Historical Herzensbrecher Band 4

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DAS HERZ EINES RITTERS von BRISBIN, TERRI
England im Jahre 1198: Sechs Heiratskandidatinnen warten darauf, von Geoffrey erwählt zu werden. Aber keine von ihnen will der kühne Ritter zum Altar führen. Sein Herz schlägt nur für die schöne Catherine - die allerdings weder adelig noch vermögend ist und als Braut für den künftigen Comte de Langier nicht standesgemäß wäre. Doch für ihre Liebe ist Geoffrey bereit, alles aufs Spiel zu setzen - sogar sein Leben …

VERFÜHRUNG AUF BURG KELLS von LANDON, JULIET
"Nehmt mich und verschont meinen Sohn!" Entschlossen baut sich die aufreizende Lady Ebony vor dem Ritter Sir Alex auf. Gemeinsam mit seinen Plünderern hat er Burg Kells eingenommen - und eine rassige Geliebte wie sie kommt ihm gerade recht. Fortan frönen sie Nacht für Nacht der Leidenschaft und schon bald schlägt Alex‘ Herz nur noch für die schöne Lady. Doch wird er für sie je mehr als ein ruchloser Eroberer sein?


  • Erscheinungstag 15.03.2019
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758745
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Terri Brisbin, Juliet Landon

HISTORICAL HERZENSBRECHER BAND 4

1. KAPITEL

Lincolnshire, England

August 1198

Das Blut von sechs jungen Adelsdamen würde an ihren Händen kleben. Was wäre es für eine sündhafte Freude, jeder von ihnen die Kehle zuzudrücken und sie dadurch zu Tode zu bringen! Wenn diese Gänschen nicht augenblicklich mit den geistlosen Bemerkungen aufhörten, die sie seit einer Stunde von sich gaben, sah Catherine de Severin sich genötigt, sie alle ins Jenseits zu befördern.

Sie zog ein besticktes Tuch aus dem Ärmel und betupfte ihre Stirn. Hitze bekam ihr nicht, und der Tag war nach dem Mittagsmahl heiß geworden. Sie hob das Haar von ihrem schweißbedeckten Nacken und versuchte sich unauffällig Kühlung zu verschaffen, bevor ihre Unpässlichkeit bemerkt wurde.

Zu spät.

„Catherine? Ist Euch nicht wohl?“, fragte leise Emalie Dumont, Countess of Harbridge und ihre Wohltäterin, und beugte sich herüber. Der Flüsterton konnte ihre Besorgnis nicht verbergen.

„Mir geht es gut, Mylady.“

Die Frauen vertrieben sich die Zeit, indem sie dem Earl und einigen seiner Gefolgsleuten beim Üben ihrer Kampfeskunst zusahen. Alle in der Burg wussten, dass der Schwager der Countess auf dem Weg hierher war, um Brautschau zu halten. Unter den jungen Damen herrschte eine aufgeregte Stimmung, denn es wurde erwartet, dass er eine von ihnen zur Gemahlin erwählte. Catherine hörte das empörte Zungenschnalzen, mit dem die kleine Gruppe der weiblichen Zuschauer die Auseinandersetzung der Männer auf dem Burghof kommentierte. Auch Lady Harbridge zeigte sich wenig von dem brutalen Geschehen angetan. Mit angewiderter Miene erhob sie sich und verlangte mit einer Handbewegung, dass die noch sitzenden Damen ihrem Beispiel folgten.

„Ich fürchte, die drückende Hitze heute ist zu viel für mich. Wir wollen einen kühleren Platz finden, wo wir beisammensitzen und ein erquickendes Getränk zu uns nehmen können.“

Den Anordnungen der Countess und Herrin dieser Burg hatte sich niemand zu widersetzen. Nicht aufzustehen wäre ein grobes Fehlverhalten gewesen. Catherine nahm ihr Tuch und erhob sich von ihrem Platz. Bevor die Burgherrin mit ihrem kleinen Gefolge den Hof verlassen konnte, schallte eine tiefe Stimme zu ihnen herüber.

„Mylady?“

Catherine verfolgte mit dem Blick, wie die Countess zur Absperrung schritt und ruhig mit ihrem Gemahl sprach. Immer, wenn sie im Gesicht des Earls diesen weichen Ausdruck der Liebe sah, gelang es ihr, weniger Hass für ihn zu empfinden, als er, wie sie sicher wusste, für sie fühlte. Ein Mann, der seine Frau liebte, wie es der Earl of Harbridge tat, konnte als Mensch nicht vollkommen schlecht sein. Dann sah Christian Dumont im Gespräch mit seiner Gemahlin auf, und in seinem Blick war wieder diese Kälte. Catherine wusste, Lady Harbridge hatte ihren Namen erwähnt.

Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Erneut glitt sein Blick über sie hinweg. Sie fühlte ein wachsendes Unbehagen. Wie sehr hatte sie darum gebetet, ihr Schicksal annehmen und verstehen zu können. Sie hatte Gott gebeten, dass er sie mit Dankbarkeit gegenüber dem Earl und seiner Großzügigkeit erfülle. Aber alles Bemühen war vergebens gewesen.

Ihre Schwächen und Ängste drohten sie immer wieder zu überwältigen. So viel Kraft sie auch aus dem durch langes Üben gewonnenen Vorrat an innerer Gelassenheit und Ruhe schöpfte, blieb sie doch gegenüber Fremden furchtsam und befangen. Sie fühlte sich gehemmt und unfähig, heiter und freimütig im höfischen Ton zu plaudern, also hielt sie sich ständig im Hintergrund. Ihr niedriger gesellschaftlicher Rang war für die Besucherinnen auf entsetzliche Weise offensichtlich. Ebenso der Umstand, dass sie allein war, ohne die für eine junge Frau im heiratsfähigen Alter so wichtige Unterstützung durch eine Familie.

Für einen Augenblick wurde der Drang nach einer Heimkehr ins Kloster beinahe übermächtig, am liebsten wäre sie augenblicklich dorthin zurück geflohen. Sie machte einen tiefen Atemzug und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Ihr die Hand entgegenstreckend, näherte sich die Countess. Catherine nahm die Hand und trat neben die Frau, die ihr alles gab, was sie selbst nicht besaß, und die dabei niemals Forderungen stellte.

„Mylord hat den Vorschlag gemacht, dass ich meine Gemächer aufsuche und bis zur Abendmahlzeit dort ruhe. Catherine, möchtet Ihr mich begleiten und Euer Gebetbuch mitbringen?“ Alle Anwesenden wussten, dass der Burgherr seine Gemahlin in ihre Gemächer befohlen hatte. Sobald Lady Harbridge den Kreis der Damen verlassen hatte, würde das Gerede beginnen.

„Natürlich, Mylady.“

„Ich fürchte, dieses Kind macht mich empfindlich gegen die Hitze. Mylord sorgt sich und möchte nicht, dass ich bei diesem Wetter zu lange im Freien bin.“ Ihr Flüstern war laut genug, um von allen Umstehenden gehört zu werden.

Catherine wusste genau, welche Absicht die Countess verfolgte. Gern hätte sie ihren Rocksaum geküsst, um dafür zu danken. Doch dadurch würde die Wohltat, die sie ihr erwies, an Wirkung verlieren. Durch ihren Hinweis, wieder guter Hoffnung zu sein und einen weiteren Erben für ihren Gemahl zu erwarten, lenkte Lady Harbridge die Aufmerksamkeit auf sich selbst.

Die Gruppe im Hintergrund verfiel in Schweigen. Catherine hingegen konnte die unausgesprochenen neugierigen Fragen und Gedanken beinahe hören. In etwas mehr als drei Ehejahren würde dies die dritte Niederkunft der Countess sein. Catherine wusste, alle diese jungen Frauen, die in der Hoffnung hergekommen waren, vom Bruder des Earls ausgewählt zu werden, fragten sich nun, ob der junge Dumont gleichermaßen fordernd war, wenn es um den Vollzug der Ehe ging. Und ob sie ähnlich fruchtbar sein würden.

Sie kamen zum Wohnbau. Catherine wurde von der Countess beiseitegenommen, während die anderen Damen die Große Halle betraten. Lady Harbridge, die vollkommene Gastgeberin, verfügte über genügend Dienstboten, die nur darauf warteten, ihre Gäste mit allem zu versorgen, was diese wünschten.

Catherine folgte der Countess die Stufen in einem der Türme hinauf. Sie erreichten die Gemächer des Earls und seiner Gemahlin. Aber die Countess ging weiter. Sie führte Catherine durch eine Tür und weiter nach oben, über noch eine Treppe, bis sie bei den Zinnen ins Freie kamen. Sie waren auf der Mauer angelangt, die den gesamten Burgbezirk umschloss. Von hier aus konnte Catherine das Land sehen, das zu Greystone Castle gehörte. Nach Osten ging der Blick fast bis zum Meer. Mit geschlossenen Augen und das Gesicht der kräftigen Brise zugewandt, die ihnen entgegenwehte, stand die Countess an ihrer Seite.

„Könnte ich meine Tage hier oben im Wind verbringen, liebe Catherine, ich würde nicht zögern, es zu tun.“

„Ja, Mylady. Hier oben ist die Luft angenehmer als unten auf dem heißen stickigen Burghof.“ Catherine erinnerte sich an das Gerede über die viele Zeit, die die Harbridges hier oben auf den Wehrgängen verbringen würden, und eine heiße Röte überzog ihre Wangen. Unter den Burgbewohnern, die ihre Zeit mit solchen Geschichten vertaten, erzählte man sich sogar, das Kind, das die Countess erwartete, sei während einer stürmischen Frühlingsnacht auf diesen Mauern gezeugt worden.

„Sie können grausam sein, Catherine. Ich rate Euch dringend, nehmt Euch nicht zu Herzen, wie sie reden.“

„Ja, Mylady.“ Was sonst konnte sie sagen?

„Geoffrey sollte heute gegen Abend eintreffen. Wie immer wird er erfreut sein, Euch zu sehen.“

„Ich freue mich auch, ihn wiederzusehen, Mylady.“

Lady Harbridge schenkte ihr einen merkwürdigen Blick und tätschelte dann ihre Hand. „Catherine, Ihr könnt Euch diesen Tag nach Belieben vertreiben. Ich werde nun tatsächlich meine Gemächer aufsuchen.“

„Wie Ihr wünscht, Mylady.“

„Dieses Kind macht mich müde und hungrig zugleich, und ich kämpfe mit mir, welchem Bedürfnis ich zuerst nachgeben soll“, sagte die Countess. Catherine versuchte noch immer zu ergründen, was der Blick von Lady Harbridge zu bedeuten hatte, als diese fortfuhr: „Wollt Ihr Alice für mich suchen und sie mit Speisen und Getränken zu mir schicken?“ Catherine nickte. „Eine Woche lang die Gesellschaft dieser hohlköpfigen Gänse und ihrer Mütter zu ertragen“, sprach die Countess weiter, „wird eine schwere Prüfung werden. Daher ruht auch Ihr Euch aus und bereitet Euch vor.“

Catherine lachte mit der Countess über die Bemerkung. Emalie Dumont sprach genau das aus, was sie über die Besucherinnen dachte. Catherine knickste und wollte gehen. Aber die Countess war noch nicht fertig. Sie hatte etwas zu sagen.

„Geoffrey wird sich freuen, Euch hier zu sehen.“

Geoffrey wird sich freuen, Euch hier zu sehen.

Die Worte der Countess wirbelten in ihrem Kopf durcheinander, als Catherine in der kühlen Stille der aus Stein erbauten Kapelle saß. Innerhalb von Greystone Castle war dieser Ort ihre sichere Zuflucht. Nur wenige Burgbewohner pflegten eine besondere Verbindung zu den himmlischen Dingen. Meist hatte sie den ruhigen Raum für sich allein. Sogar Pater Elwood war im Augenblick nicht da.

Catherine zog sich ihren Umhang fester um die Schultern und begann im hinteren Kirchenschiff auf und ab zu gehen. Sie hatte die Ehe nie als denkbare Möglichkeit für ihr zukünftiges Leben betrachtet. Aber für Geoffrey war sie eine zwingende Notwendigkeit. Sowohl in England als auch auf der anderen Seite des Kanals, im Poitou und in Anjou, standen er und sein Bruder vor der Aufgabe, ihre zahlreichen Ländereien und die damit verbundenen Adelstitel zu sichern.

Catherine wusste, dass der König von Frankreich sein Hoheitsgebiet zu erweitern suchte und dabei das Reich der Plantagenets bedrängte. Den Besitzungen der Dumonts kam durch ihre Lage in Grenzgebieten bei diesem Machtkampf eine wichtige Bedeutung zu. Nur durch die Ehe mit einer geeigneten Braut aus dem Hochadel und die Geburt eines Erben würden sich die Spannungen mildern lassen. Der gegenwärtige Earl hatte beide Aufgaben bereits angemessen erfüllt. Die Tatsache, dass Geoffrey auf dem Kontinent alle Besitzungen und Titel des Earls erben sollte, war nur wenigen bekannt.

Catherine hatte während ihrer Aufenthalte in Greystone von diesen ungewöhnlichen Vereinbarungen zwischen den Dumont-Brüdern und König Richard gehört und auch im Kloster einiges darüber erfahren. Gewöhnlich konnte ein zweitgeborener Sohn nicht erwarten, dass er Liegenschaften und Familientitel erhielt. Geoffrey war eine Ausnahme. Bei seiner Eheschließung – für die er die Zustimmung seines Bruders benötigte – würde er die Oberherrschaft über Château d’Azure und alle umliegenden Gebiete erhalten. Und er würde zum Comte de Langier ernannt.

Wären diesen „hohlköpfigen Gänsen“, wie die Countess sie nannte, sein tatsächlicher Wert bekannt, hätten sie ihm schon länger nachgestellt. Aber der Earl bewahrte Stillschweigen über diese Abmachungen; und er hatte auch Geoffrey dazu verpflichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt. Catherine wartete sehnsüchtig auf Geoffreys Ankunft, damit sie endlich die Gelegenheit bekam, mit ihm zu sprechen, und herausfinden konnte, welche Ereignisse eine Eheschließung plötzlich notwendig gemacht hatten.

Geoffrey. Ihr bester Freund. Der in Kürze ein verheirateter Mann war. Beinahe ein Jahr lang waren sie sich nicht begegnet. Allerdings hatte Geoffrey ihr regelmäßig geschrieben und in seinen Briefen über den Fortschritt der Arbeiten berichtet, die er auf den zahlreichen Gütern der Dumonts beaufsichtigte. Als Catherine ihn zum letzten Mal gesehen hatte, wirkte er auf erschreckende Weise gereift. Wie stattlich und hochgewachsen er mittlerweile sein würde, konnte sie nur ahnen.

Sie holte tief Luft und mühte sich, die unabänderliche Wahrheit anzuerkennen. Ihr Herz wurde schwer. Sie wusste, bei diesem Aufenthalt sah sie ihn zum letzten Mal. Sobald seine Vermählung beschlossen war, würde sie sich auf die Gelübde vorbereiten.

2. KAPITEL

Die kleine Reitergruppe erreichte den Hügelkamm. Geoffrey befahl zu halten. Dies war sein Lieblingsplatz, um Rast zu machen und auf Greystone Castle zu blicken, wie es inmitten aus seinen Ländereien emporragte. Der Hochsommer lag über England. Felder, Wiesen und Wälder standen in voller Pracht. Geoffrey nahm seinen Helm ab und genoss den Anblick, wohl wissend, dass er die Gelegenheit dazu für viele Monate zum letzten Mal haben würde.

„Eure Ländereien sind nicht weniger reich, Mylord.“

Geoffrey wandte sich um und sah den Sprecher an. Er bemerkte den selbstgewissen Ausdruck im Gesicht des Mannes. War sein Freund Albert nicht nur der zukünftige Verwalter seiner Besitztümer, sondern las er jetzt auch seine Gedanken?

Oui, Albert. Das sind sie wohl. Oder sollen wir sagen, sie werden es sein, sobald sie in meinen Besitz übergegangen sind?“

Albert nickte und bediente ihn mit Speisen und Getränken. Geoffrey wusste, der erbliche Adelstitel und viele Liegenschaften der Dumonts würden ihm gehören, sobald er seine Angelegenheiten in Greystone erledigt hatte. Noch immer unsicher, ob er tatsächlich glauben durfte, dass ein nachgeborener Sohn zu dieser Höhe aufsteigen konnte, schüttelte er den Kopf. Andererseits war in den vergangenen vier Jahren nichts so gekommen, wie es der normale Lauf der Dinge hätte erwarten lassen.

„Noch eine Aufgabe, die vor Euch liegt, Mylord. Und die Erfüllung wird nicht allzu abscheulich sein, oder?“

Geoffrey lächelte gequält. Ein Hindernis stand zwischen ihm und allen Gütern, die er erringen sollte. Seine Heirat. Es würde eine Ehe sein, die er mit dem Einverständnis seines Bruders einging. Nach der Vermählung würde er Herr über alle versprochenen Reichtümer sein.

„Nicht allzu abscheulich, Albert. Und eine Notwendigkeit.“

„Ich bin sicher, Euer Bruder wird Euch helfen, eine kluge Wahl zu treffen.“

Der leicht anzügliche Seitenblick, mit dem Albert ihn bedachte, gab den Worten eine wenig beruhigende Bedeutung. Was seine Liebschaften mit Frauen anging, hier in England und in seiner Heimat auf dem Kontinent, war Geoffreys bewegte Vergangenheit wohlbekannt. Sein Bruder würde versuchen, eine Braut für ihn zu finden, die ihm nicht nur an Titeln und Landbesitz ebenbürtig war, sondern auch Geist und Temperament besaß. Zumindest war das zu hoffen.

„Dann lasst uns weiterreiten, auf dass ich mich in mein Schicksal ergebe, bevor mir der Mut abhandenkommt.“

In heiterer Stimmung gaben die Männer ihren Reittieren die Sporen und galoppierten die Hügel entlang. Sie folgten ihrem Anführer durch die Toranlagen von Greystone und die Stufen hinauf zur Wohnburg. Die Nachricht ihrer Ankunft hatte sich schon verbreitet. Oben auf der Außentreppe stand sein Bruder und erwartete ihn.

„Mylord!“, rief Geoffrey, saß ab und sprang die Stufen hinauf.

„Bruder!“, antwortete Christian und hieß ihn mit ausgebreiteten Armen willkommen.

Auf ihre gewohnt raue Art begrüßten sie sich stürmisch. Geoffrey spürte sofort, dass die Zuneigung zwischen ihnen nicht nachgelassen hatte. Erst, als sie die sanfte, aber nachdrückliche Stimme der Countess hörten, lösten sie sich voneinander.

„Geoffrey! Wie schön, Euch wieder einmal bei uns zu haben“, rief sie. Seine Schwägerin wirkte noch kleiner und zierlicher, als er sie in Erinnerung hatte, aber sie war eine beeindruckende Erscheinung. „Und Ihr seid noch mehr gewachsen, seit ich Euch zum letzten Mal sah.“ Sich über Rang und Etikette hinwegsetzend, schlang sie die Arme um ihn. Ihre Wiedersehensfreude erwärmte sein Herz.

„Countess, Ihr seht wohl und gesund aus.“ Er erwiderte die Umarmung und machte einen Schritt zurück. Ihre Schwangerschaft war ihm bekannt. Aber er wusste nicht, ob die Nachricht schon offen unter den Burgbewohnern verbreitet war. Er würde einen ungestörten Augenblick abwarten und dann die beiden zu dem bevorstehenden freudigen Ereignis beglückwünschen.

„Als Eure Ankunft sich verzögerte, dachte ich bereits, Euch hätte der Mut verlassen und Ihr sähet Euch außerstande, die bevorstehende Aufgabe zu meistern“, erklärte Christian. Geoffrey lachte. Sein Bruder ahnte nicht, wie nah er mit dieser Bemerkung der Wahrheit kam.

„Und zum Versager werden, damit Ihr auf meine Kosten lachen könnt? Nein, ich enttäusche Euch nicht, nach den Mühen, die Ihr und Emalie um meinetwillen auf Euch genommen habt.“

„Dann kommt hinein. Erfrischt Euch und teilt mit uns das Mahl. Eure Aufgabe hat noch Zeit“, sagte Emalie und zog ihn durch das Tor der Wohnburg.

Geoffrey verharrte einen Augenblick, um sich zu vergewissern, ob jene Person auch anwesend war, die er außer der Familie vermisst hatte. Er warf einen Blick über den Burghof, konnte sie aber nicht entdecken. Da er keinen unaufmerksamen Eindruck erwecken wollte, wandte er sich wieder Emalie und Christian zu und betrat mit ihnen die Burg.

Geoffrey spürte, dass er seit seinem letzten Besuch deutlich erwachsener geworden war. Er betrachtete die Große Halle mit neuen Augen. In den Gesichtern der Dienstboten konnte er ihre Überraschung sehen, als sie ihn erkannten. Während er durch die Halle nach vorn zur Estrade schritt, begleiteten Blicke seinen Weg, die Wohlwollen und unverhüllte Bewunderung ausdrückten. Er schenkte einigen der Anwesenden ein Lächeln. Es drückte ehrliche Zuneigung aus. Diese Menschen hatten ihn begleitet, als er in den vergangenen Jahren hier heranwuchs. Ihm begegneten auch einladende Blicke von mehreren Mägden, die bei seiner Entwicklung vom Jüngling zum Mann nicht unbeteiligt gewesen waren. So verführerisch sie ihn auch ansahen, er durfte diesen Besuch nicht nutzen, um seine Leidenschaften auszuleben. Nicht, wenn innerhalb der Burgmauern sechs Ehekandidatinnen mit ihren Müttern darauf warteten, dass er seine Brautwahl traf.

Zwar wurde von einer Ehefrau erwartet, dass sie sich im Bett willig zeigte. Und wenn ihr Gemahl auch außerehelich nach Befriedigung seiner Bedürfnisse strebte, hatte sie das stumm zu ertragen. Aber Geoffrey hatte nicht die Absicht, vor einer Schar unberührter Mädchen mit früheren Liebschaften aufzufallen. Sein Bruder betonte oft, Verschwiegenheit sei der höchste Wert, der einen Ritter und Ehrenmann auszeichne.

Doch mit jedem schweifenden Blick durch die Halle wuchs Geoffreys Enttäuschung. In ihren Briefen hatte Catherine versprochen, dass sie hier sein würde. Nun sah er sie nirgends. Dabei waren die Gespräche mit ihr sein größtes Vergnügen. Vor allem während dieses Aufenthaltes in Greystone, bei dem er zu einer Entscheidung kommen musste, brauchte er sie. Catherine sollte ihm helfen, mit ihrer ruhigen Klugheit und ihrem sanften Wesen. Er fragte sich, wie sie die Nachricht seiner bevorstehenden Vermählung wohl aufgenommen haben mochte. Catherine war vernünftig genug, um zu verstehen, dass die Wege, die vor ihnen lagen, in verschiedene Richtungen führten; zumindest an unterschiedliche Orte. Christian hatte ihm von der Mitgift berichtet, die für sie bereitlag. Sie würde also heiraten können. Geoffrey wusste, wie entschlossen sie dem Schicksal gegenübertrat. Zweifellos würde Catherine rasch einen angemessenen Gemahl finden, und mit weniger Aufwand, als bei seiner Brautwahl betrieben wurde.

Er erreichte seinen Platz an der erhöhten Tafel, ohne Catherine unter den in der Halle versammelten Menschen entdeckt zu haben. Tief ein- und ausatmend sammelte Geoffrey seine Kräfte. Er würde sie brauchen, falls das ausgelassene Lachen von Emalie, das er eben gehört hatte, ein Vorzeichen war. Der Abend schien aufregend zu werden.

„Seid Ihr nach dem Ritt genügend erholt, sodass wir beginnen können?“, fragte sein Bruder und gab dem Gesinde ein Zeichen, die Speisen und Getränke aufzutragen.

„Bei aller Ehrerbietung, die ich der Countess für ihre Bemühungen schulde, fürchte ich, dass ich niemals ausreichend erholt sein werde, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein.“ Geoffrey lächelte Christian bitter an. Aber er wusste auch, hinter allem, was Christian tat, stand die ehrliche Sorge um das Wohl seines jüngeren Bruders. Nachdem Geoffrey sich an den gereichten Speisen bedient hatte, wischte er sich mit dem Leinentuch, das den Tisch bedeckte, die Finger ab. Seine Gedanken gingen zu dem Teil des Abends, der nun folgen würde. Das schmackhafte Mahl, das er eben gegessen hatte, wurde zur schweren Last in seinem Magen.

Er musste sich als vollendeter Edelmann zeigen und seine Brautwahl treffen. Vor ihm saßen die vornehmsten Familien aus England, Frankreich und den Gebieten der Plantagenets. Und alle, Eltern und Töchter, sahen ihn erwartungsvoll an. Manche Blicke zeigten einen unverhüllt hungrigen Ausdruck, und es war kein Hunger, der mit Essen zu stillen wäre …

„Meine Gemahlin Emalie hat sich überlegt, dass wir gewissen Regeln folgen sollten. Denn es wäre beschämend, wenn gleich zu Beginn Eurer Brautbeschau die Würde der Beteiligten oder die Rücksicht auf den Stand zu kurz käme.“ Christian lächelte. Doch in seinem Blick lag eine beunruhigende Selbstgefälligkeit.

„Gewiss, Mylord. Ich teile diese Ansicht“, versicherte Geoffrey mit einer Stimme, die vor Sarkasmus troff. „Wer ist der Ranghöchste unter Euren Gästen?“

Christian glitt mit dem Blick über die anwesenden Gäste. Dann nickte er. „Der Duke dort.“

„Seid Ihr zufrieden, wenn ich mich für heute Abend diesen Herrschaften widme, Mylady?“ Geoffrey sah zu Emalie, die besorgt aussah.

„Ja. Unsere Gäste sind eine ganze Woche bei uns. In solch wichtigen Dingen sollte man niemals überstürzt handeln.“ Ihr Stirnrunzeln wurde noch ausgeprägter. „Für den morgigen Tag habe ich verschiedene Lustbarkeiten vorgesehen, bei denen Ihr, lieber Schwager, Eure Geschicklichkeit und Eure Talente beweisen könnt.“

Geoffrey verschluckte sich an seinem Wein. Christians herzhaftes Schulterklopfen half kaum, ihm wieder Luft zu verschaffen. Sicher irrte er nicht, wenn er glaubte, dass sein Bruder und seine Schwägerin an andere Dinge dachten, wenn sie auf seine Geschicklichkeit und seine Talente anspielten?

„Ein Tanzvergnügen, Mylord.“ Emalie schenkte beiden Brüdern einen scharfen Blick. Christian zeigte eine noch zerknirschtere Miene als Geoffrey. „Und eine Jagd. Beides sind Tätigkeiten, die einen ganzen Mann erfordern.“

„Natürlich, Mylady. Ich dachte nur, Ihr meintet …“, begann er in neckischem Ton. „Ich weiß, was Ihr dachtet, Geoffrey. Diese Tätigkeiten sind für mich von keinerlei Bedeutung.“

„Emalie“, flüsterte Christian leise, damit niemand außer ihnen hörte, dass er sie vertraulich mit ihrem Namen ansprach. „Ich glaube, diese Tätigkeiten bedeuten dir in Wahrheit sehr viel.“

Geoffrey sah, wie sich Röte auf ihren Wangen ausbreitete, und er beobachtete, dass der Earl und die Countess ihren Wortwechsel noch fortsetzten. Emalie fächelte sich Kühlung zu, als wäre es plötzlich heiß in der Halle geworden. Dann lehnte sie sich zurück und trank einen Schluck aus ihrem Becher. Mit einem angedeuteten Kopfnicken gab sie mehreren Musikanten das Zeichen, sich neben der Estrade, auf der sie saßen, zu versammeln. Nun würde die Brautbeschau beginnen.

Geoffrey erhob sich, nachdem zuerst sein Bruder aufgestanden war. Der Earl bot der Countess den Arm. Seite an Seite schritten sie die Stufen hinunter. Geoffrey ging hinter ihnen. An einem der ersten Tische unterhalb der Empore blieben sie stehen. Ein älteres Paar erhob sich und begrüßte die Gastgeber. Die hübsche junge Frau blieb sitzen. Geoffrey konnte nicht viel von ihr erkennen, nur einen Teil des Gesichts und ihre Schultern. Allem Anschein nach zitterte sie. Sie hatte doch keine Angst vor ihm?

„Mylord, Mylady“, begann Christian. „Darf ich mir erlauben, Euch meinen Bruder Geoffrey vorzustellen?“

Geoffrey kannte seine Rolle und begrüßte den Duke und seine Gattin mit einer Verbeugung. Dann verneigte er sich lächelnd vor der Tochter, deren schon blasses Gesicht bleich wie ein Laken wurde. Kein vielversprechender Anfang. „Wollt Ihr mir die Ehre erweisen und mit mir tanzen?“ Er hatte das undeutliche Gefühl, dass sie ablehnen wollte. Aber ihr Vater schritt ein.

„Melissande. Du nimmst seine Einladung an.“

Sie erhob sich von der Bank, ein Muster an weiblicher Schönheit. Während sie anmutig voranschritt und sich einreihte zum Tanz, flutete bei jeder ihrer Bewegungen ihr langes Haar in Wellen über den Rücken. Geoffrey trug eine blaue und sandfarbene Tunika mit farblich passenden Beinkleidern. Auch ihr Kleid war sandfarben und blau. Sogar bei der Farbe ihrer Haare und ihrer Augen herrschte Übereinstimmung. Was die äußere Erscheinung anging, schienen sie ein gutes Paar zu sein. Zumindest würde er mit der hübschen Melissande keine schlechte Wahl treffen.

Während sie die Tanzfiguren ausführten, versuchte Geoffrey, ihren Blick einzufangen. Doch sie hielt die Augen ständig zu Boden gesenkt. Als er sie ansprach und sie in eine höfliche Unterhaltung zu verwickeln suchte, sah sie zur Seite, als hätte er kein Wort gesagt. Schließlich gab er auf. Er war sich der Belastung bewusst, unter der sie beide standen, und er konnte sich vorstellen, dass dieses arme Mädchen einfach überfordert war.

Sie beendeten den Tanz. Er führte Melissande zurück an den Tisch, wo sie von ihren Eltern und seinem Bruder erwartet wurden. Nachdem diese erste Probe hinter ihm lag, würden die folgenden Begegnungen einfacher verlaufen, hoffte er. Vielleicht waren die anderen Brautbewerberinnen weniger angespannt, nachdem diese Vorstellung ohne Zwischenfälle verlaufen war.

Geoffrey hatte beschlossen, besonders galant zu sein, als er sich nach dem Tanz von Melissande verabschiedete. Er fing ihren Blick auf und legte in den Ausdruck seiner Augen alle Wärme und Zuneigung, die er aufbringen konnte. Lady Melissandes Gesicht lief rot an, ihre Augen rollten nach oben, und mit einem dumpfen Geräusch sank sie vor ihm zu Boden. Dies war nicht die gewohnte Art, mit der junge Damen auf seinen männlichen Charme antworteten.

Was folgte, war Verwirrung. Der Duke und der Earl riefen Befehle an die Dienstboten, während die anderen Edelfräulein aufgeregt durcheinander redeten. Geoffrey hatte nur noch den Wunsch, die Große Halle so schnell wie möglich zu verlassen. Als er den Raum nach einem Fluchtweg absuchte, entdeckte er sie endlich.

Wie immer war Catherine darauf bedacht, dass sie mit dem Hintergrund verschmolz. Ihr Gewand war schlicht und zweckmäßig, kaum feiner gearbeitet als die Kleidung, die von den Mägden seines Bruders getragen wurden. Sie stand gegen eine Wand gelehnt, unmittelbar vor einem der Durchgänge, die zu den Treppen führten. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Dann trat sie zurück und verschwand aus seinem Sichtfeld. Sie würde Abstand zu ihm wahren, solange er Zeit mit seiner Familie verbrachte. Aus früheren Erfahrungen wusste Geoffrey, dass Catherine sich sofort zurückzog, wenn sein Bruder nach seiner Anwesenheit verlangte. Sie ordnete ihre Wünsche grundsätzlich seinen Bedürfnissen unter.

Auch dafür liebte er sie.

Wie ein Donnerschlag durchfuhr ihn der Gedanke. Für einen Augenblick wurde ihm schwindlig, und er konnte nichts mehr sehen. Die Kraft und die Klarheit der Erkenntnis überwältigten ihn. Er liebte Catherine.

„Ist Euch ebenfalls unwohl?“, fragte die Duchess und tippte an seine Schulter. „Vielleicht war der Braten verdorben?“

Geoffrey schüttelte sich, um wieder zu sich zu kommen. „Nein, mir geht es gut. Ich bin nur besorgt um das Wohl unseres Gastes.“ Er sah zu der Menschenansammlung neben der noch immer reglos am Boden liegenden Lady Melissande.

Er hörte, wie seine Schwägerin verlangte, dass Platz gemacht wurde, und trat mit den anderen Umstehenden einige Schritte zurück. Auf dem Schlachtfeld konnte er kühl und besonnen bleiben. Beim Anblick einer Frau, die weinte oder in Ohnmacht fiel, versagte seine männliche Überlegenheit. Es war besser, wenn sich die Countess dieser Sache annahm. Und sie handelte. Sie beugte sich zu Melissande herunter und redete leise auf sie ein. Einen Augenblick später standen Emalie und Melissande wieder aufrecht.

„Ich fürchte, mein Magen war etwas verstimmt. Ich konnte heute noch nicht genug zu mir nehmen“, flüsterte Melissande schwach.

„Und dazu die Anstrengung des Tanzes, das war zu viel für Lady Melissande. Sie muss sich nur ausruhen und einige Happen essen. Dann wird sie bald wieder bei Kräften sein.“

Emalie tätschelte die Hand des Mädchens und übergab Melissande der Fürsorge ihrer Mutter. Die Duchess wirkte wenig erfreut, dass ihre Tochter für diesen Abend ihren Platz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit verlieren würde.

Geoffrey versuchte, die Lage zu entspannen. Er hegte die Befürchtung, das Mädchen könnte für den Ohnmachtsanfall bestraft werden. Der Duke und die Duchess hatten die weite Reise nach Greystone unternommen, weil sie sich eine Verbindung zwischen ihm und Melissande erhofften. Sollte sie seine Gunst nicht gewinnen, ließen die Eltern das Mädchen vielleicht für den Misserfolg büßen. Menschen konnten sehr ungerecht sein.

„Mylady?“ Er lächelte und wartete auf Melissande, dass sie den Kopf hob und ihn ansah. „Wollt Ihr morgen mit mir das Frühstück einnehmen? Ich verspreche auch, dass um diese Stunde nicht getanzt wird!“

Er hatte das Richtige gesagt. Ihre Stirnfalten glätteten sich und Melissande beantwortete seine Einladung mit einem zitternden Lächeln. Er konnte nicht versprechen, dass sie die Braut seiner Wahl sein würde. Aber zumindest sollte sie Gelegenheit bekommen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Melissande knickste vor Geoffrey und den Umstehenden. „Mylord, es wird mir ein Vergnügen sein, mit Euch zu speisen.“

„Dann bis morgen.“ Geoffrey nickte und verfolgte, wie die junge Dame, ihre Eltern und mehrere Bedienstete aus der Halle gingen. Er spürte Christian und Emalie neben sich und wartete auf ihr Urteil.

„Zu verängstigt für meinen Geschmack“, sagte sein Bruder leise.

„Aber sie ist nett“, fügte Emalie hinzu.

„Warten wir ab, was der kommende Morgen bringt“, schlug Geoffrey vor. „Nun, Mylady. Ist noch eine Jungfrau, die Ihr mir opfern könnt, bevor dieser festliche Abend zu Ende geht?“

Er wusste nicht, ob er sie mit dieser Frage gekränkt hatte. Das leichte Zucken ihrer Mundwinkel verriet eher Belustigung.

„Kommt mit, Geoffrey. Wir wollen Euch nun Lady Marguerite vorstellen. Ihr Vater ist zwar nur ein Baron, aber er steht in hohem Ansehen, und sein Vermögen ist beträchtlich. Ich sehe keine Gefahr, dass Eure zukünftige Würde oder die Eures wichtigtuerischen Bruders durch eine Verbindung mit seiner Tochter verletzt werden könnten.“

Christian schnaubte. Geoffrey musste sich anstrengen, nicht das Gleiche zu tun. Emalie hatte seit der ersten Begegnung über Christians Hochmut geklagt. Es war offenkundig, dass sie deswegen noch immer mit ihm im Streit lag.

„Geht Ihr voran, Mylady. Wir wollen keine kostbare Zeit vergeuden.“

3. KAPITEL

Mondlicht strömte durch das winzige Fenster hoch in der Wand und erhellte die Mauernische. Von diesem Zufluchtsort zwischen Hintertreppe und Küche wusste fast niemand in der Burg. Aber Catherine suchte das kleine Gelass gern auf, wenn sie im Verlauf eines geschäftigen Tages für wenige Augenblicke allein sein wollte. Hier traf sie sich auch mit Geoffrey zum Gedankenaustausch, wenn sie beide zur gleichen Zeit in Greystone weilten. Geoffrey erzählte von seinem Leben, und sie sprach von ihrem, das so ganz anders war.

Sie musste sich an die Vorstellung gewöhnen, dass ihre Welten noch viel unterschiedlicher sein würden, sobald diese Woche zu Ende war. Catherine würde ein neues Leben beginnen, allein. Er würde in seiner Welt bleiben, mit einer Gemahlin an seiner Seite. Catherine seufzte. Sie wünschte sich so viele Dinge, die sie nicht haben konnte. Zu viele Dinge, die ihr nicht zustanden. Einen Mann, der niemals ihr gehören konnte.

Ihr Blick ging hinauf zu dem einfallenden Lichtstrahl und den darin wirbelnden Staubkörnern, und sie erlaubte sich einen Traum. Sie sah sich mit Geoffrey. Er tanzte mit ihr, wie er es mit den ersten beiden Brautbewerberinnen getan hatte. Vom Durchgang aus hatte sie ihn mit den jungen Frauen beobachtet. Von beiden Tänzen kannte sie die Schrittfolgen, aber sie war noch nie von einem Mann aufgefordert worden. Geoffrey wirkte sehr gereift seit ihrer letzten Begegnung. Er war gewachsen, sein blondes Haar trug er länger, und er hatte breite Schultern bekommen; auch seine Arme waren kräftiger geworden. Aus einem hübschen Jüngling war ein hinreißend gut aussehender Krieger geworden. Sie wandte sich zur Seite. Als hätten ihre Gedanken ihn erreicht, stand er plötzlich da und starrte sie an.

„Geoffrey.“

„Catherine.“

Kaum mehr als einen Meter von ihm getrennt, starrte auch sie ihn an und staunte erneut über die Veränderungen an ihm. Sie war nicht sicher, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Plötzlich fand sie sich in seiner Umarmung wieder. Er umfing sie so fest, dass sie kaum noch atmen konnte. In ihren Augen brannten Tränen, und sie musste schlucken. Ihre Arme fanden den Weg um seine Taille, während sie betete, er möge sie nie wieder gehen lassen.

Wie lange sie in dieser Umarmung verharrten, wusste sie nicht. Aber ein eisiger Hauch drang an ihre Seele, und Catherine begriff, dass sie und Geoffrey nur noch diesen einen Moment der Nähe haben würden. Sie genoss ihn wie eine letzte Galgenfrist. So würden sie nie wieder beisammen sein.

Sie nahm die Hände von seinem Rücken, atmete tief ein und ließ die Luft ausströmen. Geoffrey musste ihren Rückzug gespürt haben. Er lockerte die Umarmung und ließ sie los. Nun trennte sie ein kleiner Abstand. Endlich gewann Catherine ihre Selbstbeherrschung zurück.

„Mylord, mir scheint, Ihr seid wohlauf“, sagte sie und legte so viel Ruhe in ihre Stimme, wie sie aufbringen konnte.

„Ach, Mylord heißt es nun? Ich dachte, wir seien Freunde.“ Seine Stimme war tiefer geworden. Ihr weicher dunkler Klang berührte sie und brachte Gefühle hervor, die sie sich lieber nicht gestatten wollte.

„Euer Rang ist wichtig, Mylord. Ihr dürft ihn nicht vergessen. Wer könnte besser geeignet sein, daran zu erinnern, als ein Mensch, der Euch freundlich gesonnen ist?“

„Bitte“, sagte er und legte ihre Hand in seine. „Für Förmlichkeiten und höfliche Distanz ist später genug Zeit. Können wir nicht einfach Geoffrey und Catherine füreinander sein, in diesen kurzen Augenblicken, die uns noch bleiben?“

Er wusste es. Wenn sein Besuch hier zu Ende war, würde alles, was sie miteinander teilten und was sie verband, der Vergangenheit angehören. Ihr Herz zog sich vor Schmerz zusammen. Doch sie schwor sich, von ihrer Traurigkeit würde er nichts erfahren.

„Natürlich, Geoffrey. Setzt Euch und erzählt mir von Eurer Reise nach England. Hattet Ihr eine ruhige Überfahrt?“ Catherine löste ihre Hand aus seinem Griff. Sie trat beiseite und machte ihm Platz, damit er sich auf der Steinbank in der engen Kammer niederlassen konnte. Früher hätten sie nebeneinander auf dieser Bank gesessen und sich unterhalten. Nun gehörte sie nicht mehr an seine Seite.

„Die Reise verlief gut, obwohl ich nicht ohne Bangigkeit daran denken konnte, wohin sie mich führte.“

„Ihr hattet Angst, hierherzukommen?“

„Nun, richtiger wäre, wenn ich sagte, dass Emalie und ihre Pläne der Grund für meine Besorgnis waren.“ Er machte eine Pause und lächelte sie an. „Sie ist verschlagener als mein Bruder.“

„Beide wollen für Euch nur das Beste, Geoffrey.“ Beinahe hätte sie die Hand ausgestreckt und seine Schulter berührt. Doch sie hielt die Bewegung zurück. Sie waren sich bereits zu nahe gekommen.

„Das weiß ich doch, Catherine. Sonst hätte ich in Château d’Azure die Zugbrücke hochgezogen und mich hinter den hohen Mauern verschanzt.“

Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild von Geoffrey, wie er sich in seiner Burg einschloss und nicht herauskommen wollte. Sie musste an den Jüngling denken, dessen Bekanntschaft sie bei ihrem ersten Besuch in Harbridge gemacht hatte. Oder waren sie sich begegnet, nachdem sie zum ersten Mal das Kloster verlassen und eine Einladung nach Greystone angenommen hatte, in diese große Burg, wo das Leben pulsierte? Sie hatte damals schreckliche Angst gehabt und wäre am liebsten sofort in die klösterliche Stille nach Lincoln zurückgekehrt. Geoffrey war es gewesen, der sie mit sanfter Freundlichkeit überreden konnte, dass sie für weitere Besuche herkam.

„Aber, Myl… Geoffrey, wann wärt Ihr je einer Herausforderung ausgewichen?“

Er rückte auf der Steinbank zur Seite, ihr ein Zeichen gebend, dass sie sich zu ihm setzen sollte. Ihr erster Gedanke war, sich zu weigern. Doch sie konnte dem Drang, ihm noch einmal nah zu sein, nicht widerstehen. Die Röcke eng um sich zusammenraffend, glitt sie dicht an der Wand entlang, um ihn nicht zu streifen.

„Mit meinem Besuch hier ändert sich alles, Catherine. Mein Leben, meine Pflichten. Sobald ich vermählt bin und die Titel angenommen habe, die mir bestimmt sind, trete ich in die Welt hinaus. Und mir ist bewusst, wie wichtig die Ländereien auf dem Kontinent sind, für die ich Verantwortung tragen werde.“ Er lehnte den Kopf nach hinten und seufzte. Es war ein dunkler Laut der Erschöpfung. „Das Land von Langier dient als ein Bollwerk, das uns schützen soll vor denen, die ihre Arme ausstrecken, um über ganz Frankreich und England zu herrschen. Ich bin nicht sicher, ob ich der Aufgabe gewachsen sein werde, diese Gebiete zu verteidigen und zu verwalten.“

Er hatte ihr sein tiefstes Geheimnis anvertraut. Nach außen hin, und sogar im Umgang mit seinem Bruder, zeigte er sich kühn und tapfer. Ihr hatte er seine innersten Ängste enthüllt. Sie musste auch ihm ein Geschenk machen.

„Seid Ihr dem Unterricht zur richtigen Verwaltung aufmerksam gefolgt, den Euer Bruder Euch erteilt hat?“

Er nickte.

„Und Ihr habt Euch mit weisen Männern umgeben, die Euch raten können?“

Wieder nickte er.

„Werdet Ihr Euch nicht wie ein Narr aufführen, sondern seid bereit, den Verstand und die Klugheit zu nutzen, die Euch von Gott gegeben sind?“ Die Worte brachten ihr ein Lächeln ein, und seine Stirnfalten glätteten sich.

„Dann bin ich sicher, dass Ihr das Vertrauen verdient, welches Euer Bruder in Euch setzt. Leichtfertig vergibt der Earl sein Vertrauen nicht. Er würde diesen Schritt niemals tun, hielte er Euch für unfähig, diese Verantwortung zu tragen.“ Nun lachte Geoffrey laut. „Findet Ihr mich spaßig?“

„Man könnte meinen, dass Ihr meinen Bruder gut kennt. Er hat beinahe die gleichen Worte gebraucht, als er mit mir sprach.“

„Es macht mich froh, dass Ihr ihm von Euren Sorgen erzählt habt und dass er versucht hat, Euch zu beruhigen, in Bezug auf Eure Fähigkeiten und Eure Eignung.“ Sie wählte die Worte sorgfältig, um zu verbergen, wie ihre Gefühle für den Earl tatsächlich waren. Offenbar gelang ihr das mit weniger Erfolg, als sie gehofft hatte.

Geoffrey streckte den Arm aus und nahm wieder ihre Hand. Dieses Mal verschränkte er seine Finger mit den ihren. „Ich weiß nicht, woher dieses Missfallen kommt, das Ihr ihm entgegenbringt und mit dem er Euch begegnet. Aber die Mühe, die Ihr beide aufwendet, um in meiner Anwesenheit unbefangen zu wirken, rührt mich an.“

Catherine fiel nichts ein, was sie darauf antworten konnte. Sie spürte, dass dies ein Moment der Geständnisse war. Aber was sollte sie offenbaren? Die Wahrheiten, die sie mitzuteilen hatte, würden das Verhältnis zwischen ihnen noch schwieriger machen, als es ohnehin schon war.

Er stand auf und zog sie mit sich hoch, ohne ihre Hand loszulassen. Mit seiner anderen Hand schob er die Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, die sich nie in den ordentlich geflochtenen Zopf einfügen wollten. Ihr Atem stockte, und sie spürte die Hitze auf der Haut, die er berührt hatte.

„Es ist spät. Ihr solltet Euch zur Ruhe begeben. Ich weiß, die Countess wird Euch morgen wieder sehr in Anspruch nehmen.“

„Ja, Ihr habt recht. In letzter Zeit ermattet sie rasch. Ich bin froh, ihr meinen Beistand zu geben, wann immer ich kann.“

„Wollt Ihr auch mir eine Hilfe sein?“

„In allem, Geoffrey. Nur, was könnte ich für Euch tun?“

Er zögerte, als suchte er noch nach Worten, in die er seine Bitte kleiden konnte. Handelte es sich um ein unehrenhaftes Verlangen? Nein, das war nicht möglich! Etwas, das ein Wagnis bedeutete? In Gefahr würde er sie nie bringen.

„Wollt Ihr mich beraten, was die Frauen betrifft, unter denen ich meine Brautwahl treffen soll?“

Sie sollte ihm bei der Wahl seiner Gemahlin helfen? Ihr Atem stockte. Sie fühlte einen Schmerz, als würde ihr Herz von einem Dolch durchgestoßen. Konnte sie das tun, ihm helfen, die Frau zu finden, die seinen Namen tragen würde, die seine Kinder gebären und vielleicht sogar seine Liebe besitzen würde? Die Frau, die als Comtesse an seiner Seite leben würde? Sie wusste, sie selbst könnte niemals diesen Platz einnehmen. Aber war sie in der Lage, ihm beizustehen, wenn er diese Frau bestimmte?

„Ihr erbittet viel von mir, Geoffrey.“

„Catherine, diese Bitte kann ich nur an einen Menschen richten, der mir freundlich gesonnen ist. Dem ich mit meinem Leben vertraue.“ Er hob ihr Kinn, damit sie seinem Blick nicht auswich. Seine Augen waren dunkel. „Ich weiß, es ist eine Zumutung, wenn ich Euch bitte. Aber ich tue es dennoch.“

„Ich bin bereit dazu“, sagte sie und wusste, dass sie sich eine unausführbare Aufgabe gestellt hatte.

Sie wollte ihre Finger aus der Verflechtung mit seinen lösen und sich rasch entfernen. Doch er hielt sie fest. Als er dann den Kopf nach vorn neigte, wünschte und fürchtete sie zugleich, was nun kam. Seine Lippen berührten zart ihren Mund. Wieder meinte sie, ihr Herz würde brechen. Kaum hatte sie die Wärme seiner Haut wahrgenommen, da entzog er sich wieder.

„Ihr verlasst Greystone nicht, ohne Abschied von mir zu nehmen? Versprecht Ihr das?“

Hatte er ihre Gedanken gelesen? Wenn sie ihm Lebewohl sagte, würde der Trennungsschmerz sie zerstören. Sie schüttelte den Kopf und war selbst nicht sicher, was die Geste bedeutete, Zustimmung oder Ablehnung.

„Versprecht Ihr das?“, beharrte er.

„Ich verspreche es“, antwortete sie.

Ein Geräusch draußen im Korridor ließ sie auseinanderfahren. War dort jemand? Catherine lauschte und hörte nichts mehr. Aber sie war aus ihrer Verwirrung und Benommenheit erwacht. Sie wusste, was sie hier taten, verstieß gegen die Regeln der Schicklichkeit, in wohlwollenden Worten ausgedrückt.

Catherine knickste vor Geoffrey. „Mylord, ich wünsche Euch noch einen guten Abend.“

„Bis morgen, Catherine“, entgegnete er und verbeugte sich höflich. Dann wandte er sich zum Gehen, ihr zuzwinkernd. Er war der Gleiche geblieben.

Im Mondschein hatte Catherine wie ein Engel ausgesehen. Als Geoffrey sie fand, wie sie dastand und hinauf in das helle Mondlicht schaute, wähnte sie sich unbeobachtet. War sie seit ihrem letzten gemeinsamen Aufenthalt in Greystone im Verhalten und im Äußeren verändert? Nein, wer sich geändert hatte, war er. Er sah diesen Ort und die Menschen, die hier lebten, mit anderen Augen.

Im vergangenen Jahr hatte er an seinem ersten Turnier teilgenommen und den Sieg davongetragen. Er hatte die Adelsfamilien kennengelernt, die seine Nachbarn sein würden, wenn er die Ländereien auf dem Kontinent übernahm. Sogar der Familie des französischen Königs war er vorgestellt worden. Und er hatte eine tiefe Enttäuschung erlebt, als er begriffen hatte, welche Pflichten ihm das Vermächtnis auferlegte. Der Erbe von Langier war in der Wahl seiner Gemahlin noch eingeschränkter, als es ein einfacher Ritter schon war.

Catherine, eine entfernte Cousine von Emalie, war Waise und nur mit einer kleinen Mitgift ausgestattet. Für Geoffrey Dumont, den jüngeren Bruder des Earl of Harbridge, der keine Ansprüche auf Titel und Ländereien hatte, mochte sie eine angemessene Braut gewesen sein. Als zukünftige Gemahlin des Comte de Langier kam sie jedoch nicht infrage. Keiner einflussreichen Familie angehörend, nur von geringem Stand, unvermögend und landlos, konnte Catherine nicht die Seine werden. Und darum, dass sie sich erniedrigte und ohne Eheversprechen zu ihm kam, würde er sie niemals bitten.

Das war ausgeschlossen, ganz gleich, wie sehr er sie begehrte. Und gleichgültig, wie groß seine Liebe zu ihr war. Dabei wusste er nicht einmal mit Gewissheit, dass sie seine Liebe auch erwiderte.

Was trieb ihn nur zu diesem Wahnsinn? Warum hatte er sie gebeten, ihm bei der Wahl seiner Braut behilflich zu sein? Warum ließ er zu, dass sie beide litten? Denn im Schmerz würde dieses Ansinnen enden.

Es war ihm unmöglich, Catherine einfach gehen zu lassen. Er wollte Zeit gewinnen, eine letzte Frist, die er mit ihr verbrachte, mit seiner großen Liebe. Anschließend verließ er England und führte seine Gemahlin heim, um sich mit ihr im Poitou niederzulassen. Das war die beste Lösung für alle Beteiligten. An diese erste Liebe würde er sich immer erinnern. Von seiner zukünftigen Gemahlin aber durfte er sich nicht mehr erwarten als Zuneigung. Tiefe Gefühle waren in einer Ehe, die aus politischen Gründen geschlossen wurde, ein zu seltenes Geschenk. Noch während er nachdachte, wurde ihm klar, wie heuchlerisch dieses Leben sein würde.

Nein, er wollte sich nicht selbst belügen. Er war entschlossen, Catherines Nähe zu suchen, wann immer er konnte. Und ihre Einwilligung, ihm bei der Brautwahl zu helfen, diente ihm als Vorwand, bei ihr zu sein, solange es irgendwie ging. Danach trennten sich ihre Wege. Die vor ihm liegende Woche mochte schwer werden, aber er stand sie durch. Er würde bei Catherine sein. Dieses Glück war jeden Schmerz wert.

Geoffrey durchquerte die Große Halle und ging in seine Gemächer.

„Sie lieben sich.“

„Das ändert nichts an den Entscheidungen, die getroffen werden müssen.“

Emalie holte seufzend Luft. Wie konnte ihr Gemahl so starrköpfig sein, vor allem nach den Prüfungen, die sie selbst durchlitten hatten? Sie stand mit ihm im Schatten einer Mauer und wandte sich zur Seite, um ihn anzusehen. Dabei überlegte sie, wie sie am besten vorging.

„Liebe bedeutet dir gar nichts?“ Noch immer hatte er diesen Charakterfehler. Manchmal musste sie ihn aus seinem Hochmut aufrütteln, damit er bereit war, auch den Wert der nicht greifbaren Dinge anzuerkennen, die ihn umgaben.

„Für deine Liebe habe ich alles getan. Das weißt du. Und Geoffrey wird es wie uns ergehen. Auch wir sind erst ein Liebespaar geworden, nachdem wir vermählt waren. Wenn sich mein Bruder bei dieser Brautbeschau unserer Führung anvertraut und eine gute Wahl trifft, wird die Liebe nicht auf sich warten lassen.“ Christian streckte ihr den Arm hin, und sie legte ihre Hand darauf.

Wieder seufzte sie. Wie konnte ein Mann, der so klug und mächtig war, ein solcher Narr sein? Sie hatte gleich zu Beginn gespürt, was geschehen würde, als Catherine zum ersten Mal aus dem Kloster zu Besuch auf die Burg gekommen war und dort mit Geoffrey zusammentraf. Sie waren zwei Hälften einer Seele, dazu bestimmt, eine Einheit zu bilden. Wie konnte ihr Gemahl blind dafür sein?

„Du bist so still, meine Gemahlin. Das lässt nichts Gutes ahnen, fürchte ich.“

„Sie war ein Opfer, wie viele andere, Christian. Willst du auch sie für seine Untaten verantwortlich machen?“

„Sie hat keine Familie …“, hob er an. Emalie wollte ihn belehren, doch sie sah seinen wachsenden Zorn.

„Sie hat keine Familie, ist ohne Vermögen und ohne gesellschaftliche Stellung. Sie ist keine angemessene Braut für meinen Bruder.“

Emalie setzte zu einer Antwort an, doch Christian brachte sie mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Schweigen. „Ich warne dich, Gemahlin. Lasse dir nicht einfallen, dich hier einzumischen oder mir zu widersprechen. Ich habe meine Grenzen.“

Sie wandte den Blick von ihm ab und ließ sich ohne weitere Gegenrede zu ihren Gemächern führen. Dieses Mal hatte er gewonnen, doch das letzte Wort sprach sie. Catherine hatte viel gelitten und verdiente nicht, wegen ihres Bruders in Unehre gehalten zu werden. Auch der Umstand, dass sich seine Taten gegen Emalie selbst gerichtet hatten, änderte daran nichts.

An der Tür zu ihren eigenen Räumen blieb Emalie stehen und versperrte ihrem Gemahl den Weg ins Schlafgemach. Seine Verblüffung war deutlich erkennbar. Vielleicht dachte er noch einmal über die herzlosen Worte und seine harte Haltung nach.

„Auch nach drei gemeinsamen Jahren und vielen Fortschritten bist du noch immer ein stolzer selbstgefälliger Mensch.“

Sie zwang sich, nicht zu lachen, als sie seinen erstaunten Gesichtsausdruck sah, und warf die Tür hinter sich zu.

4. KAPITEL

Melissande.

Marguerite.

Mathilde.

Maude.

Melissande, Marguerite, Mathilde und Maude. Diese Reihe ließ Befürchtungen für den Verlauf der Brautbeschau in ihm aufkommen. Nur mit Mühe konnte er sich die einzelnen Namen merken und musste nun, nachdem er den jungen Frauen vorgestellt worden war, auch noch das jeweils passende Gesicht im Gedächtnis behalten.

Die Frauen, die nach Greystone geladen waren und in die engere Wahl kamen, trugen offenbar alle einen Namen mit M. Sogar er wusste, dass es nicht nur diesen Buchstaben im Alphabet gab. Gewiss hätte Emalie Bewerberinnen finden können, deren Vornamen mit unterschiedlichen Buchstaben begannen.

„Nein, Mylord. Bei meiner Suche nach möglichen Bräuten habe ich mich nicht auf diesen einen Buchstaben beschränkt. Das kommt Euch nur so vor.“

Verblüfft stellte er fest, dass er seine Beschwerde laut ausgesprochen hatte. Um Emalies Mundwinkel spielte ein schelmisches Lächeln, und in ihren Augen stand ein Glimmen. Dieser Ausdruck musste etwas zu bedeuten haben. Was hatte sie vor? Wollte sie ihn verwirren? Handelte sie aus Übermut?

„Ihr spracht von sechs Brautbewerberinnen. Zwei scheinen zu fehlen.“

Bei seiner Bemerkung presste Emalie die Lippen zusammen, doch das belustigte Schnauben seines Bruders war bis zu den unteren Tischen zu hören.

„Die beiden anderen Edelfräulein, Petronilla und Phillippa, schlafen gern aus, Mylord. Dafür sagen ihnen die Nachmittagsstunden und Abende besonders zu, um Geselligkeit zu pflegen.“

Nun gut. Unter vier Damen ließ sich seine Aufmerksamkeit leichter aufteilen. Geoffrey würde die frühe Stunde nutzen und die beiden Damen mit M kennenlernen, die gestern Abend beim Festmahl und beim anschließenden Tanz gefehlt hatten. Später konnte er sich dann den beiden Edelfräulein widmen, deren Namen mit P begannen.

„Emalie“, flüsterte er, denn ihm war aufgefallen, dass sie ihn mit Mylord angeredet hatte, obwohl sein neuer Rang in der Burg noch nicht bekannt gemacht war. „Ich dachte, wir seien uns einig gewesen, dass ich bis auf Weiteres der einfache Ritter bin?“

„Es hat den Anschein, lieber Bruder, dass trotz aller Anstrengungen zur Geheimhaltung, die wir unternommen haben, Einzelheiten über unseren Handel mit Richard durchgesickert sind.“ Christian wirkte weder erfreut noch unangenehm berührt.

Geoffrey ließ den Blick über die Tische gleiten. Nun begriff er den Grund für diese Ansammlung von Reichtum und Schönheit. Er war nicht nur der Jäger, der eine Braut suchte. Die Familien der jungen Frauen sahen in ihm auch eine Beute für ihre Töchter.

„Mein Wert auf dem Heiratsmarkt ist also gestiegen, seitdem man weiß, dass ich ein Marquis bin?“

Christian schnalzte mit der Zunge. Er beugte den Oberkörper vor und drehte sich, an Emalie vorbei, zu Geoffrey. „Euer Wert wird noch steigen, sobald Ihr den Titel des Comte de Langier geerbt habt und alleiniger Herr über die Gebiete zwischen dem Anjou, dem Poitou und Aquitanien seid.“

„Versucht nicht, mich zu schonen, Bruder. Warum sind diese Leute tatsächlich hier?“ Geoffrey knirschte mit den Zähnen. Sein neuer Rang war eine Belastung. Er wollte mehr Zeit gewinnen und seine Brautwahl treffen, ohne unter dem Druck zu stehen, dass sein wahrer Titel bekannt war.

Christian warf ihm einen Blick zu, der seinen Argwohn bestätigte. Er war ein wertvoller Fang, und keine der zur Brautbeschau erschienenen jungen Damen konnte nur annähernd als ebenbürtig gelten. Die Väter, die ihre Töchter mit ihm verheiratet sehen wollten, hatten es auf die Ländereien und Titel abgesehen, die er bei seiner Investitur erwarb, auf seine Verbindungen zur Krone der Plantagenets und auf die Nähe zum König von Frankreich.

„Ich fürchte, lieber Bruder, aus dem Jäger ist ein Gejagter geworden“, antwortete Christian. „Alle meine Hoffnungen, diese Eheklausel zu erfüllen, bevor der Umfang Eurer Erbschaft bekannt wird, haben sich in Luft aufgelöst.“

„Hat man sich offen erkundigt?“

„Nein, so weit ist bislang niemand gegangen. Aber während der Vorgespräche wurden genügend Andeutungen laut.“

Geoffrey brach noch ein Stück vom Käse ab und kaute. Er lehnte sich zurück und spülte das Essen mit einem Schluck Ale herunter. Dabei überlegte er, welche Möglichkeiten er hatte. Er konnte das unvermeidliche Gerede überhören. Oder er bat Christian, den Inhalt der Übereinkunft zwischen König Richard und den Dumonts offen zu verkünden. Sobald er sich für eine Braut entschieden hatte und ernsthafte Verhandlungen mit der Familie begannen, würden die Einzelheiten ohnehin bekannt werden. Vielleicht war für eine Offenlegung jetzt der beste Zeitpunkt. Heimlichkeiten mochte er nicht. Sie bereiteten ihm Unbehagen.

„Ich bitte um Verzeihung, Geoffrey. Nachdem sich heute Morgen alle Gäste in der Halle versammelt hatten, wusste ich, dass eine Geheimhaltung nicht mehr möglich war. Ursprünglich waren die Familien getrennt eingeladen. Die Besuche sollten über mehrere Tage verteilt stattfinden, damit die Vorstellung der Töchter nicht in einen Heiratsmarkt ausartet.“

Geoffrey nickte, während sein Bruder weitersprach: „Aber keine Familie wollte der anderen einen möglichen Vorteil gönnen. Also sind alle auf einmal mit ihren Töchtern erschienen.“

Der erwartungsvolle Ausdruck in den Blicken, die ihm begegneten, sagte genug. Die hier versammelten Adeligen brauchten ihn. Sie erhofften sich Großes von ihm. Um zu erreichen, was sie begehrten, waren sie bereit, ihre Töchter herzugeben, und würden sich, damit der Handel überhaupt zustande kam, von einem nicht unerheblichen Teil ihres Vermögens trennen.

Wenn Geoffrey sich mit Melissande de Quercy vermählte, würde eine einheitliche Grenze mit Frankreichs Süden und Westen entstehen, und der Duke gewann für Philip Augustus an Gewicht. Marguerite de Bretagne würde durch ihre Heirat mit Geoffrey die Stellung der Plantagenets in Britannien stärken und einen Damm bilden gegen die Kräfte, die den französischen König unterstützten. Der König von Navarra würde in den Provinzen der Plantagenets sicheren Fuß fassen und seine Grenzen zur Gascogne stärken. Der Marquis, dem Landstriche in der Nähe von Orleans gehörten, für die er unmittelbar dem französischen König lehnspflichtig war, gewann an Ansehen, wenn ein Günstling von König Richard sein Schwiegersohn wurde. Richards Vasallen gewannen an Einfluss und Macht, ganz gleich, welche Erbin sich mit dem zukünftigen Comte de Langier vermählte.

In der Tat fühlte sich Geoffrey unter den lauernden und prüfenden Blicken wie eine begehrte Jagdbeute. Mit einem Räuspern sicherte sich Christian die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Er stand auf und hielt eine Rede.

„Im Namen meines Bruders Geoffrey danke ich Euch, dass Ihr unserer Einladung gefolgt seid. Meine Familie und ich fühlen uns geehrt durch Eure Anwesenheit, und wir freuen uns, dass Ihr gekommen seid, um meinen Bruder kennenzulernen. Die Countess und ich haben verschiedene Zerstreuungen vorgesehen und hoffen, Euer Aufenthalt verläuft angenehm und …“ Christian hielt inne und sprach aus, was der eigentliche Grund für dieses Durcheinander war. „Möge dieses Treffen zu einer Vermählung und zur Vereinigung von zwei Familien führen.“

Geoffrey zwang sich zu einem Lächeln und nickte zu dem höflichen Beifall, mit dem die Worte seines Bruders aufgenommen wurden. Mancher Blick zeigte unverhüllte Gier, und er hatte den Verdacht, einige der Anwesenden sannen bereits auf Mittel und Wege, wie sie sichern konnten, dass ihre Tochter gewählt wurde. Der Baron of Evesham war der Einzige, dessen Gesicht eine undurchdringliche Maske war. Geoffrey verfolgte, wie der Baron, dessen Freundschaft mit Prinz John kein Geheimnis war, jede der jungen Frauen musterte, die zur Wahl standen. Dann sah er wieder auf den leeren Platz neben sich. Hier hätte seine Tochter gesessen, wäre sie an diesem Morgen erschienen.

Von der Ankündigung seines Bruders wurde Geoffrey in seinen Beobachtungen unterbrochen. „Kommt nach draußen. Der Stallmeister teilt mit, dass die Pferde für unsere Jagd bereitstehen.“

Geoffrey schloss sich Christian und den anderen Edelleuten an. Gemeinsam machten sich die Männer auf den Weg zum Stallhof. Heute würden sie mit den Hunden hinausreiten. Aber er wusste, Emalie liebte die Jagd mit Habichten. Sie würde auch eine Beizjagd veranstalten, an der Männer und Frauen teilnehmen konnten. Auf dem Hof, umgeben von Hundegebell, lauten Befehlen, Geschrei, aufgewirbeltem Staub und vielen Menschen, hatte er bald alle Gedanken an seine Brautwahl vergessen und wartete ungeduldig und von Erregung erfüllt auf den Beginn der Jagd.

Catherine saß am längsten Tisch neben dem Küchenkamin und leerte eine Schüssel mit dampfendem Porridge. Die meisten Männer nahmen an der Jagd teil und würden für den Rest des Tages fortbleiben. Da blieb genügend Zeit, um Vorbereitungen zu treffen. Die Jäger führten Speisen, Wein und Ale als Proviant mit sich und konnten im Wald essen. Es bestand keine Notwendigkeit, dass sie zum Mittagsmahl zurückkehrten. Und heute Abend würde das von ihnen erlegte Wild die Tafel zieren. Als Emalie näher kam, erhob Catherine sich.

„Nein, Catherine. Bleibt sitzen und beendet Eure Mahlzeit.“

Emalie ging zu einem anderen Tisch und begutachtete die darauf ausgebreiteten Lebensmittel. Nickend überprüfte sie Güte und Anzahl der Brotlaibe und Käseräder. Die Köchin trat neben sie. Nun kam auch Catherine hinzu, die darauf bedacht war, hilfreich zu sein, wo immer sie konnte.

Nach kurzer Zeit hatten sich Emalie und die Köchin über die Speisenfolge geeinigt, die beim abendlichen Festmahl aufgetragen werden sollte. Sie verließen die Küche durch die Tür, die zum hinteren Hof hinausführte. Catherine schritt an Emalies Seite. Ohne gefragt zu haben, wohin sie gingen, begleitete sie die Countess. Bald hatten sie den kleinen Friedhof erreicht, auf dem viele Mitglieder der Familie Montgomery begraben lagen.

Aber sie waren nicht hergekommen, um der Verstorbenen zu gedenken. Auch dieser Platz zählte zu den wenigen Rückzugsorten, die Greystone Castle mit seinem manchmal turbulenten Alltag zu bieten hatte. Und Ungestörtheit war nötig, wenn sie über den letzten Brief der Ehrwürdigen Mutter sprechen wollten, in dem es um Catherine ging und der beunruhigende Nachrichten enthielt. Sie blieben nahe der Umgrenzungsmauer stehen. Catherine wartete, bis sich Emalie auf einer der Bänke an der Mauer niedergelassen hatte. Dann setzte sie sich ebenfalls.

„Ich will, dass Ihr am Festbankett heute Abend teilnehmt, Catherine.“ Die Countess bemühte sich hörbar, mit sanfter Stimme zu sprechen. Doch was sie sagte, klang eher nach einem Befehl.

Catherine schüttelte den Kopf, während sie antwortete: „Das kann ich nicht, Mylady. Mein Platz ist nicht dort.“

„Catherine, Ihr seid meines Mannes Mündel. Ihr gehört an meine Tafel.“

Catherine wandte sich zu ihr herum, in ihren Zügen lag eine tiefe Traurigkeit. Mit solcher Deutlichkeit hatte Emalie diesen Ausdruck noch nie an ihr gesehen, und sie schloss daraus, dass Catherine ihr vertraute.

„Mylady, ich begreife noch immer nicht, wie Ihr mich nur eines Blickes würdigen könnt. Ihr seid von unendlicher Großzügigkeit. Wir beide wissen, dass ich die Schwester Eures Feindes bin, dazu eine Waise ohne Familie, ohne Fürsprecher und ohne Vermögen. Ich würde glücklicher sein, könnte ich endlich …“

„Den Schleier nehmen?“, unterbrach Emalie.

Catherine errötete. Sie begann zu stammeln, hielt im Sprechen inne und wartete. Emalie konnte sehen, wie Catherine versuchte, die Fassung wiederzugewinnen, nachdem sie begriffen hatte, dass ihr Geheimnis verraten war.

„Mylady, sobald ich mir sicher gewesen wäre, hätte ich es Euch selbst gesagt.“

„Demnach ist die Entscheidung noch nicht gefallen? Die Ehrwürdige Mutter hat Eure Worte missverstanden?“

Emalie wusste nicht, wer weniger für ein Leben als Nonne geeignet war als Catherine. Ihre Lebendigkeit und ihre Neugier auf die Welt, die gerade wieder aufblühten, würden welken und absterben, wenn sie sich hinter hohe Klostermauern zurückzog. Diese junge Frau, der zu viele Jahre geraubt worden waren, musste unter Menschen sein. Sie sollte das Leben genießen und Liebe finden.

Catherines Augen füllten sich mit Tränen. Sie senkte den Kopf, um Emalies prüfendem Blick zu entgehen. Nicht zum ersten Mal, seit sie Catherine nach Greystone Castle geholt hatte, kam Emalie der Gedanke, sie könnte einen Fehler begehen. War es, wie Christian glaubte, grausam gewesen, Catherine hierher einzuladen und ihr Einblicke in ein Leben zu gewähren, das sie vermutlich niemals führen konnte? Aber immerhin hatte ihr Gemahl inzwischen eine kleine Mitgift für Catherine zur Verfügung gestellt, und eine Vermählung war für sie nicht mehr ausgeschlossen.

Emalie rückte auf der harten Holzbank näher und nahm Catherines Hand in ihre. Würde die Mitgift, die ihr Gemahl so großzügig gewährt hatte, nun an das Kloster von Lincoln gehen und Catherine den Eintritt in den Orden ermöglichen? Würde sie niemals die Freude erleben, einen Ehemann zu haben und Kinder, die sie umsorgen konnte?

„Die Ehrwürdige Mutter hat mich wohl verstanden, Mylady“, begann Catherine, als wollte sie auf die stummen Fragen eingehen. „Dieser Besuch wird mein letzter in Greystone sein. Ich habe reiflich nachgedacht. Nun bin ich bereit, die Gelübde abzulegen.“

„Warum, Catherine? Warum wollt Ihr ins Kloster eintreten und Euer Leben als Nonne bei den Gilbertinerinnen verbringen?“ Emalie wartete auf Antwort. Sie ahnte den Grund für diesen Entschluss und fragte sich, ob Catherines Vertrauen so weit ging, dass sie ihr die Wahrheit offenbarte.

„Die Ehrwürdige Mutter und auch die anderen Schwestern im Kloster waren überaus freundlich zu mir. Sie haben mich versorgt, als ich … krank war, und sie gaben mir neuen Mut. Ich konnte viel bei ihnen lernen, Mylady, nicht nur aus den Büchern in der Klosterbibliothek, sondern auch durch ihre Ordensregeln und das alltägliche Leben, das sie führen.“ Ein verzweifelter Unterton begleitete ihre Worte, als versuchte sie, auch sich selbst und nicht nur Emalie zu überzeugen.

„Dies alles sind Gründe, um seine Dankbarkeit zu zeigen, um großzügige Schenkungen zu machen und Gebete an Gott zu richten, damit die Schwestern weiterhin gute Werke tun und auch anderen Menschen helfen können. Aber, Catherine, Euer Leben mit diesen Ordensfrauen zu teilen, dieser Entschluss braucht andere Gründe.“

Ein Ausdruck der Qual huschte über die Züge der jungen Frau. Emalie fühlte sich schuldig und empfand einen schmerzhaften Stich, als sie ihn sah. Wenn es Catherine ernst war mit ihrem Wunsch, ins Kloster einzutreten, würde sie sich hinter sie stellen. Falls Catherine sich anders entschied …

„Habt Ihr noch nicht daran gedacht, dass auch Ihr Euch vermählen könntet?“

Catherines Blick verdüsterte sich. Die tiefe Seelenqual zeigte sich nun deutlich in ihrem Gesicht. Emalie tat das Herz weh, als sie ihre Schutzbefohlene in diesem Zustand sah. Ihr Verdacht bestätigte sich. Catherine wollte nicht ins Kloster eintreten, um dort ein neues Leben zu beginnen. Es war der Verlust von Geoffrey, der sie trieb.

„Ohne Familie?“, fragte Catherine. „Ohne eine Erinnerung an meine Vergangenheit, mit Ausnahme der Tatsachen, die ich von Euch und von der Ehrwürdigen Mutter weiß? Wie soll ich einen Ehebund schließen, wenn Trug und Täuschungen mein Leben bestimmen? Was habe ich einem zukünftigen Gemahl zu bieten?“

Emalie sah, dass Catherine stumm weinte. Die Tränen rannen über ihr blasses Gesicht. So viel Schmerz, dabei war sie jung und hatte das Leben vor sich. Emalie hob die Hand und strich einige Haarsträhnen von Catherines feuchten Wangen.

„Ihr habt viel zu geben. Ihr seid eine geistreiche, schöne junge Frau. Und wenn Ihr hier in Greystone wart, habt Ihr mit mir die zahlreichen Pflichten im Haushalt bewältigt. Deshalb bezweifle ich nicht, dass Ihr Eurem Gemahl eine gute Burgherrin wärt. Ihr habt das passende Alter, um zu heiraten. Und körperliche Gebrechen, die Euch hindern könnten, Kinder zu gebären, sind nicht vorhanden. Ihr wärt für jeden Mann eine mehr als annehmbare Gemahlin.“

Catherine überdachte, was Lady Harbridge gesagt hatte. Die Wortwahl der Countess drückte aus, was sie störte. Ihr genügte nicht, dass sie keine „körperlichen Gebrechen“ hatte. Sie wollte nicht „passend“ oder „annehmbar“ für einen Mann sein. Sie wollte geliebt werden, um ihrer selbst willen, und nicht, weil sie Geld oder Güter in die Ehe brachte.

Welch eitle Torheit erlaubte sie sich! Diese Gedanken waren lächerlich. Der Lauf der Welt ließ sich nicht ändern. Frauen wurden für das begehrt, was sie dem Mann einbrachten. Männer erfuhren Wertschätzung für ihre Fähigkeit, Güter und Vermögen zu verwalten und den nötigen Schutz zu gewährleisten. Ehen in der Adelsklasse waren durch Vertrag geregelte Vereinbarungen, nicht mehr und nicht weniger. Und ihre größte Dummheit war gewesen, dass sie nur für einen Moment an die Möglichkeit geglaubt hatte, sie könnte Geoffreys Gemahlin werden.

Catherine löste ihre Hand aus dem Griff der Countess und stand auf. Die Sonne hatte den Zenit noch längst nicht erreicht, aber es war schon recht warm. Ein schwacher Wind bewegte die dünneren Zweige in der Baumkrone, die ihnen etwas Schatten spendete. Catherine ging zum Stamm und lehnte sich dagegen. Sie zog ihr kleines Tuch aus dem Ärmel, betupfte ihre Augen und Wangen und wischte die verbliebenen Tränen weg.

Die Ursache für diesen Gefühlsausbruch konnte nur ein letzter Rest an Unentschlossenheit und Schwäche in ihr sein. Sie war mit ihrer Entscheidung zufrieden. Über alle von der Countess aufgeworfenen Fragen hatte sie gründlich nachgedacht, und sie wusste, dass es für sie nur diesen einen Weg gab. Wenn sie Geoffrey nicht heiraten konnte, wollte sie keinen Mann nehmen. Also blieb das Kloster ihre einzige Wahl, nein, ihre einzige Zuflucht, die sie vor einer unerwünschten Vermählung bewahrte.

„Ich bin zufrieden mit diesem Entschluss, Mylady. Die Ehrwürdige Mutter wird mich aufnehmen, und sie weiß, was mein Herz bewegt.“

„Habt Ihr Geoffrey von Eurem Vorsatz erzählt? Weiß er, was Ihr beabsichtigt?“

Catherines Kehle wurde eng. Sie schluckte. Statt zu sprechen, konnte sie nur mit dem Kopf schütteln. Sie schloss die Augen und kämpfte um Fassung.

„Mit der Wahl seiner Braut beginnt für ihn und mich ein neues Dasein. Er weiß, dass dieses Wiedersehen unsere letzte Begegnung ist.“ Sie flüsterte die Worte, mit denen sie ihr und sein Schicksal beschrieb.

„Und die Liebe, die zwischen Euch ist? Habt Ihr darüber auch mit ihm gesprochen?“

Als sie die Frage hörte, stockte ihr Atem. Alle ihre Bemühungen, die Wahrheit verborgen zu halten, waren vergebens gewesen.

Die Countess eilte an ihre Seite. „Jenen von uns, die sehen können und wollen, ist dieser Umstand nicht verborgen geblieben.“ Ihre Stimme war leise und tröstend. „Geoffrey hat noch nicht mit Euch darüber gesprochen?“

Catherine begriff, was die Countess mit ihrer Frage herausfinden wollte. Es ging um Worte, die vielleicht ausgesprochen worden waren. Um gegebene Versprechen. Manche Verlobung kam durch weniger als das zustande.

„Seine Ehre würde nicht gestatten, dass solche Worte zwischen uns gefallen wären, Mylady. Er kennt seine Verpflichtungen. Und ich kenne meine.“

Die Countess murmelte eine Erwiderung, aber dass sie „der Earl“ sagte, war deutlich zu hören. Oh nein! Hieß das, der Earl wusste von ihren Gefühlen für seinen Bruder? Kein Wunder, dass er sie hasste. Und nicht, weil er der Meinung war, sie fiele seiner Gemahlin zur Last. Vermutlich dachte er, Catherine würde mit allen Mitteln versuchen, Geoffrey in eine Ehe zu locken, die vorteilhaft für sie war.

Vor ihren Augen begann die Luft zu flimmern, und das Gefühl einer bevorstehenden Ohnmacht überfiel sie. Auf die Knie sinkend, beugte Catherine sich vor und versuchte, ruhig zu atmen. Sie spürte noch, dass die Countess ihre Schulter berührte. Dann schwanden das Licht und die Geräusche um sie herum. In dem Moment, als sie glaubte, das Bewusstsein zu verlieren, kehrte ihre Wahrnehmung zurück. Sie hörte deutlich das Vogelgezwitscher in den Zweigen über sich und die Geräusche, die vom Burghof herüberdrangen. Nach einigen Atemzügen fühlte sie sich stark genug, um aufzustehen.

„Mylady, ich bitte um Vergebung, sollte ich Anstoß beim Earl erregt haben. Ich wollte weder ihn noch seine Familie durch mein Verhalten beleidigen. Und es gibt auch keine Versprechungen, die Lord Geoffrey und mich aneinanderbinden und auf die ich mich berufe. Bitte teilt dies dem Earl mit. Bitte …“

„Catherine, Ihr habt meine Worte falsch gedeutet. Hier …“ Die Countess ließ sich wieder auf der Bank nieder und wies neben sich. „Setzt Euch und lasst uns reden. Ich möchte, dass Ihr mich richtig versteht. Zieht keine falschen Schlüsse aus meiner Bemerkung über den Earl und das, was er weiß.“

Der Drang, davonzurennen, wurde immer stärker. Im nächsten Moment würde sie flüchten müssen. Sie hatte – am Tag und in der Nacht – davon geträumt, wie glücklich sie sein könnte. Aber sie hatte keinen Anspruch auf dieses Glück. Scham und Schuldgefühle wallten in ihr auf.

„Mylady? Darf ich mich für eine Weile zurückziehen?“ Catherine murmelte ihre Bitte noch, da war sie schon zum Tor unterwegs.

„Natürlich, Catherine. Ihr seid nicht meine Magd. Geht nur, aber kommt später wieder zu mir.“

5. KAPITEL

Catherine verlangsamte nicht einmal ihre Schritte, um Emalies Antwort abzuwarten. Ihre Füße bewegten sich wie von allein. Schließlich rannte sie beinahe. Sie überquerte den Hof, erreichte die Zugbrücke und schlüpfte unter dem Fallgitter hindurch. Ob man sie gesehen hatte und es seltsam fand, dass die Begleiterin der Countess in großer Eile die Burg verließ, wusste sie nicht. Niemand hielt sie auf. Bald war sie auf der Straße, die zum Dorf führte. Bauern und andere Anwohner kamen in beiden Richtungen an ihr vorbei. Catherine hastete wie unter Zwang weiter. Wenn diese Gefühle sie überfielen, musste sie laufen und immer nur laufen.

Schmerzhafte Seitenstiche raubten ihr den Atem, und ihre Beine begannen zu zittern. Catherine lief langsamer und fiel in Gehgeschwindigkeit zurück. Abseits der Straße fand sie eine Stelle, wo sie sich niedersetzen konnte. Ihr geflochtener Zopf hatte sich aufgelöst. Das Haar quoll unter der Haube hervor und wallte über ihre Schultern. Sie riss sich die Kopfbedeckung herunter, raffte die hüftlangen Strähnen zusammen und warf sie über den Rücken.

Nicht mehr lange, dann würde damit Schluss sein.

Wenn sie die Gelübde ablegte, gab es keine hübschen Hauben mehr oder kunstvoll gewundene Bänder, mit denen sie sich schmückte. Bis an ihr Lebensende würde ein schlichtes weißes Gewand ihre einzige Kleidung sein. Und niemand würde noch darüber nachdenken, von welcher Farbe das Haar unter dem Nonnenschleier sein mochte.

Catherines Atem ging ruhiger. Sie saß im Baumschatten und lauschte den Geräuschen um sich herum. Den Pfad, der von der Straße abzweigte, war sie schon früher gegangen. Er begleitete einen kleinen Bachlauf und endete nahe den Feldern eines Fronhofes. Hier würde sie die ersehnte Ungestörtheit finden. Und sie war sicher vor Gefahren.

Woher diese Angst kam, die sie regelmäßig überfiel, war ihr unerklärlich. Es gab keinen vernünftigen Grund dafür. Die Unruhe steigerte sich und wurde so stark, dass sie nicht mehr an sich halten konnte und nur noch an Flucht dachte. Dann musste sie laufen, oder gar rennen, bis die innere Spannung nachließ. Die Ehrwürdige Mutter schien diese Not zu verstehen, genau wie die Countess. Catherine selbst begriff nicht, was mit ihr geschah. Auf dem Klostergelände erweckte sie mit ihrem Bewegungsdrang keine sonderliche Aufmerksamkeit. Es gehörte zum üblichen Verhalten, umherzugehen und dabei zu beten. Und hier in Greystone hatte die Countess allgemein bekannt gegeben, dass Catherine ihre Erlaubnis hatte, sich frei zu bewegen, wo und wann sie wollte.

Noch ein Makel, mit dem sie behaftet war. Aber Catherine wusste, wenn sie den Grund für diese Absonderlichkeit herausfinden wollte, brauchte sie Mut. Und der fehlte ihr. Viele Male hatte sie daran gedacht, Lady Harbridge oder die Ehrwürdige Mutter aufzufordern, mit ihr über die dunklen Flecken in ihrer Erinnerung zu sprechen. Doch eine geradezu körperliche Angst hatte sie gehindert. Es gab einen Grund für die Gedächtnislücken. Und dieser Grund musste in jener Zeit zu finden sein, die zwischen dem Augenblick lag, als sie zu ihrem Bruder kam, um mit ihm zu leben, und dem Moment, als sie nach einem offenbar längeren Genesungsaufenthalt eines Nachts im Kloster erwacht war. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Catherine stellte sich wieder auf die Füße und blickte zur Burg, die in einiger Entfernung auf ihrem Hügel thronte. Der Rückweg würde ihr Zeit geben, ihre Gedanken zu ordnen und Kraft für die kommenden Geschehnisse zu sammeln. Am Festbankett heute Abend sollte sie teilnehmen, um sich für die Großzügigkeit und die Unterstützung dankbar zu erweisen, die sie durch die Dumonts erfuhr. Sie würde sich überwinden müssen und trotz ihrer Angst vor fremden Menschen dort erscheinen. Wie üblich würde sie mit dem Hintergrund verschmelzen, und außer der Countess würde niemand bemerken, dass sie im Saal war.

Catherine kam zu dem Schluss, dass sie sich bemühen musste, den kommenden Tagen und Ereignissen mit leichterem Gemüt entgegenzusehen. Hatten die Schwestern sie nicht gelehrt, dass ein Opfer, das mit schwerem Herzen gebracht wurde oder mit Bedauern, keinen Wert besaß? Wer eine gute Tat vollbringen wollte, musste aus heiterem reinem Herzen handeln, sonst half er weder sich noch anderen.

Die Liebe zu Geoffrey würde ihr in dieser Zeit der Prüfungen die nötige Kraft verleihen. Sie wusste, wo ihr Platz war und wo der seine. Sobald Geoffrey seine Brautwahl getroffen hatte, konnte sie auf ihrem Weg voranschreiten und ihr eigenes Leben einrichten. Langsam beruhigte Catherine sich, und ihr inneres Gleichgewicht kehrte zurück. Es wurde Zeit, dass sie in die Burg zurückkehrte und sich den Aufgaben widmete, die sie für die Countess übernommen hatte. Und sie beschloss, sich gegenüber Lady Harbridge zu erklären.

Sie hob ihre Haube vom Boden, schüttelte den Staub ab und steckte sie unter ihren Ärmel. Sie genoss es, wenn der Wind ihr durch die Haare fuhr.

Gerade wollte sie den ersten Schritt auf die befestigte Straße setzen, als eine Gruppe Reiter ihr den Weg abschnitt. Catherine wich zurück, stolperte und wäre gefallen, wenn nicht einer der drei Männer von seinem Pferd gesprungen wäre und sie im letzten Moment beim Arm gepackt hätte.

„Bitte, Demoiselle. Erlaubt mir, dass ich Euch zu Hilfe komme“, sagte er und legte die Hände um ihren Arm. Catherine spürte, der Druck seiner Finger war stärker als notwendig. Dann streifte eine Hand ihre Brust, und ihr war klar, dass die Berührung nicht unabsichtlich geschah. Sie wich zurück und wollte sich losreißen, aber der Mann war größer und stärker als sie.

Seine Gefährten stiegen ab und kamen näher, in bedrohlicher Haltung. Catherines Magen zog sich zusammen. Die Männer mussten nicht sagen, was sie vorhatten. Ihre Absicht war unverkennbar. Sie suchten Beute. Catherine.

„Ihr habt ein Gesicht, das mir bekannt vorkommt, mein Zuckerpüppchen. Könnte es sein, dass wir uns schon begegnet sind? Was meint Ihr?“ Der größte der drei Männer stand vor ihr. Er beugte sich dicht heran, nahm einige ihrer Locken und wickelte sie sich um die Finger. „Andererseits sollte ich mich an eine liebreizende Schönheit, wie Ihr es seid, erinnern.“ Sie erbebte, als sein Blick, von Kopf bis Fuß und wieder zurück, an ihr entlang glitt.

Der dritte Mann, kleiner von Gestalt und stämmiger, kam von hinten näher und versperrte ihr den einzigen Fluchtweg. Er stank erbärmlich. Ihr wurde übel vor Angst und Ekel. Der Magen drehte sich ihr, und sie fürchtete, sie könnte das Essen verlieren, das sie kurz vorher zu sich genommen hatte.

„Also, sagt uns, Mademoiselle, seid Ihr tatsächlich allein hier draußen?“ Der erste Mann zog sie dichter heran und flüsterte ihr die Worte beinahe ins Ohr. „Könnte es sein, dass Ihr auf uns gewartet habt?“

Catherine schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht allein“, sagte sie und hoffte, dass die Lüge überzeugend klang. Bisher hatte sie bei keinem ihrer Aufenthalte in Greystone um ihre Sicherheit bangen müssen. Sie war oft ohne Begleitung unterwegs gewesen und hatte sich unbefangen unter den Dorfbewohnern und der Burgbesatzung bewegt. Nie war sie in dieser Weise angesprochen und bedrängt worden.

„Was meinst du, Garwyn, wäre das ein süßer Leckerbissen für uns? Wohl kaum, denke ich. Solche Kostbarkeiten …“, der Größere umwickelte seine Faust mit noch mehr Haarsträhnen und hielt Catherine wie an einem Zügel fest, „… sind nicht für Leute unseres Schlages gedacht, es sei denn, wir bedienen uns einfach.“

Catherine wehrte sich nun mit aller Entschiedenheit. Sie hatte den Mund geöffnet und wollte schreien. Da drang von der anderen Seite der Lichtung lautes Rufen zu ihnen: „Die Lady steht unter dem Schutz des Earl of Harbridge. Er würde schweren Anstoß nehmen an Eurem Betragen.“ Catherine erkannte die Stimme von Sir Luc Delacroix. Er war der Kastellan von Greystone und ein Freund des Earls. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel und dankte Gott für ihre Rettung.

„Und wer seid Ihr, dass Ihr Euch erdreistet, uns an unserem Vergnügen hindern zu wollen? Wir sind Gäste des Earls.“ Alle drei Männer wandten sich zu Sir Luc herum. Die beiden, die sie nicht festhielten, legten die Hände an ihre Schwertgriffe und forderten den Burgvogt mit unmissverständlicher Geste zum Kampf.

„Ich stehe im Dienst des Earls, wie auch diese Männer“, erwiderte Sir Luc, während sich eine kleine Gruppe gepanzerter Reiter näherte. „Und Ihr seid, Euren Abzeichen nach, Leute von Evesham?“

„Ja, wir sind Leute von Evesham.“

„Dann lasst das Mädchen los und gesellt Euch zu Eurem Herrn, der in den Waldungen hinter der Burg das Wild jagt.“ Sir Luc wies in die beschriebene Richtung.

Catherine fürchtete, die Männer könnten sich dem Befehl widersetzen. Doch die hatten begriffen, dass eine Überzahl von Kriegern gegen sie war. Flüche ausstoßend, ließen sie von ihr ab. Noch immer vor Schreck und Entsetzen zitternd, sank Catherine erleichtert auf die Knie, während ihre Peiniger in die Sättel sprangen und ihre Pferde eiligst vorantrieben.

„Ich weiß, wo Ihr zu finden seid. Deswegen gebe ich Euch den Rat, lasst die Leute von Harbridge in Frieden“, rief Sir Luc ihnen hinterher, als sie schon auf der Straße ritten.

Die Hände, die sie nun an sich spürte, gehörten einem Mann, bei dem sie in Sicherheit war. Luc half ihr beim Aufrichten und hielt sie für einige Minuten, bis ihre Beine nicht mehr zitterten und ihr Atem ruhiger ging. Dann führte er sie zu seinem Pferd. Er stieg auf, beugte sich herab und hob sie hinter sich in den Sattel. Nachdem er ihre Hände nach vorn geholt hatte und sie sich an ihm festhielt, gab er seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch.

„Ich danke Euch, Sir Luc.“ Mehr brachte sie nicht heraus. Um die Angst zu bezähmen, die noch immer in ihr war, presste sie die Zähne zusammen.

„Es war töricht, Catherine, Euch ohne Begleitung so weit von der Burg zu entfernen“, schrie er fast, den Kopf nach hinten gewandt. „In diesen Tagen halten sich hier draußen zu viele Fremde auf. Da ist es um die Sicherheit schlecht bestellt.“

„Ja, Sir Luc“, flüsterte sie und zuckte unter seinem Tadel zusammen. Er war immer freundlich zu ihr gewesen, und das, obwohl sein Herr sie ganz anders behandelte. Nun kehrte sogar er sich gegen sie.

„Verzeiht mir, Catherine. Meine Worte waren zu hart gewählt. Ich wusste von Lady Emalie, dass Ihr die Burg verlassen hattet. Sie bat mich, Euch zu schützen, weil sie einen Vorfall dieser Art befürchtete. Die Countess ist besorgt und will Euch in Sicherheit wissen. Ich könnte ihr nur schwer in die Augen blicken, hätten diese Männer Euch ein Leid angetan.“

Catherine antwortete nicht sofort. Sie dachte nach, während sich die Reiter im Galopp den Burgtoren näherten. Sie fragte sich selbst, warum sie sogar ihre eigene Sicherheit vergaß, sobald diese Unruhe sie überfiel. In solchen Momenten hatte sie gar keine Gedanken, sie reagierte nur. Dann wollte sie die Fesseln abwerfen, von denen sie eingeengt wurde, und nahm sich nicht die Zeit, über mögliche Folgen ihres Handelns nachzudenken. Diese innere Schwäche musste sie beherrschen lernen.

„Ich verstehe, Sir Luc. Ich möchte der Countess keinen Kummer bereiten.“

Der Ritter hielt an. Einer der Stallburschen kam gelaufen und nahm das Pferd beim Zaumzeug. Sir Luc reichte zuerst Catherine nach unten und saß dann selbst ab. Nachdem er seine gepanzerten Männer mit einem Nicken entlassen hatte, wandte er sich wieder um.

„Kamen Euch die Männer bekannt vor, Catherine?“, fragte er mit gesenkter Stimme. „Ich konnte hören, wie einer von ihnen sagte, er habe Euch schon einmal gesehen.“

„Nein, Sir Luc. Ich kannte sie nicht.“ Glaubte er, sie hätte die Männer an diesen Ort gelockt, weil sie vorhatte, sie … zu verführen?

„Sorgt Euch nicht deswegen“, sprach er in milderem Ton weiter. „Wenn Ihr den Burghof verlassen müsst oder ins Dorf gehen wollt, bittet einen meiner Männer, Euch zu begleiten.“

„Das werde ich tun, Sir Luc.“ Er schickte sich zum Gehen. Sie berührte den Ritter am Ärmel, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Werdet Ihr dem Earl von diesem Vorfall berichten?“

„Dafür sehe ich keine Notwendigkeit“, entgegnete er. Sein Blick verriet, dass er log, denn er sah zur Seite, noch während er ihr die Versicherung gab. „Nun geht und erfrischt Euch. Die Countess erwartet Euch in ihren Gemächern. Sie hat mich gebeten, Euch mitzuteilen, dass Ihr sie aufsuchen sollt, bevor alle Damen sich in der Kleinen Halle treffen.“

Sir Luc wandte sich ab und ließ sie ohne ein weiteres Wort allein. Catherine ging in die Kammer, die sie bewohnte, wenn sie in Greystone zu Besuch war. Dort wusch sie sich Gesicht und Hände. Erst jetzt dachte sie wieder an die Haube in ihrem Ärmel. Sie bürstete ihr Haar mehrere Minuten lang, flocht es zum Zopf und bedeckte es mit der Haube. Dann suchte sie einen leichten Schleier, legte ihn an und schob einen Stirnreif darüber, um ihn festzuhalten. Ihr Äußeres war in Ordnung gebracht, und sie fühlte sich besser.

Sie verließ das Zimmer, stieg weiter die Treppe hinauf zu den Gemächern der Countess und klopfte. Alyce, die Zofe der Burgherrin, machte auf und ließ sie herein. Die Countess saß auf ihrem Bett, ganz in ein Gespräch mit ihrer Tochter vertieft, der Erstgeborenen ihrer zwei Kinder. Isabelle, genannt Bella, war etwas mehr als drei Jahre alt und ein aufgewecktes Mädchen. Die Amme stand in der Nähe und hörte lächelnd zu, während ihr Schützling mit der Mutter sprach. Nach einigen Augenblicken glitt das Kind vom Bett, ergriff die Hand der Dienerin und wandte sich zum Gehen.

Als sie Catherine in der Tür erspähte, rannte Bella herbei und schlang die Arme um ihre Beine. „Catherine, es ist wunderbar. Maman sagt, ich darf bei der Hochzeit von Onkel Geoffrey auch an der Hohen Tafel sitzen!“ Sich noch immer an Catherines Röcken festhaltend, hüpfte Bella auf und ab.

„Vergiss nicht, Isabella. Nur, wenn du dich benimmst, wie es sich für eine Dame von Stand schickt.“ Obwohl das Gesicht der Countess ernst war, umspielte ein Lächeln ihre Mundwinkel.

Bella machte einen Schritt zurück. Sie ließ Catherine los und strich glättend über ihr Kleid. Mit einer Handbewegung, die an die sechs Brautbewerberinnen erinnerte, nahm sie ihr Haar und hob die lange rotblonde Mähne schwungvoll von den Schultern. Dann schüttelte sie leicht den Kopf, und ihr Haar flutete den Rücken hinunter. Catherine mühte sich, nicht über diese frühreife Koketterie zu lächeln.

„Ja, Maman“, sagte Bella und sank vor ihrer Mutter in einen Knicks.

Emalie nickte der Kinderfrau zu. Die Amme öffnete die Tür und führte das Kind hinaus. Nachdem die Tür wieder ganz geschlossen war, stimmte die Countess ein lautes Lachen an.

„Sie hat unsere jungen Besucherinnen genau beobachtet und macht sie nach. Ich wünschte nur, sie würde sich das gute Benehmen aneignen und nicht das frivole Getue.“

„Mir ist aufgefallen, sie gleicht Lady Melissande mit ihrem wallenden Haar“, fügte Catherine hinzu. Sie wollte den leichten Ton des Gespräches noch einen Moment beibehalten.

„Wenn sie Melissande bei ihrem Geschick mit Nadel und Faden nacheifert, wäre ich nicht unglücklich. Dieses Mädchen besitzt Begabungen, auf die sogar ich neidisch bin.“ Die Countess glitt vom Bett und rückte ihr Kleid gerade. „Solange nur Bella nicht die Neigung übernimmt, bei der kleinsten Aufregung in Ohnmacht zu sinken, denn diese Eigenart könnte sich als hinderlich erweisen.“

Catherine schmunzelte, gleichzeitig lag ihr aber der ernste Hintergrund ihres Scherzens auf der Seele. Schließlich fasste sie sich ein Herz.

„Mylady, wegen meines Betragens von vorhin bitte ich um Vergebung. Nun würde ich gern mit Euch sprechen, über Eure … über Mylord … darüber, dass der Marquis …“

„Über Geoffreys Heiratspläne?“, half Emalie sanft nach.

„Ja, Mylady.“

Ohne Aufforderung verließ Alyce den Raum. Leise zog die Zofe die Tür hinter sich ins Schloss.

„Setzt Euch, Catherine“, sagte die Countess.

Nachdem auch sie sich selbst auf einem Stuhl niedergelassen hatte, nickte Lady Harbridge und forderte sie zum Weitersprechen auf. Catherine holte tief Luft. Sie faltete die Hände im Schoß. Wo sollte sie beginnen?

„Seit unserer ersten Begegnung vor annähernd zwei Jahren habe ich mich zu Geoffrey hingezogen gefühlt. Damals dachte ich, mein Gefühl der Vertrautheit mit ihm hätte den Grund, dass wir ungefähr im gleichen Alter sind. Er hat auf eine Weise mit mir gesprochen und mir zugehört, wie sonst keiner hier. Auch Ihr habt Euer Interesse an mir gezeigt, aber bei ihm war es etwas anderes.“

Die Countess sah sie an. Sie nickte, sagte aber nichts.

„Wenn der Tag zur Neige ging, trafen wir uns auf der Hintertreppe und erzählten uns, was wir erlebt hatten. Er gab Antwort auf meine Fragen und half mir in diesen entsetzlichen Tagen, während meiner ersten Besuche hier. Und …“, Catherine lächelte, als sie sich an sein Zureden erinnerte, „… jedes Mal hat er mir das Versprechen abgenommen, dass ich wiederkomme, trotz meiner Ängste und Befürchtungen, die mich hier heimsuchten.“

„Catherine, ich hatte keine Ahnung, dass Eure Angst so tief war. Ihr habt nie ein Wort darüber verloren.“

„Ich fürchtete mich, etwas Falsches zu sagen, Mylady. Die Ehrwürdige Mutter hatte mich davor gewarnt, über meine Vergangenheit zu sprechen oder darüber, wer ich in Wahrheit bin. Ich hatte Angst, durch eine unbedachte Äußerung könnte ich diese Geheimnisse preisgeben. Es war leichter für mich, wenn ich gar nichts sagte.“ Sie blickte auf und bemerkte das Verständnis in den Augen ihrer Wohltäterin.

„Er hatte so viel Stärke in sich, war höflich und sah schon damals umwerfend gut aus. Er spornte mich an, machte mir Mut, strahlte Glück und Zufriedenheit aus. Er war der erste Mann, der …“ Sie unterbrach sich. Eine flüchtige Erinnerung an ihren Bruder kam ihr in den Sinn. „Er war der erste Mann, der mich auf diese Weise behandelte. Und obwohl ich von Beginn an wusste, dass wir niemals zusammenkommen können, habe ich mich in ihn verliebt.“

„Die Männer bei den Dumonts haben etwas Bezwingendes.“ Lady Harbridge lächelte. „Hochmütig und stolz, aber zugleich ehrenhaft und unwiderstehlich.“

„Ja. Genauso ist es.“

„Sprecht weiter, Catherine.“

Die Burgherrin erhob sich und ging zum Fenster in ihrem Gemach. Sie sah hinaus, während Catherine fortfuhr: „Ehrenhaft in jedem Augenblick, Mylady. Ich glaube, er liebt mich, obwohl wir nie offen über unsere Empfindungen sprechen, sondern ängstlich jedes Bekenntnis vermeiden. Wir haben unsere Gefühle mit dem Mantel der Freundschaft umhüllt, da wir beide wissen, was man von uns erwartet.“ Ließ sich der Schmerz aus ihren Worten erahnen? Der erzwungene Verzicht auf ihre Liebe schmerzte, wie ein Stich mitten ins Herz. „Versprechen haben wir uns keine gegeben, nur die Versicherung, dass wir Freunde bleiben.“

„Und in dem Bewusstsein um die Verantwortung, die er seinem Bruder und seinem König schuldet, könnt Ihr hinnehmen, dass er eine andere Frau zur Gemahlin nehmen wird?“

„Ja, Mylady.“ Wieder lächelte sie, trotz der Tränen, die in ihren Augen und in ihrer Kehle brannten. „Wären die Bedingungen andere, hätte ich die Hoffnung, dass mehr zwischen uns sein kann. Trotz der Umstände, die mein gegenwärtiges Leben bestimmen. Aber ich bin keine angemessene Braut für ihn, nun, da er bald in seinen neuen Stand erhoben wird. Zwar stamme ich aus einem alten Adelsgeschlecht, das in früheren Zeiten mit Königshäusern auf dem Kontinent verbunden war. Doch mir fehlt ein Beleg für diese Abkunft.“

„Catherine, diese Abmachungen wurden nicht getroffen, um Euch an einer Eheschließung zu hindern. Mit der Mitgift, die Ihr erhalten werdet, könntet Ihr Euch gut vermählen.“

„Ich weiß, dass der Earl mein Leben gerettet hat, Mylady. Und wenn auch mein Betragen gelegentlich eine andere Deutung zulässt, weiß ich die Wohltaten zu schätzen, die ich durch Euch und Euren Gemahl erhalte.“ Catherine wandte sich um und sah Lady Harbridge in die Augen. „Bei dem Gedanken, ich könnte einen anderen Mann als Geoffrey heiraten, überkommt mich entsetzliche Angst. Ich verstehe das nicht und habe keine Erklärung dafür. Ich weiß nur, dass meine Gefühle so sind.“

Das Gesicht der Countess wurde eine Spur fahler. Sie schien mehr zu verstehen, als sie auszusprechen bereit war. „Also wählt Ihr das Kloster?“

„Ja, Mylady. Dort werde ich Zufriedenheit finden und zur Ruhe kommen. Ich habe mein Schicksal angenommen, mag der Eindruck, den ich noch heute Morgen erweckt habe, auch ein anderer gewesen sein.“

„Das ist eine weitreichende Entscheidung, Catherine. Ein Entschluss, den Ihr mit Freuden im Herzen treffen solltet, weil er Eurer Sehnsucht entspringt, und nicht, weil Ihr vor einer anderen Wahrheit davonlauft. Ihr sollt Euch nicht genötigt fühlen, die Gelübde überstürzt abzulegen. Sprecht mit Pater Elwood. Oder mit meinem Gemahl. Zuweilen, wenn man dies am wenigsten von ihm denkt, kann er sehr hilfreich sein. Und Ihr solltet wissen, dass hier in Greystone immer ein Zuhause auf Euch wartet, oder, falls nötig, auf einem der anderen zu Harbridge gehörenden Güter.“

Catherine ging zur Countess. Sie neigte den Kopf, ergriff Emalies Hand und berührte sie mit ihrer Stirn. „Ich bin Euch so dankbar, mehr, als Ihr jemals wissen werdet.“ Sich die Tränen aus den Augen wischend, trat sie einen Schritt zurück.

„Noch eine Frage, bevor wir uns den anderen Frauen in der Kleinen Halle anschließen“, sagte die Countess und stand auf. Sie glättete ihr Kleid, das ihre Tochter auf ihrem Schoß zerknittert hatte. „Von der Liebe, die Ihr für ihn empfindet, weiß Geoffrey. Kennt er auch Eure Pläne?“

„Nein, Mylady. Er kennt sie nicht, und ich ziehe es vor, dass er sie auch nicht kennenlernt. Mylord Geoffrey hat in den kommenden Wochen genügend andere Dinge, über die er nachdenken muss.“

„Bei Eurem Gespräch gestern Abend habt Ihr ihm nichts darüber mitgeteilt?“

Sie waren also gesehen worden. Eine heiße Röte kroch über ihre Wangen. „Nein, Mylady.“

„Darf ich dann fragen, worüber Ihr gesprochen habt?“

Sie zögerte, ob sie Geoffreys Anliegen preisgeben sollte. „Er hat mich um Hilfe gebeten.“

„Wobei sollt Ihr ihm helfen? Kommt, Catherine, es gibt keinen Grund zur Furcht. Ihr dürft mir die Wahrheit unbesorgt anvertrauen.“

„Er hat mich gebeten, ihn bei der Wahl seiner Gemahlin zu beraten.“

Es entstand eine Pause.

„Männer können so …“, schnaubte die Countess dann empört. Lady Harbridge ballte die Hände zur Faust und löste sie wieder. Ihr Mund öffnete und schloss sich. Sie schien Mühe zu haben, das passende Wort zu finden.

„Starrsinnig? Anstrengend? Dumm? Durchschaubar?“, bot Catherine mehrere Möglichkeiten an.

Zustimmend lachte die Countess und nickte bei jedem Vorschlag. „Durchschaubar? Dann kennt Ihr die wahren Gründe für seine Bitte?“

„Ich weiß, dass seine Gründe nur vorgeschoben sind, Mylady. Wenn ich ihm helfe, verschaffe ich ihm einen Vorwand, meine Nähe zu suchen. Und für mich bietet sich ein willkommener Anlass, noch hierzubleiben. Mylord Geoffrey und ich, wir wissen beide, dass dieser Aufenthalt die letzte Gelegenheit sein wird, bei der wir uns sehen.“

Das Herz der Countess zerriss beinahe bei dem Gedanken an diese beiden Liebenden. Aber Catherine trug ihr Schicksal mit solcher Würde. Sie würde sie in ihrem Entschluss unterstützen. Emalie streckte die Hand aus und hob Catherines Kinn.

„Mit Eurer Absicht, Geoffrey zu helfen, beweist Ihr wahre Liebe, Würde und Vernunft. Ich bin sicher, am Ende wird sich alles zum Besten fügen.“ Emalie wusste, bevor sie beide in Tränen ausbrachen, musste sie tätig werden. „Kommt, Catherine. In der Kleinen Halle erwarten uns die weiblichen Gäste. Und ich möchte Einfluss auf die Ratschläge nehmen, die Ihr meinem Schwager bei der Wahl seiner Gemahlin gebt.“

„Gewährt Ihr mir eine Gunst, Mylady?“

„Wenn ich die Macht dazu habe, Catherine, werde ich nicht zögern“, antwortete die Countess.

„Bevor ich meine Gelübde ablege, würdet Ihr mir die Wahrheit sagen über die Ereignisse der vergangenen drei Jahre? Die ganze Wahrheit?“

Emalie spürte, wie ihr Lächeln gefror. Zunächst antwortete sie mit einem einfachen Nicken. Aber diese junge Frau hatte ein Recht auf die Wahrheit. „Wenn der richtige Zeitpunkt kommt und Ihr dann immer noch wünscht, dass ich Euch alles sage, werde ich bereit sein, Catherine. Für den Augenblick bitte ich Euch, nehmt meinen Rat und grübelt nicht länger. Wollt Ihr das tun?“

Catherine nickte stumm. Sie öffnete die Tür, trat beiseite und ließ Emalie den Vortritt. Draußen wartete Alyce, um die Burgherrin und ihre Freundin in die Kleine Halle zu begleiten.

Während sie die Treppe hinunterstiegen, dachte Emalie verzweifelt, dass sie keinen Ausweg wusste, wie sie Catherine und Geoffrey aus ihrer Bedrängnis helfen konnte. Catherine würde Geoffrey eine wunderbare Gemahlin sein. Davon war sie überzeugt. Aber die Countess wusste auch um die Verantwortung, die Geoffrey mit seinem Erbe übernahm. Mit den Titeln und Liegenschaften, die in seinen Besitz übergingen, war die Sorge um viele Menschen verbunden, die auf seinen Schutz zählten und darauf, dass er ihr Auskommen sicherte.

Ihr Gemahl hatte sie gewarnt und verlangt, dass sie sich aus dieser Angelegenheit heraushielt. Und sie musste gehorchen. Nur, wenn alles klar und eindeutig war, warum fühlte sie sich dann so elend beim Gedanken an das wahrscheinliche und notwendige Ergebnis dieser Brautwahl?

6. KAPITEL

Geoffrey wusste, er sollte die Brautbeschau ernster nehmen. Doch nach einem langen Jagdtag, an dem er entweder dem Wild nachgestellt hatte oder selbst der Gejagte gewesen war, fiel ihm die Beschäftigung damit schwer. Auch fünf Pokale von dem besonderen Wein, den er aus Château d’Azure mitgebracht hatte, halfen wenig, um sein Gedächtnis zu stärken. Er hatte Mühe, die verschiedenen Frauen auseinanderzuhalten.

Melissande war die „schöne Ohnmächtige“ aus Quercy. Marguerite hatte braunes Haar und stammte aus der Bretagne. Mathilde mit ihrem olivfarbenen Teint und schwarzem Haar kam aus der Gegend, die nicht weit von dem Land lag, in dem die dunkelhäutigen Mohren lebten. Maude war die junge Frau, die er bereits am Hof ihres Vaters in Orléans kennengelernt hatte. An sie erinnerte er sich am besten. Und die beiden jungen Damen, deren Vornamen mit P begannen, waren zu beleibt.

Geoffrey lächelte schuldbewusst in sich hinein. Das stimmte nicht ganz. Aber sie als Pummelchen zu bezeichnen, half ihm, die beiden von den restlichen Bewerberinnen zu unterscheiden. Phillippa hatte braunes Haar wie ein Cousin seiner Mutter, der Phillip hieß. Petronilla war einfach die zweite junge Dame mit dem Anfangsbuchstaben P.

Wenn er sich in seinem Sessel nach hinten lehnte, konnte er rechts und links von sich alle jungen Damen sehen. Sie lächelten ihn an, nickten, machten sich sogar vor seinen Augen zurecht. Er hatte an diesem Abend mit jeder einzelnen Bewerberin getanzt und ein Gespräch geführt. Doch sie bildeten in seinen Augen weiterhin nur eine Gruppe. Als die Richtige, die er heiraten sollte, hob sich keine aus der Masse hervor. Nicht eine einzige. Für die Wahl seiner zukünftigen Gemahlin war dies kein vielversprechender Auftakt.

Sein Blick wanderte zu den unteren Tischen, wo Sir Luc und Fatin saßen. Luc lachte über eine Bemerkung seiner Frau und rückte näher an sie heran. Und Geoffrey entdeckte Catherine. Ihre Anwesenheit war eine Überraschung für ihn, denn sie nahm selten an Banketten teil. Gewöhnlich zog sie sich zurück, sobald die Große Halle sich bevölkerte und nicht nur Menschen anwesend waren, die ständig in Greystone lebten. Sogar von seinem Platz an der erhöht stehenden Tafel des Burgherrn konnte er erkennen, wie unbehaglich ihr zumute war. Er blickte sich um und stellte fest, dass außer ihm niemand sie beachtete.

„Emalie?“, flüsterte er, an seine Schwägerin gewandt. „Womit habt Ihr Catherine gedroht, damit sie heute Abend hier erscheint?“, wollte er wissen.

„Ich habe nichts weiter getan, als sie einzuladen, Geoffrey.“

„Ich kann mich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal freiwillig in der Halle gespeist hätte.“

„Ich auch nicht“, sagte sein Bruder und beugte sich zu ihnen herüber. „Wie du habe ich mich über ihr Erscheinen heute Abend gewundert, Emalie.“

„Ich versichere, Mylord Christian, dass ich sie nur eingeladen habe, mit uns zu essen. Sie tut nichts Unschickliches, wenn sie das Mahl mit uns teilt, oder?“

Geoffrey wollte keinen Anlass für neuen Streit zwischen Emalie und seinem Bruder liefern, so wenig, wie er Lust hatte, zwischen die Fronten zu geraten. Er beschloss, Catherines Anwesenheit zu nutzen und sie zum Tanz aufzufordern. Bei allen Brautbewerberinnen hatte er seine Pflicht in dieser Hinsicht erfüllt. Wenn er eine von ihnen erneut aufforderte, wurde ihr eine Auszeichnung zuteil, die er nicht zu vergeben wünschte. Tanzte er stattdessen mit Catherine, vermied er geschickt diesen Fehler.

Als die Musikanten eine lebhafte Melodie anstimmten, erhob er sich. Er nickte in die Richtung seines Bruders, stieg die wenigen Stufen von der Estrade hinab und ging zu dem Platz, wo Catherine saß. Aus dem Augenwinkel nahm er zur Kenntnis, wie Emalie Christian beim Arm fasste und ihn zum Sitzenbleiben ermahnte. Geoffrey fand nichts Schlimmes an seinem Tun. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte er hier in dieser Halle mit vielen getanzt. Dieser Tanz würde kein Zeichen setzen und ihn zu nichts verpflichten.

Aber er wusste um die besondere Bedeutung. Zum ersten und zum einzigen Mal würde er mit der Frau tanzen, die er liebte. Nur ihn und sie ging dieser Tanz etwas an. Während er näher kam, fing er ihren Blick auf. Für einen Moment dachte er, sie würde davonlaufen. Aber Catherine blieb.

Er streckte ihr die Hand entgegen und wartete. Es verging nur ein Augenblick, dann legte sie ihre Hand in seine. In dieser kurzen Zeitspanne flehte er zu Gott und hoffte, wie nie in seinem Leben, dass sie ihm die Gunst erwies. Sie tat es. Er führte sie auf die freie Fläche, wo andere Tänzer sich schon in Reihen aufstellten. Geoffrey wählte absichtlich einen Platz in der mittleren Reihe, denn besonders die außen Tanzenden zogen die Blicke der Zuschauer auf sich.

Seite an Seite, die Hände nach oben gestreckt, warteten sie. Bevor sie den ersten Schritt getan hatten, würde er kein Wort mit Catherine reden. Ungestörte Gespräche konnten erst während der Drehungen, Verbeugungen und Läufe geführt werden. Begleitet von Gelächter und lärmender Fröhlichkeit begann der Tanz, und sie schritten mit den anderen voran.

„Ich hatte die Befürchtung, Ihr würdet mir diesen Tanz verwehren“, flüsterte Geoffrey, als sie bei einer der Figuren für wenige Augenblicke mit den Gesichtern zueinander standen.

„Ich konnte Euch nicht abweisen, Mylord.“ Das rätselhafte Lächeln, mit dem sie ihn ansah, gab keinen Hinweis auf ihre Gedanken.

„Mein Name ist …“, begann er.

„Mylord Dumont“, beendete sie den Satz. Er bemerkte, dass manche der Anwesenden die Hälse reckten, um zu hören, worüber sie sprachen.

Der Tanz wurde schneller. Mehrmals trennten sie sich, kamen wieder zusammen und trennten sich erneut, bis er das Gespräch mit ihr fortsetzen konnte. Catherines Gesicht glühte von der körperlichen Anstrengung der Drehungen und Läufe. Geoffrey stellte fest, wie hübsch sie war. Die anderen jungen Damen putzten sich aufwendig, um anziehend auf ihn zu wirken. Catherine musste nichts für ihre Schönheit tun.

„Ich kann mich nicht erinnern, Euch schon einmal beim Tanzen gesehen zu haben, Catherine.“

„Eure Beobachtung ist richtig, Mylord. Ich habe noch nie zuvor getanzt. Das heißt, nicht hier in Greystone.“ Sie machte eine Drehung. Ihre und seine Finger verschränkten sich ineinander, und sie glitten über den Tanzboden, als wären sie ein Wesen.

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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Juliet Landon
Juliet Landon hat Anleitungen für Stickarbeiten veröffentlicht. Die Umstellung ins Romangenre war für sie kein großer Wechsel, die Anforderungen sind ähnlich: große Fantasie, einen Sinn für Design, ein Auge fürs Detail, genauso wie Liebe zu Farben, Szenen und Recherche. Und ganz wichtig, bei beidem muss man bereit sein, innere Gedanken...
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