blicke trafen sich, doch diesmal sah Ned nicht weg. Diesmal stieß er Hugh leicht mit einem Ellbogen an, und gemeinsam gingen die beiden direkt auf Rhys’ Tisch zu.

„Sie kommen zu uns“, sagte Rhys zu Xavier.

Der Freund atmete tief aus. „Verflucht …“

Rhys hielt Neds Blicken weiterhin stand. Den Brüdern gegenüber hatte er sich immer zu behaupten gewusst.

Sie blieben vor seinem Tisch stehen.

„Rhys.“ Ned neigte leicht den Kopf, und Rhys schien es, als ob sein Halbbruder sich um Freundlichkeit bemühte.

„Gentlemen.“ Er würde den Teufel tun, die beiden namentlich zu begrüßen und eine Vertrautheit vorzutäuschen, die nie existiert hatte. Er wies in Xaviers Richtung. „Mein Freund, Mr Campion.“

„Wir sind miteinander bekannt.“ Ned verbeugte sich zur Begrüßung.

„In der Tat sind wir das.“ Xaviers Worte klangen sarkastisch.

Rhys schnitt sich ein Stück Fleisch ab. „Wolltet ihr mich nur kurz begrüßen, oder habt ihr eigens nach mir gesucht?“

„Wir haben nach dir gesucht“, erwiderte Hugh.

Xavier blickte von einem zum anderen und war sichtlich neugierig, was der Anlass für diesen ungewöhnlichen Besuch sein mochte.

„Bitte verzeih, dass wir dich beim Dinner stören.“ Neds Worte hörten sich in Rhys’ Ohren versöhnlich, wenngleich etwas hölzern, an. „Wir müssen mit dir reden.“

Sie mussten mit ihm reden? Das war in der Tat etwas ganz Neues.

Rhys konzentrierte sich absichtlich weiter auf seinen Teller, wies jedoch zugleich mit einer Hand auf die zwei freien Stühle am Tisch. „Nehmt Platz.“

Hugh, der schon immer ein hitzköpfiger Charakter gewesen war, schnaubte empört.

„Wir würden es bevorzugen, mit dir allein zu reden“, sagte Ned freundlich.

Xavier setzte sich kerzengerade hin.

Rhys musterte die Männer, in denen er nichts als die beiden Jungen von früher sah. Die bittere Erinnerung an ihre erste Begegnung, bei der er neun Jahre alt gewesen war, kam ihm in den Sinn. Er hatte sie mit dem konfrontiert, was er gerade erst erfahren hatte – dass sie denselben Vater hatten.

Dieses Zusammentreffen hatte wie zahllose andere in ihrer Kindheit mit fliegenden Fäusten und blutigen Nasen geendet.

Rhys starrte in die Augen, die den seinen so glichen – dunkelbraune Augen, über denen sich dichte Brauen wölbten. Wie er selbst trugen auch Ned und Hugh das dunkle Haar kurz geschnitten. Er war zwar größer und muskulöser, doch wenn er neben diesen beiden Männern stand, würde niemand daran zweifeln, dass sie Brüder waren.

Er tauschte mit Xavier Blicke aus. Die Miene des Freundes verriet Misstrauen.

Dann zuckte er mit den Schultern. „Wartet in der Eingangshalle auf mich. Ich komme zu euch, sobald ich aufgegessen habe.“

Ned verbeugte sich kurz, und Hugh sah finster drein, aber beide drehten sich um und verließen den Speisesaal.

Xavier sah ihnen nach. „Ich traue den beiden nicht. Willst du nicht lieber, dass ich dich begleite?“

Rhys schüttelte den Kopf. „Es hat nie eine Zeit gegeben, in denen ich nicht allein mit den beiden fertiggeworden wäre.“

„Trotzdem gefällt mir die Sache nicht“, entgegnete der Freund. „Die Burschen führen etwas im Schilde.“

Rhys aß weiter. „Oh ja, das denke ich auch. Dennoch werde ich allein mit ihnen reden.“

Xavier warf ihm einen skeptischen Blick zu.

Rhys ließ sich Zeit, aufzuessen, obgleich er keinen Appetit mehr verspürte. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es eine unangenehme Unterredung werden.

Xavier klopfte ihm auf die Schulter, bevor er ihn verließ. „Sei vorsichtig, alter Junge.“

Rhys ging in die Eingangshalle, und Ned und Hugh drehten sich zu ihm.

„Kommt mit nach oben“, forderte er die beiden auf.

Er führte sie die Stufen zu seinem Apartment in der zweiten Etage hoch. Als sie das Wohnzimmer betraten, erschien sein Diener.

„Bringen Sie uns Brandy, MacEvoy.“

MacEvoy hob die Brauen. Der Mann, der eine noch verwegenere Vergangenheit als er selbst hinter sich hatte, war während des Krieges sein Offiziersbursche gewesen. Offenkundig hatte er Hugh erkannt, dem sie auf dem Schlachtfeld begegnet waren.

„Bitte setzt euch.“ Rhys wies auf die Sessel. Es bereitete ihm eine seltsame Genugtuung, dass seine Möbel von feinster Qualität waren, auch wenn er sie nur als Gegenleistung für Spielschulden akzeptiert hatte. Ihm ging es gut, was nicht immer der Fall gewesen war.

MacEvoy brachte den Brandy und verließ das Zimmer.

Rhys trank einen Schluck. „Weshalb müsst ihr mich ausgerechnet heute sprechen? Ihr habt euch doch all die Jahre über so bemüht, einen großen Bogen um mich zu machen.“

Verlegen blickte Ned zur Seite. „Wir haben vielleicht nicht direkt mit dir geredet, aber wir haben uns immer darüber auf dem Laufenden gehalten, wo du dich aufhältst und wie es dir geht.“

Ned log. Rhys hätte sein ganzes Vermögen darauf gewettet, dass seine Halbbrüder sich nie darum geschert hatten, wie es ihm nach dem Tod seiner Mutter ergangen war. Damals hatte ihr Vater jede weitere Unterstützung abgelehnt. Gerade einmal vierzehn Jahre war er alt gewesen, als der Earl ihn ohne jeden Penny dem Schicksal überlassen hatte.

Doch es schien ihm sinnlos, wegen der Lüge einen Streit zu beginnen. „Ich fühle mich geschmeichelt“, sagte er stattdessen.

„Dir wurde der höchste militärische Orden verliehen“, fügte Ned hinzu.

Diesmal blickte Hugh zur Seite.

„Ich habe mich im Leben stets bemüht, etwas zu erreichen“, erwiderte Rhys.

Hugh war ebenfalls im Krieg gewesen. Rhys war ihm von Zeit zu Zeit in Spanien, in Frankreich und schließlich in Waterloo begegnet, obwohl Hugh in einem prestigeträchtigen Kavallerie-Regiment, den Royal Dragoons, gedient hatte. Doch letzten Endes hatte Rhys den höheren militärischen Rang erreicht und war im gefürchteten 44. Infanterieregiment bis zum Major aufgestiegen. Nach dem verhängnisvollen Angriff der Kavallerie auf dem Schlachtfeld von Waterloo hatte Rhys den vom Pferd gestürzten Hugh aus dem Schlamm gezogen und ihn vor dem tödlichen Hieb eines französischen Säbels gerettet. Damals hatten sie kein Wort miteinander gewechselt, und Rhys würde auch jetzt nicht davon reden. Es war nur ein flüchtiger Moment gewesen – einer von vielen in diesen schrecklichen Tagen.

Ned beugte sich vor. „Du verdienst dir deinen Lebensunterhalt derzeit durch das Kartenspiel, nicht wahr?“

„Im Wesentlichen“, bestätigte Rhys.

Wie fast jeder Junge hatte er das Kartenspielen bereits in der Schule gelernt, doch erst in den Straßen Londons war er zu einem der geschicktesten Spieler geworden. Allein das Spielen hatte ihm ermöglicht, zu überleben. Aus schierer Not war er immer besser geworden und hatte schließlich genug gewonnen, um ein Offizierspatent zu erwerben. Nun, da der Krieg vorüber war, mehrten seine Gewinne die Grundlage für ein solides Vermögen. Niemals würde es wieder dazu kommen, dass er mit leeren Händen dastand und sein Bauch vor Hunger schmerzte. Langfristig hatte er ehrgeizige Pläne. Ihm schwebte vor, eine eigene Manufaktur aufzubauen. Etwas Nützliches herzustellen schien ihm weit besser, als sich auf das Glück im Spiel zu verlassen.

Hugh schnaubte ungeduldig. „Nun komm schon zur Sache, Ned. Wir sollten nicht um den heißen Brei herumreden.“

Ned sah Rhys direkt an. „Wir benötigen deine Hilfe, Rhys.“

„Beim Kartenspiel?“ Das schien unwahrscheinlich.

„In gewisser Hinsicht schon.“ Ned rieb sich über das Gesicht. „Wir möchten dir ein Angebot machen … ein Geschäftsangebot, das dir ebenfalls zum Vorteil gereichen würde.“

Hielten sie ihn für einen Dummkopf? Äonen würden verstreichen, bevor er sich auf ein Geschäft mit den beiden einlassen würde!

Rhys vermied es, seinen Ärger zu zeigen. „Ich brauche kein Geschäftsangebot. Bei mir lief es ziemlich gut, seit ich auf mich allein gestellt war.“

„Es reicht, Ned.“ Hughs Gesicht rötete sich. „Unsere Familie steht am Rande des Abgrunds …“

Ned unterbrach ihn mit seiner ruhigeren und maßvolleren Art. „Unser Vater hat sich bei seinen Wetten unbesonnen verhalten …“

„Er ist rücksichtslos und leichtsinnig!“ Hugh warf die Hände hoch. „Seinetwegen geht alles den Bach herunter!“

Der Earl of Westleigh war also hoch verschuldet? Das erklärte alles. Auch wenn Aristokraten, die Schulden machten, verglichen mit den Armen auf der Straße noch immer im Überfluss lebten. Im Unterschied zu mir würden Ned und Hugh niemals am eigenen Leibe erfahren, was echter Hunger, Einsamkeit und Verzweiflung bedeuten, dachte Rhys.

Er zwang sich, nicht an die Zeit zu denken, in der er beinahe zugrunde gegangen wäre.

„Was habe ich damit zu tun?“, fragte er freundlich.

„Wir brauchen Geld – viel Geld –, und zwar so rasch wie möglich“, antwortete Hugh.

Rhys lachte. „Der Earl of Westleigh will sich also Geld von mir leihen?“

„Es geht nicht darum, Geld zu leihen“, stellte Ned klar.

Hugh machte eine ungeduldige Handbewegung. „Wir möchten, dass du für uns eine Spielhölle eröffnest und dort die Leitung übernimmst. Hilf uns, schnell große Gewinne zu erzielen.“

Erneut ergriff Ned das Wort. „Der Gedanke dahinter ist folgender: Wenn unser Vater ein Vermögen in Spielhöllen verlieren kann, sollte es für uns umgekehrt auch möglich sein, ein Vermögen zurückzugewinnen, indem wir selbst ein solches Unternehmen betreiben.“ Er hielt die Handflächen hoch. „Nur, dass es für uns beide nicht möglich ist, eine Spielhölle zu eröffnen, selbst wenn wir wüssten, wie man das am besten anstellt – was überdies nicht der Fall ist. Außerdem würde es die Aufmerksamkeit auf unsere derzeitige Lage lenken, und die Gläubiger würden unruhig werden.“ Er lächelte Rhys an. „Aber du könntest es tun. Du hast die nötige Erfahrung … und für dich hätte es keine negativen Auswirkungen.“

Außer dass ich im Gefängnis landen kann, dachte Rhys.

Obwohl er natürlich Mitgliedsgebühren erheben konnte. Dann würde ein solches Unternehmen als Club gelten und wäre legal …

Rhys schüttelte den Kopf. Niemals würde er eine Spielhölle für Lord Westleighs Söhne betreiben.

„Wir brauchen dich“, drängte Hugh.

Waren sie verrückt geworden? Sein ganzes Leben über hatten sie ihn verachtet und verschmäht. Und jetzt erwarteten sie, dass er ihnen half?

Rhys leerte sein Glas und sah die beiden an. „Ihr braucht mich, aber ich brauche euch nicht.“

Hugh erhob sich ein Stück vom Sessel. „Unser Vater hat dich und deine Mutter unterstützt. Du schuldest ihm das. Er hat dich zur Schule geschickt. Stell dir bloß vor, wie es dir ergangen wäre, wenn er das nicht getan hätte!“

Rhys starrte den anderen an, der mit seinen neunundzwanzig Jahren nur ein Jahr jünger war als er selbst. „Stell dir vor, was meine Mutter für ein Leben hätte haben können, wenn der Earl sie nicht gezwungen hätte, mit ihm das Bett zu teilen.“

Dann hätte sie heiraten können. Sie hätte ein ehrbares und glückliches Leben führen können, anstatt die Last zu tragen, ein außereheliches Kind zu haben.

Möglicherweise würde sie sogar noch leben.

Rhys wandte sich ab und unterdrückte den Schmerz, der ihn befiel, wenn er an seine Mutter dachte. Dieser Kummer verließ ihn nie ganz.

Ned blieb hartnäckig. „Rhys, ich werfe dir gar nicht vor, wenn du unseren Vater oder uns verachtest, aber es geht hier nicht nur um unser Wohlergehen. Zahllose Menschen, die du zum Teil selbst kennst, sind von unserer Familie abhängig. Die Bediensteten, die vielen Pächter, die Knechte in den Stallungen … und auch die Lebensgrundlage der Dorfbewohner ist infrage gestellt, wenn die Ländereien von Westleigh Hall nicht mehr bewirtschaftet werden. Schon sehr bald sind wir nicht mehr in der Lage, die Kosten für die Aussaat zu bestreiten. Wie ein Kartenhaus ist alles in Gefahr, in sich zusammenzustürzen. Und die Menschen in der Gegend von Westleigh werden die Konsequenzen am härtesten zu spüren bekommen.“

Rhys ballte die Hände zu Fäusten. „Das hat der Earl selbst zu verantworten. Diese Last könnt ihr nicht auf meinen Schultern abladen. Ich habe damit nichts zu tun.“

„Du bist unsere letzte Hoffnung“, flehte Hugh ihn an. „Wir haben versucht, das Gut zu verpachten, aber in diesen schweren Zeiten will niemand das Risiko eingehen.“

„Haltet mich aus der Sache heraus.“

„Wir können dich nicht heraushalten!“ Hugh sprang auf die Füße und ging im Zimmer auf und ab. „Wir brauchen dich. Verstehst du das nicht? Du musst das einfach für uns tun!“

„Hugh, das ist nicht hilfreich.“ Ned stand ebenfalls auf.

Rhys erhob sich und sah die beiden an. „Ich werde euch noch einmal die Worte eures Vaters wiederholen: ‚Ich bin nicht verpflichtet, irgendetwas für dich zu tun‘.“ Er wandte ihnen den Rücken zu und ging zu der Karaffe mit Brandy, um sich ein weiteres Glas einzuschenken. „Ihr solltet jetzt gehen, sonst lauft ihr Gefahr, dass ich euch hinauswerfe.“

Hugh machte einen Schritt auf ihn zu. „Ha, das möchte ich sehen!“

Ned zog ihn zurück. „Wir gehen ja schon. Aber ich bitte dich, in Ruhe darüber nachzudenken. Die Idee könnte uns allen ein Vermögen einbringen. Wir besitzen genug, um den Einstieg zu finanzieren. Alles, was wir noch brauchen, ist …“

Rhys senkte die Stimme. „Raus!“

Ned schob seinen Bruder zur Tür. Sie nahmen ihre Hüte und Handschuhe und verließen den Raum.

Rhys starrte noch lange auf die Tür, nachdem das Hallen ihrer Schritte auf dem Gang verklungen war.

Seufzend trank er seinen Brandy aus. Dann klopfte es. Erbost riss er die Tür auf. „Ich sagte doch, ihr sollt verschwinden!“

„Donnerwetter!“ Xavier hob die Hände. „Sie sind also abgezogen.“

Rhys trat zur Seite. „Was tust du hier? Hast du etwa unten abgewartet, bis die beiden gegangen sind.“

„Erraten.“ Xavier betrat das Zimmer. „Ich konnte keinen Augenblick länger warten, um zu erfahren, was die beiden wollten.“

Rhys füllte ein weiteres Glas mit Brandy und reichte es dem Freund. „Setz dich. Du wirst es nicht glauben …“

Nachdem er seine Halbbrüder hinausgeworfen hatte, hätte Rhys die Angelegenheit eigentlich vergessen können. Und wahrscheinlich wäre es besser gewesen, er hätte sich an diesem Abend auf seine Karten konzentriert, anstatt die Arbeitsweise in der Spielhölle von St James’s zu beobachten.

Doch auch in den folgenden Tagen besuchte er so viele verschiedene Clubs wie nur möglich. Wie sonst spielte er dort an den Kartentischen, allerdings achtete er währenddessen auf jedes Detail – auf die Anordnung der Tische, die Qualität der Speisen und die Einträglichkeit der unterschiedlichen Spiele.

„Was ist der Grund für diesen Streifzug durch Londons Spielhöllen?“, erkundigte sich Xavier, als sie zu einem weiteren Club aufbrachen.

Rhys zuckte mit den Schultern. „Es gibt keinen besonderen Grund. Nenne es von mir aus eine Marotte.“

Der Freund sah ihn zweifelnd an.

Rhys wollte sich selbst nicht recht eingestehen, dass er über den Vorschlag seiner Halbbrüder nachdachte. Immer wieder kamen ihm die Leute aus dem Dorf in den Sinn, die seiner Mutter geholfen hatten. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, wie sehr sie leiden würden, wenn sie auf dem Anwesen des bankrotten Earls kein Auskommen mehr fanden.

Außerdem reizte ihn die Vorstellung, viel Geld verdienen zu können. Ned und Hugh würden das ganze Risiko tragen, nicht er. Für ihn war es eine beinahe sichere Wette.

Wenn ihm doch nur ein anderer und nicht ausgerechnet die Halbbrüder diesen Vorschlag unterbreitet hätten!

Rhys betätigte den Türklopfer eines großen Stadthauses. Ein Bär von einem Mann in farbenprächtiger Livree öffnete die Tür. Rhys hatte das Etablissement länger als ein Jahr nicht mehr betreten, doch es schien, als ob sich nichts verändert hätte.

„Wie geht es Ihnen, Cummings?“, fragte er den Mann. „Ich war viel zu lange nicht mehr hier.“

„Guten Abend, Mr Rhysdale“, erwiderte Cummings. Dann nickte er Xavier zu. „Mr Campion.“ Er nahm ihnen die Hüte und Handschuhe ab. „Hier hat sich nichts verändert, außer ein paar von den Mädchen. Die kommen und geh’n.“

Rhys interessierte sich nicht für die Mädchen, die zumeist nebenher ihre intimeren Dienste anboten.

Er sah sich im Vestibül um. Es schien sich tatsächlich nichts verändert zu haben.

Vor drei Jahren war er hier Stammkunde gewesen. Ebenso wie viele Gentlemen hatte ihn zu dieser Zeit eine maskierte Frau fasziniert, die regelmäßig zum Kartenspiel erschien und oftmals herausragend spielte. Die geheimnisvolle Aura, die sie umgab, hatte ihre Anziehungskraft noch verstärkt. Bald hatten die Männer darum gewettet, wer sie als Erster für sich gewinnen würde – was alles fein säuberlich im Wettbuch festgehalten worden war. Rhys fand es geschmacklos, eine Frau zu verführen, um eine Wette zu gewinnen.

Er schüttelte den Kopf. Seit Langem hatte er nicht mehr an die maskierte Frau gedacht.

Er wandte sich wieder an Cummings. „Ist Madame Bisou heute Abend da?“

„Ja, sie müsste oben sein.“ Cummings verstaute ihre Hüte in der Garderobe.

Rhys und Xavier gingen die Treppe hoch und betraten den Spielsaal, in dem es wie immer um kurz vor Mitternacht geschäftig zuging.

„Ich dachte, du wärest hergekommen, um Karten zu spielen.“ Xavier stieß ihn leicht mit dem rechten Ellbogen an.

„Das habe ich auch vor“, erwiderte er. „Aber ich bin ein ganzes Jahr nicht mehr hier gewesen. Da darf ich mich doch wohl einmal in Ruhe umsehen.“

In diesem Moment eilte eine dralle Frau mit flammend rotem Haar auf sie zu. „Monsieur Rhysdale und Monsieur Campion! Wie schön, eusch zu se’en. Es ist trop longtemps ’er, nisch waa?“

Rhys lächelte, weil er sich freute, sie wiederzusehen und auch ein wenig wegen ihres grauenhaften Versuchs, einen französischen Akzent zu imitieren. „Madame Bisou!“ Er beugte sich vor, um ihr einen Wangenkuss zu geben und flüsterte ihr ins Ohr: „Wie geht es dir, Penny?“ Er kannte sie noch aus den schwereren Tagen seiner Jugend.

„Träh bien, mein Junge“, antwortete sie, doch ihr Lächeln wirkte verkrampft. Sie drehte sich zu Xavier, um ihn zu begrüßen, bevor Rhys weitere Fragen stellen konnte.

„Warum bist du so lange nicht hier gewesen?“ Sie ergriff Rhys’ rechte Hand und drückte sie.

„Das frage ich mich auch.“ Rhys lächelte sie an.

Ihr Ton änderte sich, und mit einem Mal klang sie geschäftsmäßiger. „Wonach steht euch heute der Sinn, Gentlemen? Wollt ihr eine Frau, oder ist euch nach einem Glücksspiel zumute?“

Xavier antwortete ihr. „Wir würden gern eine Partie Whist spielen.“

Nachdem sie einige Runden gespielt hatten, begaben sie sich in den Supper Room. Als eines der Mädchen begann, mit Xavier zu flirten, ging Rhys zu Penny, die ganz hinten in einer Ecke saß.

„Es passt gar nicht zu dir, dass du hier allein herumsitzt, Penny. Ist etwas nicht in Ordnung?“

Sie seufzte müde. „Ich bin das alles manchmal so leid, Rhys. Ich wünschte, ich könnte einfach fortgehen und dem allen entfliehen …“

Rhys horchte auf. „Denkst du darüber nach, das Geschäft zu verkaufen?“

„Wie soll ich das denn anstellen? Ich kann ja nicht einmal eine Anzeige in die Zeitung setzen. Schließlich betreibe ich keinen legalen Club.“

Diese Resignation sah ihr gar nicht ähnlich. Normalerweise fand Penny immer einen Weg.

Rhys spürte, dass dies eine einmalige Chance war.

Das Schicksal drängte ihn geradezu, eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Er war die Lösung für Pennys Probleme. Zugleich konnte er die Menschen in Westleigh retten. Und er konnte seine eigenen Kassen füllen.

Dazu musste er nur seine Seele an den Teufel verkaufen. An seinen Vater.

Am nächsten Tag stand Rhys vor dem Stadthaus des Earl of Westleigh. Xavier hatte er nichts von seinen Absichten erzählt. Er wollte verhindern, dass der Freund ihm den Plan ausredete.

Der Lakai, der die Haustür öffnete, führte ihn in ein Gesellschaftszimmer am anderen Ende des Vestibüls. Unglücklicherweise dominierte ein riesiges Porträt seines Vaters das Zimmer. Mit gekreuzten Armen starrte der gemalte Earl of Westleigh auf ihn hinunter – mit strenger und, wie es Rhys schien, missbilligender Miene.

Sollte dieser Mann doch ruhig weiter Verachtung zur Schau tragen. Rhys wusste, was er wert war. Und er war wild entschlossen, es der Welt zu beweisen.

Dennoch stellte die Präsenz des Earls in diesem Haus seine Nerven auf eine Zerreißprobe. Würde der alte Mann bei dieser Unterredung mit Ned und Hugh zugegen sein?

Viel wahrscheinlicher war jedoch, dass der Earl alles Erdenkliche tun würde, um seinem Bastard aus dem Weg zu gehen.

Er musste seinen Halbbrüdern immerhin zugutehalten, dass sie ihn nicht lange warten ließen. Ihre eiligen Schritte und ihre gedämpften Stimmen hörte er bereits, bevor sie das Zimmer betraten.

Ned ging auf ihn zu, als ob er ihm die Hand reichen wollte, hielt dann jedoch inne und wies auf einen der Stühle. „Wollen wir uns setzen?“

Hugh hielt sich im Hintergrund.

Ruhig sah Rhys von einem zum anderen. „Ich glaube, ich bleibe lieber stehen.“

„Können wir dein Erscheinen dennoch so deuten, dass du über unser Angebot noch einmal nachgedacht hast?“, erkundigte sich Ned.

Rhys hätte am liebsten gelacht. Ned nannte es also ein Angebot! „Ich kam, um die Diskussion darüber fortzusetzen, ob ich gewillt bin, euch und euren Vater vor dem Ruin zu bewahren.“

„Warum?“, fragte Hugh ungeduldig. „Was hat deine Meinung geändert?“

Rhys sah ihn unverwandt an. „Nenn es von mir aus einen Anfall familiärer Loyalität. Allerdings sagte ich nichts davon, dass ich meine Meinung geändert hätte.“

Ned legte beruhigend eine Hand auf Hughs rechten Unterarm und drehte sich zu Rhys. „Worüber möchtest du mit uns reden?“

Rhys zuckte mit den Schultern. „Nun, zum einen benötigt man eine Menge Kapital, um einen Spielbetrieb zu eröffnen. Soll ich dabei etwa mein eigenes Geld investieren? Ich bin nicht bereit, meinen Wohlstand für eine so riskante Geschäftsidee aufs Spiel zu setzen.“

„Worin soll denn das Risiko bestehen?“, fragte Hugh aufgebracht. „Der Betreiber einer Spielhölle ist immer im Vorteil. Das weißt du ganz genau!“

„Selbst die Bank kann geknackt werden“, widersprach Rhys. „Es ist alles eine Glückssache.“

„Aber das ist höchst unwahrscheinlich, oder etwa nicht?“, konterte Hugh.

Ned warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu, bevor er sich wieder an Rhys wandte. „Das Investitionsrisiko liegt allein bei uns.“ Er senkte die Stimme. „Für uns geht es um alles oder nichts, Rhys. Wir haben die letzten Reste unseres Vermögens zusammengekratzt, um dieses Vorhaben zu finanzieren. Aber wir brauchen dich, um die Idee in die Tat umzusetzen.“

Sie mussten wirklich verzweifelt sein, wenn sie sich auf einen Plan wie diesen versteiften – und dabei auf seine Hilfe zählten.

„Ein Spielclub kann nicht sofort große Umsätze machen, außer es gelingt ihm, rasch von sich reden zu machen. Er muss sich deutlich von den anderen Häusern unterscheiden und entsprechende Vorzüge haben, um die richtigen Spieler in ausreichender Zahl anzulocken.“ Rhys hielt kurz inne. „Schließlich wollt ihr Kunden, die hohe Einsätze riskieren und genügend Geld haben, um es zum Fenster hinauszuwerfen …“

„Es sollte auf jeden Fall ehrlich zugehen“, unterbrach Hugh ihn barsch. „Keine manipulierten Würfel oder gezinkten Karten.“

Rhys warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Willst du mich beleidigen, Hugh? Wenn du mich für keinen ehrlichen Mann hältst, warum bittest du mich dann, das Geschäft zu führen?“

Hugh wich seinem Blick aus.

„Keinerlei Betrügereien und keine Prostitution. Ich werde weder das eine noch das andere dulden“, sagte Rhys. Er würde Madame Bisous Mädchen weiter als Bedienungen anstellen, aber wenn sie ihre Körper verkaufen wollten, würde das nicht in seinem Haus geschehen.

„Wir sind natürlich vollkommen einverstanden mit allem, was du vorschlägst“, erklärte Ned.

Rhys fuhr fort: „Überdies will ich freie Hand haben, wie das Haus zu führen ist.“

„Selbstverständlich“, willigte Ned ein.

„Warte mal! Was meinst du denn genau mit freier Hand?“, hakte Hugh nach.

„Ich meine, dass ich entscheide, wie das Geschäft zu gestalten und zu leiten ist“, erwiderte Rhys gelassen. „Ich werde der Besitzer sein, und es wird keine Einmischung von eurer Seite geben. Ich werde dafür sorgen, dass es ein Haus wird, das jeder reiche Aristokrat oder Kaufmann besuchen will. Außerdem soll es nicht nur Männer, sondern auch Damen anlocken.“

„Damen!“ Hugh wirkte entsetzt.

„Wir alle wissen, dass Ladies genauso gern spielen wie Gentlemen, nur dass sie dabei riskieren, ihren guten Ruf zu verlieren. Daher schlage ich vor, das Haus wie eine Mischung aus Spielclub und Maskenball zu gestalten. Jeder kann im Kostüm oder maskiert kommen. Auf diese Weise können auch die Damen bei uns spielen, ohne erkannt zu werden.“

Rhys hatte sich alles genau überlegt. Er würde die Spielhölle „Masquerade Club“ nennen.

Er fuhr mit den Erklärungen für Ned und Hugh fort: „So weit stehen meine Pläne fest. Sie sind nicht verhandelbar. Wenn ich bessere Ideen habe, werde ich sie in die Tat umsetzen und euch nicht vorher zurate ziehen.“

„Aber …“, wollte Hugh widersprechen.

Ned winkte ab. „Lass es gut sein, Hugh. Solange das Geschäft ehrlich und profitabel ist, können uns die Einzelheiten egal sein.“ Er wandte sich an Rhys. „Sonst noch etwas?“

„Ich will die Hälfte des Gewinns.“

„Die Hälfte?“, schrie Hugh empört.

Erneut sah Rhys ihn direkt an. „Ihr riskiert euer Geld, aber bei mir steht mehr auf dem Spiel. Wir können einen symbolischen Mitgliedsbeitrag erheben und die Spielhölle als Club bezeichnen, aber es besteht immer das Risiko, dass er für illegal erklärt wird und ich dafür hafte. Für dieses Risiko verlange ich einen Ausgleich.“ Außerdem hatte er vor, Penny an seinen Gewinnen zu beteiligen und auch Xavier, falls er gewillt war, ihm zu helfen.

„Ich denke, deine Bedingungen sind annehmbar“, sagte Ned. „Wollen wir jetzt darüber reden, welches Startkapital du benötigst?“

Rhys nickte, tippte sich jedoch mit einem Finger gegen die Lippen. „Ich habe noch eine Frage.“

Ned sah ihn misstrauisch an. „Um was handelt es sich?“

„Weiß der Earl von eurem Wunsch, dass ich das Geschäft führe?“

Die beiden Brüder tauschten Blicke aus.

„Er weiß es“, antwortete Ned.

Und bestimmt ist er darüber alles andere als glücklich, mutmaßte Rhys. Darauf zählte er. Neben der Möglichkeit, Geld zu verdienen, lohnte sich das Unternehmen für ihn noch aus einem anderen Grund. Er wollte dem Earl vor Augen führen, dass ausgerechnet sein Bastard ihn vor dem Ruin rettete. Er wollte sich an dem Mann rächen, der ihn gezeugt und diese Tatsache niemals anerkannt hatte. Dieser Mann hatte ihm jede Hilfe verwehrt, weil es ihm egal gewesen war, ob sein unehelicher Sohn lebte oder starb.

„In Ordnung, meine Brüder …“, sagte er in sarkastischem Tonfall. „Ich erkläre mich bereit, eure Spielhölle zu betreiben.“

Seine Halbbrüder atmeten erleichtert auf.

„Allerdings nur unter einer weiteren Bedingung“, fügte Rhys hinzu.

Hugh verdrehte die Augen.

„Unser Vater, Lord Westleigh, muss mich öffentlich als Sohn anerkennen. Es muss den Anschein haben, als ob ich als einer der euren in der Familie akzeptiert werde. Ich will künftig als vollwertiges Mitglied dieser Familie behandelt werden und bei Familienfeierlichkeiten und gesellschaftlichen Anlässen mit einbezogen werden.“ Gab es eine bessere Rache als diese?

Ned und Hugh starrten ihn entgeistert an.

„Das ist meine Bedingung“, wiederholte Rhys.

Ned blickte zur Seite, und Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.

Schließlich sah er Rhys wieder an. „Willkommen in der Familie, Bruder.“

2. KAPITEL

Rhys schloss den Kauf ab und schaffte es, Pennys Spielhölle bereits drei Wochen später neu zu eröffnen. Er veränderte die Einrichtung, das Dekor und die Speisekarte und schulte das Personal um. Madame Bisou’s wurde zum Masquerade Club, und die Nachricht von der Neueröffnung verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Die ersten Tage waren nervenaufreibend gewesen, doch jeden Abend stieg die Zahl der Gäste und mit ihnen der Gewinn. Rhys konnte sich darauf verlassen, dass wenigstens einer seiner Halbbrüder – zumeist war es Hugh – maskiert oder ohne jede Tarnung im Club auftauchte, um nach dem Rechten zu sehen. Er wusste, dass seine Arbeit genau überwacht wurde.

Er hatte gerade nach den beiden Ausschau gehalten, als stattdessen die hübsche Frau mit der Maske eingetreten war, die ihn eben gebeten hatte, einen Whist-Partner für sie zu finden.

Rhys hatte eine ganze Reihe von Mätressen gehabt. Gemeinsam mit Xavier hatte er wilde Nächte in Paris verbracht, doch es war selten vorgekommen, dass er sich von einer Frau so angezogen gefühlt hatte wie von der maskierten Besucherin.

Ihre Haltung verriet Stolz, und dass sie ohne männliche Begleitung in seine Spielhölle gekommen war, verriet bereits ihren Mut. Ihre verlockenden Lippen schimmerten feucht und rosa, und ihre Stimme klang wie Musik in seinen Ohren.

„Wie finde ich einen Spielpartner?“, erkundigte sie sich.

Welcher Mann würde sich bei ihrem Anblick weigern?

Er verbeugte sich. „Geben Sie mir einen Augenblick Zeit, um Ihre Frage zu beantworten.“ Eines der Serviermädchen kam in diesem Moment mit einem Tablett vorbei. Er nahm ein Glas mit Champagner und reichte es ihr. „Erfrischen Sie sich währenddessen und sehen Sie sich an, was das Haus alles zu bieten hat.“

Eilig blickte er sich um und machte sofort Sir Reginald aus, einen harmlosen Mann, der häufig in Spielhöllen verkehrte, gern mit Damen flirtete, aber niemals aufdringlich wurde. Er spielte passabel Karten, wenngleich ohne besonderen Einfallsreichtum. Sir Reginald würde nachsichtig sein, falls sie sich als schlechte Spielerin erwies, aber auch halbwegs mithalten können, wenn sie talentiert war.

Eigentlich konnte Rhys sich kaum vorstellen, dass sie unbegabt war.

Er brachte Sir Reginald zu ihr. „Madam, darf ich Ihnen Sir Reginald vorstellen?“

Sir Reginald verbeugte sich galant. „Es ist mir eine Ehre, Ihr Partner beim Whist zu sein.“

Als sie Sir Reginald anlächelte und die rosafarbenen Lippen öffnete, wurden ihre strahlend weißen Zähne sichtbar. Sie reichte Rhys das leere Glas, als ob er ein Bediensteter wäre, ergriff Sir Reginalds dargebotenen Arm und ging mit ihm zu einem der Kartentische, an dem bereits zwei Spieler saßen. Nachdem sie mit den Gentlemen geredet hatten, nahmen die maskierte Dame und Sir Reginald Platz. Einer der anderen Männer teilte die Karten aus.

Rhys hatte nicht vor, sich so leicht von der rätselhaften Frau mit der Maske abweisen zu lassen. Im Augenblick hatte er andere Verpflichtungen, aber bevor sie ging, wollte er auf jeden Fall noch mit ihr reden.

Celia Gale atmete erleichtert auf, als sie endlich an einem Kartentisch Platz genommen und Karo, Herz, Kreuz und Pik vor Augen hatte.

Den Spielsaal zu betreten, war ihr wie ein Gang in die Hölle vorgekommen. Sie hatte ihren ganzen Mut zusammenreißen müssen, um diesen Schritt zu wagen – ein Schritt, der ihren Ruf ruinieren konnte. Die Witwe eines Barons ging nicht einfach allein mitten in der Nacht in eine Spielhölle.

Und was noch weit schlimmer war – sie betrat eine Welt, wo ganz andere Gefahren lauerten: Die Verlockungen des Glücksspiels, der Rausch des Gewinnens und der irrige Glaube, Verluste könnten mit einem guten Blatt oder einem einzigen Würfelwurf wieder ausgeglichen werden.

Das Glücksspiel hatte ihr schon einmal alles geraubt, was ihr lieb und wert gewesen war.

Aber blieb ihr eine andere Wahl? Wie sollte sie sonst das Geld beschaffen, das sie so dringend benötigte?

„Sie geben, meine Liebe“, sagte Sir Reginald und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie hatte Sir Reginald bereits bei ein paar gesellschaftlichen Veranstaltungen gesehen, die sie besucht hatte, doch sie waren einander nie vorgestellt worden. Sie musste also kaum fürchten, dass er sie erkannte. Den beiden anderen Gentlemen, die ebenfalls nicht maskiert waren, war sie nie zuvor begegnet.

Sie mischte den Stapel absichtlich langsam, aber gründlich.

„Das nenne ich ordentliches Mischen.“ Der Mann zu ihrer Linken lächelte herablassend.

Ihr Vater hatte ihr beigebracht, dass erfolgreiches Spielen nicht nur eine Frage der Fähigkeiten, sondern auch eine der Menschenkenntnis war. Sollten sich diese Gentlemen doch ruhig überlegen dünken. Es war für sie von Vorteil, wenn sie unterschätzt wurde. Oft wurden die Gegner dadurch fahrlässiger und trafen bei der Wahl der Karten, die sie ausspielten, falsche Entscheidungen.

Sie tat, als ob sie zum ersten Mal an einem Spieltisch Platz genommen hätte, und mit dieser Taktik wuchs der hübsche kleine Stapel Jetons neben ihrem rechten Ellbogen stetig an. Die Mitspieler setzten allerdings nur bescheidene Beträge, und ab und an kam es ihr sogar so vor, als ob sie sie absichtlich gewinnen ließen.

Celia reagierte gelassen auf die unangebrachte Überheblichkeit. Schon bald würde man in diesem Spielsaal erfahren, welche Fähigkeiten sie besaß – und dann würden auch die Einsätze steigen.

Sie sah hoch. Der Besitzer des Clubs, Mr Rhysdale, schien sie genau zu beobachteten. Jedes Mal, wenn sie hochblickte, blickte er in ihre Richtung. Das machte sie nervös.

Mr Rhysdale war ein ungewöhnlich attraktiver Mann – groß und von athletischer Statur. Es schien, als ob er alles, was im Saal geschah, unter Kontrolle hätte, während seine Miene unergründlich blieb. Was dachte er, wenn er zwischen den Spieltischen umherschlenderte und unverwandt zu ihr hinsah?

Autor

Diane Gaston
<p>Schon immer war Diane Gaston eine große Romantikerin. Als kleines Mädchen lernte sie die Texte der beliebtesten Lovesongs auswendig. Ihr Puppen ließ sie tragische Liebesaffären mit populären TV- und Filmstars spielen. Damals war es für sie keine Frage, dass sich alle Menschen vor dem Schlafengehen Geschichten ausdachten. In ihrer Kindheit...
Mehr erfahren