Bianca Gold Band 55

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VON LIEBE STAND NICHTS IM VERTRAG von SUSAN MALLERY
Was hat der Schwangerschaftstest in der Handtasche der schönen Noelle zu bedeuten? Der reiche Firmenbesitzer Devlin Hunter ahnt sofort, dass sein unsteter Bruder einen Fehler gemacht hat. Pflichtbewusst kümmert er sich um Noelle - sein Herz aber lässt er verschlossen …

KÜSS MICH, HALT MICH, LIEBE MICH von ELIZABETH HARBISON
Der Top-Job im erfolgreichen Konzern seiner Familie ist nur der offizielle Grund, warum der Spitzenmanager Evan Hanson nach Chicago zurückkehrt. Eigentlich will er aber seine Jugendliebe Meredith zurückgewinnen. Zumindest so lange, bis er ein unglaubliches Geheimnis erfährt …

ÖFFNE DEIN HERZ, DANE von KAREN ROSE SMITH
Was muss geschehen, damit der wundervolle Kinderarzt Dane Cameron endlich Ja zu Maria sagt? Sie weiß, dass er auf tragische Weise Frau und Kind verloren hat. Und Maria will mit ihrer süßen Tochter kein Ersatz sein. Sie will ihn nur lieben - und von ihm geliebt werden.


  • Erscheinungstag 17.01.2020
  • Bandnummer 55
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749705
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery, Elizabeth Harbison, Karen Rose Smith

BIANCA GOLD BAND 55

1. KAPITEL

Bis zu dem Augenblick, als Noelle Stevenson das Wort „schwanger“ auf dem Teststreifen sah, hatte sie geglaubt, alles wird gut. Es war ihr erstes und einziges Mal gewesen, und da würde doch nicht gleich etwas passieren, oder?

Doch die Realität sah anders aus. Fassungslos drehte Noelle den Streifen hin und her. Ich bin schwanger. Ich.

Unvorstellbar. Was würden ihre Eltern dazu sagen? Natürlich brachten sie ihre Tochter nicht gleich um. Zuerst würden sie sich wortlos anblicken, auf eine Weise, die Noelle und ihre Schwestern schon immer aufgebracht hatte. Anschließend käme die Frage, was sie nun tun wolle. Immerhin habe sie sich selbst in diese Situation gebracht. Nun müsse sie sich den Konsequenzen stellen. Ja, sie wären sehr enttäuscht, und das war das Schlimmste.

Resigniert betrachtete Noelle ihr Spiegelbild. Sie hatte Angst vor der Zukunft. In zwei Wochen würde sie zwanzig sein, und im Herbst wollte sie mit dem zweiten College-Jahr beginnen. Das wäre unmöglich mit einem Baby.

Nein, es kann alles gar nicht wahr sein.

Schritte auf dem harten Holzfußboden ließen Noelle aufhorchen. Zu dieser Zeit, kurz nach sechs Uhr morgens, hielt sich normalerweise kein Mensch im Büro auf. Wer, außer ihr, erschien ausgerechnet heute so früh hier?

Noelle steckte den Teststreifen in die Schachtel zurück und versteckte diese hastig in ihrer Manteltasche. Hektisch sah sie sich in dem Bad ihres Arbeitgebers um. Als sie sicher war, nichts vergessen zu haben, eilte sie durch sein Büro auf den Flur.

Auf dem langen Flur begegnete sie ausgerechnet dem Menschen, dem sie gerade nicht über den Weg laufen wollte.

„Warum so eilig?“ Devlin Hunter wollte Noelle aufhalten und streckte die Hand aus.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. Was sollte sie antworten? Keinesfalls die Wahrheit. Was er wohl für ein Gesicht machen würde, wenn sie heraussprudelte: „Oh, Mr. Hunter, ich musste heute so früh kommen, weil ich einen Moment allein in Ihrem Bad sein wollte. Zu Hause muss ich es nämlich mit meinen drei Schwestern teilen. Ich fürchte, ich bin von Ihrem verstorbenen Bruder schwanger, und möchte den Schwangerschaftstest lieber hier durchführen, wo ich ungestört von meiner Familie bin.“

Stattdessen sagte sie: „Jetzt bin ich gar nicht mehr in Eile. Ich hatte nur dringend etwas zu erledigen und wollte gleich danach voll in meine Arbeit einsteigen.“

Mr. Hunter warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Es ist erst kurz nach sechs.“

„Ich weiß.“

„Sollte Katherine eine so strenge Chefin sein?“ Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund.

Noelle arbeitete nicht direkt für Mr. Hunter, sondern für seine Assistentin, war also Sekretärin der Assistentin. Sie bewunderte Katherine, die den Dienstplan immer so gestaltete, dass Noelle neben ihrer Arbeitszeit auch noch das College besuchen konnte.

„Nein, wirklich nicht. Ich wollte heute besonders fleißig sein.“ Noelle wusste selbst, dass sie eine schlechte Lügnerin war. Hoffentlich verrieten ihre Augen sie nicht.

Mr. Hunter war groß. Größer als Jimmy. Beide hatten dunkles Haar, wobei Mr. Hunters Augen grün und Jimmys braun waren. Das war nicht der einzige Unterschied. Jimmy war viel jünger gewesen und längst nicht so verantwortungsbewusst – jedenfalls nicht, bevor er zur Army gegangen war.

Aber jetzt wollte Noelle schnell vergessen, dass Jimmy nicht mehr lebte und sie schwanger war. Deshalb versuchte sie lächelnd an Mr. Hunter vorbeizuhuschen. Da sie sich nach links wandte und er einige Schritte nach rechts machte, während sie sich noch immer anlächelten, stießen sie zusammen.

Er entschuldigte sich, streifte aber aus Versehen mit seiner Aktentasche Noelles Manteltasche. Als daraus etwas auf den Boden fiel, bückte er sich und hob es auf.

Noelle blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Am liebsten hätte sie sich in ein Mauseloch verkrochen.

Einen Moment schwiegen beide. Dann fragte Mr. Hunter ruhig: „Habe ich Sie vor oder nach dem Test gestört?“

„Danach.“

„Und?“

Noelle sah ihn an. „Ich bin schwanger.“

Dev hatte damit gerechnet, dass der schlimmste Teil dieses Tages eine Auseinandersetzung mit einem seiner Lieferanten sein würde. Aber da hatte er sich getäuscht. „Ich glaube, wir müssen uns wohl mal miteinander unterhalten“, sagte er und ging voraus in sein Büro.

Schwanger.

Insgeheim stöhnte Dev Hunter auf, als er die Schachtel mit dem Schwangerschaftstest auf seinen Schreibtisch stellte. Jimmy war noch so jung gewesen – Noelle sogar noch jünger …

Mit angstvoll aufgerissenen Augen saß Noelle ihm jetzt gegenüber. Sie wirkte verlegen und wünschte sich offensichtlich weit weg. Auch für ihn war die Situation äußerst peinlich. Aber er fühlte sich gezwungen, seiner Verantwortung nachzukommen …

Schon immer hatte er sich um seinen Bruder gekümmert und ihm aus der Patsche geholfen. Aber ein Baby …?

„Waren Sie mit meinem Bruder eng befreundet?“

Noelle nickte, ohne Dev anzublicken. „Wir waren erst ein paar Monate zusammen, als er zur Army ging. Und während seines Heimaturlaubs …“ Sie schluckte. „Wir sprachen von Heirat.“

Dev kannte seinen Bruder. Wahrscheinlich hatte Jimmy von Heiraten gesprochen, um das Mädchen in sein Bett zu locken. Das war einer seiner Tricks.

„Ich dachte …“ Noelle spielte mit den Knöpfen ihres Jacketts. „Ich mochte ihn wirklich sehr gern, und wir hatten auch viel Spaß zusammen. Sein Beruf war gefährlich, er sagte selbst, ihm könnte jederzeit etwas zustoßen.“

Jimmy ist nicht nur für das Baby verantwortlich, dachte Dev entsetzt. Möglicherweise war Noelle zuvor noch nie mit einem Mann zusammen gewesen. „War es Ihr erstes Mal?“, fragte er geradeheraus.

Das blonde Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie nickte schüchtern.

Am liebsten hätte Dev seinem Bruder eine Tracht Prügel verpasst. Aber Jimmy war im Irak gefallen. Auf irgendeine Weise war es Jimmy immer gelungen, seine Probleme auf Dev abzuwälzen. Zur Trauer um Jimmy kamen quälende Schuldgefühle. Und nun musste sich Dev auch noch mit Noelle auseinandersetzen.

Er wusste herzlich wenig über sie. In dieser Situation konnte er natürlich nicht einfach den Computer anstellen und sich über ihren Lebenslauf informieren. Er wusste nur, dass sie für seine Assistentin Katherine arbeitete und noch kein Jahr in seiner Firma beschäftigt war. Anfangs hatte Noelle kaum Ahnung von der Büroarbeit, aber sie arbeitete hart, und inzwischen wusste Katherine gar nicht mehr, was sie ohne Noelle machen sollte.

Irgendwann im Frühling hatten sein Bruder und Noelle sich kennengelernt und sich dann öfter verabredet. Mehr wusste er nicht. Was zum Teufel sollte er nur tun?

„Ich wollte nicht, dass so etwas passiert.“ Noelle sah Dev noch immer nicht an. „Ich dachte, ich liebe ihn, war mir aber nicht sicher. Er war so lieb … Aber ich wusste genau, dass es vernünftiger wäre, noch zu warten. Nach seinem Tod dachte ich zuerst, ich hätte richtig gehandelt, und eine Weile glaubte ich, es wäre noch mal gut gegangen, auch wenn ich spät dran war. Erst vor ein paar Tagen wurde mir klar, dass ich vielleicht … na ja, Sie wissen schon.“ Noelle verstummte und begann zu weinen.

Dev stand auf und ging in die Garderobe, wo ein unsichtbarer Geist immer eine Schachtel mit Papiertaschentüchern bereitlegte. Er reichte Noelle eines und nahm auf der Schreibtischkante Platz.

„Wie alt sind Sie, Noelle?“

„In ein paar Wochen werde ich zwanzig.“

Selbst noch ein Kind, dachte Dev. „Gehen Sie aufs College?“

„Ja. Mein zweites Jahr beginnt im Herbst.“ Noelle zog die Stirn kraus. „Zuerst wollte ich auf ein Privat-College gehen, aber in meinem letzten Highschool-Jahr brach ich mir beim Skifahren ein Bein.“ Noelle lächelte schüchtern. „Ich fuhr gegen einen Baum, musste operiert werden und anschließend lange zur Physiotherapie gehen. Meine Mutter unterrichtete mich zwar zu Hause, und ich schaffte den Abschluss, aber für das längere College-Studium konnte ich mich nicht einschreiben. Bei vier Kindern ist das auch okay. So sparen wir eine Menge Geld. Meine Eltern sind nicht gerade vermögend.“

„Sie wohnen zu Hause?“

„Ja. Ich bin das älteste von vier Mädchen.“ Das Lächeln in ihren Augen verschwand. „Eigentlich müsste ich ein gutes Vorbild sein.“

„Was machen Ihre Eltern?“

„Mein Vater ist Pastor in unserer Kirche, und meine Mutter arbeitet im Büro.“

Super. Jimmy hatte eine Pastorentochter verführt.

„Was für Berufspläne haben Sie?“

„Ich möchte Kinderkrankenschwester werden.“ Abwehrend hob sie eine Hand. „Machen Sie mir jetzt bitte keine Vorhaltungen und sagen, ich sollte lieber Medizin studieren. Im Krankenhaus waren die Krankenschwestern für mich die wichtigsten Menschen. Deshalb möchte ich mich um die kranken Kinder kümmern und ihnen helfen, ihre Angst zu vergessen.“

„Keine Vorhaltungen“, versprach Dev.

Aber wie soll es jetzt weitergehen?, überlegte er. Die junge Frau war schwanger mit dem Kind seines Bruders. Damit lag die Verantwortung für sie bei ihm. Wenn Jimmy noch lebte, könnte er darauf bestehen, dass sie heirateten …

Aber Jimmy lebte nicht mehr, und Dev fühlte sich schuldig an seinem Tod.

Verlegen rutschte Noelle auf dem Stuhl hin und her. Sie war Mr. Hunter für seine Anteilnahme dankbar, fragte sich aber, was er eigentlich von ihr wollte. Er war nicht der Vater des Babys. Die ganze Angelegenheit war nicht sein Problem. Immerhin hatte er nicht bezweifelt, dass Jimmy der Vater war. Er schien auch nicht schlecht von ihr zu denken.

Ein Baby. Noelle legte eine Hand auf ihren Bauch. Sie konnte es noch nicht fassen, dass in ihr ein Kind heranwuchs. Sicher, sie hatte sich immer Kinder gewünscht, aber nicht ohne Ehemann, und nicht so bald. Da Jimmy nicht mehr lebte, würde das Baby das Einzige sein, was ihr von ihm blieb.

Was hätte er wohl zu einem Baby gesagt? Trotz seines gefühlvollen Heiratsantrags bei seinem letzten Besuch zu Hause war Noelle sich nicht sicher, ob er die Heirat wirklich gewollt hätte. Sie konnte nicht einmal sagen, was sie wirklich für ihn empfand. Alles hatte sich so schnell entwickelt. Sie waren miteinander ausgegangen und hatten ihren Spaß gehabt. Während Jimmy im Irak stationiert war, schrieben sie sich Briefe und E-Mails. Und als er dann für nur kurze Zeit nach Hause kam, war sie nicht mehr imstande gewesen nachzudenken.

„Wir sollten heiraten.“

Noelle glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Sie sah Mr. Hunter ungläubig an. Hatte er das wirklich gesagt? „Wie bitte?“

„Wir sollten so schnell wie möglich heiraten. Jimmy war mein Bruder. Damit trage ich die Verantwortung für das Baby. Ich trete nur an seine Stelle.“

Seine Verantwortung? Er war der Onkel des Babys. Vor allem aber war er Mr. Hunter, der Boss von ihrer direkten Vorgesetzten und jemand, den Noelle so gut wie gar nicht kannte.

„Ich schlage eine Vernunftehe vor“, fügte Devlin ruhig hinzu. „Eine befristete Ehe. Sagen wir: auf zwei Jahre. Da haben Sie genug Zeit, um sich auf Ihre Mutterrolle einzustellen und darauf vorzubereiten, auf eigenen Füßen zu stehen. Nach diesen zwei Jahren lassen wir uns scheiden. Sie erhalten Jimmys Erbteil. Ich möchte gern Kontakt zu dem Kind behalten und es als einen Hunter aufwachsen sehen. Ansonsten sind Sie frei, Ihr Leben nach Ihren eigenen Vorstellungen einzurichten.“

„Sie schlagen mir eine Heirat vor und reden gleichzeitig von Scheidung.“ Um Noelle schien sich alles wirr im Kreis zu drehen. Mr. Hunter machte ihr einen Heiratsantrag? Das konnte nicht wahr sein! „Sie kennen mich doch kaum, Mr. Hunter. Und ich kenne Sie überhaupt nicht. Wir können nicht heiraten.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Keine Angst. Ich werde nicht versuchen, Sie zu verführen, Noelle. Auch während wir im selben Haus leben, gehen wir getrennte Wege. Ich möchte Ihnen helfen. Ich bin Jimmys einziger Verwandter, also liegt bei mir die Verantwortung für sein Kind.“

Das konnte sie verstehen. Aber heiraten? Warum bot er ihr nicht einfach Unterstützung für das Kind an? „Ich möchte nicht heiraten, um mich wieder scheiden zu lassen. Diese Lösung leuchtet mir nicht ein. Für mich ist die Ehe eine ernste und dauerhafte Bindung.“

„Eine solche Bindung können Sie danach immer noch eingehen“, sagte Dev. „Mit jemandem, den Sie wirklich lieben. Ich bin ganz offen mit Ihnen, Noelle: Sie sind gerade zwanzig Jahre alt, wenn das Baby auf die Welt kommt. Sie arbeiten in Teilzeit und besuchen das College. Wobei Sie sagten, Ihre Eltern seien finanziell nicht sonderlich gut gestellt. Können sie es sich leisten, ein weiteres Kind aufzuziehen? Möchten Sie Ihnen das zumuten? Was wird aus Ihrem Berufsziel? Und wie wollen Sie Miete, Rechnungen, Versicherungen und andere laufende Kosten bezahlen? Wollen Sie das wirklich alles selbst übernehmen?“

Dev beugte sich vor. „Ich biete Ihnen eine Lösung an, die Ihnen ermöglicht, Ihr Leben wie geplant weiterzuführen. Für all Ihre Ausgaben ist gesorgt. Nach Ablauf der vereinbarten Frist besitzen Sie genügend Geld und können sich dann selbst um alles kümmern. Wenn Sie behutsam damit umgehen, brauchen Sie nicht zu arbeiten.“

„Warum?“, fragte Noelle. „Warum wollen Sie das alles tun?“

Zum ersten Mal, seit Dev Noelle in sein Büro gebeten hatte, wich er ihrem Blick aus. „Dass Jimmy sich bei der Army gemeldet hat, war meine Idee“, gestand er. „Ich bin schuld an seinem Tod.“

Er sprach vollkommen ruhig, dennoch hörte Noelle den Schmerz in seiner Stimme.

„Sie haben Ihren Bruder nicht umgebracht, Mr. Hunter.“

„Finden Sie nicht, dass Sie mich unter diesen Umständen Dev nennen sollten?“

„Wie bitte? Oh, natürlich. Dev. Ich bin aber der Meinung, dass Sie weder für Jimmys Tod noch für meine Schwangerschaft verantwortlich sind.“ Mr. Hunter – Dev – würde sich normalerweise niemals für sie interessieren. Noelle hatte einige der Ladys gesehen, mit denen er auszugehen pflegte. Alle waren groß gewachsene, schlanke und außergewöhnlich attraktive Frauen. Wogegen sie mit ihren blonden Haaren und den Sommersprossen eher wie ein Bauernmädchen aus Wisconsin wirkte.

„Mein Heiratsantrag ist absolut ernst gemeint“, betonte Dev.

Weil er sich für mich und mein ungeborenes Kind verantwortlich fühlt, dachte Noelle. Das passt zu ihm. Sie wusste einiges über ihn, weil Jimmy manchmal von ihm gesprochen hatte. Dev ging zur Highschool, als seine Mutter starb, aber Jimmy war erst sechs oder sieben. Als der Vater sie kurz darauf verließ, übernahm der Großvater die Erziehung der beiden Jungen. Leider starb er schon wenige Jahre später, und so musste Dev sich um seinen jüngeren Bruder kümmern.

Jimmy hatte sich oftmals bei Noelle über Devs Strenge beklagt, aber Noelle empfand damals nur Bewunderung für Dev, der die schwere Aufgabe übernommen hatte, einen Teenager zu erziehen. Soviel sie gehört hatte, hatte Jimmy ihm das Leben auch nicht leicht gemacht.

Aber Jimmy war Devs einziger Angehöriger, zu dem er Kontakt hatte, und nach Jimmys Tod gab es dann nur noch das Baby …

„Sie müssen mich nicht heiraten, um Kontakt zu dem Kind Ihres Bruders zu haben“, sagte sie. „Ich würde Sie niemals von ihm fernhalten. Das gebe ich Ihnen auch gern schriftlich, falls Sie meinem Wort nicht trauen.“

„Meinen Sie, es geht mir darum?“

Noelle richtete sich in ihrem Stuhl gerade auf und sah Dev in die Augen. „Ich bin jung, aber nicht dumm. Glauben Sie mir, ich bin mir der Probleme bewusst, die auf mich zukommen werden. Ich hatte mein Leben anders geplant, aber nun ist es passiert, und ich trage die Konsequenzen.“ Nicht schlecht, meine kleine Ansprache, dachte Noelle und hoffte, er würde nicht merken, wie sehr sie beim Reden zitterte.

Dev musterte sie. „Sie sind ganz anders, als ich erwartet habe. Die meisten Freundinnen von Jimmy waren eher …“

„… hohl im Kopf?“

„Genau.“ Dev musste lachen.

„Ich weiß. Das hat er mir selbst erzählt. Er sagte, seine Beziehung zu mir zeige seinen Willen, erwachsen zu werden. Aber ich glaube, es war eher dieses Spielchen: Braves Mädchen, böser Bube, oder: Gegensätze ziehen sich an.“

„Als braves Mädchen interessierten Sie sich für die bösen Buben?“

„Ich war immer neugierig“, gab Noelle zu. „Aber vor Jimmy hatte ich noch keinen festen Freund.“ Sie zog die Stirn kraus. „Die Jungen in der Schule wussten, wer mein Vater war. Keiner wollte sich mit einer Pastorentochter einlassen. Die Jungen, die sich mit mir verabredeten, waren immer sehr gut erzogen.“

„Bis auf Jimmy“, stellte Dev fest.

„Richtig.“

Dev löste sich von der Schreibtischkante und setzte sich auf den Stuhl, der neben Noelles stand. So konnte er ihr in die Augen sehen. Er nahm ihre Hand.

„Noelle, ich möchte, dass Sie sich mein Angebot ernsthaft überlegen. Ich könnte Sie einfach mit Geld abfinden, aber Sie brauchen mehr als Geld. Ich besitze ein geräumiges Haus mit viel Platz für Sie und das Baby. Wenn Sie verheiratet sind, brauchen Sie auch niemandem peinliche Fragen zu beantworten. Ich weiß nicht, was Jimmy über mich erzählt hat, aber ich gehöre nicht zu den bösen Buben. Meine Fehler sind alle ziemlich langweilig, und ich werde mich bestimmt um Sie und das Baby kümmern. In ein paar Jahren, oder wann immer Sie bereit sind, lassen wir uns scheiden. Bis dahin sind Sie finanziell gesichert, und das Kind ist aus den Windeln.“

Obwohl Noelle fasziniert seinen Worten lauschte, vergaß sie keinen Moment, dass Dev ihre Hand hielt. Die Berührung war zart und fest zugleich. Sie wirkte nicht erotisch oder romantisch. Trotzdem war Noelle sich Devs Nähe sehr bewusst. Sie hatte seine Geste verstanden.

„Ich bin nicht materiell eingestellt“, sagte sie, während sie die Hand wegzog und aufstand.

Dev stand ebenfalls auf. „Das behauptet auch niemand. Noelle, Sie würden doch sicher erwarten, dass Jimmy Sie heiratet, wenn er noch lebte?“

Darauf wollte sie nicht antworten. Wer heiratete heutzutage schon wegen eines Babys? Aber tief drinnen in ihrem Herzen hätte sie es erwartet.

„Sie sind nicht Jimmy.“

„Dann sehen Sie in mir einfach seinen Vertreter.“

Hätte Jimmy sie geheiratet? Noelle war sich nicht sicher.

„Es sind nur zwei Jahre. Die Zeit vergeht schnell. Wissen Ihre Eltern von Ihrer Beziehung zu Jimmy?“

„Wie?“ Der plötzliche Themenwechsel verwirrte Noelle. „Nun ja, sie wussten, dass ich mit jemandem aus der Firma gehe. Mehr nicht.“

„Demnach könnte auch ich es gewesen sein. Jimmys Kind erhält unseren Familiennamen, und ich nehme an seinem Leben teil.“

„Sie können beides haben, ohne mich zu heiraten.“

„Ich kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist, aber ich kann mein Bestes geben und Ihnen helfen. Sie kennen mich nicht, Noelle, aber letztendlich müssen Sie mir in dieser Sache vertrauen.“

Das war kein Problem. Dev Hunter war der Typ Mann, der alles schriftlich festlegte.

„Ich will Jimmys Erbe nicht“, sagte sie. „Das ist zu viel.“ Devs Firma, Hunter Manufacturing war ein riesiges millionenschweres Unternehmen. „Vielleicht eine finanzielle Unterstützung für das Kind und ein Haus.“ Selbst das klang in Noelles Augen noch gierig. „Nein, eine Unterstützung für das Kind ist genug. Die hätte Jimmy bestimmt auch gezahlt.“

Dev schob die Hände in die Hosentaschen und lächelte. „Sie sagen also Ja?“

„Oh.“ Noelle überlegte. „Ich glaube.“ Wann hatte sie sich zu dieser Entscheidung durchgerungen? War das noch wichtig? Dev hatte recht. Sie würde es leichter haben, wenn sie seinen Vorschlag akzeptierte.

Dennoch begriff sie nicht, was Dev für einen Vorteil aus diesem Handel zog. Außer, dass er damit für eine kurze Zeit Teil einer Familie war. Sollte ihm das wichtig sein?

„Ich kenne Sie doch gar nicht“, sagte sie.

„Das werden wir ändern“, versprach er. „Lassen Sie uns heute Abend essen gehen. Dabei können wir alles genau besprechen, einen Terminplan aufstellen und die nächsten Schritte überlegen.“

Das hörte sich ganz nach einem Geschäftsvertrag an. Aber wenn sie es sich genau überlegte, war es auch nichts anderes. „In Ordnung“, stimmte sie zu. „Wo treffen wir uns?“

„Bei mir zu Hause.“ Er ging zum Schreibtisch und schrieb seine Adresse auf ein Blatt Papier. „Gegen halb sieben?“

Sie nickte. „In Ordnung. Ich glaube, ich … ich sollte jetzt an meine Arbeit gehen.“

„Danke, Noelle“, sagte Dev. „Machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Wir schaffen das schon. Alles wird gut.“

Noelle verließ den Raum. Alles wird gut? Sie war schwanger, hatte sich gerade für eine befristete Ehe mit einem Mann entschieden, der ihr völlig fremd war, und musste sich für ihre Familie eine Menge Lügen einfallen lassen, um diese Entscheidung erklären zu können …

2. KAPITEL

Gegen zwölf Uhr mittags verließ Noelle ihren Arbeitsplatz. Sie hatte in letzter Zeit ohnehin schon einige Überstunden gemacht. Heute hatte sie konzentriert gearbeitet, aber nun brauchte sie unbedingt Zeit für sich, denn nur so würde sie die nächsten Stunden überstehen.

Endlich konnte sie zu ihrem Wagen eilen und nach Hause zu ihrer Mutter entfliehen.

Seltsam, dass sie mit neunzehn Jahren noch immer den Trost ihrer Mutter suchte. Dieses Bedürfnis würde wahrscheinlich nie vergehen. Dabei würde sie in acht Monaten selbst Mutter sein.

„Unmöglich“, murmelte Noelle vor sich hin, als sie den Parkplatz verließ. „Die ganze Situation ist unmöglich.“

War sie wirklich schwanger? Ja, auch wenn sie es nicht glauben konnte. Und wieso hatte sie überhaupt in Erwägung gezogen, Dev Hunter zu heiraten? Sie war wohl nicht ganz klar im Kopf gewesen, als sie seinen Antrag angenommen hatte. Es ist nicht immer vernünftig, den einfachsten Weg zu wählen, sagte sie sich. Dev bot ihr Sicherheit, aber wollte sie ihn dafür tatsächlich heiraten? Hatte sie zu vorschnell gehandelt? Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Aus diesem Grund hatte sie es so eilig, nach Hause zu kommen. Ihre Mutter kam mittags immer für ein paar Stunden aus dem Kirchenbüro. Sie würden sich zusammensetzen, und dann konnte sie ihrer Mutter alles beichten. Sie wüsste bestimmt einen Rat.

„Hey, Mom!“, rief sie, als sie ihr Elternhaus durch die Hintertür betrat. Obwohl das Haus alt und etwas heruntergekommen war, war es urgemütlich und bequem. Noelle lief durch die Waschküche in die Küche, wo ihre Mutter am Tisch saß.

„Hallo, meine Liebe!“, rief die ältere Frau. „Ich hatte dich gar nicht zum Mittagessen erwartet.“

„Ich habe heute viel früher als sonst angefangen. Deshalb konnte ich auch eher aufhören.“ Noelle setzte sich und sah ihre Mutter lächelnd an. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Mutter weinte und versuchte, die Tränen fortzuwischen. „Mom? Ist alles in Ordnung?“

Ihre Mutter seufzte. „Es geht mir gut. Ich bin bloß ein bisschen weinerlich. Dein Vater und ich …“ Sie schluckte. „Wir haben uns gestritten. Das passiert nicht oft, deshalb haben wir darin auch wenig Übung.“

Noelle streichelte ihren Arm. „Wir hören dich und Dad nie streiten. Manchmal bist du vielleicht schlecht gelaunt, aber streiten? Nein. Was gibt es denn?“

„Ich sagte deinem Vater, dass ich keine Lust mehr hätte, im Kirchenbüro zu arbeiten. Ich möchte mehr tun und andere Menschen kennenlernen.“

Noelle wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Ihre Mutter liebte doch ihre Arbeit im Kirchenbüro. Jedenfalls hatte sie das immer behauptet. „Ich dachte immer, diese Arbeit sei genau das, was du wolltest“, versuchte sie zu trösten.

„Das stimmt aber leider nicht.“ Erneut versuchte Noelles Mutter, die Tränen zurückzudrängen. „Oh, wie ich es hasse, mich von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Aber ich muss mich um diese Sachen hier kümmern. Es ist wichtig.“

„Warum?“

„Wegen … wegen …“ Noelles Mutter atmete tief durch, dann deutete sie auf einen Stapel Briefe. „Es geht um diese Rechnungen. Dein Vater ist so stur. Er sagt, der liebe Gott wird helfen – so etwas in dieser Art. Aber es gibt auch eine Wirklichkeit und ein ‚Hilf dir selbst‘. Immer muss ich die Vernünftige sein und ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Dieser Träumer … manchmal wird es mir einfach zu viel.“

Noelle biss sich auf die Unterlippe, sagte aber nichts. Nie zuvor hatte ihre Mutter so mit ihr geredet – wie zu einer Erwachsenen.

„Das Geld reicht hinten und vorn nicht“, sagte ihre Mutter leise. „Die Rechnungen häufen sich. Deine Studiengebühren sind nicht sehr hoch; wir werden auch deine weitere Ausbildung irgendwie bezahlen können, aber demnächst beginnt Lily ein Studium auf einer Privatuniversität. Sicherlich wird man ihr auch ein Teilstipendium gewähren, aber dennoch … Und dann der Wagen, den wir für ihre Abschlussfeier gemietet hatten …“

Eine Familientradition, dachte Noelle. Plötzlich fühlte sie sich schuldig, weil die Eltern auch für sie im vergangenen Juni einen Wagen zur Abschlussfeier der Highschool gemietet hatten.

„Da kommt einiges zusammen.“ Ihre Mutter seufzte.

Noelle musterte den Stapel mit den Rechnungen. Eine fiel ihr besonders ins Auge. „Hat diese hier das Krankenhaus geschickt? Wegen meines Unfalls?“

Ihre Mutter nahm ihr die Rechnung aus der Hand und steckte sie unter die anderen. „Mach dir keine Gedanken.“

„Sind wir nicht versichert?“

„Die Versicherung deckt nicht alles ab.“ Abrupt stand ihre Mutter auf und ging zum Kühlschrank. „Sag mir lieber, was du zum Essen haben möchtest. Von dem kalten Braten sind noch Reste da. Wir könnten Sandwiches machen.“

Noelle fühlte, wie sich ihr Magen zusammenzog. „Willst du einen anderen Job, um mehr zu verdienen?“

Ihre Mutter lehnte sich gegen den Tresen. Sie hatte mit neunzehn Jahren geheiratet, mit zwanzig die erste Tochter bekommen und war im letzten März erst vierzig geworden. Sie sah viel jünger aus. Fremde waren oft überrascht, wenn sie hörten, dass sie eine Tochter auf dem College hatte.

„Ich habe sogar schon einige wirklich gute Angebote bekommen. Aber ich habe mich noch nicht entschieden. Leider sieht dein Vater das alles als Treuebruch an.“

„Vielleicht ist er nur traurig, weil es ihm nicht möglich ist, so gut für seine Familie zu sorgen, wie er es sich wünscht.“

„Das auch“, räumte ihre Mutter ein. „Das männliche Ego ist sehr empfindlich.“

„Daddy liebt dich. Er will, dass du glücklich bist.“

„Ich bin glücklich. Er ist ein wundervoller Mann, und ich möchte ihn auf gar keinen Fall verletzen. Aber wir müssen diese Rechnungen begleichen. Manchmal, wenn eine unvorhergesehene Ausgabe kommt, denke ich, ich müsste gleich schreiend aus dem Haus laufen.“ Sie zögerte einen Moment. „Belaste ich dich damit zu sehr, Noelle? Entschuldige bitte. Ich hätte es lieber für mich behalten sollen. Aber in letzter Zeit wirkst du so erwachsen und verantwortungsbewusst. Ich habe das Gefühl, du bist für mich mehr eine Freundin als meine Tochter.“

Noelle trat zu ihrer Mutter. „Ich freue mich, dass du mir vertraust. Jeder braucht jemanden zum Reden.“

Sie umarmten sich. Als ihre Mutter sie an sich drückte, kämpfte auch Noelle gegen Tränen. Sie hatte auch ihre Sorgen, aber heute konnte sie ihre Mutter nicht noch damit belasten.

Sie verstand die finanzielle Situation ihrer Eltern und sah ein, dass sie ihnen kein weiteres Baby zur Pflege aufbürden konnte. Und wenn sie versuchte, allein klarzukommen, würden ihre Eltern sich immer mitverantwortlich fühlen und ihr helfen wollen.

Vielleicht war sie nicht ganz glücklich über den Handel, den Dev ihr angeboten hatte, aber gerade jetzt schien er doch die einzige Lösung zu sein …

„Was darf ich Ihnen anbieten?“ Andrew Hart, der langjährige Anwalt der Firma Hunter Manufacturing, bedeutete Dev, auf dem Ledersofa an der Wand Platz zu nehmen, und wandte sich zu seiner Hausbar in der Ecke.

„Für mich nichts“, wehrte Dev ab.

„In Ordnung.“ Andrew setzte sich Dev gegenüber in einen Clubsessel. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe die Absicht zu heiraten.“

Obwohl Dev mit erhobener Stimme sprach, mochte er seine Worte selbst nicht glauben. Heiraten! Gestern um diese Zeit hatte er noch ganz andere Pläne.

„Meinen Glückwunsch.“ Andrew wirkte überrascht. „Mir war gar nichts von einer festeren Beziehung bekannt. Jetzt möchten Sie wahrscheinlich vor der Hochzeit einen Ehevertrag abschließen.“

Andrew war zwar einige Jahre älter als Dev, aber immerhin ein guter Bekannter, dem Dev die Wahrheit nicht verschweigen wollte. „Eigentlich geht es um die Scheidung“, sagte Dev. „Unsere Ehe soll nur einige Jahre dauern. Für die Zeit nach der Scheidung möchte ich meiner Frau ein ausgezeichnetes Auskommen zusichern.“

Dev machte eine Pause und lachte, als er Andrews geschockte Miene sah. „Ich bin weder verrückt noch heirate ich aus den üblichen Gründen.“

Er erzählte Andrew von Noelles Beziehung mit Jimmy und der daraus folgenden Schwangerschaft.

„Sie sind verrückt“, sagte der Anwalt. „Warum geben Sie ihr nicht einfach eine Abfindung und organisieren einen Unterhalts-Fonds? Sie brauchen das Mädchen doch nicht zu heiraten.“

„Ich möchte, dass Jimmys Sohn oder Tochter unseren Familiennamen trägt.“

Dev ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Jemand muss sich um Noelle kümmern. Sie ist noch nicht einmal zwanzig, und ihr Vater ist Pastor. Es war ihr erstes Mal, und Jimmy hat sie mit einem Heiratsantrag in sein Bett gelockt.“

„Das war Jimmys Entscheidung, nicht Ihre. Ich als Ihr Anwalt muss darauf bestehen, dass …“

Dev schüttelte den Kopf. „Sprechen Sie lieber als guter Freund zu mir.“

„Ich denke immer noch, dass Sie verrückt sind.“ Andrew seufzte. „Aber ich bin nicht wirklich überrascht.“

„Ich tue, was Jimmy in dieser Situation getan hätte.“

„Ehrlich gesagt habe ich meine Zweifel, ob Jimmy sich auf eine so schnelle Hochzeit eingelassen hätte.“

Insgeheim war Dev derselben Meinung. „Ich hätte aber darauf bestanden“, betonte er. „Jimmy hätte sie geheiratet – dafür hätte ich schon gesorgt. Da er es aber nicht mehr kann, heirate ich Noelle. Außerdem muss ich Noelle im Auge behalten und sichergehen, dass sie eine gute Mutter wird und in ihre neue Aufgabe hineinwächst. Gibt es einen besseren Weg, das herauszufinden?“

„Dafür wäre wohl eher ein Privatdetektiv zuständig.“ Andrew hob beide Hände. „Aber da ich weiß, dass ich Ihnen die Idee nicht ausreden kann, setze ich Ihnen diesen Vertrag auf.“

„Geplant sind zwei Jahre Ehe und danach die Scheidung. Ich möchte, dass Noelle Jimmys Erbteil bekommt.“

„Die Hälfte von allem? Die Hälfte des Unternehmens, das seit beinahe sechzig Jahren im Besitz Ihrer Familie ist? Das wäre nicht rechtmäßig.“

„Sie soll keine Anteile erhalten. Ich spreche von einem Einkommen aus der Firma. Außerdem möchte ich ein Treuhandkonto einrichten, um den Unterhalt des Kindes zu sichern. Ich will das Vermögen jetzt anlegen: Lebensunterhalt des Kindes, ein Haus und eine monatliche Summe zur Instandhaltung.“

„Sehr großzügig. Normalerweise weigern sich meine Klienten, nach der Scheidung Geld zu verteilen. Aber wie Sie wollen. In zwei Tagen lege ich Ihnen den Vertrag vor.“

„Schön. Ich weiß noch nicht, wann die Hochzeit stattfindet. Wir bleiben in Kontakt.“

Andrew zögerte. „Dev, sind Sie wirklich sicher? Es besteht keine Notwendigkeit zu diesem Schritt.“

„Es ist mein Wunsch. Jimmys Kind hat es verdient.“ Und Jimmy auch. Diesmal wollte Dev alles richtig machen.

3. KAPITEL

Riverside war einmal eine rein ländliche Gemeinde gewesen. Erst in den letzten Jahren hatte es sich zu einer der typischen Schlafstädte des immens wachsenden Los Angeles entwickelt. Aber schon vor fünfzig Jahren gab es dort Menschen mit viel Geld, die in ihren Vierteln wunderschöne und elegante Villen mit großen Gärten erbauten.

Noelle fuhr durch eines dieser Viertel zu Devs Haus. Sie war noch nie in diesem Teil der Stadt gewesen. Der Anblick der Villen mit prunkvollen Gartentoren und Dienstbotenhäusern war ganz neu für sie.

Fünf Minuten vor dem verabredeten Termin bog sie auf eine lange Auffahrt, passierte ein schmiedeeisernes Tor und hielt endlich vor einem großen einstöckigen Gebäude.

Schon beim Aussteigen fiel ihr der gepflegte Rasen mit seinem üppigen Grün auf, die großen, Schatten spendenden Bäume und die dekorativen Skulpturen. Ein honigsüßer Duft der Geißblattpflanzen erfüllte die Luft. Ruhe und friedliche Stille umgab sie.

Langsam stieg Noelle die Treppe empor und blieb vor einer großen dunkel getönten Eingangstür stehen. Lange hatte sie überlegt, was sie zu dem Treffen mit Dev anziehen sollte. Sie wollte nicht zu leger erscheinen, weil es sich hier schließlich um ein formelles Treffen handelte. Daher hatte sie ein hellblaues Kleid mit kleinem Blumenmuster gewählt und trug dazu einen weißen Blazer, den Lily ihr geborgt hatte. Aber trotz der schicken Sandalen mit hohen Absätzen und des Make-ups wurde sie das Gefühl nicht los, eigentlich den Dienstboteneingang nehmen zu müssen.

Sie wartete, bis Dev die Tür öffnete.

„Noelle“, begrüßte er sie lächelnd. „Danke, dass Sie gekommen sind.“

Über Devs Garderobe hatte sich Noelle keinerlei Gedanken gemacht. Sie war überrascht, ihn statt im gewohnten eleganten dunklen Anzug in Jeans und einem bunt geblümten Hemd zu sehen. In dezenten Farben zwar, aber dennoch – ein Hawaiihemd.

„Sie haben ein wunderschönes Haus“, sagte sie, nachdem sie sich in der Eingangshalle umgeschaut hatte. Beim Anblick der kunstvoll gerahmten Bilder und Fotos kam sie sich vollkommen fehl am Platz vor.

„Danke, Noelle. Die Bilder und Fotos habe ich von meinem Großvater geerbt. Für die Antiquitäten ist meine Großmutter verantwortlich. Ich habe bloß einen Dekorateur mit der Modernisierung einiger Räume beauftragt. Damit ich mich irgendwo wohlfühle, brauche ich nicht mehr als eine Musikbox und ein paar Poster von Sportlern.“

Das mochte Noelle ihm zwar nicht ganz glauben, aber offenbar wollte er ihr die Anspannung nehmen, und dafür war sie ihm dankbar.

Dev ging ins Wohnzimmer voraus. Als Erstes fielen Noelle der alte spanische Kamin und die breiten gepolsterten Sitzmöbel auf. Die exklusive Musikanlage beeindruckte Noelle ebenso wie die großen Gemälde über dem Kamin. Ein Fernseher war nicht zu sehen. Wenn sie Dev besser kennen würde, hätte sie ihn danach gefragt, aber so setzte sie sich vorsichtig auf das Sofa und überlegte, wo sie ihre Hände lassen sollte.

„Möchten Sie einen Drink?“, fragte Dev. „Saft, Wasser?“

„Wasser, bitte.“

„Bin gleich wieder da.“

Zuerst wollte sie aufspringen und ihm folgen, aber dann ließ sie sich zurücksinken. Ihr Herz pochte laut, und ihr Hals war wie zugeschnürt.

Mit einem Glas und einer Flasche Wasser kam Dev zurück. „Mögen Sie mexikanisches Essen?“, fragte er.

Noelle nahm das Glas und stellte es auf den kleinen Sofatisch. „Kochen Sie selbst?“

Dev lachte. „Ich koche Kaffee und gebe Müsli in eine Schüssel. Aber ich habe ein paar Häppchen von einem feinen Restaurant geholt, das ich seit Jahren besuche.“

„Vielen Dank.“

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wie sollte sie auch nur einen Bissen herunterbringen?

Dev saß am anderen Ende des Sofas und sah sie an. „Noelle, die Situation ist für uns beide schwierig. Wir sind Fremde, die wegen eines Kindes heiraten wollen, das im Augenblick kaum größer als eine Weintraube ist.“

Noelle musste über diesen Vergleich lachen. Irgendwie nahm Dev ihr damit die Nervosität. Er gab auch nicht vor, normal zu handeln. Sie war ihm dankbar, dass er bereit war, sich um sie und das Kind zu kümmern. Gerade jetzt fühlte sie sich nicht in der Lage, wichtige Entscheidungen zu treffen.

„Wir lassen es langsam angehen“, fuhr er fort. „Einige Details müssen ausgearbeitet werden, aber vielleicht sollten wir uns zuerst einfach nur unterhalten, damit wir uns besser kennenlernen.“

„Gut. Ich muss Ihnen vorher allerdings noch etwas erzählen.“ Noelle sah ihn an. Er war ein attraktiver Mann. Das war zwar nicht entscheidend für eine Scheinehe, aber wenn sie ihm die nächsten zwei Jahre beim Frühstück gegenübersitzen musste, war er jedenfalls ein erfreulicher Anblick. Er war sympathisch, und offensichtlich hatte er seinen Bruder geliebt. Auch gut zu wissen.

„Eigentlich wollte ich Ihnen heute Abend sagen, dass ich Sie nicht heiraten möchte.“ Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. „Wir sind nicht ineinander verliebt. Und wie Sie schon sagten, kennen wir uns nicht. Sicher wird mein Leben durch die Schwangerschaft komplizierter, aber die Probleme sind doch wohl nicht so groß, dass wir wirklich heiraten müssen. Denn die Ehe ist für mich eine wichtige und heilige Verbindung, und ich nehme sie sehr ernst.“

„Ich auch. Das ist kein Spiel für mich.“

Noelle hatte das Gefühl, den Faden zu verlieren. Sie hatte eine Rede vorbereitet und …

„Ich tue das nicht, um Sie zu verführen“, erklärte Dev.

Das hatte Noelle auch nicht angenommen. Sie war ja nicht einmal sein Typ. Aber wenn er nicht mit ihr schlafen und nicht mit ihr ausgehen wollte, was dann? Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er ganz darauf verzichten wollte.

„Ich weiß das zu schätzen“, sagte sie. „Aber darüber wollte ich nicht sprechen. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich meine Meinung geändert habe. Ich bin doch für eine Heirat.“

„Was ist passiert?“

Noelle erzählte ihm von dem Jobwechsel ihrer Mutter und dem Stapel unbezahlter Rechnungen. „Meine Eltern zahlen noch immer für meinen Krankenhausaufenthalt vor zwei Jahren. Das belastet mich sehr.“

„Dafür können Sie doch nichts.“

„Ich weiß. Aber mir wurde klar, dass ich meine Eltern nicht noch mit einem Kind belasten kann. Wenn ich auf Ihren Vorschlag eingehe, kann ich hinterher allein für mich sorgen.“ Sie blickte zu Boden. „Nun entscheide ich mich also für den einfachen Weg. Ich wollte, dass Sie das wissen. Sie lernen mich also von meiner schlechtesten Seite kennen. Wenn Sie damit umgehen können, werden wir gut miteinander auskommen.“

Wie viele Menschen gaben so bereitwillig ihre Fehler zu? Wie viele hätten einfach genommen, was ihnen angeboten wurde? Bis zu diesem Moment war Noelle für Dev nicht viel mehr als die Jungfrau gewesen, die sein Bruder verführt hatte. Plötzlich war sie eine Persönlichkeit, ein Mensch, den er respektieren konnte.

„Keine Sorge, Noelle. Ich habe auch meine Fehler. Sie lassen sich nur nicht so leicht beschreiben.“

Noelles blaue Augen weiteten sich. „Ich habe nur zugegeben, dass ich Sie benutze. Wie kann das in Ordnung sein?“

„Sie benutzen mich nicht. Sie nehmen lediglich mein Angebot an. Ich weiß genau, was ich will, und ich bekomme es auf die beste Weise, die ich mir vorstellen kann.“

„Aber …“

Dev schüttelte den Kopf. „Es ist ein fairer Handel.“

„Nicht für Sie. Er kostet Sie ein Menge.“

„Was bedeutet schon Geld?“

Noelle starrte ihn an. „Wie können Sie das sagen? Es ist eine Menge Geld.“

„Davon hatte ich schon immer genug. Etwas abzugeben bedeutet mir nicht viel, weil es mir nie gefehlt hat. Ich arbeite nur für meinen Lebensunterhalt, weil ich es für richtig halte. Müssen tu ich es nicht.“

„Das sagen Sie so, als hätten Sie keinen Spaß an Ihrer Arbeit. Laut Presseberichten haben sich Größe und Gewinn des Unternehmens verdoppelt, seit Sie die Leitung der Firma übernommen haben. Das kommt nicht von ungefähr.“

Dev war überrascht. Noelle schien informiert zu sein. „Ich habe genügend Geld, um Sie zu unterstützen, ohne mich einschränken zu müssen. Machen Sie keinen Helden aus mir.“

Während des Abendessens kamen Noelle und Dev überein, die Gespräche über die weiteren Pläne wie Noelles zukünftigen Wohnort und den Hochzeitstermin zunächst einmal aufzuschieben.

„Ich habe keine Verwandten“, sagte Dev. „Aber ich möchte gern Ihre Familie kennenlernen.“

„Ich weiß.“ Noelle seufzte.

„Sie könnten ruhig etwas mehr Begeisterung zeigen“, scherzte Dev. „Schließlich kann ich mich bei Tisch benehmen und esse nicht mit den Fingern.“

Noelle musste lachen. „Ich zweifle doch nicht an Ihren hervorragenden Manieren. Darum geht es nicht. Aber meine Familie und ich stehen uns alle sehr nahe, und ich weiß nicht, ob ich fähig bin, sie zu beschwindeln. Meine Eltern wissen zwar, dass ich mit jemandem aus der Firma ausgehe, und meine Mutter drängt mich schon die ganze Zeit, ihn mitzubringen, aber warum sollten sie glauben, dass gerade Sie sich für mich interessieren?“

„Warum nicht?“

„Sie sind ganz anders als die Männer, die ich bisher kannte.“

„Älter, meinen Sie?“

„Das auch.“ Ob sich meine Eltern wohl überlisten lassen?, überlegte sie kurz. „Okay, Dev. Ich schreibe Ihnen ein paar Informationen über meine Eltern und Geschwister auf, damit Sie meine Familie überzeugen können, dass wir schon eine Weile zusammen sind.“

„Gute Idee. Dann schreibe ich Ihnen auch einiges über mich auf. Wir müssen uns natürlich duzen und so tun, als ob wir uns lieben.“

Duzen würde ihr nicht schwerfallen. Aber lieben? Dev sagte das so leicht dahin. Wie oft hatte er seinen Freundinnen wohl schon heiße Liebesschwüre ins Ohr geflüstert? Sie war darin nicht geübt.

„Ich war ein ganz normales Kind“, sagte er. „Ich mochte gern Sport, weniger die Schule, hasste die Mädchen und hatte viele Freunde.“ Er lächelte. „Inzwischen hat sich meine Einstellung zu Mädchen und Frauen geändert.“

Noelle erwiderte sein Lächeln. „Davon habe ich gehört.“

„Meine Mutter starb, als ich sechzehn war. Da war Jimmy gerade sechs.“ Devs Miene verdüsterte sich. „Meinem Vater wurde der Stress mit uns zu viel, und er machte sich aus dem Staub.“

„Wie traurig.“ Noelle fragte sich, wie Eltern es fertigbrachten, ihre Kinder zu verlassen.

„Mein Großvater kümmerte sich um uns. Er war ein wundervoller Mensch. Ich konnte damit leben. Jimmy hatte größere Schwierigkeiten. Da war auch dieser große Altersunterschied zwischen uns beiden. Bis unser Vater uns verließ, vertrugen wir uns einigermaßen. Je älter wir wurden, desto schlechter kamen wir miteinander aus.“

Die Art, wie Dev seine Geschichte erzählte, machte Noelle traurig. Hatte er Schuldgefühle? Bevor sie ihn jedoch darauf ansprechen konnte, läutete es an der Tür.

Dev blickte auf seine Uhr. „Ganz pünktlich“, sagte Dev und stand auf. „Komm. Es wird dir gefallen.“

Noelle hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Sie folgte ihm in die geräumige Diele, wo Dev einen älteren Mann begrüßte, der einen Kollektionskoffer bei sich hatte.

„Noelle, ich möchte dir Frank Gaston vorstellen. Er ist der Inhaber von Gaston Jewelry.“

„Guten Tag, Mr. Gaston.“ Noelle reichte ihm die Hand.

Mr. Gaston lächelte. „Ich hoffe, Sie werden sehr glücklich miteinander.“

„Da bin ich mir ganz sicher.“ Dev ging ins Speisezimmer voran und forderte Mr. Gaston auf, seinen Koffer auf den Tisch zu stellen.

„Ich habe Frank gebeten, eine Auswahl Verlobungsringe zu präsentieren.“ Dev trat einen Schritt näher zu Noelle und senkte die Stimme. „Keine Sorge. Du brauchst den Ring nicht zu tragen, bevor wir wissen, was wir deiner Familie sagen.“

Noelle brachte kein Wort heraus. Sie nickte nur. Dev kaufte ihr einen Verlobungsring? Sie war doch erst seit heute Morgen schwanger – in Wirklichkeit, seit sie mit Jimmy zusammen war – aber bewusst war es ihr erst seit ein paar Stunden. Ihr Leben veränderte sich so plötzlich, dass ihr schwindlig wurde.

Mr. Gaston öffnete eine Schmuckkassette und erkundigte sich nach Noelles Ringgröße.

„Fünf, glaube ich.“ Am liebsten hätte sie ihre Hände hinter dem Rücken versteckt. Doch als Mr. Gaston ihr einen schlichten goldenen Ring reichte, streifte sie ihn sofort auf den Ringfinger.

Er saß zu fest.

„Fünfeinhalb“, verbesserte Mr. Gaston. „Was würde Ihnen gefallen, schöne Lady?“

Sie gefallen mir alle, dachte Noelle. Auf einmal war ihr ganz flau im Magen.

„Nicht dein Stil?“, fragte Dev leise.

„Sie sind wunderschön“, flüsterte Noelle. „Aber ich glaube, sie sind viel zu kostbar.“

Dev lachte und küsste sie auf die Stirn. Noelle wunderte sich darüber, sagte sich aber, dass es weder ein romantischer noch ein erotischer Kuss war. So geht ein Mann mit seiner Lieblingsnichte oder Cousine um, dachte sie.

„Hatten wir das Gespräch über Geld nicht abgehakt?“, fragte er. „Komm her.“

Dev zog sie näher zum Tisch. Sie war so fasziniert von der Wärme seiner Hand, dass sie die Hand nicht wegzog, als er ihr einen Ring mit einem großen Smaragd auf den Finger streifte.

Schon als junges Mädchen hatte sie von diesem Moment geträumt: Romantische Musik, verliebtes Leuchten in den Augen ihres Verlobten, wenn er den Ring an ihren Finger steckt …

Die Wirklichkeit glich eher einer Realityshow im Fernsehen.

„Nicht diesen“, wehrte Noelle ab. Der Stein war wunderschön, strahlte aber Kälte aus.

Dev hielt ihre Hand, während er verschiedene Stücke musterte und sie sorgsam zurücklegte. Schließlich wählte er einen Ring mit einem hinreißend funkelnden Brillanten in der Mitte, umgeben von einem Kreis kleinerer Brillanten.

Zauberhaft. Wunderschön. Auch groß, aber ohne protzig zu wirken. Er passte zu Noelles Hand und ihren Fingern. Es war der größte Brillant, den sie je gesehen hatte.

„Gefällt er dir?“

Was sollte sie sagen? Wie konnte ihr dieser Ring nicht gefallen?

„Du bist sehr großzügig, Dev.“

„Unsere Situation ist schwierig.“ Dev wirkte sehr ruhig. „Aber was immer geschieht, ich möchte, dass du glücklich wirst.“

Nie hätte sie geglaubt, dass er so etwas zu ihr sagen würde. Zum ersten Mal, seit sie von ihrer Schwangerschaft wusste, sah sie etwas hoffnungsvoller in die Zukunft.

„Auch ich möchte, dass du glücklich bist“, sagte sie.

„Gut. Dann sind wir uns einig.“

4. KAPITEL

Noelle zählte sorgfältig ihre Maschen und prüfte, ob die Anzahl mit dem Strickmuster übereinstimmte.

Wegen der verschiedenen Veränderungen in ihrem Leben hätte sie beinahe den Handarbeitskurs für Fortgeschrittene abgesagt, aber nun war sie hier mit ihren Freundinnen Crissy und Rachel, die sie vor vier Monaten im ersten Kurs kennengelernt hatte. Wenig später trafen sie sich nach dem Unterricht regelmäßig zum Abendessen, genau wie heute.

Noelle wartete, bis sie mit den beiden in dem kleinen Restaurant am Ende der langen Einkaufsstraße Platz genommen hatten, dann verkündete sie ihnen laut und deutlich, dass sie ihnen etwas zu erzählen hätte.

Erwartungsvoll sahen Rachel und Crissy sie an. „Du warst heute ziemlich ruhig“, sagte Crissy. „Ich habe mich schon gefragt, ob bei dir alles in Ordnung ist.“

Noelle nickte. „Ich bekomme ein Baby. In acht Monaten.“

„Und Jimmy ist der Vater?“ Crissy berührte Noelles Arm. „Gerade erst hast du erfahren, dass er vor … einigen Wochen umgekommen ist, und nun glaubst du, schwanger zu sein? Bist du ganz sicher? Du bist in Panik. Kein Wunder. Das würde mir genauso gehen.“

Noelle war die Jüngste in dieser Gruppe. Crissy war dreißig und Inhaberin einer kleinen Fitnessstudiokette für Frauen. Rachel war sechsundzwanzig und Kindergärtnerin. Gerade jetzt war Noelle ihren Freundinnen dankbar für ihre Unterstützung.

„Ich versuche noch immer, mir über meine Gefühle klar zu werden. Irgendwie verändert Jimmys Tod alles.“

„Du musst es seiner Familie sagen“, warf Rachel ein. „Sie haben ein Recht darauf zu wissen, dass ein Teil von Jimmy weiterleben wird.“

Crissy zog die Stirn kraus. „Aber dann mischen sie sich ein, bevor Noelle weiß, was sie will. Wenn sie nun das Kind zur Adoption freigeben will?“

Rachel schüttelte den Kopf. „Das wird sie nicht tun. Sagtest du nicht, Jimmy hätte einen Bruder?“

„Ja. Devlin Hunter.“

„Da haben wir’s“, sagte Rachel. „Vielleicht möchte er ja ein Wörtchen mitreden.“

„Dann würde ein Mann Noelles Baby aufziehen?“, fragte Crissy. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„An Adoption habe ich überhaupt nicht gedacht“, gab Noelle zu. Sie hatte keine Zeit zum Nachdenken. „Jimmys Bruder weiß schon Bescheid, und er will, dass wir heiraten. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich darauf einlassen sollte, aber jetzt sind wir schon verlobt.“

Sie dachte an den Ring, der in ihrer Wäscheschublade lag. Hätte sie ihn mitbringen und ihren Freundinnen zeigen sollen?

Endlich wurde ihr bewusst, dass Crissy und Rachel sie mit offenem Mund anstarrten. Diese letzte Neuigkeit schien sie mehr zu schockieren als ihre Schwangerschaft.

Crissy erholte sich zuerst. „Vielleicht solltest du noch einmal von Anfang an berichten.“

Noelle erzählte von ihrem Test im Bad von Devs Büro, wie Dev geradezu über sie gestolpert war, und wie er alles erfuhr. Als sie von seiner Reaktion und dem Heiratsantrag berichtete, konnte sie beinahe selbst nicht glauben, dass dies alles Realität war.

„Bist du verrückt?“, fragte Crissy. „Entschuldige, es sollte nicht so hart klingen …“

Rachel schüttelte den Kopf. „Das scheint doch eine vernünftige Lösung zu sein. Dev tut, was sein Bruder getan hätte. Jimmy hätte dich doch auch geheiratet, oder?“

„Er wollte mich heiraten.“ Aber Noelle war gar nicht so sicher, ob er es getan hätte.

„So tritt also ein Bruder für den anderen ein“, stellte Rachel fest. „Das kommt manchmal vor …“

„Ich habe so etwas noch nicht erlebt.“ Crissy sah Noelle fragend an. „Du warst doch in Jimmy verliebt, oder? Wie kannst du seinen Bruder heiraten?“

„Es ist eine Vernunftehe“, erklärte Rachel. „Dev möchte sich um Noelle und das Baby kümmern. Das ist doch toll.“

Noelle hatte gar nicht überlegt, dass sie und Dev als Eltern immer auf irgendeine Weise miteinander verbunden sein würden.

Eltern. Sie hatte ein Problem damit, sich sie als Mutter vorzustellen. Dev kannte sich in der Vaterrolle schon eher aus. Jahrelang hatte er Jimmy erzogen. Gut zu wissen, dass er erfahrener war. Vielleicht war die Heirat doch nicht so von der Hand zu weisen … Ja. Dev hatte sich sehr anständig verhalten. Freundlich, großzügig und geduldig. Einfach unbeschreiblich. Unter anderen Umständen …

Hastig wies sie diese ausschweifenden Gedanken von sich. Dev war an nichts anderem als an dieser Vernunftehe interessiert.

Was hatte sie eigentlich für Jimmy empfunden? Und er für sie?

Hatten sie sich geliebt? Noelle wusste es wirklich nicht. Sie hatte zwar geweint, als sie von seinem Tod erfuhr, und sie hatte ihn auch vermisst. Aber Liebe? Was für ein Gefühl war die Liebe? Wie konnte jemand überhaupt sicher sein?

„Ich wollte nicht schwanger werden“, gab sie schließlich zu. „Aber wenn es schon geschehen ist, bin ich froh, dass Dev mich heiratet und dem Baby einen Namen gibt.“

Rachel zuckte die Schultern. „Ich hätte nichts gegen eine eigene Familie. Das war schon immer mein Wunsch.“

„Ich bin froh, Single zu sein“, beteuerte Crissy. „Außerdem habe ich eine Katze. Ich habe Freunde und bin mit meinem Leben ganz und gar zufrieden.“

Noelle lachte. „Und wenn ein richtig toller Mann auftaucht?“

„Mein Kater ist ein wirklich toller Kerl. Wirklich, ich hatte nie den Wunsch, mich an einen Mann zu binden.“

Seltsam, Noelle hatte sich immer gewünscht, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Nun würde sie bald beides haben. Dennoch kam es ihr ganz unwirklich vor.

„Wir brauchen beide Zeit, um uns an die neue Situation zu gewöhnen, Noelle“, sagte Dev, als sie in seinem Wagen auf dem Weg zum Restaurant waren. „Deshalb haben wir uns ja heute zum Abendessen verabredet – wir müssen überlegen, wann ich deine Eltern kennenlerne, und was wir ihnen sagen.“

Noelle nickte.

Sie ist vernünftig, dachte er. Er hatte sie im Büro beobachtet. Sie machte ihren Job gut. Katherine sagte, sie sei sehr beliebt. Was hatte sie nur zu meinem Bruder hingezogen?

Augenblicklich bekam er wieder Schuldgefühle. Er fühlte sich für den Tod seines Bruders verantwortlich und wollte auch noch dessen schwangere Freundin heiraten. Sein Trost war, dass er es nur für das Baby tat.

Vor dem Restaurant gab er seinen Wagenschlüssel dem Parkplatzwächter, ging um den Wagen herum, legte Noelle eine Hand auf den Rücken und führte sie zum Eingang. Drinnen wurde ihnen ein ruhiger Tisch in einer Ecke zugewiesen.

„Ein wunderschönes Restaurant“, staunte Noelle, als sie Platz nahm. Sie nahm die Menükarte entgegen, die ihr der Ober reichte.

Als Dev die Hand ausstreckte, bemerkte er, dass der junge Mann ihn überhaupt nicht beachtete. Er schien von Noelles Anblick fasziniert zu sein. Erst als er wieder gegangen war, sah Dev Noelle an, musterte sie genauer und versuchte, sie mit den Augen anderer Männer zu sehen – als junge Frau also, und nicht als das Mädchen, das mit seinem Bruder gegangen war.

Sie ist attraktiv, stellte er überrascht fest. Ihre helle reine Haut betonte noch das dunkle Blau ihrer Augen. Die langen blonden Haare reichten ihr bis über die Schultern, während das Kleid ihre Kurven betonte.

Plötzlich spürte Dev, wie sein Körper reagierte. Auch das noch. Sex war absolut tabu – schon der Gedanke daran. Sie war schwanger und die Freundin seines Bruders. Nein, zwischen ihnen durfte sich niemals etwas entwickeln.

Das hatten sie vereinbart. Zwei Jahre Enthaltsamkeit lagen vor ihm. Zwei lange Jahre.

Nachdem sie gewählt hatten, lehnte sich Dev in seinem Stuhl zurück. „Mein Anwalt hat einen Vertrag aufgesetzt. Er ist einfach zu verstehen und enthält keine vertrackten Klauseln. Die Details entsprechen unseren Vereinbarungen. Das Baby wird den Familiennamen Hunter führen. Ich lege ein Treuhandvermögen an, hinzu kommen die Unterstützung für den Unterhalt des Kindes und ein monatliches Einkommen für dich. Auf diese Weise bist du nach der Scheidung in der Lage, dir ein Haus zu kaufen.“

In diesem Moment trat der Ober mit den Drinks an ihren Tisch. Dev nahm sein Glas entgegen und fuhr fort: „Deine Kopie des Vertrags liegt im Wagen, zusammen mit einer Liste von Anwälten, die auf solche Verträge spezialisiert sind. Ich habe auch einen Brief beigelegt, der bestätigt, dass ich für die Beratungskosten aufkomme.“ Er beugte sich vor. „Ich meine es ernst, Noelle. Lass den Vertrag noch einmal überprüfen.“

Je mehr er mich dazu drängt, desto klarer wird mir, dass ich keinen weiteren Anwalt brauche, dachte Noelle. Dennoch wollte sie seinen Rat befolgen.

„Ich bin sicher, dass du mich nicht betrügen willst“, sagte sie. „Da mache ich mir keine Sorgen.“

„Es gibt keinen Grund, mir zu vertrauen.“

Noelle musste lachen. „Dev, als du hörtest, dass ich mit dem Kind deines Bruders schwanger bin, hast du mir als Erstes einen Heiratsantrag gemacht. Du hast weder nach Beweisen gefragt, dass Jimmy der Vater ist noch hast du mich beschuldigt, euch eine Falle zu stellen. Du bist eben ein lieber Mensch, der das Richtige tut. Ich respektiere deine Prinzipien.“

Das Lob ließ Dev erstarren. Noelle fragte sich sogleich, was sie falsch gemacht hatte. Aber bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, sagte er: „Wir müssen über die Hochzeit sprechen. Je früher, desto besser.“

Dev hat recht, gab Noelle widerwillig zu. Die Schwangerschaft würde mit jedem Tag sichtbarer werden.

„Las Vegas wäre eine Möglichkeit“, schlug Dev vor. „Wir könnten Samstagmorgen hinfliegen und Sonntag gegen Mittag wieder zurück sein.“

„Das geht aber schnell“, murmelte Noelle.

Sie war überrascht, als Dev über den Tisch reichte und lächelnd ihre Hand berührte. „Du bekommst deine Traumhochzeit beim nächsten Mal.“ Dev schien zu ahnen, dass sie enttäuscht war.

„Las Vegas – warum nicht? Ein vernünftiger Vorschlag.“

Eindringlich sah Dev Noelle an. „Vielleicht sollten wir bis ein paar Wochen nach der Hochzeit warten, bevor wir deiner Familie etwas von dem Baby sagen.“

Noelle nickte langsam. Sie genoss die Wärme seiner Hand auf ihrer. „Zuerst müssen sie die Hochzeit verkraften.“

Die Reaktion ihrer Familie wollte sie sich lieber nicht vorstellen. Ihre Mutter würde verletzt sein, weil sie von diesem wichtigen Ereignis ausgeschlossen wurde, und ihr Vater würde wissen wollen, ob sie Dev wirklich liebte …

„Ich dachte, es wäre am einfachsten, wenn wir deine Eltern gleich nach der Hochzeit besuchen und sie vor vollendete Tatsachen stellen“, sagte er. „Und danach ziehst du zu mir.“

Noelle legte ihre Gabel neben den Teller und starrte Dev an. Heiraten bedeutete selbstverständlich, in ein und demselben Haus zu wohnen. Sie hatte ganz verdrängt, dass damit auch ein Umzug in Devs Villa verbunden war.

„In meinem Haus kann ich dir zwei Gästezimmer zur Verfügung stellen, die mit einem Badezimmer verbunden sind“, fuhr er fort. „Das ist sicher für dich und das Baby genug. Einmal in der Woche kommt ein Service zum Putzen.“

Noelle kannte niemanden, der für seinen Privathaushalt den Putzservice in Anspruch nahm. „Ich kann das Haus selbst sauber machen“, sagte sie.

Dev lächelte. „Das brauchst du nicht. Das Haus ist groß, hinzu kommt noch das Badehaus. Du hast genug mit dem Baby und deinem College zu tun. Deine Ausbildung ist wichtig, Noelle. Ich weiß doch, dass die Schwangerschaft deine Pläne durcheinanderbringt, aber ich möchte sichergehen, dass du nach der Scheidung auf eigenen Füßen stehen kannst.“

„Mir fällt es schwer, Hochzeit und Scheidung zugleich zu planen“, klagte Noelle. „Ich bin ganz durcheinander. Das Baby ist für mich noch so unwirklich. Ich hatte ja bisher noch keinerlei Symptome und kenne nur das Testergebnis.“

„Zweifelst du etwa an dem Test?“

Noelle schüttelte den Kopf. „Das nicht. Aber jetzt sprechen wir vom Heiraten, und ich habe noch tausend Fragen. Ich weiß ja noch nicht einmal, wie alt du bist.“

„Dreißig.“

Okay. Eine Frage weniger. „Was erwartest du von mir, wenn wir verheiratet sind, Dev? Begrüße ich dich an der Tür und frage, wie dein Tag gewesen ist? Soll ich das Essen schon bereithalten?“

„Noelle, wir gestalten diese Beziehung so, wie es uns gefällt. Zunächst einmal möchte ich, dass wir Freunde werden. Das wird eine Weile dauern. Wenn du kochen willst, sage ich nicht Nein. Ich habe Tiefkühlkost und Imbissbuden satt. Wenn du keine Lust zum Kochen hast, ist es auch in Ordnung. Bei mir gibt es keine Regeln.“

„Aber ich habe es gern, wenn alles geregelt ist.“

„Mit einer ungeplanten Schwangerschaft ändern sich nun mal die Regeln.“

Da hatte er recht.

„Du darfst im ganzen Haus nach deinen Wünschen schalten und walten. Nur mein Arbeitszimmer bleibt tabu. Ich gebe dir den Namen meiner Innenarchitektin. Du kannst dir aber selbstverständlich auch jemand anderes suchen. Und sonst …“ Er zögerte. „Lass uns erst einmal heiraten.“

„Gut.“ Noelle atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. „Du weißt, du kannst dir alles noch einmal überlegen.“

Dev schüttelte den Kopf. „Ich habe mich dafür entschieden, Noelle. Bist du auch einverstanden?“

Manchmal meinte sie, das Richtige zu tun, dann wieder fürchtete sie, das Schicksal herauszufordern. Aber sie hatte es sich überlegt und ihr Wort gegeben. Das wollte sie halten.

„Ja, das bin ich.“

Noelle war gerade damit beschäftigt, eine Auftragsbestätigung mit den dazugehörenden Verpackungsdaten zu vergleichen, als ihre Chefin, eine blonde Frau von Ende fünfzig, an ihren Schreibtisch trat und sie für einen Moment in ihr Büro bat.

Noelle sicherte ihre Arbeit am Computer und folgte Katherine über den Flur.

Katherines Vorzimmer war an Devs Büro angeschlossen und wirkte hell und freundlich. Hätte Noelle beabsichtigt, weiter im Büro zu arbeiten, wäre Katherine ihr Vorbild gewesen. Bei Hunter Manufacturing passierte nichts ohne Katherines Wissen.

Noelle setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und wartete.

Katherine lächelte. „Dev ist heute Nachmittag nicht im Haus“, begann sie. „Ich erzähle Ihnen das, damit Sie sich keine Sorgen machen müssen, er könnte plötzlich hereinkommen oder unser Gespräch belauschen.“

„Gut.“ Noelle wusste, dass Dev und Katherine seit Jahren zusammenarbeiteten. Vermutlich hatte er seine Assistentin über die bevorstehende Hochzeit informiert.

Katherine bestätigte Noelles Vermutung. „Ich glaube, ich darf Ihnen herzlich gratulieren.“

Noelle verlagerte ihr Gewicht. Was sollte sie darauf antworten? „Vielleicht erscheint es Ihnen ja etwas übereilt …“, murmelte sie. Was mochte Katherine nur von ihr denken?

Aber Katherine blickte sie freundlich an. „Das Leben geht seine eigenen Wege. Dadurch wird es erst interessant. Aber ich bin sehr traurig, Sie zu verlieren.“

„Ich bin auch nicht begeistert, die Firma zu verlassen“, gestand Noelle. „Aber unter den gegebenen Umständen ist es sicher das Beste.“

Nach der Hochzeit mit dem Chef der Firma wäre es mehr als peinlich, hier weiter als Sekretärin seiner Assistentin zu arbeiten.

„Ich weiß, dass Sie mit Jimmy zusammen waren. Er war ein interessanter junger Mann. Dev hat viel Energie in die Erziehung seines Bruders gesteckt.“ Katherine zögerte. „Jimmy war lustig, aber nicht unbedingt jemand, mit dem man seine Zukunft plant. Aber Dev können Sie vertrauen. Er ist ein anständiger verantwortungsbewusster Mann. Ich kenne ihn, seit er noch ein Teenager war. Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, Sie sind sich Ihrer Chancen bewusst.“

Was sollte Noelle dazu sagen? Durchschaute Katherine den Handel? Es klang beinahe so.

„Dev verdient eine Frau, die ihn liebt. Es hat einige … Enttäuschungen in seinem Leben gegeben.“

Enttäuschungen? Bitterere als Jimmys Tod? Wieder wurde Noelle deutlich, wie wenig sie über den Mann wusste, den sie heiraten wollte. Wer war er wirklich?

Katherine lächelte. „Ich glaube, Sie werden sehr glücklich miteinander.“

„Vielen Dank“, murmelte Noelle. Dabei spürte sie, dass das auch ihr Wunsch war …

Unter normalen Umständen hätte Dev sich selbst für eine gute Partie gehalten: Er hatte Karriere gemacht, besaß ein erfolgreiches Unternehmen, und wer ihn heiratete, würde immer über genügend Geld verfügen. Er fand, er hatte ein gutes Herz – allerdings auch viele Fehler. Dennoch hatte er nie Probleme, attraktive Frauen zu finden und zu halten.

Aber es war das erste Mal, dass er mit einer Pastorentochter liiert war, und er konnte sich nicht vorstellen, was Noelles Eltern von ihm halten würden. Er war ein paar Jahre älter, was möglicherweise ein Plus war. Sie wussten nichts von dem Baby, waren also nicht auf eine baldige Hochzeit gefasst.

Als er vor dem schlichten zweistöckigen Haus inmitten einer Vorstadtsiedlung parkte, erinnerte er sich daran, dass er aus gutem Grund das Richtige tat. Irgendwie würde er Noelles Eltern überzeugen, wie gut sie beide zusammenpassten.

Kaum war er aus seinem Wagen ausgestiegen, stürzte Noelle aus der Haustür. „Du bist da!“, rief sie im Laufen.

„Hattest du denn Zweifel, dass ich kommen würde?“

„Ich kann mir gut vorstellen, was du durchgemacht hast.“ Lächelnd sah sie zu ihrem Elternhaus. „Alle sind da. Es handelt sich nur um ein Barbecue. Nichts Aufregendes. Meine Eltern sind wirklich nett. Meine Schwestern werden versuchen, dich zu quälen, aber das brauchst du dir nicht gefallen zu lassen. Ich bin sicher, ich habe dir alles erzählt, was du wissen musst.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Glaubst du, wir können sie täuschen? Ich weiß nicht, ob ich es fertigbringe. Es ist das erste Mal. Ich fürchte, mir wird schlecht.“

Sie ist die aufrichtigste Frau, die ich kenne, dachte Dev belustigt. Und sie sah so attraktiv mit den langen Locken und in ihrem Sommerkleid aus. Vorfreude spiegelte sich in ihren dunklen Augen, und ihr Mund zitterte.

Ohne nachzudenken beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie. Mit dem federleichten Kuss wollte er sie nur von ihren Bedenken ablenken, obwohl ihm die kurze Berührung ihrer weichen warmen Lippen gefiel. Ja, es würde ihm nichts ausmachen, den Kuss zu wiederholen – nicht, dass er es tun würde …

Offenbar hatte es funktioniert, denn nun zeigte ihre Miene Erstaunen und Verwirrung.

„Du hast mich geküsst“, sagte sie ungläubig.

„Ist das ein Problem?“

„Wie bitte? Nein. Es ist sogar gut, falls jemand uns beobachtet.“

„Vergiss nicht zu atmen und entspann dich.“

Devlin Hunter hatte sie geküsst. Und es hatte ihr gefallen.

Oh, das hatte bestimmt keine große Bedeutung. Aber dennoch. Und auf dem Weg zum Haus ergriff er auch noch ihre Hand und hielt sie fest …

Das Händchenhalten und der Kuss hatten nichts zu sagen. Dev war ein Mann, der es liebte, andere Menschen zu berühren. Gut zu wissen, denn wenn das Baby erst auf der Welt war, würde es viel Körperkontakt brauchen.

Noch bevor sie die Haustür erreichten, kam Noelle der erschreckende Gedanke, dass sie möglicherweise ein bisschen in Dev verliebt war …

5. KAPITEL

Bevor sich Noelle über ihre Gefühle klar werden konnte, betraten sie das Haus. Tiffany, das Nesthäkchen der Familie, recht anstrengend mit ihren fünfzehn Jahren, verkündete laut: „Noelles Freund ist da, Mom.“

Noelle führte Dev durch das Wohnzimmer in die Küche, wo ihre Mutter mit Kartoffelschälen beschäftigt war.

„Mom, ich möchte dir Devlin Hunter vorstellen“, sagte Noelle und schluckte nervös. „Dev, das ist meine Mutter, Jane Stevenson.“

„Hallo, Mrs. Stevenson“, begrüßte Dev sie.

Janes Augen weiteten sich. Aber dann lächelte sie und schüttelte Dev die Hand. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Willkommen. Bitte nennen Sie mich Jane. Ich hoffe, Sie essen gern Hähnchen und Hamburger.“

„Wer tut das nicht?“, sagte Dev leichthin.

Jane wandte sich an Noelle. „Dein Vater ist im Garten. Mach die beiden bekannt, und hilf mir dann in der Küche.“

Noelles Vater stand vor einem riesigen Grill. Er trug eine lustige Chefkochmütze und eine Schürze mit der Aufschrift: „Ich bin Ire. Küss den Koch.“

„Das gilt nicht für dich“, flüsterte Noelle Dev zu.

„Gut zu wissen.“

Darüber musste sie lachen, und einen Moment vergaß sie ihre Angst. „Daddy, ich möchte dir Devlin Hunter vorstellen. Dev, das ist mein Vater, Robert Stevenson.“

Dev gab Noelles Hand frei und nickte ihrem Vater zu. „Sir.“

Noelles Vater schaute ihn an. „Gefällt mir, dieses Sir. Aber Bob ist genug. Es sei denn, Sie möchten mich Sir Bob nennen.“

Dev lachte. „Ist das sehr wichtig für Sie?“

„Ich kann auch so damit leben.“

Ihre Schwestern und deren Freundinnen, die am Pool und auf dem Rasen lagen, konnte Noelle auch später mit Dev bekannt machen. Während sich die beiden Männer bei einem Bier unterhielten, eilte sie ins Haus zurück.

„Du sagtest, du wärest mit einem jungen Mann aus der Firma befreundet“, begann ihre Mutter sogleich, als Noelle die Küche betrat. „Ich hatte an jemanden gedacht, der im Lager oder im Büro arbeitet. Aber Dev ist der Präsident des Unternehmens …“

Noelle verließ der Mut. Durchschaute ihre Mutter schon alles? „Ich weiß, aber er ist …“

Jane wehrte mit einer Handbewegung ab. „Ich habe nichts gegen ihn. Er scheint sehr sympathisch und intelligent zu sein. Außerdem ist er vermögend. Ich bin beeindruckt.“ Ihre Mutter lachte. „Das hört sich schon fast so an wie die Mutter in Stolz und Vorurteil, die so aufgeregt war, als sie hörte, dass jemand ein Einkommen von viertausend Pfund im Jahr hatte.“

Hörte sie richtig? Ihre Mutter war einverstanden? „Aber Dev ist zehn Jahre älter als ich.“

„Bei deinen Schwestern hätte ich so meine Zweifel, aber du warst schon immer sehr vernünftig und reif. Dev wird dich nicht langweilen, wie die anderen Jungen deines Alters.“ Sie lachte. „Sag es bloß nicht deinem Vater, aber ich finde, Dev sieht sehr gut aus.“

Noelle strahlte. „Das stimmt.“ Als sie einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie Dev in angeregter Unterhaltung an der Seite ihres Vaters stehen. „Und sogar sexy.“

Ja, er war wirklich sehr attraktiv. Und lustig und charmant und intelligent, alles, was Noelle sich immer gewünscht hatte. Aber leider war er für sie tabu. Sie heirateten aus Vernunft, denn sie trug Jimmys Baby aus. Eine Beziehung mit Jimmys Bruder war in jeder Hinsicht verkehrt. Es durfte nicht sein … niemals.

Später musste Dev sich dann doch noch Tiffany und einer Reihe indiskreter Fragen stellen, denen Jane aber schließlich ein Ende bereitete.

„Offensichtlich habe ich bei der Erziehung meiner Töchter versagt, Dev“, entschuldigte sie sich. „Ich bitte um Verzeihung.“

„Nicht nötig“, erwiderte Dev.

Wenn er überlegte, wie schlecht er Jimmy erzogen hatte, dann hatte Jane Hervorragendes geleistet.

Als Noelle und ihre Mutter nach dem Grillen große Platten mit frisch gepflückten Erdbeeren aus der Küche holten, stand Bob auf.

„Heute ist Sonntag“, verkündete er, und sofort ertönte ein allgemeines Aufstöhnen unter den Geschwistern.

Bob sah Dev an. „Am Sonntag erzählt jeder von uns eine Geschichte über ein unerwartetes Ereignis aus der vergangenen Woche, und wie dieses uns zu einem besseren Menschen gemacht hat. Sie kommen erst später dran, damit Sie sehen, wie es gemeint ist.“

Dev warf Noelle einen vorwurfsvollen Blick zu, weil sie ihn nicht vorgewarnt hatte. Sie zuckte entschuldigend die Achseln.

Bob räusperte sich. „Jane kam in dieser Woche zu mir und eröffnete, sie wolle eine Arbeit außerhalb der Kirchengemeinde annehmen. Zuerst war ich böse auf sie. Ich dachte, sie wollte sich unserer Verantwortung gegenüber der Gemeinde entziehen.“ Er lächelte verhalten. „Dabei wusste ich, dass sie ihren Pflichten immer korrekt nachgekommen war. Mein Ärger musste einen anderen Grund haben.“

Bob machte eine Pause. „Schließlich wurde mir etwas klar: Ich war so aufgebracht, weil Jane mir dann sehr fehlen würde. Mein Leben lang konnte ich die Frau, die ich liebe, ständig in meiner Nähe haben. Aber ich weiß auch, dass ich es ertragen kann, einen Teil des Tages von ihr getrennt zu sein. Umso dankbarer werde ich dann für die Stunden sein, die wir zusammen verbringen dürfen.“ Er prostete seiner Frau zu.

Jane lächelte. „Ich danke dir, Honey.“

„Gern geschehen.“

Einer nach dem anderen, die Freundinnen eingeschlossen, berichteten von ihren Erlebnissen, und Dev fragte sich, ob dies wohl der einzige Ort war, wo den Teenagern auch die Erwachsenen ganze Aufmerksamkeit schenkten.

Als Nächstes sollte Noelle ihre Geschichte erzählen. Dev war gespannt.

„Meine Chefin rief mich diese Woche in ihr Büro“, begann sie. „Ich habe euch von Katherine erzählt. Sie wusste, dass Dev und ich zusammen sind.“

Dev hoffte, der Einzige zu sein, der ihr Zögern bemerkt hatte. Als er Katherine gegenüber die Verlobung erwähnte, wirkte sie nicht überrascht. Hatte sie die Wahrheit durchschaut?

„Katherine sagte, manchmal entwickelt sich das Leben anders als erwartet“, fuhr Noelle in ihrer Erzählung fort. „Dann müssen wir für Neues offen sein. Dev sei ein guter Mann, hat sie gesagt, und ich könnte mich glücklich schätzen, ihn heiraten zu können.“

Alle Augenpaare wanderten zu Dev. Er sah Noelle erstaunt an. Es berührte ihn seltsam, dass Katherine mit Noelle gesprochen, und dass Noelle gerade dieses Ereignis als ihre Geschichte gewählt hatte.

„Ich wusste schon, dass du ein guter Mann bist.“ Noelle lächelte Dev an. „Aber es war so schön, die Bestätigung auch von anderer Seite zu hören.“

Alle lachten.

Bei der nächsten Geschichte hörte Dev nicht zu. Seine Gedanken kreisten nur um Noelle. Ihre innere Tiefe beeindruckte ihn. Er entdeckte wirklich nur positive Eigenschaften an ihr. Wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten … Aber das hatten sie nicht. Zudem gehörte Noelle zu den Frauen, die sich ein Glück bis in alle Ewigkeit wünschten, während Dev nicht viel von romantischer Liebe hielt, weil sie seiner Meinung nach vergänglich war. Schließlich hatte er gesehen, was die angebliche Liebe seiner Mutter angetan hatte.

Die „Liebe“ hatte sie umgebracht.

„Jetzt sind Sie an der Reihe“, sagte Bob wenig später.

Dev stand auf. „Noelle hat mir viel von ihrer Familie vorgeschwärmt. Ich dachte, es sei nur Gerede, aber nachdem ich Sie alle kennengelernt habe, sehe ich, dass Noelle in ihrem Lob noch viel zu bescheiden war. Der Tag mit Ihnen hat mir eine Vorstellung davon gegeben, was Familie bedeutet. Sie könnte eines Tages das Vorbild für meine eigene Familie sein.“

Er hatte seine Rede nicht geplant, und nun offenbarte sie mehr, als ihm lieb war. Dennoch stimmte es: Vielleicht glaubte er nicht an die wahre Liebe zwischen Mann und Frau, aber er glaubte an die Familie.

Er sah, wie Bob und Jane strahlende Blicke miteinander tauschten und ihrer Tochter zunickten. Offensichtlich akzeptierten sie ihn als Schwiegersohn.

Auf einmal fühlte er sich ganz mies. Zum ersten Mal begann er zu zweifeln, ob er wohl das Richtige tat, wenn er zwei durch und durch anständige Menschen betrog. Was für Konsequenzen würden sich daraus später für Noelle ergeben?

Am folgenden Wochenende, bei der Ankunft in Las Vegas auf dem Flughafen, stand ein Chauffeur am Ende der Rolltreppe, ein Schild mit der Aufschrift „Hunter“ in einer Hand.

Jetzt fühlte sich Noelle von der Realität überwältigt. In nur wenigen Stunden würde sie Mrs. Hunter sein.

Verheiratet. Konnte das wahr sein? Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, doch Dev ging schon auf den Chauffeur zu.

„Da sind wir“, sagte er und deutete auf das Schild.

„Mr. Hunter.“ Der Fahrer lächelte. „Mein Name ist Johnson. Haben Sie Gepäck?“

Dev zeigte auf die kleinen Bordkoffer, die sie bei sich hatten. „Das ist alles.“

Johnson nahm die Koffer und führte sie zu einer weißen Stretchlimousine. Dev öffnete eine Tür und forderte Noelle auf, hinten einzusteigen.

Kreidebleich vor Aufregung saß sie dann auf der ledernen Sitzbank und kämpfte gegen eine Ohnmacht an.

Dev sah sie an und nahm ihre Hand. „Vergiss nicht zu atmen.“

„Das sagst du so oft“, murmelte sie. Wieder war sie sich der Wärme seiner Hand bewusst. Sie fühlte sich in seiner Nähe unendlich geborgen.

„Du gerätst in letzter Zeit häufig in Panik. Alles wird gut. Wir bringen es heute hinter uns, und dann ist das Schlimmste geschafft.“

„So etwas habe ich noch nie getan.“

Dev lächelte. „Was? Weglaufen und heiraten? Für mich ist es auch das erste Mal.“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Es ist nicht allein das Weglaufen. Das Ganze …“

„Ach was. Tu einfach so, als sei es ein ganz normales Wochenende. Wir sind hier, um uns zu amüsieren.“

Autor

Karen Rose Smith
<p>Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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