Mit Liebe habe ich nicht gerechnet

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Der erfolgreiche Unternehmer Rick Hunter ist Amerikas begehrtester Junggeselle - und will es auch bleiben! Doch seine geliebte Großmutter droht, ihn zu enterben, wenn er sich nicht bindet. Da kommt ihm die hübsche Allison gerade recht. Die natürliche junge Frau ist genau der Typ, den seine Großmutter sich wünscht. Und sie braucht dringend Geld für ihre wohltätige Stiftung. Also spendet Rick eine halbe Million Dollar, wenn Allison sich als seine neue Freundin ausgibt. Ein gewagter Deal, denn Rick hat nicht damit gerechnet, wie sehr er sich bald zu Allison hingezogen fühlt …


  • Erscheinungstag 15.04.2012
  • Bandnummer 1833
  • ISBN / Artikelnummer 9783864941474
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ist es eigentlich schwer, eine Bank auszurauben?“

Sorgenvoll betrachtete Allison die Bilanzen auf ihrem Schreibtisch. Eine ihrer ehrenamtlichen Helferinnen, gleichzeitig ihre beste Freundin, war gerade mit einem Brief in der Hand in ihr Büro getreten.

„So schlimm?“, fragte Rachel mitfühlend.

„Wir könnten es auch mit einem Juwelenraub versuchen.“

„Wir ziehen uns schwarze Catsuits an“, schlug Rachel vor. „Und engagieren einen professionellen Dieb zur Unterstützung. Einen aus Ocean’s Eleven. Am liebsten einen, der aussieht wie George Clooney. Meinetwegen auch Brad Pitt.“

Allison schmunzelte. „Ich wäre eher für Cary Grant wie in Über den Dächern von Nizza. Aber ich bin ja auch altmodisch.“

Rachel nickte begeistert. „Die Idee gefällt mir immer besser.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Okay, erzähl mir, was los ist.“

Seufzend schloss Allison die Augen und fuhr sich mit der Hand durch ihr kurzes braunes Haar. „Es war ein ziemlich mieser Tag. Kevin Buckley ist wieder im Krankenhaus. Ich habe es heute Morgen von seinen Eltern erfahren. Und unsere finanziellen Aussichten für das nächste Jahr sind auch ziemlich erschreckend. Seit der Wirtschaftskrise bekommen wir kaum noch Spenden. Wir müssen wohl oder übel einige Leistungen einschränken. Die Pläne für Megan’s House können wir auch verschieben – dieses Mal für wer weiß wie lang. Es wird schon schwer genug, überhaupt einige Programme am Laufen zu halten – ganz zu schweigen davon, etwas Neues auf die Beine zu stellen.“

Während sie die unerfreulichen Tatsachen aussprach, wurde sie immer deprimierter. Seit Jahren hatte sie davon geträumt, ein Haus für Familien mit krebskranken Kindern zu eröffnen. Bis vor Kurzem hatte sie noch gehofft, diesem Traum ganz nahe gekommen zu sein. Aber die Bilanzen vor ihr hatten ihn endgültig zunichtegemacht.

„Eines Tages wird es klappen“, murmelte sie jetzt halb zu sich und halb zu Rachel. Sie durfte sich in ihren Plänen nicht beirren lassen. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie sich der harten Realität stellen musste. Wenn man eine Schwester an den Krebs verloren hatte – Megan war gerade vierzehn gewesen, als sie starb –, verlor man auch den Glauben daran, dass das Leben fair zu einem war.

„Es tut mir so leid.“ Rachel meinte es ernst, das wusste Allison. Doch ihre Miene war betrübter, als der Anlass es rechtfertigte.

„Hat dein Gesichtsausdruck etwas mit dem Brief in deiner Hand zu tun?“

Rachel nickte. „Leider habe ich weitere schlechte Nachrichten. Es geht um Julies Wunsch.“

Allison runzelte die Stirn. „Da kann doch gar nichts schiefgehen. Sie möchte nur den Geschäftsführer dieser Softwarefirma kennenlernen, der das Videospiel erfunden hat, das ihr so gut gefällt. Rick Hunter … oder so ähnlich. Er wohnt hier in Des Moines. Wo ist also das Problem?“

Hilflos hob Rachel die Schultern. „Er hat abgelehnt.“

Verärgert sah Allison sie an. „Das ist doch lächerlich! Er muss nicht einmal ins Flugzeug steigen. Sein Unternehmen besitzt dieses riesige Bürohaus auf der Grand Street. Er könnte zu Fuß zum Krankenhaus gehen, verdammt noch mal.“

„Er könnte, aber er will nicht. Stattdessen hat er uns eine Spende geschickt.“

Eine Spende. Natürlich.

Nicht, dass das Geld nicht willkommen wäre. Laut ihren Bilanzen konnten sie jeden Cent gebrauchen.

Aber sie wäre jede Wette eingegangen, dass Rick Hunter, Vorsitzender von Hunter Systems, nicht zum ersten Mal lieber sein Scheckbuch herausgezogen hatte, als seine Zeit zu investieren.

Und jetzt kaufte er sich vom Besuch einer kleinen Krebspatientin frei. Er schlug ihr einfach so ihren sehnlichsten Wunsch aus.

„Lass mich mal sehen“, bat Allison. Rachel gab ihr den Brief.

„Leider muss ich Ihre Bitte abschlägig bescheiden … sehr beschäftigt … zahlreiche Termine …“

Sie knüllte den Brief zusammen und zielte auf den Papierkorb, den sie um einen halben Meter verfehlte. „Sehr beschäftigt und zahlreiche Termine. Kannst du dir das vorstellen? Im vergangenen Jahr haben wir es geschafft, dass der Quarterback der Green Bay Packers eines unserer Kinder besuchte – und das sogar während der Football-Saison!“

Es war ein mieser Tag gewesen, und obwohl Rick Hunter nur zum Teil zu ihrer Enttäuschung beigetragen hatte, war er momentan das naheliegendste Ziel ihres Zorns.

Sehr nahe liegend sogar. Nur fünf Minuten mit dem Auto von ihrem Büro entfernt.

Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf.

„Du siehst ziemlich sauer aus“, stellte Rachel besorgt fest. „Du hast doch nicht etwa vor, etwas Verrücktes zu tun?“

„Kommt drauf an, was du für verrückt hältst. Ich möchte mich nur mal mit ihm unterhalten …“

Rachel riss die Augen auf. „Du willst ihn zur Rede stellen. Du wirst Rick Hunter anschreien. Allison, das kannst du nicht machen!“

„Nenne mir einen guten Grund, warum ich das nicht kann.“ Allison schaltete den Computer aus und griff nach ihrer Handtasche.

Rachel hatte sich mittlerweile an ihren Schreibtisch gesetzt und sortierte Akten und Papierstapel. „Zum einen, weil er reich ist. Er ist sogar verdammt reich. Zum anderen, weil er das beliebteste Videospiel der Welt erfunden hat. Er ist wichtig.“

„Julie ist auch wichtig.“

„Natürlich. Ich glaube nur … ah, da ist es ja“, verkündete sie unvermittelt und hielt ein Exemplar von People hoch.

„Was ist damit?“

Rachel schlug das Heft auf. Auf der linken Seite war ein Foto, auf der rechten stand ein kurzer Lebenslauf.

„Amerikas begehrtester Junggeselle“, sagte sie, als ob das alles erklärte.

„Wahrscheinlich hat Rick Hunter die Liste selbst zusammengestellt.“

„Na, wenn schon. Allison, schau ihn dir an. Du musst doch zugeben, dass man mit dem Mann andere Sachen machen könnte, als ihn anzubrüllen.“

Allison verdrehte die Augen, aber als Rachel ihr das Heft brachte, warf sie einen kurzen Blick darauf, um sie zufriedenzustellen.

Rick Hunter lag auf einem zerwühlten Bett, einen Ellbogen aufgestützt und ein Lächeln im Gesicht, als fände er die Person mit der Kamera amüsant. Er trug einen Smoking. Das Jackett hatte er abgelegt und die Fliege gelockert. Mit den Bartstoppeln am Kinn und der zerzausten Frisur strahlte er eine unterschwellige Dekadenz aus, als hätte er gerade eine sehr angenehme Zeit in diesem Bett verbracht.

Doch sein Blick hatte ganz und gar nichts Verruchtes. Seine Augen waren grün, und ihr Blick war wachsam, sogar ein wenig zurückhaltend, doch so intensiv, dass vermutlich jede Frau in seiner Nähe schwach geworden wäre.

Länger als beabsichtigt schaute sie in diese Augen. Als es ihr bewusst wurde, riss sie Rachel das Heft aus der Hand und warf es zurück auf ihren Schreibtisch.

„Zugegeben, er sieht dekorativ aus“, sagte sie. „Na und? Du rätst mir jetzt hoffentlich nicht, nett zu Rick Hunter zu sein, bloß weil er niedlich ist.“

„Welpen sind niedlich. Kätzchen sind niedlich. Dieser Mann ist fantastisch. Und ich meine wirklich großartig!“ Rachel schrie fast vor Begeisterung.

„Außerdem verwöhnt, selbstsüchtig, arrogant …“

„Das glaube ich nicht“, wandte Rachel ein. „Hast du den Artikel gelesen? Er …“

„Kein Interesse“, unterbrach Allison sie entschieden. „Er hat einem krebskranken Kind einen Korb gegeben. Dafür gibt es keine Entschuldigung, und das werde ich ihm sagen.“

Rachel griff nach ihrer Hand, als sie zur Tür lief. „Du musst erst nach Hause und dich umziehen.“

Allison schaute an sich hinunter. Wenn sie keine Verabredungen mit Krankenhausdirektoren oder wohlhabenden Menschenfreunden hatte, trug sie stets bequeme Kleidung – wie diese Jeans und das blaue Flanellhemd, dazu ein Paar alter Turnschuhe.

„Ich fahre nicht den ganzen Weg zu meiner Wohnung, um mich umzuziehen. Oder glaubst du, dass es in seinem Büro eine Kleiderordnung gibt?“

„Sehr komisch.“ Rachel griff nach ihrer Handtasche und begann darin herumzukramen. „Dann lass mich dich wenigstens ein bisschen schminken. Lippenstift, Mascara … irgendwas. Dein Gesicht ist vollkommen nackt.“

„Tut mir leid“, antwortete Allison entschlossen. „Das ist ein ganz spontaner Besuch.“

Rachel stellte die Handtasche auf ihren Schreibtisch. „Keine Frau würde zu Rick Hunter gehen, ohne sich vorher aufzubrezeln. Allison, du bist nicht normal.“

„Das habe ich schon mal gehört.“

„Ich hab dich trotzdem lieb.“ Rachel seufzte. „Viel Spaß beim Erstürmen der Burg.“

Rick Hunter hielt sich den Hörer vom Ohr, während seine Großmutter mit ihm redete. Mit der anderen Hand tippte er auf der Tastatur, und dazu konzentrierte er sich auf eine komplizierte Tabellenkalkulation.

„Nicht, dass ich prüde wäre … zu meiner Zeit hatte ich es faustdick hinter den Ohren, das kannst du mir glauben. Dein Großvater könnte dir Geschichten erzählen … wenn er noch am Leben wäre. Aber ich mag es gar nicht, dass mich alle möglichen Leuten anrufen, um über diesen schrecklichen Artikel zu diskutieren, in dem du übrigens als der ‚Playboy aus dem Mittleren Westen‘ bezeichnet wirst, wie ich hinzufügen möchte.“ Rick zuckte zusammen. Er hatte sich zu diesem blöden Foto nur wegen des bevorstehenden jährlichen Wohltätigkeitsballs seiner Firma überreden lassen, der im Grand Hotel stattfand und dem eine Junggesellenauktion folgte. Er nahm nicht daran teil – er hatte noch nie daran teilgenommen, obwohl er unbestreitbar ledig war –, aber die Zeitschriftenredaktion und sein Marketingdirektor hatten ihn davon überzeugt, dass es eine einmalige Werbung für den Ball wäre, wenn der Chef der Firma persönlich in dem Artikel auftauchte.

„Ich habe den Text nicht geschrieben, Gran. Und ich habe dir schon mal gesagt …“

Sie fiel ihm ins Wort. „Ich wäre gar nicht so aufgebracht, wenn es nicht bestätigen würde, was ich schon immer vermutet habe. Du denkst überhaupt nicht daran, sesshaft zu werden, stimmt’s?“

Weil er eine komplizierte Zahlenkombination korrigierte, hatte er gar nicht zugehört. „Wie bitte?“

„Ich sagte, dass du überhaupt keinen Gedanken daran verschwendest, zu heiraten. Diese Frauen, mit denen du dich abgibst! Diese hohlköpfigen, oberflächlichen Modepüppchen sind schon schlimm genug, aber diese berechnenden Typen sind noch viel schlimmer. Ich bin gespannt, mit welcher Goldgräberin du demnächst auftauchen wirst. Keine der Frauen, mit denen du in den vergangenen fünf Monaten ausgegangen bist, könnte ich mit Stolz meine Enkelin nennen. Nicht, dass ich einen Grund zur Sorge hätte – schließlich hat es nie Hinweise darauf gegeben, dass es dir mit irgendeiner von ihnen ernst gewesen wäre.“

Rick seufzte. „Okay, Gran, du magst die Frauen nicht, mit denen ich ausgehe. Aber weder du noch ich müssen uns lange mit ihnen herumschlagen – wo ist also das Problem?“

„Mein Problem ist, dass mein einziger Enkel noch immer Junggeselle ist! Glaubst du etwa, ich träume nicht davon, dass du hier eines Tages eine Familie gründest – mit Frau und Kindern?“

Mit hier meinte sie natürlich das Hunteranwesen. Das wunderschöne Herrenhaus, das sein Urgroßvater 1890 erbaut hatte. Es war nicht das Haus, in dem Rick aufgewachsen war, aber das einzige, das er als Zuhause betrachtete. Der einzige Ort, an dem er wirklich glücklich gewesen war.

„Tatsache ist“, fuhr sie fort, „ich habe über alles nachgedacht. Und ich tendiere dazu, Hunter Hall deinem zweiten Cousin zu vermachen.“

Ricks Hand erstarrte mitten in der Bewegung. „Wie bitte?“

„Du hast schon verstanden. Jeremiah und seine Frau wollen Kinder haben, und sie würden sie gerne hier großziehen. Das haben sie gesagt.“

Ricks Kinnlade verspannte sich. „Jeremiah ist doch nur an dem Wert des Hauses interessiert, den es bei einem Verkauf bringen würde. Ihm und seiner Frau liegt überhaupt nichts an diesem Ort. Sie würden es verscherbeln, Gran.“

Sie schnüffelte. „Davon haben sie nichts gesagt. Und selbst wenn sie mal daran gedacht haben sollten – die Dinge ändern sich, wenn man sich entschließt, eine Familie zu gründen.“

Sie schwieg, und Rick dachte darüber nach, was der Verlust von Hunter Hall für ihn bedeuten würde. Vielleicht hatte er es seiner Großmutter noch nie gesagt, aber diesen Ort liebte er mehr als jeden anderen auf der Welt.

„Dieses Haus verlangt geradezu nach Kindern. Nur zu gern würde ich glauben, dass du deine Meinung ändern könntest …“

Seine Großmutter hoffte schon seit Jahren auf eine Hochzeit. Er dagegen war nie an einer Heirat interessiert gewesen. Seine Eltern waren nicht gerade ein Vorbild für eine mustergültige Ehe gewesen, und er hatte nicht vor, ihre Fehler zu wiederholen. Es war besser, sich damit nicht zu belasten, sondern sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man kontrollieren konnte. Arbeit zum Beispiel.

Selbst wenn die Arbeit in letzter Zeit nicht besonders erfüllend gewesen war.

Rick lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte auf den Computerbildschirm. Wenn ihn sein Job anödete, war das seine Schuld und daher etwas, das er persönlich ändern konnte. Schließlich gehörte ihm diese verdammte Firma.

Eine Ehe dagegen war etwas, das nicht von einer Person allein kontrolliert werden konnte. Zwei Herzen, zwei Köpfe, zwei Egos – und ein viel zu großes Risiko. Spaß zu haben war in Ordnung, aber wenn der Spaß aufhörte, sollte man schnell einen Schlussstrich ziehen und aufhören, ehe einer der Beteiligten zu viel investiert hatte. Und das bedeutete in der Tat, dass er mit Frauen ausging, an denen ihm nicht viel lag.

„Ich möchte nur, dass du glücklich bist, Richard.“

„Ich bin glücklich.“ Oder jedenfalls zufrieden. Glück hatte er nie erwartet. Sein Leben verlief genau nach Plan, und er verspürte keine Lust, daran etwas zu ändern. Das Einzige, was er noch nicht hatte, aber haben wollte, war Hunter Hall.

„Möchtest du nicht wenigstens einmal darüber nachdenken, was ich dir gesagt habe? Dir würde kein Stein aus der Krone fallen, wenn du mal mit einer anständigen Frau ausgehst.“

Bei diesem altmodischen Begriff musste Rick grinsen. „Und was würde eine ‚anständige Frau‘ mit mir anfangen?“ Es sollte ein Witz sein, aber selbst in seinen Ohren klang seine Stimme etwas verbittert.

Seine Großmutter seufzte. „Wenn du dir die Antwort nicht selbst geben kannst, nützt es auch nichts, wenn ich es dir sage. Es tut mir leid um Hunter Hall, mein Lieber, aber ich muss daran glauben können, dass Kinder es eines Tages mit Leben erfüllen werden.“

Rick schaute auf die gegenüberliegende Wand, an der in einem Mahagonirahmen das Werbeplakat für „Das Labyrinth der Zauberer“ hing. Er hatte das Haus der Magier nach dem Vorbild von Hunter Hall gestaltet, und dessen Bild zierte seitdem das Cover des Videospiels.

„Es ist dein Haus, Gran. Du kannst damit tun, was du willst.“

„Am meisten wünsche ich mir, dass du dir überlegst …“

„Ich muss weiterarbeiten. Ich rufe dich bald wieder an, okay?“

Aber er arbeitete nicht weiter. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte auf die Tabellenkalkulation, ohne sie wahrzunehmen.

Vielleicht war es am besten so. Etwas haben zu wollen, das man nicht durch eigene Anstrengung bekommen konnte, war eine Schwäche, und Rick duldete keine Schwächen.

Sein Briefbeschwerer war eine Nachbildung des Magierhauses aus Stein – ein Geschenk, das ihm seine Programmierer vor ein paar Jahren gemacht hatten. Er griff danach, befühlte die glatte Oberfläche und spürte das Gewicht auf seiner Handfläche.

Der Gedanke, Hunter Hall zu verlieren, verursachte ihm Krämpfe – als würden seine Eingeweide durch die Mangel gedreht. Seine Finger schlossen sich fester um den Stein. Die Spitzen der Dächer bohrten sich in seine Haut, und er wusste, dass er diesen Kindheitstraum nicht so leicht würde abschütteln können.

Sein privater Telefonanschluss blinkte. Er stellte den Briefbeschwerer auf den Schreibtisch zurück und nahm das Gespräch an. „Was gibt’s, Carol?“

„Eine Frau möchte Sie sprechen.“ Sie klang gereizt, aber so klang sie ständig. Nach sechs Jahren wusste er immer noch nicht, ob die ganze Welt für ihre Stimmung verantwortlich war – oder er selber.

Er runzelte die Stirn. „Ich bin mitten in den Vorbereitungen für die morgige Verkaufspräsentation. Wer ist es denn?“

„Jemand von dieser Stiftung. Die Frau, die für die ‚Wünsch dir einen Stern‘-Aktion verantwortlich ist.“

Unvermittelt überkam ihn ein Schuldgefühl. Dieses Mädchen – Jenny oder Julie oder so ähnlich. Sie wurde wegen Krebs behandelt und wollte ihn kennenlernen. Ihre Bitte war ihm von einem gemeinnützigen Verein übermittelt worden. Sie hatten sich und ihre Arbeit vorgestellt und ihn anschließend gefragt, ob er es einrichten könnte, das Mädchen im Krankenhaus zu besuchen.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, die Bitte abzulehnen und einen Scheck zu schicken.“

„Was ich auch getan habe, mon capitaine. Aber jetzt ist jemand persönlich hier aufgetaucht, um mit Ihnen darüber zu sprechen. Eine Miss Allison Landry.“

„Miss Landry hat Pech. Schicken Sie sie nach Hause.“

„Nein.“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Was soll das heißen – nein?“

„Hören Sie, Chef. Es gibt sicher Sekretärinnen, die eine aufrichtige Frau, der es um die Hilfe für ein krebskrankes Mädchen geht, hinauswerfen würden. Aber ich gehöre nicht dazu. Ich schicke sie jetzt zu Ihnen.“

Erneut überkam Rick ein schlechtes Gewissen, doch er versuchte seine Gefühle zu unterdrücken. Er verspürte nicht die geringste Lust zu einem Besuch auf der Krebsstation, und die Gründe dafür gingen niemanden etwas an. Erst seine Großmutter, dann Carol, und jetzt die nächste Unterbrechung – von diesen „anständigen“ Frauen hatte er an diesem Tag wirklich genug.

Vermutlich war sie eine matronenhafte Erscheinung mit mausgrauem Haar, eine alte Jungfer. Die Vorstellung, dass sie sein Heiligtum betrat, um ihm Vorwürfe zu machen, reizte ihn bis aufs Blut.

„Ich bin nicht in der Stimmung. Wenn sie jetzt reinkommt, werde ich sie nur anknurren.“

Carol schnaubte verächtlich. „Die kann das aushalten. Sie wird einfach zurückknurren.“

Tatsächlich eine Matrone!

Rick seufzte. „Na gut, dann schicken Sie sie rein.“

Er hatte kaum Zeit aufzustehen, ehe die Tür geöffnet wurde und Allison Landry in sein Büro rauschte.

Noch nie zuvor hatte er mit seiner Vermutung so danebengelegen. Diese Frau war fast noch ein junges Mädchen – ein Mädchen, das mit seinen kurzen seidigen Haaren wie eine wütende Elfe aussah.

Sie hatte auch den Körper einer Elfe – jedenfalls soweit er es sehen konnte. Ihre Jeans und ihr Flanellhemd betonten jedenfalls nicht die Rundungen ihrer Figur.

Offenbar gehörte sie nicht zu den Frauen, die ihr Aussehen einsetzten, um zu bekommen, was sie wollten. Sie hat sich nicht einmal geschminkt, stellte er fest, als sie sich vor seinem Schreibtisch aufbaute. Ihre Augen blitzten, und ihre Wangen waren gerötet.

Nicht, dass sie Make-up gebraucht hätte. Ihre Haut war perfekt – so seidenweich, dass er sich unwillkürlich fragte, ob sie sich wohl auch so anfühlte.

Und ihre Augen musste sie auch nicht betonen. Sie hatten die Farbe von … wie hieß dieser Stein doch gleich? Richtig, Lapislazuli. Und ihre Wimpern waren so dicht, dass sie wie kleine schwarze Fächer wirkten.

Ihr Mund … ihr Mund war auch ziemlich schön. Groß und voll und verlockend selbst jetzt, da sie die Mundwinkel missbilligend hinuntergezogen hatte, während ihr Urteil über ihn vernichtend auszufallen schien.

Sie sah fuchsteufelswild aus. Und die Tatsache, dass er ein reicher und mächtiger Unternehmer war, würde sie nicht davon abhalten, ihm ihre Meinung zu sagen.

2. KAPITEL

Schäumend vor Wut war Allison in das Chefbüro gestürmt. Rick Hunter stand auf, um sie zu begrüßen. Seine Frisur saß tadellos, und auf seinem Kinn zeichnete sich keine einzige Bartstoppel ab.

Er war ganz Geschäftsmann und verbreitete die gleiche Macht und Abgehobenheit wie die Einrichtung aus Mahagoni und Leder, die ihn vermutlich so viel gekostet hatte wie die Miete, die Allison jährlich für ihr Büro bezahlen musste. Allein sein Anzug – wie teuer mochte der wohl gewesen sein? Sie hatte stets gedacht, dass sich die Chefs von Computerfirmen lässiger kleideten. Rick Hunter liebte es offenbar förmlicher.

Vermutlich, weil es die Leute auf Distanz hielt.

„Mr Hunter“, begann sie kühl, „ich bin hier, um …“

Er kam um seinen Schreibtisch herum, und unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Er war hochgewachsen – fast zwanzig Zentimeter größer als sie mit ein Meter fünfundsechzig, und der Größenunterschied verursachte ihr Unbehagen. „Sie sind von der ‚Wünsch-dir-einen-Stern‘-Stiftung?“, fragte er.

„Ich bin die Leiterin. Und ich …“

„Die Leiterin?“ Er lehnte sich an die Schreibtischkante. „Sie sehen aus wie achtzehn.“

„Ich bin siebenundzwanzig.“ Ihre Stimme klang wie Eis. „Wollen Sie meinen Führerschein sehen?“

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Ist schon okay. Ich glaube Ihnen.“ Wohlwollend betrachtete er sie einen Moment mit seinen grünen Augen. „Sie sind hier, weil ich den Wunsch des Mädchens abgelehnt habe. Vermutlich glauben Sie, dass ich Ihnen eine Erklärung schulde.“

Sie versteifte sich. „Sie schulden mir überhaupt nichts, und an einer Entschuldigung bin ich nicht interessiert. Ich will nur wissen, wann Sie die kleine Julie besuchen werden. Ich weiß, dass Sie ein viel beschäftigter Unternehmer sind und Ihre kostbare Zeit einteilen müssen …“, sie gab sich keine Mühe, den Sarkasmus in ihrer Stimme zu unterdrücken, „… und dass der Wunsch eines fremden Menschen für Sie nicht sonderlich wichtig ist. Vor allem, wenn es bedeutet, dass Sie eine ganze Stunde mit etwas verbringen müssen, das nichts mit Ihren Geschäften oder Ihrem Vergnügen zu tun hat …“

Abwehrend hob er die Hände. „Nun mal langsam, Miss Landry. Ich werde nicht …“

„Und ich bin sicher, dass Sie nicht einmal diese Zeit investieren würden, um einen Menschen glücklich zu machen. Aber wenn Sie auch nur die geringste Ahnung hätten, was diese Kinder täglich durchmachen müssen und durch welche Hölle die Familien dieser Kinder gehen …“

„Die habe ich“, unterbrach er sie barsch. Verblüfft starrte sie ihn an. Er wich ihrem Blick aus. Sie empfand es geradezu als Erleichterung, denn sonderbarerweise irritierten sie diese grünen Augen, denen der Fotograf oder die Fotografin, egal wie gut er oder sie sein mochte, nicht gerecht geworden war.

„Ich meine, ich kann es mir vorstellen“, fuhr er leiser fort. „Und trotz allem, was Sie offenbar von mir denken, habe ich Ihre Bitte nicht abgelehnt, weil ich ein ignoranter Egoist bin. Meine Gründe …“ Er unterbrach sich. „Meine Gründe gehen Sie nichts an. Aber ich würde Ihre Stiftung gern mit einer großzügigen Spende unterstützen, und wenn Sie etwas von dieser Summe für Jennys Unterstützung verwenden …“

„Sie heißt Julie.“ Vor lauter Wut war ihr ganz heiß geworden. „Und vielleicht interessiert es Sie ja zu wissen, dass die meisten unserer Kinder sich keine Dinge wünschen. Sie möchten mit Menschen zusammenkommen. Einen berühmten Schriftsteller, Musiker oder Sportler kennenlernen. Sie möchten mit jemandem reden, den sie bewundern.“

Er runzelte die Stirn. „Warum sollte Julie mich bewundern?“

„Haben Sie ihren Brief nicht gelesen? Sie sind der Erfinder ihres Lieblingsspiels. Es hat ihr in der schrecklichsten Zeit ihres Lebens geholfen. Irgendetwas an diesem Spiel hat etwas in ihr zum Klingen gebracht, und deshalb fühlt sie sich Ihnen verbunden. Sie würde Sie gerne treffen. Warum ist das so schwer zu begreifen? Und warum zum Teufel können Sie sich nicht eine oder zwei Stunden freimachen …“

„Nein!“, unterbrach er sie barsch. „Es tut mir leid, Sie zu enttäuschen … und das Mädchen … aber das ist nicht möglich. Doch warum reden wir nicht über die Spende, die ich erwähnt habe? Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen wie das Ihre jeden Cent …“

„Ich bin nicht an Ihrem Geld interessiert.“

Ehe sie es sich versah, hatte sie die Worte ausgesprochen. Selbst jetzt riet ihr eine innere Stimme leise, nicht dumm zu sein, keinen falschen Stolz zu zeigen und Kapital aus Rick Hunters schlechtem Gewissen zu schlagen. Menschen, die Wohltätigkeitsorganisationen leiteten, durften nicht wählerisch sein. Viele Spenden wurden nur aus Reklamegründen gemacht oder um Steuern zu sparen oder aus irgendeinem anderen Grund, der nichts mit dem Auftrag der Stiftung zu tun hatte. Bisher war sie für jeden Dollar dankbar gewesen und hatte sich kein Urteil über die Beweggründe der Leute erlaubt.

Bis jetzt. Aus irgendeinem Grund war sie nicht bereit, Rick Hunter so leicht davonkommen zu lassen – selbst wenn die Verweigerung seines Angebots sie mehr schmerzte, als es ihn ärgerte.

Sie holte tief Luft. „Sie können das nicht mit Geld erledigen. Sie müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass Sie ein Mädchen vor den Kopf stoßen, das schon so viele Enttäuschungen erlebt hat, die für ein ganzes Leben reichen.“

Etwas blitzte in seinen Augen auf und war sofort wieder verschwunden. „Es tut mir leid, wirklich. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie von einer Spende nicht profitieren würden. Ich weiß, dass Wohltätigkeitsorganisationen in den vergangenen Jahren sehr zu kämpfen hatten.“

Das war ein Schlag in ihre Magengrube.

„Versuchen Sie das zu kapieren, Mr Hunter. Ich will Ihr Geld nicht! Aber da dies das einzige Thema ist, über das zu reden Sie bereit sind, kann ich genauso gut gehen.“

„Warten Sie“, sagte er mürrisch. „Laufen Sie nicht einfach davon. Warten Sie … eine Sekunde.“

Sie wollte gerade gehen, hielt jedoch inne. Er sah sie unverwandt an, und wieder war da etwas in seiner Miene, das sie nicht zu deuten vermochte. Wie angewurzelt blieb sie stehen.

„Hören Sie, was halten Sie davon“, fuhr er nach einer langen Pause fort. „Ich sende Ihnen nächste Woche einen Scheck. Dann haben Sie Zeit, um …“, er zögerte, „… über alles nachzudenken. Ich nehme Ihnen nicht übel, was Sie heute gesagt haben, und ich hoffe, Sie akzeptieren die Spende. Einverstanden? Ich bin sicher, dass Sie das Geld gebrauchen können.“

Er versuchte es ihnen beiden leicht zu machen. Natürlich hätte sie in gerechtem Zorn aus dem Zimmer stürmen und sich ein paar Tage Zeit lassen können, um sich zu beruhigen. Anschließend hätte sie seinen Scheck eingelöst, ohne das Gesicht zu verlieren.

Sie versteifte sich. „Ja, wir können das Geld gebrauchen. Die Stiftung hat momentan ziemliche Probleme. Aber Geld ist nur ein Teil von dem, was uns am Leben erhält. Noch wichtiger ist es uns, Menschen zu helfen. Wenn unsere Kinder einen Wunsch äußern, ist das etwas ganz Besonderes. Sie sind etwas ganz Besonderes. Geld kann jeder spenden, Mr Hunter. Aber Julie möchte Sie kennenlernen.“

Sie versuchte, an den Mann zu appellieren, den sie für einen Moment lang hinter der Fassade entdeckt hatte. Stattdessen sorgten ihre Worte dafür, dass er noch abweisender wurde.

„Es tut mir leid.“

„Aber …“

„Ich kann Krankenhäuser nicht leiden.“ Es klang, als ob die Diskussion mit dieser Antwort beendet sei.

Allison sah ihn an. „Niemand mag Krankenhäuser. Gerade darum ist es so wichtig, den Menschen zu helfen, die dort sein müssen.“

„Tut mir leid“, wiederholte er. Sein Gesichtsausdruck war kühl und abweisend.

Hatte sie sich nur eingebildet, hinter der Maske etwas Menschliches gesehen zu haben? „Mir tut es auch leid“, sagte sie nach einer Weile. „Eltern fühlen sich so hilflos, wenn sie erfahren, dass ihr Kind Krebs hat. Sie wollten es immer beschützen, und dann werden sie mit einer Situation konfrontiert, die sie absolut nicht kontrollieren können. Deshalb ist es so frustrierend, wenn jemand wie Sie wirklich etwas tun könnte – ein kleines Zeichen setzen, um jemanden glücklich zu machen. Aber Sie wollen es nicht.“

Wieder spiegelten sich Gefühle in seiner Miene. „Miss Landry …“

Sie wollte sich nicht noch einmal von ihm einlullen lassen. „Auf Wiedersehen, Mr Hunter.“

Autor

Abigail Strom
Abigail Strom hat bereits mit sieben Jahren ihre ersten Geschichten geschrieben und konnte damit bis heute nicht aufhören. Sie war nervös und aufgeregt, als ihr erstes Buch unter Silhouette Special Edition, einer Reihe, die sie zuvor als Leserin für viele Jahre bewundert und geliebt hatte, veröffentlicht wurde. Sie arbeitet in...
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