3. KAPITEL
Zwei Tage später half Angela in der Küche im großen Haus, zwei riesige Körbe mit Zellophan zu umwickeln.
„Ich möchte, dass Sie diese Sachen zu Jubal bringen“, erklärte Geraldine. „Nicht in die Praxis, sondern in sein Haus. Das sind lauter nützliche Dinge für sein neues Zuhause und einige Leckereien. Männer können sich nicht besonders gut selbst versorgen. Sie wissen doch, wie Sie dorthin gelangen, oder?“
Angela war verblüfft. Sie mochte ihre Chefin gern und war bereit, fast alles zu tun, um sie zufriedenzustellen. Aber Jubal aufsuchen? Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn nie wiedersehen wollte. Was sollte er von ihr denken, wenn er sie nun vor seinem Haus vorfahren sah? „Ich glaube schon. Es liegt im Norden, auf der anderen Seite vom Hügel.“
„Das stimmt. Aber der Weg ist zu uneben für Ihr Auto. Nehmen Sie lieber meinen alten Truck.“ Die große, schlanke Frau mit den silbergrauen Haaren raffte das Zellophan auf einem Korb zusammen und verschnürte es mit einem dicken Bindfaden.
„Und was ist, wenn er nicht da ist?“
„Das macht nichts. Ich bezweifle, dass er die Tür abgeschlossen hat. Bringen Sie die Körbe einfach hinein, und stellen Sie die verderblichen Waren in den Kühlschrank.“
Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht da sein! „Ja, Ma’am. Ich kümmere mich sofort darum.“
Cook betrat die Küche und fragte: „Worum kümmerst du dich sofort?“
Geraldine drehte sich zu ihr um. „Ich schicke Angie mit diesen Körben zu Jubals Haus. Ich möchte, dass er sich hier auf der Ranch richtig wohlfühlt. Vielleicht tragen diese Dinge dazu bei.“
Mit gerunzelter Stirn und einem Seitenblick auf Angela sagte Cook zu Geraldine: „Es ist nicht nötig, dass sie sich auf den Weg macht. Ich schicke lieber Alida hin.“
„Alida hat im Sanchez-Haus zu tun“, widersprach Geraldine, „und Angie wird sich schon zurechtfinden. Sie ist schließlich nicht hilflos.“
Angela wusste, dass zwischen den beiden Frauen seit Jahrzehnten ein Vertrauensverhältnis herrschte. Sie wollte nicht der Grund für ein Zerwürfnis sein und warf deshalb hastig ein: „Das ist kein Problem für mich, Cook. Ich bringe die Sachen weg und bin im Nu wieder hier.“
Argwöhnisch wollte Geraldine wissen: „Stimmt hier etwas nicht?“
„Es ist alles in Ordnung, Miss Geraldine. Cook möchte nur, dass ich ihr bei einem Gericht helfe, das wir für heute Abend geplant haben.“
Geraldine blickte auf ihre Armbanduhr. „Nun, bis zum Dinner ist es noch lange hin. Ihnen bleibt genug Zeit, ihr zu helfen.“
„Ja, Ma’am.“ Angela wandte sich ab, griff nach einem der riesigen Körbe und ging hinaus.
Cook folgte ihr mit dem anderen Korb und wollte wissen: „Warum hast du dich eingemischt? Ich hätte dir diese Aufgabe ersparen können. Für mich ist es ganz offensichtlich, dass du eigentlich nicht zu Jubal fahren willst.“
„Schon gut. Er ist wahrscheinlich sowieso nicht zu Hause.“
„Vielleicht solltest du offen zu Geraldine sein und ihr sagen, dass es böses Blut zwischen dir und dem Doc gibt.“
„Kein böses Blut, nur schmerzliche Erinnerungen.“ Sie hatten den Truck erreicht, und Angela stellte den Korb vorsichtig auf die Ladefläche. „Außerdem darf ich mich nicht bei Miss Geraldine beklagen. Ich bin hier nicht wichtig und könnte jederzeit ersetzt werden. Jubal dagegen – alle hier auf der Ranch finden ihn prima, und sein Job ist sehr wichtig.“
Pikiert entgegnete Cook: „Du bist wichtig für mich. Zählt das etwa gar nichts?“
Lächelnd küsste Angela sie auf die Wange, nahm ihr den Korb ab und stellte ihn in das Auto. „Es bedeutet mir sogar sehr viel. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich weiß schon, wie ich mich ihm gegenüber zu verhalten habe.“ Nach dieser tapferen Behauptung stieg sie ein und fuhr los.
Während sie über den unbefestigten Weg holperte, der von anhaltenden Regenfällen im Herbst ausgewaschen war, stellte sie die Heizung höher und spähte zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Der Winter im Süden von Texas dauerte nie lange, bildete aber eine ungemütliche Zeit für Mensch und Tier. An diesem Morgen fröstelte sie besonders stark, doch das lag vermutlich nicht am Wetter.
Jubals Haus aus Zedernholz war nach Westen ausgerichtet und lag auf einem kleinen grasbewachsenen Hügel. Ein schmaler Bach verlief an der Vorderseite. Angela fuhr über die schmale Brücke, die das flache Gewässer überspannte, schaltete einen Gang hinunter und trieb das alte Gefährt die Anhöhe hinauf. Sie parkte im Schatten eines riesigen Baumes, der gleich neben der Auffahrt stand. Zu ihrer Erleichterung war kein anderes Fahrzeug vor dem Haus oder der Scheune zu sehen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie hoffentlich die Körbe hineinbringen und sich wieder auf den Weg machen, bevor Jubal auftauchte.
Sie setzte sich die Kapuze ihres Sweatshirts zum Schutz gegen den kalten Wind auf und eilte mit einem Korb zur Veranda. Ein Hauch von Rauch stieg ihr in die Nase. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah weiße Wolken aus dem roten Backsteinschornstein auf dem Dach aufsteigen.
Auf der Veranda standen Korbmöbel und eine Reihe Topfpflanzen. Es sah behaglich und einladend aus, wie für eine Familie gemacht. Aber Jubal hatte keine Familie. Dass sein Baby nicht zur Welt gekommen war, schockierte Angela noch immer. Im Laufe der Jahre hatte sie sich oft vorgestellt, wie er und Evette ihr Kind gemeinsam aufzogen, während sie selbst und Melanie ganz allein zurechtkommen mussten.
Herrje, warum kannst du das alles nicht vergessen und die Vergangenheit ruhen lassen?
Mehrmals klopfte sie an, ohne eine Antwort zu erhalten, drückte schließlich die Klinke und fand die Tür unverschlossen. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, während sie den Geschenkkorb hineinstellte. Dann eilte sie zurück zum Truck und holte den zweiten Korb.
Einige Minuten später räumte sie gerade die Lebensmittel in den Kühlschrank, da hörte sie ein Fahrzeug kommen. Das ist bestimmt Jubal, dachte sie mit einem bangen Gefühl. Zu dieser Jahreszeit gab es für niemanden sonst einen Anlass, an diesem entlegenen Ort vorbeizukommen.
Sie bekämpfte den Drang zur Flucht und wartete mit wachsender Aufregung auf ihn.
Schließlich trat er ein, erblickte sie und blieb abrupt stehen. Überrascht sagte er: „Ach, du bist’s. Ich habe Geraldines Truck gesehen und dachte, sie wäre hier.“ Er sah, dass ihre Wangen gerötet waren. Ob vor Verlegenheit, vor Zorn oder einfach vor Kälte, wusste er nicht. Jedenfalls schien sie sich sehr unwohl zu fühlen.
„Miss Geraldine hat mich mit Geschenkkörben hergeschickt. Es sind Lebensmittel dabei, die ich in den Kühlschrank stellen musste.“
Jubal freute sich, Angela zu sehen, aus welchem Grund auch immer. Er wünschte nur, sie wäre glücklicher. Langsam schob er sich den schwarzen Stetson aus dem Gesicht und trat zu ihr.
Im klaren Licht des Morgens wirkte sie noch zierlicher, als er sie in Erinnerung hatte. Sie reichte ihm gerade mal bis zur Brust, doch die Rundungen, die sich unter Jeans und Sweatshirt abzeichneten, wirkten mindestens so reizvoll wie früher. „Ich freue mich, dass du sie gebracht hast.“ Er ging zum Tisch und wühlte in einem der Körbe.
Angela versuchte, seine Nähe zu ignorieren und sich einzureden, dass er nicht mehr wie der verführerische Cowboy aussah, in den sie sich mit gerade einmal neunzehn Jahren verliebt hatte. Doch sie musste sich eingestehen, dass er nach wie vor eine Sinnlichkeit ausstrahlte, die ihr immer noch gewaltig unter die Haut ging.
„Das sieht gut aus“, bemerkte er. „Ich muss mich bei Geraldine bedanken, dass sie so aufmerksam ist.“
„Ich richte es ihr aus, sobald ich wieder im Ranchhaus bin.“ Sie wandte sich ab und durchquerte hastig den Raum.
„Warte, Angie.“
Mit klopfendem Herzen blieb sie stehen und sah über die Schulter zu ihm zurück. Einen Moment lang, während sie sein Gesicht musterte, trafen sich ihre Blicke, und sie erinnerte sich unwillkürlich an seinen stürmischen Kuss.
Er räusperte sich. „Das Wetter ist heute sehr ungemütlich. Warum bleibst du nicht einen Moment und wärmst dich am Kamin auf?“
Wollte er rücksichtsvoll sein? Glaubte er, dass er die Versäumnisse der Vergangenheit durch Höflichkeit ungeschehen machen konnte? Vergiss es, ermahnte sie sich, Jubal will nichts von dir. „Das ist sehr gastfreundlich von dir. Vor allem nach den hässlichen Dingen, die ich zu dir gesagt habe.“
Er zog eine Schulter hoch. „Du warst aufgebracht. Ich bin einfach nur froh, dass du dich darauf eingelassen hast, mich doch wiederzusehen – aus welchem Grund auch immer.“
Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, ohne die Vergangenheit noch mehr heraufzubeschwören. Also bemerkte sie nur: „Ein paar Minuten könnte ich noch bleiben.“
Einladend deutete er zur Tür, und Angela ging voraus in das Wohnzimmer.
Der Raum war mit bequemen Ledermöbeln und farbenfrohen indianischen Teppichen ausgestattet. Ein knisterndes Feuer im Kamin strahlte eine angenehme Wärme aus.
Jahrelang hatte sie sich ausgemalt, wie Jubal und Evette ein glückliches Familienleben führten. Nun musste sie diese Vorstellung revidieren und wusste nicht, wie sie zu der veränderten Situation stand. Einerseits freute sie sich zu hören, dass Evette ihn nicht auf Dauer für sich gewonnen hatte. Andererseits tat ihr der Verlust seines Babys leid. Es war ein unschuldiges Opfer in der ganzen Angelegenheit. Genau wie Melanie.
Angela wandte sich vom Kamin ab und sah Jubal groß und stark mitten im Raum stehen. Einmal mehr wurde ihr bewusst, wie attraktiv er war und wie verletzlich es sie machte, mit ihm allein zu sein.
„Kennst du die Familie, die vorher hier gewohnt hat?“, erkundigte er sich.
Nervös rieb sie sich die Hände. „Nein. Sie waren schon weg, als ich hergekommen bin.“
„Geraldine hat mir erzählt, dass sie an die Westküste ziehen mussten, weil der Mann Atemwegsbeschwerden hatte.“
„Ja. Cook sagt, dass es allen sehr leidgetan hat.“
Er nickte bedächtig. „Ich habe den Eindruck, dass fast jeder, der hier einmal zu arbeiten anfängt, sein Leben lang bleiben möchte. Geht es dir auch so?“
Legte er es darauf an, sie nach ihren Zukunftsplänen auszuhorchen? Oder wollte er nur Konversation treiben? So oder so, es erschien ihr seltsam, wenige Schritte von ihm entfernt zu stehen und seine Stimme zu hören, nachdem er so lange Zeit nur eine Erinnerung für sie gewesen war. Sie wusste nicht, was ihr lieber war – seine reale problematische Gegenwart oder die Erinnerung an innige harmonische Zeiten.
„Momentan konzentriere ich mich einfach darauf, mein Studium zu beenden. Dieser Job ist ein Segen, weil Miss Geraldine mir genug Zeit lässt, um zu lernen.“
Er sah sie interessiert an. „Ach, du bastelst an einem Collegeabschluss?“
Habe ich früher den Eindruck erweckt, dass es mein größter Karrierewunsch ist, seine Ehefrau zu werden? Wie peinlich! Angela wandte den Blick ab. Sie waren kaum drei Monate liiert gewesen, da hatte sie bereits Pläne für eine gemeinsame Zukunft geschmiedet und allen Ernstes geglaubt, dass sein Verhältnis mit der Tochter des Bürgermeisters, das er als Zeitvertreib bezeichnete, der Vergangenheit angehörte. Auf Evettes Drängen, zu ihr zurückzukehren, war er zunächst auch gar nicht eingegangen; erst durch ihre Schwangerschaft hatte sich das Blatt gewendet.
„Ja. Ich will Lehrerin werden. Aber jetzt sind gerade Semesterferien.“ Sie sah Bewunderung in seinen Augen. Das überraschte sie und machte sie nachdenklich. Vor fünf Jahren hatten sie eine leidenschaftliche Beziehung geführt, sich aber eigentlich nicht wirklich kennengelernt.
„Das wusste ich gar nicht. Ich bin beeindruckt.“
Sie versuchte, sich einzureden, dass es ein nichtssagendes Kompliment war, das ihr nichts bedeutete. Doch wider Willen freute sie sich darüber. Sie zuckte die Achseln. „Ich mag Kinder und glaube, dass mir die Arbeit mit ihnen gefallen wird.“
„Unterstufe oder Oberstufe?“
„Beides, sofern ich das Examen bestehe.“
„Du bist eine kluge Frau. Du schaffst das schon.“
Angela unterdrückte ein Stöhnen. Da war es wieder, dieses charmante Lächeln, das damals ihr Herz erobert und ihr das Gefühl gegeben hatte, ein ganz besonderer Mensch in seinem Leben zu sein.
Sie durfte sich nicht wieder davon betören lassen, sondern musste stark bleiben und daran denken, dass sie ihm nicht vertrauen konnte. „Nun, bis dahin dauert es noch lange. Ich brauche mindestens noch ein Semester, bevor ich mich zum Examen melden kann, und danach muss ich das Referendariat absolvieren.“
Während sie die Wärme der Flammen spürte, fiel ihr auf, dass es sehr sauber und aufgeräumt im Raum aussah. Das überraschte sie nicht. Jubal war ihr als ordentlicher Mensch in Erinnerung geblieben. Doch es wunderte sie, dass keine Familienfotos zu sehen waren. Das einzige Anzeichen dafür, dass er überhaupt Angehörige besaß, war ein Bild von seiner Schwester auf einem Tischchen.
Sie wusste, dass er seiner Familie sehr nahegestanden hatte, auch wenn er gelegentlich nicht deren Meinung teilte. Dagegen war die Bekanntschaft zwischen ihr und den Jamisons flüchtig und eher angespannt geblieben. Seine Eltern hatten seine Beziehung zu einer viel jüngeren Frau, noch dazu aus armseligen Verhältnissen, ganz und gar nicht gutgeheißen.
Angela konnte es ihnen nicht verdenken. Sie wusste, dass sie nur das Beste für ihren Sohn wollten. Nun fragte sie sich, ob es womöglich zu einem Bruch in der Familie gekommen war. „Ich muss jetzt zurückfahren. Cook wartet auf mich.“
Er blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Du hast es ja sehr eilig, von mir wegzukommen. Was hat das zu bedeuten? Dass ich dir unter die Haut gehe, oder dass du meinen Anblick nicht ertragen kannst?“
Sie ging auf ihn zu. Ihre Miene wirkte so kalt und unnahbar wie der Winterhimmel und ließ Jubal noch mehr frösteln als der eisige Wind, der über Sandbur fegte.
Schroff erwiderte sie: „Ich weiß ja nicht, was in dir vorgeht. Aber ich habe jedenfalls kein Interesse daran, da weiterzumachen, wo wir damals aufgehört haben.“
Jubal war sich selbst nicht sicher, ob er die Verbindung auffrischen wollte, und horchte in sich hinein. Noch vor einigen Tagen hätte er sich einreden können, dass Angela der Vergangenheit angehörte und nichts mehr in seinem Leben zu suchen hatte. Doch nun musste er sich eingestehen, wie sehr er noch immer an ihr hing. „Was würdest du sagen, wenn ich interessiert wäre?“
Einen flüchtigen Moment lang zitterte ihre Unterlippe. Doch dann verschwand dieses untrügliche Anzeichen von Verletzlichkeit, und ihre Miene verfinsterte sich. „Dass du deine Zeit verschwendest“, erwiderte sie tonlos.
Fast fünf Jahre lang hatte er sie zu vergessen versucht und sich eingeredet, dass sie sicherlich längst mit einem anderen Mann verheiratet war. Nun, als er ihr seidiges braunes Haar und die rosigen Wangen musterte, erkannte er, dass er eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Er hätte sie bis ans Ende der Welt suchen sollen. In rauem Ton murmelte er: „Ich kann dir nicht verdenken, dass du mich hasst.“
„Hass ist ein sehr starkes Wort. Dazu bin ich gar nicht fähig. Ich bereue einfach nur, dass ich dir jemals vertraut habe.“
Jubal stöhnte unwillkürlich. Was konnte er nur tun oder sagen, um sein Fehlverhalten von damals wiedergutzumachen? Ihm war klar, dass es mit einigen schönen Worten nicht getan war, dass es viel Zeit brauchte. Doch er wusste ebenso, dass er sofort versuchen musste, sich mit ihr auszusöhnen, weil er sonst keine Chance mehr zu einer Langzeitbeziehung bekam. „Angie, der Himmel weiß, dass ich Evette nicht heiraten wollte. Ich hatte einfach keine andere Wahl.“
„Ich bin keine neunzehn und glaube nicht mehr alles, was aus dem Mund eines Mannes kommt. Schon gar nicht aus deinem. Also beleidige bitte nicht meine Intelligenz, indem du mir so einen Unsinn auftischst.“
Sie musste ihn nicht erst darauf hinweisen, dass sie nicht mehr das naive Mädchen war, das ihm bei der ersten Begegnung den Kopf verdreht hatte. Sie sah ihn nicht mehr voll Liebe und Bewunderung an. Nun sprachen Misstrauen und Eigensinn aus ihren Augen. Er strich sich durch das Haar. „Angie, es hat mich total zerrissen, dass ich mich von dir abwenden musste.“
„Mag sein. Aber offensichtlich hast du es geschafft, dich wieder genügend zusammenzunehmen, um sie zu heiraten, und ich …“
„Sie hat mir keine andere Wahl gelassen!“
Sie starrte ihm in die Augen und konterte stahlhart: „Du hättest die Dinge anders handhaben können. Du hättest ihr Unterhalt und Unterstützung bei der Erziehung des Kindes anbieten können. Aber du musstest nicht so weit gehen und sie gleich heiraten!“
„Im Leben ist nicht immer alles nur richtig oder falsch, schwarz oder weiß. Und nur zu deiner Information: Ich habe Evette diese Möglichkeiten angeboten. Sie wollte nichts davon hören. Sie hat beharrlich damit gedroht, Tabletten zu schlucken und sich und das Baby umzubringen.“
Angela schüttelte den Kopf. „Evette ist viel zu sehr in sich selbst verliebt, um sich etwas anzutun. Das weißt du genau. Sie war die Stadtprinzessin. Sie wollte nicht hinnehmen, dass sie etwas nicht kriegen kann, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Und das Baby war ein willkommenes Mittel, um dich zu angeln.“
Sie drehte sich zum Kamin um. Während sie in die Flammen starrte, fuhr sie in vorwurfsvollem Ton fort: „Am Anfang habe ich dich dafür bewundert, dass du mir offen von deiner Affäre mit Evette erzählt hast. Aber du hast mir auch versichert, dass dein Verhältnis zu ihr nie ernst gewesen und längst beendet wäre. Dann hat sich herausgestellt …“
„Es war mir wirklich nicht ernst, und von meiner Seite aus war es vorbei.“
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick über die Schulter zu. „Du hast immerhin mit der Frau geschlafen!“
„Das war, bevor ich dich kennengelernt habe, nicht danach. Außerdem ist Sex nicht dasselbe wie Liebe.“
„Ach so, und das rechtfertigt alles?“
„Nein. Nichts von dem, was mit uns passiert ist, war richtig. Aber es wäre besser für uns beide, wenn du verstehen könntest …“
„Das kann ich nicht und werde ich nie.“ Sie holte die Handschuhe aus ihren Taschen und zog sie mit ruckhaften Bewegungen an. „Ich habe genug gehört. Es ist hoffnungslos. Zwischen uns ist es schon lange aus. Alles wieder aufzuwärmen, hat keinen …“ Sie verstummte abrupt, denn er war zu ihr gestürmt und packte sie an den Schultern.
Jubal beobachtete, wie sie die Augen schloss und ihre weichen Lippen zu zittern begannen. Er sehnte sich danach, den Kopf zu senken und ihren Kummer wegzuküssen. Doch er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er nur körperliche Befriedigung bei ihr suchte. Beschämt versicherte er: „Angie, ich wollte dir nie wehtun.“
„Aber du hast es getan.“ Ihre Stimme klang erschüttert, vorwurfsvoll, verbittert.
Nicht zum ersten Mal ging ihm durch den Kopf, dass seine damalige Fehlentscheidung nicht nur sein eigenes Leben beeinträchtigte, sondern sich auch sehr drastisch auf Angela auswirkte. Leise und schuldbewusst sagte er: „Ich bitte dich, mir zu verzeihen.“
Ihr Verstand drängte sie, schleunigst zu verschwinden. Doch ihre Knie wurden weich. Als er sie an sich zog, sank sie in seine Arme. Dann legte sie ihm die Hände auf die muskulöse Brust und schuf genügend Freiraum zwischen ihnen, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. „Warum sollte es dir jetzt noch wichtig sein, dass ich dir verzeihe? Dass du mich verlassen hast, belastet dein Gewissen doch längst nicht mehr.“
Ein gequälter Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Ich bin nie über dich hinweggekommen, Angie.“
Wie gern wollte sie ihm glauben! Weil sie ihn nie vergessen hatte, ob es ihr nun gefiel oder nicht. „Bitte, Jubal …“
„Da ist etwas, das du wissen musst. Evettes Baby war nicht von mir. Nach der Fehlgeburt hat sie es mir gestanden. Der richtige Vater war ein verheirateter Geschäftsmann aus Victoria.“
„Großer Gott!“, flüsterte sie schockiert.
„Siehst du, Angie, ich wurde manipuliert, belogen, verraten. Evette hat mich nur benutzt. Als ihr Lover sich weigerte, sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten, hat sie sich an ihren Ex, den alten Trottel, erinnert. Ich dachte, ich hätte ehrenwert gehandelt. Ich wollte, dass dieses Kind in einer intakten Familie aufwächst. Aber letztendlich waren meine Bemühungen umsonst, und ich habe dich dadurch verloren.“
Überwältigt von der Sinnlosigkeit, der Ungerechtigkeit konnte Angela kaum atmen, geschweige denn denken. Sie musste fort von ihm, bevor sie in Tränen ausbrach.
Hastig riss sie sich los und stolperte zur Tür hinaus. Als sie den Truck erreichte, zitterte sie am ganzen Körper. Ohne einen Blick zurück fuhr sie davon. Sie wollte nicht wissen, ob Jubal ihr ebenso nachblickte wie sie ihm damals vor fünf Jahren, als er aus ihrem Leben verschwunden war.
Sie stellte die Heizung auf die höchste Stufe und hoffte darauf, dass die warme Luft das Zittern ihres Körpers vertrieb. Sie wollte verhindern, dass Cook sie in einem derart aufgewühlten Zu...