Bianca Exklusiv Band 345

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WENN DICH DIE HOFFNUNG KÜSST von KAREN TEMPLETON
Patrick Shaughnessy treibt April bald zur Verzweiflung. Zwar erklärt der Singledad, dass auch er Gefühle für sie hat – aber warum zeigt er April nach einem einzigen zärtlichen Kuss dann wieder die kalte Schulter?

MIT DIR KOMMT DAS GLÜCK ZURÜCK von SUSAN MEIER
Whitney kann das süße Baby nicht aufnehmen: Zu sehr schmerzt, dass sie selbst ihre Tochter verlor. Sie verspricht jedoch, Darius bei der Betreuung des Kleinen zu helfen – nicht ahnend, dass der Millionär ihr Leben ändern und ihre Wunden heilen wird …

HOLLY UND DER BAD BOY von ABIGAIL STROM
Ausgerechnet Alex McKenna ist der neue Footballtrainer ihres Sohnes! Holly stockt der Atem. Sein verführerisches Lächeln lässt sie fast vergessen, dass ein ehemaliger Highschool-Bad-Boy wie er einfach nicht zu ihr und ihrem Leben passt …


  • Erscheinungstag 04.02.2022
  • Bandnummer 345
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510523
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Templeton, Susan Meier, Abigail Strom

BIANCA EXKLUSIV BAND 345

1. KAPITEL

April Ross war von Natur aus nah am Wasser gebaut und hatte daher beim Fernsehen immer ein Taschentuch parat, falls ein kitschiger Kaffeewerbespot sie plötzlich zu überwältigen drohte. Zugegeben, die letzten Wochen waren eine einzige emotionale Achterbahnfahrt von Wiederbegegnungen, Renovierungsarbeiten und wichtigen Lebensentscheidungen gewesen. Aber – April zog ein Taschentuch aus der einzigen echten Designerhandtasche, die sie je besessen hatte, und putzte sich die Nase – beim Anblick von Pflanzen in Tränen auszubrechen?

Mehr als erbärmlich.

Zumal sie diejenige war, die gesagt hatte: „Was ist schon dabei? Man geht in eine Gärtnerei, sucht ein paar Bäume aus, engagiert zwei Typen, die sie einbuddeln – und fertig.“

Kein Wunder, dass ihre beiden Cousinen nur wortlos die Augen verdreht hatten.

April hüllte sich wegen des kalten, von der Bucht kommenden Windes tiefer in ihren dicken Cardigan und marschierte an einem Haufen Kürbissen vorbei auf den graubärtigen Mann hinter der Kasse zu, der bei ihrem Anblick lachen musste.

„Da scheint ja jemand ein bisschen überfordert zu sein“, sagte er in jenem entspannten Dialekt der Küste Marylands, der bei April immer Erinnerungen an die Sommer ihrer Kindheit wachrief. „Und halb erfroren. Jetzt stellen Sie sich erst mal unter den Heizstrahler – nur zu, ich warte so lange –, bis Sie mir sagen, womit ich Ihnen helfen kann. Ich habe so ziemlich alles im Kopf, was wir auf Lager haben.“

April schossen schon wieder die Tränen in die Augen – erstens, weil dieser Mann so freundlich war, und zweitens wegen der herrlichen Wärme, die aus dem Heizstrahler drang. Dankbar zog sie ihre Handschuhe aus, um sich die Hände zu wärmen. „Ich muss drei Morgen Dreck und Bauschutt in einen Garten verwandeln. Und zwar bis Mitte Dezember, wenn meine ersten Gäste ankommen.“

Der Mann hob die Augenbrauen. „Sind Sie etwa die Kleine, die das Rinehart-Haus sanieren lässt?“

„Stimmt genau.“ April schob sich das windzerzauste Haar hinter ein Ohr und hielt dem Mann ihre inzwischen etwas wärmer gewordene rechte Hand hin. „April Ross.“

„Sam Howell. Ist mir ein Vergnügen, junge Dame.“ Sam schüttelte ihr die Hand und verschränkte die Arme über seiner karierten Wolljacke. „Drei Morgen Land, sagen Sie?“

Sie wurden von dem Quietschen eines Kindes unterbrochen. Breit grinsend kam Sam hinter dem Tresen hervor und fing ein kleines dunkellockiges Mädchen auf, das wie der Blitz auf ihn zuschoss. Es hatte rosige Wangen und trug eine leuchtend blaue Strumpfhose und eine rote Steppjacke. Wie niedlich!

„Daddy sagt, ich darf mir einen Kürbis für Halloween aussuchen!“, erklärte das Mädchen und hob stolz einen mit einem glitzernden Sneaker bedeckten Fuß. „Und ich habe neue Schuhe! Siehst du?“

„Das sind ja hübsche Schuhe, Miss Lili. Hat dein Dad sie für dich ausgesucht?“

„Nein.“ Die Kleine schüttelte heftig den Kopf. „Hab’ ich ganz allein getan. Mommy werden sie bestimmt gefallen, oder?“

„Oh. Klar, da bin ich mir sicher …“

Lili schenkte April ein Babyzahn-Lächeln und bewunderte weiter ihre Schuhe. „Daddy sagt, das sind Prinzessinnen-Schuhe.“

April lachte. „Das sind sie auf jeden Fall“, sagte sie. Als sie hinter sich ein tiefes Lachen hörte, drehte sie sich um. Ihr stockte der Atem, als sie einen groß gewachsenen, breitschultrigen Mann sah, dessen Gesicht zum Teil von einer albernen Mütze mit Ohrenschützern bedeckt war. Er nahm seine Tochter auf den Arm und tat so, als wolle er sie in die Schultern beißen.

Die Kleine kicherte.

Aprils Herz machte einen Satz.

Verdammt, verdammt, verdammt!

Unwillkürlich griff sie nach ihren Eheringen und drehte nervös daran herum. Okay, sie könnte sie allmählich mal abnehmen. Aber irgendwie gaben sie ihr ein … sicheres Gefühl. So, als würde der liebenswürdigste und großzügigste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte, noch immer auf sie aufpassen.

„Miss Ross“, sagte Sam, nachdem der fremde Mann die Hände des kleinen Mädchens von seinem Hals gelöst und es zu Boden gesetzt hatte, „das ist Patrick Shaughnessy. Und diese junge Dame“, fuhr er fort und zwinkerte April verschmitzt zu, „braucht Sie dringend.“

War ihr eben noch kalt gewesen? Ihr wurde ganz heiß vor Verlegenheit. Entgeistert starrte sie Sam an, der ihr Unbehagen zu genießen schien. „Die Shaughnessys sind die besten Garten- und Landschaftsarchitekten des Staates.“

„Des Staates?“ Patrick wandte April das Gesicht nur weit genug zu, dass sie seine Augen sehen konnte, die noch blauer als ihre waren. Wie Laserstrahlen leuchteten sie aus einem Gesicht hervor, das größtenteils von der Mütze verdeckt war. Augen, die sich verdunkelten, als er ihrem Blick begegnete. „Eher der ganzen Ostküste.“

Nach kurzem Zögern reichte er ihr seine behandschuhte Rechte und schob sie wieder in die Tasche seiner nicht ganz sauberen Baumwolljacke. Sofort wandte er wieder den Blick von April ab, anscheinend, um seine Tochter im Auge zu behalten, die die Kürbisse so kritisch beäugte wie ein anspruchsvoller Kunde die Autos eines Gebrauchtwagenhändlers. „Ich nehme an, Sie brauchen Hilfe mit Ihrem Garten?“

Tief Luft holen. „Ich dachte erst, es würde genügen, einfach ein paar Bäume zu kaufen und jemanden zu engagieren, der sie einpflanzt. Bis ich hier ankam und mir einfiel, dass ich noch nicht mal eine Packung Kresse am Leben erhalten kann.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Und? Wie groß ist Ihr Grundstück?“

„Drei Morgen ungefähr.“ Eine eisige Brise verdrängte die Wärme des Heizstrahlers. Fröstelnd hüllte April sich tiefer in ihre Jacke. Sie war bisher noch nie im Herbst in St. Mary’s gewesen und hatte daher keine Ahnung gehabt, wie brutal die nasse Kälte sein konnte. „Ich verwandle das Haus meiner Großmutter in ein Hotel zurück, daher sollte der Garten halbwegs präsentabel aussehen.“

Weiteres Mundwinkelzucken. „Das Rinehart-Haus?“

„Ja. Woher wissen Sie …“

„Kleinstadt.“

Es nervte sie allmählich, dass der Typ ständig den Blick abwandte. Zumal Sam sich bereits zu dem Mädchen gesellt hatte, um ihr beim Aussuchen eines Kürbisses zu helfen.

Patrick verschränkte die Arme vor der Brust. „Haben Sie ein Budget?“

„Nicht wirklich.“

Als er endlich ihrem Blick begegnete, wurde ihr schon wieder ganz heiß … und zwar überall. Wie absolut unpassend.

„Was wollen Sie denn ausgeben?“, fragte er, die Aufmerksamkeit wieder auf seine Tochter richtend. „Ein paar Hundert? Ein paar Tausend?“

„Sorry, ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Obwohl … Geld ist kein Problem.“

April hatte sich immer noch nicht von dem Schock erholt, dass Clayton ihr ein Vermögen hinterlassen hatte. Sie hatte sich das Testament drei Mal vorlesen lassen, um sicherzugehen, sich nicht verhört zu haben. Claytons Begleitbrief hatte sie jedoch allein gelesen.

Ja, es gehört alles dir. Du kannst damit machen, was du willst. Wie du siehst, habe ich mein Versprechen gehalten …

„Und trotzdem wollten Sie das Projekt allein durchführen?“, fragte Patrick.

April lachte. „Ich glaube, ich habe einfach nicht richtig darüber nachgedacht. Wie dem auch sei, ich bin fast immer zu Hause, also … Könnten Sie vielleicht diese Woche noch vorbeikommen und sich das Grundstück ansehen?“

„Ich werde mal einen Blick in meinen Terminkalender werfen. Aber grundsätzlich dürfte das kein Problem sein.“

„Super.“ April legte ihre Sonnenbrille und ihre Handschuhe auf den Tresen, um ihre Handtasche nach einer Visitenkarte zu durchsuchen. Sie reichte ihm eine und nahm seine entgegen.

„Daddy! Ich habe einen gefunden!“

„Ich komme gleich, Liebes!“ Er nickte April zum Abschied kurz zu und ging davon.

Komischer Kauz, dachte sie, hängte sich ihre Tasche um und ging zu ihrem Lexus zurück, einem Modell, von dessen Besitz sie vor fünf Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt hatte. Kaum saß sie hinterm Steuer, fiel ihr auf, dass sie ihre Sonnenbrille auf dem Tresen vergessen hatte. Typisch!

Kopfschüttelnd ging sie zurück in das Gartencenter. Als sie ihre Sonnenbrille und ihre Handschuhe vom Tresen nahm, hörte sie wieder Lilis unwiderstehliches Kichern und ging neugierig zu den Kürbissen. Verstohlen beobachtete sie, wie Patrick abwechselnd auf zwei der größten Kürbisse zeigte. „Den hier. Nein, den hier“, sagte er zu seiner kleinen Tochter. „Nein, den hier. Obwohl, wenn ich so darüber nachdenke …“

Gott sei Dank stand er gerade mit dem Rücken zu ihr, sodass sie die rührende Szene unbemerkt verfolgen konnte. Patrick hatte seine alberne Mütze abgesetzt, und April konnte sein fast militärisch kurz geschnittenes dunkles Haar sehen.

In diesem Augenblick drehte er sich abrupt zu ihr um. Sein Lächeln erstarb bei ihrem Anblick. Herausfordernd sah er sie an …

… und zwar aus einem Gesicht, dessen rechte Hälfte komplett vernarbt und verfärbt war.

Erschrocken drehte April sich um und stolperte tief beschämt aus dem Gewächshaus. Draußen musste sie sich erst mal gegen ihr Auto lehnen, um ihre aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. Dabei war ihr nicht wegen Patricks Aussehen schlecht, sondern weil …

Was hatte sie getan?

Ihre Augen brannten von der Kälte und Tränen. Am liebsten wäre sie jetzt einfach ins Auto gestiegen und mindestens bis nach Uruguay gefahren, doch das war ausgeschlossen. Und das nicht nur deshalb, weil sie keinen Ausweis dabei hatte. Sie holte tief Luft, griff wieder nach ihrer Handtasche und ging mit wackligen Knien zurück ins Gartencenter. Denn wer seine Fehler nicht wiedergutmachte, war dazu verdammt, sie zu wiederholen. Oder so ähnlich.

Sam lachte wieder bei ihrem Anblick. „Na? Was haben Sie diesmal vergessen?“

„Meinen gesunden Menschenverstand offensichtlich“, murmelte April und reckte den Hals. „Ist Patrick noch da?“

„Gerade gegangen“, erklärte Sam. „Sein Wagen stand hinten“, fügte er hinzu, als sie ihn bestürzt ansah. „Brauchen Sie noch etwas?“

Ja. Den Namen eines anderen Landschaftsarchitekten.

Doch da April keine Lust hatte, Erklärungen abgeben zu müssen, die sie nicht geben wollte oder konnte, schüttelte sie nur den Kopf und ging durch den kalten Wind zu ihrem Wagen zurück. Und dabei kam sie sich erbärmlich vor.

Das war ja zu erwarten gewesen, dachte Patrick mit jener seltsamen Mischung aus Ärger und Resignation, mit der er meistens auf derartige Situationen reagierte. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war seine körperliche Reaktion auf die zierliche Rotblonde. Eine Reaktion, die ihm zwar gegen den Strich ging, aber alles andere als etwas Resigniertes gehabt hatte.

Er verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln. Anscheinend war er doch noch nicht tot. Oder zumindest seine Libido nicht. Stattdessen war er ein Idiot. Denn so, wie die Frau vor ihm zurückgeschreckt war, beruhte die Anziehungskraft nämlich nicht gerade auf Gegenseitigkeit. Und selbst wenn – die dicken Klunker an ihrem linken Ringfinger waren abschreckend genug.

Sollte er ihren Auftrag selbst übernehmen oder an seinen Vater oder einen seiner Brüder weitergeben? Er konnte weiß Gott gut auf die Versuchung verzichten. Oder auf die Frustration. Aber auf der anderen Seite konnte er sich die Gelegenheit, sie ein bisschen zu provozieren, nicht entgehen lassen, oder? Was soll’s, dass er hässlich wie die Nacht war. Die Welt war voller solcher Typen. Die hübschen kleinen April Rosses dieser Welt mussten eben damit leben.

An der großen Kreuzung in der neuen Siedlung südlich von St. Mary’s Cove dehnte Patrick die Finger seiner rechten Hand, deren Muskeln nach vier Jahren Physiotherapie und zahlreichen Operationen endlich halbwegs funktionierten. Wenigstens hatte er die Hand noch …

„Daddy?“

Und seine kleine Tochter hatte noch ihren Vater, wenn auch einen, der zusammengeflickt war wie Frankensteins Monster. Patrick bekam einen Kloß im Hals, als er seinen ganzen Lebensinhalt im Rückspiegel sah. Nicht, dass er den zahlreichen Ärzten, Therapeuten und Psychologen, die ihn zusammengeflickt hatten, nicht dankbar war. Immer wenn er vor Schmerz hatte sterben wollen, war ihm wieder eingefallen, dass seine kleine Tochter ihn brauchte – im Gegensatz zu ihrer Mutter – und dass er irgendwoher die Kraft nehmen musste, den Tag zu überstehen. Und den nächsten. Und dann noch einen …

„Können wir dem Kürbis heute ein Gesicht schnitzen?“

Patrick warf seiner Tochter einen weiteren Blick im Rückspiegel zu, wobei er wie immer seinem eigenen Spiegelbild auswich. „Noch nicht“, antwortete er. „Wenn wir das jetzt schon machen, ist der Kürbis Halloween ganz matschig.“

„Wann ist Halloween?“

„Noch fünf Mal schlafen.“ Er lächelte ihr zu. Für sie war er einfach ihr Daddy, ganz egal, wie er aussah. Entscheidend war nur, was er tat. Und seit dem Auszug ihrer Mutter hatte er ihr ständig versichert, dass er sie nie verlassen würde. „Hältst du bis dahin durch?“

„Ich glaube schon“, antwortete Lili mit einem dramatischen Seufzen, das ihn nur allzu sehr an Natalie erinnerte. Unwillkürlich musste er wieder daran denken, wie seine Exfrau ihn angesehen hatte, als er endlich nach Hause gekommen war. Ihre Ehe war kurz darauf vorbei gewesen. Das hatte Patrick jedoch weitaus weniger überrascht als die Tatsache, dass Nat ihm das volle Sorgerecht für ihre Tochter übertragen hatte. Die Nachricht hatte ihm einen regelrechten Schock versetzt.

„Wo fahren wir hin?“

„Zurück zu Grandma.“

Das Schweigen vom Rücksitz war kein gutes Zeichen. Patrick beschloss, dem Protest seiner Tochter zuvorzukommen. „Sorry, Schatz, aber ich muss zurück zur Arbeit.“

Einer der vielen Vorteile bei sechs fast um die Ecke wohnenden Geschwistern bestand darin, dass sich immer jemand bereit erklärte, sich um Lili zu kümmern. Patricks Mutter und seine älteste Schwester Frannie, eine Hausfrau mit vier Kindern, rissen sich geradezu um das Privileg. Seine Tochter war daher alles andere als vernachlässigt. Aber in den letzten Monaten wurde sie immer anhänglicher, wenn Patrick weg musste. Zumal die seltenen Besuche seiner Exfrau sie eher verwirrten, als dass sie ihr Sicherheit gaben.

Er bog in die Einfahrt des großen zweistöckigen Hauses seiner Eltern ein. Kate O’Hearn Shaughnessy empfing ihn in ihrem üblichen aus Leggings, Wollpullover und Fleece-Stiefeln bestehenden Outfit und drückte ihre Enkeltochter erfreut an sich.

„Geh zu Poppa“, sagte sie zu Lili und fuhr ihr mit einer Hand durch die dunklen Locken. „Er ist in der Küche.“ Sie richtete den Blick auf Patrick. „Ich habe Gemüsesuppe gemacht. Möchtest du auch welche?“

„Gern.“ Patrick folgte ihr den langen Flur entlang in die Küche, wobei er unwillkürlich die Schultern einzog, um nicht eines der Familienfotos von den Wänden zu reißen. Wie viele der Häuser in St. Mary’s Cove war sein Elternhaus zu einer Zeit gebaut worden, als die Menschen kleiner und die Bedürfnisse geringer waren. Dass seine Eltern hier sieben Kinder großgezogen hatten, war verblüffend. Aber sie hatten nie das Verlangen gehabt, sich etwas Größeres oder Besseres zuzulegen, und diese genügsame Einstellung hatten sie an ihre Kinder weitergegeben.

Lilianna hatte sich bereits auf den Hochstuhl gesetzt, der schon seit Jahren am Küchentisch stand, und schlürfte die Gemüsesuppe, die sie bei Patrick nie und nimmer anrühren würde.

Patrick setzte sich neben sie an den abgeschabten Holztisch. Sonnenlicht strömte in den gemütlichen, makellos sauberen Raum. Er zog Aprils Visitenkarte aus seiner Hemdtasche und reichte sie seinem Vater. „Wir haben einen neuen Job.“

„Ach ja?“ Joe kniff die Augen zusammen, um die Karte besser lesen zu können. Offensichtlich wurde es mal wieder Zeit für eine neue Brille. „Bei wem denn?“

„Beim alten Rinehart-Haus.“

Patricks Vater hob den Blick. „Hat das etwa jemand gekauft?“

„Eine der Enkeltöchter macht wieder ein Hotel daraus. Sam hat uns vorhin miteinander bekannt gemacht.“

Stirnrunzelnd reichte Joe die Karte zurück. „Amelia Rinehart soll das Haus total verkommen lassen haben. Ich wundere mich, dass die Mädchen es nicht einfach abgerissen …“

„Wir hatten dort unseren Hochzeitsempfang“, unterbrach ihn seine Frau und stellte eine Schüssel Suppe vor Patrick, bevor sie sich zu ihrer Familie an den Tisch gesellte. „In der Glanzzeit des Hotels.“

„Und unserer“, fügte Pop lachend hinzu.

Patrick runzelte die Stirn. „Echt?“

„Wirf doch mal einen Blick auf die Hochzeitsfotos, wenn du rausgehst. Das Haus war schon lange im Besitz der Familie von Amelias Mann, bevor sie es nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Hotel umbauten. Nach seinem Tod hat Amelia die Zimmer nicht mehr vermietet. Bis auf ihre drei Enkeltöchter, die jeden Sommer …“

„Darf ich aufstehen?“, fragte Lili.

Ma beugte sich vor, um ihrer Enkelin das suppenverschmierte Gesicht abzuwischen. „Die alte Frau war ein schräger Vogel, anders kann man das nicht nennen. Man erzählt sich, dass sie kaum ein Wort mit ihren drei Töchtern gesprochen hat, noch nicht mal mit der, die hier in St. Mary’s geblieben ist. Aber ihre Enkeltöchter hat sie anscheinend geliebt. Auf ihre Art zumindest.“ Ma lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen zusammen. „Du bist doch mit einer von ihnen zur Schule gegangen, oder?“

„Ja, Melanie.“ Patrick schob sich einen Löffel mit Kartoffeln und Möhren in den Mund. „Eine Zeit lang wenigstens. Aber sie und ihre Mutter sind noch vor den Abschlussprüfungen weggezogen.“

„Glaubst du, dem Mädchen ist es ernst?“, schaltete Patricks Vater sich ein. Er hatte offensichtlich die Nase voll von Small Talk.

„Warum nicht?“

„Weil ihr ziemlich schnell das Geld ausgehen könnte.“

„Ich glaube, das dürfte kein Problem sein. Sie hat angedeutet, genug Geld zu haben. Hättest du diese Woche Zeit?“

„Ich? Wofür brauchst du mich?“

Patrick hatte eine Menge dazugelernt, seit er vor fast einem Jahr in die Firma zurückgekehrt war, fühlte sich aber immer noch als Neuling. „Es sieht nach einem großen Auftrag aus. Ich kann gern die Entwürfe machen, aber du bist der Experte, wenn es um Zeitpläne und Kostenvoranschläge geht. Außerdem vertrauen die Menschen dir …“

„Das ist doch Unsinn!“

„Was? Dass die Menschen dir vertrauen?“

Patricks Vater sah ihn scharf an. „Nein.“

„Ich will dich ja nur mit einbeziehen“, erklärte Patrick, den Blick auf seine Suppe gesenkt.

„Dafür gibt es Handys.“

„Ich weiß noch, wie hübsch die Mädchen waren“, sagte Patricks Mutter versonnen und stand auf, um Liliannas Schüssel abzuräumen. „Sieht die junge Frau gut aus?“

„Kate!“, sagte Joe genervt.

„Was ist? Ich unterhalte mich doch nur. Und du bist derjenige, der den Jungen dazu drängt, alles allein zu machen!“

Patrick hörte gar nicht hin. Seine Eltern drängten ihn immer dazu, sich eine Frau zu suchen, die ihn so liebte, wie er war. Schade nur, dass er nicht die Absicht hatte, ihren gut gemeinten Rat zu befolgen. Er war in seinem Leben schon mehr als genug Risiken eingegangen und hatte immer wieder dafür büßen müssen. Nein, danke. Erst seit er sich und allen anderen nicht mehr krampfhaft beweisen wollte, dass sich nichts geändert hatte, ging es ihm wieder besser.

Die Tatsache, endlich zu akzeptieren, dass sein Leben nie wieder so sein würde wie früher, hatte ihm inneren Frieden gegeben und ihn von seinen Schuldgefühlen, seinem Selbstmitleid und seinen ihn Nacht für Nacht plagenden Albträumen befreit. Als er zum ersten Mal durchgeschlafen hatte, hatte er vor Dankbarkeit geweint. Er würde alles tun, um sich diesen Seelenfrieden zu erhalten. Nicht um seinetwillen, sondern vor allem wegen seiner Tochter, die zumindest ein Elternteil verdiente, der für sie da war.

Sie brauchte einen Vater, der sich mit den Gegebenheiten abfand, anstatt darüber nachzugrübeln, was hätte sein können.

Oder sein konnte …

Patricks Handy klingelte. Er zog es aus seiner Hemdtasche und runzelte beim Anblick der unbekannten Nummer auf dem Display die Stirn. „Patrick Shaughnessy“, meldete er sich.

„Mr. Shaughnessy, hier ist April Ross.“

Sein Herz machte einen Satz, als er ihren lieblichen Südstaatendialekt hörte, der ausgeprägter war als in seiner Erinnerung. Da er seine Eltern nicht mithören lassen wollte, stand er auf und ging in den Flur hinaus. „Ms. Ross. Was kann ich für Sie tun?“

„Würde Ihnen morgen früh passen, sich mein Grundstück anzusehen? Es ist schon Ende Oktober, da sollten wir vielleicht so schnell wie möglich anfangen, finden Sie nicht?“

Sie sagte das so, als sei sie vorhin nicht wie ein verängstigtes Kaninchen vor ihm davongerannt. Interessant.

„Ja, morgen passt gut. So gegen neun?“

„Ausgezeichnet. Wir sehen uns.“

Wir.

Patrick steckte das Handy zurück und ging in das vollgestellte Wohnzimmer seiner Eltern, wo Lili vor dem Kamin saß und eine einseitige Unterhaltung mit ein paar alten Puppen führte. Bei seinem Anblick lächelte sie so vertrauensvoll zu ihm auf, dass sein Herz sich schmerzlich zusammenzog. Wie er dieses Kind liebte!

Nur für sie zwang er sich, wieder zu lächeln. Er bemühte sich, die guten Dinge des Lebens zu schätzen und nicht über das nachzugrübeln, was schiefgegangen war. Er wollte ein gutes Vorbild für sie sein, so wie seine Eltern für ihn. Er hockte sich neben sie und nahm ihr Gesichtchen in die Hände. „Ich muss los, Schätzchen. Gibst du mir einen Kuss?“

Lili stand auf und schlang die Arme um seinen Hals.

„Sei schön lieb zu deiner Grandma, okay?“

Sie nickte. „’kay.“

Patrick verabschiedete sich von seinen Eltern und ging nach draußen zu seinem Wagen. Der kalte Wind blies schmerzhaft gegen seine Narben. Die Aussicht, April Ross wiederzusehen, machte ihn ganz nervös – ein Gefühl, das er schon sehr, sehr lange nicht mehr gehabt hatte. Aber nach der Hölle, die er durchgemacht hatte, war das sein geringstes Problem. Zumal das Ganze sowieso zu nichts führen würde. Schließlich war sie verheiratet.

Gott sei Dank.

„Das hattest du vor fünf Minuten noch nicht an.“

April warf ihrer Cousine Melanie einen gereizten Blick zu und stellte die Kaffeemaschine in ihrer neuen Küche an. Die alte Maschine war so unzeitgemäß gewesen, dass man sie unter Denkmalschutz stellen lassen könnte, wenn sie nicht so hässlich gewesen wäre. Die jetzige hingegen war der Traum eines jeden Kochs.

Es gab jede Menge Arbeitsflächen, Schränke, einen Doppelofen, eine große Kücheninsel mit Edelstahlfläche und einen Großküchenherd mit sechs Flammen … in Rosa. Für Mel. Die jetzt, wo ihre große Liebe sie nach zehnjähriger Abwesenheit nach St. Mary’s zurückgebracht hatte, zugestimmt hatte – nach hartnäckigem Drängen Aprils – im Inn ihre fantastischen Kochkünste einzusetzen.

„Mir war kalt“, rechtfertigte April sich. „Deshalb habe ich einen dickeren Pullover angezogen.“

„Und eine neue Jeans. Und das Haarband …“

„Halt die Klappe!“

„Außerdem ist das heute Morgen schon deine vierte Tasse Kaffee“, fügte Mel grinsend hinzu. Ihre graugrünen Augen unter dem dunklen Pony glitzerten durchtrieben. „Mit dem ganzen Koffein intus wirst du dich wie ein Erdhörnchen auf Speed anhören. Obwohl mir der dunkle Rotton an dir gefällt.“

Ihre andere Cousine Blythe, die als Inneneinrichterin in Washington D. C. arbeitete und für ein paar Tage gekommen war, um die Umbauten zu überwachen, betrat gähnend die Küche. Groß, blond und unglaublich schick gekleidet, sah sie April stirnrunzelnd an. „Hast du zum Frühstück nicht etwas anderes angehabt?“

Melanie biss herzhaft in eines ihrer selbst gebackenen Zimtbrötchen. „Ich kann mich noch an Patrick Shaughnessy erinnern. Der Typ ist den Garderobenwechsel eindeutig wert.“

April nahm ihren fertigen Kaffee und drehte sich zu der großen altmodischen Schuluhr um, die Blythe in einem Antiquitätenladen aufgestöbert hatte. Noch zehn Minuten. Seufzend lehnte sie sich gegen die Arbeitsplatte. Es wurde allmählich Zeit, ein paar Details nachzuliefern, die sie bei ihrer ersten Ankündigung von Patricks Besuch nicht erwähnt hatte.

„Ich nehme an, er sah damals ziemlich gut aus?“, fragte sie vorsichtig.

„Auf eine raue Heathcliff-Art ja. Genauso wie seine Brüder.“

„Dann war sein Gesicht also … nicht vernarbt?“

„Vernarbt? Du meinst wie bei Schnitten, die nicht richtig verheilt sind?“

„Nein, schlimmer. So wie … keine Ahnung, verbrannt vielleicht?“

„Was? Ist das dein Ernst? Sieht es sehr schlimm aus?“

April nickte. „Obwohl nur eine Seite seines Gesichts betroffen ist. Daher fiel es mir erst gar nicht auf. Aber als doch …“ Sie verzog das Gesicht. „Ich bekam irgendwie … einen Schreck.“

Mel runzelte die Stirn. „Inwiefern?“

„Ich bin weggerannt. Wie ein kleines Mädchen, das Angst vorm Schwarzen Mann hat. Und ja, er hat es mitbekommen.“

„Autsch“, kommentierte Blythe trocken.

„Du sagst es.“ April ließ den Blick zum neuen vergrößerten Küchenfenster wandern, von dem aus man einen schönen Blick auf die Bucht und den Privatsteg hatte. Ihren Steg. Für einen Moment wurde sie wieder von dem Glücksgefühl überwältigt, dieses Haus zu besitzen – ein Gefühl, das jedoch rasch von ihrem schlechten Gewissen verdrängt wurde. „Er hat eine niedliche kleine Tochter …“

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Blythe und Mel sich einen vielsagenden Blick zuwarfen. Sie drehte sich wieder zu ihnen um. „Ich bin zurückgegangen, um mich bei ihm zu entschuldigen, aber er war schon weg. Das werde ich also als Erstes nachholen, wenn er hier ankommt.“

Skeptisch hob Blythe die Augenbrauen. „Du willst dich bei ihm entschuldigen? Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“

„Hast du eine bessere?“

„Ja. Tu einfach so, als sei nichts passiert.“

„Toller Tipp!“

„Das ist mein Ernst“, erklärte die Blondine, deren kurzes Haar im Sonnenlicht wie Milchglas schimmerte. „Ich weiß, dass du dich erbärmlich fühlst, aber er ist wahrscheinlich daran gewöhnt.“

„Und das entschuldigt mein Verhalten?“

„Nein. Aber du willst doch bestimmt nicht, dass er sich noch unbehaglicher fühlt, oder?“

Unschlüssig sah April ihre andere Cousine an. „Was würdest du tun?“

„Ich? Ich hätte einen anderen Landschaftsarchitekten engagiert“, sagte Mel. Als April genervt die Augen verdrehte, riet sie: „Verlass dich einfach auf deinen Instinkt. Tu das, was sich für dich am besten anfühlt.“

In diesem Augenblick klingelte es an der Tür.

April richtete sich auf und stellte ihren Becher weg, um sich die plötzlich feuchten Hände an ihrer Jeans abzuwischen. „Falls ich mich nicht zuerst übergebe“, murmelte sie und ging zur Tür, um sie zu öffnen.

2. KAPITEL

Patrick hatte noch nie jemanden so rot anlaufen sehen. Außerdem schluckte April, als sei ihr übel. Er hielt sein Clipboard hoch, um April an den Zweck seines Besuchs zu erinnern. Doch sie schüttelte den Kopf, dass ihr das rotgoldene Haar um die Schultern flog, was Patrick irgendwie irritierte. Auch wenn er nicht hätte sagen können, wieso.

Was er jedoch sagen konnte, war, dass sie sogar noch hübscher war als in seiner Erinnerung. Wenn auch mit den farblich perfekt aufeinander abgestimmten Pullover, Schuhen und Haarband etwas zu akkurat gekleidet für seinen Geschmack. Und offensichtlich war sie ziemlich verstört wegen vorgestern.

„Bevor wir anfangen …“, sagte sie. „Es gibt keine Entschuldigung für mein Verhalten. Es tut mir leid.“

Patrick war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie vom Haken zu lassen und dem, sie sich vor Unbehagen winden zu sehen. Aber sein Gesicht war nun mal gewöhnungsbedürftig. Beleidigt zu reagieren, war daher überflüssig. Menschen waren nun mal so.

Aber irgendetwas an diesem speziellen Menschen hier provozierte ihn irgendwie. Vielleicht ihr unschuldiges Auftreten? Er schob die Hände in die Hosentaschen und sah sie aus schmalen Augen an. Sie erwiderte seinen Blick so stoisch, als wolle sie irgendetwas beweisen. Vermutlich eher sich selbst als ihm. „Ihr Verhalten?“

Sie schluckte erneut und errötete sogar noch heftiger. Immerhin war ihr hoch anzurechnen, dass sie nicht ihren Mann vorgeschickt hatte.

„Ja“, bestätigte sie. „Beim Gartencenter.“

„Mir ist nichts aufgefallen.“

„Sie machen sich wohl über mich lustig.“

Patrick zog die Augenbrauen zusammen. Zumindest das, was von ihnen übrig geblieben war. „Das mache ich nicht …“

„Sie wissen verdammt genau, worauf ich hinauswill. Aber ich helfe Ihrem Gedächtnis gern auf die Sprünge, wenn Sie sich dann besser fühlen. Ich habe mich unmöglich benommen, als ich Ihre Narben sah. Ich weiß nicht, warum, man hat mich auf jeden Fall nicht so erzogen, aber ohne eine Entschuldigung könnte ich nicht mehr in den Spiegel sehen. Sie sind natürlich nicht dazu verpflichtet, sie anzunehmen, aber ich möchte mich trotzdem entschuldigen. So. Wollen wir jetzt anfangen?“

Für gute fünf oder sechs Sekunden starrte Patrick sie ungläubig an. Dass sie sich bei ihm entschuldigte, verriet vermutlich eher gute Manieren als sonst irgendetwas, aber sie hatte mit einem Temperament gesprochen, das er ihr gar nicht zugetraut hätte. Genauso wenig wie ihren verdammten beharrlichen Blick.

„Entschuldigung angenommen“, hörte er sich selbst murmeln und räusperte sich verlegen. „Sie sollten sich vielleicht eine Jacke überziehen. Es ist ziemlich kalt da draußen.“

Nickend verschwand sie im Haus und kehrte kurz darauf mit einer anderen Frau im Schlepptau zurück, einer großen Blondine, die Patrick vage bekannt vorkam.

„Das ist meine Cousine Blythe Broussard“, stellte sie die Frau vor. „Sie beaufsichtigt den Umbau und hat ein paar Ideen für die Gartengestaltung.“

Immer noch kein Ehemann aufgetaucht. Interessant.

Aber vielleicht ist der Kerl einfach gerade nicht da …

Was war bloß los mit ihm? Patrick hatte schon jede Menge weiblicher Auftraggeberinnen gehabt, aber das hier war das erste Mal, dass er sich bei einer von ihnen fragte, ob sie mit jemandem zusammenlebte oder verheiratet war. Sich mental einen Schlag gegen den Hinterkopf versetzend, richtete Patrick die Aufmerksamkeit auf Blythe, die ihn ebenfalls direkt ansah. Vermutlich hatte April sie vorgewarnt.

„Okay, lassen Sie uns anfangen“, sagte er und zeigte mit dem Clipboard auf den wüsten Vorgarten – ein absolut passendes Symbol für sein derzeitiges Leben. „Nach Ihnen, meine Damen.“

April hatte Blythe den Großteil des Gesprächs überlassen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Nicht zuletzt deshalb, weil Blythe sich viel besser mit Gartengestaltung auskannte als sie selbst. Aber auch, weil sie sich erst mal von Patricks Reaktion auf ihre Entschuldigung erholen musste.

Mal sehen, ob ich mich davon erholt habe, dachte sie, als sie eine Woche später vor dem nichtssagenden Firmengebäude der Shaughnessys auf der anderen Seite der Stadt parkte. April hatte eigentlich damit gerechnet, dass Patrick ihr seine Pläne und seinen Kostenvoranschlag zuschicken oder vorbeibringen würde, doch stattdessen hatte er eine Sekretärin beauftragt, sie zu einer Präsentation ins Büro zu bitten. Und da war sie jetzt.

Statt der Frau mittleren Alters, die sie am Telefon gehört hatte, saß ein älterer Mann mit schwarzer Brille hinter dem alten Empfangstresen. Sein freundliches Lächeln nahm April etwas von der Nervosität, die sie sich bis jetzt nicht eingestanden hatte.

„Sie sind Ms. Ross, nicht wahr?“ Er stand auf und hielt ihr eine raue Hand hin.

„Ja.“

„Ich bin Joe, Patricks Vater. Er telefoniert gerade, aber gehen Sie ruhig schon mal in den Konferenzraum. Wir legen hier keinen Wert auf Formalitäten. Wollen Sie einen Kaffee?“ Er zeigte auf die altmodische Kaffeemaschine hinter sich. „Er ist ganz frisch. Marion hat ihn aufgesetzt, bevor sie zur Bank musste.“

„Oh … Nein, danke.“

„Gut. Der Konferenzraum ist gleich da hinten. Sie können ihn nicht verfehlen.“

April konnte Patrick bereits auf dem Gang hören – ein volles tiefes Lachen, bei dem ihr der Atem stockte. Sie hätte nicht gedacht, dass er so lachen konnte.

Die Möblierung des Konferenzraums bestand nur aus einer Ansammlung alter Tische und Klappstühle und einem Großbildfernseher. Patrick saß auf einem Stuhl, einen Fuß lässig auf den Tisch vor sich gelegt. Er hatte sein Handy ans Ohr gepresst und seine „gute“ Seite zur Tür gewandt. Er war so ins Gespräch vertieft, dass er April gar nicht sah.

Interessantes Gesicht, dachte sie, auch wenn Mel recht damit hatte, dass er nicht wirklich gut aussah. Dafür aber sehr männlich …

Als er ihre Gegenwart bemerkte, setzte er einen neutralen Gesichtsausdruck auf, nahm den Fuß vom Tisch und stand auf, wobei er sein Handy einsteckte. „Sorry, ich habe Sie gar nicht gesehen.“

April bekam Bauchschmerzen vor lauter Nervosität … und nicht nur deshalb. „Schon gut“, sagte sie lächelnd. „Ich wollte Sie nicht unterbrechen.“

Nickend winkte er sie ins Zimmer. „Setzen Sie sich. Die Präsentation wird nicht lange dauern.“

Sein Tonfall war so kühl, dass April unwillkürlich zusammenzuckte. Er hatte ihre Entschuldigung angenommen, schien aber trotzdem noch verletzt zu sein – eine sehr unangenehme Vorstellung. Auf der anderen Seite hatte sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihr Fehlverhalten wiedergutzumachen.

Patrick hatte bestimmt Schreckliches durchgemacht, aber das war weder ihre Schuld, noch ging es sie etwas an. Leider hatte sie die nervige Angewohnheit, jedes Problem lösen zu wollen, das man ihr in den Weg warf. Es war gar nicht so leicht, alte Gewohnheiten abzulegen.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin wäre vermutlich, sich nur auf die professionelle Ebene zu konzentrieren. Sie sollte Patrick als ihren Landschaftsarchitekten betrachten und nichts weiter.

Ein Entwurf flackerte auf dem Fernsehbildschirm auf, offensichtlich Aprils künftiger Vorgarten – ein Areal voller Blumenbeete, gepflasterter Wege, blühender Obstbäume und üppiger Büsche. Sitzgruppen waren in verschiedenen „Räumen“ im Freien verteilt. Zwei Koniferen flankierten die Verandastufen, und vor einer niedrigen Steinmauer war eine Rosenhecke gepflanzt.

„So könnte der Garten aussehen?“

„Ja, könnte er“, antwortete Patrick ein paar Schritte abseits. Er nahm April auf eine virtuelle Reise mit. Seine Begeisterung war so unüberhörbar, dass ihre ohnehin schon schwachen Schutzmauern noch weiter bröckelten. „Das Konzept ist ein Garten für jede Jahreszeit – daher die immergrünen Bäume. Man könnte sie zum Beispiel zu Weihnachten schmücken.“

Im Überschwang des Augenblicks trafen sich ihre Blicke. Nach ein paar magischen Sekunden richtete April die Aufmerksamkeit hastig wieder auf den Bildschirm. Es war offensichtlich ein Fehler gewesen, Patrick anzusehen. „Oh … ja“, sagte sie, während sie versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen. „Perfekt.“

„Und hinterm Haus …“, Patrick drückte ein paar Tasten, und der rückwärtige Garten flackerte auf dem Bildschirm auf, „… könnte ein Pavillon stehen. Für Hochzeiten oder was auch immer.“

April bekam einen Kloß im Hals. „Wahnsinn.“

„Das Ganze wird allerdings nicht billig.“

Konzentrier dich auf den Garten. „Davon bin ich auch nicht ausgegangen.“

„Ich dachte, ich zeige Ihnen erst mal sämtliche Optionen, dann können wir immer noch reduzieren, wenn es sein muss.“ Patrick griff nach einem neben dem Computer liegenden Umschlag und reichte ihn ihr. „Hier ist der Kostenvoranschlag einschließlich Material- und Arbeitskosten.“

April zog die Unterlagen heraus und überflog sie. Dann blätterte sie zur letzten Seite vor und verdrängte einen Anflug schlechten Gewissens. „Haben Sie einen Kugelschreiber?“

Mit dieser Reaktion hatte Patrick offensichtlich nicht gerechnet. „Sind Sie sicher, dass Sie schon unterschreiben wollen? Ich meine, haben Sie gar keine Fragen …?“

„Nein.“ April zog ihr Scheckbuch aus ihrer Handtasche und fand bei dieser Gelegenheit einen eigenen Kugelschreiber. „Ich nehme an, Sie wollen die Hälfte als Vorschuss?“

„Eigentlich dritteln wir immer …“

April trug den Betrag ein, unterzeichnete den Vertrag und reichte ihn mitsamt Scheck zurück. „Und? Wann können Sie anfangen?“

Zögernd trennte Patrick die Kopien vom Original, schob sie in einen Umschlag und reichte ihn April. „Nächste Woche? Das Wetter scheint bis Mitte des Monats stabil zu bleiben.“

„Sehr gut.“ April stand auf und hielt ihm die Rechte hin. Als er sie schüttelte, wurde ihr bewusst, dass sie schon wieder einen Fehler gemacht hatte. Was soll’s, irgendwann würde das Kribbeln in ihrer Hand wieder nachlassen. Den Umschlag an sich gepresst, floh sie vor Patricks intensivem und verwirrten Blick aus der Tür.

Sein lautes „Ich verstehe das nicht“ hielt sie zurück. Stirnrunzelnd drehte sie sich wieder zu ihm um. „Wie bitte?“

„Warum Sie nicht feilschen.“

„Sollte ich das denn?“

„So machen das die … meisten Menschen.“

Sie spürte, was er zwischen den Zeilen dachte. „Sie meinen reiche Menschen.“

Patrick lief rot an. „Das habe ich nicht gesagt.“

„Aber gemeint.“

„Okay, stimmt.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Meiner Erfahrung nach wollen die Menschen mit dem meisten Geld das günstigste Geschäft abschließen. Aber Sie nicht. Warum?“

Seine Frage grenzte schon fast an Unverschämtheit. April war drauf und dran, wütend zu werden, aber seine Verwunderung war entwaffnend aufrichtig. Außerdem hatte sie vor nicht allzu langer Zeit selbst in solchen Schubladen gedacht. Trotzdem musste sie hier mal etwas klarstellen. Zumindest das, wenn sie schon nicht die Probleme der ganzen Welt beseitigen konnte.

Patricks Mutter hatte ihn immer davor gewarnt, dass seine große Klappe ihn eines Tages in Schwierigkeiten bringen würde. Aprils empörten Blick nach zu urteilen, war es jetzt so weit. Aber warum hatte sie auch die irritierende Angewohnheit, nie das zu tun, was man erwartete? Das machte einen ganz verrückt.

„Sorry“, murmelte er. „Das war unangemessen.“

Zu seiner Überraschung lachte sie. „Schon gut. Ich bin an Menschen gewöhnt, die sagen, was sie denken. Meine Schwiegermutter war genauso, und wir haben uns großartig verstanden.“ April senkte den Blick zu ihren Ringen. „Sie müssen wissen, dass ich nicht immer Geld hatte. Ehrlich gesagt habe ich es … geheiratet.“

„Ach.“

Sie lachte erneut, wurde dann jedoch unvermittelt ernst. „Ich will damit sagen, dass es ein ungewohntes Gefühl für mich ist. Glauben Sie mir, ich weiß, wie es ist, sich seinen Lebensunterhalt hart verdienen zu müssen und nie zu wissen, ob man seine Rechnungen bezahlen kann. Es ist eine Riesenerleichterung, sich keine Sorgen mehr um Geld machen zu müssen. Ich genieße es einfach, diesen Vertrag ohne zu zögern unterschreiben zu können.“

Und ohne darüber nachzudenken offensichtlich. „Haben Sie überhaupt andere Angebote eingeholt?“

„Ich habe natürlich daran gedacht. Aber erstens hat Ihre Firma einen ausgezeichneten Ruf, und zweitens hat Blythe mir schon gesagt, was das Ganze voraussichtlich kosten wird, und Sie lagen nicht darüber.“ April verzog das Gesicht. „Außerdem kommt es mir unfair vor, anderen Firmen die ganze Arbeit zuzumuten, wenn nur eine den Auftrag kriegt.“

„So läuft das Geschäft nun mal, Mrs. Ross.“

„Stimmt. Aber manchmal muss man einfach seinen Instinkten folgen. Und das hier ist einer dieser Momente.“ Sie lachte erneut. „Es sei denn, Sie haben die Summe absichtlich viel zu hoch angesetzt?“

„Auf keinen Fall!“ Patrick musste wider Willen lächeln. „Auch wenn es sehr angenehm ist, ausnahmsweise mal eine halbwegs anständige Gewinnspanne zu haben, vor allem vor Weihnachten. Boni für unsere Angestellten“, fügte er hinzu, als April die Stirn runzelte. „Letztes Jahr fielen sie ziemlich mager aus. Aber wenigstens mussten wir niemanden entlassen, auch wenn es eine Weile ganz schön eng aussah …“

Was war denn das jetzt? Er redete doch sonst nicht über die Firma, schon gar nicht mit einer Auftraggeberin. Nie!

April nahm ihre Handtasche und zog sich ihre Handschuhe über. Aus edlem Leder, wie Patrick auffiel. Genau wie ihre Stiefel. Und die Tasche. April mochte vielleicht nicht reich geboren worden sein, aber das sah man ihr nicht an.

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Zusammenarbeit mit Ihnen allen sehr angenehm werden wird“, sagte sie und blickte sich im Raum um. Dann richtete sie den Blick wieder auf Patrick. „Ich hoffe, ich bin nicht zu unverschämt, aber … glauben Sie, Sie schaffen es bis Thanksgiving? Ich würde so gern meine Eltern einladen. Meine Mutter hat sich mit meiner Großmutter überworfen und das Haus seit fast dreißig Jahren nicht mehr betreten.“

Patrick ignorierte das Klingeln seines Handys. „Wir werden nur einen Teil einpflanzen können, der Rest würde den Winter nicht überstehen. Aber die Wege und Mauern … das kriegen wir hin.“

April lächelte. „Also kein Matsch mehr?“

„Kein Matsch mehr.“

Sie drehte sich um und ging.

Als Patrick ihr nachblickte, wurde er von einem Gefühl überwältigt, das sich fast wie Neid anfühlte, doch er verdrängte es rasch wieder. Dann fiel ihm sein Handy wieder ein. Er nahm es aus der Tasche und hörte die Mailbox ab. Sein Magen verkrampfte sich, als er die Stimme seiner Exfrau hörte. Sie wollte wissen, ob es in Ordnung sei, wenn sie Lilianna dieses Wochenende besuchen würde.

Nein, das war nicht in Ordnung. Die Kleine war nach jedem Besuch ihrer Mutter immer total verstört. Vierjährige verstanden nun einmal nicht, warum ihre Mom immer wieder verschwand. Aber auf der anderen Seite konnte er Natalie den Kontakt schlecht untersagen.

Zumindest würde ihn das Problem von hübschen verheirateten Auftraggeberinnen ablenken, die nicht seine Liga waren. Obwohl er irgendwie das unangenehme Gefühl hatte, dass das Treiben seiner Exfrau und die daraus resultierende schlechte Laune seiner Tochter nicht ausreichen würden, um April Ross aus seinen Gedanken zu verbannen.

Patricks Befürchtungen bestätigten sich prompt am Montagmorgen, als seine Tochter in Tränen ausbrach, weil er aus Versehen Zuckerguss auf ihren Tinkerbelle-Teller gekleckert hatte. Er brauchte so lange, um sie zu beruhigen, dass er erst nach seiner Crew bei Aprils Grundstück ankam. Gut, dass er die Pläne mit seinen Leuten vorab sehr detailliert besprochen hatte. Sie hatten daher schon mal abgestorbene Bäume und Büsche entfernt und planierten gerade das Grundstück, um die Wege und die Einfahrt zu pflastern, die Blythe und er gemeinsam entworfen hatten.

Wenn man vom Teufel spricht … Aprils Cousine steuerte über den matschigen Boden auf ihn zu, als er aus seinem Truck stieg.

„Entschuldigen Sie die Verspätung“, murmelte er und schloss die Tür.

„Kein Problem. Ihre Leute scheinen alles im Griff zu haben.“

Patrick grunzte. „Ist April auch da?“

„Nein, sie ist für ein paar Tage zu ihren Eltern gefahren, weil ich gerade ihre Wohnung umbauen lasse. Sie kommt erst Ende der Woche zurück.“

Natalies Besuch und Lilis anschließender Zusammenbruch hatten jeglichen Gedanken an April Ross tatsächlich mehr oder weniger in den Hintergrund gedrängt – wenn auch leider nur vorübergehend. Denn kaum hatte Patrick seine Tochter bei seiner Mutter abgesetzt, waren die Erinnerungen mit aller Macht über ihn hereingebrochen. Die ganze Fahrt über konnte er an nichts anderes als an April denken. Und zwar auf eine Art, auf die niemand an eine verheiratete Frau denken sollte.

Er war daher entsprechend nervös und angespannt, als er vor ihrem Haus vorfuhr, und jetzt war sie nicht da. Aus irgendeinem Grund hatte Patricks Hirn Schwierigkeiten, diese Information zu verdauen. „Ist sie mit ihrem Mann gefahren?“, hörte er sich herausplatzen.

Blythe runzelte verwirrt die Stirn. „Mit ihrem Mann?“

„Ja. Ich habe ihn bisher zwar nicht kennengelernt, aber …“ Patrick zeigte auf den Ringfinger seiner linken Hand. „Die Ringe?“

„Ach.“ Blythe presste die Lippen zusammen, als wisse sie nicht, was sie als Nächstes sagen sollte. „Ich vergesse immer, dass nicht alle darüber Bescheid wissen. Aprils Mann ist gestorben, Patrick. Ein paar Monate, bevor sie nach St. Mary’s zurückgekehrt ist.“

„Was?“

Blythe lächelte schwach. „Ja, sie ist Witwe.“

Patricks Hirn war jetzt vollkommen überfordert. Als er irgendwann wieder halbwegs klar denken konnte, wurde ihm bewusst, dass nur eines mehr tabu war als eine verheiratete Frau: eine nämlich, die noch um ihren verstorbenen Mann trauerte.

April war ganz aufgeregt, als sie ein paar Tage später in die Straße nach St. Mary’s Cove einbog. Blythe hatte grünes Licht gegeben, sodass sie endlich in ihre frisch renovierte Wohnung zurückkehren konnte.

In ihr Zuhause.

Wow, was für ein Gedanke! Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie die kleine Stadt schon immer als ihre Heimat betrachtet hatte. Vielleicht, weil die sommerlichen Besuche bei ihrer Großmutter in ihrer Kindheit die einzige Konstante in einem Leben gewesen waren, in dem sie wegen des katastrophalen Geschäftssinns ihres Vaters immer wieder hatte umziehen müssen.

Aber jetzt brauche ich nie mehr von hier weg, dachte April, als ihr Lexus die Main Street entlangschnurrte – an den vielen pittoresken Geschäften und Cafés vorbei, die sich trotz der Rezession hielten.

Es sei denn, sie wollte weg. Aber sie hatte die Nase voll, ständig von vorne anzufangen. So aufregend die Renovierung des Hauses auch gewesen war – April konnte es kaum erwarten, es fertig vor sich stehen zu sehen, damit ihr Leben endlich begann. Bisher war sie von immer neuen Verpflichtungen davon abgehalten worden.

Kurz darauf tauchte das rötlich in der untergehenden Sonne leuchtende Haus vor ihr auf. Beim Anblick eines der Trucks von Shaughnessy & Sons neben dem Haus keuchte sie erschrocken auf und stieg aus dem Wagen.

Die Kinnlade klappte ihr nach unten. War das wirklich derselbe Garten, den sie vor weniger als einer Woche zurückgelassen hatte?

Eine frisch gepflasterte Einfahrt führte um ein Rondell mit einem eleganten Springbrunnen in der Mitte herum. Koniferen flankierten die Stufen zur Veranda, und im Garten waren jede Menge nicht identifizierbarer Büsche gepflanzt. Das Ganze war natürlich noch nicht ganz fertig. Es gab jede Menge kahler Stellen, wo vermutlich noch Pflanzen fehlten, und ein paar der sich durch die Beete schlängelnden Wege waren noch nicht fertig gepflastert, aber was fertig war, sah fantastisch aus.

„Und? Was halten Sie davon?“

Beim Klang von Patricks dunkler Stimme hinter sich hätte April sich vor Schreck fast in die Hosen gemacht. Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. Verdammt, warum sah er im Licht der Abendsonne nur so gut aus? Noch nicht mal seine Narben waren zu sehen – irgendwie fielen sie gar nicht auf.

Das Entscheidende war jedoch seine Präsenz. Seine Gegenwart oder Aura – oder was auch immer er ausstrahlte – so intensiv spürbar wie die Hitze eines Feuers.

Oh Mann, ich habe echt ein Problem.

„Ich bin überwältigt“, stieß April hervor und fummelte nervös an ihren Ringen herum, während sie versuchte, den Blick von seinem Mund loszureißen. „Sie haben in der kurzen Zeit wirklich unglaublich viel geschafft.“

„Für das Wochenende wurde schlechtes Wetter vorhergesagt. Wir haben uns daher rangehalten.“

Hm. Patricks Tonfall war höflich, aber auffallend distanziert. Noch nicht mal der Anflug eines Lächelns, nichts. War sie die Einzige, die gerade von Lustdämonen heimgesucht wurde?

„Daddy? Wo bist du?“

„Hier vorne, Liebes.“

Als April wippende Locken und eine visuelle Kakofonie von Streifen, Blumen und einem halben Dutzend Farben auf Patrick zuschießen sah, wurden ihre Dämonen vorübergehend in alle Winde verstreut. Der rührende Anblick des kleinen Mädchens in Patricks Armen war nämlich genauso aufwühlend wie Aprils sehr unschickliche Gedanken nur Sekunden vorher. Und dann warf Patrick ihr auch noch einen herausfordernden Blick über den Kopf seiner Tochter hinweg zu.

Bloß nicht provozieren lassen …

In diesem Augenblick eilte Mel aus der Haustür und stieß beim Anblick Liliannas einen erleichterten Seufzer aus. „Du kleiner Racker“, sagte sie zu dem kichernden Mädchen.

Was? dachte April.

„Warum bist du einfach weggelaufen? Mann, ich bin kleine Kinder nicht mehr gewohnt.“ Als Mels Blick auf ihre Cousine fiel, breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. „April! Du bist ja zurück! Gut, das Abendessen ist fast fertig.“

„Dann werden Lili und ich jetzt lieber aufbrechen“, sagte Patrick.

April sah verblüfft zwischen ihm und Mel hin und her.

„Auf keinen Fall! Ich habe genug zu essen gemacht, um die halbe Stadt zu verköstigen. Sie bleiben, keine Widerrede. Außerdem möchte Lili doch bestimmt von dem Kuchen probieren, den sie mitgebacken hat, nicht wahr, Liebes?“

Eifriges Nicken. Strahlende Augen. Bei diesem Anblick schmolz April wieder förmlich dahin. Sie hatte Kinder schon immer gemocht, aber dieses Mädchen hier …

„Da kann man doch unmöglich Nein sagen, oder?“, sagte Mel zu Patrick, und April konnte nur zustimmen, und der große Mann mit dem winzigen Mädchen in den starken Armen murmelte tatsächlich, dass sie unter diesen Umständen natürlich bleiben würden. Wenn auch offensichtlich nur, weil er keine Lust hatte, sich zu streiten. Etwas, das Aprils Cousine entweder nicht mitbekam oder ignorierte. April tippte auf Letzteres.

„Ich habe ein bisschen herumexperimentiert, weil ich mich erst an den neuen Herd gewöhnen muss“, erzählte Mel. „Aber warum stehen wir noch hier herum? Kommt. Lasst uns reingehen.“

Also strömten alle durch die verbreiterte Eingangsdiele in den funkelnagelneuen Aufenthaltsraum. „Blythe lässt sich entschuldigen“, sagte Mel an April gewandt, Patricks offensichtlichen Mangel an Enthusiasmus ignorierend. „Sie hat einen dringenden Termin in D. C. Aber du sollst ihr Bescheid sagen, falls du irgendwelche Änderungen an deiner Suite willst.“ Lächelnd sah sie Lili an. „Hey, Kleine, willst du mir helfen, den Tisch zu decken?“

Das Mädchen machte sich von ihrem Daddy los und lief hinter Mel her, während Patrick ihr so besorgt hinterher sah, als befürchte er, sie könne von einem Paralleluniversum verschluckt werden. Irgendwie rührend.

April riss den Blick von ihm los und sah sich um. Ein Glücksgefühl durchströmte sie, als sie Blythes Werk sah. Während ihrer Abwesenheit war nicht nur im Garten viel passiert. April konnte es kaum erwarten, Fotos des Rinehart auf der neuen Website zu installieren. Schade nur, dass sie den potenziellen Gästen nicht auch den köstlichen Duft vermitteln konnte, der gerade aus der Küche drang. Wenn Clayton nicht gewesen wäre …

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“

April wurde bewusst, dass ihr mal wieder die Tränen in die Augen geschossen waren. Verlegen nickend versuchte sie, ihre heimtückisch näher rückenden Lustdämonen zu ignorieren. Schließlich war unübersehbar, dass dieser Mann sich meilenweit von hier wegwünschte.

„Wenn man mir vor vier Jahren gesagt hätte, dass mir dieses Haus eines Tages gehören würde …“ April senkte den Blick zu den frisch lackierten Holzdielen und betrachtete die einladenden Polstermöbel und die gerahmten Pastelle eines örtlichen Malers. Sie seufzte. „Man weiß nie, was das Leben für einen bereithält, oder?“

Langes Schweigen. Dann: „Da haben Sie allerdings recht.“

Oh Gott, wie peinlich! „Es tut mir schrecklich leid“, stammelte April. „Ich wollte nicht …“

„Ich weiß. Schon gut.“

April riskierte wieder einen Blick in Patricks Richtung und begegnete prompt seinem. Sie errötete an Stellen, an denen sie normalerweise nie errötete – ein zugleich aufregendes und tief verstörendes Gefühl. „Sie brauchen nicht zu bleiben, wenn Sie nicht wollen.“

Patrick schob die Hände in die Hosentaschen. „Das Kind in der Küche ist da bestimmt anderer Meinung. Ganz zu schweigen von Ihrer Cousine.“ Eine weitere Gesprächspause folgte. „Und was auch immer Ihre Cousine kocht, ist bestimmt besser als Fertigkäsemakkaroni.“

April erschauerte. „Nicht mein Fall.“

„Ist aber eins der wenigen Dinge, die Lili isst.“

„Und die anderen wären?“

„Toaster-Strudel, Brokkoli und gelegentlich Eier. Und die Gemüsesuppe meiner Mutter.“

April lachte. „Sie haben wirklich ein seltsames Kind.“

„Ich weiß“, gab er trocken zurück. Was ihn nicht weniger attraktiv machte. „Übrigens“, fügte er hinzu, „habe ich Lili nicht jeden Tag mit hergebracht. Aber meine Mutter und meine Schwester haben sich irgendeinen Virus eingefangen, und Ihre Cousine …“ Er runzelte die Stirn. „Irgendwie hat sie das Heft in die Hand genommen.“

„So ist Mel eben. Nicht dass ich nicht das Gleiche getan hätte.“ April zuckte die Achseln. „Lili ist ein echter Schatz. Sie können sie jederzeit vorbeibringen.“

Er nickte. „Danke“, murmelte er.

April räusperte sich erneut. „Also … Lilis Mutter …?“

„Wir sind geschieden.“

In Aprils Kopf überschlugen sich die Fragen. Wie alt war Patrick gewesen, als er geheiratet hatte, warum hatte er das Sorgerecht für seine Tochter, sah Lili ihrer Mutter ähnlich und, und, und …

Alles Fragen, die eine klügere Frau vermeiden müsste.

3. KAPITEL

Patrick gab sich Mühe, sich während des Abendessens halbwegs normal zu benehmen – schon allein Lilianna zuliebe. Auch wenn er sich die ganze Zeit ärgerte, Aprils wenig subtile Frage nach Lilis Mutter nicht zum Anlass genommen zu haben, sie auf ihren Mann anzusprechen.

Er konnte es kaum erwarten, endlich von hier wegzukommen. Seine Tochter zu nehmen und in seine kleine Wohnung zurückzukehren, wo er in Sicherheit war, wo nichts Unvorhergesehenes passierte und er Aprils Lachen nicht hören konnte. Oder ihre dämlichen Ringe im Kerzenlicht funkeln sah. Seit er wusste, dass sie Witwe war, war es für ihn nämlich doppelt so anstrengend, seine lüsternen Gedanken im Zaum zu halten.

„Hier kommt der Kuchen!“, verkündete Mel und ging mit ausgestreckten Armen hinter Lili her, die das dreistöckige Kunstwerk strahlend zum Tisch trug. Patrick fing Aprils Blick gerade lang genug auf, um schon wieder lüsterne Gedanken zu haben. Ihr Erröten machte die Sache nicht besser. Oh Mann!

Er hatte in der letzten Zeit nicht gerade viel Kontakt zu Frauen gehabt, aber wenn sein Eindruck nicht täuschte, war die Kleine scharf auf ihn. Eigentlich sollte er sich geschmeichelt fühlen. Oder zumindest belustigt. Aber vielleicht wollte sie sich damit auch nur von ihrer Trauer ablenken.

Na ja, sie würde sich schon wieder beruhigen. Vor allem, wenn erst mal das Hotel eröffnet war und – Patrick aß ein Stück des zugegebenermaßen unglaublich leckeren Kuchens, auch wenn er eigentlich kein Schokoladenfan war – sich die Kochkünste ihrer Cousine herumgesprochen hatten. Genau, April würde dann viel zu beschäftigt sein, um an ihn … oder an was auch immer ihr gerade im Kopf herumspukte, zu denken.

Doch trotz dieser Vorsätze spürte er Stunden nach seiner Heimkehr – die ungewöhnlich warme Nacht hatte ihn auf seine Außentreppe gelockt –, dass der seit seiner Verwundung tief in ihm vergrabene Schmerz sich in etwas verwandelte, das sich erschreckend nach Sehnsucht anfühlte.

Aprils Mutter gehörte zu den Menschen, für die das Glas grundsätzlich halb voll war. „Sei dankbar für das, was du hast“, pflegte sie zu sagen. „Sieh die Dinge positiv.“ Oder, Aprils Lieblingsspruch: „Es könnte schlimmer sein.“

Obwohl es weiß Gott genug Zeiten gegeben hatten, in denen sie sich nur von Käsesandwich und Tomatensuppe ernährt hatten und ihre Mutter mal wieder ihren Verlobungsring verpfänden musste, damit sie über die Runden kamen. April hätte die Frau dann am liebsten immer geschüttelt und sie angebrüllt: „Wie kann es jetzt noch schlimmer kommen?“

Doch das hatte sie nicht getan. Erstens, weil sie wusste, dass ihre Mutter ihr Bestes gab, und zweitens, weil sie nie wirklich hungern mussten. Sie waren zwar oft dicht dran gewesen, aber irgendetwas hatte immer zu essen auf dem Tisch gestanden. Irgendwie war es ihnen auch immer gelungen, sich aus dem Tief hinauszubefördern, in das ihr Vater sie hineingebracht hatte. Und den Verlobungsring hatte ihre Mutter auch immer zurückbekommen.

Obwohl April geneigt war, den irritierenden Optimismus ihrer Mutter für Schwachsinn zu halten, hatte der sich doch irgendwie in ihre Psyche eingegraben. Vielleicht, weil ihre Eltern trotz ihres chaotischen Lebens nie aufgehört hatten, einander zu lieben, keine Ahnung. Und jetzt, wo sie Patrick durch das Fenster bei der Arbeit beobachtete – er kniete buchstäblich im Dreck und klopfte die Erde um einen frisch gepflanzten Busch fest, während er mit einem seiner Mitarbeiter scherzte – hallte die ganze Lerne-zu-schätzen-was-du-hast-Litanei ihrer Mutter in ihrem Kopf wider.

Gestern hatte sie zum Beispiel mitbekommen, wie Patrick sich nach dem Befinden der Mutter eines Angestellten erkundigt hatte, die sich anscheinend von einer Gallenblasenoperation erholte, und am Tag zuvor hatte er einem anderen Mann ein Geschenk für dessen Tochter mitgegeben. Er kam morgens grundsätzlich als Erster und ging abends als Letzter, erkundigte sich vor seinem Aufbruch jedoch immer zuverlässig, ob April noch Fragen oder Änderungswünsche hatte.

Auf professioneller Ebene hatte er ihr Glas also bis zum Überfließen gefüllt, und sie würde jedem gegenüber ein Loblied auf Shaughnessy & Sons anstimmen, der sie fragte. Aber privat? Er wich ihrem Blick bei ihrem abendlichen Informationsaustausch konsequent aus und blieb strikt bei der Sache. Keine Chance, das Gespräch auch nur ansatzweise auf andere Themen als Kies, Steinplatten und Grünzeug zu lenken. Außer ein paar Anekdoten über Lili – schließlich war er stolzer Vater – bekam sie nichts aus ihm heraus. Absolut nada.

Kurz entschlossen knallte April ihren Laptop zu und streifte sich einen Blazer über ihre Baumwolltunika. Patricks beharrliche Zurückhaltung raubte ihr allmählich den letzten Nerv.

Sie nahm den bereits ausgefüllten Scheck für die zweite Rate und trat hinaus auf die Veranda. Patrick, der neben seinem Truck stand, blickte hoch und nickte ihr kurz zu. Seine Muskeln spielten unter seinem Langarmshirt, als er sich seine Arbeitsjacke überstreifte und auf sie zuging. Sein Gang war nicht besonders anmutig, aber fest – der Schritt eines Mannes, der genau wusste, wer er war.

Oder der diesen Eindruck zumindest vermitteln wollte.

Patrick sah den Scheck in Aprils Hand schon von Weitem.

„Ihre nächste Rate“, erklärte April so kühl wie die Abendbrise.

Patrick runzelte die Stirn. „Der ist erst morgen fällig.“

„Ich weiß. Aber so können Sie ihn gleich morgens bei der Bank einzahlen. Hier.“

Patrick nahm den Scheck und klemmte ihn in sein Clipboard. Innerlich musste er grinsen. Die Bank öffnete nämlich erst eine Stunde nach Arbeitsbeginn. „Danke.“ Er drehte sich zum Garten um. „Alles zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Sie meinen Ihre Arbeit? Könnte nicht besser sein. Was Sie selbst angeht allerdings …“

Patrick erstarrte. Erstens, weil ihr gereizter Tonfall ihn etwas überrumpelte, und zweitens, weil ihm bestimmt nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatte. Was auch immer das sein mochte. Er hatte ganz vergessen, dass Frauen grundsätzlich für alles Erklärungen verlangten, auch wenn es nicht genug Buchstaben gab, um gewisse Dinge zu erklären.

Er tat das, was er sich in den letzten Tagen strikt untersagt hatte: Er sah ihr in die Augen. „Ich verstehe nicht“, sagte er.

April verschränkte die Arme vor der Brust, während sie ihn mit einer irritierenden – und seltsam erregenden – Mischung aus Verletzlichkeit und Wut ansah. „Habe ich Sie irgendwie verärgert?“, fragte sie spitz.

„Muss das jetzt sein?“, hörte er sich zurückfragen, bevor seine Wut und seine Begierde die Oberhand gewannen. Offensichtlich war es zwecklos, dieses … Kribbeln zwischen ihnen ignorieren zu wollen. Also musste er härtere Geschütze auffahren. Was auch immer unter ihrem weichen seidigen rötlichen Haar vor sich ging, musste sofort ein Ende haben.

Aus einem Impuls heraus stieg Patrick die Verandastufen hoch, packte Aprils linke Hand und schüttelte sie sanft, während April erschrocken die Augen aufriss. „Warum tragen Sie die noch?“

„Was?“, stieß sie hervor.

„Blythe hat mir erzählt, dass Sie Witwe sind.“

April starrte ihn mit offenem Mund an und riss ihre Hand los. „Daraus mache ich kein Geheimnis.“

„Aber warum …?“

„Großer Gott, Patrick, viele Witwen tragen noch ihre Ringe! Wo liegt das Problem?“

„Es vermittelt den Eindruck, dass Sie noch verheiratet sind. Oder sich zumindest verheiratet fühlen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Was in krassem Widerspruch zu den Signalen steht, die Sie aussenden.“

Das Blut schoss ihr ins Gesicht. „Signale?“

„Ja, Signale. Dass Sie mehr von mir wollen.“

Sie blinzelte erschrocken. „Will ich nicht …“

„Wollen Sie doch. Ist Ihnen etwa nicht bewusst, wie Sie mich ansehen?“ Patrick trat einen Schritt näher und roch ihr Parfum. Der Wind spielte mit ihrem Haar und wehte es über ihren schlanken, hochrot angelaufenen Hals. Mann, die Frau machte ihn genauso verrückt wie das brave blaue Haarband in ihrem Haar. „Glauben Sie, ich merke das nicht?“

April schob die Hände in die Taschen ihres Blazers und erwiderte seinen Blick trotzig. „Ich fühle mich nicht mehr verheiratet“, antwortete sie mit zittriger Stimme. „Nicht, dass Sie das etwas angeht, aber …“

„Aber was?“

„Die Ringe … Ich habe in meinem ganzen Leben nie so etwas Hübsches besessen, okay? Deshalb war ich vielleicht noch nicht bereit, sie in einen Safe zu sperren. Außerdem haben Sie mich doch genauso angesehen!“ Sie machte schmale Augen. „Obwohl Sie dachten, ich sei verheiratet.“

Touché.

„Na schön. Mir ist nicht entgangen, dass Sie eine sehr attraktive Frau sind. Und mein Talent, meine Fantasien zu verbergen, scheint etwas eingerostet zu sein. Aber das ist alles. Nur Fantasien. Das heißt noch lange nicht, dass ich sie auch ausleben will.“

Ihre Mundwinkel zuckten. „Haben Sie das beschlossen, bevor oder nachdem Sie herausgefunden haben, dass ich Single bin?“

„Sowohl als auch. Und Sie sehen mich schon wieder so an, verdammt noch mal!“

April errötete. „Das ist keine Absicht …“

„Ich würde Sie nur unglücklich machen, April.“

„Ich will doch gar nichts von Ihnen! Ich … ich gucke nur …“

„Lassen Sie es einfach! Außerdem kann ich auf Ihr Mitleid verzichten. Oder auf jemanden, der neugierig darauf ist, mit einem Freak in die Kiste zu steigen.“

Ein spannungsgeladenes Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus, unterbrochen nur von dem Schrei eines Habichts.

April öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Als sie ihn schließlich ein zweites Mal öffnete, fragte sie: „So sehen Sie das also?“

„Ja.“

„Dann sind Sie ein Idiot!“ Sie drehte sich um, stürmte zurück ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu.

Patrick starrte hinter ihr her und wartete auf ein Gefühl der Erleichterung. Seltsamerweise wollte es sich nicht einstellen.

„Erledigt!“, rief Blythe und warf triumphierend die Arme in die Luft. „Erledigt!“ Ihr Freudentänzchen fiel wegen ihrer Stiletto-Absätze ein bisschen seltsam aus.

April musste lachen, so elend sie sich nach ihrem Wortwechsel mit Patrick auch fühlte. Nicht, dass sie unrecht mit dem „Idioten“ hatte, den sie ihm an den Kopf geworfen hatte. Aber irgendwie hatte sie trotzdem ein schlechtes Gewissen.

Etwas außer Atem schlang Blythe einen schlanken Arm um Aprils Schultern. „Na, bist du bereit?“

Glücklich verschränkte April die Arme über ihrem Rollkragenpullover. „Aber so was von.“

„Dann lass uns Mel kidnappen und zu Emerson’s fahren, um zu feiern.“

„Einverstanden.“

Blythe ging ins Arbeitszimmer, um ihre Sachen zu holen. Sie hatten gerade die Runde durch den ersten Stock gemacht – fünf mit Antiquitäten, einigen aus dem Fundus ihrer Großmutter geretteten Stücken und witzigen Flohmarktfunden eingerichtete Zimmer, deren Fenster und Badezimmer blitzten und deren dicke Teppiche nackte Zehen zum Einsinken einluden.

April konnte noch immer nicht fassen, dass ihr Traum tatsächlich wahr geworden war. Sie hatte manchmal Angst, jeden Moment aus dem Bett zu fallen und festzustellen, dass das Ganze doch nur ein Traum war. Aber offensichtlich war es keiner. Zu ihrer Verblüffung waren heute Morgen sogar schon mehrere Buchungsanfragen auf ihrer Website eingegangen. Sie musste dringend mehr Personal einstellen, eine Wäscherei finden, Konten bei Lieferanten einrichten, und, und, und.

Endlich war es so weit. Diese ganze wie eine dunkle Wolke über ihr hängende Sache mit Patrick war daher total unfair. Er und seine Crew waren gestern ebenfalls fertig geworden. Und da April ernsthaft bezweifelte, dass Patrick im Mai mit einer Gartenschere in der Hand bei ihr auftauchen würde, um die Hecken zu schneiden, brauchte sie sich theoretisch keine Gedanken mehr über ihn zu machen, geschweige denn ihn zu sehen.

In dieser Kleinstadt? Ha! Das glaubst du doch wohl selbst nicht!

„Ich habe Mel eine SMS geschickt“, erklärte Blythe, als sie zurückkam. Sie schlang sich einen langen, mit Silberfäden durchwirkten Schal um den Hals, dessen Enden anmutig in die Falten ihres Kaschmircapes fielen. „Wir treffen sie direkt bei Emerson’s.“

„Ausgezeichnet.“

Inzwischen war November, und es war so kalt geworden, dass die beiden Frauen fröstelnd zu Blythes Prius hasteten. „Fährst du über die Feiertage zu deinen Eltern nach Richmond?“, erkundigte Blythe sich während der Fahrt zum Restaurant.

„Wahrscheinlich.“ Eigentlich hatte April nicht die Absicht, nach Richmond zu fahren – was sie auch schon ihrer Mutter gesagt hatte, die sowieso mit ihrem Vater bei Freunden eingeladen war. April war das nur recht. Die Feiertage würden ihre ersten ohne Clayton und seine Mutter sein, und sie wollte daher lieber allein sein. Auf keinen Fall hatte sie vor, die Zeit mit der verliebten Mel zu verbringen, sosehr April sich auch über ihr Glück freute.

„Und? Was gibt’s Neues zwischen dir und Patrick?“

„Was? Nichts!“

„Also, wenn nichts wäre, hätte er mir in den letzten Tagen nicht lauter Fragen gestellt, die du eigentlich beantworten müsstest. Mal ehrlich, kaum ist man mal einen Tag weg, geht hier alles drunter und drüber.“

April runzelte die Stirn. „Wie bitte?“

Ihre Cousine seufzte ungeduldig auf. „Du bist Single, er ist Single. Du bist jung und hübsch. Er ist jung und attraktiv. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass seine Wunden seinen Testosteronspiegel beeinträchtigen und …“

„Hör auf, Blythe!“

„… und ich nehme an, dass du seit Claytons Tod keine heimliche Affäre hast.“

April schoss das Blut ins Gesicht. „Sei doch nicht immer so direkt!“

„Wieso? Dein Mann ist tot, und du lebst. Du bist erst sechsundzwanzig Jahre alt und dein Mann schon seit fast einem Jahr nicht mehr da. Du trägst noch immer deine Eheringe, obwohl … obwohl“, betonte sie, als April protestierend den Mund öffnete, „du den Landschaftsarchitekten ansiehst, als seiest du schon seit einem Jahr auf Diät und er ein knuspriger Sahnedonut. Klar bin ich direkt. Irgendjemand muss es ja sein.“

April starrte ihre Cousine verblüfft an. „Und das von einer Frau, die – ich zitiere – Romantik für einen Haufen Pferdemist hält?“

Blythe kicherte. „Das gilt für mich. Nicht für den Rest der Welt.“

„Ist das nicht ziemlich heuchlerisch?“

„Mir doch egal.“

Der Kies knirschte, als Blythe auf den Parkplatz des Restaurants bog. Um diese Jahreszeit war hier nicht viel los. Im Sommer jedoch musste man manchmal stundenlang für einen der Tische in dem Fischlokal anstehen, in dem es immer himmlisch nach frittiertem Fisch, Pommes und Hushpuppies duftete. Mels Wagen stand bereits in der Nähe des breiten Stegs, der zum dem auf Holzpfeilern gebauten Gebäude führte.

April schwante nichts Gutes. „Oh Gott … du hast doch hoffentlich nicht mit Mel darüber geredet, oder?“

„Doch, natürlich.“

„Gehen wir hier wirklich nur essen? Oder soll das eine Intervention werden?“

Blythe stellte den Motor aus, nahm ihre Handtasche und grinste April an. „Wer sagt, dass es nicht beides sein kann?“

April stöhnte genervt auf.

„Interessierst du dich nun für Patrick oder nicht?“

Autor

Susan Meier
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