Der Vampir, der sich nicht traut

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499 Jahre und kein bisschen verliebt: Kein Wunder, dass der Vampir Connor Buchanan sich schließlich für immun gegen die Liebe hält. Er hat seinen Freunden - diesen armen romantischen Narren - dabei zugesehen, wie sie sich Hals über Kopf in ihre Beziehungen stürzen. Aber nicht mit ihm! Connor weiß, dass das alles zu nichts als Herzschmerz führt. Doch obwohl er den rosaroten Gefühlen für immer abgeschworen hat, wirft ihn die Begegnung mit dem Todesengel Marielle komplett aus der Bahn. Mariella ist eine teuflische Versuchung, der er nicht widerstehen kann …


  • Erscheinungstag 09.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769314
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kerrelyn Sparks

Der Vampir, der sich nicht traut

Aus dem Amerikanischen von Justine Kapeller

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Ralf Markmeier

Copyright dieses eBooks © 2018 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Vampire Mine

Copyright © 2011 by Kerrelyn Sparks

erschienen bei: Avon Books, New York

Published by arrangement with Avon,

an imprint of HarperCollins Publishers, LLC

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock / Hot Damn Stock

ISBN eBook: 978-3-95576-931-4

www.mira-taschenbuch.de

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1. KAPITEL

Nach vierhundertneunundneunzig Jahren seines Daseins gelangte Connor Buchanan zu einer unausweichlichen Erkenntnis über sich selbst: Er war ein kaltherziger alter Bastard.

Nachdem er seine Runde auf dem Gelände von Romatech Industries gedreht hatte, verlangsamte er seine Schritte. Er genoss es zwar, sich in Vampirgeschwindigkeit durch die Bäume zu bewegen, die kalte Brise auf seinem Gesicht zu spüren und sich den Duft der knospenden Blüten und Blätter um die Nase wehen zu lassen. Doch mit einem Mal war ihm klar geworden, warum er sich so auf den nahenden Frühling freute. Es ging nicht um die wärmeren Temperaturen. Auch nicht um das Versprechen von Wiedergeburt und Erneuerung, denn er selbst würde immer so bleiben, wie er seit Jahrhunderten war. Nein, wenn er gnadenlos ehrlich zu sich selbst war, dann waren es die kürzeren Nächte, auf die er sich freute. Sie bedeuteten längere Tage und längeren Todesschlaf. Mehr Zeit, die er in vollkommenem Vergessen zubringen konnte. Keine Gedanken. Keine Erinnerungen. Keine Reue.

Er näherte sich dem Haupthaus von Romatech und verlangsamte sein Tempo noch weiter. Ihn überfiel eine plötzliche Abneigung dagegen, das Gebäude wieder zu betreten. In letzter Zeit wollte er mehr und mehr allein sein.

Warum sollte er Zeit mit seinen Freunden verbringen? Gab es irgendein Gespräch, das er nicht schon ein Dutzend Mal oder öfter geführt hatte? Und sobald er auch nur andeutete, dass ihn ein schwarzer Schlund der Verzweiflung zu verschlingen drohte, brachte ihm das höchstens wissende Blicke der anderen Vampire ein, während sie ihm ihre übliche Diagnose mitteilten: Er schritt auf die fünfhundert zu, und anscheinend konnte dieses halbe Jahrtausend auch den tapfersten Vampir in eine Midlife-Crisis stürzen.

So ein gequirlter Mist! Roman und Angus waren beide älter als er selbst, und die beiden waren zufrieden mit ihrem Leben. Sie sind ja auch glücklich verheiratet. Er schob den Gedanken beiseite. Diesem Wahnsinn würde er nicht verfallen, egal, wie alt er wurde.

Nein, er war gern der kaltherzige alte Bastard. Und er war gut darin; diesen Zustand perfektionierte er schließlich schon seit Jahren. Als sein Weg ihn durch ein Blumenbeet führte, zertrat er die frischen Blüten unter seinen Füßen.

Am Seiteneingang zog er seinen Sicherheitsausweis durch die Konsole und legte seine Handfläche auf den Scanner. Nachdem sein extrem empfindliches Gehör vernommen hatte, wie das Schloss leise klickte, öffnete er die Tür und schlurfte den Korridor hinab zum Büro von MacKay Security.

Seine Schritte hallten im leeren Flur wider. Sonntagnachts kam niemand zu Romatech, außer denjenigen, die an der Messe am anderen Ende des Hauses teilnahmen.

Er schloss das Büro auf und studierte die Monitore an der Wand. Parkplatz leer. Korridore leer. Cafeteria leer. Herz leer. Er verdrängte auch diesen Gedanken und konzentrierte sich auf den Bildschirm, der die Kapelle zeigte.

Wie immer sah er sich die kleine Gemeinde sehr genau an, bis er sicher sein konnte, dass es Roman und seiner Familie gut ging. Connor bewachte Roman jetzt offiziell seit mehr als sechzig Jahren, erst als Leiter der Sicherheitsabteilung von Romatech, in den letzten Jahren als persönlicher Leibwächter. Roman Draganesti war der Erfinder von synthetischem Blut und Besitzer von Romatech Industries, wo es produziert wurde. Und da die Malcontents synthetisches Blut als Beleidigung und Bedrohung ihres mörderischen Daseins betrachteten, stellte Roman ein verlockendes Ziel für sie dar.

Allerdings ging der Hass noch sehr viel tiefer. Casimir war es gewesen, der Roman 1491 verwandelt hatte. Der Anführer der Malcontents hatte es für einen höchst amüsanten Schlag ins Angesicht Gottes gehalten, einen bescheidenen Mönch in einen blutrünstigen, mordlüsternen Vampir zu verwandeln. Aber Roman weigerte sich, böse zu werden. Er scharte eine Truppe aus guten Vampiren um sich, weil er gegen die Malcontents kämpfen und die Menschheit beschützen wollte.

Connor hatte auf dem Schlachtfeld im Sterben gelegen, als Roman ihn verwandelt hatte. Er hatte sein ganzes Dasein Roman zu verdanken. Und seinen Verstand. Auf Roman und seine Familie aufzupassen gab ihm einen ehrenwerten Lebenszweck. Ehrenwert genug, damit er vergessen konnte, was für ein kaltherziger Bastard er in Wirklichkeit war.

Er verfolgte auf dem Monitor, wie Father Andrew seinen Segen sprach und die Gemeinde aus der Kapelle auf den Flur hinausströmte. Connors Herz zog sich beim Anblick von Romans Kindern zusammen, Constantine und Sofia. Tino hatte im letzten März seinen fünften Geburtstag gefeiert, und Sofia wurde im Mai drei Jahre alt. Er berührte den Bildschirm, auf dem zu sehen war, wie die beiden im Flur herumstolzierten. Die ganze Messe hindurch still zu sitzen musste in ihnen überschüssige Energie angestaut haben, die sich jetzt entlud. Beim Anblick, wie die beiden in den neben der Kapelle gelegenen Gemeindesaal hüpften – voller Vorfreude auf Punsch und Kekse –, lächelte Connor. Ihre sterbliche Mutter Shanna umarmte Roman rasch und eilte anschließend den beiden hinterher.

Connors Lächeln verblasste, während er seine Vampirfreunde beobachtete, die jetzt aus der Kapelle heraustraten, fast alle von ihnen mit einer Frau an ihrer Seite. Diese armen romantischen Trottel! Wie konnten sie nur jahrhundertelang allein bleiben, um dann einer nach dem anderen wie eine benommene Schafherde die Klippe hinunterzustürzen? Sie hatten nicht nur sich selbst verwundbar gemacht für Herzschmerz und Verzweiflung, die mit der Liebe einhergingen. Sie gefährdeten auch die gesamte Welt der Vampire, indem immer mehr sterbliche Frauen von ihrer Existenz erfuhren.

Für den Moment allerdings schienen die Männer glücklich zu sein. Unwissenheit ist ein Segen, dachte Connor. Sie erkannten nicht das Risiko. Sie spürten nicht den Schatten der Verdammnis, der vor ihrem goldenen Käfig lauerte. Sie hatten keine Ahnung, wie die Liebe einen Mann dazu treiben konnte, verzweifelte, unvorstellbare Taten zu vollbringen, Taten, die die eigene Seele zerstörten.

Er wandte sich ab und konzentrierte sich auf den Monitor, auf dem Digital Vampire Network lief. Eine schwarze computeranimierte Fledermaus schlug mit den Flügeln, und darunter verkündete ein Schriftzug: „DVN. Rund um die Uhr auf Sendung, weil irgendwo immer Nacht ist.“

Nightly News hatte angefangen, also schaltete Connor den Ton ein.

„Und noch eine letzte Meldung.“ Stone Cauffyn nahm ein Blatt Papier, das man ihm über den Tisch zugeschoben hatte. „Ein Vampir in Los Angeles behauptet, Casimir vor einigen Nächten gesichtet zu haben.“ Der Moderator überflog die Nachricht, die Miene reglos wie immer. „Ich fürchte, wir können diesen Bericht im Augenblick nicht bestätigen.“

Connor runzelte die Stirn. Letzte Woche hatte ein Vampir behauptet, Casimir in einem Kanu auf Bora Bora gesehen zu haben, die Woche davor schwor jemand, Casimir hätte in Nordfinnland Rentiere gemolken. Der Anführer der Malcontents war zum schwarzen Mann der Vampirwelt geworden, den man hinter jedem Baum vermutete und über den man in dunklen Räumen tuschelte.

„Und damit endet unsere Übertragung für heute Nacht“, verkündete Stone mit seiner monotonen Stimme, „für die neuesten Nachrichten aus der Welt der Vampire bleiben Sie dran auf DVN, weltweit der Vampirsender Nummer eins.“

Keine sehr beeindruckende Leistung, wenn man bedenkt, dass es auch der einzige Vampirsender der Welt ist. Connor schaltete schon während des Abspanns den Ton wieder aus.

Er schaute zurück auf den Monitor, der den Korridor vor der Kapelle zeigte. Der größte Teil der Versammlung zog in den Gemeindesaal um. Father Andrew schien in ein Gespräch mit Roman vertieft, der ernst mit dem Kopf nickte. Sie schüttelten sich die Hand, und dann betrat Roman den Gemeindesaal, während der Priester sich in Richtung Foyer aufmachte, eine lederne Aktentasche in der Hand. Er ging früher als sonst.

Connor richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf DVN. Es lief gerade eine Werbung für Vampos, ein Pfefferminzbonbon gegen Blutatem. Ein attraktiver männlicher Vampir, in einen teuren Frack gekleidet, steckte sich ein Vampo in den Mund und küsste dann sein Date, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund einen knappen Bikini trug. Im Dunkeln. Im Central Park. Auf dem Rücken eines Pferdes. Ein sehr wahrscheinliches Szenario, kommentierte Connor im Stillen und verzog zynisch den Mund, auch wenn sein Blick an den Kurven der Frau hängen blieb.

Mist! Wie lange war es her? Dreißig Jahre? Fünfzig? Verdammt noch mal, zu lange, wenn er sich nicht einmal mehr erinnern konnte. Kein Wunder, dass er ein kaltherziger alter Bastard geworden war.

Gregori, der immer ein Päckchen Vampos in der Manteltasche hatte, drängte Connor ständig, mit ihm in die Vampirnachtclubs zu kommen. Anscheinend verwandelten ihn sein karierter Kilt und sein schottischer Akzent automatisch zu einem „Bräutemagneten“. Es gab dort eine Masse an „heißen Bräuten“, wie Gregori sie nannte, die sich die Langeweile des unsterblichen Daseins mit einer Nacht voll wildem Sex vertreiben wollten. Gregori behauptete, es wäre ihre männliche Pflicht, all diese Vampirfrauen glücklich zu machen.

Bisher hatte Connor immer abgelehnt. Der Versuch, seine Einsamkeit mit einer langen Reihe gesichtsloser, namenloser, verzweifelter, untoter Frauen zu füllen, verlockte ihn nicht. Es erschien ihm auch unehrenhaft. Heuchler! stichelte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf. Wem machst du hier etwas vor? Ausgerechnet du behauptest, ein Mann von Ehre zu sein? Du weißt doch genau, was du getan hast.

Er erstickte diese innere Stimme und richtete den Blick wieder auf die Bildschirme. Father Andrew war im Foyer angekommen und stellte seine Aktentasche auf den Tisch, wo Phineas sie früher am Abend schon kontrolliert hatte. Aus Sicherheitsgründen wurden alle Gegenstände, die zu Romatech mitgebracht wurden, am Eingang durchsucht.

Der Priester hatte bei seiner Ankunft seinen Mantel auf dem Tisch liegen lassen, aber statt ihn jetzt anzuziehen und aus der Tür zu gehen, schlenderte er durch das Foyer in den Korridor, der links davon abzweigte. Connor runzelte die Stirn und fragte sich, was der alte Mann vorhatte. Der Flur war leer, bis auf …

„Mist“, flüsterte Connor, da Father Andrew den direkten Weg zum Sicherheitsbüro einschlug.

Er konnte nicht so tun, als wäre er nicht da. Resigniert stöhnend strich er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die aus dem Zopf in seinem Nacken entkommen war.

Er öffnete die Tür und trat auf den Flur hinaus. „Kann ich helfen, Father?“

Der Priester lächelte. „Connor! Wie schön, dich zu sehen.“ Er schüttelte ihm die Hand und spähte dann ins Büro. „Faszinierend. Diesen Raum habe ich noch nie gesehen. Darf ich?“

Connor bedeutete ihm einzutreten und folgte ihm dann.

Father Andrew drehte sich auf der Stelle und schaute sich im ganzen Büro um. Er hob die Augenbrauen, sowie er das Waffenarsenal hinter der Gittertür im rückwärtigen Bereich des Raumes entdeckte. Dann wandte er sich der Wand mit den Überwachungsmonitoren zu. „Ich wollte dich nur wissen lassen, wie sehr wir es zu schätzen wissen, dass du uns während der Messe beschützt.“

Connor neigte den Kopf. Das Kompliment war nicht nur so dahergesagt; die Malcontents hatten die Kapelle schon einmal mit Bomben angegriffen. Und da Roman an der Messe teilnahm und mit ihm zusammen Angus MacKay und weitere prominente Angehörige der Ersatzblut trinkenden Vampirwelt, schrie die Andacht förmlich nach einem Attentat.

Der Priester deutete auf den Bildschirm, auf dem die Kapelle zu sehen war. „Du konntest also dem Gottesdienst trotzdem beiwohnen?“

„Aye.“ Connor gab nicht zu, dass er den Ton abgestellt hatte. „Ich war nicht die ganze Zeit hier. Ich habe vier Runden auf dem Gelände gedreht.“

„Du bist sehr wachsam“, erwiderte Father Andrew mit dem Anflug eines Lächelns. Der silberne Haarkranz um die bloße Krone seines Kopfes zeugte von fortgeschrittenem Alter, aber seine klaren blauen Augen und die faltenfreie Haut verliehen ihm eine merkwürdige Jugendlichkeit und Unschuld. „Roman und seine Familie haben Glück, dass du für sie da bist.“

Connor trat von einem Fuß auf den anderen. „Roman ist sehr wichtig.“

Der Priester lächelte noch strahlender. „In den Augen Gottes seid ihr alle wichtig. Ich habe mich gefragt, warum du dich jede Woche freiwillig meldest, um uns zu bewachen. Du könntest dich doch sicherlich auch mit den anderen Männern abwechseln? Ich habe dich jetzt seit Monaten nicht mehr bei der Messe gesehen.“

Connor krümmte sich innerlich. Es hätte ihm klar sein müssen, dass so etwas kommen würde.

„Ich mache mir Sorgen um dich“, redete Father Andrew weiter. „Vielleicht bilde ich es mir nur ein, allerdings habe ich das Gefühl, dass du dich in den letzten Jahren immer weiter zurückziehst … und unglücklicher wirkst. Roman ist der gleichen Meinung …“

„Sie haben mit Roman über mich gesprochen?“, fuhr Connor ihn an.

Der Priester runzelte die Stirn, schwieg aber, bis Connor anfing, sich schuldig zu fühlen, weil er die Stimme erhoben hatte.

„Roman hat mir erzählt, dass du bald deinen fünfhundertsten Geburtstag erlebst“, sprach Father Andrew dann beschwichtigend weiter, „und ich habe gehört, so etwas kann Depressionen auslösen oder auch …“

„Vollkommener Quatsch!“

„… oder auch Wut“, beendete der Priester seinen Satz mit einem eindringlichen Blick. „In deinem Fall befürchte ich, dass du dich von deinen Freunden abschottest, wodurch du dich nur noch einsamer fühlst. Was meinst du, Connor? Fühlst du dich isoliert?“

Nicht isoliert genug, solange er noch solche Gespräche ertragen musste. Er schob sich die nervige Haarsträhne hinters Ohr. „Es ist nicht mehr so wie früher. Die Männer heiraten alle.“

„Mir ist schon zu Ohren gekommen, dass du mit ihren Beziehungen nicht einverstanden bist.“

Connor warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Es ist nicht so, als würde ich wollen, dass sie alle einsam und unglücklich sind. Sie verstehen nur nicht, welchem Risiko sie sich damit aussetzen. Für Vampire gibt es nichts Wichtigeres als die Geheimhaltung unserer Existenz. Das ist seit Jahrhunderten unsere oberste Priorität, und sie gehen einfach damit hausieren.“

„Sie sind verliebt.“

Connor schnaubte.

„Glaubst du nicht an die Liebe?“

Connor schnitt eine Grimasse. Oh, er glaubte durchaus an die Liebe. Die Liebe war das Letzte.

Eindringlich musterte Father Andrew ihn. „Es gibt keinen Grund, sich einsam zu fühlen, Connor. Du könntest mit deinen Freunden zur Messe kommen und das Abendmahl empfangen.“

Dieser gerissene Priester hatte es auf ihn abgesehen. Connor nahm absichtlich nicht am Abendmahl teil. Er war in dem Glauben erzogen, dass man vorher die Beichte ablegen musste.

Father Andrew setzte seine Lesebrille auf und holte einen Terminkalender aus der Manteltasche. „Ich würde gern einen Termin mit dir machen.“

„Ich habe zu tun.“

Der Priester ignorierte diese Bemerkung und blätterte durch die Seiten. „Roman würde dir freigeben.“

„Nein danke.“

„Wie wäre es nächsten Donnerstagabend um neun? Ich könnte hierher zu dir kommen.“

„Nay.“

Die Hand auf seinem Kalender abgelegt, schaute Father Andrew ihn über den Rand seiner Lesebrille an. „Ich bin seit über fünfzig Jahren Priester. Ich weiß, wann ein Mann die Beichte ablegen muss.“

Connor trat einen Schritt zurück und biss die Zähne zusammen. „Ich werde nichts beichten.“

Father Andrew nahm seine Brille ab und blickte Connor mit seinen blauen Augen fest an. „Du kannst mich nicht verschrecken. Ich kämpfe um dich.“

Die Härchen in Connors Nacken stellten sich auf. Dieser Kampf war seit Jahrhunderten verloren.

Der Priester schloss seinen Terminkalender mit einem Schnappen und stopfte ihn zurück in die Manteltasche. „Ich nehme an, du hast im großen Vampirkrieg von 1710 gekämpft? Und ich schätze mal, du hast, bis Roman 1987 das synthetische Blut erfunden hat, zum Überleben von Menschen getrunken?“

Connor verschränkte die Arme vor der Brust. Statt einer Beichte wollte der Priester es also mit einem Verhör versuchen.

„Ich habe in den letzten fünf Jahren viel über eure Welt gelernt.“ Father Andrew steckte seine Brille zurück in die Brusttasche. „Ich bezweifle stark, dass du mir irgendetwas erzählen könntest, das ich noch nicht gehört habe.“

Da lag er falsch. Connor deutete auf die Tür, um damit zu signalisieren, dass ihr Treffen vorbei war.

In den Augen des Priesters blitzte ein Funke der Belustigung auf. „Du bist ein Mann weniger Worte. Mir gefällt das.“ Er schaute sich noch ein letztes Mal um, und sein Blick fiel dabei auf den Bildschirm, der DVN zeigte. „Diese Frau kommt mir bekannt vor. Hat sie nicht versucht, Jacks Verlobungsfeier zu ruinieren?“

Connor sah auf den Monitor. Eine Frau mit grellrot geschminkten Lippen verzog ihren Mund zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Das ist Corky Courrant. Sie ist die Moderatorin von ‚Leben mit den Untoten‘.“

„Dann ist das der Vampirkanal?“ Der Priester trat einen Schritt nach vorn. „Den habe ich noch nie geschaut.“

Connor seufzte. Der alte Mann schien von allem fasziniert zu sein, was mit der Welt der Vampire zu tun hatte. Am unteren Rand des Bildschirms verkündete ein Banner, dass Corky gleich einen Überraschungsgast interviewen würde. Corky bebte vor Aufregung, als die Kamera zurückschwenkte und der Bildausschnitt sich vergrößerte.

„Verdammt und zur Hölle!“ Connor sprang fluchend zum Monitor, drehte den Ton hoch und betätigte den Aufnahmeknopf.

„… erreiche ich hiermit den Höhepunkt meiner journalistischen Karriere“, erklärte Corky und deutete auf ihren Gast. „Es ist eine Ehre, dich in meiner Sendung begrüßen zu dürfen, Casimir.“

Father Andrew keuchte vor Schreck. „Das ist Casimir?“

Connor raste an den Schreibtisch und betätigte den Alarmknopf, der eine Sirene auslöste, zu hoch für menschliche Ohren. Aber die Vampire und Gestaltwandler im Gemeindesaal würden innerhalb von Sekunden bei ihm im Büro erscheinen.

Connor blickte hinab zu dem Dolch in seinem Kilt-Strumpf und fasste sich gleichzeitig in den Rücken, um sicherzugehen, dass sein Claymore an Ort und Stelle war. „Sagen Sie den anderen, ich bin beim Sender“, bat er den Priester und teleportierte sich dann.

Im Eingangsbereich des Hauptquartiers vom Digital Vampire Network in Brooklyn hing ein riesiges Plakat. Heute Abend Vorsprechen für All My Vampires! Männliche Hauptrolle gesucht.

Die Stirn gerunzelt bahnte sich Connor den Weg durch das volle Empfangszimmer. Anscheinend wollten über hundert junge Vampire in der beliebtesten Seifenoper von DVN mitwirken. Sie hatten sich der Rolle entsprechend gekleidet, die meisten von ihnen in schwarze Smokings. Andere hatten sich für Kostüme entschieden: Es gab einen Gladiator, einen Matador und einen Dracula mit langem Seidenumhang. Connor rümpfte die Nase über den stechenden Geruch nach Duftwassern und Haargel.

„Hey!“ Ein junger Vampir in einem schwarzen Trenchcoat und mit Sonnenbrille stieß ihn an. „Du musst dich anstellen, um die Bewerbungsunterlagen auszufüllen.“ Er deutete mit einem schwarz lackierten Fingernagel auf die Schlange, die sich durch den Raum wand.

Connor griff hinter seinen Rücken nach seinem Claymore. Zu einem Chor aus entsetztem Keuchen und Kreischen wichen die jungen Männer auseinander wie das rote Meer.

„So ein Mist, der hat seine eigenen Requisiten mitgebracht“, murmelte ein junger Vampir in einem Cowboy-Kostüm. „Und der Kilt sieht super aus. Daran hätte ich denken sollen.“

„Verdammt.“ Ein als Mr Darcy kostümierter Vampir zupfte an seiner Spitzenkrawatte. „Ich wusste, ich hätte einen auf Macho machen sollen.“

Connor trat an den Rezeptionstresen.

Das Mädchen dahinter sperrte den Mund auf, als sie sein gezogenes Schwert bemerkte. „Ich … ich …“

Sie schien nicht in der Lage, in zusammenhängenden Sätzen zu reden, also ging er einfach um den Tisch herum und auf die Doppeltür dahinter zu.

„Moment!“, rief die Rezeptionistin ihm nach. „Sie können da nicht …“

Die Tür schnitt ihr mit dem Zuknallen das Wort ab. Er rannte den Flur hinab; er hoffte, Casimir noch im Studio zu erwischen, ehe ihm die Flucht gelang. Wenn er es schaffte, diesen blutrünstigen Bastard heute Nacht umzubringen, würden die Malcontents sich in alle Himmelsrichtungen verstreuen. Zahllose Menschenleben konnten so gerettet werden.

Er entdeckte das rote Licht an einem der Studios und widerstand dem Drang, es mit Kampfgeheul zu stürmen. Stattdessen machte er leise die Tür auf und schlüpfte hinein. Im Eingangsbereich war es dunkel, doch am anderen Ende des Raumes beleuchteten zwei trübe Scheinwerfer die Bühne.

Connor schlängelte sich unauffällig an den Kameras vorbei, die eingeschaltet zu sein schienen, auch wenn niemand dahinter stand.

„Du weißt, dass ich dich liebe“, flüsterte eine männliche Stimme hinter einem Monitor. „Du lässt mich so gut aussehen.“

Connor stöhnte innerlich auf. Die Stimme gehörte nicht zu Casimir, sondern zu Stone Cauffyn. Anscheinend traf sich der Nachrichtensprecher jetzt, wo die Nightly News vorbei waren, mit einer Geliebten, vielleicht einer Visagistin, die ihn gut aussehen ließ.

Connor ging um den Monitor herum und entdeckte Stone in leidenschaftlicher Umarmung mit … seiner Haarbürste.

„Aaah!“ Stone sprang auf und ließ seine Bürste scheppernd zu Boden fallen. „Ich muss schon sagen, Sie haben mich gehörig erschreckt.“

Connor hatte keine Ahnung, was er bizarrer finden sollte: einen Mann, der noch das Wort gehörig benutzte, oder einen Mann, der in seine Haarbürste verliebt war. „Wo ist Corky Courrant?“

„Sehen Sie sich an, was Sie angerichtet haben.“ Stone hob seine Bürste auf und suchte nach Verletzungen. „Verflixt noch eins, es hätten Kratzer drauf kommen können.“

„Wo zur Hölle ist Corky Courrant?“

„Es gibt keinen Grund, sich so grober Sprache zu bedienen. Und ich bitte Sie aufs Eindringlichste, diese mittelalterliche Monstrosität von einer Waffe wegzustecken.“ Stone drehte sich dem Monitor zu, in dem er sein eigenes Bild betrachten konnte, und fuhr sich mit der Bürste durch sein volles Haar. „Ich muss schon sagen, ich vermisse die gute alte Zeit. England, Regency, müssen Sie wissen. Als sich wohlgeborene Leute noch mit der angemessenen Etikette zu benehmen wussten und …“

„Du verfluchter Hurensohn, sag mir wo Corky ist!“

Stone schnaubte. „Miss Courrant ist nicht hier, Gott sei es gedankt. Sie wollte diese Bühne mit einem unlauteren Charakter beschmutzen.“

Die Scheinwerfer gingen an.

„Was ist hier los?“ Ein glatzköpfiger Mann stand in der Tür zum Studio, die Hand auf dem Lichtschalter. Misstrauisch betrachtete er Connor. „Ich habe den Sicherheitsdienst verständigt.“

„Ich bin der Sicherheitsdienst“, entgegnete Connor. „Wo ist Corky Courrant?“

Der glatzköpfige Mann seufzte. „Es geht um dieses dämliche Interview mit Casimir, nicht? Ich habe sie gewarnt, das gibt nur Ärger.“

„Unlauterer Charakter.“ Stone Cauffyn schauderte.

Connor starrte die beiden Männer fassungslos an. „Er ist ein kleines bisschen mehr als unlauter. Er ist ein verdammter Terrorist.“

„Glauben Sie, das ist mir nicht bewusst?“, fragte der glatzköpfige Mann. „Sein Kumpel Janow hat hier in diesem Studio Geiseln genommen. Gott sei Dank sind ein paar Typen von MacKay Security and Investigation aufgetaucht … Hey, arbeiten Sie etwa für die?“

„Aye.“ Connor trat auf ihn zu. „Wo ist Corky?“

„Sie hat einen Aufstand gemacht, als ich ihr gesagt habe, sie kann Casimir hier nicht interviewen. Ich habe ihr geraten, sich einige Wochen freizunehmen, um sich zu beruhigen. Und als Nächstes schickt sie mir die DVD mit dem Interview …“

„Von wo?“, unterbrach Connor ihn.

Ehe der Glatzkopf antworten konnte, wurde er von Angus MacKay und drei weiteren Vampiren, die am Gottesdienst bei Romatech teilgenommen hatten, weiter in den Raum geschoben. Alle vier hatten ihre Schwerter gezogen.

„Wo ist Casimir?“, wollte Angus wissen.

„Keine Ahnung.“ Der Glatzkopf nickte Phineas, Ian und Jack zu. „Ich erinnere mich an Sie! Sie sind von MacKay Security and Investigation.“

„Ich bin Angus MacKay. Und Sie sind?“

„Sylvester Bacchus, Sendeleiter.“

„Sagen Sie“, Angus kam näher, „leisten Sie einem bekannten Terroristen Beihilfe?“

„Nein!“ Sylvester fuhr sich mit der Hand über den kahlen Kopf, der im hellen Licht der Scheinwerfer glänzte. „Ich habe Corky erklärt, dass ich nichts damit zu tun haben will. Ich habe sie in den Urlaub geschickt, doch erhielt ich diese DVD …“

„Von wo?“, fragte Connor erneut.

Sylvester zuckte mit den Schultern. „Hat sie nicht geschrieben. Auf dem Paket war ein kalifornischer Poststempel von vor ein paar Tagen. Hollywood, glaube ich.“

„Ich muss schon sagen, was für ein Glück bringender Zufall.“ Stone tätschelte sich die Haare und bewunderte sich im Monitor. „Es gab einen Bericht, dass jemand diesen unlauteren Charakter in Los Angeles gesehen haben soll.“

„Vor einigen Nächten“, murmelte Connor. „Da müssen sie das Interview aufgezeichnet haben. Casimir könnte schon wieder überall sein.“

„Hol’s der Teufel.“ Angus steckte sein Schwert weg.

„Merda!“, stieß Jack knurrend hervor. „Ich hatte gehofft, wir bringen ihn heute Nacht um.“

„Yeah“, stimmte Phineas zu, „und das Schlimmste daran ist, dass dieser Bastard wieder in Amerika ist.“

Stone erschauderte. „So ungehobelte Sprache. Gott sei es gedankt, dass dies hier nicht den Zuschauern übertragen wird.“

„Verpiss dich“, fuhr Connor ihn an.

„Hmpf.“ Stone hob das Kinn und marschierte in Richtung Tür. „Sie sind nur neidisch, weil Ihr Haar so ungezähmt und barbarisch ist.“

„Soll das heißen, deine Haare sind echt?“, fragte Phineas, während Stone an ihm vorbeilief. „Ich dachte, das wäre eine Perücke.“

Stone keuchte entsetzt auf und rannte aus dem Studio, die Haarbürste gegen seine Brust gepresst. Phineas grinste und klatschte Ian ab.

„Sylvester, haben Sie noch den Umschlag, den Corky geschickt hat?“, erkundigte sich Connor. „Den brauchen wir, und auch die DVD.“

„Sicher.“ Der Sendeleiter eilte davon.

Angus nahm sein Handy aus seinem Sporran. „Ich rufe J. L. an. Sobald wir den genauen Ort in Kalifornien kennen, kann er dort nachsehen.“

Connor nickte und steckte dabei sein Schwert weg. J. L. Wang war ein relativ junger Vampir, aber als ehemaliger FBI-Agent wusste er, wie er seinen Job zu erledigen hatte. „Wir sollten alle Orte hier in Amerika absuchen, an die sich Casimir in der Vergangenheit teleportiert hat.“ Diese Orte waren in seinem übersinnlichen Gedächtnis gespeichert. Es war also wahrscheinlicher, dass er dort auftauchte als an einem unbekannten Ort.

„Aye“, stimmte Angus ihm zu. „Jack, Lara und du übernehmt Maine. Wenn Casimir dort ist, ruft ihr Verstärkung.“

„Kein Problem.“ Jack teleportierte sich davon.

„Ian, warn du den Zirkel in New Orleans“, fuhr Angus fort, „und dann informier Jean-Luc in Texas. Ist die Schule gut bewacht?“

„Aye, Phil und seine Werwolfjungs sind dort.“ Ian teleportierte sich ebenfalls.

„Phineas, ich will, dass Robby und du euch in St. Louis umschaut, in Leavenworth und auf den Farmen in Nebraska“, befahl Angus. „Sobald ich Corkys DVD habe, kehre ich zu Romatech zurück. Ruf mich also dort an, um Bericht zu erstatten.“

„Verstanden.“ Phineas teleportierte sich.

„Bleibt nur noch der Campingplatz bei Mount Rushmore“, sagte Connor leise. Der verfluchte Ort, an dem Casimir und seine Anhänger schon zweimal unschuldige Menschen gemeuchelt hatten. Der gleiche Ort, an dem sie Robby MacKay gefangen gehalten und gefoltert hatten. Connor hätte wetten können, dass das Casimirs Lieblingsplatz in Amerika war.

Angus seufzte. „Ich wollte Robby nicht dorthin zurückschicken.“

„Das verstehe ich.“ Connor kannte es nur zur gut, wie es war, wenn einen schreckliche Erinnerungen belasteten. „Ich bin schon unterwegs.“

Angus streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten. „Du solltest nicht allein gehen. Kehr erst zu Romatech zurück und nimm einen der Gestaltwandler mit, Carlos oder Howard.“

„Ich komme schon zurecht.“

„Das war kein Vorschlag, Connor, das war ein Be…“

Er teleportierte sich, ehe Angus den Satz beenden konnte.

2. KAPITEL

Scharfer Wind pfiff durch den Wald, rauschte in den Bäumen und hieß Connor mit einem unverwechselbaren Duft willkommen. Dem Duft des Todes. Connor fluchte leise. Wie viele Sterbliche mussten auf diesem Campingplatz noch ihr Leben lassen, ehe man ihn endgültig schloss? Sean Whelan von der CIA hatte das letzte Massaker vertuscht; er hatte den Medien gegenüber behauptet, dass ein Grippevirus schuld war. Die Besitzer hatten ohne zu zweifeln aufgeräumt und weitere unbeschwerte Camper eingeladen. Weitere Opfer für Casimir und seine Anhänger, die sie terrorisierten und schließlich töteten.

Connor stand im Schatten eines großen Baumes und sah sich um. Casimir dürfte schon lange verschwunden sein, oder er versteckte sich vielleicht in den Höhlen, die sich ganz in der Nähe befanden.

Ein Sturm kam auf. Schwere graue Wolken rasten am Dreiviertelmond vorbei und löschten die Sterne aus. Ein Knall hallte über den Campingplatz, wohl eine offene Tür oder ein Fensterladen, verfangen im Wind.

Eine plötzliche Brise wehte seinen Kilt hoch, und er zuckte zusammen, als er die kalte Luft an seinem nackten Hintern spürte. Als er sich in der Hüfte drehte, um seinen Kilt zu richten, riss der Wind eine weitere Haarsträhne aus dem Zopf in seinem Nacken. Er steckte sie sich hinters Ohr und fuhr mit seiner stummen Überwachung fort. Weit in der Ferne konnte er die in Granit gehauenen Präsidentenköpfe von Mount Rushmore erkennen, die zwischen den dunklen Hügeln weiß leuchteten. Ohne Zweifel genoss Casimir die Ironie darin, Amerikaner so nah an einem Monument ihrer Stärke und Freiheit mental zu versklaven und zu ermorden.

In den Hütten auf der Lichtung im Wald brannte kein Licht. Connor konnte kein Geräusch aus ihnen hören, kein Stöhnen im Sterben liegender Menschen, keine Herzschläge. Dort konnte er später nachsehen, aber für den Augenblick ging er davon aus, dass sie leer waren.

Das Knallen und der Geruch kamen vom Haupthaus her, einem rustikalen Gebäude aus Stein und Holz. Er raste auf das Gebäude zu, stellte sich neben eines der Fenster und spähte hinein. Eine große Ledercouch, mehrere Schaukelstühle aus Holz, ein Tisch mit einer halb gespielten Partie Dame. Glühende Kohlen in der Feuerstelle des großen steinernen Kamins. Ein gemütlicher, freundlich aussehender Ort, wenn man von den Leichen auf dem Webteppich absah.

Wut und Ekel fingen in seinem Magen zu brodeln an. Er konnte nichts tun. Casimir und seine Anhänger waren wahrscheinlich schon verschwunden. Diese blutrünstigen Bastarde hatten bereits ihr Schlimmstes getan.

Dennoch, er wollte sich nicht unvorbereitet erwischen lassen, also zog er sein Schwert, ehe er sich ins Innere des Hauses teleportierte. Er sah in allen Räumen nach. Leer. Nachdem er die knallende Tür verriegelt hatte, kehrte er noch einmal um, damit er den Toten Respekt zollen konnte, die säuberlich aufgereiht auf dem Webteppich lagen. Sieben Tote. Die Kehlen aufgeschlitzt, um die Bissspuren zu verwischen, aber nicht ein Tropfen Blut befleckte den Teppich. Sie waren alle leer gesaugt. Die Totenstarre war noch nicht eingetreten, also mussten sie am gleichen Abend gestorben sein, wahrscheinlich kurz nach Sonnenuntergang.

Seine Wut stieg an und drohte zu explodieren. Er schloss die Hand so fest um sein Schwert, dass die Knöchel an seinen Fingern weiß hervortraten. Die Malcontents mussten vampirische Gedankenkontrolle benutzt haben, damit die Camper sich ihnen ergaben. Zwei Familien. Zwei nette Mütter. Drei unschuldige kleine Kinder. Die Väter waren unter der Kontrolle der Malcontents gestanden und hatten hilflos zusehen müssen, wie ihre Frauen und Kinder ermordet wurden.

Sein Herz raste vor Wut. Seine blauen Augen begannen zu glühen, bis sein ganzes Sichtfeld von einem eiskalten Blau überzogen war. Er ballte die Fäuste, wollte töten. Bitte, lass sie noch in den Höhlen sein!

Sein Claymore gehoben und zur Schlacht bereit, teleportierte er sich nach draußen. Er würde sie umbringen. Jeden Einzelnen von ihnen.

Er stürmte den Trampelpfad hinab, der zu den Höhlen führte. Der Wind wehte stärker, rüttelte an den Bäumen und streute kleine Zweige und Tannenzapfen auf die Wege. Lose Haarsträhnen peitschten ihm ins Gesicht. Er schob die Strähnen beiseite und sah in den Himmel. Der Mond war gespenstisch blau und fast vollkommen von dichten Wolken verhangen. Gut. Die Dunkelheit würde seinen Angriff verbergen. Dann bemerkten sie seine Anwesenheit erst, wenn sich seine scharfe Klinge in ihre schwarzen Herzen grub.

Töte sie! Töte sie alle.

Er blieb abrupt stehen, als ihm ein vollkommen klarer Gedanke kam. Déjà-vu. Die gleiche kalte Wut. Die gleiche schwarze Nacht. Der gleiche eisblaue Blick. Die gleichen Bäume, in denen der Sturm tobte, und der Duft nach Pinien. Töte sie alle.

Seine besonders empfindlichen glühenden Augen stachen im beißenden Wind. Was für ein Trottel er doch war! Hatte er seine Wut nicht besser unter Kontrolle als vor Jahrhunderten? Was, wenn Casimir fünfzig Anhänger bei sich hatte? Hundert? War er so blutrünstig, dass er ihnen einfach in die Falle ging?

Er trat zurück in den Wald, lehnte sich an einen Baumstamm, schloss die Augen und atmete tief durch. Nimm dich zusammen! Sein Herzschlag verlangsamte sich. Die Wut ebbte ab.

Er öffnete die Augen und konnte wieder normal sehen. Er zog sein Handy aus dem Sporran. Kein Empfang. Verfluchter Mist! Er wollte die Gegend nicht unbewacht lassen, während er sich zu Romatech teleportierte. Er ging zum Haupthaus zurück. Immer noch kein Empfang. Angus telepathisch eine Nachricht zu schicken konnte er auch nicht riskieren, da alle Malcontents in der Umgebung sie ebenfalls empfangen würden.

Sein Blick fiel auf die leuchtenden Präsidentenköpfe in der Ferne. Mount Rushmore. Wahrscheinlich war es dort möglich, ein Signal zu bekommen. Außerdem konnte er von dort aus die gesamte Gegend aus der Vogelperspektive betrachten. Wenn irgendwer aus den Höhlen kam, konnte er es von dort oben sehen.

Die Welt wurde einen Augenblick lang schwarz, und dann war er dort, die Füße auf festem Stein. Ehe er das Gleichgewicht wiederfinden konnte, traf ihn ein heftiger Windstoß in den Rücken und schubste ihn nach vorn. Mist. Er war zu nahe an George Washingtons Stirn gelandet. Er konnte sich gerade noch fangen, und einige kleine Kiesel fielen an ihm vorbei in den Abgrund.

Die Füße wieder fest auf dem Boden, sah er noch einmal den Berg hinab. Der Wind trug das Geräusch der Kiesel zu ihm hinauf, die in den Abgrund fielen. Er war kurz davor gewesen, abzustürzen, aber es hätte ihn wohl nicht umgebracht. Er konnte sich schließlich einfach an einen sicheren Ort teleportieren, ehe er auf dem Boden aufkam.

Auf dem Hügel vor ihm wanden sich Reihen aus Aluminiumbänken den Abhang hinauf wie eine große Treppe und bildeten ein Amphitheater. Oben auf dem Hügel befanden sich ein Besucherzentrum und ein Parkplatz. Alles leer. Was gut war, denn er konnte keine Zeugen gebrauchen, wenn er sich teleportierte. Oder wenn der Wind seinen Kilt nach oben wehte und sein Hintern zu sehen war.

Genervt knurrend schob er den Kilt wieder an Ort und Stelle und konzentrierte sich dann auf die nebenliegenden Hügel. Sein übermenschlich guter Blick konzentrierte sich ganz auf den Campingplatz. Dort regte sich nichts. Er entdeckte die Felszunge, in der sich die Höhlen befanden. Im Augenblick war es dort ruhig.

Er gab Angus’ Nummer ein und erreichte ihn endlich.

„Hol’s der Teufel“, erwiderte der. „Ich habe dir gesagt, du sollst nicht allein gehen. Verspürst du einen verdammten Todeswunsch?“

„Ich hätte einen Bericht abzugeben, wenn du ihn hören willst.“

„Was ich will, ist, dass du deinen Befehlen gehorchst!“, brüllte Angus. „Dir ist deine armselige Haut vielleicht nichts wert, aber …“

„Sieben Tote im Haupthaus“, unterbrach Connor ihn. Das dürfte die nervige Lektion unterbrechen. Als Belohnung bekam er einen Augenblick des Schweigens.

„Sieben?“, fragte Angus leise.

„Aye. Casimirs übliche Vorgehensweise. Die Opfer waren ausgesaugt und ihre Kehlen durchgeschnitten.“ Er biss die Zähne fest zusammen. „Drei Kinder.“

Angus fluchte auf Gälisch. „Dieser verdammte Bastard! Irgendeine Spur von ihm? Nein, vergiss das! Mach verdammt noch mal überhaupt nichts, ehe wir bei dir sind.“

Eine starke Brise peitschte gegen Connor, sodass er die Stimme heben musste. „Sie wurden am frühen Abend ermordet. Casimir könnte schon lange fort sein.“

„Oder er verkriecht sich in diesen verdammten Höhlen“, sagte Angus. „Ich trommele ein paar Männer zusammen. Halte dich bedeckt, bis wir kommen. Hörst du? Keine Nachforschungen auf eigene Faust! Das ist ein Befehl.“

Connor richtete den Blick gen Süden, wo ein Blitz ihn ablenkte. „So ein Mist.“ Da stand er mitten auf einem Berg mit einem Schwert in der Hand, und es gab Gewitter.

„Was?“, wollte Angus wissen. „Hast du etwas gesehen?“

Nur die Vision seiner selbst, knusprig gebraten. Connor warf sein Schwert in den Wald hinter den gemeißelten Köpfen. Der Himmel flackerte erneut, und er wirbelte herum und sah noch das Ende eines weiteren Blitzes. Seltsam. Der Blitz war zweimal an derselben Stelle eingeschlagen.

„Connor!“, brüllte Angus. „Was ist los?“

„Irgendwas stimmt hier nicht.“ Er kniff die Augen zusammen. „Einige Meilen südlich vom Campingplatz.“

Noch ein Blitz erhellte den Himmel.

Ihm stockte der Atem. Der Blitz war nicht vom Himmel gekommen. „Ich rufe zurück.“

„Connor, leg nicht …“

Er legte auf und steckte sein Handy wieder ein. Einen kurzen Moment dachte er darüber nach, sein Schwert zu holen, aber dann entschloss er sich, es zurückzulassen. Stattdessen zog er einen hölzernen Pflock aus seinem Sporran. Es gab keinen Grund, die Blitze auf sich zu lenken. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob es wirklich Blitze waren.

Ein Regentropfen fiel ihm mitten auf den Kopf. Er blickte hinauf. Ein weiterer Regentropfen fiel ihm auf die Nase und kullerte dann sein Gesicht hinab. Er wischte sich das Gesicht ab und konzentrierte sich dann auf den Bereich, wo er den Blitz gesehen hatte. Alles um ihn herum wurde schwarz.

Er tauchte in den dunklen Schatten der Bäume wieder auf, die Füße auf einem weichen Kissen aus Piniennadeln. Über sich hörte er das leise Prasseln von Regentropfen, die noch nicht schwer genug waren, um durch die dichten Baumkronen zu dringen. Er bewegte sich lautlos durch den Wald, den Duft von verbranntem Holz und Rauch in der Nase.

Als er die Stimme eines Mannes hörte, schlich er sich nah genug heran, um die Worte zu verstehen, blieb aber hinter einem großen Baumstamm verborgen.

„Du hast sie am Leben gelassen!“, brüllte der Mann. „Ich musste zurückkehren und deine Arbeit für dich erledigen.“

Connor erstarrte. Entweder waren das Malcontents oder er war auf ein paar mordlüsterne Sterbliche gestoßen.

„Wir hatten unsere Befehle“, fuhr der Mann fort, „die Menschen sollten alle sterben.“

Malcontents. Ein Sterblicher würde nie von seiner eigenen Art als Menschen sprechen. Connor erstickte die Wut, die in ihm hochkochte. Er musste ruhig bleiben, die Kontrolle behalten. Er schloss die Hand fester um den hölzernen Pflock. Davon hatte er noch vier weitere in seinem Sporran, außerdem den Dolch in seinem Strumpf. Doch ehe er angriff, musste er wissen, mit wie vielen Bastarden er es zu tun hatte.

Eine weibliche Stimme flüsterte eine Antwort, zu leise, als dass er sie verstehen konnte. Doch bei ihrem Tonfall stellten sich die Härchen in seinem Nacken auf. Sie strich über seine Haut wie eine Liebkosung. So ein Mist! Auf einen Malcontent hatte man so einfach nicht zu reagieren.

Ihre Stimme erhob sich. „Ich kann das nicht mehr.“

Rebellierte sie? Connors Herz machte einen Sprung. Wenn er sie lebendig erwischte, könnte sie ihnen alle möglichen Informationen liefern.

„Du hast deinen Befehlen zu gehorchen!“, fuhr der Mann sie an.

„Es gab keinen Grund, dass sie alle sterben mussten“, widersprach sie. „Ich wollte nur die Kinder verschonen.“

„Du hast deinen Befehlen nicht gehorcht, Marielle!“, stieß er knurrend hervor. „Dafür musst du bezahlen.“

„Nein.“ Ihr Flüstern bebte. „Zack, bitte nicht!

Die Angst in ihrer betörenden Stimme zog Connor den Magen zusammen. Ihn erfasste der unbändige Drang, sie zu beschützen. Einen Malcontent beschützen? Sie hatte es verdient zu sterben.

„Das war dein dritter Akt des Ungehorsams“, verkündete der Mann mit dröhnender Stimme. „Die Entscheidung ist gefallen. Du wirst verstoßen.“

„Nein!“

Die Qual in ihrer Stimme war mehr, als Connor ertragen konnte. Verfluchter Mist! Jetzt musste er sie retten.

Er zog den Dolch. Es schienen nur zwei Malcontents zu sein: der Mann namens Zack und die Frau, Marielle. Er würde den Mann überraschen, ihn in Staub verwandeln und sich dann die Frau schnappen und sie zu Romatech teleportieren, wo er sie in aller Ruhe verhören konnte.

Den Dolch in einer Hand, einen Pflock in der anderen, raste er auf die Stimmen zu.

Ein heller Blitz erschreckte ihn. Er blieb stehen und schloss die Augen gegen den blendenden Schmerz. Wie sollte er sie retten, wenn er nichts sehen konnte?

Ihr Schrei erschütterte ihn.

„Nein“, erwiderte er. Er kämpfte sich durch den Schmerz und zwang sich, die Augen zu öffnen. Er sah nichts als Sterne, stolperte über einen Ast und prallte gegen einen Baumstamm. Trotzdem konnte er ein glühendes Feuer vor sich ausmachen und hielt darauf zu. Der Duft nach verbranntem Fleisch wehte ihm in die Nase. Hatte der Bastard sie etwa angezündet?

Sie schrie noch einmal. Zur Hölle mit allem! Er rannte auf sie zu.

Ein Feuerball explodierte mit einem weiteren sengenden blendenden Blitz. Connor wandte mit geschlossenen Augen den Kopf.

Bumm. Ein Windstoß traf ihn, warf ihn durch die Luft und schleuderte ihn gegen einen Baum. Sein Kopf prallte dabei so heftig auf, dass er auf dem Boden zusammenbrach.

Er lag benommen da und spürte den pochenden Schmerz in seinem Kopf. Was zur Hölle war das? Eine Bombe? Selbst mit geschlossenen Augen tanzten schmerzhaft helle Sterne hinter seinen Lidern. Benommen rieb er sich die Augen, um Sterne und Schmerz zu vertreiben. Seine Waffen waren verschwunden. Und es hatte aufgehört zu regnen. Wie viel Zeit war vergangen, während er bloß hilflos dagelegen hatte?

Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Die schimmernden Lichter waren verschwunden, und er war wieder nur von dunklem Wald umgeben. Der Duft nach verkohltem Holz und verbrannter Erde drang ihm in die Nase. In der Ferne entdeckte er das schwache Glühen von fast verloschener Asche.

Konnte sie noch am Leben sein?

Eine Erinnerung flackerte in seinem Verstand auf. Der tote Körper seiner Geliebten. Und ihr Kleines. Er hatte sie in seinen Armen gehalten und geweint. Die letzten Tränen, die er je vergossen hatte.

Er schob die Erinnerung beiseite und sah sich stattdessen nach seinen Waffen um. Der Dolch leuchtete trüb und grau im Mondlicht. Er griff danach und stand misstrauisch wieder auf.

Bitte, lass sie noch am Leben sein!

Er stolperte auf die glühende Asche zu. Es war ein Ast, getroffen von einem Feuer, das verlosch, statt sich auszubreiten. Seltsam. Auf einer Seite standen grüne gesunde Bäume, auf der anderen verkohlte schwarze. Die halb verbrannten Bäume bildeten einen Kreis um eine große Lichtung, auf der nichts wuchs. Rauch waberte etwa einen Fuß über dem Boden. Die Luft stank nach verbrannter Erde und Fleisch. Die zwei Malcontents schienen verschwunden zu sein.

Er betrat die Lichtung. Verkohltes Gras raschelte unter seinen Sohlen.

Über ihm ertönte Donnergrollen, starker Wind fegte über die Lichtung. Der Rauch begann, sich zu bewegen, wirbelte wie ein Tornado im Kreis herum, dunkle Wolken um ein schwarzes Zentrum. Der Rauch stieg höher, an seinen Knien vorbei bis zu seiner Taille.

Er bedeckte Mund und Nase, bis der dunkle Nebel über seinen Kopf gestiegen war und sich in den Nachthimmel aufgelöst hatte. Und dann sah er sie – die schwarze verkohlte Kuhle in der Mitte der Lichtung.

Er ging darauf zu, obwohl er sich vor dem fürchtete, was er dort entdecken würde. Und wirklich, es lag ein rußverschmierter Körper am Boden der Grube. Er kam zu spät. Schon wieder.

Ein sanfter Regen setzte ein, als wolle er die Tränen ersetzen, die Connor nicht mehr weinte. Die Regentropfen versickerten in der schwarzen Erde, kleine Bäche flossen in die Grube.

Erinnerungen an seine geliebte Frau kamen in ihm hoch, um ihn zu quälen. Das da unten ist nicht sie! Das wusste er, und doch fühlte er einen schrecklichen Verlust. Wegen eines Malcontent.

Er blinzelte. Oder vielleicht nicht. Wie jeder Vampir zerfiel ein Malcontent zu Staub, wenn er starb. Diese Frau musste sterblich sein. Oder sie war ein Vampir, der noch am Leben war.

Er rutschte in die Grube hinab, um sie sich besser ansehen zu können. Sie hatte sich zusammengekrümmt wie ein Neugeborenes. Regenwasser floss über ihren Körper und wusch ihr den Ruß ab. Darunter befand sich weiße geschmeidige Haut.

„Miss?“, rief er zu ihr hinab.

Sie stöhnte.

Sie ist noch am Leben! Der Regen wusch weiterhin den Ruß und den Schmutz von ihr ab. Sie schien erstaunlich unversehrt, sogar schön. Er ließ den Blick über ihre nackten weißen Arme wandern, die sie vor der Brust verschränkt hatte. Die Beine hatte sie dicht an ihre Brust gezogen. Sie schienen lang und glatt zu sein, und ihre Haut hatte einen schönen Schimmer.

Und doch konnte er verbrannte Haut und vergossenes Blut riechen. Das Aroma des Blutes war stark, berauschend, viel vollmundiger als das synthetische Blut, an das er sich gewöhnt hatte. Gegen seinen Willen reagierte sein Körper. Sein Zahnfleisch fing an zu kribbeln, wo seine Fangzähne hervorspringen wollten.

Er biss die Zähne zusammen. Die arme Frau war gerade angegriffen worden, und er war versucht, sie zu beißen? Was für ein kaltherziger Bastard er doch war. Vorsichtig näherte er sich, um sie auch von hinten zu betrachten.

Er keuchte auf. Allmächtiger Jesus Christus! Brandwunden kreuzten sich auf ihrem unteren Rücken, hässliche rote Striemen. Darüber, an ihren Schulterblättern, troff Blut aus klaffenden Wunden. Sie musste weggerannt sein, und dann hatte der Bastard sie von hinten angegriffen.

„Miss.“ Er beugte sich über sie. „Ich bringe Sie zu einem Heiler.“ Roman konnte ihr helfen.

Keine Antwort. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Ihr langes Haar war wirr durcheinander und verdeckte ihr Gesicht und ihre Schultern. Die Spitzen waren versengt und dunkel vor Blut, aber er entdeckte einen goldenen Schimmer in den Locken, die ihr über das Gesicht gefallen waren.

„Miss?“, wiederholte er und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Die Locken fühlten sich seidig an. So fein wie das Haar eines Neugeborenen.

Seine Brust zog sich zusammen, als er ihr Gesicht erblickte. In fünfhundert Jahren hatte er nie etwas so Schönes gesehen, so viel zerbrechliche Eleganz. Ein perlmutterner Schimmer lag auf ihrer Haut, als würde sie von innen heraus vor Schönheit strahlen. Regentropfen fielen ihr aufs Gesicht, und sie zuckte zusammen.

„Nicht aufregen“, sagte er leise, „ich bringe dich an einen sicheren Ort.“

Sie stöhnte und schüttelte den Kopf.

Er löste die Nadeln aus dem Tartan-Plaid, das er über den Schultern trug, und legte es ihr über die Hüften.

Sie öffnete flackernd die Augen und riss sie dann vor Schreck weit auf. „Nein!“

Er richtete sich auf. „Kleines, ich tu dir nichts.“

Sie wurde von einem plötzlichen Beben erschüttert. „Nicht anfassen!“ Sie trat mit den Beinen aus und versuchte, von ihm wegzukriechen. Als sie sich auf den Rücken rollte, schrie sie auf vor Schmerz.

Sie brach zusammen und schloss wieder die Augen. „Nicht anfassen“, flüsterte sie, ehe sie das Bewusstsein verlor.

3. KAPITEL

Connor näherte sich dem Seiteneingang von Romatech, die Frau in sein Plaid gewickelt und an seine Brust geschmiegt. Sich direkt in die Anlage zu teleportieren hätte den Alarm ausgelöst und Panik verursacht, deswegen hatte er sich für den Parkplatz entschieden. Wer auch immer das Sicherheitsbüro besetzte, musste ihn auf den Monitoren bemerkt haben, sie ließen ihn also hoffentlich rein. Mit vollen Armen kam er nicht an seinen Ausweis.

Er blieb vor der Glastür stehen und entdeckte Angus’ Frau, Emma MacKay, die in Vampirgeschwindigkeit den Korridor hinabgerast kam.

Als sie die Tür öffnete, fiel ihr Blick sofort auf die Frau in seinen Armen. „Du hast eine Überlebende gefunden.“

„Aye.“ Connor betrat den Korridor. „Ich bringe sie in die Klinik. Kannst du Roman Bescheid sagen?“

„Natürlich.“ Emma berührte die Schulter der bewusstlosen Frau. „Das arme Ding. Sie riecht nach Blut und verbranntem Fleisch. Die Malcontents müssen sie gefoltert haben wie Robby damals. Hast du sie in den Höhlen gefunden?“

„Nein. Sie wurde einige Meilen südlich angegriffen.“

Emma sah ihn verwirrt an. „Hast du Angus gesehen? Er hat sich vor etwa fünf Minuten zum Campingplatz teleportiert.“

„Wir müssen uns verpasst haben.“ Connor ging eilig den Korridor hinab. „Sag Roman, ich bin in der Klinik.“

Hinter ihm stieß Emma ein verärgertes Seufzen aus. „Du hast Angus’ Befehle missachtet, oder?“

Er ging weiter. Er hatte keine Zeit, seine Entscheidungen zu rechtfertigen, während die Frau blutend in seinen Armen lag. Nicht, dass er sich normalerweise rechtfertigte.

„Dann hat Angus recht, oder wie?“, rief Emma nach. „Sehnst du dich danach, zu sterben?“

„Nein.“ Er erreichte das Foyer und bog nach links ab. Warum sollte er sterben wollen, wenn er danach direkt in die Hölle kam?

Er trat durch eine Doppeltür auf einen weiteren Flur, der auf einer Seite verglast war. Durch die Scheiben konnte man den Garten und den Basketballplatz sehen, der von hellen Außenlichtern erleuchtet wurde. Die Kinder, Constantine und Sofia, dribbelten mit dem Basketball, während ihre Mutter, Shanna, auf einer Bank am Rand saß und sich mit ihrer Schwester unterhielt.

Am Ende des Flurs kam Roman aus seinem Büro. Er riss die Augen weit auf, als er die verletzte Frau entdeckte. „Ihr Herz schlägt kaum noch. Was ist passiert?“

„Sie ist angegriffen worden. Schlimme Wunden auf dem Rücken.“

Roman sah aus dem Fenster nach seiner Frau und seinen Kindern. „Wir holen Laszlo, er kann uns helfen.“ Er hämmerte gegen die Tür neben seiner und rief nach dem kleinen Chemiker.

„Ja, Sir?“ Laszlo spähte hinaus und keuchte dann entsetzt auf. „Oh, du liebe Zeit.“ Er eilte auf dem Weg durch ein Wartezimmer in den dunklen Behandlungsraum neben ihnen her.

Der scharfe Duft nach Desinfektionsmitteln stach Connor in die Nase. Er legte die Frau vorsichtig auf eine mit einem Laken bezogene Liege und stellte dann sicher, dass sein Plaid alle wichtigen Stellen verdeckte, die Wunden auf ihrem Rücken aber freilagen.

„Was ist passiert?“, fragte Roman, während er den Lichtschalter betätigte.

Connor zuckte zusammen, als er die Verletzungen der Frau so gut ausgeleuchtet sah. „Ich habe sie gefunden, als sie einige Meilen südlich vom Campingplatz am Mount Rushmore angegriffen wurde.“

„Du hast den Angriff gesehen?“, fragte Roman, während er und Laszlo sich die Hände in der großen Stahlspüle wuschen.

„Ich habe es gehört. Da war ein sehr wütender Mann namens Zack, ein Malcontent, glaube ich, und der hat sie angebrüllt, weil sie nicht alle Sterblichen umgebracht hat. Sie war …“

„Ist sie ein Malcontent?“, unterbrach Roman ihn und trocknete sich dabei die Hände ab.

„Vielleicht. Sie hat eindeutig rebelliert, und dann hat der Mann sie angegriffen.“

„Hat sie Fangzähne?“ Laszlo streifte sich ein Paar Einmalhandschuhe über.

Connor spürte einen Moment lang einen beschämten Stich. Etwas so Einfaches, und er hatte trotzdem vergessen, nach ihren Zähnen zu sehen. Obwohl er den Rest von ihr eingehend betrachtet hatte. Gründlich. Aber nur, um nach Verletzungen zu suchen. Ein Mann musste schon tot sein, um einen so schön geformten weiblichen Körper mit dem bezaubernden Gesicht und der zarten schimmernden Haut nicht zu bemerken. Und er war nicht tot. Jedenfalls meistens nicht.

Er beugte sich über sie und flüsterte: „Keine Sorge. Ich werde dir nichts tun.“ Er legte die Fingerspitze an die Oberlippe der Frau und schob sie vorsichtig nach oben. Perlweiße Zähne. Keine Fangzähne.

Sie musste sterblich sein.

Aber was war dann mit Zack? Er hatte Sterbliche als „Menschen“ bezeichnet, und er hatte etwas davon gesagt, dass ihr Meister den Tod der Menschen befohlen hatte. Er klang eindeutig nach Malcontent. Hatte er versucht, vampirische Gedankenkontrolle bei dieser Frau anzuwenden, um sie zum Töten zu zwingen? Aber was für ein Vampir konnte solche Blitze hervorrufen und Windstöße, die Connor zehn Meter durch die Luft schleuderten? Was hatte die Bäume verkohlt und die Erde verbrannt? Wie hatte Marielle einen solchen Angriff überlebt?

Er richtete sich langsam auf. Roman sah ihn neugierig an, während Laszlo ein Tablett mit Operationsbesteck bereitstellte.

„Und?“ Roman zog an seinen Handschuhen. „Ist sie ein Vampir?“

„Nein.“ Connor atmete tief ein. „Ich weiß nicht, was ich von ihr halten soll.“

„Wie dramatisch.“ Laszlo sah ihn amüsiert an und legte einen Stapel Handtücher auf einen Tisch neben der Liege. „Sie ist eindeutig weiblich. Sie riecht nicht nach Gestaltwandler, also können wir wohl davon ausgehen, dass es sich um einen Menschen handelt.“

„Findest du nicht, ihr Blut riecht ein klein wenig merkwürdig?“, fragte Connor. „Es ist sehr vollmundig.“

Laszlo legte den Kopf schief und schnüffelte. „Stimmt. Ich kann ihre Blutgruppe nicht genau bestimmen, und normalerweise gelingt mir das immer.“

„Genug geredet.“ Roman trat an die Liege. „Sehen wir sie uns an, ehe sie zu Tode blutet.“ Er nahm das blutgetränkte Plaid und warf es auf den Boden.

„Nein!“ Connor drehte sie rasch auf den Bauch und warf Roman einen empörten Blick zu. „Ich habe bereits nach Verletzungen gesucht.“ In Vampirgeschwindigkeit nahm er sich ein Handtuch vom Tisch, faltete es auseinander und bedeckte den Rumpf der Frau damit. „Nur ihr Rücken braucht Behandlung.“

Sie stöhnte und murmelte einige Worte.

„Ist alles gut, Kleines“, antwortete er, während er behutsam das Handtuch um ihre Hüften feststeckte. Beeinflusste der Klang ihrer Stimme die anderen Männer ebenso wie ihn? Wahrscheinlich nicht. Laszlo zeigte den gleichen höflichen und hilfsbereiten Gesichtsausdruck wie immer.

„Hat sie gerade gesagt ‚Nicht anfassen‘?“, fragte er.

„Aye. Das hat sie auch gesagt, als ich sie gefunden habe. Sie hat vielleicht Angst, dass ihre Nacktheit Männer dazu bringt, sich an ihr zu vergreifen.“ Connor bemerkte, dass ihr das Haar ins Gesicht gefallen war, als er sie auf den Bauch geschoben hatte. Er strich es zur Seite, damit sie atmen konnte. „Keine Sorge, Kleines, wir tun dir nichts.“

„Nicht …“ Ihre Augenlider fingen an zu flattern und schlossen sich dann wieder.

„Oh. Weg ist sie.“ Connor richtete sich auf und merkte, dass Roman ihn wieder neugierig ansah. Seine Wangen wurden warm. Dann zeigte er eben so etwas wie normale menschliche Freundlichkeit. War das so seltsam? Er hob das Kinn. „Also, habt ihr vor, dieser Frau zu helfen, oder wollt ihr sie ausbluten lassen?“

Romans Augen funkelten amüsiert. „Kümmern wir uns um sie, Laszlo.“

Der kleine Chemiker reichte Roman eine Flasche mit Desinfektionsmittel und einige Kompressen. Als Roman die Lösung auf ihre Wunden goss, stöhnte die Frau auf.

„Du tust ihr weh“, protestierte Connor.

„Wir müssen sie vor Infektionen schützen.“ Laszlo strich eine Creme auf die Verbrennungen. „Das hier hilft bei Schmerzen und unterstützt die Wundheilung.“

„Ihr bleiben vielleicht einige Narben“, kommentierte Roman, während er begann, die Wunden an ihren Schulterblättern zu reinigen.

Sie zuckte zusammen und stöhnte dann wieder.

Connor verzog das Gesicht, als er die zwei Wunden jetzt deutlich auf ihrem Rücken hervortreten sah. Jede war etwa fünfzehn Zentimeter lang. Zum Glück hatten sie aufgehört zu bluten.

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