Ich weiß nur eins, ich liebe dich

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Gern hilft Dr. Frank der betörenden Fremden, die in der Hitze ohnmächtig geworden ist. Doch ein Kennenlernen scheint unmöglich: Sie hat Gedächtnisverlust - und weiß nicht einmal ihren Namen!


  • Erscheinungstag 10.06.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499159
  • Seitenanzahl 116
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carla Cassidy

Ich weiß nur eins, ich liebe dich

Roman

Aus dem Amerikanischen von M.R. Heinze

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Try To Remember

Copyright © 1994 by Carla Bracale

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises, Toronto

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Trevillion

ISBN eBook 978-3-95649-915-9

www.harpercollins.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

PROLOG

Nur mühsam hielt sie das Gleichgewicht, als die Wellen den Sand unter ihren Füßen wegschwemmten. Das Mondlicht schimmerte auf dem Wasser und auf ihrer geisterhaft bleichen Haut. Ein Geist, ja, das war sie … ein ruheloser Geist mit einer gepeinigten Seele, die keinen Frieden fand.

Sie stolperte, fiel dabei auf ein Knie und achtete nicht darauf, dass ihr Nachthemd zerriss. Schon lange war ihr alles gleichgültig. Die letzten sechs Monate ihres Lebens waren wie in Nebel gehüllt.

Die Wellen strichen um ihre Füße und berührten ihre Waden, als sie sich nach hinten sinken ließ. Der Sand hatte die Wärme des Tages gespeichert, konnte jedoch nicht die Kälte vertreiben, die ihre Seele erfüllte.

Wie viele Schlaftabletten hatte sie eigentlich genommen? Immer mehr waren nötig, um einschlafen zu können, doch selbst dann fand sie keinen Frieden.

Flucht … danach sehnte sie sich. Flucht vor den Albträumen, die sie bei Nacht peinigten, und vor den Erinnerungen, die sie bei Tag verfolgten. Hätte sie doch bloß die Todesschreie zum Verstummen bringen können, die sie pausenlos quälten!

Mit bebenden Fingern betastete sie die Narbe am Hals und an der Schulter, starrte zum Vollmond hinauf und schloss die Augen, als der Schmerz unerträglich wurde.

1. KAPITEL

Dr. Frank Longford seufzte behaglich, als er den Sportwagen in der Einfahrt seines Strandhauses abstellte. Es war Freitagabend. Vor Montag wurde er nicht im Krankenhaus erwartet, und er freute sich auf ein Wochenende mit kühlem Bier, Sonnenbädern und einem Kriminalroman seines Lieblingsautors.

„Genau, was mir der Arzt verschrieben hat.“ Lächelnd schloss er die Haustür auf und wurde von seinen beiden vierbeinigen Gefährten angesprungen. „Hallo, Mutt … Jeff …“ Nachdem er die Hunde gestreichelt hatte, öffnete er die Fenster und ließ die kühle, salzige Luft herein.

Mit einem kalten Bier aus dem Kühlschrank trat er auf die Terrasse und sah zu, wie Mutt und Jeff über den Strand jagten. Nach dem ersten Schluck zog er das Jackett aus, löste die Krawatte und sank auf einen Liegestuhl. Obwohl es noch zu früh war, hielt er am Strand Ausschau.

Wirklich seltsam, wie sehr die junge Frau, die seit einer Woche jeden Abend den Strand entlangging, seine Fantasie anregte. Sie verhielt sich immer gleich. Sobald es dunkel wurde und der Mond schien, tauchte sie auf. Nie kam sie nahe genug, dass er sie klar erkennen konnte, aber nach ihren anmutigen Bewegungen schloss Frank, dass sie jung war. Und trotz ihres weit fallenden Kleides hielt er sie für schlank.

Was trieb sie zu diesen ruhelosen Wanderungen? So aufgeregt gingen Leute in Warteräumen hin und her, während sie auf den Ausgang einer Operation an einem geliebten Menschen warteten.

„Mutt, Jeff, hierher!“, befahl Frank. Mit hängenden Zungen kamen die beiden Mischlingshunde zurück. Frank schaffte sie ins Haus, weil sie liebend gern die abendlichen Jogger am Strand erschreckten, und setzte sich wieder.

Die kühle Abendluft strich sachte über ihn hinweg, und das Bier in seiner Hand fühlte sich kalt an. Das Windspiel an der Hauswand klingelte leise und lieferte eine hübsche musikalische Untermalung des Abends.

Er war wohl eingeschlafen. Als Frank die Augen wieder öffnete, war die Nacht angebrochen, und die Bierdose war warm geworden. Müde rieb er sich die Augen und blickte auf den Strand hinunter. Es überraschte ihn nicht, in der Ferne die mysteriöse Frau zu sehen.

Heute Abend bewegte sie sich jedoch nicht anmutig, sondern wankte, fiel auf ein Knie und richtete sich noch einmal ruckartig auf wie eine Marionette in den Händen eines unerfahrenen Puppenspielers. Schließlich streckte sie sich im Sand aus. Was machte sie bloß?

Eine Weile beobachtete Frank die merkwürdige Szene, während das Windspiel klingelte und die Wellen rhythmisch rauschten. Endlich wurde ihm klar, dass hier etwas nicht stimmte. Eigentlich sollte er sich nicht einmischen. Diese Frau wollte eindeutig unbeobachtet bleiben, sonst hätte sie nicht immer bis nach Einbruch der Dunkelheit gewartet. Doch er war Arzt, und die Frau brauchte vermutlich Hilfe.

Frank sprang auf den Sand hinunter und rannte los. Plötzlich hatte er es eilig und ging erst langsamer, als er nur noch wenige Meter von der Fremden entfernt war.

Vielleicht wollte sie einfach am Strand schlafen. Oder es handelte sich um ein religiöses Ritual. Trotzdem ging er näher heran.

„Miss?“, rief er zögernd, sobald er sie erreichte. Es war jedoch nur das Rauschen des Meeres zu hören.

Als Mann fielen Frank die schön geschnittenen Gesichtszüge auf, die fein geschwungenen, dunklen Brauen, die betonten Wangenknochen in dem schmalen Gesicht, die gerade Nase und die vollen Lippen.

Als Arzt stellte er fest, dass die Frau zu mager war und ihre Haut im Mondschein ungesund wächsern wirkte. Er beugte sich herunter und rüttelte sie an den Schultern, während die Flut allmählich höher stieg. Ihre Haut fühlte sich kalt an, während er den Puls suchte. Wo war bloß ihr Puls? Frank fand ihn, doch er war gefährlich schwach.

Hastig hob er die Frau auf die Arme. Ihr Kopf rollte zur Seite. Eine Narbe seitlich am Hals zog sich bis unter das Nachthemd, doch Frank kümmerte sich nicht weiter darum. Diese Narbe war zu alt, als dass sie die Ohnmacht hätte auslösen können.

Er lief zum Haus zurück, holte die Wagenschlüssel, legte die Frau behutsam auf die Rücksitze und startete. Vom Strandhaus bis zum Krankenhaus fuhr man zwanzig Minuten. Jetzt schaffte er es in zwölf und meldete sich über das Autotelefon an, damit man ihn schon vor der Ambulanz erwartete.

Zwei Schwestern mit einer fahrbaren Trage und Dr. Russ Waylon, sein Freund und Kollege, standen bereit.

„Irgendwelche Veränderungen seit deinem Anruf?“, fragte Russ, während sie die Patientin in die Ambulanz schafften.

Frank schüttelte den Kopf, ohne die reglose Gestalt auf der Trage aus den Augen zu lassen.

„Ich sage dir Bescheid, sobald ich etwas weiß“, versicherte Russ aufmunternd lächelnd und verschwand in der Ambulanz.

Die grüne Schwingtür fiel zu. Frank hätte hineingehen können. Er gehörte zum Ärzteteam. Doch die geheimnisvolle Frau war bei Russ in guten Händen.

Schon nach wenigen Minuten auf einem der orangefarbenen Schalensessel im Wartezimmer wurde er ungeduldig. Hier zu sitzen, anstatt auf der anderen Seite der Schwingtür um Leben und Tod zu kämpfen, war ungewohnt.

Das Wartezimmer war klein und schien immer kleiner zu werden. Die Wände erdrückten ihn. Jetzt verstand er, wieso Menschen in Wartezimmern auf und ab gingen. Anders konnte man dieses Gefühl der Hilflosigkeit nicht abreagieren.

Frank stand auf, ging hin und her und fühlte erst jetzt den Sand in den Schuhen, setzte sich wieder und zog Schuhe und Socken aus.

„Hey, Dr. Longford, ich habe gehört, dass Sie hier sind.“ Cindy Manors lehnte in der Tür und lächelte ihn breit an.

„Hi, Cindy.“ Frank stand auf und kam sich barfuß ziemlich albern vor. „Du siehst gut aus“, stellte er mit einem Blick in die strahlend blauen Augen des Mädchens fest.

„Dank Ihrer Hilfe fühle ich mich auch gut“, versicherte sie mit jener Heldenverehrung, zu der nur eine Sechzehnjährige fähig ist.

„Was machst du so spät hier?“, fragte Frank und leerte über dem Papierkorb den Sand aus den Schuhen.

„Mom hat gleich Dienstschluss, und ich hole sie ab. Und was machen Sie hier?“ Cindy sah zu, wie er die Socken ausschüttelte.

„Ich habe einen Strandlauf gemacht.“ Frank beschloss, nicht alles zu erzählen. Garett Beach war ein kleiner Ort, und er wollte keine Gerüchte über die geheimnisvolle Frau in die Welt setzen.

Cindy verdrehte die Augen. „Doktor, Sie sollten nicht mit Ihren guten Schuhen am Strand laufen!“

„Ich werde in Zukunft daran denken.“ Frank setzte sich und zog die Socken wieder an. „Und du siehst nach links und rechts, bevor du eine Straße überquerst.“

Cindy wurde rot. „Keine Sorge, ich habe meine Lektion gründlich gelernt.“ Sie sah auf die Uhr. „Ich gehe jetzt. Mom wartet nicht gern.“ Sie winkte und verließ den Raum.

Frank war zufrieden, wenn er sich daran erinnerte, in welchem Zustand sie sich vor vier Monaten befunden hatte. Cindy war unvorsichtig auf die Straße gelaufen und überfahren worden. Frank hatte Dienst in der Ambulanz versehen, als sie mit einem gebrochenen Bein und zahlreichen Prellungen und Abschürfungen sowie einem Schock eingeliefert wurde. Die Verletzungen waren schnell versorgt gewesen. Es hatte länger gedauert, Cindy zu beruhigen und ihr die Angst zu nehmen. Jetzt war sie körperlich und seelisch wieder in Ordnung.

Er schob die Gedanken an das Mädchen beiseite und konzentrierte sich auf die Frau hinter der Schwingtür. Wer war sie? Woher kam sie? Was war mit ihr los? Hoffentlich lieferte Russ bald einige Antworten.

Während Frank die Schuhe anzog, sah er das zarte, im Mondlicht schimmernde Gesicht der Frau vor sich. Hätte er doch bloß nicht so lange gewartet, ehe er zu ihr lief. Wäre er doch gleich aufgestanden, als ihm ihr unnatürlicher Gang auffiel. Sobald Russ sichtlich verwirrt hereinkam, sprang er auf.

„Ich kann dir nicht viel sagen, Frank.“ Russ seufzte müde. Offenbar arbeitete er schon viel zu lange. Er deutete auf einen Stuhl und setzte sich neben Frank. „Ihr Zustand ist stabil. Wir lassen ihr Blut im Labor auf Drogen untersuchen. Sie ist zwar leicht unterernährt, aber ich finde keinen Grund für diesen nahezu komatösen Zustand. Hätten wir eine bessere neurologische Abteilung und modernere Geräte, könnten wir natürlich auch genauere Tests machen.“

„Und jetzt? Wartest du auf den Laborbefund?“

Russ nickte. „Fällt er negativ aus, müssen wir in Wilmington anrufen, damit ihr Neurochirurg herkommt und die Patientin genauer untersucht.“

Frank war mit der Entscheidung seines Freundes einverstanden.

„Und worum geht es?“, fragte Russ. „Du hast bisher nicht viel verraten. Wer ist diese Frau?“

„Keine Ahnung. Sie ging am Strand vorbei, wankte und fiel hin, stand noch einmal auf, taumelte einige Schritte weit und blieb liegen. Als sie nicht mehr aufstand, lief ich hin und brachte sie zu euch.“

„Ist sie beim Fallen mit dem Kopf aufgeschlagen?“

„Davon habe ich nichts bemerkt.“

„Dann tippe ich auf Drogen oder Alkohol“, meinte Russ.

Frank wollte schon widersprechen, doch was wusste er über die Frau? Natürlich konnte sie Drogen genommen haben. „Darf ich sie sehen?“

„Warum nicht? Wir behalten sie auf der Intensivstation, bis sie das Bewusstsein wiedererlangt.“

Frank stand auf, strich sich gedankenverloren durch das Haar und wollte zur Tür gehen.

Russ hielt ihn zurück. „Weißt du, es ist nicht wie in diesem chinesischen Sprichwort, in dem es heißt, dass man für einen Menschen für den Rest seines Lebens verantwortlich ist, wenn man ihm einmal das Leben gerettet hat.“

„Ich weiß. Ich fühle mich nicht verantwortlich“, versicherte Frank. „Außerdem bin ich schon für meine beiden Flohbeutel verantwortlich“, fügte er lächelnd hinzu.

Doch als er wenig später neben dem Bett der geheimnisvollen Frau stand, konnte er sich eines gewissen Verantwortungsgefühls nicht erwehren. Sie wirkte so schön und zerbrechlich mit dem dunklen Haar, das auf dem weißen Kissen ausgebreitet lag … wie Dornröschen, nachdem es sich an der vergifteten Nadel gestochen hatte.

Frank musste sich zurückhalten, um sich nicht über sie zu beugen und sie behutsam zu küssen. Ob er sie dadurch hätte wecken können? Was für ein unsinniger Gedanke! Sie war nicht Dornröschen, und er war ganz sicher kein Prinz.

Welche Farbe hatten wohl ihre Augen? Wahrscheinlich braun, wenn er nach dem dunklen Haar schloss. Oder blau … das hätte besonders faszinierend gewirkt.

„Wie sieht es aus, Doc?“ Etta Maxwell, eine der tüchtigsten Krankenschwestern des Garett Memorial Hospitals, kam herein und lächelte Frank zu. „Ich habe gehört, Sie haben uns einen verletzten Sperling gebracht.“ Sie warf einen Blick auf die reglose Frau im Bett. „Ich nehme es zurück. Das ist kein schlichter Sperling, sondern eine echte Schönheit.“

Etta strich die Bettdecke fürsorglich glatt und redete dabei mit sanfter Stimme, mit der sie jedes leidende Kind und jeden streitsüchtigen Patienten beschwichtigen konnte.

„Wir bringen Sie schon wieder auf die Beine. Bei Doc Frank sind Sie in guten Händen. Das ist ein Arzt, der sich wirklich um seine Patienten kümmert … manchmal sogar zu sehr, wenn Sie mich fragen“, fügte sie leise hinzu.

„Etta“, warnte Frank freundlich. Über diesen Punkt hatte er sich mit der älteren Schwester schon oft gestritten.

„Es stimmt doch“, erwiderte sie und sah ihn an. Ihre Augen waren so grau wie ihr kurzes, gelocktes Haar. „Sie lassen sich von Patienten doch ausnützen.“ Behutsam schüttelte sie das Kopfkissen auf. „Aber machen Sie sich keine Sorgen, meine Schöne. Dadurch ist er ja ein so guter Arzt. Er heilt sehr schnell Ihre Flügel, und dann können Sie dahin zurückfliegen, wo Sie hingehören.“ Nachdem sie das Infusionsgerät überprüft hatte, betrachtete sie Frank kritisch. „Sie sollten heimfahren und sich ausruhen. Sie sehen schrecklich aus.“

„Sollten Krankenschwestern nicht Respekt vor Ärzten haben?“, grollte er.

Etta lachte trocken. „Das klappt nicht mehr, seit wir Krankenschwestern erkannt haben, dass Ärzte keine Heiligen, sondern einfach Männer sind. Und wie alle Männer können sie einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen.“ Im Hinausgehen lachte sie ansteckend.

Frank schüttelte lächelnd den Kopf. Noch nie hatte er eine so ausgeglichene und tüchtige Frau wie Etta Maxwell getroffen. Seit zehn Jahren war sie Witwe, zeigte keinerlei Respekt und wurde wegen ihrer Herzlichkeit und ihres gesunden Menschenverstandes von allen geschätzt.

Erneut wandte er sich der Frau im Bett zu. Sie sah ihn an. So grüne Augen hatte er noch nie gesehen. Grün … an die Möglichkeit hatte er gar nicht gedacht.

Überrascht trat er näher. „Hi! Ich bin Dr. Longford“, sagte er leise, um sie nicht zu erschrecken. Trotzdem fand er Angst in ihrem Blick, wenn auch nicht vor ihm. Irgendetwas quälte sie.

Verzweifelt griff sie nach Franks Hand und drückte sie. „Helfen Sie mir“, hauchte sie.

Bevor er antworten konnte, schloss sie wieder die Augen. Ihre Hand wurde schlaff.

Frank stieß den Atem aus. Schon lange hatte ihn nichts mehr so getroffen. Das war nicht die Bitte einer Patientin an einen Arzt gewesen. Eine gequälte Seele hatte um Hilfe geschrien, und Frank wusste, dass er alles in seiner Macht Stehende tun musste, um ihr zu helfen.

Sie erwachte ganz plötzlich. Ohne die Augen zu öffnen, wusste sie, dass sie in einem Krankenhaus war. Es roch nach Desinfektionsmitteln, Alkohol zum Einreiben und Reinigungsmitteln. Die Geräusche waren gedämpft. Ein Wagen wurde über den langen Korridor gerollt. Aus einem anderen Zimmer drang Stimmengemurmel zu ihr. Jemand klingelte nach einer Schwester. Ja, sie war im Krankenhaus. Aber warum? Sie hatte keine Schmerzen.

Jemand betrat das Zimmer … eine Frau mit quietschenden Gummisohlen. Feiner Fliederduft erfüllte den Raum.

Sie öffnete ein Augenlid, dann das andere, musste blinzeln und erkannte eine kleine, rundliche, grauhaarige Schwester, die etwas auf einem Blatt notierte und es dann in einen Halter am Bettende schob.

„Ach, du liebe Zeit, Sie sind ja wach!“, rief die Schwester. „Ich hole sofort Dr. Longford! Der wird sich freuen.“

Damit eilte sie hinaus, und die Frau auf dem Bett blickte zum Fenster. Die Sonne schien warm ins Zimmer. Sommer? Wo waren Winter und Frühling geblieben?

Wieder kam jemand herein, ein Arzt in einem weißen Kittel und mit einem Stethoskop um den Hals.

Er war sehr attraktiv. Das dunkle Haar wurde an den Schläfen grau. Sie sah in seine braunen Augen, und als er lächelte, kam es ihr so vor, als wäre sie ihm schon einmal im Traum begegnet.

„Hi.“ Er trat näher an das Bett. „Ich bin Dr. Longford … Frank Longford.“

„Hi.“ Sie wollte sich aufsetzen, schaffte es jedoch nicht. „Wo … wo bin ich?“

„Im Krankenhaus. Garett Memorial Hospital.“

„Nein, ich meine, in welcher Stadt? In welchem Staat?“

„Das wissen Sie nicht?“ Besorgt runzelte er die Stirn.

Sie schüttelte den Kopf und fühlte erst jetzt die Schmerzen hinter der Stirn, hob die Hand und massierte die Schläfe.

„Sie sind in Garett Beach in North Carolina.“

Was für eine schöne Stimme, dachte sie, tief und beruhigend. „Wie … wie komme ich hierher?“

„Ich habe Sie hergebracht. Sie sind vor meinem Haus am Strand zusammengebrochen.“ Frank empfand Mitgefühl, als sie ihn verwirrt ansah.

Offenbar erinnerte sie sich nicht daran, dass sie ihn letzte Nacht schon einmal so angesehen hatte, dass er es nicht mehr vergessen konnte. Nachdem er heimgefahren war, hatte er die ganze Nacht an diesen Ausdruck in ihren Augen und an ihre verzweifelte Bitte um Hilfe gedacht.

Jetzt lächelte er ihr zu. „Könnte ich Ihnen einige Fragen stellen?“ Als sie nickte, zog er sich einen Stuhl neben das Bett und setzte sich. „Wie fühlen Sie sich?“

„Als wäre ich vom Himmel gefallen“, erwiderte sie schwach lächelnd.

Dieses Lächeln auf den sinnlichen Lippen sprach Frank genauso stark wie ihre grünen Augen an. „Könnten Sie sich etwas genauer ausdrücken?“, fragte er, freute sich aber, dass sie Humor bewies.

„Ich habe eigentlich nur Kopfschmerzen. Ansonsten fühle ich mich nur allgemein matt und schwach.“

„Diese Schwäche geht wahrscheinlich darauf zurück, dass Sie leicht unterernährt sind. Die Kopfschmerzen und die Mattigkeit könnten auf die Sedativa zurückgehen, die man im Labor in Ihrem Blut gefunden hat.“

„Sedativa? Meinen Sie Schlaftabletten? Das ist lächerlich. Ich nehme nie Schlaftabletten.“

Sie klang so empört, dass Frank das Thema nicht weiter verfolgte.

„Wann werde ich entlassen?“, fragte sie.

„Dr. Waylon ist Ihr Arzt. Ich glaube, er will Sie einige Tage zur Beobachtung hierbehalten.“

Darauf nickte sie nur apathisch.

„Und jetzt die wichtigste Frage. Wir haben bei Ihnen keinen Ausweis gefunden. Bei der Einlieferung trugen Sie ein Nachthemd und hatten keine Tasche und auch sonst nichts bei sich. Ich kenne Ihren Namen nicht.“

Sie zog die Hand von der Schläfe zurück. „Ich auch nicht“, erwiderte sie leise.

2. KAPITEL

Ihr Name … wie war ihr Name? Sie versuchte, die Schleier von der Erinnerung zu ziehen, und schloss die Augen, doch ihr Gedächtnis funktionierte nicht.

„Ich weiß es nicht … ich kann nicht denken …“ Panik und Hysterie schwangen in ihrer Stimme mit, während sie den Arzt ansah. Dr. Longford … Wieso konnte sie sich an seinen, aber nicht an ihren eigenen Namen erinnern?

„Versuchen wir etwas anderes“, schlug er behutsam vor und rutschte näher. Drakkar. Das war die Marke seines angenehmen Rasierwassers. Wieso fiel ihr dieser Name ein, aber nicht ihr eigener? „Was können Sie mir über sich erzählen?“

Hilflos schüttelte sie den Kopf, weil sie seine Frage nicht beantworten konnte. Ihr Gedächtnis war entsetzlich leer. Sie wusste nichts – wusste nicht, woher sie kam oder wer sie war.

Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, das Zittern in ihrem Körper zu kontrollieren. Was war bloß mit ihr geschehen? Warum war sie hier? Wie hieß sie?

„Kennen Sie das heutige Datum?“

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