Das Erbe von San Rinaldi - 8-teilige Serie

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Seit Jahrhunderten herrscht die mächtige Dynastie der Rinaldis über ein malerisches Inselreich im Mittelmeer. Jetzt muss der betagte König abdanken. Doch wer tritt das Erbe der Rinaldis an? Intrigen, Leidenschaft und zehn unumstößliche Regeln werden für jeden Thronanwärter zu einer persönlichen Herausforderung. Die Suche beginnt ...

HERZ ODER KRONE

Prinz Marco ist bereit: Er wird König Giorgio auf dem Thron folgen und San Rinaldi in ein neues Zeitalter führen. Doch der Abschied von London fällt ihm unerwartet schwer. Denn er bedeutet das Aus für seine Liebe mit der schönen Emily ...

DAS GEHEIMNIS DES MÄRCHENPRINZEN

Kaum in San Rinaldi angekommen, verliebt Dr. Alex Hunter sich Hals über Kopf in die bildschöne Amelia Vialli. Charmant erobert er sie und entführt sie zärtlich in das Land seiner Liebe. Noch ahnt der Herzspezialist aus dem fernen Australien nicht, dass Amelia die einzige Frau im Inselreich ist, die er niemals heiraten darf ...

RENDEZVOUS IM CASINO ROYAL

Mein Glücksprinz, denkt Meg, als der attraktive Casinobesitzer Luca Fierezza sie zum ersten Mal küsst. Sie träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit ihm - vielleicht sogar als seine Prinzessin! Denn Luca ist der Nächste in der Thronfolge von San Rinaldi. Doch als aus dem Juweliergeschäft des Casinos wertvoller Schmuck der Königsfamilie entwendet wird, dreht sich das Glücksrad für Meg plötzlich in die falsche Richtung ...

EIN KÖNIGREICH FÜR DEINE LIEBE

Prinzessin Isabella ist hinreißend schön, bei jeder glamourösen Veranstaltung umschwärmter Mittelpunkt - und somit für Domenic Vincini genau die Falsche! Denn der erfolgreiche Geschäftsmann ist nicht nur überzeugter Gegner des Königshauses, sondern meidet nach einem schweren Unfall auch die Öffentlichkeit. Aber nach einer leidenschaftlichen Nacht mit der Prinzessin erkennt Domenic: Die Liebe geht ihre eigenen Wege ...

IM PALAST DER HOFFNUNG

Heimlich schleicht die hübsche Carrie sich in den Palast der Rinaldis. Sie muss unbedingt mit Prinz Nico sprechen! Ihre kurze Affäre in London ist nicht ohne Folgen geblieben - Carrie bekommt ein Baby. Und kaum sehen sie einander wieder, entbrennt dieselbe Leidenschaft, die sie damals zueinander getrieben hat. Doch eine gemeinsame Zukunft scheint undenkbar ...

EIN KÖNIGLICHER SKANDAL

Prinz Max fühlt sich wie verzaubert, als er Rosa wiedersieht: Das unscheinbare Mädchen von einst hat sich in eine wunderschöne junge Frau verwandelt, die ihn magisch anzieht. Aber so verlockend ihre süßen Küsse schmecken, muss er ihr doch mit aller Kraft widerstehen. Denn Rosa ist seine Cousine ...

LIEBESLIED FÜR EINEN PRINZEN

Die Schönheit San Rinaldis bezaubert Adam Ryder ebenso wie die Klavierlehrerin Elena, die er kurz nach seiner Ankunft auf der Insel kennenlernt. Während sie ihm die idyllischsten Seiten ihrer Heimat zeigt, findet er sie von Tag zu Tag hinreißender und verliebt sich in sie. Schon bald kann er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Doch Adam hat eine höhere Pflicht: Er soll König werden ...

EIN KÖNIG FÜR SAN RINALDI

Natalia schwebt im Glück. Ausgerechnet sie hat König Giorgio als Braut für Prinz Kadir auserwählt. In den schillerndsten Farben malt sie sich ihre Zukunft an der Seite ihres künftigen Ehemannes auf der malerischen Insel San Rinaldi aus. Bis sie ihn auf einem Empfang im Palast zum ersten Mal trifft -- und einen Schock erlebt ...


  • Erscheinungstag 02.11.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774837
  • Seitenanzahl 1152
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Penny Jordan, Melanie Milburne, Carol Marinelli, Natasha Oakley, Susan Stephens, Robyn Donald, Raye Morgan

Das Erbe von San Rinaldi - 8-teilige Serie

IMPRESSUM

Herz oder Krone erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© Harlequin Books S.A. 2007
Originaltitel: „The Future King’s Pregnant Mistress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA ROYAL
Band 1 - 2007 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: M. R. Heinze

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733769734

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

IMAGE

Königliche Gesetze des Hauses Rinaldi

I .

Der Herrscher von San Rinaldi gilt seinem Volk als Vorbild und bürgt für tugendhaftes Verhalten . Wer die Monarchie durch unmoralisches Verhalten in Verruf bringt, ist von der Thronfolge ausgeschlossen .

II.

Kein Mitglied der Königsfamilie darf ohne Zustimmung des Regenten heiraten.

III.

Jede Eheschließung, die den Interessen von San Rinaldi entgegen steht, ist verboten. Jeder Verstoß gegen diese Vorschrift führt zum unmittelbaren Ausschluss aus der Thronfolge sowie zur Aberkennung sämtlicher Ehren und Privilegien.

IV.

Kein Herrscher von San Rinaldi darf eine geschiedene Frau heiraten.

V.

Zwischen blutsverwandten Mitgliedern des Königshauses darf keine Ehe geschlossen werden.

VI.

Der Unterricht aller Familienmitglieder wird durch den König geregelt. Die Eltern haben für die Umsetzung der Anweisungen zu sorgen.

VII.

Kein Mitglied des Königshauses darf sich verschulden.

VIII.

Kein Mitglied der Königsfamilie darf ohne Einwilligung des Königs finanzielle Zuwendungen oder Erbschaften annehmen.

IX.

Der Herrscher von San Rinaldi muss sein Leben seinem Land widmen und darf daher während seiner Regentschaft keinen eigenen Beruf ausüben.

X.

Die Mitglieder des Königshauses müssen ihren Wohnsitz auf San Rinaldi haben. Im Einzelfall kann der König gestatten, dass ein Familienmitglied in ein anderes Land zieht. Der Herrscher selbst muss jedoch im Palast auf San Rinaldi leben.

IMAGE

Das Königshaus Rinaldi

Eine der reichsten königlichen Familien der Welt – vereint durch Blut und Leidenschaft, zerrissen durch Verrat und Begierde, unterworfen den strengen Regeln der Rinaldis

Aus blauen Fluten, umweht vom Duft der Zitronen- und Orangenbäumen, ragt majestätisch eine Insel empor: San Rinaldi, die Perle des Mittelmeers. Gesegnet mit einzigartig schöner Natur, üppiger Vegetation und reichen Ernten, wird das idyllische Eiland seit vielen Jahren von König Giorgio aus dem Geschlecht der Fierezzas beherrscht. Schon seit dem Mittelalter lenkt seine Familie die Geschicke der Insel, machte sie zu einem florierenden Handelsplatz und gelangte so zu unermesslichem Reichtum – Reichtum, der zu allen Zeiten zu Neid, Intrigen, Verrat und Auseinandersetzungen führte.

Auseinandersetzungen und Probleme stehen auch König Giorgio ins Haus. Besorgt beobachtet man im Palast von San Rinaldi, dass es dem neunzigjährigen Monarchen gesundheitlich immer schlechter geht.

Doch wer soll nach dem tragischen Tod der beiden Kronprinzen das Erbe der Rinaldis antreten?

König Giorgio muss seine Wahl treffen unter den Prinzen und Prinzessinnen der Dynastie. Kein leichtes Unterfangen! Denn wer den Thron von San Rinaldi besteigen und über das blühende Inselreich herrschen will, muss sich entscheiden, ob er sich den strengen Gesetzen des Hauses Rinaldi unterwirft – oder der Stimme seines Herzens folgt und statt der Krone die Liebe wählt ...

1. KAPITEL

Sein Herz klopfte wild. Heftig atmend riss Marco Fierezza die Augen auf und warf einen Blick auf den Wecker. Es war drei Uhr morgens. Kalter Regen peitschte gegen die Fenster der Wohnung am Eaton Square.

Was für ein Traum! Wieder einmal hatte Marco im Schlaf eine der vielen Auseinandersetzungen mit seinem Großvater, dem König von San Rinaldi, durchlebt.

Die ständigen Streitigkeiten mit dem unbeugsamen alten Mann hatten schließlich dazu geführt, dass Marco damals, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, einen schwerwiegenden Entschluss gefasst hatte: Fernab von San Rinaldi wollte er es zu etwas bringen. Ohne den Einfluss seines mächtigen Großvaters. Ohne die Privilegien seiner adligen Herkunft.

Heute, mit sechsunddreißig, vertrug er sich längst wieder mit seinem Großvater, auch wenn dieser das Verhalten seines Enkels nicht verstand. Marco wollte auf seine Weise und durch harte Arbeit bestehen, ohne die Hilfe seiner Familie. Das hatte er geschafft. Als Jungunternehmer Marco Fierezza war er in London zum anerkannten Finanzgenie und Multimillionär aufgestiegen.

Marco lächelte amüsiert. Seit einigen Jahren wandte sich sein Großvater an ihn, wenn er in finanziellen Angelegenheiten Rat suchte. Gleichzeitig weigerte König Giorgio sich, ihn für seine Arbeit zu bezahlen, indem er sich auf die Blutsbande berief. Großvater ist eben ein listiger alter Fuchs, dachte Marco. Für ihn steht das Wohl seines Königreichs an erster Stelle. Und er scheut auch nicht davor zurück, andere zum Wohle von San Rinaldi auszunutzen und zu manipulieren.

San Rinaldi ...

Das Trommeln der Regentropfen verstärkte Marcos Sehnsucht nach der herrlichen Insel im Mittelmeer. Jener Insel, über die seine Familie bereits seit vielen Generationen herrschte.

San Rinaldi war wie ein grüner Edelstein in einer goldenen Fassung aus Sonnenschein, umgeben von der tiefblauen See. Dunkle Vulkane stachen in den Himmel, silberne Wolken verhüllten die Spitzen.

Niemals würde Marco vergessen, dass die See erst kürzlich seine Eltern verschlungen und ihn dadurch zum Thronerben gemacht hatte.

Dass er eines Tages der König von San Rinaldi sein würde, stand schon seit langer Zeit fest. Nur hatte Marco noch nicht so bald damit gerechnet. Den Gedanken an seine Verpflichtungen hatte er bisher stets weit von sich geschoben und sein freies Leben in London genossen. Nun war allerdings alles anders. Die Pflicht rief nicht erst in ferner Zukunft, sondern jetzt.

Vielleicht enthielt der Traum eine Warnung. Wenn Marco den Wunsch seines Großvaters erfüllte und als Herrscher nach San Rinaldi zurückkehrte, waren Konflikte vorhersehbar. Wie ein junger Löwe müsste ich mir harte Kämpfe mit dem alternden Rudelführer liefern, überlegte er.

Marco kannte und durchschaute seinen Großvater sehr gut. König Giorgio behauptete zwar, die Zügel aus der Hand geben zu wollen, würde jedoch weiterhin versuchen, so viel wie möglich zu kontrollieren. Trotzdem reizte es Marco, die Herausforderung anzunehmen. Er wollte über San Rinaldi herrschen und das Land nach seinen Vorstellungen umformen. Der autoritäre Herrschaftsstil seines Großvaters war längst veraltet. Es war Zeit für einen Neubeginn.

Seit Marco denken konnte, stand für ihn fest, dass er San Rinaldi in ein modernes Königreich verwandeln wollte. Allerdings hatte er stets geglaubt, dass vor ihm sein freundlicher und sanftmütiger Vater den Thron besteigen würde. Doch nun musste er das Zepter direkt von seinem tyrannischen Großvater übernehmen.

Marco seufzte leise. Sein verstorbener Vater war ein stiller und in sich gekehrter Mann gewesen, den König Giorgio wenig geschätzt und stets gnadenlos herumkommandiert hatte. Marco dagegen hatte seinem Großvater von Kindesbeinen an Paroli geboten. Denn genau wie der alte Mann verfügte auch er über ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein.

Dieser gemeinsame Charakterzug bildete sozusagen die Wurzel des Konflikts zwischen ihnen, dessen war sich Marco vollkommen bewusst. Gleichzeitig war er fest entschlossen, sich von seinem Großvater nicht dreinreden zu lassen.

Dennoch würde sich durch die Thronbesteigung sein ganzes Leben ändern. Es gab Gesetze, die für den König San Rinaldis galten und die er anerkennen musste. Obwohl Marco plante, diese Gesetze ganz allmählich zu ändern, würde er sich zunächst nach ihnen richten müssen. So viel stand fest.

Eines dieser Gesetze verbot, dass der König eine geschiedene Frau heiratete. Zwar hatte es Marco mit der Ehe nicht allzu eilig. Doch wenn es eines Tages so weit war, wurde von ihm eine Verbindung mit einer Prinzessin von tadellosem Ruf erwartet. Bestimmt würde es bei seinen Untertanen für Empörung sorgen, wenn Marco sich in Begleitung einer bürgerlichen Geliebten zeigte, anstatt pflichtgemäß eine ebenbürtige Gefährtin zu wählen.

Nachdenklich warf er einen Blick auf die schlafende Emily. Sie ahnte noch nicht, dass ihre Beziehung schon bald enden musste. Ihr langes blondes Haar lag ausgefächert auf dem

Kopfkissen. Marco konnte nicht widerstehen und ließ die seidigen Strähnen durch die Finger gleiten, obwohl er Emily damit weckte. Gleichzeitig erwachte sein Verlangen. Es war erstaunlich, dass er sie noch immer so heftig begehrte, obwohl er mit ihr schon so lange zusammen war. Bisher hatte ihn jede andere Frau schon sehr bald gelangweilt. Doch Emily war anders.

Dennoch – die sinnlichen Bedürfnisse des Marco Fierezza verloren an Bedeutung im Vergleich mit der Herausforderung, König von San Rinaldi zu werden.

König von San Rinaldi ...

Emily war gänzlich ahnungslos. Weder kannte sie seine Verbindung zu San Rinaldi, noch wusste sie etwas über seine vorgezeichnete Zukunft. Was hätte das auch gebracht? Weshalb hätte er ihr die Wahrheit anvertrauen sollen, nachdem er sich ganz bewusst dafür entschieden hatte, unerkannt zu bleiben? Er hatte San Rinaldi verlassen, um zu beweisen, dass Marco Fierezza auf eigenen Beinen stehen und ohne seine königliche Herkunft Erfolg haben konnte. Und rasch hatte sich herausgestellt, dass diese Anonymität höchst vorteilhaft für ihn war.

Als Zweiter in der Thronfolge von San Rinaldi war er eine höchst attraktive Partie und wurde von vielen Frauen umschwärmt. Sein Großvater hatte ihn schon in jungen Jahren vor diesen Mitgiftjägerinnen gewarnt und ihm eingeschärft, stets auf der Hut zu sein. Der künftige König von San Rinaldi könne nie wissen, ob eine Frau ihn oder seine gesellschaftliche Stellung begehrte.

Seit er in London nicht als Prinz Marco, sondern als Marco Fierezza lebte, wirkten zwar sein gutes Aussehen und der Reichtum sehr anziehend auf das andere Geschlecht. Aber niemand hier kannte seinen Titel. Außerdem bot Marco seinen Geliebten stets einen luxuriösen Lebensstil und verwöhnte sie mit teuren Geschenken, solange er mit ihnen zusammen war.

Er runzelte die Stirn. Auch nach so langer Zeit störte es ihn, dass Emily sich standhaft weigerte, auch nur ein einziges Schmuckstück von ihm anzunehmen. Dabei versuchte er oft genug, sie zu beschenken.

Schon nach dem ersten gemeinsamen Monat hatte er ihr eines Abends ein Diamantarmband angelegt. Auf die Frage, wofür es sei, antwortete Marco lässig, sie solle es als Bonus betrachten. Emily wurde blass und betrachtete fassungslos das Lederetui mit dem herrlichen Schmuckstück, das aus der Auslage eines königlichen Juweliers stammte.

„Du brauchst mich nicht zu bezahlen, Marco“, sagte sie spröde. „Ich bin deinetwegen mit dir zusammen und nicht wegen deines Geldes.“

Noch heute ärgerte er sich über ihren unglaublichen Starrsinn. Doch seine Rache hatte nicht lange auf sich warten lassen.

„Nein, du hast das falsch verstanden“, hatte er leise und mit einem warnenden Unterton erwidert. „Schließlich weiß ich genau, dass du mit mir zusammen bist, weil du mich begehrst, Emily. Wenn du das Armband unbedingt als Bezahlung ansehen möchtest, kannst du das gerne tun. Aber du musst dir klar darüber sein, dass ich keineswegs vorhabe, dich mit meinem Geld fester an mich zu binden. Ganz im Gegenteil. Es dient vielmehr dazu, dass du rasch und widerspruchslos verschwindest, wenn ich genug von dir habe.“

Auf diese Bemerkung war sie zwar nicht eingegangen, aber ihre Gefühle waren ihr deutlich anzusehen gewesen. Kurz darauf war sie ohne weitere Erklärung für ein paar Tage geschäftlich verreist.

War es ihre Absicht gewesen, auf diese Weise sein Verlangen nach ihr zu verstärken? Wenn ja, hatte sie sich getäuscht. Keiner Frau würde das jemals gelingen. Er war kein Mann, der sich von seinen Gefühlen beherrschen ließ. Schließlich hatte er schon in jungen Jahren miterlebt, wie sein herrschsüchtiger Großvater die aufrichtige Liebe des eigenen Sohnes dafür missbrauchte, ihn zu manipulieren. In Marcos Augen war sein Vater durch König Giorgios Machtspiele gedemütigt worden.

Zwar machte er sich keine Illusionen darüber, welch verheerende Auswirkungen zu großer Stolz haben konnte. Doch andererseits wusste Marco genauso gut, dass ein freundliches und sanftmütiges Wesen nur allzu leicht missbraucht werden konnte. Er hatte seinen Vater so sehr geliebt, dass er in jungen Jahren häufig zornig auf seinen Großvater losgegangen war, wenn dieser seinen unmittelbaren Erben wieder einmal schlecht behandelt hatte.

Das wird mir nie passieren, dachte Marco. Niemand durfte ihn unterdrücken, nicht einmal der König von San Rinaldi.

Er hatte den Großvater oft durch seine rebellische Haltung verärgert. Trotzdem respektierte ihn Giorgio inzwischen, wenn auch nur widerstrebend. Stolz und Zielstrebigkeit zeichneten sie beide gleichermaßen aus. Ja, sie waren einander in vieler Hinsicht sehr ähnlich. Allerdings unterschieden sich ihre Pläne deutlich. Denn schon jetzt stand für Marco fest, dass er als König zahlreiche Änderungen durchführen würde, um das Reich endlich zu modernisieren.

Sein Großvater regierte wie ein Feudalherr. Schon Marcos Vater hatte die Meinung vertreten, dass die Menschen über ihr Leben selbst bestimmen sollten. Niemand sollte einen Erwachsenen wie ein ahnungsloses kleines Kind behandeln, dem man nichts zutrauen konnte. Doch genau das tat König Giorgio.

Marco hatte große Pläne für San Rinaldi und konnte es daher kaum erwarten, London zu verlassen und sein Geburtsrecht einzufordern. Zwar störte ihn die Aussicht, dadurch seine Geliebte zu verlieren. Schließlich war er ein Mann. Doch letztlich wünschte er sich mehr als nur eine willige Gespielin im Bett, an die er sich gefühlsmäßig nie binden würde.

Ich werde Emily nicht vermissen, sagte er sich. Es gab nur einen Grund, aus dem er so viel über sie nachgrübelte: die Frage, wie sie es aufnehmen würde, wenn er ihr das Ende ihrer Affäre verkündete. Schließlich wollte Marco diese ebenso sensible wie schöne Frau unter keinen Umständen verletzen.

Bis jetzt hatte er noch nicht entschieden, wie viel er ihr tatsächlich enthüllen sollte. Natürlich musste er London verlassen, und die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass die Paparazzi über die Vorgänge auf San Rinaldi Bescheid wussten. Dort herrschte schließlich eine der reichsten königlichen Familien der Welt.

Emily musste einfach einsehen, dass ihre Gefühle seine Zukunft als König von San Rinaldi nicht gefährden durften.

Weshalb sie seine teuren Geschenke ablehnte und sich auch nicht als Innenarchitektin von ihm helfen ließ, begriff Marco bis heute nicht. Seit drei Jahren waren sie nun schon ein Liebespaar. Seit Langem überlegte er, was Emily wirklich von ihm erwartete. Was war es, wonach sie suchte und das ihr mehr als Geld bedeutete?

Es war ihm zur zweiten Natur geworden, keinem Menschen zu vertrauen. Außerdem hatte er seinen Großvater und die Mitglieder des Hofs genau beobachtet. Was geschah, wenn man sich von jemandem ausnutzen ließ, wusste Marco daher nur zu genau. Sein Vater war ihm ein trauriges Beispiel gewesen.

Bei dem Gedanken an seine Eltern biss Marco die Zähne zusammen. Er scheute den Schmerz. Und er scheute nicht nur dieses Gefühl, sondern auch noch zahlreiche andere Emotionen, die der Verlust der Eltern ausgelöst hatte.

Seit Jahren kämpfte er schon gegen die Schuldgefühle an. Hätte ich Großvater nicht daran hindern können, Vater so schlecht zu behandeln?, fragte Marco sich oft. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Umgekehrt war er auf seinen Vater zornig, weil dieser es nie geschafft hatte, sich durchzusetzen. Vor allem aber verübelte Marco es seinem Großvater, diese Schwäche ausgenutzt zu haben.

Seit einiger Zeit war es ihm jedoch gelungen, Frieden mit seinem Großvater zu schließen. Marcos Vater lebte nicht mehr, und er selbst war inzwischen ein erwachsener Mann. Mittlerweile wurde er nur noch in seinen Träumen von der Vergangenheit eingeholt. Und Emilys Nähe half ihm, diese Träume zu verscheuchen.

Wie würde es weitergehen, wenn sie nicht mehr bei ihm war? Aber weshalb verschwendete er seine Zeit mit solchen Überlegungen? Irgendwann fand er bestimmt eine neue Geliebte, auch wenn er in San Rinaldi wahrscheinlich viel diskreter vorgehen musste. Eine jüngere Frau, mit einem älteren Mann verheiratet, erschien Marco ideal. Natürlich durfte sie nicht so jung sein, dass sie kein Verständnis für die Gepflogenheiten bei Hofe aufbrachte.

Grundsätzlich wäre er sogar bereit gewesen, Emily mit einem Höfling zu verheiraten, der das Spiel mitmachte. Sie wäre dann eine respektable Frau und könnte heimlich die Affäre mit ihm als König fortsetzen. Marco war jedoch überzeugt, dass Emily aufgrund ihrer Leidenschaft und ihrer bedingungslosen Offenheit nicht mit der Rolle einer heimlichen Mätresse einverstanden wäre.

Das war besonders bedauerlich, da San Rinaldi ihr bestimmt gefallen hätte. Wenn Marco an sein Heimatland dachte, sah er eine Insel im Sonnenschein vor sich, die von den Göttern so großzügig bedacht worden war, dass sich zahlreiche Legenden um dieses Paradies rankten.

Und doch gab es kein Paradies ohne Schlange. Das traf durchaus auf San Rinaldi zu. Die Götter hatten einen hohen Preis für ihre Gaben gefordert.

Da Marco jetzt ohnedies nicht schlafen konnte, schlug er die Bettdecke zurück. Im schwachen Licht der Straßenlaternen erschien sein schlanker kräftiger Körper wie gemalt.

Lautlos trat er ans Fenster.

Der Wind hatte an Stärke zugenommen, ließ den Regen gegen die Fenster prasseln und rüttelte an den kahlen Bäumen, die die Straße säumten.

Auch San Rinaldi wurde gelegentlich von heftigen Stürmen heimgesucht, die das Meer rings um die Insel aufpeitschten. Die Menschen dort hüteten sich, während solcher Unwetter den Wogen zu trotzen, die gegen die Vulkanklippen donnerten.

In den unwegsamen Bergregionen lebten noch heute die Nachkommen jener Piraten, die vor langer Zeit die Insel erobert hatten. Die mächtigen Wellen des Meeres hatten im Lauf der Zeit den Fels ausgehöhlt, sodass ganze Teile der Küste den Gezeiten zum Opfer gefallen waren. Auch die Olivenhaine und die Weinberge der Insel wurden immer wieder von den Naturgewalten heimgesucht. Jahr für Jahr wüteten die Herbststürme, als wollten sie das Land dafür bestrafen, dass die Ernte bereits sicher eingefahren worden war.

Als Junge hatte Marco fasziniert beobachtet, wie der Sturm das Land tief unterhalb des Königsschlosses verwüstete. Auf eine weich gepolsterte Fensterbank gekuschelt, beobachtete er das Naturschauspiel und wünschte sich sehnlichst, ins Freie zu laufen und sich den Elementen zu stellen. Doch er war kein normales Kind, das draußen spielen durfte. Auf Wunsch seines Großvaters musste er im Schloss bleiben, um alles über die Vergangenheit der Familie und seine Rolle als zukünftiger Herrscher der Insel zu lernen.

Erinnerungen an die Kindheit tauchten wie ungebetene Gäste auf, als Marco jetzt am Fenster seiner Londoner Wohnung stand. Eine Kindheit, die nicht durch die liebevolle Erziehung der Eltern, sondern durch die Befehle seines Großvaters geprägt worden war. König Giorgio hatte die Gesetze aufgestellt und auch für deren Einhaltung gesorgt ...

„Marco, komm wieder ins Bett. Dir muss doch kalt sein.“

In Emilys leiser, warmer Stimme schwang ein süßes Versprechen mit, süß wie die Früchte von San Rinaldi zur Zeit der Ernte.

Er drehte sich um. Also hatte er sie doch geweckt.

Emily besaß ein kleines Geschäft nahe der Sloane Street. Sie waren sich zufällig auf einer Party begegnet, und Marco hatte die zierliche Frau auf den ersten Blick begehrt. Also setzte er alles daran, um sie zu bekommen. Schließlich war er daran gewöhnt, stets seinen Willen durchzusetzen – selbst wenn er dafür kämpfen musste. Von dieser Grundhaltung wich er nie ab.

Sehr schnell brachte er damals in Erfahrung, dass sie geschieden war und keine Kinder hatte. Ideale Voraussetzungen für eine Geliebte. Hätte er allerdings von Anfang gewusst, wie tief ihre Gefühle waren, hätte er sich nicht um Emily bemüht. Als er schließlich die Wahrheit herausfand, war es bereits zu spät. Sein Begehren war bereits so groß gewesen, dass er nicht mehr von ihr lassen konnte.

Auch jetzt weckte ihr Anblick in ihm ein so starkes Verlangen, dass er sich instinktiv dagegen wehrte. Er bekämpfte naturgemäß alles, das ihn zu beherrschen drohte.

„Marco, irgendetwas stimmt doch nicht. Was ist es denn?“

Wieso erahnte sie Dinge, die sie gar nicht wissen konnte?

Im Todesjahr seiner Eltern waren die Unwetter früher als sonst über San Rinaldi hereingebrochen. Trotz seiner kühlen Selbstbeherrschung hatte Emily sofort gemerkt, dass ihn etwas bedrückte.

Andererseits erriet sie zwar seine Gefühle, stellte jedoch keine Verbindung zu den Fernsehberichten über San Rinaldi her. Gerade deshalb hatte es sie schwer getroffen, dass sie ihn nicht zu der Trauerfeier begleiten durfte. Marco hatte sie nur knapp über den Tod seiner Eltern informiert, ohne Einzelheiten zu nennen. Sie wusste lediglich, dass seine Familie nicht aus England stammte und dass er zu der Beerdigung ins Ausland flog. Ohne sie.

Zwar verlor Emily kein weiteres Wort darüber, aber das tat sie wahrscheinlich nur, um einen Streit zu vermeiden, der das Ende der Affäre bedeuten konnte.

Trotz ihres offen zur Schau gestellten Desinteresses an teuren Geschenken gab es seiner Meinung nach eigentlich nur einen Grund, aus dem Emily an der Beziehung festhielt: Sie wollte ihn wegen seines Reichtums nicht verlieren.

Marco hielt es für unmöglich, dass eine Frau sich vom Wohlstand ihres Geliebten so wenig beeindrucken ließ wie Emily. In diesem Punkt hatte sein Großvater ausnahmsweise recht. Frauen, die sich um einen reichen Mann drängten, erwarteten immer Geschenke. Auch wenn sie es nicht offen zugaben.

Emily war froh, dass Marco ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht sah. Sonst hätte er bestimmt gemerkt, wie sehr sie sich über den flehenden Unterton in ihrer Stimme ärgerte. Wieso kann ich mich nicht beherrschen?, dachte Emily. Wieso gehe ich immer wieder Beziehungen ein, in denen ich mich unsicher fühle?

„Alles in Ordnung“, behauptete Marco in einem kühlen Ton, der sie tief traf.

Wenn man erst einmal damit beginnt, sich etwas vorzumachen, kann man sich der Wahrheit nur noch schwer stellen. Doch irgendwann holen einen die Fragen ein. Emily seufzte nachdenklich.

Musste es wirklich immer so sein, dass einer in der Liebe zu kurz kam? Gab es wirklich immer einen Menschen, der nicht genug geschätzt und respektiert wurde? Und warum musste sie dieser Mensch sein?

Energisch verbot sie sich jegliches Selbstmitleid. Tatsache war, dass sie sich ganz allein die Schuld an ihrer gegenwärtigen Lage geben musste. Niemand sonst trug die Verantwortung.

Schon seit den ersten Wochen wusste sie, was für ein Mann Marco war und welche Art von Beziehung er wollte. Bedrückt erkannte Emily, dass sie seine Wünsche und Ansprüche besser kannte als die eigenen. Trotzdem wurde sie immer wieder schwach und malte sich aus, dass er sich ändern würde.

In ihren Wunschträumen war Marco Fierezza kein attraktiver Multimillionär, sondern ein normaler Mann mit ganz gewöhnlichen Zielen: Heirat, eine Familie und ...

Der Gedanke versetzte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz, der sich vertiefte bei der Vorstellung, eigene Kinder zu haben.

Wieso um alles in der Welt war sie so dumm gewesen, sich in jemanden wie Marco zu verlieben? Jemand, der so reich und so attraktiv war, dass er jede Frau bekommen konnte? Wieso nur?

Gleich zu Beginn ihrer Beziehung hatte Marco ihr klar und deutlich gesagt, was er von ihr wollte. Liebe kam dabei nicht vor. Doch Emily hatte ihn so sehr begehrt, dass sie sich bereitwillig auf eine Affäre ohne Verpflichtungen eingelassen hatte, die so lange andauern sollte, wie er es wünschte.

Aus diesem Grund musste sie die Verantwortung für den Schmerz, der sie jetzt zu überwältigen drohte, auch ganz allein bei sich selbst suchen. Schlimmer noch: Sie allein war auch für die Lüge verantwortlich, unter der ihre Beziehung litt. Sie spielte Marco vor, dass sie keine tieferen Gefühle für ihn hegte. Doch in Wahrheit liebte sie ihn und litt unter der ständigen Angst, dass er dieses Theater eines Tages durchschauen und fortgehen könnte.

Ihre eigene Schwäche erfüllte Emily mit Verachtung. Sie sehnte sich nach der Kraft, ihm endlich ihre Liebe zu gestehen und dann die Konsequenzen zu ziehen. Doch war sie wirklich stark genug, den unvermeidlichen Schmerz der Trennung auf sich zu nehmen?

Vielleicht würde es sie sogar befreien, wenn sie Marco verließ. Sagte man nicht, ein tapferer Mann würde nur einmal, ein Feigling dagegen tausendmal sterben? Für sie galt das bestimmt. Im Grunde wusste sie genau, was sie zu tun hatte: Sie musste sich zurückziehen und ganz allein mit ihren Gefühlen fertig werden. Stattdessen blieb sie bei Marco und litt darunter, dass er ihr ständig bewies, wie wenig er sie liebte.

Er begehrte sie. Daran bestand kein Zweifel. Daher klammerte Emily sich verzweifelt an diesen schwachen Hoffnungsschimmer. Vielleicht würde sich eines Tages das Schicksal doch noch wenden. Marco würde plötzlich doch noch erkennen, dass er sie liebte und ihr jenen Teil seines Herzens öffnen, den er bisher eisern verschlossen hielt. Vielleicht würde er sogar sagen, dass er sie niemals allein lassen wollte ...

2. KAPITEL

In ihren Träumen machte Marco ihr eine Liebeserklärung und bat sie, für immer bei ihm zu bleiben. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Seit einiger Zeit kam es Emily so vor, als würden sie sich immer weiter voneinander entfernen. Darum nahm sie jetzt ihren ganzen Mut zusammen.

„Marco, ich war stets offen und ... und ehrlich zu dir und ...“

Nein, es hatte keinen Sinn. Sie schaffte das nicht. Es war ganz einfach unmöglich, ihm die alles entscheidende Frage stellen: Willst du unsere Beziehung beenden?

Außerdem stimmte es auch gar nicht, dass sie stets offen und ehrlich zu ihm gewesen war. Dass sie sich in ihn verliebt hatte, behielt sie schon viel zu lange für sich. Seine abweisende Art schnürte ihr im entscheidenden Moment stets die Kehle zu.

Marco musterte sie schweigend. Sein dichtes dunkles Haar war kurz geschnitten und doch lang genug, dass Emily mit den Fingern hindurchstreichen konnte, wenn sie sich liebten. Das schwache Licht genügte ihr, um seine Augen zu erkennen und den scharfen Blick, den er unverwandt auf sie richtete. Erriet er ihre Gedanken und ahnte, wie sehr sie ihn begehrte? Kein anderer Mensch konnte einen derart durchdringend ansehen.

Das war schon an jenem ersten Abend so gewesen. Inmitten des Partygetümmels hatte Marco sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Und Emily hatte vergeblich versucht, seinem Zauber zu widerstehen und vernünftig zu bleiben.

Energisch verscheuchte Emily die aufkommenden Erinnerungen. Es hatte keinen Zweck, sich in die Vergangenheit zu flüchten. Hier und jetzt musste sie ihre Probleme lösen und herausfinden, warum sich Marco in der letzten Zeit so merkwürdig verhielt.

Doch die Erfahrungen in ihrer Kindheit machten es Emily schwer, über ihre Gefühle zu sprechen. Sosehr es in ihrem Inneren auch brodeln und kochen mochte – nach außen hin blieb sie stets gelassen. Und schwieg.

Hatte sie Angst, was passieren würde, wenn sie ihren Gefühlen endlich einmal freien Lauf ließ? Oder fürchtete sie sich schlicht und einfach vor der Realität? Eines war jedenfalls sicher: Irgendetwas stimmte mit Marco nicht. Er hatte sich eindeutig verändert, wirkte besorgt und in sich gekehrt.

Aber was konnte es sein, das ihn so sehr beunruhigte? Marco Fierezza war ein gut aussehender, erfolgreicher Geschäftsmann, der das Leben in vollen Zügen genoss. Ging es etwa doch um ihre Trennung? Spürte er, was sie in Wahrheit für ihn empfand und wollte der Sache schnell ein Ende setzen?

„Tut mir leid, Emily. Aber es stimmt ganz einfach nicht, dass du immer offen und ehrlich zu mir warst.“

Ihr blieb fast das Herz stehen. Er wusste Bescheid? Offenbar hatte er ihre Gedanken erraten und steuerte nun bewusst auf einen Streit zu. Wahrscheinlich, damit er sich endlich von ihr trennen konnte.

„Erinnerst du dich noch an das Abendessen, als du mir von deiner Ehe erzählt hast?“, fuhr Marco spöttisch fort. „Du hast zwar sehr offen gewirkt. Aber in Wahrheit hast du mir damals eine ganze Menge verschwiegen.“

Sie brachte kein Wort hervor. Ihre anfängliche Erleichterung verflog, und sogleich machten sich neue Sorgen breit.

Es geht also um meine Ehe, dachte Emily voller Bitterkeit. Bis jetzt hatte sie stets geglaubt, dass Marco wusste, wie bedrückend dieses Thema für sie war. Dass er begriff, wie sehr sie die Narben der Vergangenheit noch immer schmerzten. Aber offenbar hatte sie sich geirrt.

„Das habe ich doch nicht absichtlich getan, Marco“, erwiderte sie und versuchte möglichst ruhig zu bleiben. „Ich habe dir nichts bewusst verschwiegen.“ Wieso kam er überhaupt so plötzlich auf dieses Thema zu sprechen? Weil er nach einem Grund für die Trennung suchte? So etwas hatte er doch gar nicht nötig. Dieser Mann war viel zu selbstbewusst, um auf eine Ausrede zurückzugreifen oder die Wucht des Schlages zu mildern, den er ihr versetzen wollte.

Marco wandte verärgert den Blick ab. Wie dumm, dass er diese Sache überhaupt erwähnt hatte. Es war ganz gewiss nicht seine Absicht gewesen, Erinnerungen an vergangene Zeiten heraufzubeschwören. Doch nun war es zu spät. Seine Gedanken ließen sich nicht aufhalten ...

An jenem Abend hatte er Emily zum Essen in ein exklusives Restaurant ausgeführt und ihr während des Desserts ganz kühl und sachlich verkündet, dass er die Nacht mit ihr verbringen wollte. Schließlich war sie eine Frau von Welt – geschieden, unabhängig und kinderlos. Was hoffentlich auch so bleiben würde.

„Nur aus Interesse“, hatte er wie nebenbei hinzugefügt. „Was war eigentlich der Grund für die Scheidung?“ Bevor er den nächsten Schritt unternahm, musste er erst einmal über Emilys Vergangenheit Bescheid wissen.

Sekundenlang sah es so aus, als wollte sie nicht antworten. Doch er sah ihr an, dass sie seine Frage richtig verstanden hatte. Wenn sie jetzt schwieg, war der Abend vorüber, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte.

Als sie schließlich zu sprechen begann, überraschte ihn ihre

Unsicherheit. Emily stockte und stammelte, spielte mit dem Besteck und wirkte bei Weitem nicht mehr so ruhig und beherrscht wie zuvor. Ihre betroffene Miene ließ ihn sogleich Verdacht schöpfen; bestimmt war sie für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich. Wahrscheinlich hatte sie ihren Mann betrogen.

Umso mehr überraschten ihn ihre nächsten Worte. Genau wie das Mitgefühl, das er urplötzlich verspürte. Normalerweise neigte er nicht zu solchen Gefühlen.

„Ich war sieben, als ich meine Eltern durch einen Autounfall verlor“, begann Emily ihre Erzählung leise. „Danach kümmerte sich mein Großvater um mich. Er war Witwer, und er hat mich immer gut behandelt. Aber im Grunde konnte er mit kleinen Kindern nichts anfangen – und schon gar nichts mit traurigen kleinen Mädchen. Großvater war Professor an der Universität von Cambridge, ein sehr sanfter Mann ... und etwas weltfremd. Als Gutenachtgeschichten las er mir die Klassiker vor. Über Literatur wusste er eine ganze Menge, über das Leben eher weniger. Ich wuchs bei ihm sehr abgeschirmt und beschützt auf. Sein Freundeskreis war klein und bestand nur aus einer Handvoll älterer Akademiker und ... und Victor.“

„Victor?“, fragte Marco, als sie zögerte.

„Ja, Victor Lewisham, mein Exmann. Er hat bei Großvater studiert, bevor er selbst an der Universität unterrichtete.“

„Dann war er wohl beträchtlich älter“, warf Marco ein.

Emily nickte. „Zwanzig Jahre. Irgendwann begann Großvater zu kränkeln. Eines Tages rief er mich an sein Bett und sagte mir, dass Victor sich von nun an mich kümmern würde. Wenige Wochen später starb Großvater. Für mich war das ein schrecklicher Schock. Ich hatte damals gerade mit dem Studium begonnen und wusste zwar, dass er krank und schwach war; aber trotzdem konnte ich nicht . ich war nicht auf das Schlimmste vorbereitet. Als Victor mir dann einen Heiratsantrag machte und versicherte, Großvater hätte das so gewünscht, da ... also, ich ...“ Emily senkte den Kopf. „Ich hätte ablehnen sollen, aber ich traute mir nicht zu, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich hatte Angst und war feige“, fügte sie leise hinzu.

„Also eine Art Vernunftehe“, stellte Marco gleichmütig fest. „War er gut im Bett?“ Im selben Moment wünschte er sich, er hätte diese Frage nicht ausgesprochen. Dass er tatsächlich eifersüchtig war, störte Marco. Aber ihm gefiel der Gedanke einfach nicht, dass ein anderer Mann Emily erregen könnte. Bisher hatte er nie so gedacht. Sex war für ihn ein körperliches Bedürfnis, das er mit einer Frau befriedigte. Mit Gefühlen hatte das gar nichts zu tun. Erst als er aus seinen Grübeleien aufschreckte, bemerkte er die Tränen in Emilys Augen. Ihre nächsten Worte ließen ihn aufhorchen.

„Unsere Beziehung ... unsere Ehe wurde ... sie wurde nie körperlich vollzogen.“

Es fiel ihm schwer, seine Verwunderung nicht zu zeigen. Ausnahmsweise hielt er sich zurück und wartete gespannt auf eine genauere Erklärung.

„Ich war naiv“, fuhr sie fort. „Ich dachte, Victor würde sich nur beherrschen, weil ich so unerfahren war. In meiner Verwirrung habe ich mich nie gefragt, wieso er keinerlei Annäherungsversuche machte. Wäre ich nicht so behütet aufgewachsen und hätte mehr Zeit mit Altersgenossen verbracht, wäre alles anders gewesen. Dann hätte ich sicher gleich gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber ich erkannte die Wahrheit erst, als ich ihn mit jemand anderem im Bett überraschte.“

„Er hatte also eine Geliebte“, warf Marco ein.

Emily zögerte nur einen Augenblick. „Er hatte einen Geliebten“, korrigierte sie stockend. „Vermutlich hätte ich es gleich merken sollen. Wahrscheinlich dachte der arme Victor sogar, ich wüsste Bescheid. Er hat mich immer wie eine seiner Schülerinnen behandelt. Nicht wie eine Ehefrau. Aber für mich war es ein schlimmer Schlag, ihn mit einem Mann im Bett zu ertappen.“

Emily wich Marcos Blick aus und schüttelte den Kopf.

„Er nahm es mir ziemlich übel, dass ich einfach so hereingeplatzt bin. Und ich konnte mir meine eigene Dummheit nur verzeihen, indem ich die Scheidung verlangte. Zuerst war er nicht einverstanden. Victor gehörte mehr zur Generation meines Großvaters als zu meiner. Er kam mit seinen eigenen Neigungen nicht wirklich klar. Deshalb versuchte er, durch die Ehe den Schein zu wahren. Als ich versuchte, offen mit ihm über den Vorfall zu sprechen, wehrte er sofort ab. Und als ich ihm sagte, dass er lernen sollte, sich selbst zu akzeptieren, wurde er sogar ziemlich zornig.“

Sie zuckte die Schultern und lächelte bedauernd.

„Allerdings stellte sich bald heraus, dass seine geheimen Neigungen gar nicht so geheim waren, wie er gedacht hatte. Viele Leute wussten Bescheid, und darum hätte er auch nichts verbergen müssen. Doch er war eben so und konnte wohl nicht anders. Nun, mein Großvater hatte mir etwas Geld hinterlassen. So kam ich nach London und suchte mir Arbeit. Innenarchitektur hat mich schon immer interessiert. Darum studierte ich weiter, arbeitete eine Zeit lang für eine Einrichtungsfirma und machte mich schließlich vor zwei Jahren selbstständig. Ich suchte einen Neubeginn und wollte weg von allen Leuten, die mich von früher gekannt hatten. Mich und Victor. Bestimmt haben mich damals alle für schrecklich dumm gehalten, weil ich nichts merkte. Und ich kam mir selbst sehr albern vor – eine verheiratete Frau, die nie wirklich verheiratet war.“

„Eine geschiedene Jungfrau sozusagen?“, ergänzte Marco und lächelte.

„Ja“, räumte Emily ein. „Ich habe mir ein völlig neues Umfeld gesucht, in dem niemand etwas von meiner gescheiterten

Ehe wusste und daraus irgendwelche Schlüsse ziehen konnte.“

Der Kellner brachte die Rechnung, bevor Marco sich nach dem Mann erkundigen konnte, der ihr irgendwann dann doch die Liebe gezeigt haben musste. Er hätte gern mehr über ihn erfahren. Denn er beneidete ihn von ganzem Herzen.

Im Nachhinein begriff er nicht mehr, wieso er Emily damals eigentlich so sehr in die Enge getrieben hatte. Genauso wenig konnte Marco sich erklären, weshalb es ihn so zornig gemachte hatte, sich Emily mit einem anderen Mann vorzustellen. Schließlich kannten sie sich damals doch noch kaum.

Der Wunsch, Emily zu seiner Geliebten zu machen, war überwältigend gewesen. Kopfschüttelnd ging er auf sie zu. Inzwischen hatte er bekommen, was er wollte, und Emily teilte Nacht für Nacht sein Bett. Doch das Verlangen nach ihr war seitdem nur noch mehr gewachsen.

Emilys Herz klopfte wie rasend, als Marco näher kam. Sie waren nun seit fast drei Jahren ein Liebespaar. Trotzdem wirkte seine bloße Nähe auf sie noch immer so überwältigend wie beim ersten Mal. Seine männliche Ausstrahlung erregte und verwirrte sie auch jetzt, obwohl sich zwischen ihnen eine tiefe Kluft aufgetan hatte.

Bei ihrem ersten Treffen hatte sie zwar ein aufregendes Knistern gespürt. Doch es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie emotional und körperlich von Marco so abhängig werden könnte. Wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn sie das geahnt hätte? Hätte sie dann auf dem Absatz ihrer teuren Schuhe kehrtgemacht und wäre weggegangen?

Kurz vor Weihnachten war Emily zum ersten Mal aufgefallen, wie gereizt und bedrückt Marco sich benahm. Jeden Tag zog er sich etwas mehr in sich selbst zurück. Zuerst hatte sie angenommen, es ginge um ein sehr wichtiges Geschäft. Mittlerweile zweifelte sie jedoch an dieser Theorie.

Hätte die Veränderung kurz nach dem Tod seiner Eltern stattgefunden, wäre das nur natürlich gewesen. Marco zeigte zwar selten seine Gefühle; doch selbst ein Mann wie er litt, wenn er die Eltern durch einen Unfall verlor. Nach der Rückkehr vom Begräbnis war Marco jedoch sofort mit ihr ins Bett gegangen und hatte kein Wort über seine Familie verloren. Stattdessen hatte er sie voller Leidenschaft geliebt.

Überhaupt sprach er selten über seine Kindheit und nie über seine Familie. Anfangs hatte Emily das nicht gestört. Es war ihr sogar recht gewesen. Schließlich wollte sie in der Beziehung mit Marco die Vergangenheit hinter sich lassen und endlich die Welt der Leidenschaft kennenlernen.

In ihrer Ahnungslosigkeit hatte sie jedoch nicht die Gefahr erkannt, der sie sich aussetzte. Niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, sie könnte sich in Marco verlieben. Er hatte ihr offen und ehrlich erklärt, wie er lebte und was er von einer Beziehung erwartete. Solange sie zusammen waren, konnte sie sich bedingungslos auf seine Treue verlassen. Doch irgendwann würde ihre Beziehung enden, und das war es dann auch. Punkt und Ende.

Marco lehnte emotionale Bindungen ab. Daher durfte sie von ihm keine Gefühlsbezeugungen erwarten. Und auf keinen Fall durfte sie schwanger werden.

„Aber was ist, wenn es durch einen unglücklichen Zufall doch passiert?“, hatte sie einmal verunsichert gefragt.

„Es wird keinen unglücklichen Zufall geben“, hatte seine schroffe Antwort gelautet. „Und sollte doch einmal etwas schiefgehen, wirst du die Situation so schnell wie möglich bereinigen.“

Seine kaltherzige Haltung traf sie schwer, minderte jedoch nicht ihr Verlangen nach ihm. Darum redete Emily sich ein, dass es letztlich unwichtig war, wie er darüber dachte. Schließlich wollte sie mit Kindern ohnedies warten, bis sie den richtigen Mann gefunden hatte – der auch ein guter Vater sein würde.

Marco bemühte sich anfangs so sehr um sie, dass alle noch verbliebenen Zweifel wie weggewischt waren. Und auch ihr eigenes Begehren machte sie blind. Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff sie, was pure Lust bedeutete. Bei Tag und bei Nacht dachte Emily an Marco und an die Erfüllung, die sie in seinen Armen fand.

Ihr eigenes Geschäft lief gut, und sie konnte sich schon bald einen bescheidenen Luxus erlauben. Kurz nach ihrem Kennenlernen hatte Emily daher einen exklusiven Dessousladen aufgesucht. Sie wollte Marco überraschen und ihn erregen.

Heute lächelte sie darüber, wie sinnlich und mutig sie sich damals gefühlt und was sie sich alles ausgemalt hatte.

Marco hatte ihre Fantasie jedoch noch bei Weitem übertroffen.

In ihrem kleinen Haus in Chelsea zog er sie im Schlafzimmer ganz langsam aus und brachte sie schon vor Vorfreude zum Beben. Lange ließ er sie auf die erste Berührung warten. Und als er sie endlich streichelte, glitten seine Hände ganz sacht über ihre Haut und fachten ihr Verlangen nach mehr Intimität und Leidenschaft an.

Allein schon die Erinnerung weckte erneut ihr Begehren und ließ ihr Herz schneller schlagen. Damals hatte sie ihm gezeigt, wie ungeduldig sie war, doch er ließ sich nicht drängen. Mit den Lippen verwöhnte er ihre Brustspitzen, und seine Finger strichen über ihren Bauch und ihre Schenkel, Marcos erfahrene Bewegungen entlockten Emily ein leises Stöhnen.

Doch ausgerechnet bei seinem ersten leidenschaftlichen Kuss klingelte das Telefon neben dem Bett. Dummerweise hob Emily ab. Am Apparat war eine besonders schwierige Kundin, die sofort neue Ideen für ihre Einrichtung besprechen wollte. Als es Emily endlich gelang, das Gespräch zu beenden, hatte Marco sich bereits angezogen. Er lächelte zwar gelassen, machte ihr jedoch unmissverständlich klar, dass er es nicht gewohnt war, zu warten.

Der Vorfall war ihr eine Lehre. Nie wieder beging Emily diesen Fehler. Aber war es nicht ein viel größerer Fehler, dass sie ihr Leben ganz nach Marco ausrichtete?

Erst in jüngster Zeit war ihr klar geworden, dass sie sich insgeheim nach einem Ehemann und Kindern sehnte. Nach einer richtigen Familie. Sie wollte nicht ihr Leben lang Kunden helfen, die passenden Farben für das neue Wohnzimmer auszusuchen. Sie wollte nicht, dass ihr Mann von der Arbeit heimkam und ein leeres Haus mit einem unberührten Bett vorfand.

Wenn sie irgendwann heiratete und schwanger werden würde, wollte sie, dass ihre Kinder mit all ihren kleinen Freuden und Schmerzen zu ihr kommen konnten. Sie liebte ihre Arbeit und war stolz auf ihre beruflichen Erfolge; dennoch zog sie das liebevolle Lächeln eines Kindes einem luxuriösen Leben vor. Sie wollte geliebten Menschen ein schönes Heim erschaffen und die Freude erleben, wenn ihre Kinder oder der Ehemann sie umarmten.

Marco war dagegen ein Mann, der von Herausforderungen lebte. Drei Monate nach ihrem Kennenlernen hatte er sie aufgefordert, zu ihm zu ziehen. Und es kam zum ersten Streit, weil sie sich weigerte, ihren Beruf aufzugeben. Und das, obwohl er ihr einen großzügigen monatlichen Betrag versprach, die ihr Gehalt weit überstieg.

„Ich möchte bei dir sein, Marco“, hatte sie entschieden erklärt. „Trotzdem werde ich meine finanzielle Unabhängigkeit nicht aufgeben. Ich will dein Geld nicht.“

„Was willst du dann?“, fragte er geradezu misstrauisch.

„Dich“, erwiderte sie schlicht, und die Auseinandersetzung war vergessen.

Marco schätzte ihre Unabhängigkeit. Das hatte sie zumindest angenommen. Erst mit der Zeit fand sie heraus, dass er sie keineswegs respektierte, weil sie sein Geld und die teuren Geschenke ablehnte. Stattdessen benahm er sich misstrauisch und betrachtete sie sogar etwas geringschätzig.

Vielleicht hätte sie auf die Warnsignale achten sollen. Dann wäre sie nicht in diese hoffnungslose Lage geraten, in der sie sich jetzt befand.

3. KAPITEL

Die erste Zeit mit Marco war für Emily wundervoll. Er arbeitete zwar hart, verstand es jedoch auch, die schönen Seiten des Lebens zu genießen. Dieser Mann war daran gewöhnt, nur das Beste vom Besten zu bekommen.

Obwohl Emily seine herablassende Art und all den Luxus nicht sonderlich mochte, freute sie sich doch darüber, dass Marco sie so sehr verwöhnte. Mehrmals die Woche führte er sie aus. Vor allem aber verwirklichte er als Liebhaber all ihre Wunschvorstellungen. Durch ihn sammelte Emily erotische Erfahrungen, die sie niemals für möglich gehalten hätte.

Schon nach wenigen Wochen reagierte sie so empfindsam auf ihn, dass es völlig ausreichte, wenn er die Hand auf ihren Arm legte oder ihr in die Augen sah. Dann wusste sie sofort, dass er sie begehrte. Umgekehrt bedurfte es nur eines Blickes, um Marco ihr Verlangen zu zeigen. Ohne Worte sagte Emily ihm, dass sie mit ihm ins Bett gehen wollte.

Allerdings schafften sie es nicht immer bis ins Schlafzimmer. Marco war ein meisterhafter Liebhaber, der es genoss, ihr auf stets neue Weise Lust zu schenken. Gelegentlich sogar an ungewöhnlichen Orten. Mehr als einmal errötete Emily hinterher vor Scham, wenn sie an ein solches Erlebnis zurückdachte.

Oft liebte Marco sie die ganze Nacht oder den ganzen Tag über. Sie ihrerseits erwies sich als gelehrige Schülerin, deren

Verlangen im Lauf der Zeit immer mehr zunahm. Unter seiner geschickten Anleitung blühten ihre Sinnlichkeit und ihr Selbstbewusstsein geradezu auf.

Zum ersten gemeinsamen Weihnachtsfest schenkte er ihr einen wunderschönen Diamantring. Doch Emily überraschte ihn mit der Bitte, stattdessen für bedürftige Kinder zu spenden.

Marco ging wortlos darüber hinweg, doch an ihrem Geburtstag entführte er sie in ein romantisches Hotel und liebte sie dort, bis sie vor Glück und Erfüllung stöhnte. Anschließend überreichte er ihr zwei Diamantohrringe und sagte: „Übrigens, ich habe schon eine Spende für das Kinderheim veranlasst.“

In diesem Moment passierte es. Sie verliebte sich in Marco.

Heute wusste sie, dass dies eine unverzeihliche Dummheit gewesen war. Aber nun war es zu spät.

Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie Marco zu ihr ins Bett kam, um ihr dann sofort den Rücken zuzukehren. Der Sturm, der schon den ganzen Abend um das Haus tobte, heulte immer lauter.

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Emily sich wohlig geborgen gefühlt. Draußen stürmte und regnete es, doch ihr konnte nichts passieren, wenn Marco die Arme fest um sie schlang. Aber das tat er nicht. Im Gegenteil: Er hatte sich so weit wie möglich von ihr entfernt. Langweilte er sich mit ihr?

Marco hörte, wie Emily leise atmete. Er sehnte sich nach der körperlichen Befriedigung, die nur sie ihm verschaffen konnte. Und weshalb sollte er auch auf ihre Zärtlichkeiten verzichten? Er würde Emily eine beträchtliche Summe geben, als Dank für die gemeinsame Zeit. Von diesem Moment an würde sie nie wieder Geldsorgen haben und sich jeden Wunsch erfüllen können. Aber bis dahin war er dankbar, ihre Reize noch weiter genießen zu können.

Nach wie vor begriff er nicht, wieso er sie unverändert begehrte, während ihn viel erfahrenere Frauen schnell gelangweilt hatten. Noch erstaunlicher fand er, dass er sie nicht nur im Bett um sich haben wollte. Er unterhielt sich gern mit ihr, über alles Mögliche, und ließ sich von ihr sogar zu wohltätigen Spenden überreden.

Anfangs hatte er kaum glauben können, wie viel Emily von ihrem bescheidenen Einkommen für Not leidende Kinder ausgab. Ganz im Gegensatz zu seinem Großvater, der sich weigerte, den wenig begüterten Einwohnern von San Rinaldi zu helfen. König Giorgio vertrat die Meinung, dass die Armen vom Leben nicht mehr erwarten sollten, als ihnen die Insel bot.

Nein, Emily wäre bestimmt keine geeignete Mätresse für den König von San Rinaldi. Allerdings war Marco auch noch nicht der König.

Er drehte sich um und betrachtete sie. Ihre Brüste waren wie für seine Hände geschaffen, ihr schlanker Körper erregte ihn unbeschreiblich. Allein ihr ganz spezieller Duft genügte, um sein Begehren anzufachen. Obwohl er sie schon unzählige Male geliebt hatte, konnte er einfach nicht genug von ihr bekommen.

Eine innere Stimme warnte ihn vor dieser gefährlichen Anziehung, doch er hörte nicht darauf. Bevor er nach San Rinaldi abreiste, würde er diese Affäre ohnehin beenden. Dann würde er jegliche Erinnerung an sie auslöschen. Bestimmt ließ sie sich im Bett leicht ersetzen. Dass er sie jetzt begehrte, bedeutete noch lange nicht, dass er sie immer bei sich haben wollte. Nein, diese Gefahr bestand nicht, völlig abwegig!

Eine leichte Berührung genügte, dass Emily sich an ihn schmiegte und ihm bereitwillig entgegenkam. Als er die Bettdecke zurückschob, fiel ein schwacher Lichtschimmer auf ihre Brüste mit den aufgerichteten Knospen. Sachte strich er mit den Fingern drüber, bis Emily den Rücken durchbog und leise seinen Namen rief.

Aus ihren Augen traf ihn ein sinnlicher Blick, als Marco sie fester an sich drückte. Jetzt gab es für ihn nur noch ein Ziel – sich mit ihr zu vereinigen und die Ekstase zu genießen, die sie ihm schenkte.

Hingebungsvoll verlor er sich in ihr und stachelte die gemeinsame Leidenschaft immer weiter an. Seine Hände an ihren Brüsten entlockten ihr ein leises Stöhnen. Er fuhr mit den Lippen über ihren Hals und steigerte gleichzeitig den Rhythmus, bis sie schließlich unter seinen Zärtlichkeiten erbebte.

Emily lächelte verstohlen. Marco forderte stets alles von ihr. Selbst wenn er sie nur flüchtig küsste, suchte er Körperkontakt. Dagegen hatte sie nichts, absolut nichts einzuwenden. Sie fand es wunderbar, wenn er sie besitzergreifend in die Arme nahm. Nur dann durfte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen, anstatt sie zu unterdrücken. Jetzt musste sie sich nicht mehr beherrscht und gelassen geben.

Wenn Marco sie liebte, zügelte er seine Leidenschaft nicht im Geringsten. Das erlaubte Emily wiederum, ihr Begehren offen zu zeigen. Was sie im Bett teilten, war so ungehemmt, dass es sie beinahe erschreckte.

Mittlerweile kannte sie Marcos Stimmungen gut genug. Heute Nacht spürte sie in ihm eine unerklärliche Unruhe und ein ungeduldiges Drängen, das ihre eigene Anspannung verstärkte. Leise stöhnend bewegte sie die Beine, als er ihre Brustspitzen mit Lippen und Zunge verwöhnte, und er nahm die Einladung an und ließ die Hand zwischen ihre Schenkel gleiten.

Am Beginn der Beziehung hatte er ihre Unsicherheit gespürt und war behutsam auf sie eingegangen. Damit sie sich entspannte, hatte er sie einen ganzen Abend lang mit Champagner, Komplimenten und verführerischen Zärtlichkeiten verwöhnt. Erst später nahm er sie an der Hand und zog Emily ins Schlafzimmer, wo sie ihre nackten Körper im Spiegel betrachten konnte.

Es war ein atemberaubendes Erlebnis gewesen. Emily spürte Marco nicht nur, sondern sah ihn auch. Vor diesem Spiegel trug er sie in eine Welt voller unbeschreiblicher Empfindungen, die sie nie vergessen würde.

Sobald sie ruhiger atmen konnte, hatte sie sich bei ihm revanchiert, indem sie ihn vor demselben Spiegel reizte und erregte, bis er Erfüllung fand.

Auch jetzt, im Dunkeln des Schlafzimmers, vergaß sie ihre Sorgen und gab sich ganz seinen Liebkosungen hin. Ausnahmsweise zog er das Liebesspiel jedoch nicht in die Länge, sondern führte sie schnell und heftig dem Gipfel entgegen.

Der Wunsch, diese Frau ganz zu besitzen, trieb Marco mehr als sonst an. Emily erbebte ein weiteres Mal unter ihm und stand ihm in seiner Leidenschaft in nichts nach. Fiebrig erwiderte sie seine Küsse, strich ihm mit den Fingernägeln über den muskulösen Rücken und drückte seinen Körper an sich.

Reines Verlangen beherrschte sein Denken. Schon seit Langem dachte er nicht mehr über die möglichen Folgen ihres Liebesspiels nach. Emily kannte seine Meinung zu diesem Thema. Außerdem liebte sie es ganz besonders, ihn ohne einen Schutz in sich zu spüren.

Emily fühlte, dass sie nicht länger an sich halten konnte. Ahnte Marco überhaupt, wie tief er sie berührte und welch unaussprechliche Lust er ihr schenkte? Wusste er, wie sehr sie ihn begehrte und sich nach ihm sehnte?

Der Augenblick der Erfüllung war gekommen. Emily stöhnte laut auf, klammerte sich an Marco und bog den Kopf weit in den Nacken. Welle um Welle der Lust durchflutete sie, heftiger und noch heftiger, bis auch Marco sich aufseufzend von seinen Gefühlen davontragen ließ.

Tränen rollten ihr über die Wangen. Die letzten Minuten waren von einer solchen Intensität gewesen, dass sie ihr ganzes Sein ausfüllten. Wie konnte Marco ihr nur solche Leidenschaft schenken, ohne sie zu lieben? Aber vielleicht benahm er sich in letzter Zeit so merkwürdig, weil er sich eben doch in sie verliebt hatte. Möglicherweise wagte er es nur nicht, das zuzugeben.

Zärtlich schmiegte sie sich an ihn. Er war verwundbar, das wusste sie, doch er würde es niemals eingestehen. Sein Körper wärmte sie, und seine uneingeschränkte Nähe glich einem Versprechen. Plötzlich war Emily voller Hoffnung. Sie wollte ihm zeigen, dass die Liebe stärker und nicht schwächer machte. Und dass Gefühle für sie viel mehr zählten als alle Reichtümer dieser Welt.

Weshalb er so kühl und unnahbar war, wusste sie nicht. Sie nahm jedoch an, dass er als junger Mann verletzt worden war. Wahrscheinlich hatte er sich geschworen, nie wieder zu lieben. Einen stolzen Mann wie Marco traf eine Zurückweisung sicher besonders hart.

Als Marco und sie sich erstmals gemeinsam in der Öffentlichkeit gezeigt hatten, waren viele Freunde zu Emily gekommen, um über ihn zu reden. Sie erzählten von zahlreichen Frauen, die man mit ihm gesehen hatte. Erstaunlicherweise wusste jedoch niemand über sein Vorleben Bescheid. Fast schien es, als hätte er nicht existiert, bevor er nach London gezogen war.

Marco schirmte seine Vergangenheit und seine Privatsphäre vollständig ab. Sehr schnell merkte Emily, dass er sich nur noch mehr verschloss, wenn sie etwas von ihm erfahren wollte.

Schläfrig rekelte sie sich. Bestimmt hatte es etwas zu bedeuten, dass sie nach drei Jahren noch immer zusammen waren. War es wirklich ausgeschlossen, dass er sich in sie verliebt hatte, vielleicht, ohne es selbst gleich zu merken?

4. KAPITEL

„Ich will Rosa! Überall Rosa, wohin man auch blickt! Und dann brauche ich offene Regale für meine Schuhe. Meine Fans wissen, dass ich ein totaler Schuh-Freak bin.“

Emily fiel es äußerst schwer, sich auf die Erklärungen ihrer neuesten Kundin zu konzentrieren. Und das lag nicht nur daran, dass der Fernsehstar schreckliche Vorstellungen davon hatte, wie eine Wohnung aussehen sollte.

Ihre übliche professionelle Haltung und die Liebe zur Arbeit litten in den letzten Wochen, weil Emily ständig müde war. Zudem wurde sie immer wieder von Übelkeit geplagt. Hoffentlich war diese Grippewelle in London bald vorbei!

Die prominente Dame sah ungeduldig auf die Uhr. „Ist das hier denn wirklich nötig?“, fragte sie ihre PR-Assistentin in nörgelndem Tonfall. „Ich dachte, ich mache eine Fernsehdokumentation über das neue Design meiner Wohnung. Muss ich dazu unbedingt ein Gespräch mit dieser Dekorateurin über mich ergehen lassen?“

Während die PR-Assistentin versuchte, ihre Arbeitgeberin zu beruhigen, zog Emily sich diskret zurück. Sie hatte noch geschlafen, als Marco heute Morgen ins Büro gefahren war. Auf der Küchentheke hatte sie eine Nachricht von ihm vorgefunden, die besagte, dass er noch etwas Wichtiges zu erledigen hätte.

Dass er schon so früh arbeitete, war nicht ungewöhnlich.

Heute allerdings sehnte Emily sich unbeschreiblich danach, bei ihm zu sein.

Was war nur los mit ihr? Sonst wurde sie nicht gleich sentimental, wenn Marco losging, ohne sie zu wecken und zum Abschied zu küssen. Emily hielt es für das Beste, die ungeheure Sehnsucht nach ihm zu unterdrücken. Das gelang ihr jedoch nicht. Im Gegenteil, der Wunsch nach seiner Gegenwart wurde immer stärker.

Seufzend blickte sie auf ihre Armbanduhr. Es war fast schon Mittagszeit. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Marco sie eingeladen, ihn doch einmal in seinem Büro zu besuchen. Emilys Herz schlug schneller, während sie sich daran erinnerte ...

Seine Begrüßung war alles andere als freundlich gewesen. „Da bist du ja endlich. Wie du weißt, hasse ich es, zu warten“, erklärte er finster, nachdem die Sekretärin Emily in sein Büro geführt hatte. „Noch zwei Minuten später, und du wärst nicht mehr hereingelassen worden. Da hast du ja gerade noch mal Glück gehabt, Emily“, fügte er herablassend hinzu.

Mit einem solchen Empfang hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Stumm schüttelte sie den Kopf.

„Wenn du dir einen Vorteil davon versprichst, mich hinzuhalten .“

„Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?“, fiel Emily ihm hastig ins Wort. Seine Vorwürfe schockierten sie dermaßen, dass sie zu spät begriff, was sie gerade gesagt hatte. Das wurde ihr erst bewusst, als Marco langsam auf sie zukam.

„Wenn das so ist“, sagte er leise, „haben wir etwas nachzuholen, nicht wahr?“ Damit griff er nach ihren Händen und zog Emily an sich.

Ihre freudige Erregung blieb ihm nicht verborgen. Er lächelte zufrieden. Allerdings erkannte Emily bald, dass er sie genauso begehrte wie sie ihn. Seine Stimme war rau vor Verlangen, als er ihr Worte voller Leidenschaft ins Ohr flüsterte.

Hätte das Telefon nicht geklingelt, wäre es bestimmt in seinem Büro zu einer verführerischen Mittagspause gekommen. Marco hatte bereits Emilys Bluse geöffnet und massierte sanft und sinnlich ihre Brüste.

Das Telefon störte sie, gerade als er die Lippen um eine Brustspitze schloss. Während er den Hörer abhob, versuchte Emily, sich hastig wieder anzuziehen. Aber er hielt sie zurück und ließ während des Gesprächs eine Fingerspitze über ihre aufgerichtete Brustspitze kreisen.

Auch jetzt noch wurde Emily bei dieser Erinnerung von heißem Begehren überflutet. Was Marco damals mit mir angestellt hat, dachte sie und lächelte. Seine aufreizenden Bewegungen hatten in krassem Gegensatz zu dem geschäftsmäßigen Ton gestanden, in dem er sich mit dem Anrufer unterhielt. Als Marco schließlich auflegte, wollte sie nur noch eins: dass er sie auf der Stelle nahm und leidenschaftlich liebte.

Doch dann musste sie erkennen, dass sie sich wieder einmal in ihm getäuscht hatte. Unvermittelt ließ er sie los und knöpfte ihre Bluse zu. „Lass uns etwas essen gehen“, sagte er kühl.

Damals hatte sie ihn noch nicht gut genug gekannt, um sein Verhalten zu verstehen. Er hatte sie ganz bewusst erregt, ohne ihr Erfüllung zu schenken. Als süße Strafe dafür, dass sie ihn hatte warten lassen. Und um ihr zu zeigen, wer in dieser Beziehung die Kontrolle hatte.

Die erste Zeit mit Marco war so aufregend gewesen, dass Emily sich plötzlich danach sehnte, sie neu zu beleben. Entschlossen wandte sie sich an die PR-Assistentin des nörgelnden Stars. „Ich muss jetzt leider los“, erklärte sie entschieden. „Sie haben ja meine E-Mail-Adresse, falls Sie etwas von mir wollen.“

Der schockierte Gesichtsausdruck der Frau ließ zwar darauf schließen, dass Emilys Firma diesen Auftrag wohl verlieren würde. Im Moment war ihr Marco jedoch wichtiger als alles andere.

Gedankenverloren stand Marco neben seinem gläsernen Schreibtisch, von dem aus er seine Geschäfte führte. Als er vor vielen Jahren San Rinaldi verließ, um es ohne Adelstitel in der Welt zu etwas zu bringen, hatte sein Großvater nur laut gelacht und gemeint, er würde in spätestens einem halben Jahr zurückgekrochen kommen.

Beinahe hätte der alte Mann recht behalten. Marco machte sich in diesem Punkt nichts vor. Schließlich war er damals erst zweiundzwanzig Jahre alt gewesen, und sein jugendliches Selbstvertrauen hatte bei Weitem seine Kenntnisse der internationalen Finanzwelt übertroffen.

Anfangs hatte er ununterbrochen Geld an der Börse verloren. Doch als er schon mit dem Schlimmsten rechnete, starb eine Tante in Italien und hinterließ ihm ein beträchtliches Vermögen. Und auch ein zweiter Glücksfall kam ihm zu Hilfe: Einer der reichsten Unternehmer in der Londoner City wurde auf ihn aufmerksam und nahm ihn unter seine Fittiche. Dieser Mann brachte ihm alles bei, was er wissen musste. Vor allem schärfte er Marcos Instinkte, was wichtige Transaktionen und Vertragsabschlüsse anging. Innerhalb eines Jahres gelang es Marco, sein Erbe zu verdoppeln. Nach fünf Jahren war er bereits aus eigener Kraft zum Millionär aufgestiegen.

Emily hatte ihm das Büro neu eingerichtet. Der Schreibtisch war ein Geburtstagsgeschenk von ihr, genau wie das Foto in dem antiken Silberrahmen. Auf dem Bild blickte Emily lächelnd und voller Verlangen zu ihm auf. Sein Gesicht lag im Schatten und war halb verborgen. Trotzdem erkannte jeder bei genauerem Hinsehen, wie sehr Marco sie begehrte. Seine Körperhaltung und der Ausdruck seiner Augen sprachen Bände. Und Emilys strahlendes Lächeln machte nur allzu deutlich, wie sehr sie es genoss, von einem derart reichen Liebhaber im Arm gehalten zu werden.

„Marco“, hatte sein Großvater einmal zu ihm gesagt, „die Könige von San Rinaldi empfangen Liebe, aber sie geben keine. Sie stehen über anderen Menschen, die schwächer sind als sie. Und im Gegensatz zu diesen simplen Gemütern verwechseln sie Verlangen niemals mit irgendwelchen unsinnigen Gefühlen.“

Damit war die Lektion jedoch noch nicht beendet.

„Du bist ein junger Mann“, fuhr sein Großvater fort, „und du wirst bald feststellen, dass du dank deines Standes die schönsten und ehrgeizigsten Frauen der Welt anziehst. Du kannst frei unter ihnen wählen und bekommst, was immer du haben willst. Sie werden dir ihre Körper schenken und als Gegenleistung Geld und gesellschaftliche Anerkennung fordern. Jedes Mittel wird ihnen recht sein, um in dein Bett zu kommen. Dafür werden sie intrigieren, lügen und betrügen.“

König Giorgios Stimme hatte schroff geklungen, als er weitersprach. „Wenn du dumm genug bist, auf diese Frauen hereinzufallen, werden sie dir uneheliche Kinder anhängen. Und eines Tages werden deine illegitimen Nachkommen dann eine große Gefahr für San Rinaldi darstellen. Deshalb ließen die Sultane im Morgenland vor ihrer Thronbesteigung einst auch sämtliche männlichen Halbgeschwister töten. Auf diese Weise verhinderten sie schreckliche Erbfolgekriege.“

Die letzte Warnung sprach der alte König mit erhobenem Zeigefinger aus. „Genieße die Frauen, sosehr du nur willst. Aber denke stets daran, was ich dir gesagt habe. Letztlich wirst du zum Wohle deines Reichs eine junge Frau von königlichem Geblüt und makelloser Tugend heiraten. Sie, und nur sie, wird dir legitime Erben gebären. Wenn du weise bist, Marco, werden das deine einzigen Nachkommen sein.“

Nun, bisher war er weise gewesen, oder etwa nicht? Dabei sollte es auch bleiben.

Er richtete den Blick auf den Brief, der vor ihm auf dem Tisch lag. Der Umschlag trug das königliche Wappen und eine Briefmarke von San Rinaldi. Wegen dieses Schreibens war Marco heute Morgen bereits so zeitig im Büro.

Der Brief stammte von seinem Großvater und enthielt die Einzelheiten seiner bevorstehenden Abdankung. Außerdem informierte König Giorgio ihn darin, dass das Volk von San Rinaldi bereits auf Marcos Rückkehr vorbereitet worden war und ihn als zukünftigen neuen Herrscher begrüßen würde.

Marco musste unbedingt mit seinem Großvater sprechen. Leider verlangte es das altertümliche Protokoll, dass er sich dabei an eine umständliche Prozedur hielt. Kein Berater des Königs durfte sich übergangen fühlen. Marco war fest entschlossen, diese lästigen Berater einfach abzuschaffen, sobald er König war.

San Rinaldi sollte von modernen, aufgeschlossenen Leuten regiert werden, die seiner eigenen Generation entstammten und genau wie er dachten. Es war Marco auch schon gelungen, in diskret geführten Telefonaten geeignete Männer für diesen Job auszuwählen.

Ungeduldig sah er auf die Uhr. In genau zwanzig Minuten würde das Telefon klingeln und der königliche Sekretär mit brüchiger Stimme ankündigen, dass seine Majestät nun zu sprechen war.

Marco seufzte. Der alte Kammerherr hörte schlecht – genau wie König Giorgio. Doch weil er grundsätzlich nie eine Schwäche zugab, leugnete Marcos Großvater seine Schwerhörigkeit standhaft.

Trotz allem mochte Marco seinen Großvater, der ihm gegenüber widerwillig Respekt zeigte. Stolz und kühle Selbstbeherrschung verhinderten, dass sie offen Gefühle zeigten.

Stattdessen hielten sie an den Rollen fest, in die sie in Marcos Jugendjahren verfallen waren. Sein Großvater verhielt sich stets als missbilligender Vormund, und Marco spielte das rebellische schwarze Schaf.

Erneut sah er auf die Uhr. Dieser ganze Aufwand, nur um seinem Großvater zu sagen, dass er nach Abschluss seiner laufenden Geschäfte so schnell wie möglich nach San Rinaldi zurückkehren würde; Marco schüttelte den Kopf. Das alles hätte sich auch mit einem einzigen kurzen Anruf erledigen lassen.

Ein ganz bestimmtes Problem ging seinen Großvater allerdings nichts an. Daher wollte Marco es auch nicht zur Sprache bringen. Vermutlich dauerte es bis zu seiner endgültigen Heimkehr ohnedies noch einige Wochen. Sein Entschluss stand fest. Bis es so weit war, hatte es keinen Sinn, Emily das Ende ihrer Beziehung anzukündigen. Wie die Dinge lagen, war ein sauberer Schnitt das Beste. Marco würde Emily zur gegebenen Zeit sagen, dass es aus war und er das Land verließ. Ende.

Als Marco Fierezza hatte er sie zum ersten Mal in sein Bett geholt, und daher brauchte er ihr seine königliche Herkunft jetzt nicht zu enthüllen. Emily sah in ihm einen wohlhabenden Unternehmer und ihren Liebhaber, aber nicht den zukünftigen König von San Rinaldi. Bestimmt fand sie irgendwann heraus, wer er wirklich war. Schließlich interessierten sich die Paparazzi sehr für das Königshaus Rinaldi. Dann würden sie beide jedoch bereits getrennte Wege gehen.

Eine feste Bindung war nie eingeplant gewesen. Das hatte Marco gleich zu Beginn klargestellt. Inzwischen teilten sie allerdings schon seit drei Jahren das Bett, wogegen ihn frühere Freundinnen meistens schon nach drei Monaten gelangweilt hatten.

Bewusst verdrängte Marco jeden Zweifel. Sicher, im Bett harmonierten er und Emily großartig. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass er mit sechsunddreißig nicht mehr so hitzig war wie früher und daher weniger Abwechslung brauchte.

Begnügte er sich tatsächlich schon mit dem Gewohnten und Alltäglichen? Vielleicht wirkte es sich gut aus, dass er die eingefahrenen Gleise verließ. Vielleicht tat das sogar ihnen beiden gut.

Unerwartet stieg heiße Eifersucht in ihm hoch. Was sollte das? Wieso um alles in der Welt machte es ihn rasend, sich Emily mit einem anderen Mann vorzustellen? Marco presste die Lippen fest aufeinander. Nein, es ging ihm dabei nur um Emily und nicht um ihn selbst. Sie war verwundbar, er dagegen nicht. Ihre Erfahrungen auf sexuellem Gebiet unterschieden sich sehr von seinen. Deshalb – und nur deshalb – befürchtete er, dass sie an den Falschen geriet. Nicht jeder Liebhaber würde sie so gut behandeln wie er.

Beim Anblick des Fotos erinnerte Marco sich daran, wie er Emily das erste Mal geliebt hatte. Eigentlich hatte er sie überraschen wollen, doch letztlich drehte sie den Spieß um, erstaunte und überwältigte ihn ...

Sichtlich aufgeregt hatte sie vor ihm gestanden, als er sie in ihrem Laden aufsuchte und ankündigte, dass er mit ihr für einige Tage verreisen wollte. Als Marco sie einige Stunden später abholte, verriet ihre Miene deutlich, wie sehr sie ihn begehrte. Umgekehrt sehnte auch er sich nach ihr.

Was Liebe anging, war er zu Emily absolut offen. Manche hätten sein Verhalten wahrscheinlich sogar brutal offen genannt. Er hatte ihr erklärt, dass er für alberne Gefühle keine Zeit hatte. Und dass er seine bisherigen Affären sofort beendet hatte, wenn eine der Frauen ihm ihre Liebe gestand.

Emily nahm das alles gelassen hin. Sie beabsichtigte nicht, sich zu verlieben. Wichtiger war für sie körperliche Erfüllung. Zumindest betonte sie das immer wieder.

Damals hatte er für sie beide ein Haus auf einer exklusiven kleinen Privatinsel vor der französischen Küste gemietet. Das Ambiente war völlig auf Liebespaare abgestimmt, für deren Wohl aufmerksam und diskret gesorgt wurde.

Die einzelnen Gästehäuser standen weit voneinander entfernt, und jedes verfügte über einen eigenen Pool. Die Mahlzeiten konnte man im Haus oder im Hotelrestaurant einnehmen, das mit drei Sternen ausgezeichnet war. Im Hauptgebäude gab es außerdem eine elegante Bar und einen Nachtklub.

Zur Unterhaltung der Gäste wurden Tauch- und Segelkurse angeboten, und die dichter besiedelten Nachbarinseln konnte man per Hubschrauber erreichen.

Nach ihrer Ankunft am späten Nachmittag hatten sie gemeinsam die herrliche Gartenanlage erkundet. Emily hielt seine Hand fest umschlossen, während sie hingerissen den traumhaften Sonnenuntergang genossen.

Zurück im Gästehaus, zogen sie sich gegenseitig hastig und voller Verlangen aus, bevor sie zusammen in dem luxuriösen Badezimmer duschten. Emily erfüllte Marcos Hoffnungen und übertraf sie sogar. Sie war überraschend hingebungsvoll und reizte ihn geschickt, bis er sich nicht mehr zurückhalten konnte.

Allerdings irritierte ihn, dass sie regungslos verharrte, als er sich ganz mit ihr vereinigte. Zuerst dachte er, sie wolle seine männliche Kraft so sehr spüren wie er ihre weibliche Hingabe. Dann kam ihm die Idee, dass Emily mit ihm spielte. Sie nahm vermutlich an, es würde ihn erregen, wenn sie sich scheu und unschuldig gab.

Die Ungeduld, mit der er auf die Erfüllung ihrer beider Sehnsucht gewartet hatte, trübte seinen Blick. Darum erkannte Marco die Warnzeichen nicht und kam erneut tief und kraftvoll zu ihr. Erst als Emily sich verkrampfte und das Gesicht verzog, begriff er die Wahrheit.

Emily war noch Jungfrau.

Im ersten Moment hatte er Zorn verspürt. Mit einer vollkommen unerfahrenen Frau zu schlafen war schließlich mit viel zu viel Verantwortung verbunden.

„Verdammt, was soll das?“, fragte er wütend. „Na schön, du hast mir von deiner Ehe erzählt, aber ich nahm an, du hättest später ... einfach nur, um einmal ...“

„Um einmal was?“, erwiderte sie heftig. „Hast du gedacht, ich hätte mich dem erstbesten Mann an den Hals geworfen?“

Sein Zorn legte sich, weil Emilys Stimme trotz des scharfen Tons brüchig klang und er ihr die Unsicherheit ansah.

„Ja, ich habe natürlich mit dem Gedanken gespielt“, fuhr sie fort. „Letztlich war ich aber doch zu ängstlich und vielleicht auch zu moralisch. Wenn du willst, kannst du meinem Großvater die Schuld daran geben. Mit einem Mann Sex zu haben, nur um es endlich zu erleben, fand ich unvorstellbar. Ich wollte auf einen Mann warten, den ich ... den ich begehre.“

Marco zuckte lässig die Schultern. Er wollte sich weder mit seinen eigenen noch mit ihren Gefühlen auseinandersetzen. „Falls du erwartest, dass ich mich darüber freue, muss ich dir sagen .“

„Du musst mir gar nichts sagen, Marco“, fiel sie ihm entschieden ins Wort. „Du zeigst schließlich sehr deutlich, was du davon hältst.“

Er ging einfach darüber hinweg. „Ich weiß nicht, was du denkst oder hoffst“, erklärte er nur. „Es stimmt allerdings nicht, dass alle Männer davon träumen, einer Frau die Unschuld zu nehmen. Auf mich trifft das ganz sicher nicht zu. Ich bin mit dir hierhergeflogen, damit wir unser gegenseitiges Verlangen befriedigen – wie das erwachsene Menschen nun mal tun. Das bedeutet, dass wir einander nicht nur begehren, sondern auch unsere sexuellen Wünsche und Möglichkeiten kennen.“

„Tut mir leid, wenn du glaubst, dass ich dich hereingelegt habe“, erwiderte Emily verletzt. „Vielleicht hätte ich dich vorwarnen sollen.“

„Nur vielleicht?“

Seine spöttische Frage traf sie. „Ich wusste nicht, dass dir das so wichtig ist. Außerdem dachte ich, dass du es vielleicht gar nicht merken wirst.“

Unter seinem ungläubigen Blick wurde sie rot.

„Aber du bist eine unberührte Frau voll von Erwartungen – oder etwa nicht?“, fragte er, noch immer aufgebracht, nach.

„Ja, und du könntest diese Erwartungen erfüllen“, erwiderte sie ruhig.

„Du traust mir das wirklich zu? Du meinst, ich kann damit umgehen?“

„Ich traue es uns beiden zu“, sagte sie und lächelte. „Ich bin eine Frau, die an gegenseitige Erfüllung glaubt. Wenn zwei Menschen das Gleiche wollen, wird es sie mit Freude erfüllen. Das gilt auch für uns, selbst wenn ich in unserem Unternehmen gewissermaßen nur dein Juniorchef bin.“

Er war nicht daran gewöhnt, geneckt zu werden oder in intimen Momenten zu lachen. Jetzt merkte er plötzlich, wie anregend Emilys Unbeschwertheit auf ihn wirkte.

Später liebte er sie behutsam und langsam, und als Belohnung für seine Geduld zeigte sie ihm zuletzt höchste Leidenschaft. Sie war es, die ihn schließlich antrieb und mehr verlangte, bis er sich genau wie sie in der gemeinsamen Lust verlor und sie gemeinsam die überwältigende Macht des Höhepunkts erlebten.

Wieso musste er ausgerechnet jetzt daran denken, während er auf den Anruf aus San Rinaldi wartete? Gereizt fuhr sich Marco durch die Haare. Die ganze Geschichte war so gut wie abgeschlossen. Zwischen ihm und Emily war es aus – beziehungsweise stand das Ende unmittelbar bevor.

Jemand klopfte leise an die Tür. Marco runzelte unwillig die Stirn. Er hatte seiner Assistentin ausdrücklich erklärt, dass er nicht gestört werden wollte. Seine Miene blieb unverändert finster, als sich die Tür öffnete und Emily lächelnd hereinkam.

Marco geriet nur selten aus dem Gleichgewicht. Doch jetzt erlebte er einen dieser seltenen Augenblicke.

„Mein Treffen hat früher geendet als erwartet“, erklärte sie fröhlich. „Darum bin ich hergekommen und wollte fragen, ob du Zeit für mich hast. Gehen wir essen?“ Als er nicht gleich antwortete, schloss sie die Tür und kam langsam näher. „Vielleicht gehen wir auch gar nicht weg“, fuhr sie spielerisch fort. „Erinnerst du dich noch, wie wir ... Marco, stimmt etwas nicht?“, fragte sie plötzlich verunsichert.

Erst als ihr Lächeln erstarrte, begriff er, dass er zu zögerlich reagierte. Früher hätte ihm das nichts ausgemacht. Heute hingegen tat es ihm leid, weil seine Zerstreutheit Emily verletzte. Beinah hätte er sich sogar entschuldigt.

Entschuldigt? Er? Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Er entschuldigte sich nie bei irgendjemandem.

„Nein, alles in Ordnung“, versicherte er, auch wenn seine Gefühle eigentlich eher in Unordnung geraten waren. Er hatte doch nicht etwa ein schlechtes Gewissen? Natürlich belog er Emily, indem er ihr die wahren Zusammenhänge verschwieg. Aber das war seine Pflicht. Warum also bereitete es ihm mit einem Mal Sorgen?

Nein, sie kennt die Abmachung, beruhigte er sich. Es ärgerte ihn, dass er das dumme Schuldgefühl trotzdem nicht loswurde. Anstatt sich mit den wahren Ursachen auseinanderzusetzen, richtete er diesen Ärger auf Emily.

„Das glaube ich dir nicht. Irgendetwas ist hier doch los“, behauptete sie entschieden. „Du hast mich vorhin angesehen, als wäre ich der letzte Mensch, den du jetzt hier haben willst.“

„Das ist Unsinn! Ich habe ganz einfach nicht mit dir gerechnet.“ Er schob den Ärmel seines maßgeschneiderten Anzugs zurück und sah auf die teure Armbanduhr. „Sieh mal, ich kann hier jetzt nicht weg. Jeden Moment kommt ein sehr wichtiger Anruf, und danach habe ich einen Termin.“

Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber er wollte keinesfalls, dass Emily ihm anbot zu warten, während er mit seinem Großvater telefonierte. Zum einen hatte er keine Ahnung, wie lange das Gespräch dauerte. Und zum anderen war er noch nicht bereit, Emily reinen Wein einzuschenken, mochte das auch unvermeidlich sein.

Er konnte sich einfach noch nicht dazu durchringen, auf ihre Nähe zu verzichten. Würde er dazu überhaupt jemals fähig sein? Unwillig schob er diesen unerfreulichen Gedanken beiseite.

„Mrs. Lawson hätte dir sagen sollen, dass ich nicht gestört werden möchte“, erklärte er kurz angebunden.

Weil er sie so ungeduldig abfertigte, bereute sie schon, überhaupt hergekommen zu sein. In seiner herablassenden Art vergaß Marco gelegentlich, wie leicht er sie verletzen konnte. Aber Emily war zu stolz, um ihren Schmerz zu zeigen.

„Mrs. Lawson war gar nicht da, als ich kam.“

„Nicht da? Sie ist doch meine persönliche Assistentin. Wo steckt sie denn?“

„Vielleicht musste sie zur Toilette, Marco. Das kannst du ihr wohl kaum verübeln. Also, tut mir leid, wenn es dir jetzt nicht passt“, fuhr sie seufzend fort. „Vermutlich hätte ich vorher anrufen sollen.“

„Ja, das wäre besser gewesen“, bestätigte er gereizt. Jeden Moment würde das Telefon klingeln. Wenn Marco sich meldete, würde man die laute Stimme des schwerhörigen alten Beraters im ganzen Raum vernehmen. Der Herzog hatte sich nie an die Vorteile der modernen Technik gewöhnt und glaubte auch heute noch, man würde ihn am Telefon nur hören, wenn er so laut wie möglich sprach. Und bestimmt

würde er Marco mit „Hoheit“ anreden.

Emily fühlte sich wie erstarrt und wurde blass. Marco behandelte sie, als wäre sie eine flüchtige und noch dazu ungern gesehene Bekannte.

„Keine Sorge, ich werde dich nicht weiter stören“, erwiderte sie abweisend. Sie wollte nur so schnell wie möglich von Marco und seinem Büro wegkommen. Vor allem fürchtete sie, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Er sollte nicht sehen, wie verletzt sie war. Zu ihrer Erleichterung hörte sie jemanden im Vorraum. Vermutlich die Assistentin, die zurückkehrte. Hastig öffnete Emily die Tür, fing einen überraschten Blick von Marcos Mitarbeiterin auf und eilte gesenkten Hauptes weiter.

Was ist bloß mit mir los, fragte sie sich verzweifelt, als sie wenige Minuten später in ein Taxi stieg. Sie war doch kein junges Mädchen mehr, das seine Emotionen nicht kontrollieren konnte. So leicht ließ sie sich sonst nicht aus der Fassung bringen.

Schließlich war sie über zwanzig und geschieden, und sie kannte und liebte Marco nun schon seit drei Jahren. Mit ihm hatte sie Erfahrungen gesammelt, die ihr Selbstbewusstsein stärkten und ihr eine sinnliche Ausstrahlung verliehen. Besonders im ersten gemeinsamen Jahr war diese Veränderung dermaßen auffällig gewesen, dass eine ihrer Kundinnen scherzhaft gemeint hatte: „Wenn Sie nicht vorsichtig sind, werden Sie noch Aufträge verlieren.“

„Wieso denn das?“, fragte Emily erstaunt.

„Eifersucht“, erwiderte die Kundin kurz und bündig.

„Sie meinen, weil ich mit Marco zusammen bin und andere Frauen gern an meiner Stelle wären?“

„Das könnte durchaus zutreffen. Allerdings habe ich eher daran gedacht, dass diese Frauen um ihre Ehemänner fürchten, seit Sie so eine verführerische neue Ausstrahlung haben, meine Liebe.“

Verlegen wehrte Emily das Kompliment ab und merkte, wie sie rot wurde.

„Sie können das weder leugnen noch ignorieren“, versicherte die Kundin kopfschüttelnd. „Diese Ausstrahlung umgibt Sie wie ein sanfter Schimmer. Nichts reizt einen Mann mehr als eine Frau, der man ansieht, dass sie begehrt und geliebt wird.“

Vermutlich war diese Ausstrahlung inzwischen verschwunden. Das ist der Preis, den ich zahle, dachte Emily, weil ich mich nicht an die Regeln gehalten habe. Ich sehne mich nicht nur nach etwas Unerreichbarem, sondern zerstörte auch, was ich bereits gewonnen hatte.

Der Taxifahrer wartete darauf, dass sie ihm das Ziel nannte. Sie beugte sich zu ihm und sagte ihm die Adresse von Marcos Wohnung.

Marcos Wohnung – ja, für Emily war das nicht ihr gemeinsames Apartment, sondern seins. Dabei erlaubte Marco ihr, alles nach ihrem Geschmack zu verändern. Er stellte ihr für die Renovierung sogar eine beachtliche Summe zur Verfügung. Doch alle Anschaffungen in Wohnzimmer, Küche oder Bad bedeuteten nichts, wenn nicht auch die richtigen Gefühle damit verbunden waren.

Wie konnte das geschehen? Wieso hatte sie sich in Marco verliebt? Weshalb konnte sie sich nicht mit dem zufriedengeben, was er ihr bot? Sie begehrten einander, und das gegenseitige Verlangen wuchs beständig. Marco hatte ihr geholfen, die Leere nach der Scheidung zu überwinden und die tiefen Depressionen hinter sich zu lassen. Die intimen Stunden mit ihm hatten ihr neuen Lebensmut gegeben. Warum reichte das nicht? Nein, ich musste mich ja unbedingt in ihn verlieben! Emily seufzte.

Starr blickte sie auf die Straße hinaus. Natürlich könnte sie ihm ihre Gefühle gestehen. Und sie könnte sich von dem schlechten Gewissen befreien, dass sie nicht ehrlich zu ihm

war. Andererseits lähmte die Angst sie, ihn zu verlieren.

Ärgerlich befahl sie sich, endlich mit den Grübeleien aufzuhören. Aber es gelang ihr einfach nicht. Die Frage, was mit Marco los war, beschäftigte Emily unablässig. Und was für eine Beziehung war das überhaupt, in der ihr der Mann ins Gesicht sagte, dass es für sie keinen Platz in seinem Leben gab?

Das Taxi hielt. Emily zögerte, weil sie keine Lust hatte, nach oben in die Wohnung zu gehen. Dafür war sie innerlich viel zu aufgewühlt. Allerdings kam bereits ein neuer Kunde auf das Taxi zugeeilt.

Also stieg sie aus, bezahlte und wartete fröstelnd auf das Rückgeld. Ihr war flau im Magen, wie schon so oft in letzter Zeit. Im Moment schob Emily das auf Marcos Verhalten. Allerdings hatte sie an diesem Morgen aufs Frühstück verzichtet, weil sie immer wieder mit leichter Übelkeit kämpfte. Jetzt war ihr so schwindelig, dass sie schon fürchtete, jeden Augenblick umzukippen.

Das hat bestimmt psychische Ursachen, dachte sie auf dem Weg ins Haus und ging langsam über die Treppe nach oben. Außerdem hat es zu regnen begonnen. Das trübe Wetter wirkte sich garantiert auch auf ihre Verfassung aus. Warum konnte sie nicht offen mit Marco sprechen? Die Frage quälte sie. Schließlich waren sie ein Liebespaar und teilten die intimsten Momente miteinander.

Leider ging es dabei wirklich nur um körperliche und nicht auch um gefühlsmäßige Nähe. Die Erfahrungen aus der Kindheit hatten Emily gelehrt, niemals zu zeigen, dass sie sich nach Liebe und Zuwendung sehnte. Es war ihr zur zweiten Natur geworden, ihre verwundbaren Seiten zu verbergen. Nur wenn sie in Marcos Armen den Gipfel der Leidenschaft erlebte, erlaubte sie sich, ihm durch ihren Körper zu zeigen, was sie empfand. Sie war sicher, dass er in diesen Momenten die Wahrheit nicht erkennen konnte, und das bot Emily eine gewisse Freiheit.

Niedergeschlagen betrat sie die teure und luxuriös ausgestattete Wohnung, die leer und unpersönlich wirkte, obwohl sie sich bemüht hatte, ein Heim für sie beide zu schaffen.

„Ja, Großvater, natürlich verstehe ich dich. Ich kann aber keine Wunder wirken. Es ist völlig ausgeschlossen, vor Ablauf des Monats nach San Rinaldi zurückzukehren. Darin waren wir uns doch schon einig.“

Er beherrschte sich, während sein Großvater sich wütend beschwerte.

„Also schön“, sagte Marco schließlich, „du hast recht. Ich habe vom Monatsende gesprochen, du dagegen nicht. Du warst nicht damit einverstanden. Das ändert aber nichts an den Tatsachen. Ich kann nicht früher zurückkommen.“

Daraufhin unterbrach sein Großvater wortlos die Verbindung. Marco legte auf, erhob sich und trat ans Fenster des Büros. Es regnete. In San Rinaldi schien jetzt wahrscheinlich die Sonne.

Weil er nicht sofort nach Hause zurückkehrte, reagierte sein Großvater sehr zornig. Allerdings machte Marco sich wegen des Königs keine Sorgen. Er war an den Groll des alten Mannes gewöhnt und ließ sich davon nicht beeinflussen. Deshalb dachte er auch gar nicht daran, seine Pläne zu ändern.

Gereizt sah er abermals auf die Uhr. Er hatte Hunger und sehnte sich nach Emilys Gesellschaft. Bei ihr konnte er sich entspannen und zur Ruhe kommen. Weitere Vorzüge seiner Geliebten waren, dass sie nie die Aufmerksamkeit der Presse auf sich lenkte und mit niemandem über ihre Beziehung sprach. Dazu kam ihre Sinnlichkeit, die sie ausstrahlte, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Erstaunt unterbrach er seinen Gedankengang. Das alles brachte schließlich nichts, da die Beziehung mit Emily bald enden würde. Er sollte lieber daran denken, was er nicht an ihr mochte, zum Beispiel ihre ... zum Beispiel hielt sie sich an ihre beruflichen Termine, selbst wenn er andere Pläne hatte.

Mehr fällt dir dazu nicht ein?, fragte seine innere Stimme. Marco seufzte und gestand sich ein, dass Emily als Geliebte ideal war, solange er hier in London lebte. Diese Zeit würde jedoch schon bald enden.

Als König brauchte er dagegen eine Geliebte mit Eigenschaften, die Emily fehlten. Diese Frau musste vor allem einen verständnisvollen Ehemann haben, selbst wenn diese Regel des Protokolls von San Rinaldi seiner Meinung nach völlig veraltet war.

Er wollte Veränderungen einführen, die in erster Linie den Menschen und weniger dem Herrscherhaus von San Rinaldi Vorteile brachten. Manche sinnvolle Traditionen konnten durchaus beibehalten werden.

Emily konnte nicht seine Geliebte bleiben. Trotzdem hätte er sie besser behandeln sollen, als sie ihn vorhin im Büro überrascht hatte. Zum Beispiel hätte er sie schon in eines ihrer Lieblingsrestaurants vorschicken und versprechen können, später nachzukommen. Schließlich konnte Marco sich ausrechnen, dass sein Großvater das Telefongespräch beenden würde, sobald er seinen Willen nicht durchsetzen konnte.

Einen Moment lang überlegte er, ob er Emily anrufen und ihr ein gemeinsames Essen vorschlagen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die schmollten oder alberne Rachepläne schmiedeten. Trotzdem wollte er sie irgendwie entschädigen. Also griff er zum Telefon und rief im Laden an.

„Sie ist nicht hier, Marco“, erklärte eine Mitarbeiterin. „Sie hat vor wenigen Minuten angerufen, weil sie für den Rest des Tages daheim weiterarbeiten will. Die arme Emily hat wohl dieses Grippevirus wohl noch immer nicht ganz überwunden.“

Darauf ging Marco nicht weiter ein. Er selbst erfreute sich stets bester Gesundheit. Im Moment sehnte er sich nach der Entspannung, die seine Geliebte ihm bot. Emily brachte ihn oft zum Lachen, selbst wenn ihm gar nicht danach war.

Er runzelte nachdenklich die Stirn. In den letzten Wochen hatte Emily wenig Sinn für Humor gezeigt, überhaupt lachten sie selten in letzter Zeit. Umso stärker erstaunte Marco das tiefe Bedürfnis, bei ihr zu sein. Seltsam, was ein schlechtes Gewissen so alles mit einem anstellt, dachte er.

Kurz entschlossen teilte er seiner Sekretärin mit, dass er für den Rest des Tages daheim arbeiten wollte. Schließlich kannte er eine absolut sichere Methode, Emily alles vergessen zu lassen. Im Bett gab es nur gegenseitiges Verlangen, sonst nichts.

Die Nachricht bereitete Emily Sorgen. Obwohl es sich bei der Dame um eine sehr gute Kundin handelte, hatte sie den neuen Auftrag nur ungern angenommen. Emily sollte ein ganzes Anwesen in Chelsea völlig neu einrichten.

„Meine allerliebste Emily!“, hatte Carla Mainwearing geflötet. „Ich liebe Ihren Stil und Ihren Geschmack dermaßen, dass Sie alles für mich aussuchen sollen. Ich übergebe das Haus vollständig in Ihre Hände.“

Da Emily mit Carlas Eigenheiten gut vertraut war, ging sie die Sache vorsichtig an und ließ sich sämtliche Pläne absegnen. Doch das hatte offensichtlich nichts genützt. Denn plötzlich fand Carla die Farben, die Emily für den Salon ausgesucht hatte, abscheulich und wollte, dass alles neu gemacht wurde – auf Emilys Kosten.

Anfänglich war Carla von Emilys Farbvorschlägen begeistert gewesen. Daran wollte sie jetzt aber sicher nicht erinnert werden. Also rief Emily nicht einfach an, sondern beschloss, ihr eine E-Mail zu schicken. Der Laptop stand neben Marcos Unterlagen im Arbeitszimmer.

Es fiel ihr schwer, beim Betreten des Raums nicht an die Zurückweisung zu denken. Marco hatte sie mehr oder weniger aus seinem Büro geworfen. Doch schon zwei Minuten später war das alles vergessen, genau wie der Laptop und der eigentliche Grund, aus dem sie das Arbeitszimmer betreten hatte.

Am ganzen Körper zitternd, stand sie da und konnte kaum den Briefumschlag aus teurem Papier halten.

Alles verschwamm ihr vor den Augen, auch das Wappen in der linken oberen Ecke des Umschlags. Nur mit Mühe konnte sie die Adresse lesen: Seiner Königlichen Hoheit Prinz Marco von San Rinaldi.

Sie hörte weder, wie Marco die Eingangstür aufschloss, noch wie er nach ihr rief. Dafür saß der Schock viel zu tief. Nichts drang zu Emily vor. Sie empfand nur Schmerz, einen dermaßen heftigen Schmerz, dass er sich ihr unvergesslich einbrannte und nie wieder gelöscht werden konnte.

Erst als Marco das Arbeitszimmer betrat, schrak sie hoch, doch die Qualen wichen nicht von ihr. Sie presste den Umschlag fest an die Brust.

„Willkommen, Königliche Hoheit“, sagte Emily mit brüchiger Stimme. „Vermutlich sollte ich jetzt einen Hofknicks vor Euch machen.“

Mit angehaltenem Atem wartete sie auf eine Antwort und flehte stumm, Marco möge lachen. Vielleicht war dieser Brief an den Prinzen Marco von San Rinaldi nichts weiter als ein alberner Scherz.

Die Sekunden verstrichen, ohne dass er ein Wort sagte.

5. KAPITEL

Die winzige Flamme der Hoffnung erlosch, als Emily auf Marcos Gesicht sah. Es war aus. Worte waren überflüssig. Emily wusste auch so Bescheid, und das steigerte ihren Schmerz noch mehr. Ihr Magen krampfte sich so heftig zusammen, dass sie kaum Luft bekam.

„Gib mir den Brief“, verlangte Marco und nahm ihn ihr gleichzeitig aus der Hand.

„Zu spät, um die Beweismittel zu vernichten“, erwiderte sie mit zitternder Stimme. „Jetzt kenne ich die Wahrheit und weiß, dass du mich die ganze Zeit über belogen hast. Du hast dich für jemanden ausgegeben, der du gar nicht bist, und du hast mich in dem Glauben gelassen ...“ Sie stockte und biss sich hart auf die Unterlippe. „Denkst du vielleicht, ich lese keine Zeitung, Marco? Weiß eigentlich das Volk von San Rinaldi, dass der künftige König ein Lügner ist? Oder gehört das im Königshaus zum guten Ton?“, fragte sie scharf.

„Du hattest kein Recht, meine Briefe zu lesen“, fuhr Marco sie wütend an. Er fühlte sich in die Defensive getrieben. Das machte ihn zornig, und darum suchte er nach etwas, das er Emily vorwerfen konnte. „Wir hatten eine Abmachung, dass unsere persönlichen Sachen tabu sind“, fuhr er heftig fort. „Ich habe dir vertraut und .“

Emily glaubte beinahe, sich verhört zu haben. „Ach, du hast mir vertraut? Deshalb also hast du den Brief unter deinen Sachen versteckt“, rief sie herausfordernd und schüttelte heftig den Kopf. „Nein, Marco, du hast mir nicht vertraut. Und zwar deshalb, weil du selbst ein Lügner bist! Lügner vertrauen anderen Menschen nicht, weil sie wissen, dass man ihnen selbst nicht über den Weg trauen kann!“

Übelkeit stieg wieder in ihr hoch, und Emily glaubte zu ersticken. „Ich dachte, ich wüsste über dich Bescheid. Aber alles beruhte nur auf Lügen“, fuhr sie fort. „Du bist nicht einfach Marco Fierezza, sondern der Prinz von San Rinaldi. Du selbst bist nichts weiter als eine einzige Lüge, Marco!“

„Du nimmst das viel zu persönlich“, fiel er ihr kühl ins Wort. „Ich habe meine königliche Herkunft verschwiegen, weil sie gar nichts mit dir zu tun hat. Außerdem hatte ich meine neue Identität schon lange, bevor ich dich kennenlernte. Mein Leben als Marco Fierezza ist für mich so selbstverständlich, als wäre ich tatsächlich kein Prinz. Das alles hat nichts mit dir zu tun“, wiederholte er.

„Wie kannst du nur so etwas sagen?“, fragte sie verstört. „Natürlich hat das mit mir zu tun. Und würdest du auch nur einen Funken Anstand besitzen, wüsstest du das. Wie konntest du mich wegen deiner Herkunft belügen und trotzdem mit mir zusammenleben? Wie konntest du überhaupt ruhigen Gewissens in den Spiegel sehen, obwohl dir nicht nur ich, sondern auch andere Menschen ihr Vertrauen schenkten, während du die ganze Zeit ...“

„Hör bitte mit diesem dramatischen Gerede auf!“, verlangte er entschieden. „Das ist doch albern. Du übertreibst wirklich.“

„Tatsächlich?“, rief sie schrill. „Du findest meine Reaktion also albern? Du verstehst nicht, dass es mich wütend macht, wenn ich entdecke, dass du mich die ganze Zeit über getäuscht hast? Marco, die ganze Zeit, die wir zusammen waren! Drei Jahre – eine einzige Lüge. Wann wolltest du es mir denn sagen? Wahrscheinlich nie. Eines Tages wärst du einfach verschwunden gewesen. Was bedeuten dir schon meine Gefühle? Nichts, wie?“

„Das ist doch Unsinn“, erwiderte er wütend. „Ich wollte dich nicht verletzen. Eben deshalb habe ich dir von der ganzen Sache nichts erzählt. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Mein Großvater wird abdanken und mir den Thron überlassen.“

„Du wolltest mich nicht verletzen?“ Emily musste vor Empörung nach Atem ringen. „Er überlässt dir den Thron! Ach, hör doch bloß auf! Jetzt wundert mich gar nichts mehr. Darum hast du immer betont, dass es dir nur um Sex geht. Du wusstest von Anfang an, dass es zwischen uns keine andere Art von Beziehung geben kann! Du wusstest, dass du eines Tages der König von San Rinaldi wirst! Ganz sicher erwartet man von dir, dass du eine Prinzessin heiratest. Hat man schon eine ebenbürtige Braut für dich ausgesucht?“

„Nein.“

Sie winkte verächtlich ab. „Dazu sage ich gar nichts, weil ich kein Wort aus deinem Mund mehr glauben kann. Ich kann dir einfach nicht mehr vertrauen.“

„Emily, hör mir zu. Das reicht jetzt. Du führst dich albern auf. Ich weiß, dass du einen leichten Schock erlitten hast und ...“

„Einen leichten Schock? Einen ... leichten ... Schock?“

„Wohin gehst du?“, fragte er, als sie ihm den Rücken zuwandte und zur Tür lief.

„Ich packe meine Sachen“, erwiderte sie heftig. „Ich verschwinde auf der Stelle. Ich kann und will nicht länger hierbleiben. Weißt du was? Es kommt mir so vor, als würde ich dich gar nicht kennen. Und ehrlich gesagt will ich das auch nicht mehr.“

„Sei nicht dumm. Wohin willst du überhaupt? Dein Zuhause ist hier.“

„Nein, das hier ist deine Wohnung. Ich habe ein eigenes Zuhause, oder hast du das bereits schon vergessen?“, fragte

sie herausfordernd.

„Dein Haus in Chelsea?“ Marco schüttelte den Kopf. „Aber dort wohnt doch jetzt deine Assistentin.“

„Sie hat dort gewohnt, ist aber am Wochenende zu ihrem neuen Freund gezogen. Allerdings geht dich das so wenig an wie alles andere in meinem Leben, Eure Hoheit. Oder sollte ich besser Eure Majestät sagen?“

„Emily.“ Er streckte die Hand nach ihr aus, doch Emily wich vor ihm zurück. Ihr verächtlicher Blick machte ihn rasend. Sie warf ihm Betrug vor, aber was war denn mit ihrem Verhalten? Hinter seinem Rücken hatte sie seine Papiere durchwühlt. Emilys Vorwürfe verletzten seinen Stolz. Außerdem entriss sie ihm die Kontrolle über die Situation und war soeben dabei, ihn zu verlassen. Das alles weckte seine tief verwurzelten maskulinen Instinkte. Emily gehörte ihm, bis er die Beziehung beendete.

Sie zuckte betroffen zusammen, als Marco sie am Handgelenk packte. In seinen Augen entdeckte sie dasselbe entfesselte Verlangen, das ihr nur allzu bekannt war. „Lass mich sofort los!“, fauchte sie. „Du kannst nicht im Ernst von mir erwarten ...“

„Was kann ich nicht im Ernst von dir erwarten?“

Er dachte gar nicht daran, sie loszulassen. Emily lief ein Schauer über den Rücken – der nichts mit Angst oder Sorge zu tun hatte.

„Was kann ich nicht von dir erwarten?“, wiederholte er verdächtig sanft und ruhig. „Dass du mit mir ins Bett gehst? Ist es das? Willst du mir das sagen? Dass ich dich nicht mehr berühren darf?“

Obwohl er ihren Arm umklammerte, erreichte sie die Türklinke des Arbeitszimmers. Aber bevor Emily sich in Sicherheit bringen konnte, fasste Marco an ihr vorbei und drückte die Kirschholztür wieder zu. Dann stützte er sich links und rechts von ihr ab und hielt Emily zwischen sich und dem

Türblatt gefangen.

Ein heißes Prickeln durchlief sie und erinnerte sie an die Anfänge ihrer Affäre. Nur ein Blick von Marco hatte genügt, und Emily wollte sich ihm hingeben. Ganz genauso erging es ihr auch jetzt.

Sie wollte ihn abweisen, brachte jedoch kein Wort hervor. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ungläubig spürte Emily, wie sich ihre Brustspitzen aufrichteten. Es war schon lange her, dass sie Marco so bedingungslos begehrte und so begierig angesehen hatte. War das der Grund, warum sie trotz allem nicht widerstehen konnte?

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Marcos Verhalten hätte sie abschrecken sollen. Allein schon die Vorstellung, dass er sie berührte, sollte sie zurückschrecken lassen. Doch so war es nicht. Sie begehrte ihn stattdessen heftiger als je zuvor.

„Wolltest du mir das sagen, Emily?“, fragte er leise. „Dass ich dich nicht mehr erregen kann? Dass du mich nicht mehr willst, wenn ich das hier mit dir mache?“

Langsam hob er die Hand, strich Emily mit einer Fingerspitze über den Hals und löste einen wohligen Schauer in ihr aus. Er war ihr jetzt so nahe, dass der Duft seines Eau de Colognes sie umhüllte und ihr Verlangen steigerte.

Der Verstand sagte ihr, dass sie ihm widerstehen musste, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollte. Doch dieser feine Duft und die raue maskuline Ausstrahlung raubten Emily jede Willenskraft.

Sag etwas, befahl sie sich. Sag ihm, dass es so nicht weitergehen kann. Aber sie konnte es nicht. Stattdessen sehnte sie sich sogar danach, dass Marco sich besitzergreifend an sie drückte und sie dazu brachte, sich ihm hinzugeben. Sie sehnte sich nach der versengenden Hitze der Lust, die sie einander so oft geschenkt hatten.

Dabei hätte sie sich jederzeit von ihm befreien können. Er würde sie nicht aufhalten, wenn sie es versuchte. Das wusste sie, trotzdem wollte sie es nicht. Jede Faser ihres Körpers verzehrte sich nach Marco, obwohl es ihm nur darum ging, ihr seine Macht über sie zu beweisen.

„Aber zum Glück bist du ja keine Lügnerin, nicht wahr?“, fuhr er leise fort und reizte sie, indem er die Lippen gegen ihren Hals drückte und sie zur Gefangenen ihrer Sehnsüchte machte. „Stimmt das nicht?“ Seine Hand glitt unter ihren Pullover, öffnete den BH und entlockte Emily ein hilfloses Seufzen. „Willst du mehr davon?“

„Nein!“, stieß sie heiser hervor. Beide wussten, dass das gelogen war. Als seine Hände erneut aufreizend über ihre Brüste strichen, hielt Emily sich nicht länger zurück. Ihr Verlangen nach ihm war einfach zu stark.

Aufstöhnend zog sie ihn zu sich und öffnete die Lippen für einen heißen, leidenschaftlichen Kuss. Deutlich spürte sie Marcos Erregung, während er sich gegen sie drückte, und Emily stellte sich unwillkürlich seinen nackten Körper vor. Nach all den Jahren war er ihr so vertraut, dass sie mit geschlossenen Augen jeden Zentimeter seiner muskulösen Gestalt beschreiben konnte.

Jegliche Beherrschung wich von ihnen. Emily griff nach dem Bund seiner Hose und lächelte zufrieden, als nun er begierig aufstöhnte und versuchte, ihr den Rock abzustreifen.

Nicht einmal am Beginn ihrer Beziehung hatte sie ein solches Verlangen gespürt. Heute berührte Emily ihn ungehemmter als je zuvor und konnte kaum noch erwarten, dass ihre Sehnsucht in einem verzehrenden Liebesspiel gestillt wurde.

Die lähmende Angst der letzten Wochen schwand in der Intimität des Moments. Es konnte Emily gar nicht schnell genug gehen. So schnell wie möglich wollte sie sich der störenden Kleidung entledigen. Mit bebenden Fingern versuchte sie, sein Hemd und den Hosenknopf zu öffnen, schaffte es jedoch nicht, weil er die Zähne verführerisch über ihre Brustspitzen gleiten ließ. Stöhnend rang sie nach Atem und gab sich voll den Empfindungen hin, die Marco bei ihr auslöste. Die Lust, die er ihr schenkte, konnte sie kaum aushalten. Trotzdem wollte Emily es genau so und nur mit diesem Mann. Kein anderer hätte ihr das geben können.

„Soll ich aufhören?“, fragte Marco, obwohl er die Antwort genau kannte.

Sein Atem strich warm über ihre Brust, und mit einem Finger reizte er ihre Brustspitze. Emily wollte etwas erwidern, doch sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie sehnte sich danach, dass er sie mit dem Mund verwöhnte. Sprechen war allerdings gar nicht nötig. Marco wusste schließlich, was sie wollte. In einer stummen Bitte streichelte sie seinen nackten Oberkörper, und er beugte sich zu ihr und strich mit der Zunge über die warme Haut. Diese Berührung genügte, um Emily in seinen Armen alles andere vergessen zu lassen.

„Jetzt, Marco!“, drängte sie ihn. „Jetzt!“

Als er daraufhin nichts weiter unternahm, hob sie den Kopf und sah ihn forschend an. Aus seinen Augen traf sie ein Blick, der deutlich verriet, wie gern er sie bestrafen wollte. Er forderte sie heraus und verlangte, dass sie seine Überlegenheit anerkannte. Sie sollte eingestehen, wie unwiderstehlich sie ihn fand.

Leider war es jetzt zu spät, ihn mit den eigenen Waffen zu schlagen. Denn dafür hätte Emily so tun müssen, als begehrte sie ihn nicht. Doch ihr Verlangen war längst zu stark. Vielleicht würde es ihr später irgendwie gelingen, ihre momentane Schwäche auszugleichen. Im Moment allerdings konnte Emily nicht länger warten. Sie hatte versucht, diesem Mann zu widerstehen, und sie war unterlegen.

„Nimm mich!“, verlangte sie. „Jetzt gleich!“

Einen Moment lang glaubte sie, er würde sich weigern, doch dann packte Marco sie und hob sie an, sodass sie die Beine fest um ihn schlingen konnte. Mit einer einzigen Bewegung vereinigte er sich mit ihr, zog sich zurück und nahm sie erneut.

Sein warmer Atem strich über ihr Ohr, seine Zungenspitze glitt über ihren Hals. Geradezu verzweifelt klammerte Emily sich an ihn und kam seinen rhythmischen Bewegungen entgegen.

„Marco“, flüsterte sie und stöhnte tief auf, als er sich schneller und kraftvoller bewegte. „Ja, Marco, ja!“

Diesmal zögerte er nicht, sondern gehorchte und trieb sie beide auf den Gipfel der Lust. Emily stöhnte laut auf und sank hinterher ermattet gegen ihn.

Der Zorn, der Marco ursprünglich angetrieben hatte, war verschwunden. Eigentlich hätte er jetzt triumphieren sollen. Aber er empfand nichts weiter als die bedrückende Gewissheit, dass er eine gefährliche Grenze überschritten hatte.

Es stimmte. Er hatte Emily gedrängt, ihrem Verlangen nachzugeben. Doch nun musste er sich eingestehen, dass seine Sehnsucht genauso groß wie ihre war.

Aber nein, versicherte er sich. Das ist nur ein kurzlebiges Bedürfnis, das im Zorn entstanden ist. Weiter nichts. Es bedeutete überhaupt nichts für sein Leben.

„Das haben wir jetzt vermutlich beide gebraucht“, erklärte er kühl. „Und vielleicht war das auch das passende Ende für unsere Beziehung. Sozusagen ein letztes Aufflammen der Leidenschaft, die uns ursprünglich zusammengeführt hat.“

Emily holte mühsam Luft. Was habe ich da nur getan?, fragte sie sich. Durch ihr Verhalten hatte sie sich selbst verraten. Und Marco hielt sie jetzt wahrscheinlich für dumm. Vielleicht erahnte er am Ende doch noch ihre geheimsten Träume – dass er ihre Gefühle eines Tages erwidern und sich in sie verlieben könnte.

Wie naiv und einfältig von ihr, die Augen vor der Realität zu verschließen und etwas zu begehren, das sie nicht haben konnte. Der gesunde Menschenverstand hätte mich warnen

müssen, ging Emily hart mit sich ins Gericht.

Würde Marco sie wirklich lieben, hätte er das garantiert gesagt. Doch über seine Lippen war kein einziges derartiges Wort gekommen. Und dabei würde es für immer bleiben. Sie hatte sich selbst belogen, und dieser Selbstbetrug wog sogar schwerer als Marcos Lügen.

Nachdem die Leidenschaft vollständig abgeklungen war, blieben Emily nur noch Zorn, Leere und Schmerz. Ihre Träume waren zerstört und lagen in Trümmern – ein wertloser Haufen Ballast. Marco war nicht mehr als ein Fremder, den Emily im Grunde nicht kannte. Nur dass sie in diesem Moment das Gleiche von sich selbst behaupten konnte. Emily kannte sich selbst nicht mehr.

„Vielleicht war es anfangs gegenseitige Anziehung“, erwiderte sie kühl, „aber jetzt ist es gegenseitige Verachtung. Ich bin nicht mehr das naive Mädchen von einst.“

„Und was soll das heißen?“, fragte er gereizt.

„Es soll heißen, dass ich von dir genug über Sex gelernt habe, um das hier zu durchschauen. Es ist in der heutigen Zeit allgemein bekannt, dass Paare kurz vor der Trennung noch einmal miteinander schlafen. Einige behaupten sogar, den besten Sex dann erlebt zu haben, als die Gefühle füreinander bereits abgestorben waren. Allerdings ist mir klar, dass wir beide uns gefühlsmäßig nie besonders nah waren.“

Bevor Marco etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: „Wir sollten uns damit abfinden, dass am Ende einer jeden Beziehung Dinge an die Oberfläche kommen, die man nicht so leicht akzeptieren kann.“

Marco gefiel das alles gar nicht. Emily ging mit der Trennung viel entspannter und gleichgültiger um, als er erwartet hatte. Beinahe kränkte ihn das schon. Was für ein Unsinn, schalt er sich. Ich sollte erleichtert sein, weil sie sich vernünftig zeigt.

Aber irgendwie wollte ihm das nicht gelingen.

6. KAPITEL

Marco blickte aus dem Fenster der königlichen Privatmaschine auf den Flughafen von San Rinaldi. Draußen auf der Rollbahn stand eine Gruppe von uniformierten Höflingen, die ihn willkommen heißen wollten. Die Straußenfedern auf ihren Mützen flatterten im Wind, während die Männer starr und steif in der Hitze warteten.

Flüchtig lächelte er. Sein Großvater hatte ihm eine schwere Prachtuniform mit goldenen Tressen und Abzeichen geschickt. Marco sollte unbedingt bei der Landung diese Uniform der Königlichen Garde tragen. Doch das das gute Stück lag unberührt hinten im Gepäckabteil der Maschine. Er hatte stattdessen einen maßgeschneiderten Anzug aus einem der besten Londoner Ateliers angezogen.

Sein Großvater würde alles andere als erfreut sein, doch das war Marco gleichgültig. Er wollte von Anfang an allen zeigen, dass er eigene Entscheidungen traf und sich nicht die Meinung anderer aufzwingen ließ.

Emily hätte diesen Entschluss bestimmt verstanden und gutgeheißen. Allerdings hätte sie wahrscheinlich auch sanft gelächelt und ihn auf nette Art dazu gedrängt, die unbestreitbar elegante Uniform anzulegen.

Emily ...

Er wollte nicht an sie denken und sich nicht daran erinnern, wie sie neben ihm im Bett gelegen hatte. Diese sinnlichen Fantasien passten Marco gar nicht, doch nun war es zu spät. In seinen Gedanken saß sie neben ihm, lächelte ihn an und sehnte sich nach seinen Berührungen. Was sollte das bloß?

Abrupt stand er auf, sodass der Adjutant der Luftwaffe von San Rinaldi erschreckt zusammenzuckte. Der junge Mann errötete verlegen, sprang ebenfalls auf, salutierte und stammelte: „Hoheit, falls Sie mehr Zeit für die Vorbereitungen haben wollen, erlauben Sie mir bitte

„Nein, ich bin bereit“, erwiderte Marco und nickte ihm kurz zu. Dann sah er jedoch die erschreckte Miene des jungen Mannes und schüttelte ungeduldig den Kopf. Zum Teufel mit Emily, die sich in seine Gedanken schlich, obwohl sie dazu kein Recht besaß! Ihr wütender Abgang hatte Marco dazu gebracht, London früher als geplant zu verlassen. Sein Großvater triumphierte. Allerdings wusste der alte Mann auch nicht, dass er diese Wendung der Geliebten seines Enkels zu verdanken hatte. Und Marco würde ihm das ganz bestimmt nicht verraten.

Der Adjutant stand in voller Paradeuniform neben dem künftigen König, als die Tür der Maschine geöffnet wurde. Während Marco an ihm vorbei in den Sonnenschein der Insel trat, verbeugte der junge Mann sich tief.

Sekundenlang blieb Marco kerzengerade und bewegungslos stehen. Das tat er allerdings nicht, weil er künftig über das Inselreich herrschen würde. Vielmehr ergriff ihn das Gefühl, endlich wieder zu Hause zu sein. Beinahe hatte er schon den einzigartigen Duft vergessen, diese Mischung aus Sonnenschein und Meer, Mimosen und Zitronen, die ihm die heiße Brise entgegentrieb.

Gerührt atmete Marco tief ein. Dies war sein Land, und die Menschen, die dort hinten ihre Fähnchen schwenkten, waren sein Volk. Viele von ihnen kannten keine aufgeschlossene moderne Welt, und das wollte Marco ändern. Er würde der Jugend von San Rinaldi endlich eine echte Chance geben.

Entschlossen tat er einen Schritt vorwärts. Die Kapelle stimmte die Nationalhymne an, während die Höflinge tief die Köpfe neigten.

Marco kannte die meisten Gesichter, auch wenn sie jetzt wesentlich mehr Falten aufwiesen als früher. Als er den dienstältesten Minister seines Großvaters erreichte, begrüßte dieser ihn mit einer Verbeugung und einer traditionellen Umarmung. Die Stimme des Mannes bebte vor Rührung, und Marco erkannte unter der stolzen, ernsten Miene einen sehr alten und müden Menschen. Vermutlich wollte der treue Staatsdiener die letzten Jahre seines Lebens lieber mit seinen Enkeln verbringen. Stattdessen sorgte er noch immer dafür, dass die Wünsche des Königs in die Tat umgesetzt wurden.

Taktvoll passte Marco sein Tempo dem der alten Höflinge an, die ihn mühsam und unsicher zur wartenden königlichen Limousine geleiteten. Wenigstens hat mein Großvater nicht die Kutsche geschickt, um mich zum Schloss zu holen, dachte Marco dankbar. Das alte Gefährt schwankte schrecklich, und die mit Samt bespannten Sitze waren unangenehm hart.

Dies sollte eigentlich ein Moment des Triumphs sein. Marco zeigte der Öffentlichkeit, dass er aus eigener Kraft ein starker Mann geworden war. Bald würde die Macht des Königshauses Rinaldi auf ihn übergehen. Dann konnte er in die Fußstapfen seines Großvaters treten und seiner Bestimmung folgen. Wieso fühlte er trotzdem keine Vorfreude, sondern nur innere Leere und Verlust? Was war bloß los mit ihm?

Die Menge begann zu jubeln, sobald sich die Wagenkolonne in Bewegung setzte. Kinder winkten und beugten sich gefährlich weit auf die Straße vor, um Marco besser zu sehen. Er hob die Hand und grüßte seine Untertanen, wie es sich gebührte. Die Klimaanlage des Wagens schützte ihn vor der Mittagshitze.

Marco, was ist mit den Menschen da draußen in der sengenden Sonne? Marco hörte die tadelnde Stimme so deutlich, als würde Emily an seiner Seite lehnen. Verärgert beugte er sich nach vorne und klopfte an die Trennscheibe, hinter der der Fahrer sowie ein bewaffneter Begleiter saßen.

„Hoheit?“, fragte der Leibwächter, nachdem die Scheibe heruntergeglitten war.

„Halten Sie an!“, befahl Marco. „Ich werde aussteigen und zu Fuß gehen.“

„Aber Hoheit!“, wandte der muskulöse Mann betroffen ein, als Marco die Tür öffnen wollte. „Der König ... ich meine ... vielleicht ist das gefährlich.“

„Wie ich meinen Großvater kenne“, erwiderte Marco entschieden, „hat er bestimmt dafür gesorgt, dass Sicherheitskräfte in Zivil in der Menge auf jede Bewegung achten. Außerdem sind das da draußen unsere Landsleute und nicht unsere Feinde.“

Die Menge verstummte, als Marco die Wagentür hinter sich schloss. Bisher hatte noch kein Herrscher sich dazu herabgelassen, sich unters Volk zu mischen. Marco schüttelte die schwieligen Hände hart arbeitender Männer, lächelte hübschen Mädchen zu und begrüßte alte Frauen, die sichtlich gerührt waren.

Eine Greisin drängte sich durch die Menschenmasse zu ihm. An ihrer bäuerlichen Tracht erkannte Marco, dass sie aus den Bergen von San Rinaldi stammte. Ihr Rücken war gekrümmt von der jahrelangen Arbeit in den Orangenhainen und Weingärten, das tief gebräunte Gesicht mit den ausgeprägten Falten erinnerte Marco an die Schale einer Walnuss. In den dunklen Augen der Frau schimmerte jedoch ein ungebrochener Stolz, als sie dem Prinzen von San Rinaldi eine schlichte Geldbörse aus Leder hinstreckte, die sie offenbar selbst gemacht hatte.

„Hoheit, nehmen Sie bitte dieses bescheidene Geschenk an“, flehte sie. „Möge es immer gefüllt sein wie die Truhen des Hauses Rinaldi.“

Offenbar konnte es sich die alte Bäuerin kaum leisten, etwas zu verschenken. Marco war gerührt. Er sollte derjenige sein, der Gaben verteilte. Daher überraschte es ihn nicht, dass der schäbig gekleidete Jugendliche an ihrer Seite zornig dreinblickte.

„Ist das Ihr Enkel?“, fragte er, nachdem er sich für das Geschenk bedankt hatte.

„Ja, das ist er, Hoheit, und er beschämt mich mit seiner finsteren Miene. Er weiß nicht zu schätzen, was wir alles hier auf unserer Insel haben.“

„Das liegt daran, dass wir nichts besitzen!“, stieß der junge Mann unwillig hervor. „Wir haben gar nichts, während anderen ihr Reichtum langweilig wird! Wenn wir in die Stadt kommen, sehen wir Fremde mit ihren teuren Jachten und feiner Kleidung. Unser König tut alles, damit sie sich bei uns wohlfühlen, während wir da oben in den Bergen nicht einmal Strom haben. Und die Touristen sehen auf uns herab, als wären wir nichts. Genau wie unsere Könige!“

Die Stimmung der Menge rings um Marco verdüsterte sich, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Er erkannte den Zorn auf den Gesichtern einiger magerer junger Männer, die langsam näher kamen.

Marco wehrte den Leibwächter ab, der sich schützend vor ihn stellen wollte. „Es ist gut zu wissen“, sagte er laut, „dass die Menschen von San Rinaldi offen ihre Gedanken aussprechen. Wie ich weiß, befasst sich seine Majestät schon länger mit dem Problem, die entlegenen Teile unserer Insel mit Elektrizität zu versorgen.“

Anerkennend legte er dem aufgebrachten jungen Mann die Hand auf die Schulter. Gleichzeitig gab Marco den sprungbereiten Leibwächtern durch ein Kopfschütteln zu verstehen, dass sie sich ruhig verhalten sollten.

„Mein Enkel spricht, ohne zu überlegen“, sagte die alte Bauersfrau mit Tränen in den Augen. „Aber im Herzen ist er ein guter Junge und dem König ergeben wie alle anderen Menschen auf San Rinaldi auch.“

Nachdenklich ließ Marco sich zurück zur Limousine führen. Erst als er im Wagen saß, merkte er, dass er die selbst gefertigte Geldbörse noch in der Hand hielt. Ein unbändiger Zorn erfüllte ihn plötzlich. Die Herrscherfamilie von San Rinaldi gehörte zu den reichsten der Welt. Trotzdem lebte ein Teil ihres Volkes in tiefer Armut. Marco konnte sich sehr gut vorstellen, wie betroffen Emily gewesen wäre, hätte sie den Vorfall von vorhin verfolgt.

Der Lederbeutel fühlte sich weich und warm an. Marco strich gedankenverloren darüber. Er sollte seinem Volk etwas schenken, nicht umgekehrt.

Die Zeit fern der heimatlichen Insel hatte ihn viel stärker verändert, als er bisher geglaubt hatte. Und das würde König Giorgio ganz und gar nicht passen.

In ihrem kleinen Haus in Chelsea kauerte Emily in einem Wohnzimmersessel. Schützend hüllte sie sich in eine hübsch bestickte Decke und gab sich ganz dem Trennungsschmerz hin. Es wäre ja auch sinnlos gewesen, davor zu fliehen. Die Tatsachen ließen sich nicht ändern.

Marco – nein, Prinz Marco, hatte sich verabschiedet. Nicht nur aus ihrem Leben, sondern auch aus England war er verschwunden und zu seinem Volk und dem Thron zurückgekehrt.

Bald würde eine andere Frau ihren Platz in seinem Leben einnehmen. Emily seufzte kummervoll auf. Doch gleich darauf erinnerte sie sich zornig daran, dass es den Mann, den sie liebte, gar nicht gab. Sie hatte ihn nur in ihrer Fantasie erschaffen. Alles Gemeinsame war ein Trugbild gewesen.

Wenn Marco sie in den Armen gehalten hatte, hatte sie sich ihm von ganzer Seele hingegeben. Er dagegen hatte ihr sein wahres Ich vorenthalten. Vollständig!

Das alles war ihr jetzt bewusst. Doch nach dem Abklingen des Schocks blieb ihr nach wie vor die niederschmetternde Erkenntnis: Sie liebte Marco noch immer.

Es half ihr nicht einmal, dass sie sich selbst dafür verachtete. Sie konnte einfach nicht aufhören, ihn zu begehren, obwohl er sie getäuscht hatte. Und sie liebte ihn.

Was machte er gerade? Dachte er an sie? Vermisste er sie?

Aufhören, befahl sie sich verzweifelt. Marco war fort. Und darum blieb Emily nichts anderes übrig, als die Tatsachen zu akzeptieren und eine Möglichkeit zu finden, ohne ihn zu leben. Irgendwann würde sie fähig sein, ohne Trauer und Schmerz zurückzublicken. Irgendwann würde sie erkennen, dass sie beide nichts Besonderes miteinander geteilt hatten.

Es war vorüber. Ihre Beziehung existierte nicht mehr. Um Stolz und Selbstachtung nicht zu verlieren, musste sie das endlich akzeptieren und mit ihrem Leben weitermachen. Es war dumm und falsch gewesen, Marco überhaupt in ihr Herz zu lassen. Genauso dumm, wie jetzt noch an ihn zu denken.

Eines stand fest: Er dachte bestimmt nicht an sie. Er verschwendete keinen einzigen Gedanken an die Frau, die nach der schockierenden Entdeckung und dem nachfolgenden Streit seine Wohnung verlassen hatte. Für Marco war die Beziehung endgültig beendet gewesen, lange bevor er es ausgesprochen hatte.

Deshalb gab es für Emily auch nur eine Lösung: Sie musste ihn ebenfalls aus ihrem Herzen und ihrem Gedächtnis streichen. Ganz und gar.

7. KAPITEL

„Nun, Marco“, sagte König Giorgio verärgert, „was muss ich erfahren? Gleich nach der Ankunft hat dich ein Rebell aus den Bergen attackiert? Es sollte mich nicht wundern, wenn dieser Nichtsnutz zur Familie Vialli gehört. Aber das hast du dir selbst zuzuschreiben. Hättest du dir nicht in den Kopf gesetzt, leichtfertig den Wagen zu verlassen, wäre nichts geschehen. Du darfst nie vergessen, dass du der nächste König von San Rinaldi bist! Es ist unklug, sich Gefahren auszusetzen.“

„Es gab überhaupt keine ernsthafte Gefahr“, widersprach Marco entschieden. „Der junge Mann – eigentlich war er fast noch ein Kind – hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ...“

„... dass er uns hasst!“, unterbrach ihn sein Großvater zornig.

Der König war beträchtlich gealtert, seit er ihn zuletzt gesehen hatte. Trotzdem spürte Marco noch immer die kraftvolle Ausstrahlung, die andere leicht einschüchtern konnte. Ihn beeindruckte dies allerdings wenig. Schließlich besaß er nun selbst genug Einfluss und Macht. Sein Großvater spürte das offenbar und ärgerte sich darüber. Wahrscheinlich versuchte er deshalb, sogleich einen Streit anzuzetteln.

„Ich hatte den Eindruck“, erklärte Marco, „dass der Junge weniger feindselig als vielmehr frustriert und verbittert ist.“ Er beobachtete seinen Großvater genau. Denn Marco merkte, dass es hier nicht bloß um Sicherheitsfragen ging. Hinter dem Vorwurf steckte ein wesentlich wichtigeres Problem, über das der König nicht gern sprach.

Marco hatte bereits diskrete Nachforschungen angestellt und war dabei auf Schwierigkeiten in San Rinaldi gestoßen, um die sich die Herrscherfamilie so schnell wie möglich kümmern musste. Andernfalls drohte die Lage sich zu einem ernsthaften Konflikt zu entwickeln, der leicht außer Kontrolle geraten konnte.

„Der Junge beklagte sich darüber, dass es in seinem Dorf keine Elektrizität gibt“, fuhr Marco fort. „Und es gefällt ihm nicht, dass Besucher unseres Landes Vorteile genießen, die unserem eigenen Volk verwehrt bleiben.“ Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als sein Großvater mit der Faust auf den Schreibtisch schlug.

„Ich höre mir diesen närrischen Unsinn nicht an!“, rief König Giorgio. „Touristen bringen Geld ins Land. Natürlich müssen wir ihnen jene Annehmlichkeiten bieten, an die sie gewöhnt sind.“

„Annehmlichkeiten, die unseren eigenen Leuten nicht zur Verfügung stehen?“, hielt Marco ihm kühl vor. „Armut führt zu Wut. Das ist nur normal. Und ist es nicht unsere Pflicht, unserem Volk alles Lebensnotwendige an die Hand zu geben? Unsere Kinder können ohne moderne Technik nicht zeitgemäß lernen. Aber dazu brauchen sie Elektrizität. Wir nehmen den Menschen jegliche Chance auf ein gutes Leben, wenn wir sie nicht an unserem Reichtum teilhaben lassen. Dir ist hoffentlich klar, wie gefährlich es ist, im Herzen unseres Landes eine Klasse Unterprivilegierter zu erschaffen, um die wir uns nicht kümmern.“

„Du wagst es, mich darüber zu belehren, wie man dieses Land regiert?“, rief der König. „Ausgerechnet du, obwohl du San Rinaldi im Stich gelassen hast, um in London ein sorgenfreies Leben zu führen?“

„Du bist derjenige, der mich zurückgeholt hat, Nonno“, erwiderte Marco ruhig und benutzte bewusst jene liebevolle Anrede aus Kindertagen. Der König war ein alter Mann, dem es schwerfiel, mit neuen Entwicklungen zurechtzukommen. Das durfte man nicht außer Acht lassen. Im Grunde seines Herzens hatte Giorgio stets das Beste für sein Königreich gewollt.

„Ich hatte keine andere Wahl, als dich zurückzuholen“, räumte der König widerstrebend ein. „Du bist mein direkter Nachkomme, Marco. Allerdings hast du bisher wie ein ganz gewöhnlicher Mann gelebt und nicht wie ein Mitglied des Königshauses. Aber wenigstens warst du vernünftig genug, dich vor der Heimkehr von diesem ... diesem Flittchen zu trennen, mit dem du eine Beziehung hattest.“

Marco beherrschte sich mühsam. Sein Großvater hatte ihm also nachgespürt. Nun, damit war zu rechnen gewesen. Aber dass der alte Mann geringschätzig über Emily sprach, ließ das Blut in Marcos Adern schneller pochen.

Sein Großvater hatte einen wunden Punkt getroffen, den Marco am liebsten geleugnet hätte. An seine Zeit in London wollte er jetzt nicht erinnert werden. Wenn er länger darüber nachdachte, musste er sich womöglich eingestehen, dass Emily ihm fehlte. Garantiert würde er nichts dagegen unternehmen. Und schließlich war es nur natürlich, dass er sich nach sexueller Erfüllung sehnte.

„Wir waren uns einig, dass ich erst einmal allein nach San Rinaldi komme“, antwortete er seinem Großvater.

„Was meinst du mit erst einmal allein?“, fragte der König gereizt, und als Marco nicht antwortete, rief er: „Du wirst sie nicht hierherbringen, Marco! Das erlaube ich nicht! Du bist mein Nachfolger, und du musst auf deine gesellschaftliche Stellung Rücksicht nehmen, genauso wie auf das Volk.“ Marco hätte seinen Großvater leicht beruhigen können, indem er ihm versicherte, dass er Emily gar nicht nach San

Rinaldi holen wollte. Stattdessen sagte er jedoch zurückhaltend: „Das Volk – unser Volk – hat mit Sicherheit wichtigere Probleme als die Tatsache, dass ich eine Geliebte habe. Zum Beispiel, dass zehn Prozent der Einwohner unseres Landes keine Elektrizität nutzen können.“

„Du mischst dich hier in Dinge, die dich nichts angehen“, erklärte der König scharf. „Sei vorsichtig, Marco, sonst halten dich die Leute eher für einen Rebellen als für einen Anführer. Um herrschen zu können, brauchst du den Respekt der Menschen. Und um den zu erlangen, musst du mit starker Hand walten. Betrachte die Bewohner dieses Landes als deine Kinder, die zu dir wie zu ihrem Vater aufblicken, weil du weiser bist als sie.“

In diesem Punkt würde Marco niemals mit seinem Großvater einig werden. Statt das Thema weiterzuverfolgen, ließ er es deshalb ruhen. Eine weitere Diskussion wäre völlig sinnlos gewesen und hätte nur unnötig zu Streit geführt.

„Hören Sie doch für heute auf, und fahren Sie nach Hause“, schlug die junge Mitarbeiterin Jemma besorgt vor. „Jetzt kommt ohnedies niemand mehr in den Laden, und Kundentermine haben Sie auch nicht. Selbst auf die Gefahr hin, dass ich Ihnen mit meiner Hartnäckigkeit auf die Nerven gehe, muss ich es sagen: Sie sehen gar nicht gut aus. Ich kann mich hier um alles kümmern und abschließen.“

Emily rang sich für ihre Assistentin ein Lächeln ab, das ihr sehr schwerfiel. Jemma hatte leider recht, auch wenn Emily es sich nur ungern eingestand: Sie sah wirklich krank aus und vermied es, über die Gründe nachzudenken oder gar zu sprechen. „Sehr nett von Ihnen“, erwiderte sie, „aber ich will nicht ...“

„Sie vermissen Marco schrecklich und wollen nicht in ein leeres Haus kommen“, fiel Jemma ihr behutsam ins Wort.

Die Erinnerung an den Grund ihres Elends trieb Emily beinahe wieder Tränen in die Augen. Offenbar versuchte sie vergeblich zu verbergen, wie sehr sie der Bruch mit Marco getroffen hatte. Ihrer Mitarbeiterin war es aber doch aufgefallen.

„Es musste einfach wegen Marcos königlicher Herkunft enden“, erklärte Emily so beiläufig wie nur möglich. Zuerst hatte sie gezögert, Marcos wahre Identität zu enthüllen, doch letztlich war das gar nicht nötig gewesen. Jemma kannte einen der zahlreichen Presseberichte über seine Rückkehr nach San Rinaldi. Auf den Fotos, die während der Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt aufgenommen worden waren, erkannte man ihn deutlich. „Ich wünschte nur, er hätte mir von Anfang an die Wahrheit über sich gesagt“, fügte sie leise hinzu.

„Das verstehe ich nur allzu gut“, meinte Jemma. „Aber nach allem, was ich über ihn gelesen habe, ist er doch nur inkognito nach London gekommen, um sich aus eigener Kraft hochzuarbeiten und etwas aufzubauen. Das hatte er zwar schon geschafft, als er Sie kennenlernte, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass er Ihnen seinen richtigen Namen hätte verraten können. Vermutlich wäre es schwierig gewesen, ins Gespräch einfließen zu lassen, dass er eigentlich ein richtiger Prinz ist. Außerdem wollte er bestimmt, dass Sie ihn um seiner selbst willen schätzen und nicht wegen seines Titels und seiner Herkunft.“

Das alles erschien Emily durchaus logisch. Marco hätte vermutlich auch so argumentiert – wäre es jemals zu einem richtigen Gespräch über dieses Thema gekommen.

„Er hat mir nichts gesagt, weil er es nicht wollte“, erwiderte sie, um nicht schwach zu werden. „Für ihn war ich nichts weiter als eine ... eine ... Gespielin auf Zeit, eine Bettgefährtin, eine unterhaltsame Zerstreuung bis zu seiner Rückkehr nach San Rinaldi und in sein eigentliches Leben.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie sich fühlen“, meinte

Jemma. „Aber in einem Artikel stand, dass Marco erst durch den unerwarteten Unfalltod seiner Eltern die Nummer eins in der Thronfolge wurde. Bestimmt hat er Ihnen nichts gesagt, weil er glaubte, noch sehr lange mit Ihnen inkognito in London zu leben.“

„Ich habe ihm nichts bedeutet“, widersprach Emily niedergeschlagen.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, wehrte Jemma ab. „Sie beide haben zusammen immer unbeschreiblich glücklich gewirkt, und Sie waren auch ein schönes Paar.“

Traurig winkte Emily ab. „Es hat keinen Sinn mehr, über ihn oder unsere Beziehung zu sprechen. Es ist aus und vorbei.“

„Tatsächlich? Ich glaube, zwischen Ihnen beiden ist noch vieles ungeklärt“, sagte Jemma leise. „Sie haben mir selbst erzählt, dass Sie die Wohnung sofort verlassen haben, als Sie die Wahrheit erfuhren. Zu dem Zeitpunkt haben Sie bestimmt unter Schock gestanden. Für Marco war das alles vermutlich ähnlich erschütternd, wenn auch aus völlig anderen Gründen.“

„Sie meinen, weil ich ihm auf die Schliche gekommen bin?“, fragte Emily bitter. „Oder weil ich diejenige war, die unsere Beziehung beendete?“

„Dann wären Sie also nicht interessiert, sollte er sich wieder bei Ihnen melden?“, erkundigte sich Jemma vorsichtig.

„Dazu wird es nicht kommen“, behauptete Emily. Allerdings sah sie Jemma an, dass diese sie durchschaute und wusste, wie sehr sie sich noch immer nach Marco sehnte. Emily seufzte.

„Geben Sie sich selbst eine Chance“, drängte ihre Assistentin. „Sie und Marco haben viel gemeinsam erlebt, und zwischen Ihnen ist noch eine Menge offen. Sie haben Fragen, auf die Sie von Marco Antworten brauchen. Eine verschmutzte Wunde kann nicht heilen“, fügte sie warnend hinzu. „Erst wenn Sie alles geklärt haben, werden Sie Frieden finden.“

„Mir geht es gut“, schwindelte Emily, um das Gespräch zu beenden.

„Nein, das stimmt nicht“, wehrte Jemma unbeirrbar ab. „Sie brauchen sich doch nur anzusehen. Sie essen nichts, Sie nehmen ab, und Sie sind eindeutig unglücklich.“

„Das ist nichts weiter als dieses Virus, das ich einfach nicht loswerde“, versicherte Emily. Aber auch damit täuschte sie Jemma nicht.

Zwei Stunden später dachte sie noch immer über das Gespräch mit ihrer Assistentin nach. Ruhelos ging Emily im Laden auf und ab, rückte Gegenstände zurecht und strich Stoffmuster glatt, die ohnehin perfekt aussahen.

Jemma hatte recht. Emily wollte nicht in ihr leeres Haus zurückkehren, und sie vermisste Marco unbeschreiblich.

Im ersten Zorn redete sie sich ein, dass sie ohne ihn besser dran war. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Er hatte eine Lücke in ihrem Leben hinterlassen, eine Lücke, die sie nicht ausfüllen konnte. Obwohl er noch nicht lange fort war, wusste Emily gar nicht mehr, wie oft sie nachts aufwachte, die Hand ausstreckte und nur ein leeres Kissen ertastete. Jedes Mal traf die Wucht des Schmerzes Emily erneut, wenn sie begriff, dass sie ihn nie wieder berühren würde.

Die Arbeit half ihr nicht. Mochte Emily sich auch noch so sehr bemühen, sich in ihre Aufgaben zu vertiefen und abzulenken, sie konnte doch die bedrückende Gewissheit nicht verdrängen, dass Marco nicht mehr bei ihr war. Ständig dachte sie daran, dass sie ohne ihn zu Bett gehen musste, dass er sie nie wieder in die Arme nehmen, streicheln oder küssen würde. Niemals wieder!

Es war vorbei. Jetzt brauchte sie eine Möglichkeit, ihr Leben neu zu ordnen und auszufüllen. Leider hatte Emily keine Ahnung, wie das zu schaffen war. Dazu kam auch noch, dass

Jemma in einem anderen Punkt ebenfalls richtiglag.

Emily verlor ständig an Gewicht, weil sie einfach unfähig war, genug zu essen. Inzwischen war sie davon überzeugt, dass es nur mit dem Virus zusammenhing, das sie sich eingefangen hatte und nicht wieder loswurde.

Schwerer als alles andere war jedoch der Liebeskummer auszuhalten. Marco tauchte gerade in sein neues Leben ein. Dachte er überhaupt noch an sie, oder beanspruchte die Planung seiner Zukunft ihn so sehr, dass er keinen Gedanken an die gemeinsame Vergangenheit verschwendete? Zu seiner Zukunft gehörte eindeutig, dass er eines Tages heiratete.

Der Gedanke an die Frau, die einmal an seiner Seite leben würde, trieb Emily jedes Mal die Tränen in die Augen. In diesen Momenten fühlte sie deutlich, was es hieß, diesen Mann zu lieben.

Marco ... Marco ...

Wieso war das gerade ihr zugestoßen? Wieso hatte sie sich bloß in ihn verliebt? Was machte er jetzt? Mit wem war er zusammen? Mit seinem Großvater? Mit seiner Familie?

Hör auf, und tu dir das nicht an, befahl Emily sich matt. Es brachte nichts, sondern bestätigte nur immer wieder, was sie sowieso bereits wusste: Sie liebte einen Mann, der ihre Gefühle nicht erwiderte.

Seufzend griff sie nach ihrem Mantel. Ging sie eben nach Hause. So oder so – nichts würde sich ändern.

„Ich höre, du willst nach London zurückkehren?“ König Giorgio saß wie üblich kerzengerade hinter dem prunkvoll verzierten Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer im Schloss. „Ich erlaube nicht, dass du San Rinaldi schon wieder verlässt. Aus welchem Grund solltest du überhaupt nach London reisen?“

„Du weißt genau, warum ich fliege.“ Marco lehnte sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch zurück und schlug bewusst einen gemäßigten Ton an, obwohl es ihm schwerfiel. „Ich habe noch einige geschäftliche Dinge zu erledigen.“

„Ich verweigere dir meine Genehmigung.“

„Ach ja? Wie du meinst, Großvater, aber ich werde trotzdem reisen. Weißt du, ich brauche deine Zustimmung nicht.“ Sie maßen ihre Kräfte mit Blicken wie zwei Löwen, die um die Vorherrschaft im Rudel kämpften. Jeder von ihnen wusste, dass nur einer die Zügel der Macht in Händen halten konnte. Marco hatte nicht die geringste Absicht, sich von seinem Großvater in die Knie zwingen zu lassen.

Die Vergangenheit war ihm eine Lehre. Sollte er sich seinem Großvater unterordnen, brächte ihm es nur Verachtung ein. König Giorgio war ein Mann, der – bildlich gesprochen – lieber mit dem Schwert in der Hand starb, als es sich von einem jüngeren Rivalen wegnehmen zu lassen.

Natürlich hätte Marco die anstehenden Geschäfte von San Rinaldi aus erledigen können. Die Reise nach England war eigentlich überflüssig. Er wollte jedoch fliegen, und er hatte seine Entscheidung schon vor dem Einspruch seines Großvaters öffentlich bekannt gegeben, um Unbeugsamkeit zu zeigen.

Er war nun seit etwas mehr als zwei Wochen in San Rinaldi. Und es war kein Tag vergangen, an dem es keinen Disput mit dem König gegeben hatte. Jeder Versuch, mit seinem Großvater über Hilfsmaßnahmen für die ärmere Bevölkerung der Insel zu sprechen, führte zum Streit. Das wäre nur Geldverschwendung und würde letztlich die Macht des Königs untergraben. Marco war trotzdem fest entschlossen, den Bewohnern der Bergdörfer Strom zu liefern. Sein Großvater zeigte ärgerlicherweise dieselbe Beharrlichkeit und verweigerte seine Zustimmung.

„Nun gut, dann werde ich die nötigen Maßnahmen eben selbst bezahlen“, hatte Marco nach einer solchen Auseinandersetzung hitzig erklärt.

Ganz so einfach konnte es allerdings nicht funktionieren. Die Bergregionen der Insel waren nur schwer zugänglich. Und für die Maßnahmen, die Marco vorschwebten, müssten ausländische Experten zurate gezogen werden. Dazu kam, dass es sich um Gegenden handelte, in denen die Familie Vialli das Sagen hatte.

Marco vermutete, dass König Giorgio sich bewusst unnachgiebig gab, bloß um seine Macht zu demonstrieren. Mittlerweile spürte Marco, dass ihm die bisher genossene Freiheit in London seine Rolle als zukünftiger König beträchtlich erschwerte. Im Augenblick konnte er seine Entscheidungen nicht vollkommen allein treffen und musste sich nach anderen richten. Vorerst wollte er sich darum noch bremsen.

Er stand auf und wandte sich von seinem Großvater ab.

„Ich hoffe, dass diese Reise nach London nichts mit jener Frau zu tun hat – du weißt schon

Daraufhin drehte Marco sich noch einmal um. „Und wenn doch?“, fragte er gepresst.

„Dann verbiete ich dir, sie zu sehen“, erwiderte sein Großvater. „Der künftige König von San Rinaldi teilt sein Bett nicht mit einer gewöhnlichen Frau, noch dazu mit einer, die geschieden ist und weder Stammbaum noch Vermögen vorzuweisen hat.“

Marco holte tief Luft. „Niemand schreibt mir vor, mit wem ich ins Bett gehen darf und mit wem nicht, Großvater, nicht einmal du!“ Diesmal wartete er nicht auf die Antwort des Regenten, sondern stürmte aus dem Arbeitszimmer.

Es fiel ihm schwer, seinen Zorn zu zügeln. Die Sonne, die dem Land einen besonders heißen Tag beschert hatte, versank bereits hinter den schroffen Bergen, als Marco den Palast verließ. Seine Schritte knirschten auf dem Kies des Vorplatzes, während er zu seinem Wagen ging. Ein Lufthauch trieb den Duft exotischer Blumen zu ihm und raschelte in den Blättern der sorgfältig gepflegten Bäume des Schlossparks.

Marco hatte sich geweigert, die Räume im alten Königssitz zu beziehen. Stattdessen wohnte er in einer Villa in der Altstadt, die er von seinen Eltern geerbt hatte.

Sein Großvater zeigte sich natürlich auch damit nicht einverstanden, doch Marco störte sich nicht daran. Ihm ging es in erster Linie darum, unabhängig zu bleiben und seine Privatsphäre zu schützen. Jetzt fuhr er allerdings nicht zu der nahe gelegenen Villa.

Er stieg in seinen Privatwagen, um zum Flughafen zu rasen und trotz des Einspruchs des Königs nach London zu fliegen. Wie konnte sein Großvater es wagen, ihm zu verbieten, mit Emily zu schlafen? Ärgerlich warf Marco einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. In London war es jetzt kurz nach sechs Uhr abends. Wahrscheinlich hatte Emily schon den Laden verlassen und befand sich gerade auf dem Heimweg.

Emily! Er dachte nicht erst an sie, seit sein Großvater sie erwähnt hatte. Zu Marcos Überraschung kreisten seine Überlegungen seit der Trennung ständig um sie. Sicher hing es damit zusammen, dass er nicht gern allein schlief. Das war rein körperlich und hatte weiter keine Bedeutung.

Nachdem er den Motor angelassen hatte, verließ Marco das Palastgelände durch ein schmiedeeisernes Seitentor, das ihm die uniformierten Wachen öffneten. Er nickte, als sie salutierten, und beschäftigte sich gedanklich wieder mit seinem Großvater, dessen herablassende und herrische Art ihn aufregte. Bei allem Für und Wider musste Marco berücksichtigen, dass es um die Gesundheit des Königs nicht zum Besten stand. Daher blieb ihm nichts weiter übrig, als sein Temperament zu zügeln, so schwer es ihm auch fiel.

Jemma schüttelte den Kopf, als Emily nach der Mittagspause den Laden wieder betrat. „Sie sind viel zu früh wieder da. Sie sollten zum Arzt gehen“, drängte sie und betrachtete forsehend das blasse Gesicht ihrer Chefin.

„Das ist völlig unnötig“, wehrte Emily matt ab. „Es ist wirklich nur dieses Virus, und der Arzt würde das Gleiche sagen und mir Tabletten verschreiben. Den Gang kann ich mir sparen.“

„Diese Woche war Ihnen oft übel“, hielt die Assistentin ihr vor, „und jetzt haben Sie bestimmt nichts zu Mittag gegessen. Außerdem sehen Sie erschöpft aus.“

„Ich brauche Urlaub und vor allem Sonnenschein, um mich aufzumuntern“, versicherte Emily. Sie wollte das Gespräch nicht fortsetzen. Andererseits wollte sie genauso wenig Jemmas Gefühle verletzen, weil ihre Assistentin sich aufrichtig um sie sorgte.

„Ja, Sie brauchen unbedingt etwas – oder jemanden“, betonte Jemma. „Ich könnte in den Laden gegenüber laufen und Ihnen ein Sandwich und Kaffee besorgen.“

„Kaffee?“ Emily schauderte bereits bei der bloßen Vorstellung. „Nein, ausgeschlossen. Mir wird schon übel, wenn ich an den Geruch denke.“

„Wahrscheinlich brauchen Sie wirklich Urlaub.“

Emily rang sich zu einem Lächeln durch. Was sie brauchte, war Marco, seine Umarmung, jede Nacht seinen Körper neben ihrem im Bett, vor allem aber Marcos Liebe und die Gewissheit, dass sie ein Leben lang halten würde.

Das alles blieb ihr verwehrt. Sie hatte nicht geahnt, wie schwer die Zeit nach der Trennung ihr zu schaffen machen würde. Der Schmerz war fast unerträglich und verzehrte ihre Kräfte. Nacht für Nacht sagte sie sich beim Schlafengehen, dass es nicht mehr schlimmer werden konnte. Bald würde sich alles bessern. Doch jeden Morgen beim Aufwachen verschlechterte sich ihr Zustand. Mit jedem Tag wurde es unerträglicher.

Sie hasste sich dafür, dass sie Marco trotz seines Betrugs liebte. Dennoch half es ihr nicht, sie liebte ihn.

Die Geschäfte, die Marco in London erledigen wollte, waren abgeschlossen. Die erste Ladung Generatoren, die er auf seine Kosten gekauft hatte, befand sich auf dem Weg zum Flughafen und sollte mit einer Frachtmaschine nach San Rinaldi gebracht werden.

Bereits zum Hotel unterwegs, überlegte er es sich plötzlich anders und nannte dem Taxifahrer die Adresse von Emilys Laden in Chelsea. Ein vernünftiger Grund dafür wollte Marco nicht einfallen. Schließlich schuldete er ihr nichts. Sie hatte ihm keine Gelegenheit gegeben, ihr richtig klarzumachen, dass er schon lange vor ihrer ersten Begegnung seine wahre Identität verschleiert hatte. Doch das lag jetzt hinter ihnen, und die Beziehung hätte früher oder später ohnedies geendet.

Seinen Großvater würde der Kauf der Generatoren erzürnen, ebenso der Besuch seines Enkels bei Emily. Nachdem Marco dem Fahrer das Geld gereicht hatte, sah er sich in der hübschen Straße um, die im Schein der Nachmittagssonne vor ihm lag. War er vielleicht nur hier, um seinen Großvater herauszufordern?

Ein spöttisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Die Zeit, in der er aus Unreife den Mann gereizt hatte, den er als unerwünschte Autoritätsperson betrachtete, war längst vorbei. Nein, er wollte seinen Großvater nicht aufregen. Es konnte jedoch nicht schaden, dem alten Mann zu zeigen, dass er das Leben seines Enkels nicht kontrollieren konnte. Der König war nicht bereit, auf seine Macht zu verzichten und einzulenken. Es konnte nicht verkehrt sein, ihm vor Augen zu führen, dass sich die Dinge änderten.

Marco gefiel außerdem, dass er durch diesen Besuch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlug.

Erstens hatte Emily ihn verlassen, ohne ihm Gelegenheit zu einer vernünftigen Erklärung zu geben. Diese Chance schuldete sie ihm. Sein Stolz verlangte danach, dass sie die Beleidigungen zurücknahm, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte. Ja, sein Stolz führte ihn hierher.

Zweitens konnte ihn niemand, nicht einmal sein Großvater, davon abhalten, Emily aufzusuchen, damit sein Ehrgefühl wiederhergestellt wurde. Was war mit seinem Körper, der nach Befriedigung verlangte? Nun, jede Frau konnte ihm das bieten. Es spielte keine Rolle, dass seine Erregung mit jedem Schritt stieg, der ihn näher zu Emily brachte. Auf keinen Fall ließ Marco sich von einer Frau beherrschen.

Er sah bereits das Schaufenster ihres Ladens, das mit schlichter und doch so ansprechender Eleganz bestach. Emily besaß die bemerkenswerte Gabe, aus nüchternen und wenig ansprechenden Räumen etwas zu machen. In seiner Villa in San Rinaldi wäre diese Gabe dringend nötig gewesen.

Leicht schüttelte er den Kopf. Es stimmte, dass seine Villa wenig zu bieten hatte im Vergleich zu seiner Londoner Wohnung, die Emily neu eingerichtet hatte. Andererseits war die Reaktion seines Großvaters vorhersehbar. Der alte Mann wäre außer sich, wenn Marco mit Emily nach San Rinaldi zurückkehrte und behauptete, sie als Innenarchitektin zu engagieren. Der König würde kein Wort glauben und annehmen, dass sein Enkel sich bewusst wieder einmal über höchste Anordnungen hinwegsetzte.

Aber vielleicht sollte er das tatsächlich tun. Auf diese Weise könnte er seinem Großvater ein für alle Mal zeigen, dass sein Enkel sich nichts mehr sagen ließ. Und Emilys Anwesenheit in San Rinaldi hätte keinerlei Auswirkungen auf die Bevölkerung.

Je länger er darüber nachdachte, desto besser gefiel Marco der Gedanke, Emily für kurze Zeit auf die Insel zu holen. Dieser Schachzug wäre eine energische Warnung an seinen Großvater, sich nicht in das Privatleben anderer einzumischen. Dass Emily ihn ohne Weiteres begleiten würde, glaubte Marco zwar kaum; sollte sie es aber doch tun, könnte er natürlich mit ihr sein Bett teilen. Angesichts seines unbefriedigten Verlangens kam gar nichts anderes infrage.

War er vielleicht deshalb hier? Ging es nicht nur um seinen Stolz, sondern auch darum, dass er sie noch immer begehrte?

Nein, das war nicht der Grund!

Er stand inzwischen vor der Tür ihres Ladens und legte die Hand auf den Messinggriff, doch nun stockte er und wollte sich wieder zurückziehen. Es war jedoch zu spät. Emily hatte ihn bereits gesehen.

Langsam drückte er die Tür auf. Emily saß mit ihrer Assistentin Jemma hinter dem antiken Schreibtisch in der Ecke des Schauraums. Auf den ersten Blick fiel Marco auf, dass Emily dünner aussah. Sie wirkte blass und sehr zerbrechlich.

Seinetwegen? Beinahe wünschte er sich, dass ihr Zustand darauf zurückzuführen war, wie sehr sie ihn vermisste. Dabei hatte er sich in der Vergangenheit stets gefreut, wenn seine Exgeliebten einen neuen Partner fanden. Allerdings hatte Marco nach dem Ende einer Beziehung auch keine seiner ehemaligen Geliebten mehr begehrt.

Aus weit aufgerissenen Augen sah Emily ihm entgegen. Ihre Wangen röteten sich, ihre Lippen formten seinen Namen. Ruckartig schob sie den Stuhl zurück und wollte aufstehen, begann jedoch zu schwanken.

Im nächsten Moment sank sie in sich zusammen und wurde leichenblass. Marco reagierte blitzschnell, eilte durch den Laden und fing Emily auf.

„Schon gut, ich werde nicht ohnmächtig“, murmelte sie und verlor das Bewusstsein.

Wie aus weiter Ferne und durch viele Lagen Stoff gedämpft, hörte Emily Stimmen, Jemmas ängstliche Rufe und Marcos schroffe Fragen, die sie jedoch nicht mehr verstand. Schließlich schien alles um sie herum zu verschwimmen, und die Stimmen entfernten sich. Dafür fühlte sie Marcos starke Arme. Er hielt sie fest, und sie atmete erleichtert auf. Jetzt konnte ihr nichts mehr geschehen. Dankbar entspannte sie sich und versank in tiefer Dunkelheit.

„Was hat das denn zu bedeuten?“, fragte Marco aufgebracht. Er hatte gehofft, durch dieses Wiedersehen Genugtuung zu fühlen, doch daran dachte er nun nicht mehr. Erst jetzt begriff er, wie schwach und zerbrechlich Emily war. Während ihrer Beziehung hatte sie kein einziges Mal einen Ohnmachtsanfall erlitten. Sie wirkte nie so benommen, dass er damit hätte rechnen müssen. Umso betroffener registrierte er ihre Reaktion auf seine Gegenwart jetzt.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, erwiderte die Assistentin verstört. „Sie isst schon längere Zeit nicht mehr anständig. Angeblich hat das mit dem Grippevirus zu tun, das sie sich vor einiger Zeit eingefangen hat. Sie wird es seither nicht mehr los. Damit steht sie allerdings nicht allein da. Ich habe erst gestern in der Zeitung gelesen, dass viele Leute unter den Auswirkungen einer Grippe leiden. Die Ärzte raten zu Ruhe und Sonnenschein, damit sich das Immunsystem erholen kann. Emily hat heute auch so etwas Ähnliches erwähnt. Ich bin froh, dass Sie hier sind. Ich habe mir schon ernsthafte Sorgen um sie gemacht.“

„Hört ihr beide endlich auf, über mich zu sprechen, als wäre ich gar nicht hier?“, sagte Emily matt dazwischen. „Es geht mir gut.“

Die Dunkelheit wich allmählich von ihr. Auch die Übelkeit schwand. Emily saß auf einem Stuhl und hielt den Kopf zwischen den Beinen. Offenbar hatte Marco sie in diese Position gebracht. Er stand so dicht neben ihr, dass sie ihn hätte berühren können. Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Emily?“, fragte er beunruhigt.

Sie spürte seine Hand auf der Schulter. Wärme breitete sich auf ihrer Haut aus und drang beruhigend und belebend in ihren Körper ein. Ihr erstes Zusammentreffen nach der Trennung hätte sie sich anders vorgestellt. Bestimmt bekam Marco jetzt einen falschen Eindruck von ihr und glaubte, sie wäre so schwach und hilflos, dass er alles in die Hand nehmen musste.

Das Schicksal meinte es derzeit nicht sonderlich gut mit ihr. Sie hielt den Atem an, als Marco neben ihr in die Hocke ging. Konzentriert versuchte Emily, den Kopf zu heben, ohne dass ihr erneut schwindelig wurde. Wie schön wäre es doch gewesen, hätte er sie nicht in diesem Zustand gesehen.

„Du brauchst dich wirklich nicht um mich zu kümmern“, behauptete sie so energisch wie möglich. „Es geht mir gut.“

„Hören Sie nicht auf sie, Marco“, warf Jemma ein. „Es geht ihr überhaupt nicht gut. Sie isst kaum etwas, und wenn sie es doch tut, wird ihr übel.“

„Jemma!“, warnte Emily.

„Sie verrät mir nicht gerade ein Staatsgeheimnis“, wehrte Marco trocken ab. „Ich sehe selbst, wie es dir geht. Außerdem gibt es nichts, das du vor mir verbergen müsstest, oder?“

Nur meinen verletzten Stolz und mein gebrochenes Herz, dachte Emily, doch Marco interessierte sich ohnehin weder für das eine noch für das andere. „Was machst du eigentlich hier ... Hoheit?“, fragte sie betont herablassend.

Da sie sich so schwach fühlte, konnte Marco sie unmöglich allein lassen. Was sollte er mit ihr machen? Noch an diesem Abend sollte er nach San Rinaldi zurückfliegen. Ich bin nicht für Emily verantwortlich, schärfte Marco sich ein. Sie ist eine erwachsene Frau, die für sich selbst sorgen kann. Offenbar tat sie dies jedoch nicht ausreichend.

„Ich bin hier, weil ich mit dir etwas Geschäftliches besprechen möchte“, erwiderte er. Verständnislos sah sie ihn an und fasste sich matt an den Kopf. Es berührte Marco tief, sie zum ersten Mal in einem dermaßen geschwächten Zustand zu sehen.

Emily hatte schreckliche Kopfschmerzen und konnte kaum klar denken. Marco war hier. Unbegreiflich. Ihre Gedanken überstürzten sich. Sie verstand kaum, was er sagte. Noch hatte sie sich von dem Schock des Wiedersehens nicht erholt.

Es wäre vernünftig, sich von Marco fernzuhalten. Aber sie dachte sehnsüchtig daran, wie er sie vorhin in den Armen gehalten hatte. Schon um nicht wieder verletzt zu werden, sollte sie ihn abweisen. Andererseits sehnte sie sich nach seiner Nähe – Haut an Haut, Lippen auf Lippen ...

„Etwas Geschäftliches?“, wiederholte sie bebend. „Was soll das denn heißen? Ich bin Innenarchitektin.“

„Genau darum geht es“, entgegnete er. „Und du bist eine gute Innenarchitektin.“

Marco lobte sie? Wollte er ihr schmeicheln? Was hatte das denn zu bedeuten? Emilys Misstrauen war erwacht. Dieses Verhalten sah ihm gar nicht ähnlich.

„Es kann durchaus noch eine Weile dauern, bis ich den Thron offiziell von meinem Großvater übernehme“, erklärte er unbeirrt. „Ich bin daher nicht in den Palast gezogen, wo ich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wäre. Stattdessen wohne ich in einer Villa, die mir meine Eltern hinterlassen haben. Sie steht in der Altstadt und müsste dringend modernisiert werden. Und ich brauche für die Innenausstattung jemanden, der sein Handwerk versteht und vor allem meinen Geschmack kennt.“

Es dauerte einige Sekunden, bis Emily begriff, worauf er hinauswollte. Doch auch dann traute sie kaum ihren Ohren. „Soll das heißen, dass du mich als Innenarchitektin engagieren willst?“, fragte sie leise.

„Ja, wieso denn nicht?“, entgegnete er lässig.

„Wieso nicht?“ Fassungslos sah sie ihn an. „Wir waren ein Paar, aber unsere Beziehung ist vorüber. Du kannst mir doch nicht einfach einen Auftrag zur Raumgestaltung geben und so tun, als wäre zwischen uns nie etwas gewesen.“

„Natürlich nicht einfach so“, versicherte er. „Sieh mal, du hast mir keine Gelegenheit gegeben, dir genau zu erklären, warum ich dir nichts über San Rinaldi und meine Rolle in dem Land erzählt habe.“

Jemma zog sich diskret zurück, ging unter einem Vorwand in den Lagerraum und schloss hinter sich die Tür. Starr blickte Emily auf den Boden und wartete. Sie fühlte sich hilflos und schwach. Eigentlich sollte sie Marco gar nicht zuhören, leider war sie jedoch in diesem Punkt ihr eigener Feind. Sie schwieg, hoffte verzweifelt auf seine nächsten Worte und wollte möglichst lange in seiner Nähe sein.

„In meiner Jugend hatte ich eine sehr schwierige Beziehung zu meinem Großvater“, schilderte er ihr. „In seinen Augen bin ich das schwarze Schaf der Familie. Ich nahm ihm übel, wie er meinen Vater behandelte – der viel zu gutmütig war, um sich gegen den störrischen Mann zu behaupten. Damals habe ich mir geschworen, dass mir nicht dasselbe passieren würde. Ich wollte mich von meinem Großvater niemals kontrollieren lassen. Darum ging ich nach London. Hier wollte ich dem König und mir selbst beweisen, dass ich auch ohne die Macht des Königshauses Rinaldi etwas erreiche. Deshalb gab ich nie meinen wahren Namen an und verschleierte meine Herkunft, aus keinem anderen Grund.“

„Du warst aber schon ein höchst erfolgreicher Geschäftsmann, als wir uns kennenlernten“, hielt sie ihm vor.

„Ja, und ich hatte mich daran gewöhnt, frei und unbeschwert zu leben, weil ich schlicht als Marco Fierezza auftrat“, entgegnete er. „Ich sah keine Notwendigkeit, daran etwas zu ändern. Außerdem dachte ich, dass das noch viele Jahre so weitergehen würde. Mein Vater sollte schließlich irgendwann meinem Großvater auf den Thron nachfolgen.“ Er zuckte die breiten Schultern. „Normalerweise wäre ich

erst in vielen Jahren König geworden.“

„Das mag ja alles so sein“, räumte Emily beherrscht ein. „Dir war aber klar, dass du eines Tages standesgemäß heiraten und einen Sohn haben müsstest, an den dann die Krone gehen kann.“

„Ja, irgendwann“, bestätigte Marco zögernd. „Es bestehen etliche sehr alte und rückständige Gesetze für das Königshaus von San Rinaldi. Dazu gehört, dass der König keine geschiedene Frau und auch keine mit üblem Ruf heiraten darf. Es ist nicht einfach, eine Partnerin zu finden, die alle Ansprüche erfüllt. Daher hatte ich es mit einer Heirat absolut nicht eilig und wollte warten, bis es sich nicht länger aufschieben lässt.“

Emily konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. Vollkommen ruhig und gelassen erklärte er ihr seine Probleme. Damit sagte er jedoch nichts weiter, als dass sie von Anfang an für ihn nicht als Partnerin infrage gekommen war. Er hatte keine Sekunde lang überhaupt in Erwägung gezogen, sie zu lieben und sich für immer an sie zu binden. Für diese gleichgültige Haltung sollte Emily ihn eigentlich hassen, aber es gelang ihr nicht.

„Hör mir zu“, drängte er. „Ich habe nicht viel Zeit. Du musst unbedingt etwas essen. Wie wäre es, wenn wir das Abendessen vorziehen und uns dabei unterhalten?“

Sofort schüttelte Emily den Kopf und winkte ab. Seltsam, dachte Marco verwundert, sie hat immer gern gegessen und auch alles vertragen. Nie waren in dieser Hinsicht Probleme aufgetaucht. Jetzt wirkte ihr Gesicht jedoch hager und ausgezehrt.

„Jemma hat recht“, meinte er entschlossen. „Du kümmerst dich nicht ausreichend um dich, und du brauchst dringend Erholung. Also, ich habe keine Zeit, um lange mit dir zu diskutieren. Ich habe mich bereits entschieden. Du kommst mit mir nach San Rinaldi.“

War sie tatsächlich so schwach, dass sie sich darüber freute, wenn Marco für sie Entscheidungen traf? Innerlich regte sich ein Widerstand in Emily. Sie war doch eine unabhängige Frau und keine schwache Heldin aus der viktorianischen Epoche, die den Mann für sich entscheiden ließ.

„Das geht nicht“, widersprach sie, um klarzustellen, dass sie über ihr Leben selbst bestimmte. „Da ist erst einmal mein Geschäft.“

„Aber natürlich geht das“, sagte Jemma, die plötzlich an der offen stehenden Tür zum Lagerraum lehnte. „Ich kann mich hier um alles kümmern.“

Marco saß mit dem Rücken zum Lagerraum und sah darum nicht, wie die Assistentin Emily heftig zunickte und durch Zeichen drängte, das Angebot anzunehmen. Kurzerhand erklärte Jemma schließlich, dass sie rasch zur Post laufen müsse.

Emily blieb mit Marco allein im Laden zurück. Seine Nähe wirkte jetzt noch stärker auf sie und erschwerte ihr das Denken. „Du kannst mich nicht einfach mitnehmen“, hielt sie ihm vor. „Das klappt nicht. Wir waren ein Liebespaar und haben ...“

„Und wir könnten auch weiterhin eines sein, wenn du willst“, unterbrach er sie sanft.

Wieder senkte Emily den Kopf, damit Marco an ihren Augen nicht erkannte, wie sehr sie hoffte und sich nach ihm verzehrte. Es zerriss sie innerlich. Obwohl sie wusste, dass es unmöglich war, wollte sie doch so gern bei ihm sein. „Das können wir nicht“, wandte sie ein. „Selbst wenn ich ... du weißt schon ... wieder wie früher ... Das geht nicht.“

„Warum nicht, wenn wir beide es wollen?“, fragte er nüchtern.

Wenn wir beide es wollen . Sie bekam Herzklopfen. Er gibt zu, dass er etwas für mich empfindet, dachte Emily. Mit einem Mal waren ihre Lebensgeister geweckt. Aufmerksam

richtete sie sich auf.

„Aber was ist denn mit den Gesetzen des Königshauses von San Rinaldi?“, wandte sie ein. „Dein Großvater wäre doch garantiert nicht damit einverstanden, wenn ich auf die Insel komme und ...“

„Mein Großvater bestimmt nicht über mein Privatleben“, fiel Marco ihr in der üblichen herablassenden Art ins Wort.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, gestand sie, weil sie mit der Situation nicht fertig wurde. „Wie viel Zeit hätte ich denn, um .“

„... um das Bett mit mir zu teilen?“, unterbrach er sie abermals. „Mein Großvater ist zwar bereit, zurückzutreten, aber ich bezweifle, dass er es eilig hat. Wahrscheinlich hätten wir den ganzen Sommer für uns. Dann sehen wir weiter.“

„Das habe ich nicht gemeint“, wehrte sie verlegen ab. „Ich wollte sagen, wie viel Zeit mir bleibt, um über deinen Vorschlag nachzudenken und mich zu entscheiden. Mehr nicht“, betonte sie.

„Gar keine Zeit. Du brauchst auch keine, weil es nichts zu überlegen gibt. Du kommst mit mir, Emily. In dem Punkt hast du keine andere Wahl. Du kannst lediglich entscheiden, in welcher Eigenschaft du mich begleitest. Meine Maschine startet um acht. Wir haben gerade genug Zeit, um zu dir nach Hause zu fahren, deinen Pass zu holen und das Nötigste einzupacken. Wenn wir gleich aufbrechen, kann ich dir auch noch zeigen, was uns beiden entgeht, falls du dich weigerst“, fügte er so sinnlich hinzu, dass ihr vor Sehnsucht beinah erneut schwindelig wurde.

„Ich muss dich warnen“, fuhr er sachlich fort. „Die Villa stellt sogar für dich und deine Fähigkeiten eine Herausforderung dar. Ich bin aber sicher, dass du es schaffst.“

Er reichte ihr Handtasche und Jacke und führte Emily zur Tür. Und sie ließ alles mit sich geschehen. Sie fand nicht die Kraft, sich zu wehren. Es spielte allerdings auch keine Rolle.

„Wie viele Zimmer hat die Villa?“, fragte sie, als sie auf die Straße traten.

„Fünf.“ Er wandte sich Emily zu und betrachtete sie mit einem Blick, bei dem ihr die Knie zitterten. „Aber du wirst in meinem Zimmer schlafen – bei mir.“

„Du bist der nächste König von San Rinaldi“, wandte sie in einem letzten schwachen Versuch ein. „Da kann ich unmöglich dermaßen offen bei dir als deine Geliebte wohnen.“ „Ach nein?“, entgegnete er leise und lächelte herausfordernd.

8. KAPITEL

„Wir sind da.“

Marcos Stimme weckte sie. Offenbar war sie während der Fahrt vom Flughafen zur Hauptstadt San Rinaldis eingeschlafen. Vorher hatte Emily allerdings noch die breite Straße gesehen sowie die riesigen Bilder an den Lichtmasten. Sie zeigten Marco in einem hermelinbesetzten Umhang mit einer Krone, die über seinem Kopf schwebte. Darunter stand etwas in der Landessprache Italienisch, das sie einigermaßen verstand: WILLKOMMEN HOHEIT! Diese Bilder hatten Emily deutlicher als alles andere bisher die Kluft gezeigt, die zwischen ihr und Marco klaffte.

Nach den Aufregungen der letzten Stunden fühlte sie sich so erschöpft, dass sie kaum die Kraft fand, aus dem Wagen zu steigen. Marco öffnete die Tür und reichte Emily die Hand, um ihr zu helfen.

Sie zögerte einen Moment. Wäre es doch besser gewesen, nicht hierherzukommen? Da solche Überlegungen sinnlos waren, konzentrierte Emily sich auf ihre Umgebung. In der warmen Nachtluft schwebte jener unverwechselbar mediterrane Duft, der sie an die Urlaube mit Marco erinnerte. Es roch nach einer unverwechselbaren Mischung aus Blüten, Erde und Meer sowie der Hitze des Tages, die man auch noch nachts erahnte.

Emily atmete tief ein und versuchte sich zu beruhigen. Sie befanden sich in einem Hof, der von weißen Mauern, schmalen Bogenfenstern mit Jalousien und schmiedeeisernen Balkonen umgrenzt war. Der Mond stand hoch am Himmel, und Licht fiel aus den Fenstern angrenzender Gebäude. Zur Straße hin schirmte ein schweres hölzernes Tor den Hof ab. In der Dunkelheit nicht sichtbar, plätscherte ein Brunnen.

„Es wirkt wie ein altes maurisches Gebäude“, bemerkte sie.

„Ja, richtig“, bestätigte Marco. „Die Mauren herrschten damals lange Zeit über die Insel. Hier im ältesten Teil der Hauptstadt findet man noch überall ihren architektonischen Einfluss. Außerdem unterhielten die Kaufleute von San Rinaldi enge Kontakte zu Spanien und ließen sich von der dortigen Baukunst inspirieren.“

Er führte sie zu einem beeindruckenden steinernen Torbogen. Emily zögerte, obwohl es bereits zu spät war, ihre Entscheidung zurückzunehmen. „Du wohnst also nicht im Palast, sondern hier?“

„Ja. Bist du enttäuscht? Falls es dir nicht gefällt, könnte ich immer noch dafür sorgen, dass wir im Palast ...“

„Nein!“, unterbrach sie ihn hastig. Sie beide im Palast? Das war völlig undenkbar. Trotz der Wärme fröstelte sie. Sie hätte sich von Marco nicht dermaßen überfahren lassen sollen. Er wollte sie nur wieder in seinem Bett haben, obwohl es für sie beide keine Zukunft gab.

Warum an eine ferne Zukunft denken, wenn sie die Gegenwart haben konnte? Jede Stunde, ja, jede Minute mit Marco war Emily so wertvoll, dass sie mit beiden Händen zugreifen und die Zeit festhalten sollte.

Sie schloss die Augen. Seit wann war sie so mutig und dachte nicht mehr an die Folgen? Es stimmte, dass sie bei Marco sein wollte, weil sie ihn liebte. Dabei hätte sie besser versuchen sollen, diese Liebe zu vergessen.

Innerlich fühlte sie sich wie zerrissen. Die Stimme der Vernunft sagte ihr, dass sie sich mit den unüberwindlichen Unterschieden zwischen ihnen beschäftigen sollte. Daran, dass Marco ihr Liebhaber und der Mann war, den sie liebte, sollte Emily nicht denken. Sie stand gerade neben dem zukünftigen König von San Rinaldi. Niemals würde er ihr gehören.

Trotzdem wünschte sie sich, jede Minute mit ihm zu genießen und alles an Intimität anzunehmen, was er ihr bot. Die Zukunft interessierte sie dabei nicht. Wie ließen sich diese gegensätzlichen Wünsche und Überlegungen miteinander vereinen?

Gar nicht. Sie brauchte es überhaupt nicht zu versuchen.

„Gehen wir hinein“, schlug er vor. „Dann stelle ich dir Maria und Pietro vor, die sich um die Villa kümmern.“

Emily hielt ihn zurück. „Sie werden herumerzählen, dass ich hier bin.“

„Das ist anzunehmen, aber spielt das denn eine Rolle?“ Ihm war klar, dass seine Angestellten reden würden und sein Großvater bald alles erfahren musste. Das wollte Marco jedoch Emily gegenüber nicht erwähnen.

„Wäre es nicht vielleicht doch besser, wenn ich ... Sieh mal, ich soll für dich die Villa neu einrichten. Wenn ich ein eigenes Zimmer bekomme, halten wir den Schein aufrecht, und du könntest .“

„Was könnte ich?“, fiel er ihr entschlossen ins Wort. „Mich mitten in der Nacht zu dir schleichen? Das kommt gar nicht infrage, Emily! Ich bin kein ängstlicher Junge, sondern ein Mann.“

„Aber falls wir als Liebespaar hier leben und .“

„Falls?“, unterbrach er sie spöttisch. „Emily, das ist keine Möglichkeit, sondern steht längst fest. Du wirst in meinem Bett schlafen – mit mir. Komm nicht auf andere Gedanken. Du bist jetzt sehr erschöpft, und darum werde ich mich zurückhalten. Das gilt aber nur für heute Nacht. Meine Untertanen werden sehr gut verstehen, dass ich nicht nur ihr künftiger König, sondern auch ein Mann bin. Niemand kann von mir erwarten, dass ich wie ein Mönch lebe. Alle werden akzeptieren, dass

„... dass ich deine Geliebte bin und du mich hierhergebracht hast, damit ich dir das Bett wärme?“ Sie geriet fast in Panik. Wenn Marco so sprach, kam er ihr wie ein Fremder vor. Seine Gedanken an die Untertanen und seine Pflichten als künftiger König entfernten ihn von ihr. Und letztlich war er auch nicht mehr der Mann, den Emily kennengelernt hatte. Bestimmt fand die Krönung in absehbarer Zeit statt.

„Willst du mein Bett nicht wärmen?“, fragte er und fügte verführerisch hinzu: „Der Duft deiner Haut bringt mich auf höchst erotische Ideen und löst angenehme Empfindungen in mir aus.“ Jetzt war er wieder der Marco, den sie kannte. „Weißt du noch, wie ich das erste Mal deine Haut geschmeckt habe?“

Trotz aller Zweifel und Ängste sandten seine Worte ihr einen wohligen Schauer über den Körper und beschworen erregende Erinnerungen herauf. Sie wollte ihm sagen, dass sie keine ahnungslose Jungfrau mehr war und nicht die Absicht hatte, auf sein Spiel einzugehen. Stattdessen flüsterte Emily nur atemlos: „Ja, ich weiß es noch, als wäre es gestern.“

„Auch, wie du das erste Mal meinen Geschmack gekostet hast?“, fuhr er lockend fort.

Emily spürte ihr Herz, das aufgeregt pochte. Sie konnte nur nicken.

Seine Finger umfassten ihr Handgelenk und streichelten ihre nackte Haut. „Damals hat es dich nicht gestört, dass die Angestellten im Hotel genau wussten, was wir machen. Du hast nicht verheimlicht, dass wir ein Liebespaar waren.“

„Das war etwas anderes“, wandte sie ein.

„Und wieso?“

„Damals waren wir einfach zwei ganz gewöhnliche Menschen. Hier dagegen bist du der künftige König. Du hast es selbst gesagt. Die Menschen auf der Insel sehen dich so, und mich werden sie als deine Geliebte betrachten.“

Er zeigte sich völlig unbeeindruckt. „Und weiter?“ Verstand er tatsächlich nicht, was sie bei dieser Vorstellung fühlte? Hatte er sich schon so weit vom normalen Leben entfernt, dass er nichts begriff? Tausendmal lieber wollte Emily die Geliebte von Marco Fierezza als die des künftigen Königs von San Rinaldi sein.

„Ich versichere dir, dass alle dich höflich und respektvoll behandeln werden“, fuhr er fort, als sie nicht antwortete. „Deshalb brauchst du dir also keine Sorgen zu machen. Und sollte ich jemals etwas anderes hören, greife ich sofort ein, damit es nicht wieder vorkommt.“

Auch jetzt schlug er wieder diesen für sie erschreckend hoheitsvollen Ton an, der sie an seine gesellschaftliche Stellung erinnerte. Früher hätte Emily über eine derartige Erklärung nur gelacht, und Marco hätte sich ihr angeschlossen. Dagegen meinte er es nun absolut ernst.

Marco strahlte schon immer eine gewisse Autorität aus, er war es gewohnt, dass seine Anordnungen befolgt wurden. Seine Persönlichkeit, seine Bewegungen und Gesten hatten das stets unterstrichen. Dazu gesellte sich jetzt allerdings eine Erhabenheit, die mit Kälte und Herablassung gepaart war und Emily frösteln ließ. Der harte Klang seiner Stimme und seine kerzengerade Haltung zeigten, dass Marco seinen Willen um jeden Preis durchsetzen würde.

Glaubte er, als künftiger König das Recht dazu zu besitzen? Das wusste Emily zwar nicht genau, doch sein verändertes Verhalten verstärkte nur ihre Unsicherheit. In London hatte zwischen ihnen zwar ein gewaltiger Unterschied bestanden; doch trotz der verschiedenen Einkommen waren sie einander ebenbürtig gewesen.

In San Rinaldi lagen die Dinge anders. Im Moment war sie jedoch zu müde, um darüber nachzudenken, wie weit sich die

Veränderungen auf ihre Beziehung auswirkten. Jetzt sehnte sie sich nur danach, dass ...

Marco streichelte ihren Arm. Sie schloss die Augen und trat dicht neben ihn. Ja, in dieser Sekunde wünschte sie sich nichts weiter als seine Nähe, seine Umarmung und die Vorfreude auf die Erfüllung, die sie bei ihm finden würde.

Der kurze schrille Aufschrei eines Tieres, das von einem nächtlichen Räuber erlegt wurde, ließ Emily aus tiefem Schlaf aufschrecken. Im ersten Moment fand sie sich nicht zurecht, bis ihr wieder einfiel, wo sie war. Ängstlich, als hätte das sterbende Beutetier sein Entsetzen auf sie übertragen, drehte sie sich in dem großen Bett herum und tastete um sich.

„Marco?“, flüsterte sie, doch ihre Hand stieß ins Leere.

Nach der Ankunft war Emily so müde gewesen, dass sie sich widerspruchslos von Marco in irgendein Zimmer hatte führen lassen. Er wollte dem Paar, das sich um die Villa kümmerte, alles Nötige erklären.

Wahrscheinlich war sie auf der Stelle eingeschlafen, sobald ihr Kopf das Kissen berührt hatte. Nach allem, was Marco über ihren Aufenthalt in seinem Haus gesagt hatte, war Emily allerdings davon ausgegangen, er würde bei ihr bleiben. Sie hatte ihn jedoch aus purer Erschöpfung nicht weiter gefragt.

Die Tür zum angrenzenden Badezimmer öffnete sich. Erleichterung und Erregung erfüllten Emily, während Marco auf sie zukam. Er schlief stets nackt. Durch das Fenster fiel genug Licht herein, dass sie die Umrisse seines Körpers erkannte. Ihre Fantasie wurde augenblicklich angeregt und ließ Emily trotz der Dunkelheit alles sehen, bis sie vor Verlangen zitterte.

„Du bist wach“, sagte er leise, als sie den Kopf hob, um ihn besser betrachten zu können.

„Ja“, hauchte sie voller Sehnsucht und konnte den Blick nicht von ihm wenden.

„Bist du immer noch müde?“ Er blieb neben dem Bett stehen und beugte sich langsam zu ihr.

„Ein bisschen, aber sicher nicht zu verschlafen“, erwiderte sie herausfordernd. Von Anfang an stand für sie fest, dass es zu dieser Situation kommen würde, wenn sie mit ihm zusammen war. Dieser Mann übte eine unwiderstehliche Anziehung auf sie aus, und sie sehnte sich verzweifelt nach seinem sexy Körper.

Im schwachen Lichtschein sahen sie einander sekundenlang an. Von draußen drangen gedämpfte Geräusche herein. Emily atmete schneller. In der Dunkelheit stiegen die sinnlichen Erinnerungen an Lust und Freude auf, die sie einander in der Vergangenheit geschenkt hatten.

Marco wurde von der Stärke seines Verlangens regelrecht überwältigt. Beinah verlor er die Selbstbeherrschung. Natürlich hatte er den Sex mit Emily vermisst. Dennoch war er auf diese unbezähmbare Sehnsucht nicht vorbereitet gewesen.

Emily umgab der Hauch seines Duschgels. Er vermisste den nur ihr eigenen süßen Duft, der ihm seit der Trennung fehlte. Die Bettdecke rutschte tiefer und enthüllte mehr von Emilys Körper. Plötzlich fiel es Marco noch schwerer, sich zurückzuhalten.

„Emily ...“

Als er in der Dunkelheit ihren Namen aussprach, regte sich tief in Emily ein unbezähmbares Verlangen. Endlich gab sie ihm nach, setzte sich im Bett auf, schloss die Augen und drückte die Lippen auf Marcos nackte Schulter. Seine Muskeln spannten sich an, als sie mit der Zungenspitze über seine Haut tastete. Langsam legte er den Kopf in den Nacken und stöhnte leise, während Emily heiße Küsse auf seinem Hals verteilte. Dass er sie begehrte, erregte sie noch immer und steigerte ihre Lust.

So lange wie möglich wich sie seiner Berührung aus, bis er sich nicht länger hinhalten ließ. Er legte die Hände auf ihren

Rücken und presste die Lippen auf ihre Schulter. Emily seufzte hörbar auf, ließ sich von ihm auf die Laken drücken und zog ihn an sich.

Kraftvoll vereinigte Marco sich mit ihr und trieb sie beide höher und höher, bis sie gemeinsam den Gipfel der Leidenschaft erklommen.

Nach einer Weile drehte er sich zur Seite und ruhte auf dem Rücken. Den Blick zur Zimmerdecke gerichtet, wartete Marco darauf, dass sein Herzschlag sich wieder beruhigte. Und dabei versuchte er zu ignorieren, welche Folgen es für ihn haben konnte, Emily dermaßen ungezügelt zu begehren.

Es verletzte Emily, dass er sich abwandte, nachdem er sein Verlangen mit ihr gestillt hatte. Aber das geschieht mir recht, dachte sie. Der Schmerz führte ihr deutlich vor Augen, wie es zwischen ihnen weitergehen würde. Wenn sie Marco in seiner wahren Bestimmung und in der neuen Umgebung erlebte, erkannte sie hoffentlich endlich, dass der Mann, den sie liebte, nicht existierte.

Wenn sie das letztlich begriff, würden auch ihre tiefen Gefühle für ihn erlöschen. Ein für alle Mal. Wie sollte es auch anders sein?

9. KAPITEL

König Giorgio stand hoch aufgerichtet an einem Fenster in seinem Arbeitszimmer und blickte auf die im hellen Sonnenschein liegende Hauptstadt des Inselreichs hinaus. „Du hast die Autorität der Krone ganz bewusst missachtet, obwohl sie bald auf dich übergehen wird“, erklärte er missbilligend. „Diese Generatoren, die du nach San Rinaldi gebracht hast, lassen Zweifel an der klaren Linie der Regentschaft aufkommen. Doch das genügt dir noch nicht.“

Der König drehte sich langsam um, trotz seines Alters mit geradem Rücken. Geistig und körperlich zeigte er sich unbeugsam.

„Du setzt dich über meinen Befehl hinweg, deine Beziehung zu dieser ... zu diesem Flittchen zu beenden! Du weißt genau, dass gewisse Gesetze und bestimmte Vorgehensweisen befolgt werden müssen, wenn sich ein Mitglied der königlichen Familie eine Geliebte nimmt. Es ist einfach unfassbar, dass du nach San Rinaldi eine gewöhnliche Frau geholt hast, die nicht in unsere Kreise passt und niemals am Hof akzeptiert werden kann!“

Mit unbewegter Miene verharrte Marco vor dem Schreibtisch seines Großvaters. Auch als der König auf dem mit Goldfäden durchwirkten Polster dahinter Platz nahm, rührte er sich nicht vom Fleck. „Du meinst“, entgegnete er unbeeindruckt, „ich könnte mir eine verheiratete adelige Frau unseres Landes aussuchen? Dem Ehemann würde man in diesem Fall natürlich mitteilen, dass er zu meinen Gunsten auf seine Frau verzichten muss – gegen eine entsprechende Entschädigung für beide, versteht sich. Der Mann erhält einen wichtigen Regierungsposten, die Frau bekommt den Titel der königlichen Mätresse und einige sehr teure Schmuckstücke.“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Ich habe nicht die geringste Absicht, einem bedauernswerten Höfling Hörner aufzusetzen, um mit seiner Frau schlafen zu können.“

Aus den Augen seines Großvaters traf ihn ein zorniger Blick. „Erwarte nicht von mir, dass ich überhaupt darüber nachdenke. Du, Prinz von San Rinaldi, wirst niemals mit einer Frau zufrieden sein, die ein Nichts ist.“

„Das trifft auf Emily absolut nicht zu“, widersprach Marco hitzig. „Du beleidigst sie sogar, wenn du sie mit den blau-blütigen Ehefrauen vergleichst, von denen du offenbar sehr viel hältst. O nein, sie halten keinem Vergleich stand, weil Emily ihnen weit überlegen ist.“

Aus Empörung über das Verhalten seines Großvaters setzte er sich für Emily ein, ohne vorher zu überlegen. Marco wollte sie beschützen. Das sieht mir gar nicht ähnlich, erkannte er jetzt. Es wäre sinnvoll und vor allem diplomatisch, die Worte zu widerrufen oder sich wenigstens zu mäßigen. Beides konnte er jedoch nicht. Lag es vielleicht daran, dass er sich für Emily verantwortlich fühlte, weil er sie aus London hierhergeholt hatte?

Sein Großvater ließ ihm keine Zeit, sich eine bessere Strategie zurechtzulegen. „Denkst du wirklich, ich lasse mich täuschen?“, fragte er scharf. „Ich weiß genau, dass du die Generatoren und diese Frau nach San Rinaldi gebracht hast, um mich zu ärgern und zu beleidigen. Du glaubst, die Herzen meiner Untertanen dadurch zu gewinnen, dass du ihnen das technische Spielzeug bietest, nach dem sie verlangen. Und du glaubst, dass sie deine Geliebte deshalb akzeptieren werden.

Aber du irrst dich. Sicher, in den Bergregionen gibt es Aufruhr. Einige lehnen das Herrscherhaus offen ab. Vielleicht wird der Clan der Vialli dir sogar seinen Beistand für eine Hand voll Silberlinge verkaufen, aber sie sind bedeutungslos. Die Herzen der meisten Menschen auf San Rinaldi schlagen für mich. Diese Männer und Frauen fühlen nämlich genau wie ich, dass die althergebrachte Lebensweise die beste ist. Sie werden dir sehr bald unmissverständlich zeigen, was sie von deinen Versuchen halten, die Aufrührer in den Bergen für dich zu gewinnen.“

„O nein, Großvater, nicht ich liege in dieser Angelegenheit falsch, sondern du“, erwiderte Marco heftig, obwohl er sich vorgenommen hatte, den alten Mann zu schonen. Trotzdem konnte Marco einfach nicht schweigen. „Du klammerst dich an die althergebrachte Lebensweise, wie du es nennst. Aber das meint nichts als überkommene und sinnentleerte Vorschriften. Du verurteilst die Bevölkerung zu Unwissenheit und Armut. Auf diese Art können die Menschen nicht über ihr Leben bestimmen. Du behandelst sie wie Kinder.“

Er stockte kurz, als sein Großvater sich in dem Sessel zurücklehnte. Weil der alte König kein Anzeichen von Verständnis zeigte, fuhr Marco fort: „Du willst die Menschen durch Angst und Macht regieren. Das nehmen dir einige mit Recht übel, genau wie ich es an ihrer Stelle tun würde. Ich habe die Generatoren ins Land gebracht, weil dein Volk ... weil unser Volk sie braucht. Und ich habe Emily hergebracht, weil ich sie brauche.“

Das hatte er gar nicht sagen wollen. Zu Beginn dieser Auseinandersetzung war er nicht auf die Idee gekommen, dass er Emily brauchte. Jetzt, da er die Worte aussprach, erkannte Marco, dass es stimmte. Er hatte nur bisher die Wahrheit nicht begriffen oder bewusst ignoriert. Sicher, er begehrte Emily und wollte sie bei sich haben. Ihre Anwesenheit bildete den Beweis seiner Unabhängigkeit, die er König Giorgio demonstrieren wollte. Doch dass er sie brauchte ... das war Marco völlig neu und machte ihn verwundbar.

„Sie ist eine gewöhnliche Frau. Nichtadelige begreifen nicht, was es heißt, zu einer Königsfamilie zu gehören.“ Sein Großvater schüttelte den Kopf. „Sie verursachen Probleme, die durch eine Frau adeliger Herkunft niemals entstehen würden.“

„Sprichst du aus Erfahrung?“, erkundigte Marco sich provozierend und hielt den Atem an, als ein rötlicher Schimmer das Gesicht des alten Mannes überzog. Bin ich jetzt zu weit gegangen?, fragte sich Marco. Setzte er die Gesundheit des alten Königs aufs Spiel?

„Du wagst es, anzudeuten, ich könnte mich so weit vergessen haben?“, rief König Giorgio empört.

Schweigend hielt Marco dem durchdringenden Blick stand. Erst als sein Großvater nichts mehr sagte, erklärte er: „Solange Emily sich in San Rinaldi aufhält, wird sie respektvoll und höflich behandelt.“

Er unterbrach sich für einen Moment, als plötzlich mehrere Höflinge den Raum betraten. Offenbar hatte König Giorgio sie zu sich zitiert. Jetzt blieben sie verunsichert an der Tür stehen.

„Emily wird bei Hof empfangen“, fuhr Marco fort, „und sie wird die gleiche Behandlung erfahren wie eine hochgeborene königliche Mätresse.“ Etwas leiser, aber mit einem warnenden Unterton fügte er noch hinzu: „Ich verfüge über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Und wer sich nicht an meine Anweisungen hält, wird verfolgt und bestraft werden.“

Bewusst hatte er laut genug gesprochen, damit die Höflinge alles hörten. Niemand zweifelte daran, dass er sich bald in der Position befinden würde, seine Gegner zur Rechenschaft zu ziehen.

Bisher hatte Marco gar nicht geplant, Emily bei Hofe einzuführen. Natürlich verriet er seinem Großvater das nicht. Wie konnte der alte Mann behaupten, sie wäre weniger wert als die Ehefrau eines Adeligen von San Rinaldi?

Marco nahm sich vor, ihr in jeder Hinsicht beizustehen. Emily war intelligent und mitfühlend, klug und freundlich. Angesichts der gespielten Unterwürfigkeit der Höflinge und deren Frauen empfand Marco Emilys Liebenswürdigkeit als reine Wohltat.

Er wusste genau, dass etliche Höflinge sich über die neuen Generatoren ärgerten, weil sie sich gegen jegliche Veränderungen sträubten. Sie würden sich jedoch damit abfinden müssen – genau wie ihnen nichts anderes übrig blieb, als Emily zu akzeptieren.

Als er den Raum verließ, traf ihn die Erkenntnis: Marco spürte einen so starken Drang, Emily zu beschützen, dass er stutzte. Ein solches Gefühl hatte er niemals für möglich gehalten.

Ungläubig sah Emily auf die Uhr. Schon fast Mittag! Wieso hatte sie so lange geschlafen? Sie rekelte sich wohlig im Bett und dachte an die Lust, die Marco ihr in der vergangenen Nacht geschenkt hatte. Natürlich, das war der Grund für den tiefen und ungestörten Schlaf.

Lächelnd setzte sie sich auf und entdeckte die Nachricht, die Marco auf dem Nachttisch hinterlassen hatte. Rasch griff sie danach und las.

Er wolle in den Palast, um mit seinem Großvater zu sprechen. Da Marco nicht wisse, wie lange das dauern würde, habe er Maria angewiesen, für alles Nötige zu sorgen. Und die Angestellten seien informiert darüber, dass Emily die Villa völlig neu einrichten und dekorieren würde. Marco schrieb außerdem, dass Emily sich nach Herzenslust umsehen solle, wenn sie sich ausgeruht genug fühlte. Dabei solle sie aber auf ihre Gesundheit achten und sich schonen.

Die letzte Nacht erwähnte er nicht. Damit war auch nicht zu rechnen gewesen. Emily seufzte. Was hatte sie denn erwartet? Einen Liebesbrief? Marco liebte sie schließlich nicht, aber daran wollte sie im Moment nicht denken. Sein unerwartetes Auftauchen und die Ereignisse des vergangenen Tages versetzten sie ohnehin in einen emotionalen Aufruhr.

Früher oder später blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dem Problem zu stellen. Es hatte sich nichts Wesentliches geändert. Der Aufenthalt in San Rinaldi war nur ein Geschenk, ein kleines Zugeständnis. Hier konnte sie Erinnerungen sammeln, die ihr die Zukunft verschönern würden.

Entschlossen nahm sie sich vor, alle deprimierenden Überlegungen zu meiden. Es war sinnvoller, aufzustehen und sich in der Villa umzusehen.

Wenig später lernte sie Maria kennen, eine freundliche rundliche Frau mit dem typischen dunklen Haar und den feurigen Augen einer Südländerin. Die Haushälterin ließ durch nichts erkennen, dass sie sich Gedanken über Emilys Beziehung zu Marco machte. Stattdessen servierte Maria ein stark verspätetes Frühstück, bestehend aus Obst und frischem Gebäck.

Sie saß beim Essen in einem kleinen Innenhof im warmen Sonnenschein und genoss die Ruhe. Anschließend erklärte Emily der Haushälterin so gut es ging auf Italienisch und durch Gesten, dass sie nun die Villa besichtigen wolle. Maria strahlte daraufhin und nickte eifrig.

Emily hatte keine Ahnung, wann das Haus erbaut worden war. Dass es sehr alt war, erkannte sie auf den ersten Blick. Offenbar stammte es aus einer Zeit, in der noch ganz andere Ansprüche eine Rolle spielten als im einundzwanzigsten Jahrhundert.

Maria führte sie in eine dunkle Kochnische, an die sich enge labyrinthähnliche Korridore und kleine Räume anschlossen. Emily vermutete, dass hier einst die Dienstboten untergebracht gewesen waren. Eine moderne Familie brauchte eine wesentlich größere und zeitgemäßere Küche mit mehr Tageslicht und einem Essbereich. Sehr praktisch wäre auch ein Aufenthaltsraum mit Glastüren zum Innenhof, dachte Emily.

Der Haupteingang der Villa führte in einen quadratischen Vorraum, an den zwei Salons grenzten. Die Größe der Räume war durchaus angemessen, Dekoration und Einrichtung wirkten jedoch altmodisch und düster.

Die Schlafzimmer verfügten bereits über unmittelbar angrenzende Bäder oder waren zumindest groß genug, dass ein Waschraum eingerichtet werden konnte. Allerdings war nur Marcos Badezimmer mit relativ neuen sanitären Einrichtungen ausgestattet.

In der obersten Etage der Villa befanden sich noch weitere Räume. Die Besichtigung des Erdgeschosses und des ersten Stocks war zwar anstrengend; doch obwohl die neuen Eindrücke Emily bereits ermüdeten, ließ sie sich jedoch nicht zurückhalten. Begeistert erkannte sie die Herausforderung, die durch die Umgestaltung eines so großen Hauses auf sie zukam.

Der Dachboden war schließlich geräumig genug, dass zwei abgetrennte kleine Wohnungen errichtet werden konnten. Sie waren entweder geeignet für heranwachsende Jugendliche, als Dienstbotenwohnungen oder einfach nur als Arbeitsbereich oder Zuflucht, wenn sich jemand vom turbulenten Familienleben erholen wollte.

Besonders die Innenhöfe der Villa entzückten Emily. Durch das Steinpflaster, schmiedeeiserne Verzierungen, Springbrunnen und blühende Rankengewächse an den alten Mauern verströmten sie südländischen Charme. Es gab insgesamt drei Höfe, wobei auch der kleinste noch groß genug war, um dort einen Pool zu installieren.

Am besten gefiel ihr der mittlere Innenhof, den Marco von seinem Schlafzimmer aus einsehen konnte. In großen Terrakottagefäßen wuchsen stark duftende Büsche, Blumen und

Palmen. An einer Mauer zog sich eine Veranda hin. Hier kann man wunderbar entspannt sitzen und dem Plätschern des kunstvollen Marmorbrunnens lauschen, überlegte Emily.

Sie sah sich verzückt um. Diese Villa eignete sich eigentlich ideal als Ferienhaus für eine Großfamilie. Hier gab es Platz für drei Generationen. Im Geiste sah Emily alles vor sich. Die Großeltern hatten sich zwar schon zur Ruhe gesetzt, waren jedoch noch sehr aktiv und genossen die Gegenwart der Enkel. Das Lachen der fröhlichen Kinder mischte sich mit dem Plätschern des Wassers ... Mädchen mit bräunlicher Haut, zierlich und hübsch, die Jungen kräftig und mit dem dunklen Haar ihres Vaters und seinen feurigen Augen . ein fröhlich glucksendes und plapperndes Baby auf Marcos Armen ... und ihre Mutter, Marcos Frau und Königin von San Rinaldi, stand neben ihm und behielt alle im Auge.

Tu dir das nicht an, warnte Emily sich. Hör auf! Sie durfte sich das alles nicht vorstellen und schon gar nicht davon träumen, selbst diese Frau zu sein.

Das Zuhause, das sie soeben entworfen hatte, passte nicht zu einem Königspaar, sondern zu zwei Menschen, die einander und ihre Kinder liebten. Sie malte sich das Heim einer Familie aus, nach der sie sich in den Jugendjahren gesehnt hatte, die sie bei ihrem Großvater verbracht hatte. So ein Zuhause wünschte Emily sich verzweifelt für sich und Marco und ihre gemeinsamen Kinder.

Im warmen Sonnenschein duftete der Lavendel, der in den Töpfen auf dem Hof wuchs. Für den Rest ihres Lebens würde Emily bei diesem Duft an die Zeit auf der Insel zurückdenken – daran und an ihre unmöglichen Träume. Nur in ihrer Fantasie konnte Emily die großen Hindernisse zwischen sich und Marco beseitigen und sich vorstellen, dass er ihr seine Liebe erklärte. Im wirklichen Leben würde es jedoch niemals dazu kommen.

Vielleicht traf sie eines Tages einen Mann, bei dem sie Frieden fand – einen Mann, mit dem sie gemeinsame Kinder großziehen würde, die sie beide liebten. Mit Marco war das unmöglich. Und das Baby und die Heranwachsenden, die sie vorhin förmlich vor sich gesehen hatte, gehörten einer anderen Frau.

Arme Kinder, dachte Emily. Sie mussten von Anfang an die Last ihrer Herkunft tragen, genau wie Marco. Meinen Kindern würde ich das nie zumuten, erkannte sie. Ihnen wünschte sie Liebe, Sicherheit und die Freiheit, ein eigenes Leben zu führen. Sie sollten nicht zu Thronerben geformt werden.

Emily versuchte die Traurigkeit abzuschütteln. Ihre Überlegungen führten ihr nämlich deutlich vor Augen, dass sie Marco überhaupt nicht heiraten könnte. Ihre wahre Einstellung zu seiner königlichen Herkunft und die Auswirkungen auf seine Kinder würde das verhindern. Aber natürlich durfte er ohnedies keine geschiedene Frau ehelichen.

Das Klappern von Geschirr und der Duft von Kaffee rissen sie aus den Gedanken. Maria kam mit einem Tablett in den Hof und stellte es auf einem kunstvoll geformten Steintisch ab, der im Schatten eines bunten Sonnenschirms stand. Emily lächelte dankend und beschloss, gleich an die Arbeit zu gehen.

Wenig später war sie in ihre Notizen vertieft. Das Tablett mit dem Kaffee hatte sie zur Seite geschoben. Im Moment spürte Emily zwar keine Anzeichen von Übelkeit, aber der Kaffeeduft erinnerte sie daran, dass sie ihren empfindlichen Magen schonen wollte.

Als er den Wagen im ersten Innenhof parkte, arbeitete Emily noch immer. Vom Palast aus war Marco zum Flughafen gefahren, um zu sehen, ob die Generatoren bereits ausgeladen worden waren.

Inzwischen lag eine Liste in seiner Mappe, die sämtliche

Bergdörfer aufführte, die am dringendsten mit Strom versorgt werden mussten. Schon von London aus hatte er mit dem Polizeichef von San Rinaldi und dem größten Transportunternehmen der Insel Kontakt aufgenommen. Die Generatoren sollten so bald wie möglich in Betrieb genommen werden. Vorhin auf dem Flughafen bekam Marco jedoch eine Nachricht des Polizeichefs: Der Mann hatte vom Palast eine Anweisung erhalten, gemäß der die Generatoren in der Lagerhalle stehen bleiben mussten.

Marco musste sein ganzes Verhandlungsgeschick einsetzen und darauf pochen, dass er der künftige König von San Rinaldi war. Nur dadurch brachte er den Polizeichef schließlich dazu, die Order aus dem Palast zu ignorieren.

Wegen dieser Probleme beschloss Marco, selbst in die Berge zu fahren, um sicherzustellen, dass die Generatoren wie geplant am Ziel eintrafen. Falls sein Großvater glaubte, ihn austricksen zu können, sollte er sich bitter getäuscht haben. Die Ereignisse würden König Giorgio eines Besseren belehren.

Marco presste die Lippen fest zusammen. Als erfolgreicher Unternehmer, dessen Anordnungen stets geachtet und befolgt wurden, war er so etwas nicht gewöhnt. Niemand stellte sich gegen ihn. Sein Großvater schien tatsächlich nicht zu begreifen, welchen Schaden er der Insel zufügte, wenn er sich weiterhin starrsinnig weigerte, anzuerkennen, dass sich die Welt veränderte.

Und das galt nicht nur für San Rinaldi, sondern auch für die Menschen. Es ging einfach nicht an, dass das Königshaus eines Landes jeden Reichtum genoss, während ein Teil der Bevölkerung in tiefer Armut lebte. Das musste zwangsläufig zu Unmut und aufrührerischen Ideen bei den Bergbewohnern führen, von denen der Vialli-Clan der mächtigste und einflussreichste war.

Marco war überzeugt, dass seine Stiefgroßmutter in dieser

Sache die Hand im Spiel hatte. Königin Eva lebte als zweite Frau seines Großvaters im Palast. Marco wusste, dass sie stets eifersüchtig auf ihre Vorgängerin und deren Familie gewesen war. Offenbar verstärkte sich die Missgunst der Königin mit den Jahren. Sie konnte weder Marco noch seine zwei Schwestern leiden. Angesichts dessen wunderte es niemanden, dass seine Schwester Isabella sich selten im Palast zeigte. Marcos jüngere Schwester Rosa lebte gar nicht auf der Insel. Genau wie er hatte sie San Rinaldi den Rücken gekehrt.

Obwohl sie völlig in ihre Notizen vertieft war, fühlte sie Marcos Nähe. Sofort legte Emily den Stift aus der Hand und wandte sich dem Eingang des Innenhofs zu. Trotz ihrer düsteren Gedanken löste allein sein Anblick erneut all jene Gefühle in ihr aus, die sie eigentlich unterdrücken wollte. Er stand da und betrachtete sie. Das genügte, damit sie aufsprang und ihm entgegeneilte.

Als Emily lächelnd auf ihn zukam, vergaß Marco auf der Stelle den Ärger der letzten Stunden. Sie freute sich, ihn zu sehen. Dieses Wissen verstärkte seinen Wunsch, zu ihr zu gehen, sie in die Arme zu nehmen, in sein Bett zu tragen und jeden anderen Gedanken als an ihn vergessen zu machen. Er brauchte sie dermaßen, dass ...

Marco stockte. Er wollte niemanden brauchen. Er war von niemandem abhängig.

„Was ist denn?“, fragte Emily verunsichert, weil sie seine plötzliche Anspannung nur zu deutlich merkte. „Stimmt etwas nicht?“

„Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest“, versicherte er. „Es geht nur um ein verwaltungstechnisches Problem, um das ich mich kümmern muss. Darum werde ich heute Nachmittag nicht hier sein.“

Emily versuchte die Enttäuschung zu verbergen. Offenbar misslang es.

„Emily“, sagte Marco ungeduldig.

„Schon gut, ich verstehe“, erklärte sie hastig. „Als künftiger König warten auf dich natürlich viele wichtige Aufgaben, um die du dich kümmern musst. Du hast keine Zeit für mich.“

Mühelos kam er hinter die Fassade ihres unbekümmerten Lächelns. „Wenn du willst, kannst du mich begleiten. Aber es ist eine lange Fahrt über schlechte Straßen. Und dann wirst du dich wahrscheinlich langweilen, während ich mit den Leuten spreche. Du hast dich in letzter Zeit nicht gut gefühlt, und deshalb glaube ich ...“

Schon wollte sie sagen, dass es für sie nie langweilig wurde, mit ihm zusammen zu sein. Gerade noch rechtzeitig hielt Emily sich zurück. „Es geht mir schon viel besser“, erklärte sie bloß. „Ich habe mich gründlich in der Villa umgesehen und könnte mit dir im Wagen über verschiedene Möglichkeiten sprechen. Es sei denn ...“ Sie hielt unsicher inne. Was wurde denn von ihm in seiner neuen Rolle erwartet? „Das heißt, wirst du selbst fahren, oder .“

„In diesem Land wird es nie einen Fortschritt geben, wenn ich stets nur mit einer königlichen Kavalkade und einer Schar von Begleitern auftrete, falls du das meinst“, erwiderte er. „Ja, ich werde selbst fahren. Du brauchst einen Sonnenhut und feste Schuhe, falls du aussteigen willst. Einige Dörfer, die wir besuchen, liegen in abgeschiedenen Tälern. Zu den meisten führt nur eine einspurige Passstraße. Ich möchte mich übrigens beeilen“, fügte er noch hinzu. Er wollte nicht riskieren, dass der Polizeichef im letzten Moment doch noch kalte Füße bekam und die Fahrer der Lastwagen anwies, anzuhalten oder gar umzukehren.

Glücklich sah Emily ihn an, als hätte er ihr ein wertvolles Geschenk gemacht. Schon hob Marco den Arm, um sie an sich zu ziehen und sie zärtlich zu küssen, doch er ließ ihn schnell wieder sinken. Was den Wunsch, sie jetzt zu berühren, in ihm erzeugt hatte, wusste Marco nicht. Aber es war gefährlich.

10. KAPITEL

„Darf ich dich etwas fragen?“ Emily schlug bewusst einen leichten Ton an. Vor fast einer Stunde waren sie von der Villa losgefahren, hatten die Hauptstadt verlassen und passierten nun eine schmale Bergstraße. „Handelt es sich bei diesem Ausflug vielleicht um ein Staatsgeheimnis?“

„Nein, es ist nicht geheim, aber wegen meines Großvaters ein ziemlich heikler Fall“, erwiderte Marco.

„Wenn es sich nämlich um eine Privatangelegenheit handelt ...“, fuhr sie fort.

Marco winkte sogleich ab. „Nein, es ist sogar eine sehr öffentliche Angelegenheit. Es betrifft einige der ärmsten Regionen der Insel. Mein Großvater weigert sich, die Bedürfnisse der Menschen in diesen Gegenden anzuerkennen und etwas zu unternehmen. Stattdessen ignoriert er sie. Deshalb nehme ich die Dinge in die Hand. In der Bergregion gibt es keine Elektrizität.“

Verwundert sah Emily ihn an. So etwas erschien ihr völlig undenkbar.

„Daher profitieren die Menschen in den Dörfern weder von modernen Geräten noch üblicher Kommunikationstechnik. Ihren Kindern wird die nötige Ausbildung vorenthalten. Mein Großvater glaubt an sein königliches Recht, ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Ginge es nach ihm, müssten unsere Landsleute weiterhin als unwissende Bauern leben.“ Seine Stimme nahm einen harten und verächtlichen Klang an. „Mein Großvater ist davon überzeugt, zu wissen, was das Beste für die Menschen auf San Rinaldi ist. Durch unsere Landesgeschichte ziehen sich Aufstände der Bergbevölkerung, meistens angeführt vom Clan der Vialli. Daher fürchtet mein Großvater, dass sie die Macht der Krone infrage stellen, sobald sie Zugang zur modernen Welt erhalten.“

„Aber du teilst seine Meinung nicht“, warf Emily mitfühlend ein.

„Nein“, bekräftigte er. „Meiner Ansicht nach hat jedes Kind Anspruch auf eine gute Ausbildung. Alle Eltern wollen ihren Kindern die besten Chancen bieten. Wenn wir den ärmsten Bewohnern unseres Landes Bildung ermöglichen, befürchtet mein Großvater, dass sie mit ihren Lebensbedingungen nicht mehr zufrieden sein werden. Er denkt, dass sich ein Teil von ihnen erheben wird und andere ihr Land und sogar die Insel verlassen könnten.“

Emily hörte ihm atemlos zu. Von dieser Seite hatte sie ihn noch nicht kennengelernt. Neben ihr saß ein Mann, der sich über das Schicksal seiner Mitmenschen Gedanken machte.

„Ich finde es falsch, die Leute in Armut zu halten und ihnen Möglichkeiten zu verwehren“, erklärte er, während der Wagen über die unebene Straße bergauf holperte. „Wir haben unserem Volk gegenüber eine Verpflichtung. Das bedeutet, dass wir den Menschen Freiheit einräumen müssen. Sie sollten wählen können, ihr Leben selbst zu gestalten. Wir beide, Emily, wissen, was mit Jugendlichen passiert, wenn sie entwurzelt werden. Wir haben schon in Großstädten Gettos gesehen. Zornige junge Männer bilden Gangs und üben nur noch Gewalt und Brutalität aus, weil sie nichts anderes kennengelernt haben. Das soll hier nie passieren.“

Während er den Wagen durch eine enge Kurve lenkte, erhaschte Emily einen Blick auf gewaltige Berggipfel und steile, mit Geröll bedeckte Hänge.

„Ich wollte meinen Großvater dazu bewegen, einen Teil des königlichen Vermögens dafür einzusetzen, diese abgelegenen Gebiete mit Strom zu versorgen. Aber er weigert sich. Er erkennt nicht, welche Konflikte er damit unter Umständen auf unserer Insel heraufbeschwört.“

Emily hörte deutlich, wie frustriert er war, und fühlte mit ihm. Außerdem berührte es sie tief, dass Marco von ihnen beiden gesprochen hatte, als es um die Slums der Großstädte ging.

„Vielleicht, wenn du König bist ...“, begann sie, doch er ließ sie wieder nicht aussprechen.

„Mein Großvater versteht es äußerst geschickt, für vollendete Tatsachen zu sorgen oder anderen Menschen Bedingungen aufzuzwingen“, erklärte er und wich einigen Steinbrocken aus, die mitten auf der Fahrbahn lagen. „Ich werde nicht warten, bis mir die Hände gebunden sind. Übrigens bin ich sicher, dass ein Teil der Jugend von San Rinaldi schon jetzt heftigen Groll gegen die Regierung meines Großvaters empfindet. Frühere Generationen haben sich bereits gegen die Monarchie aufgelehnt. Ich will nicht zusammen mit dem Thron den Hass der Bevölkerung erben. Darum habe ich beschlossen, sofort zu handeln und dadurch die Lage zu entschärfen.“

Abermals hielt Emily für einen Moment den Atem an, als der Wagen eine Haarnadelkurve nahm. Direkt neben der ungesicherten Fahrbahn fiel der Hang steil mehrere Hundert Meter tief ab.

„Aber was kannst du denn dagegen unternehmen?“, fragte sie, als die Straße wieder gerade verlief. „Wenn dein Großvater nicht zulässt, dass die Bergregion mit Elektrizität .“

„Ich kann seine Entscheidung natürlich nicht umstoßen“, bestätigte Marco. „Aber ich kann etwas auf eigene Faust unternehmen. Während meines Aufenthalts in London habe ich hoffentlich genug Generatoren gekauft, um wenigstens den nötigsten Strom in die Dörfer zu bringen. Natürlich ist mein Großvater deshalb zornig. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass er einlenkt. Ich biete ihm schließlich die Möglichkeit, seine Meinung zu ändern, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Er ist ein alter Mann und war sein Leben lang Alleinherrscher. Für ihn ist es schwer, Veränderungen anzunehmen. Das ist mir klar. Das Herrscherhaus muss aber freiwillig mit der Zeit gehen, sonst wird es dazu gezwungen.“ „Du glaubst, es könnte zu einem Aufstand kommen?“, fragte Emily betroffen. Der Gedanke, dass Marcos Leben bedroht wurde, erschreckte sie.

„Nicht in naher Zukunft, aber der Samen ist gesät. Trotzdem ist mein Großvater entschlossen, die absolute Macht zu behalten.“

Emily betrachtete Marcos energisch geschnittenes Profil, während er den Wagen mit sicherer Hand über die schwierigen Straßen steuerte. „Du gibst zwar vor, kein Verständnis für deinen Großvater aufzubringen“, sagte sie nach einer Weile gedämpft. „Ich denke aber, dass du ihn sogar sehr gut verstehst und viel Mitgefühl für ihn entwickelst.“

„Absolut nicht“, widersprach er entschieden. „Ich empfinde nichts weiter als Ärger darüber, dass er vor der Gefahr die Augen verschließt.“ Es traf ihn, dass Emily ihn durchschaute. Sie schien ihn viel besser zu kennen, als er geglaubt hatte. „Viele Neuerungen sind nötig. Ich muss sie durchführen, aber mein Großvater versperrt mir den Weg.“

Sie hielt sich fest, als der Wagen durch Schlaglöcher holperte. Neben der Fahrbahn wuchsen nur noch verdorrt wirkende Büsche. „Du hast lange nicht auf San Rinaldi gelebt“, gab sie zu bedenken. „Dadurch bist du daran gewöhnt, Entscheidungen zu treffen, ohne dich vorher mit irgendjemandem zu besprechen. Vielleicht macht dein Großvater Schwierigkeiten, weil er diesen Zug an dir erkennt und auch fürchtet.“ Marco antwortete nicht darauf. Sie nahm es als gutes Zeichen. Vielleicht ließ er sich ihre Worte durch den Kopf gehen.

„Du hast selbst gesagt, dass er ein alter Mann ist“, fuhr sie fort. „Offenbar weiß er, dass er nicht länger König bleiben kann. Sonst würde er den Thron nicht an dich weitergeben. Ich könnte mir vorstellen, dass er seine wachsende Schwäche nicht öffentlich zugeben will. Möglicherweise hofft er auch, dass er San Rinaldi weiterhin durch dich regieren kann. Wenn du eigene Pläne entwickelst und ihm widersprichst, legt er dir Steine in den Weg, weil er sonst seine ganze Macht verliert.“

Bitter lachte Marco auf. „Das würde er niemals eingestehen.“

Emily blieb nicht verborgen, dass das Thema Marco berührte. Er war fest entschlossen, die Fehler der Vergangenheit auszumerzen. Bestimmt wurde er ein starker König mit hohen moralischen, gesellschaftlichen und politischen Ansprüchen.

Diese Erkenntnis rief ihr jedoch wieder die eigene Lage ins Gedächtnis. Selbst wenn Marco durch ein Wunder ihre Liebe erwiderte, gab es für sie keine gemeinsame Zukunft. Für eine Frau wie sie war es völlig ausgeschlossen, seine Ehefrau zu werden. Und sie konnte nicht verhindern, dass er den Thron übernahm. Gerade hatte Emily erlebt, mit welcher Leidenschaft Marco sich für sein Land und sein Volk einsetzte. Selbst wenn sie es gekonnt hätte, Emily würde nicht versuchen, ihm seine Zukunft als Herrscher über San Rinaldi auszureden.

Marco besaß seinem Volk gegenüber eine Verpflichtung, genau wie sie ihm gegenüber. Emily liebte ihn, und das bedeutete, dass sie die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurückstellte. Er wollte und musste seine Pflicht erfüllen, und das konnte er nicht mit ihr in seinem Leben.

„Ich langweile dich“, stellte er fest, als sie betrübt seufzte.

„Nein, absolut nicht“, versicherte Emily. „Ich höre gern zu, wenn du über deine Pläne sprichst. Trotzdem wünschte ich mir, du hättest mir schon beim Kennenlernen verraten, wer du bist.“ Dann wäre sie ihm gegenüber nicht so verwundbar gewesen und hätte niemals von einer gemeinsamen Zukunft geträumt.

„Ich habe dich nicht bewusst getäuscht“, verteidigte er sich betont kühl.

„Das nicht, aber du hättest mich warnen können“, hielt sie ihm vor. „Dann hätte ich mich ...“ Sie verstummte gerade noch rechtzeitig, ehe sie ihm verriet, dass sie ihn liebte.

„Um mein eigenes Leben zu führen und mich zu bewähren, musste ich anonym leben und meine Herkunft verschweigen“, erinnerte er sie. „In meiner Jugend war ich für meinen Großvater ein Rebell. Ich war sein Erbe, passte mich aber nicht an und ließ mich im Gegensatz zu meinem Vater nicht von ihm dirigieren.“

Sie empfand tiefes Mitgefühl, als seine Miene sich verhärtete und in seine Augen ein trauriger Ausdruck trat.

„Mein Vater war viel zu sanft, um sich gegen meinen Großvater aufzulehnen“, fuhr er fort. „Als Kind und Jugendlicher habe ich das gehasst, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Deshalb lehnte ich mich gegen die Autorität meines Großvaters auf und schwor, ihm und der ganzen Welt zu beweisen, dass ich aus eigener Kraft Erfolg haben würde.“

Emily beobachtete ihn weiterhin verstohlen aus dem Augenwinkel. „Aber während du dem Erfolg hinterhergejagt bist, hast du die Insel, deine Familie und vor allem deinen Vater vermisst, nicht wahr?“, fragte sie leise.

Wie selbstverständlich wollte er schon widersprechen, gestand jedoch rau: „Ja, das stimmt. Es war ein schwerer Schock für mich, als meine Eltern bei einem Bootsunfall vor der Küste umkamen. Damit hätte ich niemals gerechnet. Ich konnte es mir gar nicht vorstellen.“

Emily begriff allmählich, wie schwierig es für Marco gewesen war. Er hatte natürlich um seinen Vater und seine Mutter getrauert. Gleichzeitig musste er sich den unvermeidlichen Veränderungen stellen. Als unabhängiger und selbstständiger Mann musste es Marco doppelt schwerfallen, dass ihm als Mitglied der Königsfamilie ein großer Teil seines Lebens seiner Kontrolle entzogen wurde. Wenn er erst gekrönt würde, konnte er noch weniger allein entscheiden.

Das Gespräch trug dazu bei, dass Emilys Bitterkeit und Schmerz schwächer wurden. Verständnis und Mitgefühl traten an ihre Stelle und eröffneten ihr eine neue Perspektive.

War Marco eigentlich bewusst, dass er ganz auf sich gestellt war? In seinem Leben gab es keine emotionale Stütze. Lag es an einer gezielten Entscheidung, oder hatte es sich einfach so ergeben? Und wenn er diese Einsamkeit erkannte, belastete es ihn, oder sah er es als Preis an, den er für sein königliches Amt zahlen musste?

„Ich möchte nicht in deinen Schuhen stecken“, sagte sie, ohne zu überlegen.

Er warf ihr einen forschenden Blick zu, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte. „Was meinst du damit?“

„Es ist offensichtlich, wie wichtig dir die Menschen in deiner Heimat sind, Marco, und dass du ihnen unbedingt helfen willst, aber ...“ Sie stockte und schüttelte den Kopf. „Mir wäre der Preis zu hoch, den du dafür bezahlst, König von San Rinaldi zu werden. Einerseits verfügst du dann natürlich über beträchtliche Reichtümer und Macht, aber andererseits verlierst du jede persönliche Freiheit. Du kannst nicht mehr tun und lassen, was du willst. Bei allem wirst du darauf achten müssen, wie es sich auf dein Volk auswirkt. Das ist eine unglaublich große Verantwortung. Vielleicht kann man damit umgehen, wenn man in eine Familie wie deine hineingeboren wird“, meinte sie seufzend und fügte betrübt hinzu: „Allmählich begreife ich, wieso Prinzen bevorzugt Prinzessinnen heiraten. Man muss wirklich königlicher Herkunft sein,

um alles zu verstehen.“

„Nicht unbedingt“, widersprach er. „Du verstehst anscheinend auch ganz gut, worum es hier geht.“ Bisher hatten sie nie so offen miteinander gesprochen, und Marco schätzte Emilys Worte sehr. Er fuhr langsamer, tastete nach ihrer Hand und drückte sie leicht.

Emily sah ihn überrascht an. Eine zärtliche Geste wie diese sah ihm gar nicht ähnlich.

„Ich bin froh, dass du bei mir bist“, sagte er schlicht.

Ihr Herz schlug schneller, als er den Motor ausschaltete, sich zu ihr beugte und sie küsste. Es war ein schneller, heftiger Kuss, den sie nicht deuten konnte, in dem sie jedoch Marcos ganze Leidenschaft spürte. Emily konnte kaum atmen, so durcheinander und aufgeregt fühlte sie sich in diesem Moment, weil er sich ihr gegenüber noch nie zuvor so verhalten hatte.

Trotzdem musste sie vorsichtig sein. Wegen eines einmaligen Vorfalls durfte sie nicht vergessen, was sie bereits wusste: Marco liebte sie nicht. Doch warum sollte sie nicht jetzt seine Nähe genießen, auch wenn sich ihre Wege eines Tages trennen würden?

„Du hast zurzeit so viele Sorgen und Probleme“, sagte sie, während er den Zündschlüssel drehte und den Wagen um die nächste Kurve steuerte, „dass es nur natürlich ist, wenn du mit einem Menschen über deine Ideen sprechen willst. Du brauchst jemanden, dem du dich anvertrauen kannst, und ...“ Sie schwieg, weil sie nicht wagte, allzu viel von sich zu verraten.

„Und?“, drängte er. Am Ende der Straße kamen einige kleine Häuser in Sicht, die aus den Steinen der Gegend erbaut waren und sich wie Nester an die Hänge schmiegten.

„Und ich möchte“, fuhr Emily fort, „dass ich und nur ich dieser Mensch bin, dem du dich anvertraust.“

Sie hatte gewagt, einen ihrer geheimsten Gedanken auszusprechen. Leider konnte sie Marcos Reaktion nicht einschätzen. Er blieb ihr eine Antwort schuldig. Denn auf der Fahrbahn tauchte ein hagerer junger Mann in schlecht sitzender Kleidung auf, blieb mitten auf der Straße stehen und winkte mit beiden Armen.

„Das ist Tomasso“, erklärte Marco, als Emily sich fragend an ihn wandte, und hielt an. „Er ist der Anführer einer Gruppe jugendlicher Hitzköpfe vom Vialli-Clan. Ich habe ihn ausgesucht. Er soll sich für mich um die Generatoren kümmern und die Bewohner seines Dorfes mit den Neuerungen vertraut machen.“

Sobald Marco die Wagentür öffnete und ausstieg, lief Tomasso zu ihm. „Hoheit!“, rief er aufgeregt. „Hoheit, er ist da! Der Generator ist da, wie Sie es versprochen haben! Wir haben schon einen Platz dafür vorbereitet! Ich führe Sie hin!“

Eine ältere Frau trat aus dem nächsten Haus und schüttelte missbilligend den Kopf. „Wo bleibt denn dein Respekt vor der Krone?“, fragte sie und machte einen Knicks vor Marco. „Hoheit, verzeihen Sie meinem Enkel sein unbedachtes Verhalten.“

Emily war im Wagen geblieben und beobachtete die Ereignisse gebannt. Wieder zeigte sich Marco von einer ihr ganz neuen Seite. Er nahm die Ehrbezeugung der alten Frau dankend an und half ihr, sich wieder aufzurichten. Dabei strahlte er eine Würde aus, die der Dorfbewohnerin sichtlich gefiel.

Andere Leute aus dem Dorf näherten sich und umringten ihn. Mit jeder Faser strahlte er die Macht des künftigen Königs aus. Es schnürte Emily die Kehle zu. Sie war unbeschreiblich stolz auf ihn, und doch fühlte sie schmerzhaft die Distanz zwischen ihnen. Die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte, unterstrich nur allzu deutlich, dass sie mit Marco langfristig keine ernste Beziehung führen konnte.

Schon jetzt wurden ihr neugierige und prüfende Blicke zugeworfen. Marco drehte sich zum Wagen um. Vermutlich erfand er eine Antwort auf die Frage, wer seine Begleiterin war. Befangen wandte Emily sich ab.

Dabei fiel ihr Blick auf bunt bemalte und mit Zierperlen bestickte Ledertaschen und Geldbörsen, die in einem Korb neben dem Eingang eines Hauses lagen. Dank ihres künstlerisch geschulten Auges erkannte sie sofort die Möglichkeiten. Mit diesem verzierten Leder konnte man Schachteln und Kartons verschiedener Größe und Form bespannen. Ähnliche Accessoires wurden oft und gern bei der Dekoration eines Hauses benutzt. Außerdem verkaufte Emily solche Artikel in ihrem Laden oft schneller, als sie angeliefert wurden. Sie nahm sich vor, Marco bei passender Gelegenheit zu fragen, wer diese Lederarbeiten herstellte.

Den Dorfbewohnern folgend, ließ sich Marco zu dem neuen Generator führen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, ehe er zum Wagen zurückkehrte. Eine Gruppe lachender junger Männer begleitete ihn, während sich die älteren Leute im Hintergrund hielten und Emily unverändert zurückhaltend musterten. Ein alter bärtiger Mann trat zu Marco, murmelte etwas, schüttelte den Kopf und zeigte zum Wagen. Marcos Miene verhärtete sich.

Sobald er wieder eingestiegen war und sie das Dorf hinter sich ließen, fragte Emily: „Was hat der alte Mann gesagt?“

„Das ist unwichtig“, wehrte er ab.

„Nein, es ist wichtig“, beharrte sie. „Es ging doch um mich, nicht wahr? Es hat ihm nicht gefallen, dass ich bei dir war.“

Starr richtete er den Blick auf die Straße. Rafael war der Dorfälteste und in seiner ganzen Einstellung König Giorgio sehr ähnlich. Er hatte offen ausgesprochen, dass er mit dem Generator nicht einverstanden war.

Sobald er Emily im Wagen entdeckte, warf er Marco sogar vor, „eine solche Frau“ nach San Rinaldi gebracht zu haben. Sie besitze kein Schamgefühl, hatte Rafael sich ereifert, und sie würde ihren Platz nicht kennen. In seinen Augen war es eine Beleidigung für das Volk von San Rinaldi, dass sie sich überhaupt auf der Insel befand.

„Rafael steht im Ruf, sehr starre Ansichten zu verteidigen“, erklärte Marco. „Er ist sogar noch älter als mein Großvater und betrachtet sich selbst als Hüter der Moral auf unserer Insel.“

„Und das bedeutet, dass er mich ablehnt“, sagte Emily nüchtern.

Marco antwortete erst, nachdem er sicher eine scharfe Kurve hinter sich gelassen hatte. „Seine Meinung ist seine Sache“, erwiderte er entschieden. „Was ich tue, ist dagegen meine Sache.“

Die Wirklichkeit sah anders aus. Emily machte sich nichts vor. Was immer Marco auch tat, es betraf letztlich auch das Volk von San Rinaldi. Um das Thema zu wechseln, fragte sie beiläufig: „Ich habe vor einem Haus einen Korb mit schön verzierten Ledertaschen gesehen.“

„Ja, die werden von den Frauen in den Dörfern hergestellt“, bestätigte er. „Die Leute verkaufen sie an Touristen, sofern das möglich ist. Derzeit bevorzugen die Besucher von San Rinaldi allerdings teure Designerstücke und interessieren sich nicht für handgemachte Taschen und Geldbörsen.“ „Also, ich habe nachgedacht“, meinte sie zuversichtlich. „Mit diesem hübsch gefertigten Leder könnte man Zierschachteln bespannen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es dafür einen gewaltigen Markt gibt. Du hast doch gesagt, dass die Dorfleute nur wenig Geld haben.“

„Man könnte das tatsächlich in Betracht ziehen“, erwiderte er vorsichtig. „Ich will aber auf keinen Fall, dass mein Volk ausgebeutet wird.“

„Es war nur eine Idee“, wehrte sie ab.

„Und eine gute“, lobte er. „Ich werde sie nicht vergessen.“ Marco fuhr eine Weile schweigend weiter. Wenn er eines Tages heiratete, brauchte er eine Frau, die sich um sein Volk

kümmerte und ihn in jeder Hinsicht unterstützte. Emily wäre für diese Rolle perfekt geeignet.

Der Gedanke tauchte unerwartet in seinem Kopf auf, wo er nichts zu suchen hatte – genauso wenig, wie Emily etwas in seinem Herzen zu suchen hatte.

In seinem Herzen? Wie kam er denn nur darauf? Dass er wegen Rafaels Bemerkungen zornig geworden war und Emily um jeden Preis beschützen wollte, hieß noch lange nicht, dass sie einen Platz in seinem Herzen gefunden hatte.

Oder doch ...?

11. KAPITEL

Emily seufzte tief, als sie das Lenkradschloss vor dem eleganten Spa-Hotel einrasten ließ. Für die Dauer ihres Aufenthalts auf San Rinaldi mietete Marco das Auto für sie.

Letzte Nacht hatte er sie in den Armen gehalten und geliebt, und es war wie immer wundervoll gewesen. Heute beanspruchten seine Angelegenheiten ihn jedoch so sehr, dass er sich nicht mit Emily treffen konnte. Daher schlug er ihr vor, einen Tag im Spa-Hotel zu verbringen. Dabei wäre sie viel lieber bei ihm geblieben.

Der Ankauf und die Verteilung der Generatoren hatte erneut zu Streitigkeiten zwischen Marco und dem König geführt. Die neueste Auseinandersetzung veranlasste Emily, zu überlegen, ob es in der Familie jemanden gab, der zwischen Marco und seinem Großvater als Vermittler auftreten konnte.

„Denkst du dabei vielleicht an meine Schwester Isabella?“, hatte Marco erwidert. „Sie behauptet, dass unser Großvater sie nicht genug wertschätzt, weil sie eine Frau ist. Nein, Emily, das muss ich allein durchstehen.“

Wenigstens war ihr seit drei Tagen nicht mehr übel geworden. Dass sich ihr Magen beruhigte, erleichterte sie. Allerdings hatte sie festgestellt, wie sehr einer ihrer Lieblingsröcke in der Taille spannte. Dabei aß Emily im Moment nicht viel. Noch unangenehmer empfand sie, dass ihre Brüste leicht angeschwollen und äußerst empfindlich waren. Beim Ankleiden heute Morgen hatte sie es auf den plötzlichen Klimawechsel geschoben.

Von Marco wusste sie, dass das Spa Natalia Carini gehörte, die das Hotel auch selbst leitete. Sie war die Tochter von Giovanni, dem Chef des königlichen Weinkellers. Anfangs hatte Emily gezögert, ausgerechnet hierherzufahren und sich den prüfenden Blicken dieser Leute auszusetzen. Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut.

Als sie jedoch das ganz in Marmor und Glas gehaltene Foyer des Spas betrat, empfand sie die großzügigen Sitzgruppen und hohen Zimmerpflanzen als Wohltat. Die hübsche junge Frau hinter der Rezeption sagte gerade zu einem Gast: „Tut mir sehr leid, aber Miss Carini ist heute nicht hier.“

Emily gefiel die Aussicht nicht, jemandem zu begegnen, der Marco schon lange kannte. Wie jede verliebte Frau wollte sie alles über ihn erfahren, gleichzeitig aber wegen der Rolle als Geliebte anonym bleiben. In London wurde es allgemein akzeptiert, dass ein Liebespaar zusammenlebte, ohne wenigstens verlobt zu sein. Auf San Rinaldi lagen die Dinge vermutlich anders, selbst wenn Marco nicht der künftige König gewesen wäre, der aus Gründen der Staatsraison heiraten musste.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Freundlich erwiderte Emily das Lächeln der Angestellten an der Rezeption. „Ich habe zwar keinen Termin, aber vielleicht haben Sie trotzdem Zeit für mich?“

Die junge Frau warf einen Blick auf den Computerbildschirm. „Wir haben noch nicht Hochsaison. Darum können wir Sie bestimmt einschieben. An was für eine Anwendung haben Sie denn gedacht? Wir arbeiten hier bevorzugt mit natürlichen Substanzen, vor allem dem Vulkanschlamm von der Insel. Man sagt ihm eine hohe therapeutische Wirkung nach, gerade in Verbindung mit Heilmassage.“

Allzu genau hatte Emily darüber noch nicht nachgedacht und zögerte noch einen Moment.

„Hier ist eine Liste der Anwendungen, die wir anbieten“, erklärte die Angestellte und überreichte ihr höflich einige Blätter. „Und das ist ein medizinischer Fragebogen. Die Eigentümerin des Spas nimmt ihre Verantwortung für unsere Gäste äußerst ernst. Ich sollte Sie darauf aufmerksam machen, dass die anstrengenderen Massagen für Frauen in anderen Umständen nicht geeignet sind.“

In anderen Umständen? Schwanger? Emily hätte beinahe laut gelacht. Also, schwanger war sie ganz sicher nicht, weil ...

Doch dann traf sie die Erkenntnis wie ein Blitz ... Die Übelkeit, die empfindlichen Brüste, der Taillenumfang ... Der Schock traf sie so heftig, dass Emily kaum hörte, wie die Angestellte fragte, ob alles in Ordnung sei.

„Jaja, bestens“, schwindelte sie.

Natürlich war nichts in Ordnung. Soeben hatte Emily den Grund für ihren Zustand in den letzten Wochen erkannt! Doch stimmte es? War sie schwanger? Ängstlich rechnete sie in Gedanken nach, während ihr Herz zum Zerspringen schlug.

Sie fühlte sich schwach und musste sich setzen, hier wäre kein geeigneter Ort. Niemand durfte auch nur die geringste Ahnung haben, was in ihr vorging. Alles, was eine Bedrohung für ihr ungeborenes Kind darstellte, würde Emily bis zum letzten Atemzug bekämpfen.

Es war erst Sekunden, höchstens Minuten her, dass sie die Wahrheit entdeckt hatte. Trotzdem hätte Emily schon jetzt alles getan, um das neue Leben in ihrem Leib zu beschützen. Nichts und niemand durfte die Sicherheit und das Leben ihres Kindes bedrohen.

Im Schlafzimmer der Villa betrachtete sie sich unverwandt im Spiegel und kämpfte gegen die ansteigende Panik an. Bisher sieht man mir die Schwangerschaft nicht an, dachte Emily beklommen. Dass sie leicht in der Taille zugelegt hatte, fiel nicht weiter auf. Doch wie lange würde es dauern, bis Marco Verdacht schöpfte?

Wenn es so weit war, durfte sie nicht mehr auf San Rinaldi sein. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Noch jetzt hörte sie deutlich, wie Marco am Anfang ihrer Beziehung wortwörtlich erklärt hatte, es dürfte niemals einen unglücklichen Zufall geben. Und Marcos Worte darüber, was er in einem solchen Fall von ihr erwartete, ließen keinen Zweifel entstehen.

Selbst wenn er es nicht ausgesprochen hatte, war doch klar gewesen, was er meinte. Er wollte keine königlichen Bastarde in die Welt setzen.

Auf gar keinen Fall würde sie das Leben ihres Kindes beenden – dann schon lieber ihr eigenes.

Ganz abgesehen von Marcos Einstellung und seinen Wünschen, gab es auf San Rinaldi keinen Platz für die schwangere Geliebte des künftigen Königs oder für ihr uneheliches Kind.

Was sollte sie bloß tun? Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich dermaßen einsam und verlassen gefühlt.

Flankiert von einigen seiner Berater, saß König Giorgio hinter seinem Schreibtisch.

„Der Dorfvorsteher informierte mich darüber, dass seine Anweisungen missachtet wurden“, erklärte er in seiner selbstherrlichen Art. „Der Schuppen, in dem der Generator untergebracht war, wurde aufgebrochen. Das Gerät wurde gestohlen. Siehst du jetzt, welchen Ärger du durch deine Einmischung heraufbeschworen hast?“

Marco zählte in Gedanken bis zehn, ehe er auf den zornig, aber auch triumphierend vorgebrachten Vorwurf seines Großvaters antwortete. „Du hast vorhin gesagt, dass Rafael anordnete, den Schuppen mit dem Generator aus Sicherheitsgründen zu verschließen und den Stromerzeuger abzuschalten. Was soll das eigentlich heißen?“

Einer der Berater beugte sich zum König und raunte ihm etwas zu.

Daraufhin nickte König Giorgio knapp. „Der Friede im Dorf wurde gestört. Schuld daran war der Lärm, den der Generator und verschiedene elektrische Geräte verursachten. Mehrere Bewohner haben sich bei Rafael beschwert, weil ihre Hühner keine Eier mehr legen und die Kühe keine Milch mehr geben wollten.“

Marco wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Deshalb hat Rafael die anderen daran gehindert, den Generator zu benutzen?“, fragte er ungläubig. „Kein Wunder, dass sie nicht mehr auf ihn hören wollten.“

König Giorgio ließ sich nicht beirren. „Rafael macht sich schon seit längerer Zeit Sorgen, weil die rebellischen Viallis großen Einfluss auf die jungen Männer im Dorf ausüben. Nun haben sie den Generator gestohlen und weigern sich zu sagen, wo sie ihn versteckt halten. Rafael blieb daher nichts anderes übrig, als ihre Bestrafung anzuordnen.“

Jetzt vergaß Marco jede Selbstbeherrschung. „Was?“, rief er. „Das darf nicht wahr sein!“

„Mäßige dich!“, verlangte sein Großvater eisig. „Rafael meldet außerdem, dass sein Dorf am Rand der Anarchie steht und diese Stimmung auf weitere Bergdörfer übergreift.“ „Das ist doch verrückt!“ Marco war schier außer sich. „Falls überhaupt jemand eingesperrt werden sollte, dann ist es Rafael mit seinen prähistorischen Ansichten. Großvater, du musst doch einsehen, dass er falsch gehandelt hat.“ Marco konnte es nicht fassen. Sein Großvater war immerhin ein gebildeter und sehr kluger Mann, Rafael dagegen nur ein einfacher Bauer.

Kaum merklich schüttelte König Giorgio den Kopf. „Ich sehe nur ein, dass du all diese Schwierigkeiten heraufbeschworen hast, indem du dich bedenkenlos über meine Anordnungen hinweggesetzt hast.“

Marco wagte nicht, noch länger zu bleiben. Sonst wäre es womöglich zu offenen Anfeindungen zwischen ihm und seinem Großvater mit dessen überholten Ansichten gekommen. Deshalb verneigte Marco sich leicht vor König Giorgio, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum, ohne die königlichen Berater auch nur eines Blickes zu würdigen.

Durch die schmalen hohen Fenster des Korridors fielen Sonnenstrahlen herein. Staubmotten tanzten im grellen Lichtschein. Bestimmt war Emily jetzt wieder in der Villa. Marco sah sie förmlich vor sich, wie sie im Innenhof im Schatten saß. Sobald sie ihn entdeckte, lächelte sie freudig. Sie strahlte Ruhe und Gelassenheit aus und besaß die Fähigkeit, seinen Frust zu mildern.

Gerade jetzt hätte er gern mit ihr über den Ärger mit den Generatoren und vor allem mit seinem Großvater gesprochen. Sie konnte zuhören und verstand ihn. Außerdem bot sie ihm ihr Mitgefühl und Unterstützung an, das alles brauchte er dringend.

Marco stockte. Schon wieder dieser Gedanke – er brauchte Emily. Schlagartig wurde ihm klar, wie allein er sich jetzt fühlen würde, wäre sie nicht bei ihm auf San Rinaldi. Seit er sie auf die Insel gebracht hatte, war ihm bewusst geworden, wie gut Emily mit Menschen umgehen konnte. Sie verstand es auch, Lösungen für die verschiedensten Probleme zu finden.

Es erleichterte ihn, wenn er mit ihr offen über die Beziehung zwischen sich und seinem Großvater sprach. Bei Emily konnte er sich alles von der Seele reden. Plötzlich verspürte Marco den starken Wunsch, seine Geliebte nicht mehr aus seinem Bett und erst recht nicht von der Insel zu lassen.

Es gab aber ein Problem dabei. Wenn es um das Wohl seines Volkes ging, konnte er sich durchaus über die für das

Königshaus geltenden Gesetze hinwegsetzen. Das galt jedoch nicht für sein Privatleben. Daher konnte Emily nur auf der Insel bleiben, wenn er sie zur königlichen Mätresse machte. Dafür musste Marco einen Adeligen finden, der Emily heiratete und sich mit dem damit verbundenen Arrangement einverstanden erklärte.

Ein solcher Mann ließ sich durchaus auftreiben, doch Emily würde eine derartige Heirat rundweg ablehnen. Außerdem ... Marco blieb kopfschüttelnd stehen. Außerdem wollte er nicht, dass sie einem anderen das Jawort gab.

Darüber konnte er im Moment jedoch nicht länger nachdenken. Es war auch ausgeschlossen, jetzt gleich zur Villa und zu Emily zu fahren, sosehr er sich das auch wünschte. Zuerst musste Marco sich um Rafaels Dorf kümmern und dafür sorgen, dass sich die Lage nicht noch weiter verschlechterte.

Bald schon musste er sich aber auch um seine wachsende Abhängigkeit von Emily kümmern, ehe alles noch schlimmer wurde.

„Emily, bist du hier?“

Ihr Herz zog sich zusammen, als sie Marcos Stimme hörte. Im Schatten des kleinsten Innenhofs sitzend, hielt Emily die Hand schützend vor ihren Leib und versuchte, mit ihrem Entschluss ins Reine zu kommen.

Der Abend nahte. Das einfallende Licht wirkte weich und kündigte den Sonnenuntergang an. Bestimmt war Marco müde, doch seine Stimme klang ungewöhnlich scharf. Warum? War es nur die Müdigkeit, oder hatte er auch wieder Ärger gehabt?

Als er den Hof betrat, vergaß Emily sofort die eigenen Sorgen und auch die Angst um ihr Kind. Würde es immer so sein? Würde sie Marco stets alles von sich geben, ihre Liebe und ihre ganze Kraft?

„Ich wäre schon früher zurückgekommen“, sagte er, „aber ich musste in Rafaels Dorf und einiges bereinigen. Mein Großvater hat mir die Probleme mit sichtlichem Vergnügen geschildert.“

„Was denn für Probleme?“, fragte sie besorgt.

Marco setzte sich zu ihr. Heute löste seine Nähe nicht wie gewöhnlich Verlangen in ihr aus, sondern Traurigkeit. Emily fiel das Atmen schwer. Ihr Kind würde nie seinen Vater kennenlernen. Und sie selbst musste schon bald ohne Marco leben.

Am meisten jedoch litt sie mit Marco, weil er nie mit ihr dieses einmalige Gefühl teilen würde, ein neues Leben heranwachsen zu sehen – ihr gemeinsames Kind. Dieses Kind wünschte sie sich von ganzem Herzen. Es war nicht geplant gewesen, doch auch im Nachhinein würde sich nichts ändern, selbst wenn sie die Schwangerschaft rechtzeitig entdeckt hätte.

Sie war eine moderne Frau, finanziell unabhängig, mit einem Zuhause und einem eigenen Geschäft. Vor allem aber besaß sie genug Liebe für ihr Kind, das von seinem Vater nie dieselben Gefühle bekommen würde.

„Rafael hinderte die Dorfbewohner daran, den Generator zu benutzen“, erklärte Marco und lenkte sie damit von ihren Gedanken ab. „Darum haben Tomasso und seine Freunde sich gegen den Dorfältesten aufgelehnt und das Gerät weggeschafft. Daraufhin ließ Rafael mit Billigung meines Großvaters diese jungen Narren bestrafen. Dabei waren sie schon vorher gegen dieses rückständige Leben, das ihnen durch die altmodische Einstellung meines Großvaters aufgezwungen wird. Sie müssen zu viel entbehren.“

„Es führt zu nichts Gutem, wenn sie sich ausgeschlossen fühlen“, warf Emily ein.

„Das weiß ich“, bestätigte er. „Wäre mein Großvater zugänglicher, könnte ich mit ihm über meine Sorgen sprechen.

Wenn man diese jungen Leute falsch behandelt, wird das letztlich zu Unruhe und sogar Gewalt führen. Falls ich das dem König gegenüber jedoch sage, wird er sofort alle einsperren lassen.“

„Du musst eine Möglichkeit finden, Kontakt zu ihnen aufzunehmen“, riet Emily. „Wenn es zwischen dir und ihnen zu einem Dialog kommt, werden sie begreifen, dass du ihre Sorgen und Wünsche ernst nimmst.“

„Das ist genau, was ich vorhabe“, bestätigte er. „Ich habe bereits mit ihnen gesprochen und erklärt, dass ich mich um alles kümmern werde, sobald ich die Regentschaft übernehme. Und ich habe sie gebeten, bis dahin geduldig zu warten. Allerdings weiß ich eines: Sobald ich Reformen in die Wege leite, wird sich die alte Garde unseres Landes dagegenstemmen. Mein Großvater hat ihnen im Verlauf der Jahre den Trugschluss eingehämmert, dass jede Veränderung für sie zu Verlusten führen muss.“

Emily hört sich alles voller Mitgefühl und Verständnis an. Hier ging es um Dinge, die Marco am Herzen lagen. Sie erkannte aber auch, dass die Chance auf eine akzeptable Lösung sank, je zorniger er wurde und je stärker er sich gegen seinen Großvater stellte.

„Ich muss dich nicht daran erinnern, dass dein Großvater ein alter Mann ist“, setzte sie behutsam an. „Es verletzt bestimmt seinen Stolz, einzugestehen, dass er Fehler gemacht hat und die Dinge dadurch zu weit gekommen sind. Er kann auch nicht zugeben, dass die Regierung der Insel neue Wege einschlagen muss. Vielleicht solltest du ein wenig zurückstecken, Marco. Suche nach einer Lösung, die ihm erlaubt, das Gesicht zu wahren, wenn er deine Ideen akzeptiert. Vielleicht kannst du es ja sogar so hinbiegen, dass alles aussieht, als stammten die Ideen von ihm – zumindest in der Öffentlichkeit“, schränkte sie ein.

Autor

Robyn Donald
Die Neuseeländerin Robyn Donald ist überzeugt, dass Schreiben und Gärtnern viel gemeinsam haben: Beide Tätigkeiten sind mit Fantasie, Gefühlen, Visionen, viel Arbeit und Rückenschmerzen verbunden - und machen, wenn sie erfolgreich abgeschlossen sind, sehr glücklich. Schon als Kind erzählte Robyn ihren vier jüngeren Schwestern und ihrem Bruder sehr gern haarsträubende...
Mehr erfahren
Natasha Oakley
<p>Auf die Frage „Was willst du denn werden, wenn du groß bist?“ hatte Natasha Oakley schon in der Grundschule eine Antwort. Jedem, der es hören wollte, erzählte sie, dass sie einmal Autorin werden würde. Ihr Plan war es, zu Hause bei ihren Eltern in London, wohnen zu bleiben und sich...
Mehr erfahren
Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
Mehr erfahren
Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
Mehr erfahren
Susan Stephens
<p>Das erste Buch der britischen Schriftstellerin Susan Stephens erschien im Jahr 2002. Insgesamt wurden bisher 30 Bücher veröffentlicht, viele gehören zu einer Serie wie beispielsweise “Latin Lovers” oder “Foreign Affairs”. Als Kind las Susan Stephens gern die Märchen der Gebrüder Grimm. Ihr Studium beendete die Autorin mit einem MA in...
Mehr erfahren
Melanie Milburne
<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
Mehr erfahren