Baccara Herzensbrecher Band 8

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WENN EIN MÄRCHENPRINZ HEIRATEN WILL ... von OLIVIA GATES
Eine Femme fatale soll sie sein, die mit den Männern nur spielt. Aber seinem Land zuliebe muss Kronprinz Shehab die Prinzessin Farah Beaumont heiraten. Unter falschem Namen stellt er sich ihr vor – und bemerkt, wie zauberhaft sie ist. Wird sie ihm seine Lügen verzeihen?

TAUSENDUNDEINE NACHT MIT MEINEM TRAUMMANN von KRISTI GOLD
Zwischen Scheich Adan und der jungen Amerikanerin Piper sprühen vom ersten Moment an die Funken. Als Adan ein Skandal droht, braucht er dringend eine Scheinehefrau. Plötzlich erhält Piper die prickelnde Chance, ihrem Prinzen aus Tausendundeiner Nacht ganz nahezukommen …

DAS MODEL UND DER SCHEICH von ALEXANDRA SELLERS
Jahre nachdem der Scheich Salih al Khouri sie einfach verlassen hat, kehrt Desirée in sein Wüstenparadies zurück. Sofort lodert das Verlangen zwischen ihnen auf. Und Desirée spürt, dass sie Salih noch immer liebt. Soll sie ihm wirklich eine zweite Chance geben?


  • Erscheinungstag 07.05.2021
  • Bandnummer 8
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501897
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Olivia Gates, Kristi Gold, Alexandra Sellers

BACCARA HERZENSBRECHER BAND 8

PROLOG

Es geschah tatsächlich.

Und Shehab ben Hareth ben Essam Ad-Din Al Masud konnte es immer noch kaum glauben.

Ya Ullah. Stand er wirklich im Zeremoniensaal der Zitadelle Bayt el Hekmah, dort, wo seit sechshundert Jahren jedes wichtige Ereignis stattfand, das das Königshaus betraf? Und trug er tatsächlich das schwarze Gewand des designierten Thronfolgers – ein Ereignis, mit dem er nie gerechnet hatte?

So unglaublich es ihm auch immer noch erschien – es war so. Und alle Mitglieder des Ältestenrats, alle Mitglieder der Königsfamilie, alle Repräsentanten der Adelshäuser waren anwesend. Und alle Blicke ruhten auf ihm.

Er versuchte, sich auf seinen ältesten Bruder Faruq zu konzentrieren. Der trug das traditionelle weiße Gewand, das der Machtübergabe vorbehalten war. In seinem Blick lagen Bedauern und die Bitte um Verständnis.

Shehab schloss kurz die Augen. Ja, sie waren Brüder, und dies alles konnte nur geschehen, weil sie beide sich seit seiner Geburt wie durch ein unsichtbares Band verbunden fühlten.

Er verstand, um was sein Bruder ihn wortlos bat, und er akzeptierte sein Schicksal. Faruq handelte so, weil er es musste, weil er genau wusste, dass sein Bruder diese Bürde tragen konnte.

Dann sprach Faruq. Seine entschlossenen Worte hallten in dem riesigen Saal wider: „O’waleek badallan menni.“

Ich übertrage dir die Thronnachfolge an meiner statt.

Ihr Onkel, der König, saß auf dem Thron und wirkte elend. Er war seit Längerem schwer krank, und in den Aufregungen der letzten Zeit hatte sich sein Zustand noch verschlechtert. Seine Stimme klang schwach und besorgt, als er den Beschluss offiziell machte. „Wa ana ossaddek ala tanseebuk walley aahdi.“

Und ich bestätige, dass du mein Erbe sein sollst.

Shehab kniete vor seinem älteren Bruder nieder und streckte beide Hände aus, die Handflächen oben. Es war die Geste, um das juwelenbesetzte Schwert der Thronnachfolge zu empfangen. Als Shehab die schwere Waffe auf seinen Händen spürte, war es, als ob das Gewicht der ganzen Welt auf ihm lastete.

Und in gewisser Weise war es auch so. Das Schicksal des Landes Judar ruhte nun schwer auf seinen Schultern. Der Stahl war kalt und schien sich dennoch in seine Handflächen einzubrennen.

Ya Ullah. Es geschah tatsächlich.

Noch vor ein paar Tagen hatte er sich ausschließlich um sein milliardenschweres Informationstechnik-Unternehmen gekümmert. Das war sein Beitrag dazu, seinem Land auch im Bereich moderner Technologien einen Platz an der Weltspitze zu sichern. An den Thron hatte er keinen Gedanken verschwendet. Es gab ja einen anderen – seinen Bruder –, der ihn dereinst übernehmen sollte.

Doch dann hatte sich von einem Tag auf den anderen alles geändert.

Davor hatte Shehab die Freiheit besessen, sein Leben zu führen, wie er wollte. Jetzt musste er die Thronfolge antreten und damit auch eine ungeheure Verantwortung übernehmen. All das war durch wenige Worte besiegelt worden.

Jetzt war er der Kronprinz von Judar, der zukünftige König des Landes.

Falls es in Zukunft noch ein Judar geben würde, in dem er herrschen konnte. Falls es noch einen Thron gab, auf dem er Platz nehmen konnte.

Nichts war mehr sicher.

Alles hing davon ab, dass er die Abmachung erfüllte, die mit den Al Shalaans getroffen worden war, dem zweitmächtigsten Stamm Judars, der einflussreichsten Minderheit.

Und dafür musste Shehab eine Frau heiraten, die er noch nie gesehen hatte.

1. KAPITEL

Heiß wie die Hölle, kalt wie das Grab.

Diese Redensart seines Heimatlandes ging Shehab nicht aus dem Kopf. Er sah sich im Festsaal um, wo sich die Gäste während des Kostümballs amüsierten.

Immer noch keine Spur von der Frau, auf die er wartete.

Das Orchester spielte Mozart, aber ihm ging immer nur dieser Spruch durch den Kopf: Heiß wie die Hölle, kalt wie das Grab.

Irgendjemand hatte irgendwann noch hinzugefügt: „Unersättlich wie der Tod.“

All das sollte auf die Frau zutreffen, die er immer noch nicht persönlich kannte.

Beschreibungen, die sich fast wie Adelstitel anhörten. Wie die Adelstitel, die er von Geburt an trug. Scheich Al Masud. Königliche Hoheit. Und jetzt sogar: Ihre Hoheit, der Kronprinz.

Ihre Attribute, so hieß es, hatte die Frau sich allerdings redlich verdient.

Und von Shehab wurde erwartet, dass er sie heiratete.

Und man erwartete es nicht nur von ihm, er würde es auch tun. Er musste es tun.

Alles in ihm zog sich zusammen. Er biss die Zähne zusammen.

Ya Ullah. Mittlerweile hätte er sich mit seiner Lage abfinden müssen. Immerhin war es inzwischen über einen Monat her, dass sein Schicksal besiegelt worden war, um Judars Thron zu sichern.

Manchmal hasste er Carmen geradezu, die Frau, die sein Bruder über alles liebte und der zuliebe Faruq seinen Anspruch auf den Thron aufgegeben hatte. Nun lag die Last auf seinen, Shehabs, Schultern.

Eigentlich hatte er das immer als das Schlimmste empfunden: eine arrangierte Ehe, eine Zwangsheirat aus Gründen der Staatsräson. Trotzdem hätte er sich noch damit abfinden können, wenn die ihm zugedachte Braut wenigstens akzeptabel erschienen wäre.

Aber Farah Beaumont, die uneheliche Tochter von König Atef Al Shalaan, war alles andere als das. Nicht weil sie unehelich geboren war. Und auch nicht, weil sie sich geweigert hatte, ihr Erbe anzuerkennen und den Frieden zu bewahren. Für Ersteres konnte sie nichts, und über das Zweite hätte sie ihre Meinung ja noch ändern können. Vielleicht war ihr Nein nur eine Kurzschlussreaktion gewesen, weil sie so überraschend ihre wahre Herkunft erfahren hatte und nicht sofort mit den damit verbundenen Verpflichtungen zurechtkam.

Nein, das waren nicht die Gründe, die Farah Beaumont inakzeptabel machten. Übrigens ein schlauer Schachzug ihrer Mutter, sie Farah zu nennen – ein arabischer Name, der aber auch im Westen in Mode war. Was Farah in Shehabs Augen so widerwärtig, so abstoßend machte, war etwas anderes: ihr Lebenswandel.

Sie war schon reich geboren worden; der französische Multimillionär, den ihre Mutter geheiratet hatte, hatte sie adoptiert. Doch nach seinem Tod war sein Vermögen verloren gegangen. Und seitdem hatte Farah alles getan, um wieder nach oben zu kommen. Sie erreichte ihr Ziel, indem sie die rechte Hand und Geliebte des mächtigen Geschäftsmannes Bill Hanson wurde – eines verheirateten Mannes, der fast alt genug war, um ihr Großvater zu sein.

Nach ihren Handlungen zu urteilen – und nach allem, was die Leute über sie sagten –, war Farah Beaumont eine kalte, männerverschlingende, verdorbene Person.

Aber das änderte nichts daran, dass man sie brauchte, um dem Land Judar und der gesamten Region den Frieden zu sichern. Doch sie hatte es abgelehnt, ihre Pflicht zu tun. Einfach so. Knallhart.

Nun musste er seine Pflicht tun. Und die bestand darin, sie umzustimmen.

Er erwiderte, so freundlich es eben ging, die Blicke eines Paares, das als Marie Antoinette und Louis XVI verkleidet war.

Er selbst war wie ein Tuareg-Krieger angezogen. Shehab hatte gehofft, in dieser Verkleidung möglichst unauffällig zu wirken, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Wenigstens konnte er unter dem Gesichtsschleier nicht erkannt werden, was ein Risiko dargestellt hätte. Deshalb war die Feier auch als Maskenball geplant worden.

Er atmete tief durch, um die innere Anspannung abzubauen. Sein Atem schlug ihm durch den Schleier entgegen, der sein Gesicht von der Nase abwärts bedeckte. Dann wandte er sich um, bevor ihm das Paar ein Gespräch aufzwingen konnte. Dabei stieß Shehab mit einer großen Frau zusammen, die als Irma la Douce verkleidet war, das Freudenmädchen aus dem berühmten Musical und dem gleichnamigen Hollywoodfilm. Die Unbekannte klimperte verführerisch mit den Wimpern, eine Anmache, die ihm nicht fremd war. Bevor sie ihre Charme-Attacke fortsetzen konnte, murmelte er ein paar Worte, mit denen er ihr klarmachte, dass er lieber allein sein wollte.

Als die Prostituierte mit dem Herzen aus Gold sich sichtlich enttäuscht davonmachte, seufzte er. Die Leute sollten ihn einfach nur in Ruhe lassen. Obwohl er die gesamte Feier finanziert hatte, hatte er niemanden aus seinem näheren Bekanntenkreis eingeladen, niemanden, den er wirklich mochte und respektierte. Stattdessen waren die Einladungen an Leute gegangen, die er entweder kaum kannte oder die ihm nichts bedeuteten. Es sollte eine Kulisse von Personen sein, die strikt im Hintergrund blieb. Denn er war nur aus einem einzigen Grund hier: um die Aufmerksamkeit von Farah Beaumont zu erlangen.

Wenn sie denn endlich erscheinen würde.

Plötzlich hörte er hinter sich aufgeregtes Gemurmel.

So beiläufig wie möglich drehte Shehab sich um. Das Getuschel galt einer Gestalt, die soeben den Ballsaal betreten hatte.

Dann sah er sie und verlor fast die Fassung. Er nahm nichts mehr wahr außer dieser Frau im grünen Kleid, die einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht entstiegen schien.

Das war … sie?

Er blinzelte, als ob er aus einer Trance erwachte.

Was für eine Frage! Natürlich war sie es. Er hatte sich ja extra jede Menge Fotos von ihr an die Wand geheftet, um sich auf seine Aktion vorzubereiten. Auf mehreren dieser Bilder umarmte sie ihren steinalten „Gönner“, und das in einer Weise, die keinen Zweifel über die Art dieser Beziehung aufkommen ließ. Oh ja, er wusste genau, wie sie aussah.

Das hatte er zumindest gedacht. Doch jetzt, da er sie in Fleisch und Blut sah, wirkte sie doch ganz anders. Sie war … viel mehr, als die Fotos wiedergeben konnten.

Nein, die Fotos hatten die hundert bronzenen Farbschattierungen ihres seidigen Haars nicht zeigen können, weder ihre cremefarbene Haut, noch die Tiefe und Ausdrucksstärke ihrer Augen. Ihre Augen waren grün, das war auf den Bildern zu sehen gewesen, aber selbst auf diese Entfernung erkannte Shehab jetzt, wie unglaublich grün die Augen tatsächlich waren, so grün wie duftige Sommerwiesen. Ihr Gesicht war unvergleichlich, und eine magische, ihr wohl angeborene Aura des Geheimnisvollen umgab sie.

Auf den Fotos hatte sie gut ausgesehen. Doch in natura war sie … einfach atemberaubend.

Er blinzelte wieder. Lass dich bloß nicht beeindrucken, dache er. Sie mag aussehen wie eine Göttin, aber in Wahrheit ist sie eine selbstsüchtige, geldgierige, skrupellose Person. Sie stellt ihren Luxuskörper dem höchsten Bieter zur Verfügung. Ja, so eine ist sie!

Sie stolzierte durch den Ballsaal. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, aber das schien ihr völlig gleichgültig zu sein. Sie stellte ihre Eiseskälte zur Schau, von der er schon so viel gehört hatte.

Oder war es doch etwas anderes?

Bei näherem Hinsehen war es doch keine Arroganz, keine Geringschätzung. Es war etwas, das er nur zu gut kannte – von sich selbst. Der Wunsch nach Einsamkeit, das Bestreben, sich von Menschenansammlungen fernzuhalten. Shehab wusste ja, wie es war, stets im Mittelpunkt zu stehen, auch wenn man es gar nicht wollte – und zu wissen, dass man dieser Falle niemals entrinnen könnte.

Jetzt fange ich schon wieder damit an, dachte er. Ich suche nach menschlichen Zügen bei einer Frau, die tatenlos zusieht, wie ein wohlhabendes Königreich im Chaos versinkt, obwohl sie es verhindern könnte. Und nicht nur das, ich entdecke sogar eine gewisse Seelenverwandtschaft zwischen uns!

Genug davon, sagte er sich. Es ist an der Zeit loszulegen. Das wird alles sehr unschön, und wenn ich keinen Ausweg finde, wird es auf Dauer auch so bleiben. Warum das Unvermeidliche noch länger hinauszögen?

Er gab den Kellnern ein Zeichen.

Mit langen Schritten ging er los, er wollte Farah auf ihrem Weg zur Terrasse abfangen.

Doch kurz bevor er sie erreicht hatte, blieb er stehen. Er sah sie an, archaische Urbedürfnisse erwachten in ihm, und er vergaß alles, was er hatte sagen wollen.

E’lal jaheem. Verdammt, warum wich er plötzlich von seinem ursprünglichen Plan ab?

Ihre Blicke trafen sich. Und dann sah er es in der unergründlichen Tiefe ihrer Augen. Sie hatte ihn wahrgenommen und war von ihm offenbar ebenso beeindruckt wie er von ihr.

Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihm aus. Die Eiskönigin war für seine Präsenz also durchaus empfänglich!

Bei ihrem Ruf hatte er befürchtet, sie wäre vielleicht die Ausnahme, würde ihn im Gegensatz zu allen anderen Frauen nicht sofort anziehend finden, sodass er sich richtig Mühe geben müsste. Aber ihr Ruf als Eiskönigin rührte vielleicht daher, dass sie vorher noch keinem Mann begegnet war, der das Zeug dazu hatte, sie auf den ersten Blick zu beeindrucken.

Nun war sie ihm begegnet.

Vielleicht hatte er damit schon gewonnen. Vielleicht würde sie bereitwillig einlenken, wenn sie erfuhr, dass er der ihr zugedachte Ehemann war. Sie würde ja nur einen milliardenschweren Geschäftsmann gegen den anderen eintauschen. Und als Dreingabe würde sie seine unbestreitbaren Fähigkeiten im Bett bekommen, etwas, womit ihr derzeitiger alternder Liebhaber sicher nicht aufwarten konnte …

Stopp! Was waren denn das für Gedanken? Egal, wie anziehend sie als Frau sein mochte, sie war unmoralisch und herzlos. Er würde sie nur so lange bei sich im Bett behalten, wie es nötig war, um den unbedingt erforderlichen Erben zu zeugen.

Nach allem, was er von ihr wusste, hatte ihre Weigerung, dem Land durch die Heirat zu helfen, vor allem einen Grund: In ihrer jetzigen Partnerschaft war sie eindeutig der dominierende Teil und genoss schier unbegrenzte Freiheiten. Sie beherrschte einen älteren Mann, musste ihm nichts zurückgeben, nichts aufgeben. Wenn sie jedoch ein zukünftiges Staatsoberhaupt heiratete, würde sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen und sich vieles, was sie jetzt mit Sicherheit heimlich trieb, nicht mehr erlauben können. Das würde ihr nicht gefallen. Aus ihrer Sicht würde sie sich mit einem jüngeren Mann, der ihr Paroli bot, nur verschlechtern.

Nein, es konnte nur nach hinten losgehen, wenn er ihr jetzt seine Identität offenbarte. Stattdessen würde er seinen ursprünglichen Plan durchziehen.

Während all dieser Überlegungen und Gedanken hatte er ihre Augen immer im Blick behalten. Um ihre Reaktion auf ihn zu erforschen, wie er sich einredete.

Und er war sich jetzt ganz sicher: Noch nie hatte er in den Augen einer Frau ein derart offensichtliches Begehren gelesen. In ihm loderte ein ebenso starkes Verlangen, aber er bemühte sich, es zu verbergen.

Farah blieb wie benommen stehen, was ihn zutiefst befriedigte.

Und dann stießen seine beiden Komplizen mit ihnen zusammen.

Farah Beaumont fühlte sich wie auf dem Präsentierteller.

Die Blicke aller Anwesenden im prächtigen Ballsaal waren auf sie gerichtet, das plötzliche Gemurmel und Getuschel, das sogar fast die Musik übertönte, hörte sich an wie das Zischen tausender Kobras.

Was nicht mal übertrieben war, denn sie fühlte sich, als wäre sie in eine Schlangengrube getreten. Aber sie hatte die Neugier und Feindseligkeit, die ihr entgegenschlugen, ja selbst herausgefordert – indem sie sich bereit erklärt hatte, sich als Bills Geliebte auszugeben. Es gab zwar handfeste Gründe für dieses Spielchen, aber manchmal fragte sie sich, ob das Ganze es wert war – all diese Verachtung, die sie erfahren musste.

Andererseits hatte es eben auch sein Gutes. Bill zahlte es seiner Frau heim, dass sie ihn betrog. Und Farah hatte Ruhe und Frieden gefunden, seit er ihr Schutzschild war. Lieber ertrug sie die üble Nachrede, als dass sie ständig von Möchtegernverführern und Glücksrittern bedrängt wurde. Hoffentlich versuchten solche Typen heute nicht, sich an sie heranzumachen – denn sie war allein hier.

Bill hatte darauf gedrängt, dass sie zu diesem Kostümball ging, der gleichzeitig eine Wohltätigkeitsveranstaltung war. Er hatte zwar versprochen, noch nachzukommen, aber daran glaubte Farah nicht so recht. Er musste sich dringend um eine Krise kümmern, die urplötzlich aufgetreten war und sein aktuelles Multimilliarden-Dollar-Geschäft gefährdete. Und das würde sich wohl kaum in so kurzer Zeit klären lassen.

Aber Bill hatte es für unabdingbar gehalten, dass zumindest sie als seine Repräsentantin pünktlich erschien. Denn der Ausrichter der Veranstaltung war ein milliardenschwerer Geschäftsmann aus dem Nahen Osten, der erst vor Kurzem in der internationalen Geschäftswelt aufgetaucht war und sich sofort als wichtiger Mitspieler etabliert hatte. Und daher durfte man ihn nicht brüskieren, sondern musste ihm die Ehre erweisen, zu seiner Veranstaltung zu erscheinen. Oder zumindest einen Stellvertreter schicken. So waren nun mal die Gepflogenheiten in der Geschäftswelt. Davon abgesehen hätte Bill den geheimnisvollen Unbekannten zu gern einmal kennengelernt. Und bei dieser Veranstaltung, da war er sich sicher, würde der mysteriöse Geschäftsmann auftauchen.

Farah dagegen glaubte nicht so recht daran. Dieser Mann hatte die Medien und die gesamte Welt der Hochfinanz wie ein gigantischer Marionettenspieler manipuliert. Und immer noch arbeitete er an Vorhaben, die die Wirtschaft in der gesamten Region stark beeinflussen würden. Ihre Vermutung war, dass er sich erst in der Öffentlichkeit zeigen würde, wenn er all seine Pläne verwirklicht, seine Ziele erreicht hätte. Und vielleicht nicht einmal dann.

Und sie hielt das auch für klug. Wer so viel Macht hatte, tat gut daran, nicht aus dem Schatten der Anonymität herauszutreten. Man musste schon irgendwie krank sein, wenn man freiwillig im Mittelpunkt des Interesses stehen wollte.

Komischer Gedanke – hier, inmitten von rund zweitausend solcher „Kranken“.

Trotzdem hätte sie das alles noch halbwegs gelassen durchgestanden: erscheinen, den Typen treffen und ihm Bills Entschuldigung ausrichten. Aber leider hatte Bill zusätzlich darauf bestanden, dass sie dieses blöde Kostüm trug.

Als sie sich darin zum ersten Mal im Spiegel betrachtet hatte, hatte sie laut loslachen müssen. Normalerweise lief sie am liebsten in Jeans und T-Shirt herum, und dieses prachtvolle Scheherazade-Kostüm entsprach so gar nicht ihrem Wesen. Aber Bill war der Meinung gewesen, man müsse Eindruck machen … und sie müsse ihre Reize hervorheben.

So war sie in diese Schlangengrube eingetreten, hatte sich gewünscht, sie könnte im Erdboden versinken – und dann hatte dieser Blick sie getroffen.

Ein Blick wie ein Laserstahl – nein, irgendwie eher wie ein Röntgenstrahl, der ihr Innerstes erkunden wollte. Schau nicht hin, sagte sie sich, erwidere den Blick nicht auch noch.

Aber sie konnte nicht anders. Sie konnte den Blick in diese Augen nicht einmal lange genug abwenden, um sich den Betrachter in seiner vollen Größe anzusehen. Die Augen spiegelten Härte wider, Macht … und Männlichkeit.

Ihr wurde ganz heiß, und ihr Herz begann heftig zu klopfen.

Um Himmels willen, das war doch so gar nicht ihre Art – derart heftig auf einen Mann zu reagieren … und dann obendrein noch schlagartig unanständige Gedanken zu bekommen.

Aber so war es, und sie konnte nichts dagegen tun. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits, wie sie sich verwöhnen und liebkosen ließ …

Sie errötete heftig.

Und dann wurde sie plötzlich angerempelt – und kalte, klebrige Flüssigkeit ergoss sich über sie.

Erschrocken wandte sie den Blick von dem umwerfend attraktiven Mann ab und sah sich an, was passiert war.

Sie war plötzlich stehen geblieben, der Mann ebenso – und daraufhin waren zwei Kellner mit Tabletts voller Champagnergläser in sie beide hineingelaufen. Nun standen sie beide wie begossene Pudel da.

Das Erste, was ihr auffiel, war, dass die Gespräche in ihrer unmittelbaren Umgebung sofort verstummt waren und die Leute sie anstarrten. Sie würde nie begreifen, warum das Missgeschick einer Person auf andere Menschen eine so große Faszination ausübte.

Die Kellner entschuldigten sich tausendfach, und einige der Umstehenden wollten ihr helfen, ihr Kleid abzutupfen und trocken zu reiben. Sie konnte so viele Menschen um sich herum nur schwer ertragen und murmelte: „Es geht schon … alles in Ordnung … danke.“

Doch die Leute, unter ihnen auch die Kellner, ließen nicht von ihr ab. Sie fühlte sich derart bedrängt, dass Panik in ihr aufstieg und sie sich in ihrer Not der einzigen Person zuwandte, die ihr nicht zu nahe kam. Es war der Mann, dessen Blick sie eben noch so fasziniert hatte.

Er verstand ihre Notlage sofort und stellte sich vor sie, um die unwillkommenen Helfer abzuwehren. Mit einer herrischen Geste bedeutete er ihnen, sich zu entfernen. Dann wandte er sich zu ihr um.

Diesmal sah sie ihm absichtlich nicht in die Augen, und dennoch wurde ihr trotz der Abkühlung durch Schock und Champagner schon wieder ganz heiß.

Aber sie wollte auf keinen Fall erröten. Nein, das durfte nicht passieren – nicht schon wieder.

Und dennoch geschah es.

Na toll. In Gegenwart dieses Mannes kehrte die Unsicherheit zurück, die sie längst abgelegt zu haben glaubte, damals, als ihr Vater starb – der eigentlich gar nicht ihr Vater war. Dennoch würde François Beaumont für sie immer ihr richtiger Vater sein, in allen Belangen, die zählten. Sein Tod vor über zehn Jahren hatte sie gezwungen, quasi über Nacht erwachsen zu werden.

Aber sie wusste, sie machte sich selbst etwas vor. Sie war nur in gewisser Hinsicht erwachsen geworden. So war sie gut darin, Mauern um sich herum zu errichten und vieles an sich abprallen zu lassen.

Doch in diesem Moment gelang ihr das nicht. Sie war durchnässt, hatte einen hochroten Kopf und fühlte sich wie eine Witzfigur.

Der attraktive Mann wiederum war ihr Retter in der Not. Er reichte ihr Servietten, damit sie sich abtrocknen konnte, und schirmte sie vor den Augen der neugierigen Umstehenden ab. Dann widmete er sich seiner nassen Kleidung.

Als sie halbwegs trocken war, nahm er ihr die Servietten wieder ab und legte sie auf das Tablett eines der Kellner, der sich noch immer wortreich entschuldigte. Dann machte er eine Handbewegung, halb höflich, halb herrisch, und bedeutete ihr, sie solle in Richtung Terrasse gehen.

Nur zu gern leistete sie ihm Folge.

In dem Moment, als sie beide in die Nacht hinaustraten, begann der Geiger eine Melodie zu spielen, die sie nicht einordnen konnte. Es war wie eine Szene aus einem Film. Farah war auf jeden Fall froh, dass sie ins Freie gelangt war, ohne mit ihren hochhackigen Schuhen auf ihren langen Rock zu treten und hinzufallen.

Er war zwei Schritte hinter ihr, aber selbst so spürte sie seine beeindruckende Ausstrahlung und fühlte sich ganz klein. Sie schaute sich um, nahm die mondbeschienene Landschaft aber gar nicht richtig wahr. Alles nur, um ihn nicht anzusehen.

Ein wenig fühlte sie sich wie ein zehnjähriges Kind, das seinen Lehrer beeindrucken wollte und sich dabei lächerlich gemacht hatte. „Das habe ich jetzt wirklich gebraucht“, platzte sie heraus.

„Was denn?“, fragte er unter seinem imposanten Gesichtsschleier, und es schien ihr, als lächelte er dabei. „Die frische Nachtluft? Oder die Tatsache, dass Sie aufdringlichen Verehrern und ungeschickten Kellnern entkommen sind?“

Sein Akzent war eindeutig britisch geprägt, nicht amerikanisch. Man konnte eine hohe Bildung, Vornehmheit und Selbstbeherrschung in seiner Stimme heraushören. Und seinem Tonfall war zu entnehmen, dass Englisch nicht seine Muttersprache war, so perfekt er sie auch beherrschte. Allerdings konnte sie auch nicht heraushören, woher er tatsächlich kam. Auf jeden Fall hörte er sich an, wie er aussah: exotisch, respekteinflößend, beeindruckend.

Dabei wusste sie ja eigentlich gar nicht, wie er aussah. Sie hatte nur einen kurzen Blick auf seine Kostümierung geworfen, in der er wirkte, als könnte er dem schlimmsten Sandsturm trotzen. Jetzt wagte sie nicht mehr, ihn genauer zu betrachten. Das würde sie sich wahrscheinlich erst wieder trauen, wenn er zu seiner weiblichen Begleitung zurückgekehrt war.

Denn er war bestimmt in Begleitung hier. Männer wie er – wenn es denn auf der Welt überhaupt noch andere Männer wie ihn gab – waren garantiert in festen Händen. Und eine Frau, die ihn erst einmal hatte, würde ihn bestimmt nicht kampflos aufgeben.

Sie seufzte. „Eigentlich meinte ich die Champagnerdusche.“

Hm, das war jetzt auch nicht besonders geistreich gewesen. Vielleicht sollte sie lieber gar nichts mehr sagen, bis er wieder seiner Wege ging. Sie lebte ja nicht ohne Grund wie eine Ausgestoßene. Die Kunst des gepflegten, nichtssagenden Small Talks war ihr völlig fremd. Sie war einfach nicht gut im Umgang mit anderen Leuten. Jedes Mal, wenn sie ungeschminkt ihre Meinung sagte, verärgerte sie die Leute – oder machte sie sich sogar zu Feinden.

In diesem Fall traf wohl beides nicht zu. Der Fremde musste sie inzwischen einfach für eine komplette Idiotin halten.

Sie wrang die Enden ihres Rocks aus, und noch immer kam Flüssigkeit heraus. Dann zog sie ihre Schuhe aus und leerte sie, um sie mit der Oberseite nach unten zum Trocknen hinzustellen.

Sollte er sie doch ruhig für eine Idiotin halten. Was zählte seine Meinung schon?

Dann hörte sie ihn plötzlich lachen, ein herzhaftes, tiefes Lachen, das zufällig auch noch von einem Cello-Solo aus dem Tanzorchester untermalt wurde. Und er lachte sie nicht aus, sondern lachte mit ihr, das spürte sie genau. Ihr wurde richtig warm ums Herz.

Lässig lehnte er sich an die Balustrade, sah sie an und sagte: „Champagnerdusche, das ist gut. Sie haben die Abkühlung also genossen? Auch wenn Sie jetzt für den Rest des Kostümballs in klebrigen und nassen Klamotten herumlaufen müssen? Und barfuß obendrein?“

„Ach, ich habe so geschwitzt, dass mein Kostüm über kurz oder lang sowieso durchnässt gewesen wäre“, sagte sie. „Der Champagner hat die Sache nur beschleunigt, also war es schon okay.“

„Darf ich fragen, warum eine so entzückend und kühl wirkende Elfe in dem vollklimatisierten Ballsaal so geschwitzt hat?“

Elfe? Das war ja wohl nicht gerade passend! Bei einem Meter siebzig Körpergröße und einem Gewicht von dreiundsechzig Kilo war sie zwar nicht dick, aber auch nicht unbedingt ein Federgewicht. Und warum nannte er sie „entzückend“? Wollte er sie in eine Falle locken? Wollte er, dass sie ihm offenbarte, dass seine Erscheinung sie total durcheinandergebracht hatte? Auf keinen Fall würde sie das tun!

„Vielleicht haben Sie ja eine eingebaute Temperaturregelung“, sagte sie dann, „ich jedenfalls nicht. Als ich den Ballsaal betrat, schlugen mir die Körperwärme und die Aufgeblasenheit von Hunderten von Leuten entgegen. Und dann haben Sie mich noch angesehen – und daraufhin wurde mir noch heißer.“

Oh nein, dachte sie. Halt bloß die Klappe, Farah.

Sie war immer viel zu offen und stieß die Leute damit vor den Kopf. Mit diesem Mann war es allerdings noch etwas anderes – er brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Aber jetzt war sowieso schon alles egal, schließlich hatte sie sich vor ihm schon komplett zum Affen gemacht.

Mit zusammengebissenen Zähnen erwartete sie seine Reaktion. Wahrscheinlich würde er sie jetzt wirklich auslachen. Oder er nahm nach ihrem Geständnis die Chance wahr und machte sich an sie heran.

„Ach so, deshalb kam Ihnen die kalte Dusche so recht.“ So, jetzt würde es kommen. Jetzt würde er sich über sie lustig machen. Oder ihr einen unanständigen Vorschlag unterbreiten. Oder beides. „Ja, dann danke.“

Was? Wofür bedankte er sich denn jetzt? Für ihr Kompliment? Dafür, dass sie ihn belustigt hatte?

„Danke für dieses Geständnis – das macht es mir etwas leichter, Ihnen zu gestehen, dass meine Körpertemperatur auch ganz schön angestiegen ist, als Sie mich mit Ihren wundervollen Augen angesehen haben.“

Und dann berührte er sie. Sanft fuhr er ihr mit dem Daumen übers Gesicht, dann hielt er ihr den Zeigefinger unters Kinn und hob ihr Gesicht etwas an. Sie begann zu zittern.

„Tun Sie’s noch mal. Sehen Sie mich noch einmal so an.“

Sie tat es. Und diesmal war die Wirkung noch gewaltiger. Im Schein des Vollmonds erstrahlte das Weiße in seinen Augen silbrig, und seine Pupillen erschienen unendlich tief.

Langsam nahm er seinen Gesichtsschleier ab. Dann flüsterte er: „Jetzt sehen Sie mich an.“

Nur mit Mühe gelang es ihr, sich aus dem Bann seiner Augen zu lösen. Aber dann betrachtete sie ihn in seiner vollen Größe, sog seinen Anblick förmlich in sich auf.

Er war großartig.

Nein, er war noch viel mehr als das.

Vor langer Zeit, als sie noch daran geglaubt hatte, sie würde einmal die vollkommene Liebe finden, einen Mann, der ganz und gar und hundertprozentig zu ihr passte, hatte sie eine ungefähre Vorstellung von dieser Person gehabt. Doch der Mann, der jetzt vor ihr stand, übertraf diese jugendlichen Schwärmereien bei Weitem.

Groß, dunkel, gut aussehend – das waren nur die Grundvoraussetzungen, und hier waren sie komplett erfüllt. Nein, der Teufel – wenn man es so nennen wollte – steckte im Detail. Seine Größe beispielsweise. Er war wirklich beeindruckend groß, mindestens fünfundzwanzig Zentimeter größer als sie. Und obwohl das Kostüm seine Proportionen weitgehend verhüllte, konnte sie sich gut vorstellen, wie durchtrainiert und athletisch er war.

Und dann erst sein Aussehen. Literatur und Kunst waren nie so ihre Sache gewesen, sie interessierte sich mehr für naturwissenschaftliche Fächer. Aber sein Gesicht war es wirklich wert, in Elegien und Sonetten verewigt zu werden, auf Ölgemälde gebannt zu werden. Es war ein geradezu vollkommenes Gesicht, das eine enorme Persönlichkeit ausstrahlte.

Und seine Anziehungskraft ging noch weit über das rein Körperliche hinaus. Seine unergründlichen Augen, die Eleganz seiner Bewegungen, sein Tonfall, wenn er sprach, die Macht, die er ohne Anstrengung über andere ausübte! Sie selbst eingeschlossen. Dieser Mann war eindeutig willensstark und hochintelligent.

Was ist bloß los mit mir? fragte sie sich. Vielleicht habe ich den Champagner, mit dem sie mich überschüttet haben, durch die Haut aufgesogen?

„Sie sind ungewöhnlich attraktiv.“

Entsetzt biss sie sich auf die Lippen. Aber zu spät, jetzt war es heraus. Wie würde er wohl reagieren? Würde er sich kopfschüttelnd abwenden und seiner Wege gehen? Würde er in Gelächter ausbrechen? Würde er ihr Kompliment als Aufforderung verstehen, sie zu verführen?

Doch er sah sie nur wortlos an. „Jetzt reagieren Sie doch endlich“, brach es aus ihr heraus. „Sagen Sie, was Ihnen auf der Zunge liegt, und dann können Sie gehen.“

Shehab sah sie starr an. Damit hatte er nicht gerechnet.

Diese Frau überraschte ihn, schockierte ihn geradezu.

Sie war kein bisschen so, wie sie nach all den Fotos und geheimen Berichten hätte sein sollen. Mit jeder Bewegung, mit jedem Wort strafte sie die Gutachten und Berichte Lügen. Sie schien überhaupt nicht wie die Person zu sein, mit der er glaubte, sich abfinden zu müssen.

Oder sie war eine unglaublich begabte Schauspielerin.

Aber letzten Endes war das auch egal.

Egal, ob sie ein Teufel war oder ein Engel oder irgendetwas dazwischen – der Auftrag, den er zu erfüllen hatte, blieb derselbe.

Trotzdem hatte sich etwas geändert.

Bevor er sie gesehen hatte, hatte er sich nur widerwillig in sein Schicksal gefügt. Immer wieder hatte er sich einreden müssen, dass der Thron von Judar jedes Opfer wert war – sogar sein Leben, nicht nur seine Freiheit.

Aber was er als leidige Pflichterfüllung gesehen hatte, würde ihm nun sogar großes Vergnügen bereiten. Ja, es würde ihm ein Hochgenuss sein, sie zu verführen.

Und sie in die Falle zu locken.

2. KAPITEL

Farah war drauf und dran, ihm zu entwischen.

Vielleicht hatte Shehab sie zu lange angestarrt, und das hatte sie wütend gemacht. Auf jeden Fall hatte sie irgendetwas vor sich hin geflucht und nach ihren Schuhen gegriffen. Einen hatte sie schon an, jetzt stand sie auf einem Bein und versuchte den anderen anzuziehen. Ihm war klar: Wenn sie beide anhatte, würde sie fortlaufen.

Daher ergriff er ihre Hand und nahm ihr den Schuh ab. Sie ließ es geschehen. Dann beugte er sich herunter und schob ihre Hand, die den Rock hielt, höher hinauf, sodass ihre Schenkel zum Vorschein kamen.

Er drängte sie sanft gegen die Balustrade. Die Finger ließ er langsam ihre Schenkel abwärtsgleiten, und als er ihren bloßen Fuß erreicht hatte, hielt er kurz inne. Dann umfasste er den Fuß.

Ein wohliger Schauer überlief sie.

Er hörte ihr schweres Atmen, und sie zu berühren erregte ihn. Bewundernd schaute er auf ihren wohlgeformten Fuß – perfekt wie ihr ganzer Körper.

Sanft strich er über ihre Zehen, dann hob er ihr Bein und legte es auf seine Schulter. Farah zitterte.

In dieser Position, vor ihr kniend, beantwortete er endlich ihre Frage.

„Sie wollten wissen, was mir auf der Zunge liegt?“, fragte er. „Was ich denke?“ Er wunderte sich selbst darüber, wie kehlig seine Stimme klang. „Ganz einfach: dass Sie wunderschön sind. Dass Sie mir überaus gut gefallen.“

„Wirklich?“, fragte sie unsicher. „Ich weiß, ich … ich habe ein paar peinliche Sachen gesagt, sogar noch schlimmer, als es sonst meine Art ist. Tut mir leid … Wenn es geht, vergessen Sie das einfach.“ Sie versuchte, sich seinem Griff zu entwinden.

Er ließ den Fuß jedoch nicht los, sondern drückte ihn gegen sein Herz. Dabei hielt er ihn gerade eben so fest, dass sie hätte freikommen können, wenn sie es gewollt hätte. „Entschuldigen Sie sich nicht. Entschuldigen Sie sich niemals. Vielleicht haben Sie meine Reaktion falsch verstanden – ich finde Ihre Offenheit erfrischend. Und wie könnte ich vergessen, was Sie gesagt haben? Ich will es ja gar nicht vergessen. Ich habe noch nie eine Frau getroffen, überhaupt noch keinen Menschen, der so erfreulich ehrlich und geradeheraus war.“

„Sie finden das erfreulich? Mir ist es meistens eher unangenehm … diesmal besonders.“

Er sah, wie sie tiefer errötete. Auch ihm stieg das Blut in die Wangen – und in die Lenden. Er nahm ihren Fuß, hob ihn etwas an und kämpfte gegen den Impuls an, ihn zu küssen, an ihren Zehen zu lutschen und zu saugen. Aber er zog er ihr den Schuh wieder an. Am liebsten hätte er diese wunderbare Frau fest in seine Arme genommen.

Stattdessen hauchte er einen Kuss auf die Innenseite ihrer Wade, ließ das Kleid zurück über ihre seidige Haut fallen und setzte ihren Fuß auf den Boden. „Warum sollte es Ihnen unangenehm sein, mein kleines Aschenputtel? Sie haben mir doch einen Gefallen damit getan.“

„Einen Gefallen?“

Langsam erhob er sich. „Oh ja, einen großen sogar. Von dem Augenblick an, als ich Sie sah, habe ich mich gefragt, wie ich mit Ihnen in Kontakt treten sollte, ohne wie ein Aufreißer zu wirken. Deswegen war ich froh über den Vorfall mit dem Champagner. Aber ich wusste nicht, ob ich Ihnen das sagen sollte. Dann wusste ich nicht, wie ich Ihnen gestehen sollte, was Sie in mir auslösen. Ich wollte Sie nicht verärgern oder abschrecken. Und Sie sind total offen und zeigen mir, dass gar keine taktischen Spielchen nötig sind. Nicht wenn die Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhen.“

„Ja, aber … tun sie das? Ich bin mir über meine Gefühle nicht im Klaren …“

„Beschreiben Sie sie. Schildern Sie mir Ihre Gefühle.“

Sie drückte sich gegen die Balustrade, um sich ihm zu entziehen – und dem Drang, sich an ihn zu schmiegen. Er spürte es genau. „Na ja … in Ihrer Gegenwart fühle ich mich verwirrt … und unbeholfen …“

„Und erregt“, ergänzte er euphorisch.

„Ja, das auch“, murmelte sie und suchte nach den richtigen Worten. „Ich weiß gar nicht, warum ich das alles gesagt habe. Mal davon abgesehen, dass ich viel zu oft einfach alles ausspreche, was mir durch den Kopf geht – außer wenn es geschäftliche Dinge betrifft.“ Sie hielt einen Augenblick lang inne. „Irgendwie ist das alles peinlich. Es liegt wahrscheinlich am Vollmond … oder am Champagner. Ganz so unbeholfen im Umgang mit Menschen bin sogar ich normalerweise nicht.“

Er kam näher. „Es geht hier nicht um den Umgang mit Menschen im Allgemeinen, es geht hier nur um Sie und mich. Und der Mond hat nichts mit dem Zauber zwischen uns beiden zu tun, ebenso wenig wie der Champagner. Den haben wir ja nicht getrunken.“

„Vielleicht ist uns schon der Duft zu Kopf gestiegen?“

Er musste lachen. Eigentlich wäre er lieber ernst und konzentriert geblieben, aber alles, was sie sagte, erregte ihn nicht nur, es amüsierte ihn auch. „Sie suchen nach Erklärungen, wo gar keine nötig sind. Sie sind der Grund für dies hier – eine Erscheinung wie aus einem Märchen, die mit den erstaunlichsten Dingen herausplatzt.“

„Eine Erscheinung wie aus einem Märchen? Wohl eher wie aus einem Horrorkabinett.“

Ihn erstaunte, mit wie viel Überzeugung sie das sagte. Sie wollte keine Komplimente provozieren, es schien ihre ehrliche Selbsteinschätzung zu sein. Und gerade das reizte ihn. „Nein, eine Erscheinung wie aus einem Märchen – und doch real, was es umso überwältigender macht. Und Sie sehen mich genauso, nicht wahr?“

Ohne eine Sekunde zu zögern, nickte sie. Er war fasziniert. Zum ersten Mal traf er eine Frau, die absolut ehrlich und geradeheraus war, die keine Spielchen spielte.

„Aber wie kann es real sein? Und … was ist es überhaupt?“

„Oh, Sie wissen, was es ist. Etwas, wovon Sie sicherlich dachten, dass Sie es niemals erleben würden. Und von dem ich dachte, dass es nicht existiert. Enorme Anziehung auf den ersten Blick. In vollkommener Ausprägung.“

Im Hintergrund erklang immer noch Musik, und gerade in diesem Augenblick schwollen die Klänge laut an, wie um seine Aussage zu bekräftigen.

In ihren Augen spiegelten sich Verwirrung und Zustimmung wider, dann wandte Farah den Blick ab.

Er suchte erneut den Augenkontakt. Nein, so sollte sie ihm nicht davonkommen.

Immer näher drängte er sich an sie heran, bis er nur noch Zentimeter von ihr entfernt war. Die Musik im Hintergrund wurde lauter. „Sie können sich nicht gegen die Wahrheit sträuben. Geben Sie es zu.“

„W…wie könnte ich? Wir kennen doch noch nicht mal unsere Namen.“

Die Musik erstarb, wie um ihre Worte zu unterstreichen. Immerhin hatte sie indirekt nach seinem Namen gefragt. Jetzt war es an der Zeit, sich vorzustellen – mit seiner zweiten Identität, die er sich in den vergangenen Wochen für diesen Zweck zugelegt hatte.

„Unsere Namen? Das lässt sich leicht nachholen.“ Er ergriff ihre Hand und führte sie zu seinen Lippen. „Ich heiße Shehab Al Ajman.“ Er küsste ihre Hand. „Und jetzt verraten Sie mir Ihren Namen, ya jameelati.“

Sie entzog ihm die Hand und rieb die Stelle, als ob sie juckte. „Ist das Arabisch?“

„Das ist es … meine Schönheit.“

„Oh.“ Mit großen Augen sah sie ihn an. „Dann … sind Sie …? Scheich Shehab Al Ajman? Das … das kann doch nicht sein.“

„Ich versichere Ihnen, das kann sehr wohl sein. Sie haben also von mir gehört. Das ist doch ein Beweis dafür, dass hier wirklich Schicksalsmächte im Spiel sind.“

Nun wurde Farah so einiges klar. Und obwohl sie verwirrt war, wollte sie das mit den Schicksalsmächten nicht so stehen lassen.

„Das hat mit Schicksal nichts zu tun“, sagte sie. „Wie sollte ich wohl noch nichts von Scheich Shehab Al Ajman gehört haben? Dem Unternehmer, der die gesamte internationale Geschäftswelt in Aufruhr versetzt hat? In meinem Tätigkeitsfeld muss ich jeden kennen, der Ärger macht. Und Sie haben die Geschäftswelt ordentlich aufgemischt.“ Ungläubig sah sie ihn an. „Entschuldigen Sie, wenn ich etwas verwirrt wirke. Aber ich hatte mir ein Bild von diesem Mann gemacht, und das passt so gar nicht zu dem Mann, den ich vor mir sehe.“

„Und wie sah das Bild aus, das Sie sich aufgrund meines Namens und meines Rufes von mir gemacht haben?“

„Ein widerwärtiger Fettsack in einem traditionellen Kaftan mit hoher Stimme und unangenehmen Akzent. Ein Mann, der nach Moschus riecht und …“

Oh mein Gott, Farah, durchfuhr es sie. Hast du das eben wirklich gesagt? Den Mund müsste man dir zunähen!

Was hätte sie dafür gegeben, alles rückgängig zu machen und noch mal bei null anfangen zu können! Aber wahrscheinlich wäre es dann auch nicht besser gelaufen. Sie war nun mal, wie sie war.

Doch zu ihrer Überraschung schien Shehab nicht verärgert, sondern nur amüsiert zu sein. „Sie erwähnten Ihr Tätigkeitsfeld. Heißt das, Sie sind berufstätig?“

Erstaunt zog sie eine Augenbraue hoch. „Ja, natürlich bin ich berufstätig. Ich arbeite sogar so viel, dass mir kaum Zeit für etwas anderes bleibt. Warum, wenn ich fragen darf, kommt Ihnen das so merkwürdig vor?“

„Nun, in Ihrem Kostüm sehen Sie aus wie die Hauptkonkubine im Harem eines Sultans, meine kleine Scheherazade. Und es passt Ihnen wie angegossen. Da liegt die Vermutung nahe, dass Sie einzig und allein dafür geschaffen sind, einen mächtigen Mann glücklich zu machen.“

Sie wollte schon verärgert etwas erwidern, besann sich dann aber doch eines Besseren. „Na schön“, erwiderte sie. „Das habe ich wohl verdient. Ihre Klischeevorstellungen gegen meine.“

Er lächelte nachsichtig. „So ist es. Und darf ich fragen, welchen Beruf eine derart betörende Verführerin ausübt?“

„Betörende Verführerin?“, fragte sie. „Wer, ich? Glauben Sie mir, wenn ich so wirke, liegt das nur an meinem Kostüm. Das mir übrigens aufgezwungen wurde. Und mein Job hat absolut nichts mit Verführungskünsten zu tun. Ich bin die Chef-Finanzberaterin von Bill Hansons Firma ‚Global View Finance‘.“

Sein Blick verriet nicht, ob ihn das beeindruckte. „Das klingt, als ob dieser Beruf Sie nicht zufriedenstellt. Warum üben Sie ihn trotzdem aus?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich kann nichts anderes. Mein Vater – der übrigens in Wirklichkeit mein Adoptivvater war, wie ich später herausgefunden habe – war im Finanzsektor tätig. Er hat mir alles beigebracht, was man wissen muss, um erfolgreich zu sein. Nach seinem Tod wurde es unumgänglich, dass ich in seine Fußstapfen trat. Aber als ich schließlich alt genug war, sein Geschäft zu übernehmen, war davon nichts mehr übrig. Da kann ich von Glück sagen, dass ich meinen jetzigen Job bekommen habe. Ob er mir wirklich gefällt – darüber habe ich nie nachgedacht. Ich versuche es halt so gut zu machen wie möglich.“

Kurz blitzte ein undeutbarer Ausdruck in seinen Augen auf. Hastig fügte sie hinzu: „Was die Sachen angeht, die ich eben gesagt habe … das waren blöde Vorurteile, und es tut mir leid. Es tut mir nicht nur leid, dass ich so gedacht habe, es tut mir noch viel mehr leid, dass ich ausgesprochen habe, was …“

Er hob die Hand in einer Geste, die ihr bedeutete, besser zu schweigen, und fuhr dann sanft über ihre Lippen. „Was habe ich Ihnen vorhin über Entschuldigungen gesagt? Sie sollten sich niemals entschuldigen, ya helweti.“

Seine Berührung ließ sie erschauern. Und dann die betörende Macht der fremdländischen Worte aus seinem Munde …

„War das auch wieder ein Kosewort?“

Er nickte. „Meine Süße. Und genau das sind Sie. Unglaublich süß in allem, was Sie sagen, was Sie tun. Ich kann es gar nicht erwarten, herauszufinden, ob Sie durch und durch so süß sind.“ Nun war er ihr ganz nah, sein Atem strich über ihre Haut. „Aber Sie haben mir noch gar nicht Ihren Namen verraten. Ich muss ihn wissen. Ich will ihn flüstern, wenn ich Sie liebkose, Sie küsse. Sagen Sie ihn mir.“

Sie wollte ihn aussprechen, aber sie brachte kein Wort hervor. Sie war zu keinem klaren Gedanken fähig, sah nur seine Augen, seine Lippen und wollte, dass er sie wie versprochen küsste.

Abwartend und schweigend stand er da. Offenbar würde er sie wirklich nicht berühren, bevor er ihren Namen kannte.

„F…Farah …“, stammelte sie schließlich.

„Oh … Farah. Ein arabischer Name. Also ist es doch Schicksal. Und ihre Eltern wussten genau, was aus Ihnen werden würde. Denn Farah heißt Freude.“

Sie hatte über die Bedeutung Ihres Namens immer geschmunzelt. Denn eigentlich, fand Farah, passt er so gar nicht zu mir. Richtige Freude hatte sie in ihrem Leben nur selten empfunden, meist nur, wenn sie Zeit mit ihrem Vater verbringen konnte, was aber nur selten vorgekommen war.

Unsicher lachte sie auf. „Meine Mutter hat mich jedenfalls nicht als wahre Freude empfunden. Im Gegenteil.“

„Wie können Sie so etwas sagen? Jede Mutter ist doch stolz auf ihr Kind …“

„Meine nicht. Nach den Gründen müssten Sie sie schon selber fragen.“

Er runzelte die Stirn. „Sie hat Ihnen zu verstehen gegeben, dass Sie nicht ihre große Freude, ihr Lebensinhalt sind? Welche Mutter macht so etwas?“

„Eine Mutter, die ein ungeheuer kompliziertes Leben führte. Ich nehme mal an, ich habe sie ständig an meinen leiblichen Vater erinnert. Und das war nicht so schön für sie.“

Zärtlich streichelte er ihre Wange, und Farah genoss es. „Sie hatte kein Recht, Ihnen damit das Leben schwerzumachen. Wenn sie gegenüber Ihrem leiblichen Vater negative Gefühle hatte, durfte sie das nicht auf Sie übertragen.“

„Sie hat auch nie gesagt, dass es so wäre, ich habe es mir so zusammengereimt. Sie war nämlich immer missmutig und verschlossen. Alles wirkte bei ihr wie eine leidige Pflicht, als ob sie an nichts Freude hätte. Freude, da haben wir das Wort wieder. Als ich von meinem leiblichen Vater erfuhr, ergab plötzlich alles Sinn. Sie scheint ihn abgöttisch geliebt zu haben. Und nachdem sie ihn verloren hatte, war sie nicht mehr dieselbe.“

Nachdenklich sah er sie an. „Empfinden Sie denn gar keine Verbitterung ihr gegenüber? Oder Ihrem leiblichen Vater gegenüber, der Ihre Mutter so verletzt hat und damit indirekt daran schuld ist, dass sie nicht die liebende Mutter war, die Sie verdient hätten?“

„Von Verbitterung halte ich nicht viel. Schließlich ändert man damit gar nichts.“

„Eine weise Erkenntnis. Sie sind nicht nur eine Verführerin, sie sind auch noch vernünftig.“

Sie lachte auf. Seit sie ihn gesehen hatte, kam sie sich gar nicht mehr so vernünftig vor.

„Lebt Ihr leiblicher Vater noch? Wissen Sie, wo er ist?“

„Ja und ja. Ich habe es vor etwas über einem Monat herausgefunden. Und seitdem hat sich mein Leben völlig verändert.“

„Wirklich? Erzählen Sie mir mehr davon.“

„Ich glaube, wir wechseln lieber das Thema. Das Ganze war wirklich ziemlich heftig. Es hat ebenso wehgetan wie mein Unfall damals, als ich mir die Haut am Stacheldrahtzaun aufriss.“ Das war nicht übertrieben – eher noch untertrieben. Ihr Leben war komplett durcheinandergeraten, als ihre Mutter ihr plötzlich verkündete, dass François Beaumont nicht ihr richtiger Vater war. Dass ihr leiblicher Vater ein König aus dem Nahen Osten war. Dieser Mann, König Atef von Zohayd, hatte sich überglücklich gezeigt, seine verlorene Tochter wiederzufinden. Er wollte sie unbedingt kennenlernen. Auch sie war glücklich darüber. Eigentlich mochte sie ihn schon, ohne ihn persönlich zu kennen. Voller Ungeduld hatte sie auf seine Anrufe und Briefe gewartet. Diese Gefühle hatten sie beunruhigt. Suchte sie vielleicht nur eine neue Vaterfigur, um die schmerzliche Lücke zu füllen, die der Tod ihres Adoptivvaters hinterlassen hatte? Doch König Atefs Freude hatte ihre Bedenken darüber zerstreut, dass sie die Erinnerung an ihren Dad verriet. Dann schließlich hatte er sie aufgesucht – und die nächste Bombe platzen lassen. Er brauchte sie für seine Pläne. Sie sollte irgendeinen Prinzen aus dem benachbarten Königreich heiraten; das war Teil einer politischen Abmachung.

Also war alles ein abgekartetes Spiel. Eine Lüge. Auch er war nur ein Mann, der Gefühle vortäuschte und ihr etwas vormachte, um sie für seine Zwecke einzuspannen. Natürlich hatte sie sein Ansinnen abgelehnt, obwohl er seine Aufrichtigkeit beteuerte. Jetzt wünschte sie nur noch, dass er eine andere Lösung für sein Problem fand, damit er sie nicht länger belästigte und aus ihrem Leben verschwand.

Zärtlich strich Shehab ihr mit dem Zeigefinger über den Arm. Das riss sie aus den trüben Gedanken und brachte sie in die Gegenwart zurück, gerade noch rechtzeitig, bevor ihr die Tränen gekommen wären.

„So sehr hat es geschmerzt?“

„Als ich mir damals die Haut aufriss, hat es eher weniger wehgetan.“

„Wie ist es denn dazu gekommen?“, fragte er betroffen.

Sein ehrlich empfundenes Mitgefühl berührte sie. „Sie meinen die Wunde damals? Ich wollte unter einem Zaun auf der Ranch meines Vaters durchkriechen, und dabei habe ich mich im Stacheldraht verfangen. Ich war damals elf.“

„Wo haben Sie sich verletzt?“

„Am … am Rücken …“ Sie verkniff sich gerade noch, die andere Verletzung auch zu erwähnen – die auf ihrer linken Pobacke, die sie sich zugefügt hatte, während sie verzweifelt versucht hatte, sich loszureißen.

„Zeigen Sie her.“

Es war keine Bitte, sondern eine Forderung. Und es kam Farah nicht einmal in den Sinn, ihr nicht nachzukommen. Sie schloss die Augen und drehte sich um.

Schon berührte er sie. Er schob ihr langes Haar beiseite und betrachtete die Haut, die das hinten weit ausgeschnittene Kleid entblößte.

Sanft strich er ihr mit den Fingern über die Haut, auf der Suche nach einer Narbe. Farah brachte es nicht über sich, ihm zu sagen, dass er sie dort nicht finden würde. Aber sie brauchte es ihm auch gar nicht zu sagen. Denn schon zog er den Reißverschluss herunter, und das Geräusch erregte sie.

Zärtlich berührte er ihren Rücken, und schließlich fand er die Narbe. Farah war plötzlich ganz heiß, und sie beugte sich über die Balustrade. Vorsichtig berührte er die Narbe, und Farah zuckte zusammen.

„Tut es immer noch weh?“ Sacht streichelte er die Stelle, immer und immer wieder. Farah konnte nur stumm den Kopf schütteln.

„Sie müssen mir versprechen, dass Sie sich nie wieder wehtun.“ Jetzt glitt er mit der Handfläche über die Narbe, und in der Berührung lag so viel mehr als nur Verlangen – nämlich auch Wärme und Fürsorge. Diese Dinge hatte Farah bisher nur von ihrem Vater und Bill erfahren. Und nun von ihm …

Noch einmal schüttelte sie den Kopf. Er zog den Reißverschluss wieder hoch und drehte sie zu sich herum. Sie war unfähig, sich zu bewegen. Jetzt kommt es, dachte sie. Gleich wird er mich küssen.

Aber er tat es nicht. Zwar näherte er sich ihrem Gesicht, doch dann flüsterte er: „Ya ajmal makhloogah ra’ayta’ha. Du schönstes Geschöpf, das meine Augen je erblickten, tanze mit mir.“

Tanzen? dachte sie. Ich habe mich wohl verhört? Ist das alles, was er will?

Sie sehnte sich auf jeden Fall nach mehr. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal so etwas Wildes empfinden würde. Ein schier unstillbarer Hunger tobte in ihr. Sie wollte, dass er Dinge mit ihr tat, die sie noch nie von einem anderen Mann gewollt hatte, die sie keinem anderen Mann erlaubt hätte.

Er nahm sie locker in die Arme und begann nach der Musik aus dem Hintergrund einen Walzer mit ihr zu tanzen. Der Körperkontakt schürte ihre Sehnsucht nach weiteren, festeren Berührungen.

Zu ihrem Erstaunen fühlte sie sich schnell in die Schrittfolgen ein. Es war doch zu etwas gut gewesen, dass sie früher gelegentlich mit ihrem Vater getanzt hatte.

Im Tanz wurden sie eins, und sie genoss es, seine Stärke zu spüren. Wenn der Tanz vorüber ist, ist vielleicht auch mit all dem hier Schluss, dachte sie. Aber ich nehme davon mit, was ich bekommen kann.

„Sie tragen Ihren Namen zu Recht“, flüsterte Shehab ihr ins Ohr. „Mir ist, als würde ich mit einem Hooreyah tanzen, einem Bewohner des Himmels, der die reine Freude bringt.“ Er drückte sie enger an sich. „Nein, es ist sogar noch besser. Falls diese Wesen existieren, sind sie nichts im Vergleich zu Ihnen. Mit Ihnen zu tanzen ist, wie mit der Glückseligkeit in Person zu tanzen, mit fleischgewordener Leidenschaft.“

Sie lachte. All das traf nach ihrer Einschätzung wohl kaum auf sie zu, aber er schien davon überzeugt zu sein. Also war es gut so. Sie dachte ja ganz ähnlich über ihn. Ja, es war schon, wie er gesagt hatte: Es existierte ein Zauber zwischen ihnen. Warum und wieso – darüber wollte sie nicht nachdenken. Sie wollte ihn nur genießen.

Weil sie wie benebelt war, merkte Farah erst spät, dass der Walzer aufgehört hatte, ein anderes Stück gespielt wurde – und sie gar nicht mehr tanzten. Shehab führte sie über die Marmortreppe zum parkähnlichen Garten. Bereitwillig ging sie mit, sie war zu allem bereit. Sie fühlte sich, als wäre sie aus einer langen Starre erwacht und würde erst jetzt richtig anfangen zu leben.

Im Schutze der Bäume umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen. Ein Strahl Mondlicht drang durch die Blätter und tauchte sein Gesicht in einen goldenen Schimmer. „Shehab …“

„Farah …“

Endlich küsste er sie. Seine Hände glitten über ihren Körper, sie presste sich an ihn und flüsterte: „Shehab … bitte …“

Endlich spürte sie seine fordernde Zunge. Ihr Atem ging stoßweise. Erregt hielt sie sich an seinen Armen fest, bis er plötzlich von ihr abließ. Geschickt zog er den Reißverschluss ihres Kleides herunter, sodass ihr der Stoff über die Brüste rutschte.

Erregt stöhnte sie auf. „Bitte …“

Als er begann, ihre festen Brustspitzen zu liebkosen, wurde ihr Verlangen noch größer. Im Geiste stellte sie sich schon vor, was er alles mit ihr anstellen würde. Sie wollte, dass er sie mit Händen und Zunge erkundete, wollte, dass er sich auf sie legte, in sie eindrang und sie mit kräftigen Stößen …

Um Himmels willen, schoss es ihr durch den Kopf. Was ist denn los mit mir?

Doch dann wurde ihr eines klar: Es war gut so, es war richtig so. Endlich war alles, wie es sein sollte.

Das läuft völlig falsch, dachte Shehab.

Er war es doch, der sie verführen sollte, nicht umgekehrt.

Schließlich hatte er stets die Kotrolle. Er hatte die Macht, ein Angebot anzunehmen oder abzulehnen, und niemals handelte er triebgesteuert.

Nie zuvor hatte eine Frau ihn derart um den Verstand gebracht.

Aber als er sie so vor sich sah, ihre vollen Lippen, ihre glänzenden Augen und ihre Brüste, fragte er sich, warum er seiner Leidenschaft nicht einfach mal freien Lauf lassen sollte.

Er hatte sie völlig falsch eingeschätzt. Diese bezaubernde, verführerische Frau hatte so gar nichts mit der eiskalten Hexe zu tun, mit der er gerechnet hatte.

Doch das machte sie umso gefährlicher.

Aber das war ihm jetzt egal. Alles war ihm egal. Es spielte nicht einmal eine Rolle, dass sie die Geliebte eines anderen war und ihn dennoch kurz nach dem Kennenlernen förmlich bekniete, sie zu nehmen. Im Gegenteil, das forderte ihn nur noch mehr heraus …

Aber … nein. Nein. Er konnte ihr nicht einfach so bereitwillig geben, was sie wollte.

Denn dann wäre er nur ein One-Night-Stand für sie. Und davon hatte sie bei ihrem unstillbaren Appetit sicherlich schon genug gehabt. Obwohl sie solche Kurzbekanntschaften offenbar sehr diskret abwickelte, wahrscheinlich weil sie den Zorn ihres Liebhabers fürchtete. Laut den Berichten über sie gab es jedenfalls – trotz aller Gerüchte – keine Beweise für derartige Liebschaften.

Sie presste sich an ihn, und er spürte ihre Erregung fast körperlich. Dieses Verlangen ist nach einem schnellen Beisammensein sicher noch nicht gestillt, dachte er. Ich könnte sie jetzt nehmen, und danach wäre sie richtiggehend süchtig nach mir, wie ich es geplant habe …

Aber das konnte er nicht riskieren. Er musste jetzt aufhören, so schwer es ihm auch fiel. „Farah, warte. Wir dürfen das nicht tun …“

Ihre Reaktion verblüffte ihn. Mit erschrockenem, peinlich berührtem Gesichtsausdruck zog sie ihr Kleid wieder hoch und griff nach ihrer Handtasche. Sie sah aus, als ob ihr alles entsetzlich unangenehm wäre. Aber das war sicher nur geschauspielert.

„Sie haben eine Frau oder Freundin, nicht wahr?“, fragte sie, und ihre Stimme klang rau. „Ich hätte vorher danach fragen sollen …“ Doch dann änderte sich ihr Tonfall plötzlich. „Moment mal, eigentlich bin ich weniger schuld als Sie.“ Sie sah ihn wütend an. „Ihnen hätte doch früher einfallen müssen, dass Sie gebunden sind. Was für ein Lüstling sind Sie eigentlich …“

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, dachte er. Aber jetzt war wohl nicht der richtige Zeitpunkt, sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie ja selbst um ein Haar ihren Partner betrogen hätte.

Gelassen umfasste er ihre Schultern. „Jetzt mal ganz langsam, junge Frau. Sie täuschen sich. Ich bin solo.“

Ihre Unterlippe zitterte. „Wirklich?“

Am liebsten hätte er sie jetzt geküsst. „Farah, ich sage Ihnen das nur einmal. Ich habe keine Beziehung zu einer Frau und hatte auch noch nie eine.“

„Und was sagt mir das über Sie?“

Diese blitzschnell abgefeuerte Bemerkung brachte ihn zum Lachen. „Auf jeden Fall sagt es, dass ich durchaus das Recht habe, es so weit kommen zu lassen, wie Sie es ausdrückten.“

Sie murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. „Was haben Sie gesagt?“, fragte er.

Sie errötete. „Ach, nichts.“

„Farah, bitte!“

„Eigentlich sollte ich gar nichts mehr sagen, nie mehr, und schnellstens von hier verschwinden. Vergessen Sie am besten, dass wir uns je kennengelernt haben.“

Alf la’nah – verdammt – verraten Sie mir jetzt, was Sie gesagt haben!“

Sie seufzte. „Na gut. Ich habe gesagt: ‚Natürlich haben Sie das Recht, es so weit kommen zu lassen. Und auch das Recht, es abrupt zu beenden. Und zum Teufel mit Ihrer Freundin, ob es sie gibt oder nicht.‘ Sind Sie jetzt zufrieden?“

Wieder lachte er. „Enti majnoonah, weh ajeebah … verrückt und unglaublich.“ Er drängte sie gegen den Baum und griff unter ihr Kleid. Dann hob er sie hoch, presste sie an sich und ließ sie spüren, wie erregt er war. „Fühlt sich das an, als würde ich die Situation gerne beenden? Ohne mit Ihnen zu schlafen?“

Laut stöhnte sie auf. Ihre Beine waren um seine Hüften geschlungen. „Aber … warum haben Sie dann …?“

Er umfasste ihren Po und sagte rau: „Warum ich aufgehört habe? Warum wir nicht schon längst unseren ersten Höhepunkt erlebt haben, den ersten von vielen?“

Allein diese Worte reichten aus, um sie noch mehr zu erregen. Erhitzt rieb sie sich an ihm. Wenn sie so weitermacht, schoss es ihm durch den Kopf, kommen wir bestimmt auch so zum Höhepunkt …

Er löste sich von ihr, setzte sie ab und blickte in die Ferne. „Ich kann kaum glauben, dass ich das wirklich sage“, murmelte er, „aber das geht alles ein bisschen zu schnell. Was zwischen uns ist, das ist etwas so Magisches, so Besonderes, dass ich es nicht durch übereiltes Handeln kaputtmachen will. Ich möchte dich zu nichts drängen, auch wenn du im Moment glaubst, du wärst schon so weit – und hinterher tut es uns vielleicht beiden leid.“

Er war selbst überrascht, wie leicht ihm die Worte über die Lippen kamen und wie glaubwürdig sie klangen.

Unsicher sah Farah ihn an.

„Ich bitte dich, ya ameerati“, fuhr Shehab fort, „lass uns noch einmal neu anfangen und es langsam angehen. Ich möchte dich wiedersehen … und wieder und wieder.“

„Oh ja, einverstanden. Ja, ja und nochmals ja!“

Ihre Freude wirkte so echt. Die konnte doch nicht gespielt sein, oder? Im Grunde konnte es ihm auch egal sein. Auf jeden Fall lief für ihn alles nach Plan.

Andererseits – musste er nicht ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie nun doch nicht dieses kalte, charakterlose Geschöpf war, dem sein Plan ursprünglich gegolten hatte?

Nein. Auch wenn sie in diesem Moment nicht schauspielerte, ließen ihre Aussagen Rückschlüsse auf ihren Charakter zu. Als sie davon erzählt hatte, dass sie ihren leiblichen Vater entdeckt hatte, war es nur um ihre enttäuschten Gefühle gegangen. Dass sie ihrem Vater auch Leid zufügte und dem Königreich schadete, schien Farah nicht zu kümmern. Sie dachte offensichtlich nur an das eigene Wohlbefinden … und jetzt gerade an die eigene Lusterfüllung.

Aber darauf würde sie lange warten können. Ja, er würde sie wahnsinnig machen vor Verlangen. Allerdings würde er sie erst nehmen, wenn die Zeit gekommen war. Dann würde er sie heiraten. Und sobald die Heirat amtlich war, zählte nicht mehr, was sie dachte oder wollte.

Sie war völlig unwichtig. Nur das Land Judar zählte. Der Thron.

„Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Das wäre toll“, sagte sie. Dann verzog sie das Gesicht. „Ach nein, das geht ja nicht. Hab ich ganz vergessen. Ich bin ja mit dem Auto gekommen.“

„Das ist kein Problem. Einer von meinen Leuten kann dein Auto zu deinem Haus fahren.“ Er zog sie an seine Seite, und Farah schmiegte sich an ihn, als wäre sie ein Teil von ihm. „Aber glaub nicht, dass ich dich einfach an der Türschwelle absetze. Ich helfe dir, das Kostüm auszuziehen, warte ab, bis du geduscht hast, und bringe dich dann ins Bett. Anschließend bekommst du noch eine Massage und einen Gutenachtkuss von mir.“

Sie drückte sich noch enger an ihn. Ob sie schon reif für die Frage war? Ob sie jetzt schon seinen Heiratsantrag annehmen würde?

Nein, es war zu früh, das zu riskieren, denn ein Nein von ihr wäre wahrscheinlich endgültig. Shehab hatte ja nur eine Trumpfkarte, und das war ihr Verlangen nach ihm. Und dieses Verlangen musste so groß sein, dass sie einer Heirat nach den Gesetzen seines Landes zustimmte. Einer Ehe, die von keinem Gericht geschieden werden konnte, wenn sie da wieder herauswollte.

Als sie auf dem Parkplatz ankamen, drückte er heimlich auf den Knopf eines kleinen Funksenders in seiner Tasche. Gleich geht’s los, dachte er, während er Farah zum Abschied küsste.

Und als sie ihn stürmisch umarmte, wurde die nächtliche Szenerie plötzlich taghell erleuchtet – von einem wahren Blitzlichtgewitter.

3. KAPITEL

Gerade noch war Farah wie benommen gewesen, voller Vorfreude auf die kommende Nacht und die vielen Tage und Nächte in Shehabs Gesellschaft, die noch folgen sollten. Dann war sie von den Blitzlichtern abrupt in die Realität zurückgeholt worden. Ihr war sofort klar, wer die Störenfriede waren.

Paparazzi.

Wie sie diese Menschen hasste! Wie oft hatten sie ihr schon aufgelauert, hatten ihr Ansehen beschmutzt und ihr den Seelenfrieden geraubt. Natürlich, durch ihr Arrangement mit Bill hatte sie ihnen gewissermaßen einen Freifahrtsschein erteilt. Trotzdem machte dieses Blitzlichtgewitter sie krank.

Jetzt würden die Paparazzi all das, was sie mit Shehab gerade erst gefunden hatte, auf Bildern festhalten und die Magie in etwas Verwerfliches, Schmutziges verwandeln.

Bevor sie noch etwas sagen konnte, legte Shehab schützend den Arm um sie und bedeckte sie, so gut es ging, mit seinem Kostüm. Die Fotografen protestierten und knipsten dennoch weiter. Plötzlich hielt nur ein paar Schritt von ihnen entfernt eine schwarze Stretchlimousine mit quietschenden Reifen.

Einige Männer sprangen heraus. Einer öffnete die hintere Wagentür, die anderen stellten sich zwischen das Paar und die Fotografen. Shehab zog Farah ins Wageninnere. Mit einem dumpfen Geräusch fiel die Tür zu, und der Wagen rauschte davon.

„Es ist vorbei“, murmelte Shehab. „Meine Leute werden sie aufhalten.“

Farah schloss die Augen. Nein, es war nicht vorbei, es fing gerade erst an. Denn die Paparazzi hatten nun endlich das, worauf sie seit mehr als zwei Jahren scharf waren, weshalb sie sie immer wieder verfolgt hatten: Beweise, dass sie es mit der Treue nicht genau nahm und ihren wesentlich älteren Liebhaber mit anderen Männern betrog. Sie hatte es ihnen ja gewissermaßen auf dem Silbertablett serviert, indem sie das Fest mit einem anderen Mann verließ und sich beim Aufblitzen der Kameras an ihn gekrallt hatte.

Und das war noch nicht alles. Seine Leute waren blitzschnell aufgetaucht. Das konnte nur bedeuten, dass sie Shehab die ganze Zeit über heimlich beobachtet hatten … alles mitangesehen hatten …

Ihr Gedanken wirbelten durcheinander. Ihr wurde übel. „Könntest du deinem Fahrer sagen, er soll mal kurz anhalten?“

Shehab drückte auf einen Knopf und gab einen Befehl auf Arabisch. Mit einem weiteren Knopfdruck öffnete er ein Fach, dem er Taschentücher entnahm. Behutsam wischte er Farah über das Gesicht, den Hals und die Arme.

„Geht es dir jetzt wieder besser?“

Es ging ihr überhaupt nicht besser. Zuerst hatte ihr die kühle Feuchtigkeit gut getan, aber dann hatten seine Fürsorglichkeit und Zärtlichkeit sie schon wieder aufs Höchste erregt. Wie kam es nur, dass er dieses flammende Verlangen in ihr wachrief? Selbst jetzt, wo sie so verwirrt und beschämt war?

Sie nickte schweigend. Wenn sie jetzt etwas sagte, würde sie ihm die volle Wahrheit gestehen. Und für einen Abend hatte sie ihm wahrlich schon genug gesagt.

Shehab lächelte sie zufrieden an und versuchte, sich ihr zu nähern, aber sie wandte sich ab. Trotzdem berührte er mit den Lippen ihre Schläfe und flüsterte: „Ich werde dich beruhigen, ya jameelati. Die Paparazzi haben dich ja wirklich völlig aus der Fassung gebracht.“

„Das kann mal wohl sagen. Ich kann diese Menschen einfach nicht mehr ertragen.“

„Haben sie dir schon öfter aufgelauert?“

Farah antwortete nicht, aber ihre angeekelte und betrübte Miene sprach Bände. In diesem Moment tat es Shehab fast leid, dass er den Vorfall arrangiert hatte.

Die Idee war ihm erst am Abend gekommen. Seine Informanten hatten ihm berichtet, dass sie bereits von Paparazzi verfolgt worden war, als sie sich – ohne Hanson, genau wie er es geplant hatte – auf den Weg zum Kostümball machte. Shehab wusste, wie besessen sie davon waren, sie endlich bei einem Fehltritt zu erwischen. Ständig kursierten Gerüchte, sie habe nebenbei Liebhaber, aber noch nie hatte man ihr etwas nachweisen können. Ein Beweisfoto wäre allerdings nicht in seinem Sinne gewesen, schließlich wollte er diese Frau zu seiner Prinzessin machen. Deshalb hatte Shehab einen Plan entworfen, wie er die Situation zu seinen Gunsten ausnutzen konnte.

Er hatte seine Leute angewiesen, die Paparazzi – notfalls unter Androhung von Gewalt – loszuwerden und deren Stelle einzunehmen. Dann sollten sie auf sein Signal hin auftauchen und Fotos schießen, wenn er Farah in eine kompromittierende Situation gebracht hatte. Dann hatte er den Beweis für ihre Untreue gegenüber ihrem Lebensgefährten. Dass sie sich gleich am ersten Abend so nahekommen würden, damit hatte Shehab nicht gerechnet.

Fast hätte er dann sogar vergessen, das Signal zu geben. Er hatte es nur äußerst ungern getan. Denn es war ihm gar nicht recht, dass seine Leute etwas von ihrer Vertrautheit mitbekamen – nicht einmal den einen Kuss, den er ihr auf dem Parkplatz gegeben hatte.

Er hatte erwartet, dass sie nach dem Blitzlichtgewitter seine Hilfe einfordern würde. Dass sie von ihm verlangen würde, er solle seine Leute hinter den Paparazzi herschicken und ihnen die Kameras abnehmen. So wäre sie noch tiefer in seine Falle geraten: Sie hätten gemeinsam einen Skandal abgewendet, und Farah hätte in seiner Schuld gestanden.

Doch der Plan war nicht aufgegangen, weil sie anders reagiert hatte.

Sie war nicht wütend gewesen, sondern verängstigt. Und noch immer wirkte sie so verschüchtert und verwirrt, dass er ihr am liebsten gesagt hätte, sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Das durfte er natürlich nicht tun.

Warum nur forderte sie nicht von ihm, die Verbreitung der Fotos zu verhindern? Ging sie davon aus, dass er es ohnehin versuchen würde, schon aus Sorge um seinen Ruf?

Endlich antwortete sie auf seine Frage. „Die Paparazzi verfolgen mich schon, seit mein Vater – mein Adoptivvater – gestorben ist. Aus irgendeinem Grunde scheinen sie mein Leben rasend interessant zu finden. Und jetzt befürchte ich, dass sie herausgefunden haben, dass ich adoptiert wurde. Oder noch schlimmer: Vielleicht wissen sie sogar, wer mein leiblicher Vater ist. Wenn das stimmt, bekomme ich nie mehr meine Ruhe.“

Jetzt betrat er gefährliches Terrain. Farah sollte auf keinen Fall die Verbindung zwischen ihm und König Atef erraten. Trotzdem fragte Shehab: „Ist denn dein leiblicher Vater ein so bekannter Mann?“

Sie pfiff durch die Zähne. „Das kann man wohl sagen. Ich bin ja selbst völlig baff, dass er mein Vater ist. Stell dir vor, was die Klatschblätter daraus machen würden.“

Dabei wollte er es fürs Erste bewenden lassen. Jetzt erschien es ihm geschickter, das Thema zu wechseln. „Vielleicht waren die Fotografen ja auch hinter mir her“, sagte er.

„Aber außer mir wusste doch niemand, wer du bist …“

„Stimmt auch wieder.“

„Eigentlich war das ganz schön unvorsichtig von dir, einer völlig Unbekannten deine Identität zu verraten.“

„Ich hatte eben das Gefühl, ich könnte dir trauen. Und mein Gefühl trügt mich selten.“

„Du kannst mir trauen, aber was, wenn es nicht so wäre? Oder wenn dich auf der Terrasse jemand belauscht hätte?“

Fast wäre er gerührt gewesen. Sie schien wirklich besorgt um ihn zu sein. Aber er wusste, dass es nur gespielt war. „Da hat mich niemand belauscht. Außerdem war mein Gesicht unter dem Schleier verborgen. Niemand hätte mich erkennen können.“

Sie lachte auf. „Das reichte nicht als Verkleidung. Deine Augen konnte man sehen, dazu deine beeindruckende Größe … das war genug, um dich zu erkennen.“

Er war verwirrt. Konnte so viel Besorgnis wirklich gespielt sein? „Hör zu“, sagte er. „Ich war schon über eine Stunde auf dem Ball, bevor du kamst. Und niemand hat mich erkannt.“

„Dann waren die Paparazzi also eindeutig hinter mir her“, sagte sie niedergeschlagen. „Aber … verflixt! Die Fotos!“

Jetzt kam es. Jetzt würde sie ihn bitten, seine Macht einzusetzen, um die Verbreitung der Fotos zu unterbinden.

„Vielleicht haben sie auch dein Gesicht geknipst“, sprudelte es aus ihr heraus. „Ich bin es ja gewohnt, von den Paparazzi verfolgt zu werden. Aber es täte mir unendlich leid, wenn du da jetzt hineingezogen wirst.“

Und? Würde sie ihn jetzt endlich bitten, etwas zu unternehmen? Natürlich nur, damit er nicht in die Klatschblätter kam?

Nein, sie fragte immer noch nicht. Stattdessen füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Es … es tut mir so leid, Shehab.“

Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Tröstend nahm er sie in die Arme. „Dir soll niemals etwas leidtun, ya jameelati. Und mach dir keine Sorgen. Wenn ich bei dir bin, brauchst du niemals Angst zu haben. Ich werde dich immer beschützen.“ Ja, das würde er wirklich. Allerdings nur, versuchte er sich einzureden, weil sie für mich der Schlüssel zum Thron ist. „Meine Leute sorgen schon dafür, dass diese widerwärtigen Paparazzi nichts zum Veröffentlichen haben.“

„Du meinst, sie werden … oh. Na, mehr möchte ich darüber lieber gar nicht wissen. Aber das beruhigt mich nur halb.“

Was war denn jetzt noch?

„Wahrscheinlich haben die Fotografen viel weniger gesehen als deine Leute.“

Es dauerte einige Sekunden, bis er verstand. Sie dachte, seine Männer hätten auch im Garten Wache gestanden und sie beobachtet.

„Glaubst du wirklich, ich hätte beinah mit dir geschlafen, wenn sie in der Nähe gewesen wären?“, fragte er empört.

Tränen standen in ihren Augen. „Waren sie nicht …?“

„B’Ellahi …“ Er gab ihr einen Kuss. „Natürlich nicht. Ich habe sie erst per Funksignal herbeordert, als die Paparazzi auftauchten.“ Was ja gewissermaßen auch der Wahrheit entsprach.

Erleichtert sank sie in seine Arme. „Gott sei Dank. Ich hatte solche Angst, dass sie alles gesehen haben. Für mich war es reine Magie, der Himmel auf Erden, aber was hätten sie gedacht?“

Das also hatte sie so beunruhigt? Der Gedanke, dass andere sie beobachtet und das Reine, Schöne durch ihre Vorstellungen beschmutzt hätten?

Nun wusste Shehab wirklich nicht mehr, was er denken sollte. Er drückte sie noch fester an sich. Doch plötzlich entzog sie sich seiner Umarmung und sah ihn erschrocken an.

„Mir ist da gerade was eingefallen. Wir haben die Paparazzi jetzt vielleicht abgeschüttelt, aber es muss ihnen klar sein, dass sie an einer heißen Story dran sind. Das heißt, sie werden mit Sicherheit meine Wohnung überwachen und mir auflauern.“ Sie stöhnte auf. „Wir können also nicht zu mir fahren. Am besten setzt du mich bei irgendeinem Hotel ab. Da übernachte ich dann, und wenn ich morgen Abend nach der Arbeit nach Hause komme, können sie mich meinetwegen fotografieren, so viel sie wollen.“

Das torpedierte natürlich seinen Plan. Jetzt musste er sich schnell etwas Neues einfallen lassen. „Ich habe eine bessere Idee. Die Nacht ist ja noch jung. Wir können sie hinhalten, bis sie glauben, du kommst nicht mehr. Und in der Zwischenzeit gehen wir schön essen.“

Er küsste sie zärtlich auf die Hand und beobachtete genau, wie sie Lust auf mehr bekam. Schließlich nickte Farah atemlos. Daraufhin drückte er den Knopf, der die Verbindung zum Fahrer herstellte. „Seeda. Zum Flughafen.“

„Zum Flughafen?“, fragte sie verwirrt.

Shehab lächelte. „Wir speisen in meinem Jet.“

Natürlich, dachte sie. Er würde eine Frau ja nicht in ein Luxusrestaurant oder eine Villa einladen wie ein gewöhnlicher Wald-und-Wiesen-Industriemagnat.

Die ganze Fahrt über hielt er sie in seinen Armen und liebkoste sie, bis sie nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand.

Schließlich erreichten sie den Flughafen. Farah konnte beim Anblick des Flugzeugs nur staunen.

Sie war ja schon öfter in Privatjets gereist, aber keiner war so prächtig wie der von Shehab gewesen. Ihr Vater war ein schlichter Multimillionär mit zwei kleineren Jets, und seine Bekannten besaßen ähnliche Flugzeuge. Bill war zwar sogar Milliardär, aber er kam aus einfachsten Verhältnissen und gab ungern mehr Geld aus, als unbedingt nötig war. Shehab hingegen …

„Du scheinst gern im Luxus zu schwelgen“, kommentierte sie.

Er lächelte sie an. „Ich verbringe viel Zeit in der Luft, und oft habe ich auch viel Personal dabei. Außerdem muss mein Jet schon gut eingerichtet sein, weil ich oft Verhandlungspartner an Bord empfange.“

„Ich verstehe. Dafür braucht man natürlich einen fliegenden Palast.“

Amüsiert zog er eine Augenbraue hoch. „Das klingst beinah wie der Anfang eines Manifestes. Und das aus dem Munde einer Frau, die selbst in der Welt der Hochfinanz lebt?“

„Ich würde nicht sagen, dass ich in ihr lebe, ich bin eher eine Bedienstete darin. Je nach Lage spiele ich die Nervensäge oder die Reinmachefrau.“

Gelöst warf er den Kopf in den Nacken und lachte lauthals. „Ya Ullah, bei dir weiß man wirklich nicht, was du als Nächstes loslässt.“ Gut gelaunt führte er sie im Jet herum und zeigte ihr alles, einschließlich der Wendeltreppe, die in das obere Stockwerk führte. „Du bist also der Meinung, dieser Jet wäre zu protzig? Ich hätte das Geld dafür lieber einem guten Zweck zukommen lassen sollen?“

„Für etwas, dessen Hauptfunktion es ist, dich von A nach B zu bringen, war es vielleicht eine Spur zu teuer.“

„Nicht wenn es mir die Möglichkeit gibt, ständig Hunderte von Millionen Dollar mehr zu verdienen. Geld übrigens, von dem ich durchaus große Teile guten Zwecken zukommen lasse.“

„Stimmt, jetzt fällt’s mir wieder ein“, platzte sie heraus. „Viele der Firmen, an denen du die Aktienmehrheit oder große Anteile hältst, haben beeindruckende Hilfsprogramme laufen. Als ich die Zusammenstellung deiner Investitionen durcharbeitete, habe ich mir gesagt: ‚Dieser Al Ajman scheint eine Mischung aus einem Geschäftsmann und Mutter Teresa zu sein.‘“

Wieder lachte er laut. „Freut mich, dass du mein Engagement zu schätzen weißt.“

Anschließend zeigte er ihr das obere Stockwerk des Jets, das seine Privaträume beherbergte. Er legte seine Hand auf ein elektronisches Lesegerät, worauf sich die Tür zum Gemach surrend öffnete. Über die elegante und luxuriöse Einrichtung war Farah jetzt kaum noch überrascht. Er ließ sie auf einer prunkvollen Couch Platz nehmen und wies auf einen durch einen Wandschirm abgetrennten Bereich. „Dahinter ist der Waschraum. Und hier, mit diesen Knöpfen, kannst du dir alles bestellen, was dein Herz begehrt. Warte jetzt auf mich, bis ich zurück bin.“ Er wandte sich zum Gehen. Eigentlich wäre sie lieber mit ihm gegangen, wohin auch immer, aber er wandte sich noch einmal zu ihr um und sagte: „Es dauert höchstens ein paar Minuten.“

Sie blieb noch kurz sitzen, um sich zu sammeln, und ging dann in den Waschraum. Als sie zurückkam, war auch er schon wieder da.

Bei seinem Anblick blieb ihr fast das Herz stehen. Er hatte sein Kostüm abgelegt.

Nicht, dass er jetzt nackt war – nein, aber er war schlicht gekleidet, mit einer schwarzen Hose und einem weißen Hemd, und sah einfach umwerfend aus. Nackt wäre noch besser gewesen, aber auch so bot er eine kaum zu übertreffende Erscheinung. Und er schien zu spüren, wie gut er ihr gefiel.

„Komm, Farah, setz dich.“

Sie folgte seiner Einladung, und er setzte sich neben sie auf die Couch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Couch Sicherheitsgurte wie ein Flugzeugsitz hatte – und in diesem Moment schnallte er sie und sich auch schon an. Dann drückte er einen Knopf auf einer Art Fernbedienung. Die Flugzeugmotoren, die schon eine Weile ruhig gebrummt hatten, röhrten auf. Der Jet begann sich zu bewegen.

Autor

Alexandra Sellers

Alexandra Sellers hat schon an vielen verschiedenen Orten gelebt – wie viele genau, kann sie selbst nicht mehr sagen. Schon als kleines Mädchen träumte sie von fernen Ländern, inspiriert von den Märchen aus 1001 Nacht. Und irgendwann sah sie sich selbst an diesen geheimnisvollen Orten als Schriftstellerin. Prompt wurde die...

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