Baccara Gold Band 1

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WIE CHAMPAGNER IN DEN ADERN von ALEXANDRA SELLERS
Prinz Rafi stockt der Atem: Unter dem Wasserfall steht eine Frau, nackt und in völligem Einklang mit der Natur! Er will die schöne Zara kennenlernen und gibt ein prunkvolles Fest. Doch in dieser Nacht rauben Banditen seine Auserwählte. Kann der stolze Scheich Zara retten und sie sinnlich erobern?

EIN TRAUMPRINZ FÜR KAREN von KRISTI GOLD
Die schöne Karen will ein Kind von einem Samenspender? Auch Scheich Ashraf wünscht sich einen Erben, aber Karens Plan kann er nicht verstehen. Ein Kind muss aus Leidenschaft entstehen. Und der stolze Wüstenprinz setzt alles daran, um Karen das zu beweisen …

WIE EROBERE ICH EINEN SCHEICH? von LAURA WRIGHT
Während Rita mit ihrem Mann, dem König von Emand, durch die Weite der Wüste in den Sonnenuntergang reitet, kann sie bloß an das Eine denken. Doch wie erobert man einen Scheich, mit dem man nur eine Zweckehe geschlossen hat? Mit Wildheit - oder mit ganz viel Zärtlichkeit?


  • Erscheinungstag 01.12.2017
  • Bandnummer 0001
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724573
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Alexandra Sellers, Kristi Gold, Laura Wright

BACCARA GOLD BAND 1

1. KAPITEL

„Was ist eigentlich da draußen los?“, fragte Gordon Rhett und deutete in die Wüste hinaus. Er trat unter die große Zeltplane und nahm den Hut ab, der absolut notwendig war für jeden, der unter der sengenden Sonne arbeitete. Die meisten Mitarbeiter seines Teams saßen bereits an dem langen Esstisch.

„Haben Sie es nicht gehört?“, meldete sich Lena und war begeistert, dass sie jemandem die Neuigkeit erzählen konnte, die sie selbst gerade erfahren hatte. „Das ist das Zelt des Sultans.“

Gordon zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Wir sind alle zum Abendessen eingeladen, das gesamte Team“, erklärte Ryan. „Das sind seine Diener, die da drüben das große Fest vorbereiten.“

Gordon blickte über die Wüste auf das kreisförmige, rot-blaue Zelt, das in der Ferne aufgestellt wurde. „Es hat fast die Größe eines Fußballstadions“, bemerkte er ironisch. „Was glaubt er, wie viele wir sind?“

Gordon war Engländer, und für ihn war es Ehrensache, nie seine Gefühle zu zeigen. Zara hatte nur einmal erlebt, dass er seine eiserne Beherrschung verloren hatte, und zwar, als sie den ersten deutlichen Beweis dafür gefunden hatten, dass sie sich tatsächlich an der Stelle aufhielten, an der das alte Iskandiyar gelegen hatte. Dieser Moment war die Krönung seiner langjährigen Karriere als Archäologe. Sie hatten alle um den Ausgrabungsort herumgestanden, gejubelt und Freudensprünge gemacht, selbst Gordon. Ein Fest hingegen, selbst wenn es vom Prinzen von Ostbarakat gegeben wurde, würde ihm keine solche Reaktion entlocken.

„Er hat sich nach der genauen Anzahl erkundigt“, bemerkte Zara. „Aber wer weiß, wie viele er von seinem Hofstaat mitbringt?“

Jemand meldete sich: „Was soll das? Warum macht er das?“

„Um uns in seinem Land willkommen zu heißen, wie sein Bote sagte.“

„Wir sind schon seit drei Monaten in seinem Land.“

„Die Mühlen des Prinzen mahlen eben langsam.“

„Möglicherweise hat ihm endlich jemand die Nachricht übergeben, dass wir die Tore gefunden haben, die uns die vermutete Lage von Iskandiyar bestätigen“, stellte Gordon fest.

„Vielleicht will er uns auch nur überprüfen, falls wir einen Schatz finden.“

„Er ist schon so reich wie ein Scheich“, meinte Warren.

„Er ist ein Scheich“, bemerkte Lena atemlos. „Er ist auch nicht verheiratet“, fuhr sie fort. Der fehlende Zusammenhang entging ihr, und als lautes Gelächter um sie herum ertönte, blickte sie verblüfft in die Runde.

„Warum lacht ihr denn? Ist er wirklich nicht. Ich habe es im Radio gehört. Wisst ihr noch, vor einiger Zeit wurde diese Frau von dem Scheich von Westbarakat entführt, weil ihr Verlobter ihm etwas gestohlen hatte?“ Natürlich erinnerten sie sich alle daran. Tagelang hatten sie von nichts anderem gesprochen. „Am Ende hat sie sich mit dem Scheich verlobt. Dabei wurde erwähnt, dass seine beiden Brüder nicht verheiratet wären.“

Lena seufzte und brachte sie alle erneut zum Lachen. Sie schaute verständnislos von einem zum anderen. „Was habe ich denn jetzt schon wieder gesagt?“

„Nichts, Lena, es fällt nur sofort auf, dass du gern von diesem Scheich entführt werden willst“, erklärte Zara ihr freundlich.

„Oh? Bin ich so leicht zu durchschauen? Nun, ich darf doch wohl noch träumen, oder?“

Zara erschauerte. Von ihrem seltsamen Erlebnis im Wadi hatte sie den anderen nichts erzählt. Zum Teil, weil sie wusste, dass sie Vorwürfe zu hören bekäme. Schließlich hatte man sie vor den Banditen in der Wüste gewarnt. Keiner sollte sich allein vom Ausgrabungsort entfernen.

Aber nicht nur deshalb hatte sie diesen Vorfall nicht erwähnt. Vielmehr lag es daran, wie seltsam sie sich gefühlt hatte, als der Anführer der Banditen sie angestarrt hatte. Seltsam und – entblößt. Ihr hatte der Atem gestockt, während er in diesem Augenblick von ihr Besitz zu ergreifen schien wie ein Eroberer. Selbst jetzt wunderte sie sich noch, wie sie es geschafft hatte, sich aus diesem unsichtbaren Bann zu lösen und den Felsen hinaufzuklettern. Warum hatte er sie entkommen lassen?

Sie hatte Angst gehabt, dass er mit seinen Männern auf der anderen Seite des Felsens auf sie warten könnte, und als das nicht der Fall gewesen war, hatte sie sich keuchend und schluchzend auf den Rückweg zum Lager gemacht. Sie fürchtete sich, auch nur einen Blick über die Schulter zu werfen. Die ganze Zeit hatte sie angestrengt auf das Donnern von Hufen gelauscht.

Wie konnte Lena sich nur wünschen, entführt zu werden? Das musste die schrecklichste Erfahrung sein, die Zara sich vorstellen konnte. Jedenfalls war sie froh, dass der Bandit es nicht getan hatte. Dennoch bedauerte sie es auch ein wenig, dass sie ihn nicht mehr wiedersehen würde …

„Hört mal, ich bin diesem Banditen wohl begegnet“, sagte Zara, obwohl sie es eigentlich lieber verschweigen wollte.

Natürlich horchten sofort alle auf, und die Blicke der Anwesenden richteten sich auf sie. „Wo?“, wollten einige von ihnen wissen.

„Vor ein paar Tagen frühmorgens im Wadi“, berichtete sie leise.

„Allein?“, fragte Gordon. „Zara, das war sehr unklug.“

„Ja, sicher“, gab sie zu. „Ich werde es auch nicht wieder tun. Sie kamen angaloppiert, als ich am Wasserfall stand. Ich habe nichts gehört, aber als ich die Augen aufmachte, waren sie da, auf ihren Pferden.“

„Haben sie dich gesehen? Wie bist du entkommen?“

Zara schluckte und wusste nicht genau, warum sie eigentlich niemandem etwas davon erzählen wollte. „Ich bin über die Felsen hinaufgeklettert und weggerannt so schnell ich konnte.“

„Hätten sie dich gesehen, wären sie dir mit ihren Pferden gefolgt“, meinte jemand.

Zara erwiderte nichts. Sie stand auf und ging zum Kühlschrank, um sich ein kaltes Getränk zu holen. Dann ließ sie ihren Blick nach draußen über die Fundstätte gleiten und überließ es den anderen, sich über die jüngsten Ereignisse zu unterhalten.

Sie konnte sich glücklich schätzen, an dieser Ausgrabung teilzunehmen, die mit Sicherheit in der Archäologie Geschichte machen würde. Die Stadt Iskandiyar aus dem vierten bis dritten Jahrhundert vor Christus war von verschiedenen Schriftstellern der Antike erwähnt worden. Ihre Lage hatte den modernen Archäologen ein Rätsel aufgegeben, obwohl beschrieben stand, dass sie sich an den Ufern des Flusses befände, der jetzt den Namen Sa’adat, Glück, trug. Mehr als ein Jahrhundert hatten Reisende vergebens nach Anzeichen dafür geforscht. Von so einer bekannten Stadt hätte es auffallende Reste geben müssen.

Manche hatten vermutet, dass die Schriftsteller der Antike ungenaue Angaben gemacht hätten, aber Gordon hatte nie an ihnen gezweifelt. Er hatte sich während seiner Karriere mit Iskandiyar beschäftigt und war eines Tages auf einen Hinweis gestoßen: „… zu ihren Lebzeiten hat Königin Halimah von Barakat Brücken, Tunnel und viele öffentliche Gebäude errichten lassen. Sie hat den Lauf der Flüsse, sogar den des mächtigen Sa’adat, verändern lassen, wie es ihr beliebte …“

Das war die Erklärung, die ihm gefehlt hatte. Wenn der Lauf des Flusses achthundert Jahre nach dem Bau der Stadt verändert worden war, dann konnten die Reste nicht mehr an den Ufern des Flusses liegen.

Glücklicherweise hatte Zara Gordons Seminare zu der Zeit besucht, als er die Stätte in der Wüste südlich des Flusses entdeckt hatte, und durch einen noch günstigeren Zufall hatte sie ihr Examen gemacht, als Gordon seine finanziellen Mittel bewilligt bekam. Das Beste allerdings war gewesen, dass er ihr einen Platz in seinem Team angeboten hatte.

Bevor sie die marmornen Löwen nicht vom Sand der Zeit befreit hatten, konnten sie noch nicht ganz sicher sein, dass es die gesuchte Stätte war. Doch nach den Beschreibungen der Löwentore von Iskandiyar war das jetzt zweifelsfrei bewiesen: Hier lag die Stadt, die Alexander der Große auf seinem siegreichen Marsch nach Osten vor mehr als zweitausenddreihundert Jahren gegründet hatte. Bald danach hatte er bittere Tränen vergossen, weil es nichts mehr zu erobern gab.

Zara blickte hinüber zu den weißen Säulen, die in der sengenden Sonne glänzten. Manchmal dachte sie über Alexanders Tränen nach. Hatte er eine innere Leere verspürt, die er vergaß, sobald er durch die Gegend zog und kämpfte?

Zara war noch keine dreiunddreißig, so alt wie Alexander, als er über die damals bekannte Welt geherrscht hatte. Für sie gab es noch Welten zu erobern. Aber manchmal verspürte sie auch das Bedürfnis zu weinen, weil ihr das Leben in gewissen Augenblicken leer schien. Sie verstand nicht, warum. Es kam ihr so vor, als würde ihr eine innere Stimme sagen, sie hätte etwas versäumt und etwas ganz anderes tun sollen.

Dabei liebte sie ihre Arbeit. Es hatte ihr Spaß gemacht, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die längst untergegangene Kulturen bewegt hatten. Als Kind hatte sie bei einem Klassenausflug eine neue archäologische Ausgrabungsstätte in der Innenstadt von Toronto besucht und konnte sich noch heute an ihr Erstaunen erinnern, dass man die Spuren der Geschichte anfassen, riechen und aus der Erde ausgraben konnte. Von da an hatte sie gewusst, was sie später einmal im Leben machen wollte.

Nichts stand ihr im Weg. Ihre Zeugnisse waren gut, sie wurde von der Universität in Toronto angenommen, und Gordon hatte ihr großes Interesse erkannt. Er hatte sie unter seine Fittiche genommen wie einige andere vielversprechende Studenten vor ihr, die sich inzwischen einen Namen gemacht hatten. Einen besseren Anfang konnte sie sich in ihrem Beruf nicht wünschen.

Sie führte ein angenehmes Leben und schätzte ihre Lage, auch im Hinblick auf ihre Kindheit und Jugend, als glücklich ein. Ziemlich selten traf sie Verabredungen und hoffte noch, sich eines Tages zu verlieben. Aber damit hatte sie es nicht eilig.

Dennoch war ihr, ähnlich wie Alexander, zum Weinen zumute.

Warum? Was fehlte ihrem Leben? Wonach sehnte sie sich?

Scheinbar grundlos dachte sie wieder an den Banditen. Eine ganz andere Welt hatte sich ihr in seinen Augen offenbart, und sein begieriger Blick hatte ihr eine Leidenschaft versprochen, eine Lebensweise, von der sie bisher nicht mal geträumt hatte. Einen Augenblick lang stellte sie sich vor, was geschehen wäre, wäre er ihr gefolgt, hätte sie auf sein Pferd gehoben und wäre mit ihr davongeritten. Es wurde davon gesprochen, dass er Geiseln nahm. Aber er hatte sie nicht gemustert wie ein Mann, der eine mögliche Geisel in Augenschein nimmt. Zara erschauerte bei der Erinnerung an die Art und Weise, wie er sie betrachtet hatte.

Noch nie in ihrem Leben war sie so schnell gelaufen. Nie zuvor hatte ihr Herz so heftig geklopft. Sie schloss die Augen und entzog sich der gleißenden Sonne der Wüste. Aber den durchdringenden Blick des Banditen sah sie trotzdem vor sich.

2. KAPITEL

Die Vorbereitungen im Zelt des Scheichs dauerten den ganzen Nachmittag. Nahrungsmittel und Getränke wurden mit Helikoptern eingeflogen. Jeeps fuhren hin und her. Manches wurde auch zu Pferd gebracht. Aber abgesehen von dem Augenblick, als ein plötzlicher Windstoß das Zelt einzureißen drohte, wurde es nie hektisch oder laut.

In einem Punkt waren sich die Frauen des Teams einig. Für das Fest mussten sie sich zurechtmachen. Übereinstimmend legten sie ihr Werkzeug etwas früher beiseite, um sich umzuziehen. Eine der freiwilligen Helferinnen kramte ein Bügeleisen hervor und wollte es an den Generator anschließen. Die anderen Frauen stürzten sich erfreut darauf.

„Wie herrlich! Wie bist du nur auf die Idee gekommen, Jess?“

„Bin ich nicht. Meine Mom hat für mich gepackt. Ich habe ihr gesagt, das brauche ich nie, aber sie hat darauf bestanden.“

„Ich könnte deine Mutter küssen! Bedank dich in deinem nächsten Brief auch in meinem Namen bei ihr.“

„Ich habe aber kein Bügelbrett.“

„Wir brauchen nur ein Handtuch auf einem der Tische auszubreiten …“

Ein paar der Männer, die das mitbekamen, kratzten sich nachdenklich am Kopf.

An der Dusche und am Bügeleisen standen sie Schlange. Zum Glück hatte jeder etwas Passendes zum Anziehen, da sie eigentlich damit gerechnet hatten, wenigstens einmal das städtische Nachtleben der Emirate von Barakat zu genießen. Aber manche hatten eine komplette Galagarderobe mit. Sogar Gordon. Er überraschte alle, als er mit weißer Krawatte, im Smoking und mit polierten Schuhen erschien.

„Ich muss doch ein gutes Bild abgeben“, erklärte er, als die anderen ihn erstaunt musterten.

„Donnerwetter, Gordon!“, rief Lena verblüfft. „So etwas trägst du in der Wüste! Allmählich komme ich mir vor wie in einem Film.“

Lena selbst wirkte in ihrem tief ausgeschnittenen pinkfarbenen Kleid mit dem durchsichtigen Überwurf, der ganz nach östlicher Sitte mit Silber bestickt war, nicht minder auffallend.

Aber es war Zara, die alle ins Staunen versetzte. Das schlichte, hochgeschlossene und langärmelige weiße Seidenkleid, das bis zu ihren Füßen reichte und zu dem sie Goldsandalen trug, betonte ihre zierliche Figur. Ihr dunkles Haar hing offen bis über ihre Schultern, und ein goldenes Armband schmückte ihr Handgelenk. Lena musterte sie gespielt betrübt.

„Ich weiß nicht, jetzt habe ich das Gefühl, ich hätte es übertrieben“, beklagte sie sich. Aber der Protest, der von den Männern kam, sprach für sich.

Greg trat demonstrativ an ihre Seite, legte seine Arme um sie und warf einen gespielt lüsternen Blick in ihren Ausschnitt. „Jeder orientalische Machthaber muss erst einmal an mir vorbei.“

„Das dauert nicht lang“, bemerkte ein anderer.

Lena kicherte und warf einen Blick himmelwärts. „Greg, als ob ich noch Augen für dich hätte, falls der Prinz mich will!“

„Großartig“, versetzte Gordon trocken. „Ehe wir aufbrechen, darf ich euch daran erinnern, dass wir mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf Kissen sitzen werden und dass es in diesem Land als unhöflich gilt, wenn man seine Fußsohlen auf jemanden richtet. Also, vergesst nicht, ihr könnt euch nicht der Länge nach ausstrecken und eure Füße übereinanderschlagen, sodass sie womöglich noch auf den Prinzen zeigen. Ihr müsst euch irgendwie auf eure Füße setzen.“ Er gab ihnen noch einige Ratschläge, blickte dann auf die Uhr und meinte: „So, es wird Zeit.“

Zu zweit und dritt verließen sie ihre Überdachung und waren kaum auf dem Weg zum Zelt, als sie Licht sahen. Ehe sie ihr Ziel erreicht hatten, wurden sie von einer Gruppe Diener begrüßt, die brennende Fackeln trugen. Ein Mann in prächtigem pfauenblauem Gewand schritt der Gruppe voran, verneigte sich und stellte sich als Arif ur-Rashid, Tafelgefährte des Prinzen, vor.

„Sehr schmeichelhaft“, bemerkte Gordon zu Zara. „Traditionell ist die Ehre umso größer, je näher der König oder sein Gesandter den Gästen entgegenkommt. Praktisch haben sie uns von unserer Haustür abgeholt. Wirklich sehr nett. Wir können uns auf ein stattliches Fest freuen, mit Perlen in unseren Weinkelchen als Gastgeschenke.“

Zara lachte leise. Sie war eine der wenigen, die merkte, wenn Gordon einen Scherz machte.

Aber es war weniger ein Witz, als er gedacht hatte. Sämtliche Mitarbeiter des Teams waren restlos verblüfft, als sie das Zelt betraten, in dem alles vor Prunk und Reichtum strotzte und in den herrlichsten Farben, in Smaragd, Rubin, Saphir und Türkis, leuchtete. Jeder Zentimeter der Wände, des Bodens und der Decke war mit Teppichen, Wandbildern und wunderschön gefärbten Stoffen geschmückt, und die Möbel – aus Walnuss, Mahagoni und anderem, unbekanntem gemasertem Holz – waren so auf Hochglanz poliert, dass sie regelrecht zu funkeln schienen.

Die Beleuchtung bestand aus offenem Feuer oder Flammen unter zartbemalten oder kristallenen Glaskugeln, durch die das Licht im Raum reflektierte, als wären es Tausende von Diamanten. Sie waren umgeben von exotisch gekleideten Männern, die sich als Tafelgefährten des Prinzen vorstellten. Sie hatten tatsächlich alle das Gefühl, um Jahrhunderte zurückversetzt worden zu sein, mitten in eines der Märchen aus Tausendundeine Nacht.

Während sie begrüßt wurden und sich miteinander unterhielten, ertönte ganz in der Nähe das laute Knattern eines Helikopters. Sofort lag eine gewisse Erwartung in der Luft, und sämtliche Mitarbeiter des Teams beobachteten verstohlen den Zelteingang. Plötzlich betrat eine Gruppe Männer den Raum. Alle Tafelgefährten wandten sich um und verneigten sich.

Die Neuankömmlinge waren ebenso exotisch und farbenprächtig gekleidet wie die Tafelgefährten, aber an dem atemberaubend prunkvollen Aussehen war der Prinz auf einen Blick zu erkennen.

Seine lange, hochgeschlossene Jacke war aus cremefarbener Seide und schien vom Ellenbogen bis zum Handgelenk sowie um den Kragen herum mit winzigen grünen Lichtern besetzt. Seine weite Hose war dunkelgrün. Diagonal über der Brust trug er eine goldene Schärpe und eine doppelte Kette mit wunderschönen Perlen, mindestens einen Meter lang. Sie hing über seiner Brust und war mit einem Rubin, so groß wie ein Hühnerei, auf der einen Schulter befestigt. Er hatte einen schwarzen Schnauzer und dichtes, welliges schwarzes Haar. Wie seine Gefährten kam er mit bloßem Haupt. An den Fingern steckten königliche Schätze aus Gold und Edelsteinen.

Er hob die Hand in einer Geste, die bei jedem anderen Mann theatralisch gewirkt hätte, fand Zara, aber bei ihm vollkommen natürlich schien. Lächelnd sagte er etwas auf Arabisch und fügte dann in Englisch hinzu: „Es ist sehr freundlich, dass Sie an meinen bescheidenen Tisch gekommen sind. Möge ein so erfreuliches Ereignis gesegnet sein.“

Darauf eine passende Antwort zu geben, war einfach unmöglich.

Prinz Rafi erkannte Gordon und begrüßte ihn. Arif gesellte sich dazu. Der Prinz unterhielt sich kurz mit Gordon, folgte dann Arif und gab jedem Einzelnen die Hand.

Zum Schluss war er bei Zara angelangt. Jetzt erst fielen ihr zwei Dinge auf, die sie aus der Ferne nicht hatte bemerken können – einmal, der Duft von Sandelholz oder Myrrhe, der ihn umgab, und zum anderen die faszinierende körperliche Ausstrahlung des Mannes. Er war nicht groß, aber er besaß eine spürbare Macht.

„Miss Zara Blake, Durchlaucht“, stellte Arif sie vor, und der Prinz reichte ihr die Hand. Sie merkte, wie sie errötete, als sie zu ihm aufschaute. „Miss Blake, Seine Königliche Hoheit Sayed Hajji Rafi Jehangir ibn Daud ibn Hassan al Quraishi.“

Arif sprach den Namen aus wie ein Gedicht.

„Miss Blake, es ist mir ein großes Vergnügen“, begrüßte sie der Prinz so warm und herzlich, dass es ihr fast aufrichtig zu sein schien.

„Ganz meinerseits, Durchlaucht“, erwiderte Zara und verneigte sich trotz aller demokratischen Prinzipien, die sie vertrat, wie von selbst. Vermutlich lag es an der natürlichen königlichen Ausstrahlung ihres Gegenübers.

„Ich hoffe, Ihr Aufenthalt in meinem Land wird dauerhaft und fruchtbringend sein“, meinte er.

Zara schaute erneut auf, vermochte aber seinem Blick nicht lange standzuhalten. Die Hitze in ihren Wangen verstärkte sich noch. „Durchlaucht sind sehr freundlich“, bemerkte sie leise und rechnete damit, dass er weitergehen würde. Mit den anderen hatte er auch nur ein paar Worte gewechselt.

Zu ihrer Überraschung wollte er jedoch wissen: „Ihr Vorname ist Zara?“ Er sprach ihren Namen mit einer starken Betonung auf dem ersten Vokal aus. Zahra.

„Ja.“

„Das ist ein sehr schöner Name. In meiner Sprache bedeutet er ‚Blume‘ und ‚Herrlichkeit‘, ‚Schönheit‘.“ Ohne es wortwörtlich auszusprechen, brachte er damit zum Ausdruck, dass sie einen passenden Namen bekommen hatte. „Sprechen Ihre Eltern zufällig Arabisch?“

„Nein. Mein Vater ist französischer Herkunft und meine Mutter …“, sie zuckte mit den Achseln und bemühte sich um ein Lächeln, „eine einfache Kanadierin.“

Zara war verwundert, dass sie ins Stammeln geriet und verwirrt reagierte. Das war sonst nicht ihre Art, und sie ärgerte sich über sich selbst. Er war schließlich nur durch seine Geburt ein Prinz, und seine Komplimente hatten keine größere Bedeutung als die eines anderen Mannes. Es gab keinen Grund, verlegen zu werden wie ein Teenager. Verzweifelt wünschte sie sich, er würde weitergehen.

Aber das tat er nicht. Er gab Arif ur-Rashid ein unmerkliches Zeichen.

Der Tafelgefährte nickte und wandte sich an die Gäste. „Hier in Barakat, meine Damen und Herren, pflegen wir nicht die westliche Sitte, einen Drink und Hors d’œuvres im Stehen zu servieren. Deshalb lade ich Sie jetzt ein, am Tisch des Prinzen Platz zu nehmen.“

Die Wand hinter Zara öffnete sich. Erst da sah sie den großen hölzernen Bogen, vor dem sie gestanden hatte. Er entpuppte sich als Türöffnung, die mit schweren Vorhängen verschlossen worden war.

Prinz Rafi bot ihr seinen Arm. „Erlauben Sie mir, Sie zu führen, Zara.“

Als er sie mit Vornamen ansprach, begehrte Zara innerlich dagegen auf. Jetzt reichte es ihr. Sie wollte sich nicht gleich in einem Harem wiederfinden.

„Danke, Rafi“, antwortete sie deshalb kühl und hakte sich bei ihm unter.

Er lächelte und nickte vergnügt. Unwillkürlich schnappte Zara nach Luft. Es war unklug, sich in einer fremden Kultur auf ein solches Spiel einzulassen. Sie hatte keine Ahnung, welche Botschaft sie ihm mit ihren Worten vermittelt hatte. Woher sollte sie wissen, ob sie nicht schon einem Schäferstündchen nach Tisch zugestimmt hatte?

Etwas verspätet erinnerte sie sich daran, dass sie nicht nur an sich denken durfte. Die Zukunft der Ausgrabung mochte von ihrem Verhalten abhängen. Auf einen Wink von ihm konnten sie morgen schon ihre Koffer packen müssen.

Die Mitarbeiter des archäologischen Teams folgten ihnen durch den Torbogen in den Speisesaal, wo sie erstaunt innehielten und sich kaum die Überraschungslaute verbeißen konnten. Sie benahmen sich geradezu wie Barbaren, die zum ersten Mal einen Blick in die Zivilisation werfen. Die Tafelgefährten luden jeden einzeln ein, Platz zu nehmen.

Prinz Rafi führte Zara herum. Mit Erstaunen musterte sie all die Kostbarkeiten. Unzählige bunte Seiden- und Webkissen waren um einen langen, niedrigen Tisch verteilt. Kristallene Gläser und bemaltes Porzellan funkelten in Silber und Altgold. In der Mitte des Tisches und ringsherum an den Wänden sah man das Flackern zahlloser Flammen in künstlerisch bemalten Glaskugeln. An einer Wand stand sogar ein großer Springbrunnen. Zara mochte es nicht glauben, aber er war aus echtem Marmor, und das leise Plätschern des Wassers war schöner als Musik. Auf der gegenüberliegenden Seite waren die Zeltbahnen hochgerollt worden, damit ihnen die sanfte abendliche Brise etwas Kühlung bot. Mond, Sterne und Wüste bildeten einen malerischen Hintergrund. Nie zuvor in ihrem Leben hatte Zara etwas Vergleichbares gesehen.

„Das ist wunderschön“, flüsterte sie, und Prinz Rafi lächelte.

„Es freut mich, dass es Ihnen gefällt, Zara.“ Er führte sie an das eine Ende des Tisches. Der Duft frisch zubereiteter Speisen erfüllte die Luft.

Prinz Rafi blieb stehen, und zu ihrer grenzenlosen Verwunderung erkannte Zara, dass er sie dazu ausersehen hatte, während des Abendessens neben ihm zu sitzen. Ein Tafelgefährte hatte sich auf der anderen Seite des Prinzen eingefunden, und gleich daneben hatte sich Gordon niedergelassen. Die anderen suchten sich ihre Plätze noch aus, und schon sah man, dass jeden zweiten oder dritten einer der Tafelgefährten innehatte.

Prinz Rafi bedeutete allen, sich hinzusetzen. Zara nahm auf den herrlich bequemen Kissen Platz und hielt ihre Füße ordentlich bei sich. Auf der anderen Seite neben ihr saß Arif ur-Rashid.

Musik erklang. Mehrere Musiker mit Geigen und anderen Instrumenten sorgten für die klangliche Untermalung während des Essens.

Arif klatschte in die Hände, und eine kleine Gruppe weiß gekleideter Jungen und Mädchen tauchte auf. Jeder Junge trug eine Karaffe und jedes Mädchen eine Schüssel. Sie traten an den Tisch und knieten sich neben den Gästen hin. Das Mädchen zwischen Prinz Rafi und Zara balancierte die Schüssel auf dem Knie und bot dem Prinzen ein Stück Seife. Er sprach leise mit dem Mädchen. Es errötete, wandte sich an Zara und hielt ihr die Seife hin. Zara nahm die Seife entgegen und wusch sich unter dem Wasser, das der Junge mit der Karaffe über ihre Hände goss.

Als Zara fertig war, wollte das Mädchen die Seife wieder entgegennehmen, doch Prinz Rafi griff danach. Mit klopfendem Herzen reichte Zara sie ihm. Unwillkürlich rang sie nach Atem und beobachtete fasziniert, wie Prinz Rafi die Seife zwischen seinen Händen rieb. Wie von selbst hob sie den Kopf und begegnete seinem Blick.

Lächelnd schaute er ihr in die Augen. Langsam legte er die Seife in die Schüssel und hielt seine Hände unter den angebotenen Wasserstrahl. Rosenwasserduft vermischte sich mit den anderen Gerüchen, die Zara in die Nase wehten.

„Ihnen wird das Handtuch gereicht, Miss Blake“, bemerkte der Prinz.

Im ersten Moment war Zara wie benommen. Doch dann wandte sie sich lächelnd dem Mädchen zu. „Danke“, sagte sie, trocknete sich die Hände und beobachtete, wie der Prinz das Gleiche tat. Dann gesellten der Junge und das Mädchen sich zu dem Tross der Wasserträger, die in fester Formation den Saal verließen.

Fast gleichzeitig kam die nächste Gruppe Bediensteter herein, brachte den köstlichen Duft orientalischer Küche mit und trug ein wahres Festmahl auf. Ein paar Schüsseln wurden auf den Tisch gestellt, andere herumgereicht. Die wunderschönen silbernen und goldenen Kelche wurden mit Wasser, Wein und exotischen Säften gefüllt.

Nachdem das geschäftige Treiben sich gelegt hatte, hob Prinz Rafi seinen goldenen Kelch. „Allen Mitarbeitern des archäologischen Teams möchte ich meinen herzlichen Glückwunsch aussprechen. Der große historische Fund, den Sie gemacht haben und der zweifellos in den kommenden Jahren ausgegraben wird, ist eine Bereicherung für das Wissen über die Geschichte meines Landes und der Antike. Besonders wende ich mich dabei an Mr. Gordon Rhett, den ich bereits von seinen vielen Besuchen und begeisterten Schreiben her kenne.“

Er prostete Gordon zu, und alle folgten seinem Beispiel.

„Aber heute ist nicht der Tag für große Reden. Die Geistesnahrung wird angeboten, sobald die Fleischeslust befriedigt ist.“ Er lud alle herzlich ein, zu essen und zu trinken, aber Zara hörte seine Worte kaum noch. Das Wort „Fleischeslust“ hatte eine so starke erotisierende Wirkung auf sie, dass sie am ganzen Körper erschauerte und wie erstarrt dasaß.

3. KAPITEL

Je weiter der Abend fortschritt, desto mehr fiel auf, dass Prinz Rafi nur Augen für Zara hatte. Ob er sich an alle Anwesenden wandte oder einen einzelnen, fast jeder spürte die Wärme, die die beiden umgab.

Als der gebratene Hammel hereingebracht wurde, erzählte er eine Geschichte aus der Regierungszeit seines Vaters. Wie es Sitte war, hatte sein Vater einem Ehrengast, dem britischen Botschafter, als besonderen Leckerbissen die Augen eines Hammels servieren lassen.

„Musste er die etwa auch vor aller Augen verzehren?“, wollte Zara wissen.

Prinz Rafi warf ihr einen belustigten Blick zu, der wie eine Berührung auf sie wirkte. „Meine Stiefmutter, die erste und meistgeliebte Frau meines Vaters, war damals gerade mit ihm verheiratet. Sie saß auf der anderen Seite des Botschafters, und gerade in dem Moment, als ihm die Augen des Schafs serviert wurden, ist meiner Stiefmutter das Wasserglas umgefallen. Der Botschafter hat selbstverständlich etwas in den Mund gesteckt und genießerisch gegessen. Aber es wurde hinterher erzählt, meine Stiefmutter hätte meinem Vater Vorwürfe gemacht und ihn schwören lassen, dass er so etwas nie wieder tun würde.“

Alle lachten. Rafis bewundernder Blick galt jedoch allein Zara, deren Augen amüsiert funkelten und deren langes schwarzes Haar bei jeder Bewegung mitschwang.

„Meine Stiefmutter war selbst Ausländerin“, berichtete er. „Sie vermochte meinem Vater häufig einen guten Rat zu geben. Sie war ihm eine große Stütze in seiner Regierungszeit. Er hat das immer betont.“ Der Prinz hielt kurz inne. „Sie haben sich sehr geliebt, ihr ganzes Leben.“

Bei diesen Worten schaute er Zara an. Ihr Lachen erstarb, und eine sichtbare Hitze breitete sich auf ihren Wangen aus. Allmählich begann sie, sich ein wenig zu ärgern. Dass er ihr schöne Augen machte, war eine Sache für sich. Aber nun wurde es ihr zu bunt. Sie fühlte sich wie eine Närrin.

Kühl entgegnete sie: „Es hat ihn nicht davon abgehalten, sich andere Frauen zu nehmen, oder? Sie war schließlich nicht Ihre leibliche Mutter.“

Anstatt ihn mit dieser Bemerkung zu treffen, erreichte sie das Gegenteil. Seine Augen blitzten interessiert auf. „Aha, Sie kennen nicht die tragische Geschichte!“, rief Rafi und schaute sich zu den Musikern um. „Wo ist Motreb? Bitte ihn hervorzutreten.“

Ein Mann in seltsamer Kleidung kam mit einem unbekannten Saiteninstrument, das einem Banjo glich, herbei. „Motreb, ich möchte dich bitten, meinen Freunden das Lied über die Liebe meines Vaters zu singen“, verlangte er.

Er beugte sich zu Haroun auf seiner Linken und raunte ihm etwas ins Ohr. Als der Sänger sich anschickte, das Stück über den König, der sich in eine bezaubernde Ausländerin verliebte, vorzutragen, stand der Tafelgefährte auf und trat neben ihn. Zwischen den einzelnen Strophen machte Motreb eine Pause, und Haroun übersetzte den Text.

„‚Und wirst du außer mir keine weitere Frau zum Weib nehmen? Das kannst du bestimmt nicht schwören, behauptete sie.‘“

Zara, die die Geschichte noch nie gehört hatte, war fasziniert, zum einen von der Geschichte und zum anderen von der eindringlich und wehklagend vorgetragenen Melodie.

„‚Das werde ich tun. Ich schwöre es. Kein anderes Weib, nur dich …‘“

So bekam Zara die Geschichte zu hören, wie König Daud die Ausländerin geheiratet und zur Freude seines Volkes zur Königin gemacht hatte. Es folgten dreißig Jahre glücklicher Ehe, der zwei Söhne entstammten. Ein Flugzeugunglück nahm dem König die Erben. Lange Zeit trauerten der König und die Königin.

„‚Wir haben unsere geliebten Söhne verloren, mein Mann. Und obwohl ich dir von Herzen gern weitere schenken möchte, bin ich zu alt. Dein Versprechen, das du in der Blüte deiner Jugend gemacht hast, ist verjährt. Es gilt nicht mehr. Nimm dir deshalb drei junge Frauen und zeuge mit ihnen einen Sohn für dein Königreich, auf dass es dem Land gut gehe.‘“

Zara brannten Tränen der Rührung in den Augen. Irgendwo zu ihrer Rechten hörte sie jemanden schniefen. Vermutlich war das Lena. Da verlor sie selbst auch die Beherrschung und senkte rasch den Kopf. Verstohlen suchte sie nach einem Taschentuch und betupfte sich die Augen.

Ihre freie Hand wurde sanft umfasst. Sie schaute auf und begegnete Prinz Rafis Blick. Er musterte sie vielsagend und verführerisch, bevor er ihr einen Kuss auf die Knöchel drückte. Es war kein flüchtiger Kuss, sondern ein inniger Druck mit halb geöffneten Lippen, als wollte er von ihr kosten. Gegen ihren Willen schmolz Zara förmlich dahin, und ihr Herz begann zu jagen.

Nie zuvor hatte sie eine so aufreizende Verführung in aller Öffentlichkeit erlebt. Auf das Lied folgten Geschichten, die einige der Tafelgefährten vortrugen. Danach erschienen Bauchtänzerinnen in den bezauberndsten Kostümen, die Zara je gesehen hatte. Jede Tänzerin wurde mit Juwelen oder Gold bezahlt, wie in einem Märchen.

Prinz Rafis bewundernde Blicke häuften sich. Zara merkte, dass sie kaum noch einen Widerstand gegen seinen männlichen Charme und seine atemberaubend starke Anziehungskraft hatte. Er hätte alles von ihr verlangen können.

Schließlich gab Prinz Rafi dem Tafelgefährten namens Ayman ein Zeichen. Er stand auf und verließ den Raum.

„Es war bei meinen Vorfahren seit jeher Brauch, denjenigen, die sich besonders verdient gemacht hatten, Gewänder zu überreichen“, begann Prinz Rafi. „Da jeder von Ihnen dazu beigetragen hat, den Nachweis zu erbringen, dass der große Iskandar, bei Ihnen Alexander genannt, in diesem Land war, ist es mir ein Vergnügen, jeden von Ihnen mit dem traditionellen Gewand zu beschenken.“

In dem Augenblick kehrte Ayman zurück und führte die Gruppe der Wasserträger herein. Diesmal brachten die Jungen und Mädchen sorgsam aufgefaltete Stoffe in verschiedenen Farben und Mustern. Alle waren von Gold- und Silberfäden durchwirkt. Jeder kniete sich zu einem der Mitarbeiter und bot ihm ein Gewand an.

Die Frauen waren hörbar entzückt, aber auch die Männer zeigten sich erfreut. Manche sprangen sogleich auf, um die Gewänder auseinanderzufalten und anzuprobieren.

Ein hübsches Mädchen kniete neben Zara und reichte ihr ein glitzerndes Gewand. Zara bedankte sich, und das Mädchen warf einen flüchtigen Blick zu Prinz Rafi, der ihm zu Zaras Überraschung zuzwinkerte, ehe es sich verneigte und verabschiedete.

Um sie herum hatten einige schon ihre Gewänder angelegt. „Oh!“ Staunend betrachtete Zara ihr Geschenk. Es schien aus gesponnenem Gold gewebt und war mit einem herrlichen Muster in Rot und Grün bestickt. „Ist das schön!“, flüsterte sie. „Das kann ich unmöglich …“

Nicht weit von ihr entfernt war Gordon aufgestanden und hielt sich sein Gewand an. Als er Zaras Ausruf hörte, warf er ihr einen mahnenden Blick zu, dem sie entnahm, dass es einer Beleidigung gleichkäme, das Geschenk zurückzuweisen. In dem Fall wäre die Ausgrabung Geschichte. Also konnte sie den Prinzen unmöglich kränken.

„Es ist wunderschön“, flüsterte sie, hockte sich auf ihre Fersen und bemühte sich, inmitten der Kissen elegant aufzustehen. Aber ihr Fuß verfing sich im Saum des Kleides, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, fiel sie auf Prinz Rafi.

Er fing sie sofort auf und schloss die Augen, als ihr langes Haar wie ein Vorhang um sein Gesicht fiel. Das Gewand glitt zu Boden, breitete sich um sie herum aus und glitzerte in dem flackernden Licht der Flammen wie etwas Verzaubertes von unschätzbarem Wert.

„Allein der Duft Ihres Haares kann einen Mann schon verrückt machen. Ich habe Tag und Nacht von Ihnen geträumt.“

Die Umstehenden im Raum waren wie erstarrt, und alle Augen richteten sich auf sie. Wäre Zara nicht so restlos verlegen gewesen, hätte sie über das Bild, das sie abgaben, lachen können.

Doch ihre eigene Reaktion war gefährlich. Zara fühlte sich von der Berührung des Mannes, seinem Flüstern wie elektrisiert.

„Ent… Entschuldigung“, stammelte sie und versuchte, sich aufzurichten. „Ich weiß nicht, wieso ich so ungeschickt bin.“

„Wirklich nicht?“ Er lächelte und half ihr.

„Nein … also …“ Sie versuchte, sich zu beruhigen und die Situation als normal hinzunehmen – soweit sie diesen bemerkenswerten Abend als normal bezeichnen konnte. Sie griff nach dem Gewand und legte es sich um.

Es war unglaublich schön und breit gefächert im Rücken. Es reichte bis zum Boden, war vorne etwas kürzer, sodass der Saum gerade ihre Zehen berührte. „Danke“, flüsterte sie beeindruckt.

Gordon setzte sich und sprach Prinz Rafi an, um Zara etwas Zeit zu lassen: „Ich muss Ihnen unbedingt sagen, dass einer von uns vorgestern ein paar berittene Banditen gesehen hat. Es schienen eine ganze Reihe zu sein. Ich mache mir Sorgen, ob wir genügend abgesichert sind.“

Prinz Rafi richtete sich überrascht auf. „Banditen!“, wiederholte er. „So nah! Wir bekommen Jalal sonst nicht auf unserer Seite des Flusses zu Gesicht. Sein Hauptquartier liegt im Reich meines Bruders. Wo genau sind sie gesichtet worden?“

„Im Wadi. Manche von uns gehen dort hin, um sich von der Hitze zu erholen. Alle sind gewarnt, sich nicht allein von der Ausgrabungsstätte zu entfernen. Aber ich fürchte, der Wasserfall ist sehr verlockend.“

„Am Wasserfall?“, fragte Rafi in einem anderen Ton und wandte sich Zara zu, die ebenfalls wieder Platz genommen hatte und ihnen aufmerksam zuhörte. „Wann und wie viele?“

Zara lächelte. „Das war vor drei Tagen. Ich habe sie nicht gezählt. Als ich sie gesehen habe, bin ich sofort davongelaufen. Aber ich vermute, es waren zehn oder zwölf Männer. Jeder saß auf einem prächtigen Pferd.“

Er nahm seinen Blick nicht von ihr. „Hatten Sie Angst?“

„Ich war erschrocken“, erwiderte sie.

„Ihren Anführer … Haben Sie ihn gesehen?“

„Ich glaube schon“, erwiderte Zara und unterdrückte den leichten Schauer, der ihr über den Rücken rieselte, als sie sich an den Blick des Banditen und ihre eigene Reaktion darauf erinnerte. Das Gefühl war nicht so viel anders gewesen als bei Prinz Rafi. „Es war auf jeden Fall ein Mann dabei, der eine gewisse Macht ausgestrahlt hat.“

„Und er … hat Sie gesehen?“

Unwillkürlich erinnerte sie sich an den durchdringenden dunklen Blick, presste die Lippen aufeinander und nickte.

„Aber Sie wurden nicht entführt? Zwölf Männer, und Sie konnten entkommen?“

„Ich glaube nicht, dass er … sie es versuchen wollten. Wären sie nämlich aus der Einfriedung auf die andere Seite geritten … nun, zu Pferd hätten sie mich eingeholt.“ Ihr Mund war wie ausgetrocknet, und sie wusste nicht, warum. Etwas, das sie wohl wahrgenommen hatte, war nicht bis in ihr Bewusstsein gedrungen, beunruhigte sie aber.

„Dann ist er ein Narr“, stellte Prinz Rafi fest. „Wenn ein Mann sieht, was er haben will, sollte er sich nicht die Mühe machen, es umgehend zu erlangen?“

Zara lächelte. „Vielleicht wollte er das gar nicht, was er gesehen hat“, entgegnete sie und erschauerte, weil sie wusste, dass sie sich selbst belog. Der Banditenanführer hatte sie wohl haben wollen.

„Welcher Mann würde Sie nicht begehren, so wunderschön wie Sie am Wasserfall ausgesehen haben, mit Ihrer reizenden Figur und Ihrer seidigen Haut? Er muss ja geradezu eifersüchtig auf seine Begleiter gewesen sein, weil die Sie auch gesehen haben. Wenn er Sie nicht verfolgt hat, obwohl er zu Pferd war, hat er sicher einen anderen Plan gehabt. Hat nicht auch König Koshrow sich unsterblich in Shirin verliebt, als er sie beim Baden sah? Er hat vor nichts haltgemacht, um sie zu bekommen.“

Mehr als alles andere war es die blanke Leidenschaft in den Augen des Prinzen, die ihr die Wahrheit sagte. Er hatte sie den ganzen Abend vor ihr verborgen und ihr nur einen Bruchteil von dem gezeigt, was er tatsächlich empfand.

Zara schlug sich erschrocken mit der Hand auf den Mund. Sofort verstummte die Unterhaltung um sie herum. Langsam ließ sie ihre Hand sinken, während sie hilflos zu ihm aufsah. Sie musste sich nur die weiße „Keffieh“ wegdenken, das Kopftuch, das der Bandit getragen hatte …

„Ein Mann würde alles tun, was in seiner Macht stünde“, erklärte Prinz Rafi leise.

„Sie waren das!“, flüsterte Zara.

Er begegnete ihrem Blick und gab ihr die Wahrheit zu erkennen. Das war der Grund für das plötzliche Interesse des Prinzen, für dieses Abendessen … Zara erkannte es überdeutlich.

Seine Königliche Hoheit Sayed Hajji Rafi Jehangir ibn Daud ibn Hassan al Quraishi war der Mann im Wadi gewesen, den sie für den Anführer der Banditen gehalten hatte.

4. KAPITEL

Zara gelang es schließlich, sich dem Bann des Prinzen zu entziehen, und sie musste feststellen, dass sämtliche Augenpaare der Mitarbeiter des Teams auf sie gerichtet waren.

Sie vermochte keinen klaren Gedanken mehr zu fassen. Sie brauchte frische Luft und musste für sich sein.

„Entschuldigen Sie mich“, sagte sie und stand auf. Das Gewand umschmeichelte ihre Figur und funkelte, als sie an den anderen vorbeiging, die ihr wahres Interesse hinter belangloser Unterhaltung verbargen, deren verstohlene Blicke Zara jedoch folgten.

Draußen schien der Vollmond und erhellte die Dünen, die Zelte der Archäologen in der Ferne und in der Nähe die Felsblöcke, hinter denen die hohen Palmen den Teich und den Wasserfall umgaben, der knapp über den Felsen sichtbar war.

Sie presste die Hände gegen ihre erhitzten Wangen und schritt mit wehendem Gewand darauf zu. Von hier aus sah sie eine schmale Öffnung zwischen den Felsen, die jetzt im Dunkeln lag. Aber sie fand sich auch so zurecht und war bald schon in der Nähe des Wasserfalls.

Es war Gordons Theorie, dass dies der ursprüngliche Verlauf des Flusses gewesen war, ehe Königin Halimah ihn bei einem ihrer Bauprojekte hatte verlegen lassen.

Es war mehr als zweitausend Jahre her, seit Alexander mit seinen Armeen hier gewesen war, aber so sehr hatte sich die Menschheit nicht verändert. Männer wurden immer noch von Eifersucht und Leidenschaft verzehrt … und mit dem Sex verhielt es sich ähnlich wie mit dem Fluss. Wenn man versuchte, ihn umzulenken, suchte er sich einen Schwachpunkt und machte sich dort bemerkbar …

Zara wusste einfach nicht, was sie mit Prinz Rafi anfangen sollte. Dass es zwischen ihnen eine starke Anziehungskraft gab, konnte und wollte sie nicht leugnen. Sie hatte sie bereits empfunden, als sie ihn für den Banditen gehalten hatte, und jetzt, da sie wusste, wer er war, wurde der Bann nicht schwächer.

Aber sie war eine Fremde in einem fremden Land und hatte keine Ahnung, welche Gefahren auf sie lauerten, wenn sie ihren Gefühlen nachgeben würde. Sie beherrschte die Sprache nur wenig, wusste kaum etwas über diese Kultur. Ihre Kenntnisse bezogen sich allein auf die Vergangenheit.

Angenommen, sie gäbe nach, für eine Nacht oder eine Woche, was würde das am Ende bedeuten? Würde ein König etwa eine Frau wieder gehen lassen, nachdem er sie geliebt hatte? Oder würde sie eifersüchtig in einem Harem bewacht werden, auch wenn er sie nicht mehr wollte, um zu verhindern, dass ein anderer Mann mit ihm verglichen werden konnte?

Lächerlich! Das war einfach albern. Aber die Furcht, die sie verspürte, war nicht albern. Der Gedanke, sich von ihm lieben zu lassen, machte ihr Angst. Kein Mann hatte sie je so sehr in Unruhe versetzt.

Da hörte sie ein klirrendes Geräusch, und es schien fast so, als hätte ein Pferd geschnaubt. Erschrocken schaute Zara auf.

„Wer ist da?“, rief sie und bemühte sich, keine Angst zu zeigen. Wie dumm war es doch von ihr gewesen, sich allein so weit vom großen Zelt zu entfernen. „Wer ist da?“

Plötzlich erschien ihr der Ort voller Gefahren. Zara fröstelte. Was sollte sie machen, wenn Prinz Rafi ihr gefolgt war? Wenn er ihr Verhalten als Einladung ausgelegt hatte?

In dem Moment ertönten Schritte. Der Wasserfall schluckte sämtliche Geräusche, aber sie glaubte, dass sie von dem Durchgang herkamen. Es musste Prinz Rafi sein. Sie spürte es. Panik erfasste sie, und sie flüchtete sich zu den schützenden Felsen. Jetzt ärgerte sie sich über das Mondlicht. Es verfing sich glitzernd in ihrem Gewand und würde sie selbst im finstersten Schatten verraten.

Zara schaute sich hastig um, versuchte mit ihrem Blick die Dunkelheit zu durchdringen. Irgendwo hier musste eine Nische sein, ein Versteck, aber der Schatten war pechschwarz. Es blieb ihr keine Zeit, lange zu überlegen. Sie stürzte sich ins Ungewisse.

Dann schrie sie auf, als direkt vor ihr ein Pferd hochging. Aus dem Schatten beugte sich jemand zu ihr herab und fasste nach ihr. Der Prinz! Lieber Himmel, war er denn verrückt? Im selben Moment wurde sie von starken Armen hochgehoben und fühlte das Pferd unter sich. Ihr Gesicht wurde gegen eine breite Brust gedrückt.

Sie klammerte sich an den Reiter. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Er hatte das Pferd bereits zu einem strammen Galopp angespornt, und wenn sie jetzt herunterfiel, konnte das ihr Tod sein. Ihr Herz klopfte ohrenbetäubend. Ein winziger Teil ihres Verstandes blieb nüchtern, sodass sie über alles nachdenken konnte.

Schreien war ausgeschlossen. Dafür wurde sie zu unnachgiebig an diese Brust gepresst. Sie nahm den Geruch von männichem Schweiß, der Wüste und dem Pferd wahr.

Es war nicht der Geruch, der so anziehend auf sie gewirkt hatte. Prinz Rafi hatte nach Sandelholz und Myrrhe geduftet.

Im selben Moment hörte sie ein deftiges Fluchen und spürte das Sprechen des Mannes an ihrer Wange. Das Pferd geriet außer sich und stieg hoch, sodass sie noch fester an ihn gepresst wurde. Er lockerte seinen Griff und hantierte an den Zügeln herum. Zara schaute auf und sah, wie ein Mann von den Hufen des Tieres zu Boden geworfen wurde. Dann preschten sie an dem Mann vorbei.

Im Mondlicht schien die Farbe seines Umhangs violett, aber er war trotzdem zu erkennen. Prinz Rafi sprang auf und verfolgte sie, wie Zara sah. Aber der Reiter trieb sein Pferd mächtig an, und in wenigen Sekunden hatten sie den Prinzen schon weit hinter sich gelassen.

Zara schrie, laut und anhaltend, aber jetzt war es zu spät. Um sie herum breitete sich im Mondlicht nichts als die trostlose Wüste aus. Die Angst war fast überwältigend. Zara rang nach Luft und verschluckte sich, aber ehe sie erneut schreien konnte, wurde sie von einer Hand gepackt und mit dem Gesicht in die erstickenden Falten des Burnus gepresst.

Zara hatte Angst vom Pferd zu fallen, als es steil einen Sandabhang hinunterging, aber der erstickende Griff war zu fest. Blankes Entsetzen hatte sie erfasst, und sie überlegte, was schlimmer sein würde, das, was der Bandit mit ihr vorhatte oder der Tod unter den scharfen Hufen des Tieres.

Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Es hatte keinen Sinn, über das Kommende zu grübeln. Sie musste sich etwas überlegen. Eine entscheidende Gelegenheit hatte sie bereits verpasst. Hätte sie den Reiter nicht für Prinz Rafi gehalten, hätte sie vielleicht … aber es hatte keinen Sinn, so zu denken. Sie musste nach einer Fluchtmöglichkeit suchen.

„Wenn Sie sich wehren, binde ich Sie am Sattel fest“, stieß der Mann hervor, als sie sich bewegte. „Wenn Sie schreien, bringe ich Sie gewaltsam zum Verstummen.“

Sie erschrak bei dem drohenden Unterton seiner Stimme. Er klang wie ein Mann, der vor nichts zurückschreckte.

„Ich bekomme keine Luft!“, beschwerte Zara sich. Offenbar besaß er aber Mitgefühl, denn er ließ ihr die Freiheit, das Gesicht umzudrehen.

Er hielt ihr jedoch weiterhin den Mund zu und presste sie an sich. Zara zwang sich zur Vernunft. Es musste doch etwas geben, was sie tun konnte! Man würde ihnen folgen. Prinz Rafi, Gordon … würden den Banditen verfolgen. Möglicherweise saßen sie bereits im Helikopter. Außerdem hatten sie mehrere Landrover.

Daran hatte der Bandit auch gedacht, wie sie feststellte, denn nach einiger Zeit, die sie nicht hätte bestimmen können, verließ er den sandigen Boden und gelangte auf steinigen Grund. Hier wendete er das Pferd so scharf, dass sie fast in die entgegengesetzte Richtung ritten. Zunächst hatte er sich nach Osten gehalten, und jetzt schien es Zara, dass sie in nordwestlicher Richtung unterwegs waren. Wie lange würde die Suche in östlicher Richtung dauern, ehe sie erkannten, dass sie sich auf der falschen Fährte befanden?

Aus der Ferne zur Linken hörten sie jetzt das Geräusch des Helikopters. Zwar hatte der Bandit ihren Kopf fest an sich gepresst, aber dennoch konnte sie in der Ferne das Licht sehen, das ihr sagte, der Helikopter hatte einen Suchscheinwerfer. Könnte sie ihnen doch ein Zeichen hinterlassen, damit sie sahen, welchen Weg sie eingeschlagen hatten! Etwas, das im Licht des Suchscheinwerfers aufblitzen würde … ihre Sandalen waren goldfarben.

Sie hatte noch beide Sandalen an. Es kam ihr, nach allem, was passiert war, fast unglaublich vor. Zwischen ihren Zehen befanden sich jeweils kleine Riemen, die auf der Innenseite zusammentrafen. Bisher war ihr nicht aufgefallen, wie sicher sie am Fuß saßen.

Langsam, ohne darüber nachzudenken, was sie tat, versuchte sie, die erste Sandale abzustreifen. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, um zu sehen, wie sie hingefallen war. Es mochte Tage dauern, bis jemand sie fand, wenn überhaupt. Ein paar Kilometer weiter ließ sie die zweite fallen.

Der Helikopter flog in die verkehrte Richtung und folgte der anfänglichen östlichen Richtung, die der Bandit eingeschlagen hatte. Das Knattern der Rotorblätter wurde schwächer. Der feste Griff ihres Entführers ließ nach. „Jetzt wird niemand Sie mehr hören, wenn Sie schreien“, bemerkte er. Doch er behielt das Tempo bei.

Zaras Hüfte schmerzte, und sie versuchte, eine bequemere Position einzunehmen. Der goldene Umhang wehte im Wind. Sie zog daran und war erstaunt, dass sie ihn noch anhatte. „Wohin bringen Sie mich?“, fragte sie heiser.

„In mein Lager.“

„Ist Ihr Lager nicht auf der anderen Seite des Flusses?“

Er musterte sie. Das Mondlicht erhellte sein Gesicht. Aber er sagte nichts. Zara hielt den Atem an.

„Sie sehen aus wie Prinz Rafi!“, flüsterte sie.

Der Mann lachte und bog den Kopf in den Nacken. „Tatsächlich?“

Furcht erfasste sie. „Wer sind Sie?“

„Hat man Ihnen keine Geschichten über mich erzählt? Ich bin Jalal, der Bandit, Enkel des großen Selim.“

„Wer …“, begann Zara, wurde aber sogleich von ihm unterbrochen.

„Verschwenden Sie nicht Ihren Atem mit sinnlosen Fragen. Ich werde Ihnen keine Antwort geben, und wir haben einen langen, harten Weg vor uns.“

Jalal hatte nicht übertrieben. Zara verlor jegliches Zeitgefühl. Sie war bisher nie länger als eine Stunde geritten, und da sie seitlich auf dem Sattel saß, musste sie zwangsläufig eine Hüfte höher halten als die andere. Das war sehr unbequem, und sie war fast froh, als ein Gefühl der Taubheit einsetzte.

„Jetzt muss ich Ihnen die Augen verbinden.“

Zara raffte sich aus der Benommenheit auf, in die sie versunken war, und hätte gern gewusst, wie lange sie schon unterwegs waren. Das Pferd war inzwischen schweißbedeckt und offenbar erschöpft, aber es gab sein Bestes.

Jalal fasste nach seiner „Keffieh“ und zog sie vom Kopf. „Wickeln Sie sich das Tuch um den Kopf und bedecken Sie Ihr Gesicht.“

Sie mussten in der Nähe einer auffallenden landschaftlichen Markierung sein, die sie später wiedererkennen könnte. Zara hoffte inständig, dass es zugleich bedeutete, er wollte sie leben lassen, denn sonst hätte ihn das nicht zu kümmern brauchen. Ihre Angst ließ ein wenig nach.

Sie schaute sich ein letztes Mal um, damit sie sich die Umgebung einprägte. Gleichzeitig nahm sie das Tuch entgegen und schlang es sich um den Kopf. Vor ihnen ragte ein Felsenberg auf, der einen großen Schatten warf. Sie glaubte, in der Ferne Wasser plätschern zu hören, aber die Wüste lag im Schatten.

Ein Windstoß zerrte an ihrem goldenen Gewand … Das ist das einzig sichere Zeichen, das ich zurücklassen kann, ging es Zara durch den Sinn, falls es mir gelingt, es unbemerkt abzuwerfen. Sollte es gefunden werden, würde Prinz Rafi es sofort erkennen. Er würde wissen, dass sie diesen Weg genommen hatten … falls jemand hier vorbeikam und es fand, ehe es unter dem Sand begraben wurde. Zara musste es versuchen. Wenn sie jetzt schon die Hoffnung aufgab, war sie verloren.

Unter dem Schutz der Kopfbedeckung schlüpfte Zara mit einem Arm aus dem herrlichen Gewand. Sie schlang den Rest des Schals über ihre Augen und zog das Gewand in ihren Schoß, sodass nur noch der andere Arm darin hing.

Das Pferd, jetzt schon ziemlich erschöpft, schleppte sich vorwärts, während Zara unter dem Tuch kaum Luft bekam. Schließlich zügelte Jalal das Tier zum Schritttempo, und Zara bereitete sich darauf vor, endlich das Gewand von sich zu werfen. Sie nahm ein Echo wahr und glaubte, dass sie irgendwo hineingehen würden. Sie zog den Arm aus dem Gewand, schrie und begann sich zu wehren.

Natürlich kam sie nicht gegen die Kräfte des Banditen an, aber sie hatte es geschafft, sich dabei ganz aus dem Gewand zu befreien. „Bücken Sie sich tief!“, befahl er ihr barsch und drückte sie auf den Hals des Pferdes hinunter. Dann beugte er sich über sie. Das war ihre letzte Chance. Auf den Hals des Pferdes hinuntergedrückt, zerrte Zara an dem Gewand und stieß es von sich. Einen Moment später hörte sie an den Geräuschen, dass sie so etwas wie eine Höhle betreten hatten.

„Verdecken Sie Ihr Gesicht!“, befahl er ihr erneut.

Hinter ihnen funkelte das goldene Gewand im Mondlicht, während es auf den Boden der Wüste segelte.

Die Luft war eigenartig feucht, und das Pferdegetrappel hatte einen Nachhall. Sie bewegten sich ein wenig bergab. Zara lauschte aufmerksam, um sich jede Eigenart einzuprägen. War sie in einer Höhle? Wenn ja, musste es eine sehr große sein. Dabei war sie sicher, dass sie nicht auf die Berge zugeritten waren. Sollte es sich um eine unterirdische Höhle handeln? Bei dem Gedanken, dass sie zugleich ihr Gefängnis sein mochte, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Das Pferd schien den Weg im Dunkeln wie von selbst zu finden.

Schließlich ließ die Luftfeuchtigkeit nach, und der Weg führte bergauf. Wie lange sie allerdings unterwegs gewesen waren, hätte Zara nur schwer schätzen können. Das Pferd wieherte leise, und gleich darauf erklang eine Stimme.

Ihr Entführer machte sich bemerkbar, und die Stimme antwortete ihm. Zara erkannte durch das Tuch hindurch Lichtschein. Das Pferd blieb stehen, und ihr Entführer gab leise Anordnungen. Sie wurde vom Pferd gehoben und weggetragen.

Sie schrie nicht und wehrte sich nicht. Es war besser, ihnen keinen Anlass zu geben, ihr etwas anzutun.

„Nun, Prinz Rafi hat eine gute Wahl getroffen!“, bemerkte der Bandit amüsiert.

Man hatte Zara neben einem lodernden Feuer auf den Boden gestellt. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. „Er hat mich in keinerlei Weise ausgewählt“, entgegnete Zara. „Ich bin eine Mitarbeiterin des kanadischen archäologischen Teams. Glauben Sie mir, die kanadische Regierung …“

Er lachte. „Wir haben gehört, dass Prinz Rafi in die Fußstapfen Koshrows getreten ist und sich in eine badende Frau verliebt hat. Leugnen Sie nicht, dass Sie diese Frau sind. Ich habe Sie mit einem so wertvollen Gewand gesehen, das nur er Ihnen geschenkt haben kann. Und ich habe Ihre Schönheit gesehen. Im Mondlicht habe ich gleich an eine Peri gedacht. Selbst bei Feuerschein ist Ihre Schönheit bezaubernd.“

Zara befand sich in einem Lager, das von Felsen und alten Ruinen umgeben schien. Aber der Feuerschein blendete sie, und sie konnte nicht viel erkennen. In der Ferne bewegten sich eine Reihe Menschen hin und her, als ob sie alltäglichen Geschäften nachgingen.

„Er hat jedem Mitarbeiter unseres Teams ein Gewand geschenkt“, erwiderte sie und stellte betroffen fest, wie sehr Jalal Prinz Rafi glich. Wie kam es zu einer derart verblüffenden Ähnlichkeit? Und was hatte sie zu bedeuten? „Wir haben die untergegangene Stadt von Alexander gefunden. Prinz Rafi hat kein persönliches Interesse an mir.“

Sein dunkles Gesicht wirkte verschlossen. „Sollte das tatsächlich stimmen, wäre das Ihr Pech.“

5. KAPITEL

Von Jalal ibn Aziz an Seine Königliche Hoheit Rafi ibn Daud: Ich habe Eure Auserwählte in meiner Gewalt. Es wird ihr nichts zustoßen, wenn Ihr und Eure Brüder, Omar und Karim, einem Treffen mit mir zustimmt und Euch meine Forderungen anhört.

„Das ist allein meine Schuld!“, erklärte Rafi. Prinz Karim und Prinz Omar hatten sich zum Kriegsrat eingefunden. „Auf jeden Fall hätte ich Wachen aufstellen sollen.“

„Das stimmt“, pflichtete Omar ihm gelassen bei. „Und warum hast du das nicht getan?“

„Weil ich von ihrem schwarzen Haar restlos hingerissen war, wie einst Koshrow“, antwortete Rafi.

Karim nickte. „Das haben wir gehört. Du kamst von einem Ausritt zurück und hast den gesamten Palast für ein großes Fest in der Wüste in Aufruhr versetzt. Es wurde uns zugetragen, du hättest eine Frau beim Baden im Wadi Sahra gesehen und den Verstand verloren. Deine Köche mussten drei Tage ohne Pause arbeiten.“

„So etwas spricht sich schnell herum, nicht wahr?“, meinte Rafi.

„Wenn einem Prinzen so etwas passiert, greift immer irgendjemand gleich zum Telefon.“

„Ich leugne es ja nicht. Ich habe sie gesehen, und nur meinetwegen ist sie jetzt in Gefahr. Schlimmer noch. Wenn ich … wenn wir auf dich gehört hätten, Omar, wie gefährlich Jalal werden würde, hätten wir schon vor Jahren mit ihm abgerechnet.“

„Das werden wir jetzt tun“, versetzte Omar. Sie hatten sich geeinigt, dass die Stämme es als Zeichen der Schwäche auslegen würden, wenn sie sich Jalals Forderungen beugten. „Eigentlich wollte ich vor meiner Hochzeit keinen Wüstenfeldzug unternehmen. Aber jetzt geht es nicht anders.“

„Wissen wir, wo er sie hingebracht hat?“

„Ich habe die halbe Armee ausgeschickt, um nach einem Zeichen zu suchen. Eines steht fest, er ist auf dieser Seite des Flusses, denn er hat nicht die Dar-al-Jenoub-Brücke überquert. Die hatten wir gesperrt, ehe er sie erreichen konnte. Und da deine Männer die anderen Brücken bewachen … Es hat auch keine unangemeldeten Flüge in dem Gebiet gegeben.“

„Also hat er sich einen Platz in Ostbarakat ausgesucht.“

„Bevor meine Männer nicht darüber stolpern, gibt es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden“, meinte Rafi. Seine Brüder schauten ihn erwartungsvoll an. „Es muss jemand in das feindliche Lager eindringen und die Leute aushorchen.“

Karim und Omar nickten stumm. „Wen willst du schicken?“

„Mich“, erwiderte Rafi.

Von Seiner Königlichen Hoheit Sayed Hajji Rafi Jehangir ibn Daud ibn Hassan al Quraishi, Prinz von Ostbarakat, an den Banditen Jalal. Wir machen Euch kein Angebot, und wir lassen uns auf keine Forderung ein. Wir verlangen, dass Ihr Eure Geisel sofort freigebt. Denkt an das Schwert von Rostam. Lasst es nicht zu einer Katastrophe kommen.

Zum dritten Mal in fünf Minuten hob Zara den zerbeulten Blechnapf an und stellte fest, dass immer noch kein Wasser darin war.

Das würde sich nicht ändern, bevor nicht die Frau käme und ihr neues brächte. Aber sie hatte Durst und vermochte dieses Bedürfnis kaum zu ignorieren. Die Frau kam jeden Tag, einmal morgens und einmal spät am Nachmittag, um ihr etwas Wasser und Essen zu bringen und ihre Latrine zu leeren. Ansonsten war Zara allein.

Die Frau sprach weder Englisch noch Französisch, und die wenigen Brocken Arabisch, die Zara konnte, waren nicht auf die Bedürfnisse einer Geisel abgestimmt.

Sie war ziemlich entnervt und fühlte sich körperlich unwohl. Sie lag in dem fast zerfallenen Raum einer alten Ruine, die das Lager des Banditen Jalal und seiner Kumpanen zu sein schien. Seit drei Tagen trug sie das gleiche einstmals weiße Kleid. Jetzt war es nur noch schmutzig. Ihr Haar war verklebt. Die dicken Wände ihres Gefängnisses sorgten in der Sommerhitze für Kühle. Doch sie schwitzte trotzdem.

Ihre Gefängniszelle hatte keine Tür und war leer. Der ehemals schöne Fliesenboden war verblasst, gesprungen und mit Wüstensand bedeckt. Sie hatten Zara nur eine Kameldecke gegeben, die ihr als Matratze und Decke diente.

Am schlimmsten jedoch war es, dass sie mit dem Fußgelenk in einer Kette steckte. Diese war in der Wand befestigt und sah so aus, als wäre sie schon seit Urzeiten hier. Zara konnte sich gerade so viel bewegen, dass sie bis zu ihrer Latrine kam, einem Blecheimer, der mit einem Holzdeckel versehen war.

Ansonsten hatte man ihr nichts getan, entgegen den früheren Praktiken des Orients. Alexander der Große war entsetzt gewesen über die Behandlung von Gefangenen. In der Geschichte wurde berichtet, dass er auf eine Gruppe griechischer Handwerker und Künstler getroffen wäre, denen alle Gliedmaßen amputiert worden waren, die sie nicht zur Ausübung ihrer Arbeit brauchten.

Zara bewegte sich und bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Die Kette rasselte. Unwillkürlich musste Zara lachen. So wenig sie sich befreien konnte, so unmöglich war es ihr auch, ihren Gedanken zu entkommen.

Sie erschrak. Eben noch war niemand im Türrahmen gewesen, und jetzt stand plötzlich ein Mann da. Er hatte das Gesicht verdeckt und war in Burnus und Keffieh gehüllt. Zara schnappte erschrocken nach Luft, raffte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sie duckte sich einen Moment lang, weil die Kette an ihrer Fessel zog und sie daran erinnerte, wie hilflos sie war. Doch dann straffte sie sich mutig.

Innerlich hatte sie mit diesem Augenblick gerechnet. „Frauen werden sich um Sie kümmern“, hatte der Bandit ihr großspurig versichert. „Um Ihre Tugend brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, solange Sie unter meinem Schutz stehen!“ Das hatte sie ihm nicht geglaubt und sich auf das Gegenteil vorbereitet.

„Bei Allah! Sind Sie es wirklich?“, rief der Mann in heiserem Flüsterton und kam auf sie zugestürzt. Er riss sie an sich. Zara wurde übel, und sie stemmte sich gegen ihn. Schon wollte sie schreien, da legte er ihr hastig eine Hand über den Mund.

„Schreien Sie nicht“, bat er in Englisch. „Ich bin es!“

Mit der anderen Hand zog er seinen Schal beiseite. Jalal, der Bandit, dachte sie bitter, blinzelte und starrte ihn betroffen an. Der Mann lächelte aufmunternd und gab ihren Mund frei.

„Prinz Rafi!“, flüsterte sie verblüfft. Das war noch schlimmer, als sie gedacht hatte. Wenn sie die Gefangene des Prinzen war … dann wurde ihr alles klar.

„Es war dumm von mir, Sie so zu erschrecken“, erklärte er und umfasste ihre Taille. Mit der anderen Hand strich er ihr liebevoll das Haar aus dem Gesicht. „Aber ich war so überwältigt, Sie wiederzusehen. Wir haben nicht geglaubt, dass Sie hier sein könnten. Zum Glück habe ich Sie gefunden. Geht es Ihnen gut? Wie hat er Sie behandelt?“

„Lassen Sie mich los!“, zischte Zara und wehrte sich gegen seine Umarmung. „Glauben Sie etwa, ich lasse mich von solch einem Trick an der Nase herumführen?“

Der Prinz ließ sie sofort los und musterte sie verwundert. „Ich wende keinen Trick an. Was glauben Sie denn?“

„Der Mann, der mich entführt hat, war nicht Jalal, der Bandit“, erwiderte sie. „Sie hätten einen Verschwörer wählen sollen, der Ihnen weniger ähnlich sieht, Durchlaucht! Wer ist er wirklich … einer Ihrer Brüder? Soll ich jetzt etwa dankbar in Ihre Arme sinken, weil Sie mich retten? Oder interessiert Sie meine Reaktion nicht?“

Prinz Rafi musterte sie besorgt und betastete seinen weiten Burnus. „Ich habe Wasser dabei“, sagte er leise und holte eine Feldflasche heraus. „Und etwas zu essen. Sie sind möglicherweise schon im Delirium, nachdem Sie drei Tage nichts gegessen haben.“

Wütend schlug sie seine Hand beiseite. „Glauben Sie etwa, ich würde etwas von Ihnen annehmen? Lassen Sie mich los!“

„Khanum?“, rief eine Stimme aus dem Flur. Prinz Rafi erstarrte.

„Wenn sie mich hier finden, sind wir verloren“, raunte er und hob einen Finger an die Lippen. Dann wirbelte er herum, ließ seinen Blick in die Runde schweifen, sah etwas und schlüpfte durch eine Öffnung in der Wand in einen Nebenraum.

Seine Reaktion war so überzeugend, dass Zara ihm glaubte. Offenbar hing sein Leben wirklich davon ab, dass sie ihn nicht verriet. Also hockte sie sich auf ihre Fersen und nahm den leeren Wassernapf an sich. „Ich brauche Wasser!“, rief sie in dem Ton, in dem sie den Prinzen angefahren hatte, und schlug mit dem Napf auf den Boden. „Wie könnt Ihr es wagen, mich dürsten zu lassen?“

Die erschrockene alte Frau kam hereingehuscht und murmelte unverständliche Entschuldigungen vor sich hin. Zara warf ihr einen bitterbösen Blick zu. „Wasser!“, befahl sie ihr. „Ma’!“ Das Wort hatte sie rasch gelernt.

„Ma“, stimmte die alte Frau zu, lächelte und deutete auf den kleinen Tonkrug, den sie bei sich hatte. Zara schaute der Frau zu, wie sie das Wasser in ihren kleinen Napf füllte. Es war nie genug Wasser in dem Krug, den die Frau mitbrachte.

Zara griff nach dem Napf und leerte ihn durstig. Die Frau schüttete ihr den Rest hinein, den sie bei sich hatte. Damit musste Zara die nächsten zwölf Stunden auskommen. Die alte Frau griff in ihre Tasche und holte einen Kuchen heraus, den sie Zara in die Hand drückte.

„Shokran. Danke“, sagte Zara zwischen zwei hungrigen Bissen.

Die Frau nickte, griff nach der Latrine und verschwand.

Zaras Kette erlaubte ihr nicht, sich bis zu dem Spalt in der Wand zu bewegen. „Sind Sie noch da?“, raunte sie deshalb und hoffte inständig, dass er nicht gegangen war.

Prinz Rafi kehrte in ihre Zelle zurück und wartete schweigend, bis sie den kleinen Kuchen verschlungen hatte.

„Mit dem Mahl in Ihrem Zelt lässt er sich nicht vergleichen“, erklärte sie trocken, als sie fertig war. Jetzt war es ihr fast peinlich, dass sie sich vor einem anderen Menschen so gierig gezeigt hatte. „Aber er ist besser, als zu verhungern.“

„Wesentlich besser“, stimmte er begütigend zu und nahm ihr die Verlegenheit. „Es tut mir leid, dass Sie unter den Problemen meines Landes zu leiden haben. Wir hätten mit diesem Vandalen schon vor langer Zeit abrechnen sollen. Mein Bruder Omar hat das immer gesagt. Wir haben leider nicht auf ihn gehört. Es ist meine Schuld, dass Sie hier sind, und ich werde auch dafür sorgen, dass Sie hier herauskommen.“

Er trat an die Tür und schaute nach draußen. Zara musste an sich halten, um nicht noch etwas von dem restlichen Wasser zu trinken. „Sie werden nicht bewacht? Jalal muss sich seiner Wachen im Umkreis sehr sicher sein.“

Zara schüttelte den Kopf, obwohl er das nicht sehen konnte, da er ihr den Rücken kehrte. „Nein, es kommt nur diese Frau, im Allgemeinen zweimal am Tag.“ Sie trank noch einen Schluck. „Sonst habe ich bisher niemanden gesehen.“ Plötzlich fiel ihr ein, dass die alte Frau jeden Moment mit dem Latrineneimer wiederkommen musste. Sie schnappte nach Luft. „Sie wird gleich wiederkommen … Sie sollten sich lieber verstecken.“

Er kehrte um und huschte in den Nebenraum. Gleich darauf schon hörte sie die Schritte der alten Frau.

Nachdem diese gegangen war, tauchte Prinz Rafi sofort wieder auf. Er griff erneut nach seiner Feldflasche, schraubte sie auf und reichte sie Zara wortlos. Zum ersten Mal seit drei Tagen vermochte Zara ihren Durst zu stillen. Ihre Hand war nass, und, um keine Tropfen zu verschwenden, wischte sie sich damit über das staubige Gesicht. Das Wasser war unvergleichlich erfrischend und kühl.

„Oh, das tut gut!“, sagte sie.

Er holte noch etwas aus einer anderen Tasche. Hungrig beobachtete sie ihn. „Getrocknete Datteln, Wüstennahrung.“

Da sie drei Tage lang keinerlei Zucker zu sich genommen hatte, erschienen ihr die Früchte überraschend süß. „Danke“, flüsterte sie heiser. „Danke, dass Sie gekommen sind.“

Tränen der Erleichterung brannten ihr in den Augen. Betroffen erkannte sie, welche Strafe es sein kann, wenn man von menschlichen Kontakten abgeschnitten ist. Sie sehnte sich förmlich nach Berührung, Geborgenheit und Trost.

Rafi wartete nicht, bis sie um eine Umarmung bat. Als sie die Datteln aufgegessen hatte, liefen ihr die Tränen über die Wangen, und er schloss sie sogleich in die Arme.

„Weinen Sie sich aus, meine Liebe“, forderte er sie auf. „Dann sprechen wir gleich darüber, was wir machen werden.“

Sie konnte nicht anders. Schluchzend lehnte sie sich an ihn, und Erleichterung durchflutete sie.

Ihr haltloses Weinen war Ausdruck dessen, was sie durchgemacht hatte. Sie hatte zwar gesagt, es sei niemand gekommen, niemand hätte ihr etwas getan. Und doch …

„Wenn er Sie verletzt hat, glauben Sie mir, wird er das mit seinem Leben büßen“, raunte Rafi ihr zu und unterdrückte seine Empörung. Nichts würde ihn daran hindern, den Banditen auf der Stelle umzubringen.

Zara schüttelte den Kopf. „Nein, das hat er nicht getan, und ich habe keinen Mann gesehen, seit ich hierhergebracht wurde. Deshalb dachte ich zuerst, Sie …“, flüsterte sie und brach aufschluchzend ab. „Bitte bringen Sie ihn meinetwegen nicht um.“

Prinz Rafi strich ihr zärtlich übers Haar und raunte ihr beruhigende Worte in seiner Muttersprache zu. Allein der Klang seiner warmen Stimme war tröstlich. Ihr Schluchzen ließ rasch nach. Sie löste sich von ihm und schaute lächelnd zu ihm auf.

„Jetzt“, meinte er, „müssen wir uns unterhalten. Jeder Augenblick ist kostbar. Setzen Sie sich und erzählen Sie mir alles, was Sie wissen. Wir haben nicht damit gerechnet, dass Sie hier sind. Wir dachten, Sie müssten auf der anderen Seite des Flusses sein.“

Sie starrte ihn verblüfft an. „Was meinen Sie damit? Auf welcher Seite des Flusses bin ich denn?“

Er half ihr, sich hinzusetzen und zog seinen Burnus hoch. Jetzt sah sie, dass er Jeans, Wüstenstiefel und einen Gurt trug, aus dem er eine Waffe zog. Dann nahm er neben ihr Platz und lehnte sich gegen die Mauer. Er legte den linken Arm um ihre Schulter, hielt die Waffe in der rechten Hand und beobachtete den Türrahmen.

„Wir befinden uns im Hoheitsgebiet meines Bruders Omar, Zentralbarakat. Sie haben nicht bemerkt, dass Sie über den Fluss gebracht wurden?“

„Nein! Sind Sie sicher? Entschuldigung, wie dumm von mir. Natürlich sind Sie sicher. Aber ich hätte es doch merken müssen.“

„Haben Sie irgendwelche Drogen bekommen?“

„Nein.“

„Wie lange waren Sie unterwegs?“

„Stunden. Ich habe das Zeitgefühl vollkommen verloren.“

Er musterte sie verwundert. „Sie sind stundenlang geritten und haben diesen Ort erreicht, ohne den Fluss zu überqueren?“

Zara nickte. „Nach längerer Zeit musste ich mir die Augen verbinden, und da habe ich das Gefühl gehabt, er bringt mich in eine unterirdische Höhle oder so etwas. Es war plötzlich sehr feucht. Ich habe Wasser tropfen hören und in der Ferne Wind brausen. Ich hatte schon Angst, er würde mich dort irgendwo festbinden. Aber dann sah ich Licht und hörte Stimmen. Da waren wir hier. Das muss in der Dämmerung gewesen sein. Richtig hell war es erst, als ich in diesen Raum gebracht wurde. Ist das sein Hauptquartier? Ich dachte, er hätte es woanders hin verlagert.“

Prinz Rafi runzelte nachdenklich die Stirn. „Wie ist das möglich?“, überlegte er, und dann erhellte sich sein Gesicht. „An was können Sie sich erinnern, bevor Sie sich die Augen verbunden haben?“

„Ich … ach, fast hätte ich es vergessen. Ich habe das herrliche Gewand, das Sie mir geschenkt haben, kurz vor dem Eingang zu der Höhle auf den Boden geworfen. Ich dachte, es würde im Licht der Suchscheinwerfer des Helikopters funkeln. Es tut mir leid, es war bestimmt sehr wertvoll.“

„Als ein Zeichen könnte es nicht wertvoller sein. Wir müssen sofort Leute ausschicken, es zu suchen, damit wir dieses Geheimnis aufdecken können.“

„Meine Sandalen habe ich auch fallen lassen. Ich glaube, einen dieser riesigen Felsen in der Ferne gesehen zu haben, bevor ich mir die Augen verbinden musste. Und irgendwo habe ich Wasser rauschen hören“, fügte Zara hinzu. „Aber ich kann nicht sagen, ob wir darauf zugegangen sind oder nicht.“

Rafi nickte nachdenklich. „Was fällt Ihnen noch ein? Welche zusätzlichen Hinweise können Sie uns geben? Ich muss nämlich jetzt gehen.“

Skeptisch fragte sie: „Wussten Sie, dass Sie Jalal sehr ähnlich sehen?“

„Nein, obwohl Sie vorhin so reagiert haben. Ist es eine auffallende Ähnlichkeit?“

Er wandte sich ihr zu, und Zara schaute ihm in die dunklen Augen. Sofort fühlte sie sich an Jalal erinnert, und erneut keimten Zweifel in ihr auf. Sie musste sich auf sein Wort verlassen, musste ihm glauben, dass sie sich in Zentralbarakat befand. Versuchten Entführer nicht immer, ihren Opfern die Orientierung zu nehmen, damit sie innerlich zusammenbrachen?

Rafi hatte das Gefühl, ihre Gedanken lesen zu können. Er schüttelte den Kopf. Hatte sein Vater nicht immer von sich selbst behauptet, er habe genau gewusst, was seine geliebte Frau dachte?

„Misstraue mir nicht“, bat Rafi leise und ließ die förmliche Anrede fallen. „Der leiseste Zweifel in einem kritischen Moment, und alles kann verloren sein. Du kannst und musst mir absolut vertrauen, jetzt und für immer. Ich bin dein Mann, und du bist meine Frau. Es wird nie Misstrauen zwischen uns geben.“

6. KAPITEL

Frieden breitete sich in Zaras Seele aus. „Wovon sprechen Sie?“, fragte sie ganz ruhig, behielt aber die förmliche Anrede bei.

Rafi wich ein wenig zurück und begegnete ihrem Blick. „Du hast es nicht gefühlt?“, wollte er wissen.

Stumm hielt sie seinem Blick stand. Sie vermochte nichts darauf zu erwidern. Wollte er ihr etwa einreden, dass sie unter Gedächtnisverlust litt?

Er lächelte. „Ich habe es gleich von Anfang gespürt, als ich dich sah, so wie mein Vater, als er meiner Stiefmutter begegnet ist. Er wusste, dass sie sein Schicksal war. Mir ist es genauso ergangen. Natürlich merkst du das nicht. Jetzt bist du mit anderen Dingen beschäftigt. Aber du musst es doch auch empfunden haben, als du an dem Abend neben mir gesessen hast. Ist es nicht so?“

Zara wehrte sich mit aller Macht gegen seine Anziehungskraft. Sie vermochte nicht, ihm in die dunklen Augen zu schauen. „Wenn es stimmt, dass Sie mich lieben, dann werden Sie die Situation nicht ausnutzen.“

Zara merkte, dass er schockiert war. „Da hast du recht“, stimmte er zu und zog seinen Arm zurück.

„Wie sind Sie hier hereingekommen?“, drängte Zara. „Sind nirgendwo bewaffnete Wachen aufgestellt?“

„Doch“, erwiderte Rafi. „Wir haben den Mann angehalten, der mit seinem Lastwagen die Lebensmittel herbringt. Wir dachten, er wüsste, wo du festgehalten wirst. Aber er hat geschworen, er solle Gemüse und Fleisch nur hier abladen.“ Rafi zuckte mit den Achseln. „Wir haben seinen Bruder als Geisel genommen, und ich bin anstelle seines Bruders mitgefahren.“

„Warum?“

„Warum? Um etwas über dich in Erfahrung zu bringen. Ich hatte gehofft, wenigstens zu hören, wo man dich hingebracht hatte. Dass du hier bist, damit haben wir im Traum nicht gerechnet.“ Rafi hielt inne. „Das war dumm von Jalal. Als ich eine der Frauen einer anderen zurufen hörte, sie müsse der Gefangenen gleich Wasser und etwas zu essen bringen, habe ich nicht zu hoffen gewagt, dass sie dich meint.“

Seine Stimme wirkte so wohltuend auf Zara, dass es ihr schwerfiel, sich zu konzentrieren. Sie schüttelte den Kopf, als würde das helfen. Sie konnte nicht überprüfen, ob seine Angaben stimmten. Es mochte sein, dass er mit einem Mann mitgekommen war, der das Dorf mit Lebensmitteln belieferte, wie es bei ihnen im Lager auch der Fall war. Aber was bewies das?

Ehe sie sich entscheiden konnte, was sie darauf erwidern sollte, sprang er auf. „Meine Brüder warten in der Wüste auf mich. Sie halten dort den Mann aus dem Dorf gefangen. Ich muss mit dem Lastwagen zurückfahren. Verlier nicht die Hoffnung. Wir werden dich in Kürze befreien.“

Autor

Alexandra Sellers

Alexandra Sellers hat schon an vielen verschiedenen Orten gelebt – wie viele genau, kann sie selbst nicht mehr sagen. Schon als kleines Mädchen träumte sie von fernen Ländern, inspiriert von den Märchen aus 1001 Nacht. Und irgendwann sah sie sich selbst an diesen geheimnisvollen Orten als Schriftstellerin. Prompt wurde die...

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