Bianca Weekend Band 31

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

WIE VERFÜHRT MAN EINEN COWBOY? von CHRISTINE WENGER

Kurz vor ihrem 30. Geburtstag beschließt Jenna, ihr Leben zu ändern: Statt Pflichtund Ehrgeiz will sie Spaß und Liebe! Und zwar mit dem wohlhabenden Rancher Dustin. Mit den Waffen einer Frau möchte Jenna ihn verführen. Aber ein echter Cowboy lässt sich nicht einfangen …

FÜNF JAHRE UND EIN LEBEN LANG von JUDY CHRISTENBERRY

Fassungslos hört Abby das Ultimatum: Nick Logan, der sexy Cowboy, an den sie vor fünf Jahren ihr Herz verlor, will ihren gemeinsamen Sohn zu sich holen. Entweder allein, oder Abby kommt mit ihnen! Und auf Nicks Ranch ist ihr Familienglück plötzlich nur einen Kuss entfernt …

DEIN KUSS VERRÄT MIR ALLES von DIANA PALMER

Jedes Mal, wenn der Rancher Cag Hart die bildhübsche Tess arbeiten sieht, keimt ein heißes Begehren in ihm auf. Dabei kennt er sie doch von Kindesbeinen an. Kann es wirklich sein, dass aus dem süßen Mädchen eine so traumhaft schöne Frau geworden ist?


  • Erscheinungstag 15.03.2025
  • Bandnummer 31
  • ISBN / Artikelnummer 8053250031
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Christine Wenger

PROLOG

Mit Wohlgefallen ließ Jenna Reed den Blick über die zusammengefalteten Sachen schweifen. Sie lagen auf dem Bett im Gästezimmer ihres Hauses und warteten darauf, in die neuen tomatenroten Koffer gepackt zu werden, die neben der Tür standen. Nächste Woche würde sie zu ihrem schon ewig geplanten Europatrip aufbrechen. Dafür hatte sie sich in den letzten Monaten extra ganz neu eingekleidet.

Sie kannte die Reiseroute bereits auswendig, die ihr der Veranstalter zugeschickt hatte. Trotzdem schaute sie das Faltblatt der Happy Singles Travel Incorporation immer wieder gern an, auf dem das Motto der Agentur in hellgrünen Lettern prangte: Reisen Sie mit uns, finden Sie neue Freunde, und erkunden Sie fremde Länder.

Natürlich wäre Jenna lieber mit ihren eigenen Freunden in Urlaub gefahren. Aber die hatten keine Zeit, da sie alle verheiratet und teilweise schon Eltern waren. Also würde sie mit fünfundsiebzig anderen Singles, zumeist Frauen, drei herrliche Wochen in Europa verbringen.

Endlich würde sie auch einmal die Sommerferien voll auskosten. Dies hatte sie noch nie getan, seit sie als Lehrerin zu arbeiten begonnen hatte. Sie galt als diejenige an der Wilson Road Grundschule in Phoenix in Arizona, die nie Nein sagte. Die Kollegen genossen ihre Freizeit, während sie beim Schulferienprogramm Kinder unterrichtet hatte, wann immer man sie darum bat.

Sie war mit Leib und Seele Lehrerin. Vor allem wegen der Kids, die sie als ihre betrachtete. Doch sie waren nicht ihre, und mit neunundzwanzig Jahren hatte sie inzwischen die Suche nach ihrem Mr. Perfect aufgegeben. Sie sah sich einfach nur noch nach einem Mr. Perfect für jetzt um – nach jemandem, der gern die gleichen Dinge machte wie sie und mit dem sie im Augenblick zusammen sein und etwas unternehmen konnte.

Einst hatte sie heiraten und eine Familie gründen wollen. Aber nun wurde sie demnächst dreißig und blickte anders in die Zukunft. Sie hatte beschlossen, dass sie jetzt das Leben genießen wollte. Von nun an würde sie nicht mehr so viel arbeiten und ihr bisheriges und etwas langweiliges Dasein aufregender gestalten.

Deshalb hatte sie sich auch zu einer drastischen Veränderung entschieden. Sie hatte sich darum beworben, ein Jahr lang in China Englisch zu unterrichten. Und selbst wenn sie den Job nicht bekam, würde sie in Zukunft dafür sorgen, dass ihr Leben nicht mehr so eintönig verlief. Sie würde die komplette Ferienzeit nutzen und durch die Welt reisen, um sich Orte anzuschauen, die sie bisher bloß aus Büchern kannte.

Der Europatrip ist der perfekte Einstieg in mein neues Leben, dachte Jenna und setzte sich auf die Bettkante. Vielleicht traf sie ihren Mr. Perfect für den Augenblick in einem Bistro in Paris oder auf der Akropolis in Athen. In genau sieben Tagen, zehn Stunden und zweiunddreißig Minuten würde sie jedenfalls in London Heathrow landen.

Das Telefon klingelte und schreckte sie aus ihrer Selbstvergessenheit. Jenna sprang auf und eilte ins Wohnzimmer. Sie nahm den Hörer ab.

„Hallo, Schwesterherz.“

„Hi, Tom. Wie geht’s dir?“

Ihren älteren Bruder hatte sie sowieso vor dem Urlaub noch anrufen wollen. Sie musste ihm natürlich erzählen, dass sie nach Europa flog und wann sie zurückkehrte. Plötzlich stutzte sie. Ihr Bruder meldete sich eigentlich nur bei ihr, wenn er etwas benötigte oder wenn es schlechte Neuigkeiten gab. Jenna wappnete sich innerlich.

„Ich rufe wegen Andy an.“

„Oh, Tom, ist alles in Ordnung mit ihm?“ Sie liebte ihren zehnjährigen Neffen sehr.

„Immer mit der Ruhe. Andy fehlt nichts. Er hat bloß ein mieses Zeugnis und ist in Englisch und Mathe durchgefallen. Wenn er nicht den Ferienunterricht an seiner Schule besucht, wird er nicht in die fünfte Klasse versetzt.“

„Das klingt nicht gut.“

„Stimmt.“ Tom schwieg einen Moment. „Und da er noch etwas zusätzliche Unterstützung gebrauchen könnte und du Lehrerin bist, habe ich an dich gedacht. Wenn du zu uns auf die Ranch nach Tucson kommen würdest, könntest du ihm Nachhilfeunterricht erteilen und ihn zugleich beaufsichtigen. Ich habe selbst probiert, ihm den Stoff beizubringen, aber ich eigne mich wohl nicht sonderlich dazu. Er versteht einfach nicht, was ich ihm zu erklären versuche.“

„Er wird es mit der Zeit begreifen, Tom. Du bist ein sehr geduldiger Vater“, erwiderte Jenna, als ihr nach kurzer Zeit bewusst wurde, dass ihr Bruder auch vom Beaufsichtigen gesprochen hatte. „Sag mal, warum brauchst du mich denn als Babysitterin? Wirst du gar nicht da sein?“

„Ich habe mir vorgestellt, dass ich so viele Rodeos wie möglich bestreiten könnte, solange du hier bist und der Bullenreiterzirkus noch keine Sommerpause macht. Es wäre die perfekte Gelegenheit, etwas zusätzliches Geld zu verdienen. Nicht nur für die Reparaturen, die auf der Bar R anfallen. Andy braucht demnächst eine Zahnspange, seine Babysitter kosten mich ein Vermögen, und Marla hat gerade die Scheidung eingereicht. Ich muss mir unbedingt einen Anwalt besorgen.“

Jenna schwieg einen Moment. Ihr Bruder litt immer noch darunter, dass seine Frau sich wegen eines anderen Mannes von ihm getrennt hatte. „Wann hättest du mich denn gern bei euch?“

„Nächste Woche.“

„Tom …“ Jenna verstummte, denn der Mut verließ sie. Sie hatte ihrem Bruder so viel zu verdanken. „Ich wollte dich ohnehin anrufen, aber die Zeit ist mir einfach davongelaufen. Ich breche nämlich morgen in einer Woche zu einer Europareise auf – über einundzwanzig Tage …“

Nein, halt! Sie würde alles für Tom tun. Als ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall gestorben waren, hatten sie beide die Highschool besucht. Sie war in die neunte Klasse gegangen und ihr Bruder in die zwölfte. Damals hatte Tom gewissermaßen die Vaterrolle übernommen, auch wenn sie bei den Großeltern gewohnt hatten. Und es war der erfolgreiche Bullenreiter Tom gewesen, der ihr später geholfen hatte, die Studiengebühren zu bezahlen – genauso wie er für sie gebürgt hatte, als sie wegen des Jobs nach Phoenix gezogen war und einen Bankkredit beantragt hatte, um dieses Haus zu kaufen.

Einen bezaubernderen Neffen als Andy konnte sich keine Tante wünschen. Natürlich wollte sie nicht, dass er mit der Schule Probleme hatte. Und sein Vater konnte den zusätzlichen Verdienst nur zu gut gebrauchen, wie ihr klar war. Jenna seufzte. Sie sollte den Europatrip vergessen. Ihre Familie brauchte sie.

„Ich verstehe dich, Schwesterherz. Ich kümmere mich um eine andere Lösung.“

„Nein, das lässt du mal schön bleiben!“, widersprach sie energisch. Sie hatte so lange damit gewartet, bis sie sich vom Reisefieber packen ließ – es spielte letztlich keine Rolle, wenn sie es noch ein wenig weiter hinausschob. „Europa läuft mir nicht davon. Ich kann gut später hinfliegen. Und da ich eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen habe, fallen außer den Stornogebühren keine weiteren Kosten an.“

Die neuen Klamotten würden also erst einmal nicht in den tomatenroten Koffern landen, sondern mit diesen zusammen in Phoenix bleiben. Auf Toms Ranch waren alte Jeans, Shorts und T-Shirts gefragt sowie Cowboystiefel und bequeme Schuhe.

„Dann komme ich heute in einer Woche zu euch. Ich werde gegen Mittag eintreffen. Ist das okay?“ Anstatt nach Europa würde sie eben auf die Bar R in der Wüste von Arizona fahren.

Tom atmete erleichtert auf. „Ich kann dir nicht genug danken, Schwesterherz. Tausend Dank, dass du die Reise noch mal verschiebst!“

„Ist doch klar. Ich freue mich darauf, Zeit mit Andy zu verbringen“, erwiderte Jenna und meinte es ehrlich. „Wie lange wirst du weg sein?“

„Solange es für dich und Andy in Ordnung ist. Er ist immer begeistert, wenn du uns besuchst, und wird mich deshalb nicht so stark vermissen. Ich habe schon mit ihm gesprochen für den Fall, dass du Ja sagen würdest. Er versteht das Ganze und hat mir erklärt, dass er mich und so bald wie möglich auch wieder Onkel Dustin vor dem Fernseher anfeuern wird.“

Dustin Morgan war nicht Andys wirklicher Onkel. Er war ein alter Freund von Tom aus der Highschoolzeit. Die beiden bestritten seit Jahren gemeinsam Rodeos. Wann immer sie mit ihrem Neffen redete, drehte sich die Unterhaltung hauptsächlich um Dustin. Und sie selbst dachte ebenfalls regelmäßig an ihn, seit sie ihn im ersten Jahr an der Catalina Highschool in Tucson in ihrem Mathekurs erblickt hatte.

„Da wir gerade bei Dustin sind“, fuhr Tom zögerlich fort. „Ich habe ihn auf die Ranch eingeladen, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Er muss sich noch ein wenig von seinem Unfall erholen.“

Jenna hatte die Veranstaltung in Albuquerque, bei der Dustin von einem Bullen ernsthaft verletzt worden war, am Fernseher verfolgt. Das Tier war ihm aufs Bein getrampelt und hatte ihm den Knöchel zertrümmert. Jenna war sehr um ihn besorgt gewesen, insbesondere als der Arzt vor Ort erklärt hatte, dass man ihn für eine Notoperation ins nächste Krankenhaus bringen würde.

Jenna stutzte. Erwartete Tom etwa, dass sie sich auch um Dustin kümmerte? Sie war Lehrerin und keine Krankenschwester. „Du hast Dustin gesagt, er soll auf die Bar R kommen?“ Ihr Herz begann wie verrückt zu klopfen, als ihr bewusst wurde, dass sie beide dann unter einem Dach wohnen würden.

„Ja. Er wird hier sein und die Ranch für mich leiten. Aber keine Angst, er wird dir keine Probleme bereiten.“

In der Highschool hatte sie total für Dustin geschwärmt. Sie hätte sich liebend gern mit ihm verabredet, hatte es jedoch noch nicht einmal geschafft, sich in seiner Nähe entspannt zu geben. Außerdem war er viel zu beliebt gewesen und sie ein solcher Bücherwurm, dass sie beide nichts verbunden hatte.

Tom war das einzige Bindeglied zwischen ihnen gewesen. Sie hatte es kaum erwarten können, dass er Dustin mit zu ihnen nach Hause brachte. Als sie erfahren hatte, dass die Universität von Nevada ihm ein Stipendium angeboten hatte, war sie tieftraurig gewesen. Aber anstatt das Stipendium anzunehmen, war Dustin ein professioneller Bullenreiter geworden. Was für eine Verschwendung, dachte Jenna. Dass er bei den Rodeos ein kleines Vermögen verdient hatte, änderte nichts an ihrer Meinung.

„Er kann dir mit Andy helfen“, fügte Tom hinzu.

Jenna wollte ihm erklären, dass sie mit dem Jungen allein zurechtkommen würde und ihr unwohl dabei wäre, mit Dustin unter einem Dach zu wohnen. Aber Tom klang, als wäre das Ganze längst abgemacht. Dass es jedoch ohne Schwierigkeiten für sie über die Bühne gehen würde, daran hegte sie einige Zweifel.

„Nochmals vielen Dank, Jenna. Ich weiß es echt zu schätzen, und Dustin ebenfalls. Andy wird es auch tun, wenn er in die fünfte Klasse versetzt worden ist.“

„Kein Problem, Tom. Wir sehen uns dann nächsten Montag.“

Sie legte den Hörer auf und kehrte gedankenverloren ins Gästezimmer zurück. Wehmütig ließ sie den Blick über die Sachen auf dem Bett schweifen. Für den Moment würde sie die Europareise stornieren müssen, aber sie würde sie baldmöglichst nachholen – wenn ihre Familie sie nicht brauchte oder ihre Freunde, ihre Schüler, deren Eltern, der Rektor oder die Kollegen …

Irgendwer schien sie immer zu brauchen. Jenna seufzte. Jetzt war es Andy – und Dustin Morgan.

Sie lächelte plötzlich und begann die Kleidungsstücke in den Schrank zu räumen. Ja, sie war nach wie vor ein Bücherwurm und Dustin einer der beliebtesten Bullenreiter im Profireiterzirkus. Doch warum sollte ihr Aufenthalt auf der Bar R nicht ebenfalls ein guter Einstieg in ihr neues Leben werden? Sie hatte auf der Europareise nicht nur vorgehabt, fremde Länder kennenzulernen, sondern auch, sich zu amüsieren.

Wieso sollte sie dies nicht mit Dustin tun? Und vielleicht, ganz vielleicht, erwies er sich sogar als das Abenteuer ihres Lebens.

1. KAPITEL

Während der Taxifahrer die Reisetasche aus dem Kofferraum hob, quälte sich Dustin auf Toms Ranch aus dem Auto. Er verfluchte zum wiederholten Mal den zweitausend Pfund schweren Bullen Cowabunga, der ihn in Albuquerque im letzten Durchgang abgeworfen hatte. Vergebens hatte er versucht, dem Tier zu entkommen, das ihn verfolgt und dann überrannt hatte. Schließlich war es ihm aufs Bein getreten und hatte ihm den Knöchel niedergewalzt. Nun wurden seine Knochen von Schrauben und Platten zusammengehalten, und sein Fuß und der Unterschenkel waren eingegipst. Dank Cowabunga konnte er jetzt die besonders lukrativen Rodeos bis zur Sommerpause nicht bestreiten und dort auch nicht punkten.

In den letzten beiden Jahren war er immer Zweiter bei den Profibullenreitern gewesen. In diesem Jahr führte er die Rangliste der Professional Bull Riders Incorporation, kurz PBR genannt, sogar endlich an und war nun zum Pausieren verurteilt. Tatenlos würde er mit ansehen müssen, wie einige seiner jungen Konkurrenten ihn überholten. Aber wenn alles nach Plan verlief, würde er rechtzeitig in die Arena zurückkehren, um wieder Plätze für die PBR-Weltmeisterschaft Ende Oktober in Las Vegas gutzumachen.

Der Taxifahrer stellte die Reisetasche neben Dustin, nickte ihm kurz zu und brauste kurz darauf davon. Dustin ließ den Blick um sich schweifen und atmete tief ein. Wie sehr er den typischen Ranchgeruch liebte.

Es brannte ihm unter den Nägeln, endlich wieder etwas Schweißtreibendes zu tun. Der Arzt hatte ihm zwar gesagt, er solle sich schonen und es langsam angehen lassen, doch das war noch nie sein Ding gewesen.

Als Junge hatte er sich auf alles geschwungen, was ein Fell besaß, und an Rodeos für Junioren teilgenommen. In der Highschool war er im Footballteam gewesen beziehungsweise in der Basketballmannschaft und hatte so viele Rodeos wie möglich bestritten. Mit achtzehn hatte er dann in der PBR-Liga angefangen und es geschafft, sich bis zu dem Zwischenfall in Albuquerque nie wirklich ernsthaft zu verletzen.

Dustin betrachtete das Wohnhaus und die Nebengebäude. Eines Tages würde er auch solch eine Ranch besitzen, aber dass er sich einverstanden erklärt hatte, jetzt auf die Bar R zu kommen, konnte er noch immer nicht ganz glauben. Nur die Tatsache, dass Tom ihn brauchte, hatte ihn dazu gebracht.

Er verdankte seinem Freund so viel. Vor zwei Jahren hatte dieser ihm das Leben gerettet, indem er ihn von einem bösartigen Bullen weggestoßen hatte. Das Tier hatte dann Tom die Hörner in den Körper gerammt, wovon Narben ewig zeugten.

„Ich möchte dich um einen Gefallen bitten“, hatte Tom gesagt, als er Dustin im Krankenhaus besucht hatte.

Von den verabreichten Schmerzmitteln war Dustin noch ein wenig benommen gewesen und hatte Mühe gehabt, sich zu konzentrieren. „Lass hören.“

„Da du für eine Weile außer Gefecht gesetzt bist … Wie wäre es, wenn du auf die Bar R kommen und dort nach dem Rechten sehen würdest? Ich will nicht, dass du dort ackerst, sondern nur kontrollierst, was der Vorarbeiter und die übrigen Leute machen. Du musst dich schließlich erholen. Warum tust du es nicht auf meiner Ranch?“

„Ich weiß nicht …“

„Meine Schwester wird sich während meiner Abwesenheit um Andy kümmern.“ Er hatte sie zwar noch nicht gefragt, doch Jenna und er halfen sich nach besten Kräften. Sie sagte bestimmt Ja. „Und Andy würde sich über deinen Besuch riesig freuen. Du bist schon länger nicht mehr bei uns gewesen.“

„Jenna?“ Dustin fielen für einen Moment die Lider zu, aber Bilder von ihr schoben sich vor sein inneres Auge. Wie sie in der Highschool mit einem Stoß Bücher unterm Arm einen Flur entlangging. Wie sie unter einem Baum nahe der Cafeteria saß und lernte, während alle anderen sich vergnügten. Wie sie sich für die Wahl zur Sprecherin der Klassenstufe bedankte.

Er hatte ihre Tatkraft bewundert sowie ihre Unabhängigkeit und ihre Bereitschaft, sich zu engagieren. Außerdem hatte es ihm gefallen, dass sie offenbar gut mit sich allein sein konnte und nicht wie er mit der Herde lief.

Damals hatte sie lange blonde Haare gehabt. Sie waren meistens mit einem Lederband zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden gewesen. Und sie hatten ihr als Halter für mindestens ein Schreibgerät gedient – es war einfach typisch für Jenna gewesen, sich ständig etwas zu notieren oder die Nase in ein Buch zu stecken.

Er hatte sie oft heimlich während des Unterrichts beobachtet. Auch hätte er sich gern mit ihr unterhalten und sich mit ihr verabredet, aber er hatte befürchtet, sie würde ihm die kalte Schulter zeigen.

Nicht, dass sie ein Snob gewesen wäre. Sie hatte sich jedem freundlich zugewandt – nur ihm nicht. Deshalb war er zu dem Schluss gekommen, dass ihr Bruder ihr wohl erklärt hatte, sie solle sich von ihm fernhalten.

Seit dem Tod der Eltern war Tom sehr besorgt um seine kleine Schwester gewesen, und Dustin hatte schon einige Freundinnen gehabt. Das war ihr sicher nicht entgangen. Allerdings waren es lediglich Liebeleien gewesen. Keines der Mädchen hatte an Jenna heranreichen können.

„Du wirst jemanden brauchen, der sich ein bisschen um dich kümmert, Kumpel. Da deine Eltern in Alaska sind und deine Wohnung im zweiten Stock ohne Aufzug liegt, hast du keine große Auswahl. Du hilfst mir, und Jenna hilft dir.“

Irgendetwas stimmte an der Argumentation nicht, nur konnte Dustin nicht sagen, was es war. Wenn Tom sich doch bloß aus dem Krankenzimmer zurückziehen würde, dann könnte er schlafen. Die Schmerzen auszuhalten war ermüdend, aber er wollte nicht mehr Medikamente nehmen als unbedingt nötig.

„Jenna hat die Sache schon abgenickt. Und sie freut sich darauf, dich wiederzusehen.“

Dustin fand es seltsam. An der Highschool hatte sie ihn praktisch ignoriert und ganz genauso, wenn er bei ihr zu Hause zu Besuch gewesen war. Und in den letzten Jahren hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Es war an Andys Taufe gewesen, dass sie das letzte Mal so richtig miteinander geredet hatten. Jenna war Andys Patentante und er sein Patenonkel.

Erneut blickte Dustin jetzt zu Toms Ranch hin, während er sich an das Versprechen erinnerte, das er dem Freund vor einer Ewigkeit gegeben hatte. Ein Versprechen, das er bis zum heutigen Tag bereute – er hatte Tom sein Wort gegeben, dass er die Finger von Jenna lassen würde. Deshalb hatte er sie auch bestmöglich gemieden, wenn sie bei einer PBR-Veranstaltung mit dabei gewesen war.

Energisch hängte Dustin sich den Gurt der Reisetasche über die Schulter. Tom war mehr als nur ein guter Freund, er war für ihn quasi ein Bruder. Und auf keinen Fall wollte er dessen Vertrauen enttäuschen.

Fast hätte er ihm gleich im Krankenhaus gesagt, dass er nicht auf die Ranch kommen würde, denn er wollte für niemanden eine Last sein. Irgendwie hätte er es schon geschafft, sich um sich selbst zu kümmern. Doch er hatte die passenden Worte nicht finden können.

Er war schließlich im Krankenbett eingeschlafen und hatte davon geträumt, dass er den Sommer mit der hübschen, klugen Jenna verbrachte. In seinem Traum war er für sie nicht der Klassenclown gewesen oder derjenige, der ein Stipendium ausschlug, um Profibullenreiter zu werden. In seinem Traum hatte sie ihn einzig als Mann gesehen.

Aber nun träumte er nicht. Er war auf der Bar R und würde einen Teil des Sommers mit Jenna zusammen sein.

Vielleicht war es dennoch ein Traum!?

„Darf ich jetzt nach draußen, Tante Jenna?“, erkundigte sich Andy. „Ich möchte gern dabei zuschauen, wie Maximus zugeritten wird.“

Ihr Neffe blickte sie hoffnungsvoll an, und sie zerzauste ihm lächelnd die rotblonden Haare. Ein bockendes Pferd war zweifellos fesselnder als Mathematik und Englisch.

„Sobald du diese sieben Dezimalaufgaben gelöst hast.“ Sie deutete auf die erste Fragestellung auf Seite fünfzehn in seinem Rechenbuch. Der Junge hatte in den knapp zwei Wochen, die sie jetzt zusammen lernten, schon gute Fortschritte gemacht. Doch es galt, seine Motivation aufrechtzuerhalten. „Das Lesen und die Beantwortung der Fragen zum Text verschieben wir auf später.“

Andy nickte. Und während er sich über die Übung beugte, räumte Jenna die Spülmaschine aus. Danach stellte sie das Frühstücksgeschirr hinein, das sie vorhin einfach nur auf der Arbeitsfläche stehen gelassen hatte. Kaum war sie damit fertig, klingelte es an der Haustür.

„Ich kümmere mich darum“, erklärte sie und verließ die Küche.

Wenig später sah sie durch den Türspion. Auf Krücken gestützt, stand Dustin auf der Veranda. Seine dunklen Haare glänzten seiden in der Vormittagssonne, und seine Augen waren so blau wie der wolkenlose Himmel.

Die Fernsehbilder werden ihm nicht gerecht, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte ihn seit Langem nicht mehr so dicht vor sich gehabt. Er schien immer blendender auszuschauen, falls dies überhaupt möglich war. Schon in der Highschool hatte sie ihn als umwerfend attraktiv empfunden.

Jenna merkte, wie ihre Wangen zu glühen begannen, während sie ihn betrachtete. Nie würde sie den erfolgreichen Quarterback, Basketballspieler und Rodeoreiter vergessen, der mit jedem Mädchen geflirtet hatte – außer mit ihr. Tatsächlich war sie wohl das einzige weibliche Wesen an der Schule gewesen, das er ignoriert und gemieden hatte.

Dustin lächelte sie an, kaum hatte sie die Tür geöffnet. Sogleich pulsierte ihr Blut noch schneller in den Adern. Kurz ließ sie den Blick über ihn schweifen. Eines der Hosenbeine der Jeans war unten aufgeschnitten, damit er es über den Gips ziehen konnte.

„Hallo, Dustin. Es ist schon eine ganze Weile her.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen.

Er nahm sie und hielt sie einige Sekunden lang fest, bevor er sie schließlich schüttelte. Jenna spürte die Schwielen an seinen Fingern und auf dem Handteller. Es war nur ein schlichter Händedruck, und trotzdem fühlte sie sich plötzlich wie ein aufgeregter Teenager und nicht wie eine gelassene Frau von fast dreißig.

„Schön, dich wiederzusehen, Jenna.“

„Ganz meinerseits, obwohl ich dich ja immer im Fernseher sehe, wenn die PBR-Veranstaltungen übertragen werden oder …“ Sein Lächeln verwirrte sie und ließ sie vergessen, was sie sagen wollte. „Doch diese Situation jetzt ist etwas … ganz anderes.“ Sie hörte, dass ihre Stimme ein wenig zitterte. Warum machte sie die Nähe zu Dustin so nervös?

„Ich schätze, du hast mich am Hals.“

Jenna entzog ihm ihre Hand, denn vielleicht konnte sie dadurch ruhiger werden. „J… ja, das habe ich wohl“, stieß sie hervor und wurde sich dann bewusst, wie ihre Antwort wirken musste, „aber du brauchst Hilfe, und Tom hat mir erzählt, dass du hier auf der Ranch nach dem Rechten schaust. Was ihn sehr entlastet. Außerdem freut sich Andy riesig über deinen Besuch!“

„Ja, es wird Spaß machen, Zeit mit dem Jungen zu verbringen.“

Jenna mied seinen Blick und richtete die Augen auf den Gips. „Das mit deinem Knöchel tut mir leid.“

Dustin schob den Cowboyhut mit dem Daumen ein bisschen zurück. „Danke. Doch hätte der Abwurf wesentlich schlimmer enden können. Ich hatte Glück im Unglück.“

Sie erbebte innerlich. „Ja, das hattest du. Und jetzt komm rein, damit du dich hinsetzen kannst. Ich nehme deine Reisetasche.“

„Das ist nicht nötig.“ Er hob die Tasche auf und schob sich den Gurt über die Schulter. Dann versuchte er, mit den Krücken über die Türschwelle zu gehen.

Jenna trat näher. „Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Nein. Ich kann es allein.“

Er klang leicht gereizt. Offenbar hatte sie ihn mit ihrer Frage verärgert. Sie sollten besser einen Weg finden, ihr Miteinander harmonisch zu gestalten. War ihm nicht klar, dass sie für eine Weile gewissermaßen zusammenleben würden? Sie würde für ihn kochen und waschen, ein wenig auf ihn achtgeben und ihm etwas beim Herumlaufen mit den Krücken helfen müssen.

Benötigte er ebenfalls im Badezimmer ihre Hilfe? Bei der Vorstellung, Dustin nackt zu sehen, errötete sie vor Verlegenheit, während ihr Herz zu rasen begann.

Ich habe mir doch ein aufregendes Leben gewünscht, oder?

Der Gips war Dustin so peinlich und schien mindestens fünfundzwanzig Pfund zu wiegen. Zu allem Übel rutschte jetzt noch der Gurt der Reisetasche von der Schulter, und das blöde Ding fiel auf die Veranda.

Dustin bückte sich und hob die Tasche mühsam wieder auf, während er energisch Jennas Hilfe ablehnte. Er wollte ihr unter keinen Umständen zur Last fallen. Nicht dieser Frau, die er kaum kannte und seit der Highschool aus der Ferne verehrte.

Außerdem hatte er das verflixte Versprechen im Hinterkopf, das er Tom gegeben hatte. Fand dieser es etwa witzig, dafür zu sorgen, dass Jenna und er für mehrere Wochen unter einem Dach wohnten? Oder erinnerte Tom sich nicht mehr an die Unterhaltung im Krankenwagen, nachdem er Dustin das Leben gerettet hatte?

Ich habe sie jedenfalls nicht vergessen.

„Danke, dass du mir das Leben gerettet hast, Partner. Ich habe den Bullen einfach nicht auf mich zukommen sehen“, hatte er zu Tom gesagt. „Ich schulde dir sehr viel.“

„Vergiss es, Dustin. Du würdest doch das Gleiche für mich machen. Dass du dein Versprechen nicht brichst, ist das Einzige, was du mir schuldest“, hatte sein Freund erwidert und zugleich vor Schmerzen aufgestöhnt. „Ich habe bemerkt, mit welchen Blicken du hinter meiner Schwester herschaust. Sie ist nicht … so erfahren wie du. Sie ist stets behütet worden. Erst von meinen Eltern, dann von mir. Du bist wie ein Bruder für mich, aber du magst die Frauen zu sehr. Du würdest Jenna wehtun, denn als Bullenreiter bist du meistens unterwegs und kannst nicht für sie da sein. Sie hat jemanden verdient, der immer zu Hause ist.“

Dustin sah Jenna an, die darauf wartete, dass er über die Türschwelle trat. Er würde sich eher die rechte Hand abhacken, als ihr wehzutun. Doch hatte Tom recht damit gehabt, dass er nicht für sie da sein könnte, solange er als Profireiter unterwegs war. Und so hatte er dem Freund in der Ambulanz ein zweites Mal versprochen, sich von seiner Schwester fernzuhalten.

Hat Tom die Sache vielleicht vergessen, überlegte Dustin erneut. Es war schon komisch, dass sein Freund ihn bat, auf die Ranch zu kommen, wenn auch Jenna dort sein würde.

Energisch nahm sie ihm gerade seine Reisetasche ab. Danach öffnete sie die Tür so weit wie möglich, damit er genug Bewegungsspielraum hatte, um ins Haus zu gelangen.

Verflixt, er hasste es, sich wie ein Invalide zu fühlen. Er hätte sich in sein Apartment verkriechen und alles mit sich allein ausmachen sollen. Aber der Arzt hatte ihm nach der Operation erklärt: Je mehr er sich schone, umso schneller würde er wieder gesund sein und zum Bullenreiten zurückkehren können.

Genau das war sein Ziel. Er hatte vor, die PBR-Weltmeisterschaft zu gewinnen und das Preisgeld einzustreichen. Dann konnte er seine Profikarriere beenden, sich eine eigene Ranch kaufen und richtig sesshaft werden. Dafür hatte er all die Jahre gespart.

„Onkel Dustin! Onkel Dustin!“

Andy stürmte aus der Küche ins Wohnzimmer, wo Dustin inzwischen in einen Sessel gesunken war und das Gipsbein von sich gestreckt hatte. Gut einen halben Meter von ihm entfernt blieb der Junge stehen.

„Hallo, Kumpel. Wie geht’s? Es ist schon länger her.“ Er streckte die Hand aus, und Andy schüttelte sie.

„Ich habe dich ständig im Fernsehen gesehen. Dich und Dad. Oh, und J. R. und Skeeter und Cody und Robson und …“

Dustin lachte, als der Zehnjährige einen Bullenreiter nach dem anderen benannte. Der Junge war einfach bezaubernd. Schade, dass seine hellblauen Augen etwas an Leuchtkraft eingebüßt hatten, seit seine Mutter nicht mehr auf der Ranch wohnte.

„Ich glaube, du bist gewachsen.“

„Echt?“

„Ich würde es doch nicht sagen, wenn ich es nicht wirklich meinte.“

Neugierig beugte Andy sich vor, um zu lesen, was sein Vater und andere Leute auf das Gipsbein geschrieben hatten. Währenddessen schaute Dustin kurz zu Jenna hin, die sich aufs Sofa gesetzt hatte.

Sie war noch hübscher geworden, als sie es ohnehin schon gewesen war. Und sie sah so angenehm natürlich aus, da sie im Gegensatz zu den stark geschminkten Bullenreitergroupies nur ganz wenig Make-up trug. Das halblange Haar umschmeichelte ihr Gesicht, und die Ohrstecker aus türkisfarbenen Steinen passten wunderbar zu ihren grünen Augen.

Sein Blick schweifte zu der Reisetasche, die neben der Couch stand. Darin befanden sich gerade einmal genug Sachen für zwei Tage. Er hatte sie für die Veranstaltung in Albuquerque gepackt und nicht für einen längeren Aufenthalt im Krankenhaus oder auf der Bar R.

„Ich muss einkaufen gehen. Meine ganzen Klamotten sind in meinem Apartment in Tubac“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Du lebst in Tubac? In der Künstlerkolonie?“ Jenna schaute ihn überrascht an.

„Ja, genau“, bestätigte er, erzählte ihr aber lieber nicht, dass er selbst malte.

Er fertigte Aquarellzeichnungen von Reitern auf keilenden Bullen und bockenden Pferden an. Von Cowboys bei der Arbeit auf einer Ranch. Von der Landschaft rund um Tucson und Tubac sowie von der einen oder anderen Sehenswürdigkeit in der Umgebung. Zunächst hatte er nur zum Spaß gemalt. Doch dann hatte er angefangen, seine Bilder über einige Kunstgewerbeläden in der Kolonie zu verkaufen.

„Ich fahre dich gern hin.“

„Vielen Dank, aber ich will dir nicht noch mehr Mühen bereiten.“

Tubac lag eine knappe Autostunde von Tucson entfernt. Vielleicht konnte er einen von Toms Leuten als Chauffeur anheuern und so einige Sachen aus seinem Apartment holen.

Was für ein Sturkopf, dachte Jenna, erhob sich und nahm die Reisetasche. „Ich bringe sie ins Gästezimmer.“

„Das kann ich selbst.“ Dustin stand ebenfalls auf und stützte sich auf die Krücken.

„Ja, aber mich kostet es keine Mühe. Vermutlich hast du auch Hunger. Wie wär’s mit einem Sandwich?“

Unwillkürlich atmete er den blumigen Duft ihres Parfüms ein, als er sie erreichte. Es passte gut zu ihr. „Ich habe Tom versprochen, auf der Ranch nach dem Rechten zu sehen, während mein Knöchel heilt. Ich werde also versuchen, dich so wenig wie möglich zu stören und dir keine Last zu sein.“

„Du bist keine Last. Außerdem helfe ich gern.“

Sie wollte zweifellos höflich sein. Doch hatte er nicht vor, ihr oder sonst wem Mühen zu bereiten, denn das war nicht seine Art. Er war hier, um in Toms Abwesenheit ein Auge auf die Bar R zu haben, was er trotz der Krücken bewerkstelligen konnte.

Und ich werde die Gegenwart von Jenna genießen.

So hatte seine Verletzung zumindest etwas Gutes, denn dadurch konnte er Toms Schwester endlich besser kennenlernen. Aber egal, wie sehr sie ihn noch immer anzog, zwischen ihnen würde sich nichts entwickeln. Dafür würde er sorgen. Er hatte Tom ein Versprechen gegeben, und er war ein Mann, der sein Wort hielt.

Als Jenna später Sandwiches für sie drei zubereitete, hatte sie ihre innere Ruhe halbwegs zurückgewonnen. Sie sollte es am besten wie auf der Highschool machen und sich Dustin gegenüber kühl zeigen.

Zweifellos hatten sich seine Ausstrahlung und sein Sex-Appeal seit damals noch verstärkt. Und sein Lächeln war so charmant und faszinierend wie eh und je. Als sie ihn vorhin zum ersten Mal seit Langem wieder aus ganz unmittelbarer Nähe gesehen hatte, war ihr ganz anders geworden. Ihre Wangen hatten zu glühen begonnen, und ihr Herz klopfte wie verrückt.

Hoffentlich hörte sie bald auf, wie ein Schulmädchen auf ihn zu reagieren. Ihre einstige Schwärmerei war doch längst ausgestanden – oder etwa nicht? Du bist einfach eine Frau, die einen attraktiven Mann bewundert, entschied sie, als Andy und Dustin in die Küche kamen und sich setzten.

„Wie wär’s mit einem Glas Milch?“ Sie stellte die Teller mit den Sandwiches auf den Tisch und spürte, dass ihr Blut schon wieder schneller in den Adern pulsierte.

„Ja, gern.“

„Ja, gern“, sagte auch Andy, bevor er mit seinem Patenonkel weiter übers Bullenreiten redete.

Seit Dustin eingetroffen war, hatte der Junge nur noch Augen und Ohren für ihn. Nicht, dass Jenna damit Probleme hatte. Aber ich lasse mich nicht in seinen Bann ziehen, forderte sie sich auf, während sie sich um die Getränke kümmerte.

In Kürze wurde sie dreißig und verfolgte jetzt andere Ziele im Leben. Sie hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, das Dasein voll auszukosten und sich zu amüsieren. Nur wie sollte sie dies auf Toms Ranch tun?

Aufgrund seines Handicaps blieb Dustin sitzen, als Jenna die eingeschenkten Gläser brachte, rückte ihr jedoch bestmöglich den Stuhl neben seinem zurecht. Sie nickte zum Dank und setzte sich. Dabei blickte sie ihm in die blauen Augen und atmete tief ein.

„Ich habe es für das Beste gehalten, dir das Gästezimmer herzurichten, da es ein eigenes Bad mit Dusche hat.“

Welch geistreiche Bemerkung dachte sie und biss in ihr Sandwich. Danach legte sie es wieder aus der Hand. Dustins Nähe und der Duft seines Aftershaves machten sie zu nervös, um essen zu können.

„Vielen Dank. Ich würde nur zu gern duschen.“ Er schaute Andy an. „Leider kann ich es wegen des verflixten Gipsbeins nicht. Es soll nicht nass werden. Deshalb darf ich bloß baden, weil ich das Bein dann über den Wannenrand nach draußen hängen lassen kann.“

Sogleich sah Jenna ihn im Geist nackt vor sich, und ihr Mund wurde ganz trocken. Schnell trank sie mehrere Schluck Milch.

„Erzähl mal, was tust du so?“ Dustin wandte sich ihr wieder zu. „Wohnst du noch immer in Phoenix?“

„Ja, und ich arbeite weiter als Lehrerin. Gerade habe ich eine vierte Jahrgangsstufe unterrichtet. Außerdem trainiere ich die beiden Teams für den Buchstabier- beziehungsweise Debattierwettbewerb.“

„Das klingt nach einem ganz schönen Pensum.“

„Es hält mich auf Trab.“

„Also hast du die gleiche Klassenstufe unterrichtet, in der Andy Probleme hat. Kein Wunder, dass Tom dich um Hilfe gebeten hat.“ Dustin zerzauste seinem Patensohn das Haar. „Wie läuft’s denn so in Englisch und Mathe?“

Der Junge zuckte die Schultern. „Ich schätze so weit okay.“

„Er schlägt sich prima und hat schon große Fortschritte gemacht.“

„Aber es ist schrecklich langweilig.“ Andy stützte den Kopf auf die Hand.

„Vielleicht kann ich daran etwas ändern“, erwiderte Dustin und biss erneut in sein Sandwich.

„Das wäre super, Onkel Dustin!“

Jenna fand es zwar nett, dass er Andy bei den Schularbeiten helfen wollte, war jedoch auch etwas verärgert. Sie war Lehrerin und kam sehr gut allein zurecht. Am besten wechselte sie das Thema.

„Wie geht es deinen Eltern? Tom hat mir erzählt, dass es ihnen in Alaska gefällt.“

„Ja, sie fühlen sich dort sehr wohl. Dad hat wieder zu jagen angefangen, und Mom trifft sich regelmäßig mit ihren neuen Freundinnen zum Kaffeetrinken und Kartenspielen.“ Er blickte Jenna an. „Ich vermisse deine Eltern noch immer. Sie waren stets so freundlich zu mir.“

Kurz schloss sie die Augen und sah ihre Mutter und ihren Vater im Geist vor sich. Wie oft hatte sie den betrunkenen Autofahrer schon verwünscht, der für den Verkehrsunfall verantwortlich gewesen war. Energisch blinzelte sie Tränen fort. „Es vergeht kein Tag, an dem sie mir nicht fehlen.“

„Ja.“ Dustin schob sich das restliche Sandwich in den Mund und trank dann sein Glas aus. „Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt. Ich sollte mich etwas hinlegen und ausruhen.“

„Brauchst du Hilfe?“, fragte Jenna.

„Nein, danke.“

Sie runzelte die Stirn. „Warum bist du hier, wenn du keine Hilfe brauchst?“ Er hatte ihr bereits erklärt, dass er niemandem zur Last fallen wolle. Aber wie sollte sie reagieren, wenn er jede Unterstützung ablehnte?

Dustin zog die Brauen hoch. „Um auf der Ranch nach dem Rechten zu schauen.“

„Du bist aber auch hier, um dich zu erholen.“ Jenna folgte ihm, als er die Küche verließ. „Dustin“, sagte sie leise auf dem Flur, denn Andy musste die Unterhaltung nicht mit anhören, „ich verstehe nicht, warum du meine Hilfe zurückweist!?“

„Das stimmt so nicht. Ich will nur allein zurechtkommen.“

Sie verdrehte die Augen. „Du kannst nicht alles selbst schaffen.“

„Vielleicht nicht, doch werde ich es verdammt noch mal versuchen.“

„Warum?“

„Weil ich es schon immer probiert habe und nicht anders kenne. Seit über zehn Jahren stehe ich auf eigenen Beinen. Ich musste für mich verantwortlich sein und habe viel erlebt und mitgemacht. Und egal, was war … Niemand hat je meine Hand gehalten.“

Dustin tat ihr schrecklich leid. Allerdings schien er sich selbst nicht im Mindesten leidzutun. Jenna wusste, dass er seit Langem kein richtiges Zuhause mehr hatte. Bereits recht bald nach seinem Highschoolabschluss hatten seine Eltern die Ranch verkauft und waren weggezogen. Dustin war im Raum Tucson geblieben, auch wenn er hier keine Angehörigen mehr gehabt hatte.

„Mir ist klar, dass du unabhängig sein möchtest. Das ist auch okay für mich, solange du es nicht übertreibst und dir schadest. Können wir uns darauf einigen?“

Er lächelte. „Ja, das können wir.“

„Gut. Dann wünsche ich dir jetzt eine erholsame Siesta.“

Jenna kehrte zu Andy zurück, der gerade das letzte Sandwich aß. Sie begann in der Küche Ordnung zu machen. Als sie das Geschirr in die Spülmaschine räumte, hörte sie einen lauten Aufprall und Dustin fluchen.

„Bleib hier, Andy“, befahl sie und eilte zum Gästezimmer.

Dustin lag bäuchlings auf dem Boden und war einzig mit weißen Boxershorts bekleidet. Er drehte den Kopf in ihre Richtung und stöhnte im nächsten Moment gepeinigt auf.

„Bist du okay?“ Sie kniete sich neben ihn. „Hast du dir etwas gebrochen?“

„Nein, habe ich nicht. Ich komme mir nur reichlich blöd vor. Ich bin gestolpert.“

„Lass mich dir aufhelfen. Ich wüsste nicht, wie du es allein schaffen solltest.“

„Du kannst mich nicht heben. Ich bin zu schwer. Wenn du den Stuhl vom Tisch herholst und festhältst, kann ich ihn als Aufstehhilfe benutzen.“

Wenig später beobachtete Jenna fasziniert das Spiel seiner beeindruckenden Muskeln, während er sich langsam aufrichtete. Schließlich ließ er sich erschöpft aufs Bett sinken und streckte sich darauf aus.

„Ich decke dich zu.“

„Danke.“

„Vielleicht erlaubst du mir, dir mehr zu helfen, Dustin. Du hättest dich gerade ernsthaft verletzen können.“

„Mir geht es gut.“

„Dickschädel“, erwiderte sie leise, als sie eine Wolldecke aus dem Schrank nahm. Sie breitete sie über seinen viel zu perfekten Körper und sah Dustin dann an. „Bist du jetzt bereit zuzugeben, dass du meine Hilfe brauchst?“

Er lachte auf. „Nein.“

Sie schüttelte den Kopf. „Du sturer … Bullenreiter.“

„Welch ein Lob“, antwortete er mit halb geschlossenen Lidern. „Du bist die Beste, Jenna. Und das meine ich ernst.“

Sie hatte Jahre darauf gewartet, ihn das sagen zu hören. „Schließ jetzt deine Augen, Cowboy. Wir reden später.“

„Ich will unbedingt wissen, was du so getan hast. Ich möchte alles … über dich … erfahren …“

Dustin war eingeschlafen, und Jenna hätte vor Freude jubeln können. Er war vielleicht nicht ihr Mr. Perfect, aber möglicherweise doch ihr Mr. Perfect für den Augenblick.

2. KAPITEL

„Lies Silbe für Silbe, Andy“, forderte Jenna ihn auf. „Du hast das Wort bestimmt schon gehört.“ Zweifellos waren seine Fortschritte in Mathematik deutlich größer als die im Lesen. Das würden sie noch intensiver üben müssen.

„Bal… sam… pap… pel.“

„Das ist ein Baum.“ Dustin stand auf der Türschwelle zur Küche, ohne dass Jenna oder Andy sein Kommen bemerkt hatten.

„Onkel Dustin!“ Der Junge strahlte übers ganze Gesicht. „Hast du gut geschlafen? Tante Jenna hat gesagt, dass es wichtig ist, damit es dir schnell wieder besser geht.“

„Dasselbe hat mir mein Arzt erzählt, Kumpel.“ Lächelnd wandte er sich Jenna zu. „Ich wollte den Unterricht nicht stören.“

„Das hast du nicht“, antwortete Andy. „Darf ich jetzt aufhören, Tante Jenna?“

„Sobald du den Absatz zu Ende gelesen hast.“

Gehorsam beugte er sich wieder über den Text. „Die Balsampappel ist in Nordamerika heimisch. Sie wächst schnell und kann uralt werden.“

Dustin setzte sich zu ihnen an den Tisch. „Die Balsampappel ist ein sehr kräftiger Baum. Wir hatten eine auf unserer Ranch. Mein Vater hat herausgefunden, dass sie dort schon vierhundert Jahre stand – sie war also fast so alt wie dein Dad!“

Andy schüttete sich aus vor Lachen. Als er sich wieder beruhigt hatte, las er noch die restlichen zwei Sätze und klappte das Buch dann zu. „Fertig.“

„Ich habe draußen einen Basketballkorb hängen sehen. Wie wär’s, wenn wir ein paar Körbe werfen, Kumpel?“

„Super.“

„Du musst mir allerdings einen kleinen Punktvorsprung geben.“

„Tu das nicht, Andy. Dein Patenonkel war in der Highschool nicht nur ein erfolgreicher Rodeoreiter, sondern auch ein klasse Basketballspieler und Quarterback.“

Dustin zog die Brauen hoch. „Du erinnerst dich noch so gut daran?“ Das hätte er nicht gedacht.

Warum blickte er sie so seltsam an? „Du warst Toms bester Freund. Er hat ständig von dir geredet. Außerdem bin ich bei den Spielen gewesen.“ Natürlich erinnerte sie sich an ihn. Wieso sollte sie es nicht? Er war immer eine Sportskanone gewesen.

Dustins Augen leuchteten, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht, wie Jenna bemerkte. Ihre Antwort schien ihn zu freuen. Im nächsten Moment zwinkerte er ihr zu, und ihr Mund wurde trocken. Verflixt, sie benahm sich wieder wie ein Schulmädchen und nicht wie eine erwachsene Frau.

„Ich will zehn Punkte Vorsprung“, erklärte Andy.

„Okay, aber keinen Punkt mehr, und schon das ist die reinste Halsabschneiderei“, protestierte Dustin gutmütig, als die zwei nach draußen gingen.

Er würde dem Jungen alles geben, was dieser gern haben wollte, wie Jenna nur zu klar war. Aus Gesprächen mit Tom wusste sie, dass Dustin enorm großzügig war – die Geburtstagsgeschenke bewiesen es aufs Beste. Er erfüllte dem Jungen alle Wünsche, die ein Kind in seinem Alter nur haben konnte. Und wenn es ein Mountainbike sein sollte, dann sollte es eben ein Mountainbike sein.

Sie selbst schenkte Andy zumeist praktische Dinge. Er wuchs so schnell und brauchte deshalb oft neue Kleidung. Außerdem empfand sie sich bisweilen als seine Ersatzmutter. Die ständig unglückliche lethargische Marla dachte immer erst daran, ihm neue Sachen zu kaufen, wenn die Schule bereits begonnen hatte.

„Du wirfst wie ein Mädchen!“, hörte sie Andy draußen rufen, als sie die Soße Bolognese fürs Abendessen zubereitete.

„Ich bin ja auch durch Krücken gehandicapt.“

„Ich möchte zwanzig Punkte Vorsprung. Obwohl du wie ein Mädchen wirfst, triffst du jedes Mal.“

„Kommt nicht infrage, mein Freund. Wir haben uns auf zehn geeinigt.“

„Aber nicht per Handschlag!“

Die Plänkeleien gingen weiter und immer weiter. Schließlich war sie mit dem Kochen fertig und gesellte sich zu den beiden nach draußen.

„Möchtest du mitspielen, Jenna?“, fragte Dustin.

„Ich wollte euch eigentlich nur zuschauen.“

„Lass uns ein Team bilden.“

„Das ist unfair!“, beschwerte sich Andy.

„Auch wenn wir dir zwanzig Punkte Vorsprung geben?“, erkundigte sich Dustin.

„Dreißig.“

„Abgemacht.“ Er warf Jenna den Ball zu, und sie erzielte sogleich einen Korb.

„Anfängerglück“, meinte sie lächelnd. Es konnte nicht anders sein, denn sie besaß kein großartiges Sporttalent.

Und während sie im Lauf des Spiels hin und wieder punktete, begann Dustin seltsamerweise einen Korb nach dem anderen zu verfehlen. Wollte er Andy etwa gewinnen lassen? Wie bezaubernd von ihm.

Offenbar war das Spiel dennoch schweißtreibend, denn Dustin streifte das T-Shirt ab. Geistesabwesend betrachtete Jenna seinen herrlich muskulösen Oberkörper und spürte plötzlich, dass ihr heiß wurde. Auch atmete sie schneller, wie sie im nächsten Moment bemerkte.

Entsetzt über sich selbst wandte sie sich ab. Sie nahm eine der drei Wasserflaschen, die sie mit nach draußen gebracht hatte, und trank zur Beruhigung einen großen Schluck. Ja, jetzt raste ihr Puls nicht mehr ganz so sehr.

„Kurze Pause!“, rief sie und strich sich den Pony aus der Stirn. „Dustin muss sich etwas ausruhen.“ Sie reichte ihm und Andy jeweils eine Wasserflasche.

Dustin lächelte dankbar und ließ sich vorsichtig auf einer Bank nieder. Danach öffnete er die Flasche und setzte sie an die Lippen. Jenna beobachtete, wie er mehrere Schlucke trank, und ihr wurde noch heißer. Rasch sah sie beiseite.

Andy schien ebenfalls durstig zu sein. Nachdem er die Flasche wieder verschlossen und weggestellt hatte, hielt er die Hände trichterförmig an den Mund.

„Auszeit vorbei!“

Dustin stand mit einiger Mühe auf. Als er den Ball bekam, warf er ihn Jenna zu, und die erzielte unverzüglich einen Treffer. Freudig klatschten sie sich ab. Doch dann verschränkte er kurz seine Finger mit ihren, und ein erregender Schauer durchzuckte sie.

Hey, das hat nichts zu bedeuten, redete sie sich ein. Sie hatte einfach überreagiert, denn sie war nicht unbedingt die erfahrenste aller Frauen. In der Highschool war sie ein richtiges Mauerblümchen gewesen, und ihre bisherige Lebensweise hatte ihr wenig Zeit für Verabredungen gelassen.

Deshalb war ihr die Europareise auch so wichtig gewesen. Diese hatte nicht nur ein wohlverdienter Urlaub sein sollen, sondern hätte sie ebenfalls mit Männern zusammengebracht. Für jemanden, der in Kürze dreißig wurde, hatte sie noch nicht viele Freunde gehabt. Sie konnte sie an einer Hand abzählen. Und keine Freundschaft hatte zu einer ernsten Beziehung geführt.

Ihr Lebensplan war es gewesen zu heiraten und dann eine Familie zu gründen, aber viel Zeit oder Chancen hatte sie nicht gerade gehabt, Männer kennenzulernen. Jetzt wohnten Dustin und sie unter einem Dach. Dies war die perfekte Gelegenheit, um herauszufinden, ob sie ihn so sehr mochte, wie sie immer geglaubt hatte. Ich habe in all den vergangenen Jahren so oft an ihn gedacht!

Auch würde sie sich über die blöde Anordnung ihres Bruders hinwegsetzen. Nach dem Tod der Eltern hatte er ihr befohlen, sich von Dustin fernzuhalten. Nun war sie jedoch kein Teenager mehr und alt genug, um selbst zu entscheiden, was sie tun oder lassen sollte.

Sie war zweifellos nicht so erfahren wie er. Doch das konnte sie mithilfe der Zeitschrift in ihrem Koffer bestimmt teilweise kompensieren. Sie hatte das Heft ursprünglich für die Europareise gekauft, und zwar wegen eines auf dem Cover groß angekündigten Artikels: Wie verführt man einen Mann?

Dustin gab vor, dass ihm der Basketball entglitt, sodass ihn Andy zurückerobern konnte. Nicht, dass seine Aufmerksamkeit wirklich dem Spiel galt. Seine Gedanken kreisten um Jenna und die stetig wachsende Anziehungskraft zwischen ihnen beiden.

In der Highschool hatte sie ihn ignoriert. Jetzt begegnete sie ihm erstaunlicherweise ausgesprochen freundlich. Überhaupt hatte sie sich seit damals sehr verändert. Sie wirkte entspannter und insgesamt lockerer. Aber eines war nach wie vor gleich: Sie faszinierte ihn wie eh und je und war doch unerreichbar für ihn.

Dustin bemerkte jede Kleinigkeit – wie ihr blondes Haar in der Sonne glänzte, wie ihr Tanktop bei jedem Wurf etwas hochrutschte und den Blick auf die schmale Taille ermöglichte, wie strahlend sie lächelte.

Angesichts der Wohnsituation auf Toms Ranch würde es eigentlich keine echte Herausforderung sein, sie irgendwann ins Bett zu bekommen. Doch sie war Toms kleine Schwester und damit eindeutig tabu. Jenna und er waren zwar gleichaltrig, aber das spielte keine Rolle. Sie war und würde ewig die kleine Schwester seines besten Freundes sein.

Allerdings hatte er das Versprechen vor langer Zeit gegeben, noch auf der Highschool. Er hatte Tom damals erzählt, dass er sich gern mit Jenna verabreden würde, und dieser hatte es ihm einfach verboten.

„Das tust du nicht. Meine Schwester ist etwas Besonderes. Sie ist nicht einfach bloß ein weiterer kleiner Cheerleader. Lass die Finger von ihr. Versprich es mir!“

Ob sein Freund wohl inzwischen vergessen hatte, was er ihm damals und Jahre später erneut versprochen hatte? Eigentlich musste es so sein, denn sonst hätte er Dustin wohl kaum gebeten, auf die Bar R zu kommen, wenn Jenna ebenfalls dort war. Oder baute Tom darauf, dass er sein Wort weiterhin hielt?

Wenn er sich mit Jenna einließ, würde es das Ende ihrer langen Männerfreundschaft bedeuten. Was er Tom nicht verübeln konnte. Denn Andy und Jenna waren seine einzigen nahen Verwandten.

Und es gab noch einen Grund, warum er sich Toms Missfallen nicht zuziehen sollte – sie beide waren nicht nur Freunde, sondern auch Geschäftspartner. Einige der Bullen und Pferde hier auf der Bar R gehörten ihnen gemeinsam.

Dustin versuchte, sich wieder aufs Basketballspiel zu konzentrieren. Aber er verfehlte den Korb, und dieses Mal war es nicht absichtlich. Jenna lenkte ihn einfach zu sehr ab. Momente später stolperte sie über eine seiner Krücken, fiel gegen ihn und riss ihn mit sich zu Boden.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er, nachdem er sich von dem ersten Schreck erholt hatte. Fürsorglich schob er ihr die Hand unter den Kopf, um ihn vor dem harten Untergrund zu schützen.

„Ich bin okay und komme mir nur ein bisschen tollpatschig vor.“

„Diese Krücken … Es ist meine Schuld gewesen.“ Er blickte ihr in die faszinierenden grünen Augen. Wenn er sich noch ein wenig zu ihr beugte, würde er ihre verlockenden vollen Lippen schmecken können. Es war einfach herrlich, Jenna halb im Arm zu halten.

„Es tut mir entsetzlich leid!“, stieß sie hervor und sprang auf. „Oh, Dustin, habe ich dir denn wehgetan?“

Es war himmlisch gewesen, sie so nah zu spüren. Dafür ertrug er gern den pochenden Schmerz rings um den Knöchel. „Keine Sorge, ich werde es überleben.“

„Es ist heute bereits das zweite Mal, dass du auf dem Boden liegst. Du musst …“

„Mir geht es gut.“ Nein, das stimmte nicht. Einzelne Stellen an seinem Körper brachten ihn fast um – und diese waren nicht eingegipst.

Besorgt sah Jenna ihn an. „Lass mich dir aufhelfen.“

„Wenn du die Krücken richtig festhältst, ziehe ich mich daran hoch.“

Nach vier Versuchen hatte er es endlich geschafft. Er gratulierte Andy zum Sieg und wandte sich in Richtung der Veranda. Schließlich ließ er sich dort in einen der Schaukelstühle sinken.

Ich sollte aufhören, an Jenna zu denken, forderte er sich auf, während er den Blick über das aufgeschnittene Hosenbein schweifen ließ. Warum mache ich mir zur Abwechslung nicht mal Gedanken über meine wenigen Klamotten?

„Jenna, ich werde einen von Toms Männern anheuern, mich nach Tubac zu chauffieren, damit ich mir einige Sachen aus meiner Wohnung holen kann.“

„Ich fahre dich gern hin.“ Sie trank einen Schluck Wasser. „Außerdem wäre der Ausflug für Andy und mich eine nette Abwechslung. Wie wär’s mit morgen Vormittag?“

Dustin seufzte. So viel zum Thema: Versuche bloß, Abstand zu ihr zu halten. Ihr Angebot auszuschlagen wäre sehr unhöflich. „Ich will mich gleich in der Früh zu einer Besprechung mit den Rancharbeitern treffen.“

„Dann könnten wir danach aufbrechen.“

„Ja, das wäre prima. Danke.“

Irgendetwas werde ich mir überlegen, wie ich allein duschen oder baden kann, schwor sich Dustin am nächsten Morgen. Er hatte sich die Haare am Waschbecken gewaschen und mühte sich jetzt mit dem Waschlappen ab. Allem Anschein nach waren Jenna und Andy auch schon auf, denn er konnte sie in der Küche hören.

Als er schließlich das Gästezimmer verließ, stieg ihm der Duft von frischem Kaffee und gebackenen Pfannkuchen in die Nase. Ja, an diese heimelige Atmosphäre könnte er sich gewöhnen – wenn er momentan nicht andere Ziele hätte.

Er wollte schnellstens zum Bullenreiten zurückkehren und Ende Oktober den Weltmeistertitel in Las Vegas erringen. Jetzt war ganz bestimmt nicht die richtige Zeit für einen Flirt, der doch nur zu Problemen führen konnte. Selbst wenn Jenna mit ihrer fast natürlich belassenen Schönheit und schlichten Kleidung attraktiver war als alle aufgetakelten Groupies zusammen.

„Guten Morgen.“

„Dir auch einen guten Morgen.“ Jenna lächelte ihn an. „Wie hast du geschlafen?“

„Besser als üblich. Und hier duftet es vorzüglich.“

Kaum hatte er sich an den Tisch gesetzt, stellte sie schon einen Becher Kaffee vor ihn hin. Anschließend servierte sie ihm Eier und Pfannkuchen. Bin ich etwa gestorben und im Paradies gelandet?

Es wurde ein sehr gemütliches Frühstück. Irgendwann lenkte Jenna die Unterhaltung auf Theodore Roosevelt und dessen Engagement für den Naturschutz. Dustin vermutete, dass Andys nächster Lesetext davon handelte, und war von ihrem pädagogischen Geschick beeindruckt. Sie schien eine enorm fähige Lehrerin zu sein.

Als er merkte, dass seine Gedanken immer weiter um sie kreisten, entschuldigte er sich und verließ die Küche, um mit Toms Männern zu reden. Sie waren allesamt gute Leute, die hart arbeiteten und wussten, was gemacht werden musste. Und so war die Besprechung im Nu vorbei.

Gleich nach seiner Rückkehr ins Haus brachen sie dann nach Tubac auf. Da auf den Straßen nicht viel los war, kamen sie schnell voran. Außerdem hatten sie viel Spaß zusammen, weshalb die Zeit wie im Fluge verging. Sie redeten und lachten, und zweimal sah Dustin zu Jenna hin und stellte dabei fest, dass sie gerade in seine Richtung blickte. Nach einer knappen Stunde parkte sie ihren Wagen vor dem Kunstgewerbeladen, über dem sich sein Apartment zwei Etagen höher befand.

„Würdest du mir bitte die Krücken reichen, Andy? Mal schauen, ob ich die Treppen schaffe“, wandte er sich an den Jungen, der hinten saß.

Jenna seufzte. „Willst du wirklich versuchen, in den zweiten Stock zu gehen? Bist du nicht auch deshalb auf der Bar R, um dir die ganzen Stufen zu ersparen? Du sollst dich doch noch schonen.“

„Aber ich möchte dich nicht schon wieder um Hilfe bitten.“

„Sag mir einfach, was du brauchst, und gib mir deine Schlüssel“, erwiderte sie leicht verärgert.

Dustin verwünschte Cowabunga ein weiteres Mal und fügte sich wohl oder übel. Er schrieb auf, was er benötigte, und erklärte ihr, wo sie es finden würde. „Sobald ich den Gips los bin, führe ich dich groß aus, Jenna.“ Er sah ihr tief in die wunderschönen grünen Augen. „Das meine ich ernst!“

Jenna errötete und lachte. „Versprechungen, nichts als Versprechungen. Ich werde dich beizeiten daran erinnern!“

„Das musst du nicht. Ich werde es nicht vergessen.“ Dustin holte einen kleinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und reichte ihn ihr. „Der Eingang ist auf der Rückseite.“

Jenna machte es nichts aus, in seine Wohnung zu gehen, doch es widerstrebte ihr, in seinen Sachen zu wühlen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie damit in seine Privatsphäre eindrang.

„Möchtest du mitkommen, Andy?“

„Nein, ich bleibe bei Onkel Dustin und lass mir erzählen, wie er Black Pearl geritten hat.“

„Okay.“

Nachdem Jenna das Haus betreten hatte, leerte sie als Erstes Dustins überquellenden Briefkasten. Sie würde ihm die Post ebenfalls mitbringen, auch wenn er nichts davon gesagt hatte. Bestimmt würde er gern einen Blick darauf werfen und hatte ihr nur keinen zusätzlichen Job aufbürden wollen.

Wenig später öffnete sie die Tür zu seinem Apartment. Hier war es so stickig, dass sie im Wohnzimmer nach dem Thermostat für die Klimaanlage suchte und ihn auf Kühlen stellte. Danach sah sie sich kurz um und war überrascht, wie hübsch der Raum gestaltet war.

Hatte Dustin das Zimmer selbst dekoriert, oder war es das Werk einer Freundin? Gibt es in seinem Leben vielleicht jemand Besonderes, fragte sie sich und versteifte sich unwillkürlich.

Hey, das sollte mich nicht kümmern, ermahnte sie sich. Sie wollte doch eigentlich keine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten werden, oder? Energisch wandte sie sich um, legte die Post auf das Garderobenschränkchen und ging nach nebenan ins Schlafzimmer.

Es war aufgeräumt, sauber und etwas konservativ eingerichtet. Auf dem großen Bett lag eine braun karierte Tagesdecke. Und außer den zwei Nachttischen aus massivem dunklem Holz gab es nur noch zwei Kommoden, die aus demselben Material gefertigt waren.

Mit Aquarellfarben kolorierte Tuschezeichnungen zierten die Wände. Sie zeigten Cowboys auf Bullen und Pferden, alte Indianersiedlungen und Landschaften mit den für diese Gegend typischen Armleuchter-Kakteen, den Saguaros. Das Bild von der Missionskirche San Xavier del Bac etwas außerhalb von Tucson faszinierte sie besonders. Es schien bis ins kleinste Detail perfekt.

Der Künstler war zweifellos sehr talentiert. Stand irgendwo ein Name? Nein, sie entdeckte lediglich ein großes M. Wer sich dahinter verbarg, konnte ihr Dustin bestimmt sagen. Der Künstler oder die Künstlerin lebte höchstwahrscheinlich hier in Tubac – auch sie würde gern ein Werk von ihr oder ihm haben.

Jenna blickte auf die Armbanduhr. Sie war inzwischen schon zehn Minuten fort. Eilig holte sie eine Reisetasche aus dem Wandschrank und ergriff auch gleich ein Paar Sneakers und zwei Jeans. Sie nahm einige Shirts, frische Socken sowie saubere Unterwäsche aus den Kommoden und packte alles ein. Danach trug sie die Tasche zur Wohnungstür und legte noch die Post hinein, bevor sie den Reißverschluss zumachte. Zu gut...

Autor

Judy Christenberry
Mehr erfahren
Diana Palmer
<p>Die US-amerikanische Schriftstellerin Diana Palmer ist für ihre zahlreichen romantischen Liebes- und Familienromane bekannt, die seit 1979 veröffentlicht werden. Über 150 Bücher wurden von der erfolgreichen Autorin bisher verfasst, die weltweit gern gelesen werden. Der Roman „Diamond Girl“ wurde 1998 für das US-amerikanische Fernsehen verfilmt. Für ihr Werk erhielt sie...
Mehr erfahren