Heart of Texas - Der Himmel so frei

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Weites Land - einsames Herz

Savannahs Leben verläuft beschaulich: Sie unterstützt ihren Bruder bei der harten Arbeit auf der Familienranch, während ihre wahre Leidenschaft den alten Rosenstöcken gilt, die sie im Garten hinter dem Haus pflegt. Doch dann begegnet sie Laredo Smith und bietet ihm einen Job auf der Ranch an. Ohne dass sie es erwartet hätte, schleicht sich der einsame Cowboy in Savannahs Herz. Aber kann sie dem Fremden trauen, oder verschweigt er etwas vor ihr, das ihre heile Welt in Gefahr bringen könnte?


  • Erscheinungstag 23.11.2021
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783745752823
  • Seitenanzahl 208
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Grady hatte sie gewarnt. Immer wieder hatte er ihr gesagt, die Geisterstadt sei ein gefährlicher, verstörender Ort. Er hatte sie inständig gebeten, nicht danach zu suchen. Und all die Jahre hatte Savannah sich an seine Bitte gehalten. Doch je eindringlicher ihr Bruder ihr davon abgeraten hatte, desto sicherer hatte sie gewusst, dass sie die Stadt finden musste. Schon allein wegen der Rosen. Die waren ihre Leidenschaft – vor allem die alten, vor 1867 gepflanzten Sorten, die man heutzutage hauptsächlich auf Friedhöfen und den Farmen der früheren Siedler fand.

Sechs Wochen lang war sie auf der Suche nach der Stadt durch das texanische Hügelland gestreift. Erst mit dem Pick-up, dann auf dem Pferd und schließlich war sie sogar zu Fuß und ohne Handyempfang in der Gegend umhergeirrt. Doch es war ihr gelungen – sie hatte die Geisterstadt gefunden. Bitter End. Was für ein seltsamer Name! Allerdings passte er zu der Stadt.

Wenn Grady von ihrem kleinen Abenteuertrip erfahren würde, würde er furchtbar wütend werden. So viel stand fest. In letzter Zeit lächelte er sowieso kaum noch. Immer schien er die Last der Welt auf seinen Schultern zu tragen. Doch diesmal würde er mit ihrer Entscheidung zurechtkommen müssen. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das es nicht wagte, sich dem älteren Bruder zu widersetzen. Es würde sicher nicht das erste und auch nicht das letzte Mal sein, dass sie seine Warnungen in den Wind schlug. Sie konnte genauso stur sein wie er. Dieses Mal hatte es sich jedenfalls mehr als gelohnt.

Savannah warf einen Blick auf den Tacho und trat aufs Gaspedal. Wenn sie vor Grady zu Hause eintraf, würde er sich nicht ganz so sehr aufregen.

In letzter Zeit war er oft gereizt. Die sinkenden Rindfleischpreise und die Bewirtschaftung einer großen Ranch brachten viele Probleme mit sich. Das ging nicht spurlos an ihm vorbei. Dazu kam, dass sie wegen der Sache mit Richard nach wie vor Schulden hatten.

Savannah zwang sich, nicht an die grauenvollen Ereignisse zu denken, die nun sechs Jahre zurücklagen. Es war schlimm genug, dass sie ihre Eltern bei dem schrecklichen Unfall verloren hatten. Doch der Betrug ihres Bruders Richard würde ihnen bis an ihr Lebensende anhaften.

Grady hatte sich seitdem völlig verändert. Er hatte alles darangesetzt, die Yellow Rose Ranch zu retten, und dank harter Arbeit und seiner Hartnäckigkeit war es ihm gelungen. Doch es hatte ihn viel gekostet. Er hatte seine Jugend geopfert, um das Land behalten zu können, das sich seit Generationen im Besitz der Familie befand. Ihr Ururgroßvater hatte es kurz nach dem Bürgerkrieg besiedelt.

Savannah hatte ihrem Bruder angeboten, sich finanziell am Unterhalt der Ranch zu beteiligen. Sie hätte ihr Lehramtsstudium jederzeit wiederaufnehmen und abschließen können. Die Schulbehörde in Promise suchte häufig Teilzeitlehrkräfte. Aber davon wollte Grady nichts wissen. Er brauchte sie auf der Ranch, und das akzeptierte sie. Sie erledigte den größten Teil der Büroarbeit, kümmerte sich um den Haushalt und hielt den Garten in Schuss. Trotzdem hatte sie immer das Gefühl, im Vergleich zu ihm viel zu wenig zu tun.

Um etwas mehr zum Einkommen beitragen zu können, hatte sie eine Versandfirma für Rosen gegründet. Nun warf ihre Firma endlich Profit ab, und darauf war sie unheimlich stolz. In den letzten Monaten hatte sie ihre Abende damit verbracht, einen Katalog und einen Onlineshop zu erstellen.

Was Grady ihrer Meinung nach brauchte, waren eine Frau und Kinder. Immerhin war er mittlerweile fünfunddreißig, und wahrscheinlich hätte er längst eine Familie gegründet, wenn er sich nicht voll und ganz der Ranch hätte verschreiben müssen.

Eine Familie. Die wünschte sie sich ebenfalls. Sie war einunddreißig, doch seit vier oder fünf Jahren mit niemandem mehr ausgegangen. Die Männer hatten normalerweise kein Verständnis für ihre ruhige Art und wussten ihre Charakterstärke und ihre Sanftmut nicht zu schätzen. Vermutlich gab es für sie einfach nicht den Einen, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Es spielte auch keine Rolle mehr. Sie war mit ihrem Leben zufrieden, denn sie hatte gelernt, sich an den kleinen Dingen des Alltags zu erfreuen.

Blühendes Habichtskraut und Zwerglupinen säumten die gewundene Landstraße, auf der sie fuhr. Sie liebte den Frühling, denn er verhieß wärmeres Wetter und neues Leben. Grady und Wiley, ihr Vorarbeiter, der schon so lange bei ihnen angestellt war, dass er fast zur Familie gehörte, hatten in dieser Woche bei der Geburt von vierzehn Kälbern geholfen, und noch einmal so viele würden in den nächsten Tagen das Licht der Welt erblicken.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Hoffentlich kam Grady heute später nach Hause!

Seufzend fuhr sie um die nächste Kurve und sah dann einen Pick-up, der am Straßenrand stand und den sie nicht kannte. Das war ungewöhnlich. Normalerweise verirrten sich keine Fremden in diese abgelegene Gegend.

Der Wagen hatte schon bessere Zeiten gesehen und war ziemlich verrostet. Unwillkürlich fragte sie sich, ob dort irgendetwas nicht stimmte. Wenn sie nicht so in Eile gewesen wäre, hätte sie vielleicht angehalten.

Die Entscheidung wurde ihr jedoch abgenommen. Einige Meilen weiter entdeckte Savannah einen Cowboy, der einen Sattel über der Schulter trug und die Straße entlangging. Selbst aus der Entfernung sah sie, wie müde er war und dass er leicht humpelte. Als er ihren Wagen hörte, straffte er sich, verlagerte das Gewicht des Sattels und streckte den Arm mit erhobenem Daumen aus.

Obwohl sie noch nie einen Anhalter mitgenommen hatte, fuhr sie an den Straßenrand und stieg aus. »Ist das Ihr Pick-up, der dahinten steht?«

»Ja, Ma’am«, erwiderte er höflich. Er war groß und schlank und etwa in ihrem Alter. Den Stetson hatte er tief in die Stirn gezogen. Als er zum Gruß an den Hut tippte, stellte sie fest, dass seine Augen hellblau waren. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich mitnehmen könnten.«

Savannah war unschlüssig, obwohl sie ja angehalten hatte. »Ich fahre nicht in die Stadt.«

»Das macht nichts. Seit über zwei Stunden ist kein anderes Fahrzeug vorbeigekommen.« Er lächelte müde. »Ich hatte gehofft, dass es hier irgendwo eine Ranch gibt, auf der ich telefonieren und etwas trinken kann. Mein Handyakku hat den Geist aufgegeben. Ich bin schon den ganzen Tag unterwegs.«

Offenbar war ihm nicht klar, dass er sich immer weiter von Promise entfernte, das in entgegengesetzter Richtung über fünfzehn Meilen von hier lag.

»Ich wohne ungefähr zehn Meilen von hier.« Savannah deutete in Richtung der Yellow Rose Ranch. Sie wollte ihm gerade erklären, dass er sich noch weiter von Promise entfernen würde, wenn sie ihn mitnahm, als ihr klar wurde, dass er müde war und wahrscheinlich schon seit Stunden, wenn nicht sogar Tagen nichts Vernünftiges mehr gegessen haben musste. Also fasste sie einen Entschluss. Grady würde alles andere als begeistert darüber sein …

»Wenn Sie wollen, können Sie auf unserem Hof in der alten Blockhütte übernachten, und ich fahre Sie morgen in die Stadt.«

Der Mann wirkte überrascht. »Das ist sehr nett von Ihnen, Ma’am.«

»Ma’am« – er redete wie ein altmodischer Südstaatengentleman mit ihr. Sie lächelte und strich sich eine Strähne ihres langen blonden Haars hinters Ohr.

»Ich bin Savannah Weston.«

»Laredo Smith.« Wieder tippte der Mann sich an den Stetson.

»Freut mich, Sie kennenzulernen. ›Laredo‹ ist ein ungewöhnlicher Name.«

Er lächelte ebenfalls. »Eigentlich heiße ich Matthew, aber als ich klein war und wir aus Texas weggezogen sind, wollte ich einen Teil davon mitnehmen. Von dem Tag an habe ich nur noch auf ›Laredo‹ gehört.«

Savannah hatte den Eindruck, dass er nicht oft darüber sprach. Obwohl es albern war, fühlte sie sich geehrt.

Das Lächeln ließ seine harten Züge viel weicher erscheinen, und sie betrachtete ihn wie gebannt. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn gerade anstarrte, wandte sie schnell den Blick ab. Laredo Smith war ein Fremder, und sie musste vorsichtig sein.

»Wenn Sie wollen, können Sie den Sattel hinten auf den Wagen legen.« Sie ging nach hinten, um die Ladeklappe ihres Pick-ups zu öffnen.

Laredo folgte ihr und schwang den Sattel auf die Ladefläche. Als er die Rosen sah, zögerte er. Dann berührte er vorsichtig eine rosafarbene Blüte. Seine Hand war schwielig.

»Das sind alte Rosen, stimmt’s?« Er schloss die Augen und schnupperte an der Blume.

Savannah war überrascht. Nur wenige Leute kannten sich mit alten Rosen aus oder hatten überhaupt von dem Begriff gehört. Ihre Nachforschungen hatten ergeben, dass viele der in Texas wachsenden Rosen unbekannter Herkunft waren, weil man sie genau wie diese hier irgendwo gefunden hatte. Viele hätten sie vielleicht als Rosendiebin bezeichnet, doch ihr einziger Antrieb war ihre Liebe zu den Blumen.

»Sie kennen sich mit alten Rosen aus?«, fragte sie.

»Meine Großmutter hatte einen Rosengarten und hat Rosen gezüchtet, die schon von ihrer Großmutter stammten. Ich habe seit mindestens fünfundzwanzig Jahren keine mehr gesehen. Wo haben Sie die hier gefunden?«

Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: »Auf einem alten Friedhof. In einer … verlassenen Stadt.« Mehr wollte sie ihm auf keinen Fall erzählen, denn in Promise hatten nur wenige Leute überhaupt von Bitter End gehört. Selbst Grady hatte ihr trotz all seiner Warnungen nie gesagt, was genau an der Stadt so unheimlich war.

Allerdings verstand sie seine Besorgnis nun. Sie erschauerte unwillkürlich, als sie sich an das beklemmende Gefühl erinnerte, das sie beim Betreten des Geländes beschlichen hatte – eine Traurigkeit und ein Schmerz, die noch genauso intensiv waren wie vor hundertfünfzig Jahren.

Da sie kaum etwas über die Geschichte der Stadt wusste, hatte sie sich beinah gefürchtet. Grady hatte ihr erzählt, das Land um Bitter End sei einst von den Gründervätern von Promise besiedelt worden. Was sie veranlasst hatte, die Stadt aufzugeben und umzusiedeln, blieb ein Geheimnis. Soweit sie wusste, war es um etwas so Profanes wie Wasserrechte gegangen. Allerdings erklärte das nicht das bedrückende Gefühl, das sie dort überwältigt hatte …

Daher hatte sie sich nicht länger als unbedingt notwendig in der Geisterstadt aufhalten wollen. Zielstrebig hatte sie den alten Friedhof aufgesucht und die Rosen ausgegraben. Über den eingezäunten Bereich neben der Kirche war sie jedoch nicht hinausgegangen, sondern war schnell zu ihrem Pick-up zurückgekehrt.

Am ganzen Körper zitternd hatte sie den Motor gestartet und war davongefahren, ohne noch einmal zurückzublicken. Im Nachhinein ärgerte sie sich, dass sie nicht wenigstens einen Blick auf die anderen Grundstücke riskiert hatte, denn vielleicht hätte sie noch mehr Rosen entdeckt.

»Sie sind schön«, erklärte Laredo. Die hellrosa Blüte lag wie ein Juwel in seiner Handfläche.

»Richtig edel, stimmt’s?«, erwiderte Savannah begeistert. »Ich bin so glücklich, weil ich nie damit gerechnet hätte, sie zu finden!«

Er blickte ihr in die Augen und nickte.

»Man kann sich kaum vorstellen, dass sie all die Jahre überstanden haben, obwohl sich niemand um sie gekümmert hat«, fügte sie hinzu.

Vorsichtig zog er die Hand zurück. »Ist es Ihnen lieber, wenn ich mich auf die Ladefläche setze, Ma’am?«

»Savannah.«

Wieder lächelte er, diesmal flüchtig. »Savannah.«

»Sie können gern neben mir sitzen.«

Langsam stieg er ein, was ihm offenbar große Schmerzen bereitete.

»Sie kennen nicht zufällig jemanden, der einen guten Cowboy sucht?«, erkundigte er sich.

»Leider nicht«, gab sie bedauernd zurück.

Er nickte, zuckte gleich darauf zusammen und presste sich die Hand auf die Rippen.

»Sie sind verletzt«, bemerkte Savannah mit ernster Stimme.

Ihre Besorgnis machte ihn anscheinend verlegen. »Ein oder zwei gebrochene Rippen. Es war meine eigene Schuld.«

»Ein Pferd?«

»Nicht direkt«, antwortete er in leicht ironischem Ton. »Ein Stier hat mich an einen Zaun gedrückt. Man sollte meinen, dass mir so etwas nach so vielen Jahren Rancharbeit nicht passieren dürfte.«

»Mein Dad hat sich einmal eine Rippe gebrochen. Er meinte, er würde sich fühlen, als hätte ihn ein Kojote angefressen und man ihn dann von einer Klippe geworfen.«

»Klingt, als hätte ihr Dad Sinn für Humor.«

»Ja, das hatte er.« Savannah ließ den Motor an. Sie fuhr bewusst langsam und vorsichtig, weil die Straße viele Schlaglöcher hatte.

Laredo warf einen Blick über die Schulter. »Ich hätte nie gedacht, dass ich Rosen wie diese irgendwann wieder riechen würde.«

»Es sind die schönsten, die ich je gefunden habe.« Sie dufteten viel intensiver als moderne Hybriden. Wahrscheinlich waren es »White Lady Banks« – ein seltener Fund.

Von Laredo ermutigt, sprach sie begeistert weiter von ihren Rosen. Es überraschte sie, dass sie sich in seiner Nähe so wohlfühlte, denn normalerweise war sie Männern – und besonders fremden – gegenüber schüchtern und zurückhaltend.

Dann erzählte sie ihm von den Gärten auf der Ranch, der Liebe ihrer Mutter Barbara zu Blumen und von Promise und seinen freundlichen Einwohnern. Als er erwähnte, dass er seinen Wagen abschleppen lassen müsse, nannte sie ihm einige zuverlässige Werkstätten in der Gegend.

»Verflucht!«, stieß sie plötzlich hervor.

»Was ist?«

»Ich hätte fast die Abfahrt zur Ranch verpasst.« Das war ihr noch nie passiert. Ohne sich richtig bewusst zu sein, was sie tat, warf sie ihm einen flüchtigen Blick zu und fuhr fort: »Wir könnten tatsächlich Hilfe auf Yellow Rose gebrauchen.«

Seine Miene hellte sich auf. »Ich kann gut mit Pferden umgehen, und ich habe kein Problem mit harter Arbeit.«

»Grady wird Ihnen vermutlich einige Fragen stellen.« Bisher hatte ihr Bruder entschieden, wen sie für die Ranch einstellten. Aber wenn er etwas dagegen haben sollte, dass sie einem Fremden den Job gab, konnte er mit ihr darüber reden. Ihr Instinkt sagte Savannah, dass Laredo Smith absolut vertrauenswürdig war.

Sie spürte, wie er sie von der Seite musterte.

»Der Fairness halber will ich Ihnen nicht verschweigen, dass ich von meinem letzten Arbeitgeber gefeuert wurde.« Er erzählte ihr, dass man ihn fälschlicherweise des Diebstahls bezichtigt hatte. »Man kann mir einiges nachsagen, aber ich bin kein Dieb. Wenn Sie Ihre Meinung ändern, habe ich Verständnis dafür.«

»Das werde ich nicht. Ich … ich weiß es zu schätzen, dass Sie so ehrlich sind.«

»Sie werden nicht enttäuscht sein. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

Der Wagen wirbelte viel Staub auf, als sie die unbefestigte Zufahrt zur Ranch entlangfuhren. Kaum hatte Savannah auf dem Hof gehalten und den Motor abgestellt, kam Grady aus dem Stall und stürmte auf sie zu.

»Wo, zum Teufel, bist du den ganzen Nachmittag gewesen?«, fragte er, ohne den schwarzen Hund zu beachten, der neben ihm hertrottete und an seiner Hand schnupperte.

Sie atmete tief ein und hielt die Luft an, während sie ausstieg. Statt zu antworten, bückte sie sich und kraulte Rocket, der freudig mit der Rute wedelte. Er hatte ihrem Vater gehört und war schon ziemlich alt.

»Du hättest mir wenigstens eine Nachricht schreiben können, wenn du schon nicht zu erreichen bist«, schimpfte Grady.

»Es tut mir leid, aber …«

»Wo hast du den ganzen Nachmittag gesteckt?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte er Laredo, der ebenfalls ausgestiegen war. »Ich habe das Gefühl, dass mir die Antwort nicht gefallen wird.«

»Vielleicht sollten wir uns lieber im Haus darüber unterhalten.«

»Du hast es getan, stimmt’s? Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht nach Bitter End suchen sollst. Hört denn keiner mehr auf mich? Was ist eigentlich mit dir los? Riskierst deinen verdammten Hals wegen eines lächerlichen Rosenbuschs.« Sein Gesicht war rot vor Wut.

Als er auf sie zukam, stellte Laredo sich schützend vor sie.

»Und wer, zum Teufel, sind Sie?«

»Grady, das ist Laredo Smith«, erklärte Savannah ruhig. »Sein Wagen ist liegen geblieben, und … ich habe ihm einen Job angeboten.«

Ihr Bruder schwieg schockiert. »Du hast was?«, fragte er schließlich.

»Das Abendessen ist im Schmortopf«, erwiderte sie. »Es gibt Chili verde.«

Er sah sie an, als würde er sie nicht wiedererkennen.

»Wir können in zehn Minuten essen. Würdest du Laredo freundlicherweise zur Blockhütte bringen und Wiley bitten abzuwaschen?«

»Wiley hat heute seinen Pokerabend«, sagte er leise. »Aber ich …«

»Stimmt.« Sie ging die Verandatreppe hoch zur Küche. Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust. »Dann sind wir nur zu dritt.«

Im Handumdrehen hatte Savannah den Tisch gedeckt. Als sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, straffte sie sich und drehte sich um. »Ich hoffe, ihr beide habt euch miteinander bekannt gemacht.«

»Wir sind nicht dazu gekommen, Höflichkeiten auszutauschen«, zischte Grady.

»Bitte seien Sie meinem Bruder nicht böse, Laredo.« Sie füllte die warmen Tortillas auf einen Teller. »Offenbar ist er gerade nicht sonderlich gut gelaunt.«

»Ihrem Bruder?«, wiederholte Laredo überrascht.

»Wir führen die Yellow Rose Ranch zusammen.«

Grady zog sich einen Stuhl hervor und setzte sich.

»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Savannah?« Laredo blickte sich um.

»Im Kühlschrank steht eine Karaffe mit Limonade, die könnten Sie holen«, sagte sie. Wann würde auch Grady endlich verstehen, dass es ihm nicht schadete, wenn er ihr ab und zu half? Offenbar belastete ihn noch etwas außer ihren finanziellen Problemen, doch er behielt es für sich. Er war genauso verschlossen, wie ihr Vater es gewesen war. Wieder einmal wünschte sie, er würde ans Heiraten denken. Sie hatte da auch schon eine Vorstellung, wer die perfekte Frau für ihn wäre.

***

Grady Weston war wütend auf seine Schwester. Er wusste nicht, was in sie gefahren war. Es war überhaupt nicht ihre Art, sich ihm offen zu widersetzen oder einen dahergelaufenen Anhalter mitzunehmen. Außerdem hatte sie sich in all den Jahren nie aktiv an der Leitung der Ranch beteiligt. Und nun hatte sie nicht nur seine Warnung missachtet, sondern obendrein einen Arbeiter eingestellt, noch dazu einen Fremden!

Savannah war offensichtlich nicht mehr sie selbst.

Stirnrunzelnd betrachtete er Laredo Smith. Ein Blick genügte, um ihm zu sagen, dass dieser dahergelaufene Cowboy ein Außenseiter war, den es nirgends lange hielt und dem man nicht trauen durfte. Trotzdem hatte Savannah ihn wie einen lang verschollenen Verwandten aufgenommen und ihm einen Job angeboten. Ihr Problem war, dass sie einfach zu vertrauensselig war.

Wo war ihr gesundes Urteilsvermögen, das er so oft bewundert hatte?

»Das ist das beste Chili, das ich je gegessen habe.« Laredo füllte sich noch eine Portion auf, als Savannah ihm die Schüssel reichte.

Sie senkte den Blick, und Grady beobachtete verblüfft, wie sie errötete. »Danke für das Kompliment, aber das gilt Nell Bishop. Das Rezept ist von ihr.«

»Dann richtet sich mein Lob an Nell und Sie.«

Savannah errötete noch tiefer, und Grady musste sich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Es gab unzählige Männer in Promise, die sich für seine Schwester interessierten, aber sie hatte nicht einen von ihnen auch nur annähernd beachtet. Dann begegnete sie einem dahergelaufenen Fremden, der aussah, als würde er nicht einmal zwanzig Cent besitzen, und fiel fast in Ohnmacht, weil er ihre Kochkünste lobte.

Der Appetit war ihm vergangen. Grady schob seinen Teller beiseite. Er hatte ohnehin keinen guten Tag gehabt. Ein Kalb war bei der Geburt gestorben, und das Muttertier würde es vermutlich auch nicht überleben, obwohl der Tierarzt und er alles versucht hatten. Außerdem hatte er ein Loch in einem der Zäune entdeckt, das er zum Glück jedoch noch rechtzeitig hatte reparieren können.

Die Probleme nahmen kein Ende. Er wusste gar nicht mehr, wie es war, zu lachen oder einen Abend in der Stadt mit seinen Freunden zu verbringen. Verdammt, er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er das letzte Mal eine Frau geküsst hatte. In den letzten sechs Jahren hatte sich sein Leben auf zwei Dinge reduziert – Arbeit und Sorgen.

An einem einzigen Nachmittag hatte sich für Savannah und ihn alles geändert. Das Leben vor dem Tod ihrer Eltern war nur noch eine blasse Erinnerung.

Grady blickte zu Savannah, und sein Herz krampfte sich zusammen. Seine Schwester war so bezaubernd wie die Rosen, die ihr so am Herzen lagen. Sie war wirklich hübsch, auch wenn es ihr offenbar nicht bewusst war.

Er war nicht der Einzige, der sich der Ranch verschrieben und diese gerettet hatte. Ohne sie hätte er es niemals geschafft. Sie hatte ihn immer wieder aufgemuntert und ihm einen großen Teil der Last abgenommen, und er dankte es ihr bei Weitem nicht genug.

Sein Ausraster tat ihm leid, aber er hatte sich solche Sorgen gemacht, als sie einfach verschwunden war.

Obwohl das Risiko, in eine gefährliche Situation zu geraten, gering war, durfte man es nicht ausschließen. Ihre Eltern waren von einer flutartigen Überschwemmung überrascht worden und ertrunken. Der Tag, an dem Sheriff Frank Hennessey ihm die traurige Nachricht überbracht hatte, hatte sich tief in seine Erinnerung gebrannt. Savannahs Verschwinden hatte all das wieder wachgerufen.

Aber das war nicht der einzige Grund für seine Wut gewesen. Seit drei oder vier Monaten stellte seine Schwester ihm unablässig Fragen über die Geisterstadt, und er hatte sie wiederholt gewarnt. Doch das hatte offenbar nichts genützt.

Er hätte die verlassene alte Grenzstadt nicht wiedergefunden. Das erste und letzte Mal, dass er Bitter End betreten hatte, war vor ungefähr zwanzig Jahren gewesen. Die beiden Patterson-Brüder und er hatten gehört, wie ihre Eltern sich über eine Geisterstadt irgendwo in den Bergen unterhielten, und sich dann heimlich auf die Suche nach dieser Stadt gemacht.

Sie hatten wochenlang gesucht, und als sie die Stadt schließlich gefunden hatten, hatten sie sich so gegruselt, dass sie nie wieder über dieses Erlebnis sprachen.

Er glaubte nicht an Geister. Doch in Bitter End hatte es gespukt, und damals war er zu jung gewesen, um es zu verstehen oder näher zu ergründen. Selbst jetzt war es ihm ein Rätsel. An jenem Tag hatte ihn ein seltsames Gefühl befallen, und den anderen war es genauso ergangen. Er erinnerte sich noch, wie still es gewesen war. Sie hatten sich nur getraut, miteinander zu flüstern. Und er erinnerte sich auch an das Gefühl tiefer Traurigkeit und subtiler Bedrohung, das ihm eine Gänsehaut eingejagt hatte.

»Möchten Sie noch eine Portion?«, fragte Savannah den Cowboy und riss Grady damit aus seinen Gedanken.

Laredo legte sich genießerisch die Hand auf den Bauch und schüttelte den Kopf. »Es schmeckt fantastisch, aber ich bin satt. So gut habe ich wirklich schon lange nicht mehr gegessen. Ich hoffe, Ihr Bruder weiß Ihre Kochkünste zu schätzen.«

Grady sah, wie sehr seine Schwester sich über das Kompliment freute. Es klang ehrlich, aber er würde sich nicht davon täuschen lassen. Dieser Typ hatte es offensichtlich auf Savannah abgesehen. Und so, wie er ihn einschätzte, würde er ihr entweder das Herz brechen oder sie finanziell in den Ruin treiben. Nur über meine Leiche, dachte Grady. Niemals würde er zulassen, dass so ein Mistkerl seine süße kleine Schwester ausnutzte.

»Ich helfe Ihnen beim Abwaschen«, bot Laredo an.

Grady verkniff sich eine bissige Bemerkung. Er wollte Savannah nicht noch mehr verärgern.

»Ich wasche später ab«, erklärte sie. »Erst einmal muss ich mich um die Rosen kümmern.«

»Dann könnte ich Ihnen dabei zur Hand gehen«, schlug er vor. Viel zu zuvorkommend für Gradys Geschmack. »Meiner Großmutter habe ich auch immer geholfen.«

»Das … das wäre sehr nett.«

Er konnte sich nicht entsinnen, wann er seine Schwester das letzte Mal so verlegen erlebt hatte.

Wie ein übereifriger Schuljunge stand Laredo auf und stellte seinen Teller in die Spüle.

Es reichte. Er musste dem Ganzen ein Ende setzen. »Bevor Sie sich weiter solche Mühe geben, sollten Sie wissen, dass es hier keine Arbeit für Sie gibt, Mr. Smith.«

»Entschuldige mal, ich habe Laredo eingestellt«, fuhr Savannah dazwischen, aber er ignorierte sie.

»Ich fahre Sie gern nach Promise. Wir können sofort los.«

Laredo erwiderte seinen wütenden Blick.

»Grady«, protestierte Savannah.

Schließlich ließ der Cowboy die Schultern sinken und nickte. »In Ordnung.«

Grady hatte nicht damit gerechnet, dass er so schnell kapitulieren würde. Der Kerl war offenbar kein Dummkopf.

»Ich hole meinen Sattel.«

»Nein!«, rief Savannah.

Beide Männer waren überrascht und wandten sich ihr zu.

Ihre Wangen waren gerötet, und sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Wenn ihr beide mir vorhin zugehört hättet, hätte ich es gleich erklären können.« Sie atmete tief aus. »Ich habe Laredo eingestellt.«

»Und ich habe gesagt, dass ich momentan niemanden brauche«, entgegnete Grady schroff.

»Ich habe ja nicht gesagt, dass ich ihn für dich eingestellt habe, Grady. Er wird für mich arbeiten.«

2. Kapitel

Laredo saß auf der dünnen Matratze und hielt sich die schmerzenden Rippen. Dank der Tabletten, die Savannah ihm gegeben hatte, war es immerhin aushaltbar. Sie hatte sie ihm, ohne zu fragen, nach dem Abendessen in die Hand gedrückt, als hätte sie gewusst, wie unbehaglich er sich fühlte. Sie faszinierte ihn, aber es war offensichtlich, dass ihr großer Bruder ihn längst als potenzielle Gefahr abgestempelt hatte. Er konnte ihm daraus nicht mal einen Vorwurf machen. Wenn sie seine Schwester gewesen wäre, hätte er auch auf sie aufgepasst.

Nach dem Essen hatten sie die Rosen eingepflanzt, und anschließend hatte Savannah mit ihm eine Tour durch den Blumengarten gemacht. Sie züchtete Azaleen, Rhododendren und viele andere Blumen und hatte auch einen kleinen Kräutergarten angelegt. Und dann waren da noch ihre Rosen.

Als sie ihn durch den Rosengarten führte und ihm dabei über jede Sorte etwas erzählte, konnte er spüren, wie sehr sie dafür brannte.

Am meisten beeindruckten ihn die alten Rosen und Savannahs Fachwissen. Beim Erzählen gestikulierte sie so lebhaft, dass sie einmal ihren großen Strohhut verlor. Als er ihn aufhob und ihr reichte, lächelte sie, sprach jedoch weiter über die Geschichte der »Highway 290 Pink Buttons«, einer kleinen Sorte mit doppelten Blüten, die aus dieser Gegend in Texas stammte, wie sie stolz erwähnte.

Danach hatte sie ihm erklärt, welche Tätigkeiten er für sie übernehmen sollte. Er hatte ihr aufmerksam zugehört, sie gebeten, ihm die Sachen zu zeigen, die er brauchte, und versprochen, gleich am nächsten Morgen anzufangen. Er wollte ihr unbedingt beweisen, dass es kein Fehler gewesen war, ihn einzustellen. Sie hatte ihr Vertrauen zurecht in ihn gesetzt.

»Haben Sie alles, was Sie brauchen, Cowboy?«

Die raue Männerstimme riss ihn aus seinen Gedanken. Als Laredo sich umdrehte, sah er, dass ein alter Mann die Blockhütte betreten hatte. In dem länglichen Raum standen sich zwei Reihen Betten gegenüber, und am anderen Ende befand sich eine Tür, die, wie er erfahren hatte, zum Zimmer des Vorarbeiters führte.

»Wiley Rogers«, sagte der Mann.

Autor

Debbie Macomber
<p>SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber hat weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkauft. Sie ist die internationale Sprecherin der World-Vision-Wohltätigkeitsinitiative Knit for Kids. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wayne lebt sie inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder in Port Orchard im Bundesstaat Washington, der Stadt, die sie zu ihrer <em>Cedar Cove</em>-Serie inspiriert hat.</p>
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