Eine Frau für Daddy

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"Vater braucht eine Frau" steht auf dem Zettel, den Mary in der Luftballonpost findet. Und weil sie diesen Wunsch schlecht erfüllen kann, schickt sie der kleinen Annie tröstliche Briefe und eine Puppe. Immer anonym - und nicht ahnend, dass sie Annie und ihrem atemberaubend attraktiven Daddy bald begegnen wird …


  • Erscheinungstag 31.01.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755300
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Bekommt Grandma meinen Brief auch wirklich?“ Die fünfjährige Annie blickte fragend zu ihrem Vater hoch. Der Wind fegte über den Friedhof und blies ihr die blonden Locken ins Gesicht. Einen Moment lang waren die lebhaften blauen Augen verdeckt.

Jonathon Taylor hielt das Band des roten Luftballons fest in der Hand, als er in die Hocke ging. Zärtlich strich er seiner Tochter die Haare aus dem Gesicht. „Sieh mal, auf diesem Ballon steht doch alles Notwendige, damit sie ihn bekommt. An Grandma Taylor. Adresse: Himmel.“

Annie nickte feierlich. „Ich will noch beten, bevor wir ihn fliegen lassen.“

Jonathon nickte und richtete sich wieder auf. Er blickte auf die Kleine, die andächtig den Grabstein mit der Inschrift betrachtete: Regina Taylor. Über alles geliebte Frau, Mutter und Großmutter.

Es war erstaunlich, wie weit ein erwachsener, vernünftiger Mann ging, nur um ein kleines Mädchen in ihrem Kummer zu trösten. Obwohl seine Mutter, Gott hab sie selig, ihn wahrscheinlich weder für erwachsen noch für vernünftig halten würde.

Doch seit dem Tod seiner Mutter vor einem Monat hatte Annie nur noch ihn.

Er schaute auf seine Tochter, die mit gefalteten Händen vor dem Grabstein kniete und betete. Und wie immer, wenn er Annie ansah, klopfte sein Herz vor Stolz. Sie war sein Leben, und er hoffte, dass der aufsteigende Luftballon dazu beitragen würde, ihre Trauer über den Tod der Großmutter zu lindern.

Zunächst hatten ihn Freunde und Nachbarn getröstet, aber jetzt war er auf sich allein gestellt, und die Verantwortung für Annie lastete schwer auf ihm.

Während der letzten fünf Jahre war seine Mutter der große Rückhalt gewesen. Sie hatte die Mutterrolle für Annie übernommen, seit seine Frau die Familie drei Monate nach Annies Geburt verlassen hatte.

Jetzt war alles anders. Letzte Woche hatte er seine Pilotenkarriere beendet und stattdessen als Techniklehrer an einem College angefangen, um mehr Zeit für seine kleine Tochter zu haben. Denn außer ihm hatte Annie niemanden.

Dieser Gedanke machte ihm Angst. Die Großmutter hatte sich um Annie gekümmert und ihr die Mutter ersetzt.

Seine Schwester bekniete ihn ständig, wieder zu heiraten, aber er hatte die Hoffnung fast aufgegeben, eine Frau zu finden, die ihm eine gute Partnerin und seiner Tochter eine liebevolle Mutter sein konnte. Er glaubte schon fast, dass es so eine Frau nicht gab.

Annie richtete sich auf und kehrte zu ihrem Vater zurück. Ihr Gesichtsausdruck war viel zu ernst für ein kleines Mädchen. „Okay, ich bin jetzt so weit.“

Jonathon nickte und gab ihr den Luftballon. Sie starrte ihn lange an, dann hob sie den Arm hoch und ließ das Band los.

Gemeinsam beobachteten sie, wie der Ballon stetig in den blauen Himmel aufstieg und im kühlen Frühlingswind tanzte. Der Ballon kam einem Baumwipfel erschreckend nah, gewann aber weiter an Höhe. Sie blickten in den Himmel, bis der rote Luftballon nicht mehr zu sehen war. Nachdenklich drehte Annie sich um und streckte die Hand nach seiner aus. „Ist Grandma in demselben Himmel wie Mommy?“

Jonathon nickte, obwohl er ernsthafte Zweifel hatte, dass seine Exfrau nach dem tragischen Autounfall vor drei Jahren in den Himmel gekommen war. Falls Katherine durch ein Wunder jedoch tatsächlich in den Himmel gelangt sein sollte, dann täte sie jetzt gut daran, sich hinter den Flügeln eines Engels zu verstecken, um nicht Jonathons Mutter zu begegnen.

Regina Taylor hatte nicht viel von der Frau gehalten, die Jonathon geheiratet und Annie geboren hatte, bevor sie die Familie wenige Monate später einfach im Stich ließ.

„Ich habe Hunger. Wann essen wir zu Abend?“

Jonathon sah seine Tochter verblüfft an. Abendessen? War es schon so spät? Hatten sie nicht gerade erst in Annies Lieblings-Schnellrestaurant gegessen? Er sah auf seine Armbanduhr und atmete tief durch. Seit dem Mittagessen waren wieder mehrere Stunden vergangen.

„Du hast versprochen, dass wir Pizza essen, Daddy.“

Verdammt, das hatte er ganz vergessen. „Weißt du was, mein Schatz? Heute Abend treffen wir uns doch mit Sonia in einem schönen Restaurant, damit ihr beide euch kennen lernt.“

Annie runzelte die Stirn. „Können wir uns nicht in einer Pizzeria kennen lernen?“

Jonathon zögerte. Er war erst drei Mal mit der fantastischen Stewardess Sonia Wakefield ausgegangen, doch er glaubte nicht, dass sie zu den Menschen gehörte, die gern in eine rustikale Pizzeria gingen. Aber er hatte es Annie versprochen, und sie spielte die Hauptrolle in seinem Leben.

„Ja, ich denke, ihr könntet euch genauso gut in einer Pizzeria kennen lernen“, stimmte er zu.

Annie klatschte begeistert in die Hände und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich hab dich lieb, Daddy.“

Er nahm sie auf den Arm und ging mit ihr zum Wagen. „Ich hab dich auch lieb, Annie.“ Als sie die Arme um seinen Hals schlang und er ihren zarten Duft einatmete, schwand seine Angst davor, seine Tochter allein aufziehen zu müssen. Er spürte, dass Annie und er es schaffen würden.

Mary Wellingtons Laune war auf dem Tiefpunkt, seit sie vor zwei Monaten herausgefunden hatte, dass sie sich wieder einmal in den falschen Mann verliebt hatte. Wie immer, wenn sie morgens die Augen öffnete, blickte sie auf die Seite neben sich. Leer. Niemand da, der ihr etwas bedeutete. Kein Mann zum Ankuscheln. Was für ein trauriger Tagesbeginn, dachte sie voller Selbstmitleid.

Sie drehte sich auf den Rücken und schlug heftig mit der Hand auf die Decke. Fast ein Jahr ihres Lebens hatte sie an einen dunkelhaarigen, blauäugigen Pseudo-Cowboy verschwendet, der sie im letzten Monat verlassen hatte.

Er hatte ein Sixpack Bier im Kühlschrank zurückgelassen, ihren Holzfußboden mit seinen Sporen zerkratzt und ihr eine boshafte Katze namens Cowpoke vermacht, deren einziger Lebenssinn anscheinend darin bestand, Mary das Leben schwer zu machen. Wie hatte sie nur glauben können, ernsthaft in einen Mann verliebt zu sein, der Sex als eine Art Zureiten betrachtete. Und jetzt war sie allein auf der Koppel.

„Verdammt!“ Sie sprang aus dem Bett und ging unter die Dusche, um ihre trübsinnigen Gedanken an die gescheiterte Beziehung den Abfluss hinunterspülen zu können.

Minuten später, ein Handtuch wie einen Sarong um ihren Körper geschlungen, ein weiteres als Turban um den Kopf, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück.

„Cowpoke!“, schrie sie den Kater an, der sich gerade über ihre Strumpfhose hermachte.

„Hau ab!“, brüllte sie und hielt stöhnend die Strumpfhose hoch … die letzte. Manchmal fragte sie sich, ob Cowpoke ein Geschenk aus Rache war. Als Strafe für ihre geheime Freude, wenn in einem alten Western ein Cowboy durch einen Indianer umkam.

Mary warf die zerfetzte Strumpfhose in den Abfalleimer. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie zu spät zur Arbeit kommen. Sie zog sich eine Baumwollbluse und einen langen Rock an, um ihre nackten Beine zu verbergen. Dann bürstete sie ihre nassen braunen Haare. Wenn sie Glück hatte, würden sie vor ihrem Dienstbeginn getrocknet sein. Zum Glück hatte sie von Natur aus welliges Haar und brauchte sich nicht mit Lockenschere oder Lockenwicklern abzuplagen.

Doktor Burwell würde ärgerlich sein, wenn sie sich wieder verspätete. Und schuld daran war wie immer die gefährliche Schlummertaste ihres Weckers. Heute Morgen hatte sie sie vier Mal gedrückt … drei Mal zu viel.

Sie warf einen letzten finsteren Blick auf Cowpoke, der mitten auf ihrem Bett lag, und es schien, als würde er triumphieren. Dann nahm sie ihre Handtasche und das Lunchpaket, das sie bereits am Abend zuvor vorbereitet hatte, und verließ die Wohnung.

Als sie die drei Meilen zu der Arztpraxis fuhr, wo sie als Sprechstundenhilfe arbeitete, zwang sie sich, nicht an ihr tristes Liebesleben zu denken.

Es war anscheinend ihr Schicksal, bei einem gesellschaftlichen Ereignis die Aufmerksamkeit der gestörtesten und gefühlsärmsten Männer im Saal auf sich zu ziehen. Langsam glaubte sie, dass es ihre ureigenste Bestimmung war, diese Männer zu heilen, damit sie anschließend in einer wundervollen Beziehung mit einer anderen Frau leben konnten.

Sie gab Gas, um einen langsameren Wagen zu überholen, was ihr ein wütendes Hupkonzert und den berühmten Fingerzeig des Fahrers einbrachte, der gerade telefonierte. Er funkelte sie wutschnaubend an, als hätte sie persönlich seinen Tag ruiniert. Wahrscheinlich war gerade die Funkverbindung unterbrochen, und er gab Mary die Schuld daran. Na schön, dachte sie, bei meinem Glück treffe ich ihn wahrscheinlich in der nächsten Woche bei einem Blind Date, und er erinnert sich natürlich sofort an die düster blickende Brünette, die sein ungemein wichtiges Geschäftstelefonat gestört hat.

Als sie ihren Wagen auf dem Parkplatz vor dem Ärztehaus abstellte, wurde ihre Aufmerksamkeit auf einen roten Luftballon gelenkt, der in der Morgensonne über den Parkplatz schwebte. Sie stieg aus dem Auto, den Blick immer noch auf den Ballon gerichtet. Langsam sank er nach unten.

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund wollte Mary diesen Luftballon haben. Der Ballon erinnerte sie an ihre eigenen Kindergeburtstage und an Zeiten, als ihr das Glück noch gewogen war. Sie lief ihm nach, sprang hoch und versuchte, nach dem Band zu greifen. Vergeblich. Dabei wickelte der lange Rock sich um ihre Beine, und sie wäre beinahe gefallen.

Mary blickte sich gehetzt um. Hoffentlich beobachtet mich niemand, dachte sie. Sie versuchte es noch einmal, sprang hoch und verfehlte wieder die Schnur. Lachend probierte sie es ein drittes Mal. Diesmal erfolgreich.

Glücklich wie ein Kind drückte sie den Ballon an ihre Brust. Und auf einmal war ihr Ärger an diesem Morgen verflogen. Plötzlich war es ein herrlicher Frühlingstag, und sie hatte einen Luftballon bekommen.

Mary lachte laut auf, als ihr bewusst wurde, was für ein lächerliches Bild sie abgeben musste. Eine neunundzwanzigjährige Frau, die mitten auf dem Parkplatz einen Luftballon an die Brust drückte. Sie konnte fast die Stimme ihrer Mutter hören. „Wenn du dich so kindisch benimmst, triffst du nie den richtigen Mann, Mary.“ Oh, Patricia Wilshire wusste genau, welcher Mann zu ihrer Tochter passte … aber leider fand Mary diese Männer unendlich langweilig. Außerdem gab es nicht allzu viele Männer, die eine Frau wollten, die keine Kinder bekommen konnte. Doch es war nun einmal Marys trauriges Schicksal, dass sie niemals ein Baby empfangen und die Freuden einer Geburt erleben würde.

Sie verdrängte diesen unerfreulichen Gedanken, sah auf ihre Uhr und stöhnte. Offiziell war sie bereits zehn Minuten zu spät. Sie rannte los und riss die Tür auf. Gerade als sie auf ihren Stuhl sank, betrat Doktor Burwell die Praxis.

„Guten Morgen, Mary“, grüßte er.

„Guten Morgen, Doktor Burwell“, erwiderte sie, während sie den Ballon von ihrem Schoß auf den Boden unter ihrem Tisch schob, wo er vor den Blicken des alten Arztes verborgen war.

„Ich bin in meinem Büro.“

Nickend sah sie ihm nach. Erst als er in seinem Büro verschwunden war und sie das vertraute Klicken seiner Tür hörte, zog sie den Luftballon wieder zu sich. Auf einer Seite stand etwas geschrieben, und sie entdeckte einen Zettel, der im Ballon steckte.

„Hey, was hast du denn da?“

Mary zuckte zusammen, als sie die Stimme hinter sich vernahm. Sie drehte sich um und sah Lucinda Walker, ihre Kollegin und eine ihrer besten Freundinnen.

„Ich habe den Ballon auf dem Parkplatz gefunden“, erklärte Mary.

„Jemand hat etwas darauf geschrieben.“ Lucinda trat näher.

Mary hielt den Ballon ins Licht. „An Grandma Taylor. Adresse: Himmel“, las sie.

„Oh, ist das nicht süß?“

Mary nickte. „Gib mir mal die Schere. Da ist etwas in dem Ballon.“

„Pass auf, dass der alte Doc nichts merkt. Er könnte sonst einen Herzanfall bekommen“, warnte Lucinda sie kichernd.

„Vielleicht warte ich besser.“ Mary zögerte, denn Doktor Burwell hatte überhaupt keinen Sinn für Humor.

„Na los! Nun mach schon“, drängte Lucinda sie. „Dein langweiliges Leben kann schließlich jede Menge Abwechslung gebrauchen.“

Mary blickte Lucinda schief an. „Mein langweiliges Leben?“

Lucinda lachte. „Du musst doch zugeben, Mary, dass dein Privatleben ganz schön langweilig geworden ist, nachdem sich dieser Cowboy aus dem Staub gemacht hat.“

„Mit meinem Privatleben ist alles in Ordnung“, verteidigte Mary sich und stach fester als beabsichtigt in den Ballon. Zum Glück zerplatzte er nicht mit einem Knall, sondern das Gas entwich nur zischend.

„Eine Notiz!“, rief Lucinda aufgeregt, als Mary ein gefaltetes Blatt Papier hervorzog.

Genau in diesem Moment wurde die Praxistür geöffnet. Lucinda und Mary zuckten zusammen. Mary schob den Zettel in ihre Schreibtischschublade und warf die Überreste des Ballons in den Papierkorb. Lucinda nahm eine Karteikarte und klopfte an die Tür des Arztes.

Der Morgen verging wie im Flug. Ein Virus machte die Runde, und der Strom von kleinen Patienten, die unter Halsschmerzen, Fieber und Husten litten, riss nicht ab. Mary konnte wahrlich nicht über Arbeitsmangel klagen. Sie holte pausenlos die Karteikarten der Patienten aus dem Schrank, beantwortete Anrufe und verteilte Papiertaschentücher.

Ihre Mutter hatte ihr zugeredet, Sprechstundenhilfe zu werden. „Denk an all die Ärzte, die du kennen lernen wirst“, hatte sie gesagt. „Du würdest eine wundervolle Arztfrau abgeben.“

Patricia Wilshire musste es wissen. Nachdem Marys Vater gestorben war, hatte ihre Mutter Barry Wilshire geheiratet, einen Arzt im Ruhestand. Was Patricia allerdings nicht vorhergesehen hatte war die Tatsache, dass ihre Tochter für einen sehr alten, seit Jahrzehnten verheirateten Kinderarzt arbeiten würde, dessen Patienten alle jünger als dreizehn und damit nicht gerade geeignete Heiratskandidaten waren.

Doch Mary liebte ihren Job und empfand zärtliche Zuneigung zu jedem Kind, das in die Praxis kam. Da sie selbst nie eigene Kinder haben würde, fiel es ihr leicht, das Herz an die kleinen Patienten zu verschenken.

Erst in der Mittagspause erinnerte Mary sich wieder an den Zettel in dem Ballon. Sie war nun allein im Büro und aß am Schreibtisch das aufgeweichte Sandwich, das sie mitgebracht hatte. Doktor Burwell ging grundsätzlich zum Essen nach Hause, und Lucinda hatte sich an diesem Tag zum Lunch mit einem Mann verabredet, den sie am Abend zuvor in einer Bar für Singles kennen gelernt hatte.

Sie öffnete die Schreibtischschublade und zog das gefaltete Blatt Papier hinaus. Der Brief war mit einem roten Buntstift geschrieben worden. An den ungleichmäßigen Buchstaben erkannte sie, dass ein Kind den Brief geschrieben haben musste.

Liebe Grandma,

ich vermisse Dich. Daddy sagt, Du bist im Himmel. Ich hoffe, Du bist dort glücklich. Trotzdem fehlst Du mir. In zwei Wochen werde ich sechs, und Daddy hat mir erlaubt, viele Kinder einzuladen. Aber Du kannst leider nicht dabei sein. Tut es weh, tot zu sein? Oh Grandma, ich mache mir Sorgen um Dich. Wenn Du mir schreiben könntest, dass es Dir gut geht, würde es mir auch besser gehen.

Wenn Du wirklich im Himmel bist, könntest Du vielleicht mit jemandem sprechen, der mir eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder bringen kann. Das wäre schön. Ich wäre eine gute große Schwester. Aber Daddy sagt, er braucht zuerst eine Frau, und er stellt sich bei der Suche so ungeschickt an. Vielleicht könntest Du dort oben mit jemandem sprechen, der ihm helfen kann. Ich liebe Dich, Grandma.

Deine Annie.

Lange betrachtete Mary den Brief. Es war offensichtlich, dass ein Erwachsener dem Kind beim Schreiben geholfen hatte, aber die Gefühle, die zwischen den einfach geschriebenen Zeilen zu lesen waren, rührten Mary. Der Text war vor drei Tagen geschrieben worden, und unter ihren Namen hatte Annie noch ihre Adresse geschrieben. Sie wohnte in einem Vorort von Kansas City, etwa zwanzig Meilen entfernt.

Mary las den Brief noch einmal. Irgendwo im Norden von Kansas City lebte ein kleines Mädchen, das seine Großmutter schrecklich vermisste und das demnächst seinen Geburtstag feiern würde.

Mary hatte plötzlich einen Frosch im Hals, als sie an ihre eigene Großmutter dachte. Seit Jahren hatte sie nicht mehr an sie gedacht. Ihre Großmutter war gestorben, als Mary zehn Jahre alt war, aber sie konnte sich immer noch an die Trauer erinnern, an die plötzliche Leere und die Angst, die der Tod mit sich gebracht hatte.

Sie sah noch einmal auf die Zeilen. „Arme kleine Annie“, flüsterte sie und schob den Zettel wieder in die Schublade. Doktor Burwell würde bald vom Essen zurück sein, und bis dahin musste noch alles für den Nachmittag vorbereitet werden.

Während Mary gewissenhaft ihre Arbeit erledigte, kam ihr eine Idee. Und als sie schließlich am Abend die Praxis verließ, ging sie nicht sofort zu ihrem Wagen, sondern zu einer Geschenk-Boutique in der Nähe.

In dem Geschäft sah sie sich nach einem Geburtstagsgeschenk für das kleine Mädchen um, das seine Großmutter so sehr vermisste. Als sie die Puppen und das Spielzeug sah, wurde sie von einer unendlichen Traurigkeit erfasst.

Sie war am Boden zerstört gewesen, als ihr im Alter von fünfundzwanzig Jahren die Gebärmutter entfernt werden musste. Nie würde sie das Glück einer Schwangerschaft erleben, nie das Wunder, ein eigenes Kind zur Welt zu bringen. Sie würde nie ein Kind haben, das ihr und ihrem Mann ähnlich sah. Ihr damaliger Freund hatte sich von ihr mit der Begründung getrennt, dass er eines Tages Kinder haben wollte … und zwar eigene, und keine adoptierten.

Das wirkte sich auch weiterhin auf ihr Liebesleben aus. Da Mary nicht schwanger werden konnte, schreckte sie einige Männer ab, die sich Kinder wünschten. Offensichtlich blieb ihr nichts anderes übrig, als einen Mann zu finden, der Kinder hasste. Leider wusste sie jedoch auch, dass sie niemals einen Mann lieben und heiraten konnte, der nichts für Kinder übrig hatte.

Mary seufzte tief und konzentrierte sich auf die Suche nach einem geeigneten Geschenk. In einem Korb fand sie, was sie sich vorgestellt hatte – eine Puppe, die wie ein Engel aussah, mit silbernen Flügeln und einem weißen Gewand. Das ideale Geschenk von der Großmutter im Himmel. Sie war sicher, dass Annie die Puppe lieben würde. „Können Sie mir diesen Engel bitte als Geschenk einpacken und an folgende Adresse schicken?“, fragte sie die Kassiererin.

„Natürlich“, erwiderte die Frau. „Möchten Sie noch eine Karte dazulegen?“

„Ja, eine kurze Notiz“, sagte Mary und dankte lächelnd, als die Frau ihr ein blasslila Blatt Papier reichte und einen Stift dazu. Sie runzelte nachdenklich die Stirn und schrieb dann schnell ein paar Zeilen an Annie. Schließlich gab sie den Zettel und die Adresse der Kassiererin, die versprach, das Päckchen am Geburtstag auszuliefern.

Als Mary das Geschäft verließ, fühlte sie sich seltsam fröhlich und unbeschwert. Es machte ihr nichts aus, dass sie zu Hause nur ein Essen aus der Tiefkühltruhe erwartete, Fernsehen und eine angriffslustige, schlecht erzogene Katze. Sie hatte gerade etwas getan, was hoffentlich ein kleines Mädchen sehr glücklich machen würde. Ein gutes Werk am Ende eines Tages.

„Du hattest nicht erwähnt, dass deine Tochter noch so klein ist“, sagte Sonia leise und zog die hellen Augenbrauen hoch.

Jonathon antwortete ihr, indem er selbst die Augenbrauen hochzog. Er wusste genau, dass er Sonia bei den letzten drei Treffen alles von Annie erzählt hatte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Sonia grundsätzlich abschaltete, wenn er von Annie erzählte. Das war kein gutes Zeichen.

„Ich werde nächste Woche sechs“, rief Annie aus.

„Wie schön“, sagte Sonia, ohne den Blick von Jonathon zu wenden. Sie streckte die Hand aus und strich zärtlich über seinen Arm. „Aus irgendeinem Grund war ich der Meinung, dass sie viel älter und unabhängiger sei.“

Jonathon lächelte matt. Es war verrückt von ihm gewesen zu glauben, dass eine Frau wie Sonia einen Platz in seinem und vor allem in Annies Leben einnehmen könnte. Sie war alles andere als ein mütterlicher Typ.

„Ich bin für mein Alter sehr reif“, verkündete Annie. „Stimmt doch, Daddy, oder?“

„Ganz bestimmt“, erwiderte er lächelnd. „Es gibt Zeiten, da könnte ich schwören, du bist schon sieben.“

Sonia kratzte mit ihren langen, knallroten Fingernägeln leicht über seine Haut. Als sie auch noch aufreizend mit den Wimpern klimperte und ihm einen lüsternen Blick zuwarf, begann die Flamme der Leidenschaft zu lodern. Oh, diese Frau hatte Augen, die wundervolle, lustvolle Stunden versprachen.

Sie hob das Weinglas an ihre vollen, sinnlichen Lippen. Genüsslich trank sie einen Schluck, dann leckte sie mit der Zunge über den Glasrand. Jonathon konnte sich nur zu gut vorstellen, wie diese roten Lippen an seinen knabberten und … über seinen Körper glitten, bis sie …

„Vielleicht geht die kleine Annie heute Abend früh zu Bett?“, meinte Sonia leise mit rauchiger Stimme. „Dann hätten wir noch etwas Zeit für uns.“

„Daddy?“

Jonathon riss seinen Blick von Sonia los und wandte sich an seine Tochter. Ein Stück Mozzarella hing an ihrem Kinn.

„Warum macht sie das immer?“ Annie parodierte Sonia erstaunlich gut, indem sie mit den Wimpern klimperte und dann vorsichtig über den Rand ihres Wasserglases leckte, wobei sie eine Mischung aus Sauce und Käse am Glasrand hinterließ.

Sprachlos blickte Jonathon seine Tochter an, während Sonia indigniert nach Luft schnappte. Als er sich wieder Sonia zuwandte, war das Versprechen, das er zuvor in ihren Augen gesehen hatte, verschwunden, und die vollen, sinnlichen Lippen bildeten nur noch einen schmalen Strich.

Er musste plötzlich laut lachen. Abwechselnd blickte er von Sonia, die sein Lachen nicht erwiderte, zu seiner Tochter. Annie grinste glücklich. Ein Stückchen Champignon zierte ihre Nasenspitze.

Er wandte sich wieder Sonia zu. Plötzlich reizte sie ihn überhaupt nicht mehr. „Eigentlich habe ich Annie versprochen, dass wir uns heute Abend gemeinsam einen Film ansehen. Sobald wir gegessen haben, bringe ich dich nach Hause.“

„Das kommt mir sehr gelegen“, erwiderte sie kühl.

Auch Jonathon grinste jetzt. Er war überhaupt nicht enttäuscht, dass dies sein letztes Treffen mit Sonia Wakefield sein würde. Im Gegenteil! Er zwinkerte seiner Tochter zu. Sie zwinkerte zurück, wobei ihr das Pilzstückchen von der Nasenspitze fiel.

2. KAPITEL

„Mom, ich habe dich doch ausdrücklich gebeten, nicht noch einmal ein Blind Date für mich zu arrangieren“, protestierte Mary. Sie wickelte sich das Telefonkabel um den Finger, bis er blau wurde. „Das letzte Treffen war ein einziger Reinfall.“

„Roger war so ein netter und sympathischer junger Mann. Woher sollte ich denn wissen, dass er verheiratet ist?“, verteidigte Patricia sich.

„Und eine Frau hat, die ihm nachspioniert“, erinnerte Mary ihre Mutter. Beim Gedanken daran musste sie sich schütteln. „Es war ein Albtraum.“

„Darling, sieh es nicht als Blind Date an. Ich möchte doch nur dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge helfen. Anscheinend bist du ja nicht selbst in der Lage, einen geeigneten Mann zu finden“, sagte Patricia. Mary konnte direkt das selbstgefällige Lächeln ihrer Mutter sehen. „Ich glaube wirklich, du und Herman, ihr seid füreinander geschaffen.“

Mary seufzte tief auf und befreite ihren Finger von dem Kabel. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass der Mann, der zu ihr passte, Herman heißen sollte. „Oh Mom“, sagte sie resigniert und seufzte wieder. „Du kannst es einfach nicht lassen.“

„Mary! Ich erwarte von dir, dass du ihm eine Chance gibst. Herman Walsh ist ein großartiger Arzt, und er ist seit mehreren Jahren geschieden. Er sucht eine Frau, will aber keine Kinder mehr haben.“

„Was für ein Arzt ist er?“, fragte Mary. Sie wusste, dass ihre Mutter erst aufgeben würde, wenn sie zugestimmt hatte, mit Doktor Walsh auszugehen. Zumindest hatte der Mann einen Vorteil: Er wollte keine Kinder.

Autor

Carla Cassidy
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