Julia Ärzte zum Verlieben Band 124

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EIN PRINZ FÜR SCHWESTER AUBREY von GIANNA, ROBIN
Überrascht erkennt Schwester Aubrey, wer ihr neuer Boss in der Klinik in Venedig ist: Prinz Enzo! Vor zwei Monaten hat sie eine unvergessliche Liebesnacht mit ihm verbracht. Sofort prickelt es sinnlich, doch - anders als sie - scheint er nicht erfreut über ihr Wiedersehen …

NUR DU HEILST MEIN HERZ von O'NEIL, ANNIE
Um sein gebrochenes Herz zu heilen, reist Dr. Raphael Bouchon bis ans andere Ende der Welt. Bei seiner guten Freundin Maggie fühlt er sich so wohl wie lange nicht, verführt sie zu zärtlichen Küssen. Doch ehe er sich nicht der Vergangenheit stellt, hat ihre Liebe keine Zukunft …

LIEBESPAKT MIT DR. ANDERSON von ROBERTS, ALISON
Als Kinderärztin Kate im Urlaub ihren ehemaligen Studienkollegen Dr. Luke Anderson wiedertrifft, erinnert er sie an ihren Pakt: "Wenn wir mit fünfunddreißig immer noch Single sind, dann heiraten wir!" Plötzlich herrscht eine erregende Spannung zwischen ihnen …


  • Erscheinungstag 05.04.2019
  • Bandnummer 0124
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713485
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robin Gianna, Annie O’Neil, Alison Roberts

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 124

ROBIN GIANNA

Ein Prinz für Schwester Aubrey

Gegen seinen Willen spürt Prinz Enzo die unwiderstehlich sinnliche Anziehung, die von Schwester Aubrey ausgeht. Doch Vorsicht, er kann sich keine Affäre in der Klinik erlauben! Abgesehen davon, weiß er nicht, ob er der sexy Amerikanerin wirklich vertrauen kann. Hat sie zufällig den Job bei ihm angetreten? Oder ist sie etwa eine raffinierte Mitgiftjägerin?

ANNIE O’NEIL

Nur du heilst mein Herz

Raphael … groß, dunkelhaarig und attraktiv. Als Maggie ihren ehemals besten Freund wiedersieht, schlägt ihr Herz höher. Schon damals, als sie ihn in Paris kennenlernte, hat sie heimlich für ihn geschwärmt. Jetzt scheint er plötzlich ihre Gefühle zu erwidern. Aber je näher sie ihrem Traummann kommt, desto deutlicher merkt sie, dass er etwas vor ihr verbirgt …

ALISON ROBERTS

Liebespakt mit Dr. Anderson

Dr. Luke Anderson hat nach seiner Scheidung den Glauben an die Liebe aufgegeben. Doch als er zufällig seine Studienfreundin Kate trifft, knistert es plötzlich zwischen ihnen. Und er erinnert sich an den Pakt, den er einst mit Kate geschlossen hat: Wenn sie mit fünfunddreißig noch immer Single sind, dann heiraten sie … Vielleicht gar keine schlechte Idee, oder?

1. KAPITEL

Aubrey Henderson hielt das Gesicht in die Brise und atmete tief den unverwechselbaren Duft der Lagune ein. Lächelnd genoss sie den Anblick der glanzvollen Kulisse, die mit leuchtenden Farben und historischer Architektur von bewegter Geschichte erzählte.

Venedig.

War es nicht wundervoll, dass sie hier einen Job ergattert hatte? Sie war schon einmal hier gewesen, zwei Tage nur, bevor sie als Krankenschwester in Rom angefangen hatte, doch jene Stunden waren bis heute unvergesslich geblieben.

Einschließlich ihrer heimlichen und sicher unklugen, aber überwältigenden Affäre mit Enzo Affini. Allein schon bei dem Gedanken an die Nacht mit ihm schlug ihr dummes Herz schneller. Gleichzeitig versetzte es ihr jedes Mal wieder einen kleinen Stich, dass er nichts von sich hatte hören lassen, nachdem sie sich damals in den frühen Morgenstunden getrennt hatten. Hätte er sie in Rom nicht wenigstens anrufen können? Zumal er ja wusste, dass sie um diese Zeit nach Venedig zurückkehren würde!

Es war nicht ausgeschlossen, dass sie sich hier über den Weg liefen. Die Vorstellung ließ ihre Nerven flattern, und gleichzeitig ärgerte sie sich darüber.

Mach dich nicht lächerlich, schimpfte sie mit sich. Besser, sie konzentrierte sich darauf, warum sie in die Lagunenstadt gekommen war. Es hatte nicht das Geringste mit einem atemberaubenden italienischen Prinzen zu tun, der an seinen letzten One-Night-Stand keinen Gedanken mehr verschwendete.

Nein, sie war hier, um ihre Freundin Shay zu unterstützen, die vor Kurzem Enzos Bruder Dante geheiratet hatte. Aubrey freute sich darauf, in der Klinik zu arbeiten und die Gesellschaft für den Erhalt bau- und kunsthistorischer Schätze zu besuchen, der sie im Gedenken an ihre Mutter hohe Spendensummen gestiftet hatte.

Ihre Mom war von Venedig und seiner Geschichte schon immer begeistert gewesen. Ihre Flugangst und die Scheu vor großen Menschenansammlungen hielten sie jedoch davon ab, die Stadt zu besuchen. Stattdessen „adoptierte“ sie zusammen mit ihrer Tochter ein Fresko, indem sie vor ihrem Tod verfügte, für dessen Restauration aufzukommen. Aubrey wollte sich das Wandgemälde ansehen. Es würde eine traurige Erfahrung sein und wundervoll zugleich, weil ihre Mutter als Denkmalschützerin von New England aus über den großen Teich hinweg wirkte. Der Gedanke entlockte Aubrey ein Lächeln und drängte Enzo Affini endgültig in den Hintergrund.

Du wirst nicht mehr an ihn denken. Punkt.

Beschwingt lief sie durch steinerne Passagen, an farbenfrohen Häusern vorbei, über zahlreiche pittoreske Brücken, dann über eine piazza zu der Klinik, in der sie die nächsten vier Monate arbeiten würde.

Als sie die breite Glastür öffnete, ertönte ein feiner Glockenton. Drinnen, an einem spartanisch wirkenden Empfangstisch, saß eine sympathisch aussehende Frau mittleren Alters. Aubrey hatte gehört, dass die meisten Venezianer fließend Englisch konnten, aber sicher freuten sie sich darüber, wenn jemand sich bemühte, ihre Sprache zu sprechen. Und ein bisschen hatte sie ja schon gelernt!

„Buongiorno. Mio nome è Aubrey Henderson. Sono qui … per lavorare.“

Sie suchte nach Worten, gab es bei der freundlich amüsierten Miene ihres Gegenübers jedoch auf. Wahrscheinlich war ihre Aussprache katastrophal!

„Ich bin Krankenschwester der United World Wide Health Association und fange heute hier an.“

„Willkommen bei uns, wir haben Sie schon erwartet. Und lassen Sie uns Englisch sprechen, ja?“ Die Frau lächelte.

„Gern.“ Erleichtert erwiderte Aubrey das Lächeln. „Ich versuche gerade, Italienisch zu lernen, aber es scheint noch nicht so gut zu klappen.“

„Eine Sprache zu lernen, braucht Zeit, doch im Umgang mit unseren Patienten werden Sie viel aufschnappen. Ich bin Nora, fragen Sie mich jederzeit, wenn Sie etwas brauchen, ? Kommen Sie.“ Sie stand auf und deutete auf die Tür hinter ihr. „Ich zeige Ihnen, wo Sie Ihre Sachen lassen können. Wir sind ein kleines Team, und wie Sie sicher wissen, arbeiten täglich immer nur ein Arzt und eine Krankenschwester zusammen. Manchmal kann es da ziemlich hektisch werden. Unser Klinikleiter ist heute hier und wird Sie herumführen. Da er gerade bei einem Patienten ist, kann ich Sie nicht bekanntmachen. Stellen Sie sich selbst vor, wenn Sie ihn sehen? Ich kann meinen Platz hier nicht verlassen.“

„Natürlich, kein Problem.“ Aubrey folgte Nora einen hell erleuchteten Flur entlang.

Alles wirkte modern und makellos sauber.

Nora öffnete einen Wandschrank. „Hier können Sie Ihre Sachen unterbringen. Ihre Schwesternkleidung hängt schon da. Der Doktor müsste bald bei Ihnen sein.“

„Danke.“

Aubrey wollte schon ihre Handtasche einschließen, als sie sich fragte, ob sie nicht die Uniform anziehen sollte. Bestimmt würde sie sofort anfangen zu arbeiten, oder?

Sie überlegte, ob sie zur Rezeption zurückgehen sollte, um sich bei Nora zu erkundigen, verwarf die Idee jedoch wieder. Falls sie heute nur eine Einführung bekam, konnte sie sich schnell wieder umziehen. Und wenn es gleich mit der Arbeit losging, war sie wenigstens bereit.

In einem Badezimmer zog sie sich um. Als sie sich im Spiegel betrachtete, musste sie schmunzeln. Die Kleidung wirkte ein bisschen altmodisch im Vergleich zu dem, was Krankenschwestern heutzutage in den USA trugen. Die Räume waren jedoch hochmodern eingerichtet. Aubrey widerstand der Versuchung, Schubladen aufzuziehen und Schranktüren zu öffnen. Sicher war es höflicher zu warten, bis man sie dazu aufforderte.

Eine knappe Viertelstunde verstrich, ohne dass sie jemanden zu Gesicht bekam. Mit jeder Minute fühlte sie sich unbehaglicher. Vielleicht sollte sie sich doch mit dem Schrankinhalt vertraut machen? Dann wäre sie vorbereitet.

Kaum hatte sie einen Schrank geöffnet, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr.

Buongiorno. Sie sind sicher die neue Schwester aus den USA?“

Schuldbewusst fuhr sie zusammen, schlug die Tür zu und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln um.

Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie sah, wer vor ihr stand.

Enzo Affini. Der Mann, der sich immer wieder in ihre Gedanken schlich, seit sie nach Venedig zurückgekommen war. Der Mann, dessen Hände und Lippen auch die intimsten Stellen ihres Körpers berührt hatten. Der Mann, dem es nach ihrer leidenschaftlichen Liebesnacht nicht in den Sinn gekommen war, sie auch nur einmal anzurufen.

Aubrey nahm kaum den älteren Herrn neben ihm wahr, weil Enzo sie mit seinen dunklen Augen intensiv betrachtete. Sekundenlang wagte sie kaum Luft zu holen.

Enzo erholte sich schneller von dem Schock als sie, trat neben sie und entnahm etwas dem Schrank, den sie kurz zuvor geöffnet hatte. Danach sprach er mit dem älteren Herrn und ging mit ihm den Flur hinunter Richtung Empfang.

Aubrey sank gegen den Schrank, die Hand aufs Herz gepresst. Schaffte sie es zu verschwinden, bevor er wiederkam? Aber was würde das bringen? Sie wollte hier in Venedig arbeiten. Konnte sie etwas dafür, dass er ausgerechnet in dieser Klinik Arzt war?

Langsam richtete sie sich auf, während sie versuchte, das innere Zittern zu überwinden.

Da kam er auch schon zurück. Aubrey straffte die Schultern und sah ihm entgegen, um eine professionelle Miene bemüht. Sein Gesichtsausdruck war ein völlig anderer als damals in jenen frühen Morgenstunden, als sie sich getrennt hatten. Seine Augen waren voller Wärme gewesen, die sinnlichen Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen.

Jetzt hingegen wirkte sein Mund hart, und zwischen seinen dunklen Brauen grub sich eine strenge Falte in die Haut.

„Welch eine Überraschung, Aubrey“, sagte er kühl. „Woher wusstest du, dass ich hier arbeite?“

Sie hätte schon blind und taub sein müssen, um nicht zu merken, dass er absolut nicht erfreut war, sie zu sehen! Es tat weh, doch dann gewann Ärger die Oberhand. Was wollte Enzo andeuten? Hielt er sie für eine Stalkerin?

„Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht einmal, dass du Arzt bist. Du hast es praktischerweise nicht erwähnt.“

„Du wusstest, dass Dante Arzt ist.“

„Ach, und daraus muss ich schließen, dass du auch einer bist? So wie du von der Restauration der alten Gebäude hier gesprochen hast, dachte ich, du bist Architekt oder Bauunternehmer. Du dagegen wusstest, dass ich Krankenschwester bin.“ Außerdem hatte sie anderes im Sinn gehabt als die Frage, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Doch das sagte sie nicht. Anscheinend hatte er die magische Anziehung zwischen ihnen längst vergessen … wie es zwischen ihnen geknistert hatte, wie sie kaum die Hände voneinander lassen konnten.

Enzo Affini gefiel es anscheinend gar nicht, dass sie in seiner Klinik aufgekreuzt war!

Damit war auch klar, dass er nie vorgehabt hatte, sich bei ihr zu melden, wenn sie wieder in Venedig war. Aubrey wusste nicht, auf wen sie mehr wütend sein sollte: auf ihn oder auf sich selbst, weil sie so enttäuscht war.

„Ich dachte, du arbeitest mit Shay zusammen im Krankenhaus.“

„Dein Irrtum.“ Sie hob das Kinn und fixierte ihn mit festem Blick. Es gelang ihr sogar, nicht zusammenzuzucken, als er sie ansah wie etwas, das aus dem Kanal gekrochen war.

Schließlich seufzte Enzo resigniert und schob die Hände in die Taschen seiner Anzughose, die genauso perfekt saß wie die Jeans, die Aubrey ihm bei ihrer letzten Begegnung buchstäblich vom Leib gerissen hatte. Auch das Hemd unter dem offenen weißen Arztkittel verriet, was für ein athletischer Körper sich darunter verbarg. Ein Körper, den sie in allen glorreichen Einzelheiten hatte bewundern dürfen.

Mistkerl!

„Aubrey, wir hatten … eine nette Zeit. Aber das hier ist problematisch.“

Nett? Der beste Sex ihres Lebens war für ihn nur … nett gewesen?

„Wieso?“, fragte sie, ihr Tonfall eine einzige Herausforderung. Insgeheim kochte sie vor Wut. „Was wir hatten, liegt längst hinter uns. Jetzt haben wir eine rein professionelle Beziehung, was für mich überhaupt kein Problem ist.“

„Hör zu.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das schwarz glänzende Haar. „Ich halte es für besser, dass wir uns etwas anderes überlegen.“

Etwas anderes. Aufsteigende Panik fegte ihren Ärger hinweg. Nora hatte gesagt, dass er die Klinik leitete. Konnte er sie einfach vor die Tür setzen? Im Krankenhaus waren keine Stellen frei. Wenn sie nun in ganz Venedig keinen Job fand?

„Enzo, warum können wir nicht …“

„Dr. Affini?“ Nora eilte den Flur entlang, gefolgt von einem etwa siebenjährigen Jungen. Blut tropfte aus seiner zerrissenen Hose und hinterließ eine dunkelrote Spur auf dem Fußboden. „Benedetto Rossi ist mit dem Fahrrad gestürzt. Ich habe versucht, seinen Vater und seine nonna anzurufen, aber niemanden erreicht. Ich probiere es gleich noch einmal.“

„Danke, Nora.“ Enzos grimmige Miene machte einem warmen Lächeln Platz, als er sich an den Jungen wandte. „Bist du wieder zu schnell in die Kurve gerast?“, fragte er auf Englisch.

Benedetto antwortete mit einem italienischen Wortschwall und gestikulierte dabei heftig. Enzo legte ihm beruhigend die Hand auf die Schultern und führte ihn in ein Untersuchungszimmer, den Kopf leicht gesenkt, während er dem Jungen aufmerksam zuhörte. Aubrey folgte ihnen. Enzo mochte sie vielleicht nicht hierhaben, aber vielleicht konnte sie ihm beweisen, dass er sie brauchte.

„Komm, setz dich.“ Enzo hob das Kind auf die Liege. „Und sprich bitte Englisch. Dein papà möchte, dass du die Sprache übst. Die nette Schwester hier ist Amerikanerin, für dich also die beste Gelegenheit. So, und jetzt sehe ich mir mal dein Bein an, okay?“

Benedetto nickte und holte hörbar tief Luft, als Enzo vorsichtig das zerfetzte Hosenbein hochrollte. Darunter kam eine große blutende Schürfwunde zum Vorschein. Es sah zwar nicht so aus, als würde sie genäht werden müssen, aber noch waren Knochenbrüche nicht auszuschließen.

Zeit für Aubrey, an Ort und Stelle zu beweisen, wie sehr sie der Klinik nutzen konnte. Bevor Enzo sie zur Tür hinauskomplimentierte, weil sie „netten Sex“ mit ihm gehabt hatte!

Sie schluckte ihren Ärger, ihre Sorgen und auch die Kränkung hinunter und öffnete Schubladen, fand schließlich, was sie zur Blutstillung brauchte. Anschließend wusch sie sich gründlich die Hände und zog Handschuhe an.

„Da hast du dir ja eine fiese Schramme geholt“, sagte sie und lächelte Benedetto an, um ihn zu beruhigen. Und sich selbst auch, wie sie sich eingestand. Sie war froh, dass Enzo das Kind aufgefordert hatte, Englisch zu sprechen, sonst hätte sie kaum ein Wort verstanden. „Du scheinst ein tapferer Junge zu sein. Ist dein Fahrrad in Ordnung?“

„Nein.“ Er machte wieder ein ängstliches Gesicht. „Das Rad ist verbogen und der Reifen platt. Papà wird böse sein.“

„Bestimmt nicht, wenn er sieht, dass du verletzt bist.“

„Doch.“ Mit großen Augen blickte er Enzo an. „Und nonna auch. Ich sollte Brot und seppioline kaufen, aber ich wollte erst noch mit Lucio spielen. In seiner Straße bin ich dann mit dem Rad hingefallen.“

„Mach dir keine Sorgen.“ Enzo richtete sich auf und schenkte ihm ein Lächeln, das er sich zur Patientenberuhigung patentieren lassen sollte. Obwohl es bei ihr nicht wirken würde … oder jedenfalls anders. Aubrey fand es unglaublich aufregend! „Zuerst stoppen wir die Blutung, und dann röntgen wir dein Bein, um nachzuschauen, ob nichts gebrochen ist. Gut, dass dein papà das letzte Mal die nötigen Papiere unterschrieben hat, dass ich dich behandeln darf.“

„Röntgen?“ Tränen stiegen dem Kleinen in die Augen. „Glaubst du, mein Bein ist gebrochen?“

„Nein, aber ich möchte ganz sichergehen, dass das nicht der Fall ist.“ Enzo tätschelte ihm die Schulter und fügte nach einem Seitenblick auf Aubrey, die gerade die Wunde säuberte, hinzu: „Wie ich sehe, hast du das im Griff. Ich hole das Röntgengerät.“

„Ja, Doktor“, antwortete sie kühl und professionell, starrte dabei auf das verletzte Bein, um nicht in Enzos attraktives Gesicht blicken zu müssen. Der Mann sah einfach verboten heiß aus …

Wenige Minuten später kehrte er zurück und rollte den Apparat zur Liege. „Deine Hose ist hin, Benedetto, und ich schneide sie lieber auf, als sie über die Wunde zu streifen.“

„Was? Und wie soll ich ohne Hose nach Hause kommen?“

„Für solche Fälle haben wir immer Ersatzkleidung hier. Schwester Aubrey findet sicher etwas, das dir passt. Röntgen tut nicht weh, und du kannst dir hinterher sogar ein Bild von deinen Knochen ansehen. Das wird dir gefallen.“

Sanft und behutsam hob Enzo das betroffene Bein an, um die Röntgenplatte unter die Wade zu legen. Aubrey konnte nicht umhin, ihn dafür zu bewundern, wie er mit seinem kleinen Patienten umging. Er brachte das Kerlchen sogar zum Lachen, und die Tränen schienen endgültig versiegt.

Enzo richtete seine dunklen Augen auf sie. „Es wird nicht lange dauern, bis die Bilder entwickelt sind.“

„Ich warte mit dem Wundverband, bis du einen Blick darauf geworfen hast. Und suche eine Hose heraus. Es sei denn, Benedetto, du möchtest die tragen, die ich mitgebracht habe? Mit Blümchen drauf, ist hübsch.“

„Bäh, nein!“, rief er entsetzt aus, fing aber an zu lachen. Also hatte er gemerkt, dass sie nur Spaß gemacht hatte.

Lächelnd zwinkerte Enzo ihr zu, und sofort erinnerte sie sich an ihre erste Begegnung. Genau dieses Lächeln hatte ihr damals den Kopf verdreht.

„Stell dir vor, Aubrey, wie Benedetto in Blümchenhose am Fischmarkt auftaucht“, sagte er schmunzelnd. „Die Fischer werden ihren Spaß haben.“

„Ich will sie nicht tragen, aber ich möchte dich damit mal sehen, Schwester Aubrey! Ich mag Blümchen bei Mädchenkleidung.“

Enzo lachte auf, und Aubrey musste aufpassen, dass sie nicht seine sexy Lippen anstarrte. „Du bist mir einer, Benedetto!“, sagte er sichtlich amüsiert. „Bin gleich wieder da.“

Aubrey wurde ein bisschen leichter ums Herz. Die letzten Minuten hatten bewiesen, wie gut sie zusammenarbeiteten! Sie wollte Venedig auf keinen Fall verlassen, bevor sie nicht herausgefunden hatte, wie mithilfe der Stiftung ihrer Mutter Restaurationsprojekte verwirklicht werden konnten. Außerdem brannte sie darauf, diese einzigartige Stadt zu erkunden.

Es musste doch möglich sein, mit Enzo Affini, mochte er auch noch so charmant sein, professionell umzugehen!

Aubrey unterhielt sich mit dem Jungen, bis Enzo zurückkam. Auch diesmal genügte ein Blick auf seinen Arztkittel und das weiße Hemd darunter, dass sie sich an seinen starken Körper erinnerte, an die glatte, sonnengebräunte Haut und die feinen schwarzen Härchen auf seiner muskulösen Brust. Ihr wurde warm, und sie hätte sich gern eingeredet, dass sie immer noch wütend auf ihn war. Leider fühlte sie sich gefährlich stark zu ihm hingezogen – obwohl er sie verletzt hatte und sie eigentlich auf Distanz gehen wollte. Was war nur mit ihr los?

„Gute Neuigkeiten, Benedetto. Kein Knochen gebrochen.“ Enzos Worte hellten die Stimmung im Raum spürbar auf. „Schwester Aubrey wird dein Bein verbinden, und ich sehe mir mal dein Fahrrad an. Vielleicht kann ich es reparieren. Steht es draußen?“

„Sì.“ Die Augen des Jungen leuchteten auf. „Kannst du das?“

„Zumindest werde ich es versuchen. Aubrey, wenn du fertig bist, legst du bitte eine Tube antibiotischer Salbe bereit, die wir seinem papà nachher mitgeben können? Und im Schrank neben deinem findest du sicher eine Hose, die Benedetto passt.“

„Mache ich, okay.“ Sie blickte ihm nach, und ihre guten Vorsätze lösten sich in Luft auf. Es war aber auch zu verlockend, sein dichtes dunkles Haar zu bewundern, die breiten Schultern und seinen geschmeidigen Gang.

Schluss damit! Aubrey schlug sich in Gedanken auf die Finger und wandte sich wieder zu Benedetto um. Enzo mochte wunderbar mit seinem kleinen Patienten umgehen und ihm sogar das Rad flicken, um den Jungen glücklich zu machen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er ihr mit dem Vorwurf, sie würde ihm nachstellen, unrecht getan hatte.

Bald darauf hatte sie Benedettos Bein fachgerecht bandagiert. „Ich sehe mal nach einer Hose für dich, ja?“, sagte sie lächelnd und verließ das Zimmer.

Im ersten Schrank lag ein ordentlicher Stapel aller möglichen Kleidungsstücke. Nur eine Hose war nicht dabei. Im nächsten fand sie Laufshorts, ein paar T-Shirts und eine graue Jogginghose. Aubrey öffnete weitere Schränke, wurde aber nicht weiter fündig. Also nahm sie die Sporthose, holte ihr Nähetui aus der Handtasche und zeigte Benedetto ihren Fund.

„Etwas anderes kann ich dir leider nicht anbieten. Sie ist viel zu groß für dich, aber ich mache sie passend, so gut es geht, okay?“

„Okay“, antwortete Benedetto skeptisch. „Wie willst du das schaffen? Die ist riesig.“

„Ach, ich habe da so meine Fähigkeiten, junger Mann. Wart’s ab. Kannst du dich mal hinstellen?“

Sie half ihm von der Liege herunter und hielt ihm die Hose in Taillenhöhe an. Die Beine waren einen knappen halben Meter zu lang. Aubrey markierte die richtige Länge, nahm eine Schere aus der Schublade und schnitt alles Überflüssige ab. Danach durchtrennte sie den elastischen Hosenbund, schnitt auch hier großzügig Stoff heraus und nähte ihn wieder zusammen, während Benedetto ihr geduldig zusah.

„Prego!“, verkündete sie zufrieden und hielt ihm die Hose hin. „Schlüpf rein, mal sehen, ob das so geht.“

Als er die Hose anhatte, blickte er an sich hinunter und dann Aubrey an. Mit einem strahlenden Lächeln. „Passt! Ich hätte nicht gedacht, dass du das hinkriegst. Vielen Dank!“

„Gern geschehen. Hier ist auch die Salbe, die Dr. Affini für deinen Dad oder deine nonna am Empfang hinterlegen will. Und jetzt sehen wir mal nach, was er mit deinem Fahrrad gemacht hat.“

Aubrey versuchte, ihrem plötzlichen Herzklopfen keine Bedeutung beizumessen, als sie die piazza betraten, und dafür ihren Ärger auf den Mann heraufzubeschwören, der gerade vor ihnen auf dem Bürgersteig kniete. Den Kopf über das Jungenfahrrad gebeugt, hantierte er mit einem Schraubenschlüssel. Enzo hatte den Arztkittel ausgezogen und die Krawatte zwischen seine Hemdknöpfe geschoben. Die Vormittagssonne zauberte Glanzlichter in sein Haar, während er sich mit leicht zusammengekniffenen Augen auf seine Aufgabe konzentrierte.

„Kannst du es reparieren, Dr. Affini?“ Benedetto klang besorgt und hoffnungsvoll zugleich.

„Es ist so gut wie neu. Damit bist du schnell wie der Wind.“ Enzo erhob sich und pumpte den Reifen auf. Sichtlich zufrieden rieb er sich die Hände und lächelte den Jungen an. „Wie geht’s deinem Bein?“

„Gut, danke. Ich kaufe noch die Sachen für meine nonna, und dann fahre ich gleich nach Hause.“

„Ich gebe dir ein paar Informationen für deinen papà und deine nonna mit, damit sie wissen, wann der Verband gewechselt werden muss, und was noch wichtig ist.“ Er zog ein gefaltetes Blatt aus seiner Tasche und sah Aubrey an. „Hast du die Salbe am Empfang hinterlegt?“

„Ich habe sie Nora gegeben, nachdem wir ihn mit einer neuen Hose ausgestattet hatten.“

Bene. Die …“ Er stutzte, als er die Hose betrachtete, und fing dann schallend an zu lachen.

„Was ist?“ Aubrey fuhr die Krallen aus. Machte er sich etwa über ihre Nähkünste lustig? „Ich habe nichts anderes gefunden, deshalb habe ich eine Männerhose passend gemacht.“

„Das sehe ich. Sie steht dir ausgezeichnet, Benedetto. Sehr gut.“ Enzo drückte ihn väterlich an sich. „Flitz los, mein Junge, und komm morgen wieder, dann sehe ich mir dein Bein noch einmal an. Sag deiner nonna oder deinem papà, dass sie mich vorher gern anrufen können, falls sie Fragen haben.“

„Okay. Papà ist bestimmt nicht sauer, weil mein Rad wieder in Ordnung ist. Danke!“

Aubrey beobachtete, wie der Junge vorsichtig aufstieg und langsam davonradelte.

„Jetzt passt er gut auf“, meinte sie lächelnd.

„Nicht mehr lange, da bin ich sicher.“ Amüsiert blickte Enzo sie an. „Gut, dass du die Hose gekürzt hast, sonst hätte sie sich in der Kette verfangen und den nächsten Sturz verursacht.“

„Warum hast du dich eigentlich über meine Näharbeit lustig gemacht?“

„Habe ich nicht. Ich musste nur lachen, weil es meine Hose war.“

Aubrey blieb fast der Mund offen stehen. „Was? Sie lag in dem Schrank, in dem ich nachsehen sollte. Mit einer Shorts und T-Shirts und …“ Die sorgfältig aufeinandergelegten Kleidungsstücke vor Augen, ging ihr plötzlich ein Licht auf. Warum war ihr nicht gleich aufgefallen, dass sie alle in einer Größe waren – im Gegensatz zu dem Sammelsurium im Nachbarschrank? Ihre Wangen wurden heiß. So viel dazu, sich hier unentbehrlich zu machen! „Es tut mir leid, wirklich leid. Ich dachte …“

„Aubrey.“ Er legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. „Alles in Ordnung. Manchmal, wenn es in der Klinik ruhig ist, gehe ich laufen. Dafür habe hier ich ein paar Sportklamotten liegen. Damit hast du Benedetto gerettet. Unter uns gesagt, sein Vater hat etwas altmodische Erziehungsansichten und kann sehr streng werden, wenn der Junge Fehler macht. Es ist gut, dass er nicht in blutverschmierter, zerrissener Hose und mit einem kaputten Fahrrad zu Hause auftauchen muss.“

„Und seine Mutter?“

„Sie ist vor einigen Jahren gestorben.“

Ihr zog sich das Herz zusammen. Wie furchtbar, so jung die Mutter zu verlieren! Aubrey hatte ihre Mutter siebenundzwanzig Jahre lang gehabt, und es erschien ihr nicht annähernd genug. „Armes Kerlchen“, sagte sie leise. „Gut, dass du sein Rad repariert hast.“

„Und dir danke, dass du ihm zu einer Hose verholfen hast. Wir Venezianer kümmern uns umeinander.“

Natürlich schloss sie das nicht ein, weil sie keine Venezianerin war, doch es fühlte sich trotzdem so an, als meinte er sie auch damit.

Was sie daran erinnerte, wie sehr sie sich wünschte, die nächsten Monate in dieser Stadt verbringen zu können. Enzo Affini dagegen hatte ihr vorhin deutlich klargemacht, dass er sie als Mitarbeiterin der Klinik nicht haben wollte.

„So.“ Aubrey straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. „Wir hatten uns über meinen Job und meine Zukunft hier unterhalten. Aber ich sage dir gleich, dass ich nicht gehen werde.“

„Nein?“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, doch dann tauchte wieder die steile Falte zwischen den Brauen auf. „Und wenn der Direktor der Klinik, also meine Person, dir sagt, dass er darauf besteht? Dass er dir woanders in Italien eine Stelle besorgt?“

„Ich habe schon zwei Monate in Rom gearbeitet. Und ich bin nach Venedig gekommen, weil ich hier sein möchte. Habe ich dir nicht gerade bewiesen, wie gut wir zusammenarbeiten?“

„Aubrey, ich kann nicht versprechen, dass ich mich nicht wieder von dir verführen lasse.“

„Nicht ich habe dich verführt, sondern du mich! Und ich kann dir versprechen, dass es nicht wieder passieren wird. Du interessierst mich kein bisschen mehr!“ Und Pinocchio hätte an deiner Stelle jetzt eine lange Nase!

Enzos harte Gesichtszüge entspannten sich, als er vielsagend lächelte. „Das ist gelogen. Wollen wir uns darauf einigen, dass die Verführung von beiden Seiten ausging? Das ist ja das Problem. Ich kann mir hier an der Klinik keine Affäre erlauben.“

„Hör zu, wir haben uns an dem Abend nur getroffen, weil du mehr über Shay wissen wolltest.“ Was dich allerdings nicht davon abgehalten hat, mit ihm ins Bett zu steigen … „Es war eine einzige Nacht, und ich habe nicht das geringste Bedürfnis, sie zu wiederholen.“

„Und wenn ich das von mir nicht behaupten kann?“

Ob ihm klar war, dass er genauso rau und sexy klang wie in jener heißen Liebesnacht? Aubrey atmete bebend ein, als die Erinnerungen daran die Luft zwischen ihnen zum Knistern brachten. „Das ist dein Problem, nicht meins“, sagte sie bestimmt. „Außerdem kann es so schlimm nicht sein, da du mich danach kein einziges Mal angerufen hast.“

Oh, verflixt! Hatte sie das wirklich gesagt? Und damit ungewollt zugegeben, dass sie auf seinen Anruf gewartet hatte?

„Aubrey, ich …“

„Spar’s dir“, unterbrach sie ihn, um sich nicht irgendeine lahme Ausrede anhören zu müssen, die er sowieso nicht ernst meinte. „Lass uns besser überlegen, wie wir zusammenarbeiten. Warum sollen wir uns nicht wie flüchtige Bekannte verhalten und so tun können, als hätte es diese Nacht nie gegeben?“

„Das halte ich für schwierig. Was mich betrifft jedenfalls.“

„Könntest du bitte diesen Tonfall lassen … und auch diese Art von Bemerkungen? Beides passt nicht zu einer professionellen Beziehung.“

„Wo ist das Problem? Ich dachte, du interessierst dich nicht mehr für mich?“

Ihr verräterisches Herz zitterte, und sie wusste, dass es sehr schwer werden würde, so viel atemberaubender Männlichkeit zu widerstehen.

„Es ist kein Problem. Ich würde es begrüßen, wenn Sie mir jetzt die Klinik zeigen könnten, Dr. Affini. Schließlich muss ich Bescheid wissen, wenn ein Patient hereinkommt.“ Sie deutete zur Eingangstür. „Wollen wir?“

Enzo musterte die Frau, die ihn erwartungsvoll ansah. Ihr Blick war kühl, das hübsche Kinn leicht erhoben, ihre Haltung aufrecht. Er dachte daran, wie er von ihren faszinierenden Augen auf Anhieb verzaubert gewesen war und sich gefragt hatte, wer sie war und woher sie kam. Und welche Geschichte dahintersteckte, dass Aubrey mit ihrer Freundin Shay hier in Venedig auftauchte. Shay, die von seinem Bruder schwanger war.

Noch immer konnte er nicht sagen, ob die beiden Frauen sich zwei Ärzte angeln wollten, die zufällig auch zum italienischen Adel gehörten. Über die Medien war allgemein bekannt, dass die Brüder ihre nicht unbeträchtliche Erbschaft nur antreten konnten, wenn sie bis zu ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr verheiratet waren.

An jenem Abend hatte er mit Aubrey nur reden wollen, aber Reden und Lachen hatten zu leidenschaftlichen Küssen geführt, zu erregenden Berührungen und … zu einer äußerst leidenschaftlichen Nacht, die er bis heute nicht vergessen hatte.

Leider war es eine ziemlich dumme Idee gewesen, sich mit einer Frau einzulassen, während er versuchte, sein Erbe zu retten. Zumal er nicht sicher war, ob er dieser Frau vertrauen konnte.

Und nun war sie hier und so betörend schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Obwohl sie in ihrer Schwesternkleidung verdammt sexy aussah, fragte er sich, ob es wirklich Zufall war, dass sie ausgerechnet jetzt einen Job in seiner Klinik antrat.

„Es wäre besser, wenn du woanders arbeitest“, sagte er rundheraus. „Ich werde mich mit dem Krankenhaus und den anderen Kliniken in Verbindung setzen. Zwar kann ich nicht versprechen, dass ich in Venedig etwas für dich finde, aber in Verona und Padua ist sicher irgendwo eine Stelle frei.“

„Das ist doch albern.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte ihn mit einem Blick, bei dem ein weniger willensstarker Mann eingeknickt wäre. „Du brauchst hier eine Krankenschwester, sonst hätte man mich nicht eingestellt. Ich will den Job, ich bin dafür qualifiziert, und ich kann sofort anfangen. Habe ich das bei Benedetto nicht bewiesen?“

„Ja, aber das ist nicht das Problem.“

„Willst du ernsthaft behaupten, dass du in Gegenwart von Frauen so schwach und chauvinistisch bist, dass du nicht in der Lage bist, dich mir gegenüber professionell zu verhalten?“

„Wie bitte? Natürlich nicht!“ Enzo wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. „Dafür, dass du erreichen willst, dass dein Chef dich behält, nimmst du den Mund reichlich voll.“

„Und du? Wie kannst du mir unterstellen, dass ich mich hier nur beworben habe, um dir nachzustellen?“ Sie trat auf ihn zu und stieß ihm den Zeigefinger gegen die Brust. Ihre blaugrauen Augen blitzten. „Ich kann dir das Schreiben der UWWHA zeigen, das meine Einstellung bestätigt – und zwar lange, bevor wir uns kennengelernt haben! Wegen eines einzigen Fehlers vor zwei Monaten werde ich nicht auf diesen Job verzichten. Wir werden also wohl oder übel miteinander auskommen müssen.“

Enzo griff nach ihrer Hand, wollte sie beiseiteziehen und endete doch damit, dass er sie an seine Brust presste. „Ein Fehler? In jener Nacht schienst du das nicht zu denken.“

„Damals wusste ich nicht, was ich jetzt weiß.“ Sie entriss ihm ihre Hand. „Du auch nicht. Deshalb werden wir uns wie Erwachsene verhalten und wie Erwachsene zusammenarbeiten. So, und jetzt führ mich bitte herum, bevor noch mehr Patienten auftauchen.“

Er musste ein Lächeln unterdrücken. Ihre Schönheit, zusammen mit ihrem entschiedenen Auftreten und einem feinen Sinn für Humor, hatte ihn von Anfang an angezogen. Ja, sie war unwiderstehlich – auch wenn ihm klar war, dass er sehenden Auges ins Unglück rannte, falls er zuließ, dass sie hier arbeitete.

Dio. Enzo seufzte, ging um sie herum und öffnete die Tür. „Ich habe das dumme Gefühl, dass die kommenden Monate für mich zu einer Herausforderung werden, von denen ich zurzeit bereits mehr als genug habe“, meinte er. „Auf geht’s, Aubrey Henderson. Ich zeige dir sämtliche Fallstricke, wenn du versprichst, mich nicht daran aufzuknüpfen.“

„Ich gebe grundsätzlich keine Versprechen, die ich vielleicht nicht halten kann“, meinte sie zuckersüß, in ihren Augen ein triumphierendes Lächeln. Enzo erinnerte sich, dass er diesem neckenden Blick schon einmal verfallen war. „Aber ich gebe mein Bestes, Dr. Affini. So viel kann ich versprechen.“

Aubreys Begeisterung für ihre Arbeit hielt nicht nur nach Tagen noch an, sondern war sogar noch gewachsen. Kam das Klinikschild in Sicht, ging sie unwillkürlich schneller, weil sie es kaum erwarten konnte, ihren Dienst anzutreten. Und das trotz der leichten Spannungen zwischen Enzo Affini und ihr.

Warum um alles in der Welt war sie bloß gleich am ersten Abend mit ihm ins Bett gegangen? Ein Riesenfehler, wie sie inzwischen wusste! Hatte sie damals nicht gleich vermutet, dass er nur deshalb angeboten hatte, ihr Venedig zu zeigen, um sie über Shay auszufragen?

Dennoch hatte sie dem attraktiven Mann nicht widerstehen können. Wie dumm kann man nur sein!

Aber jetzt wollte sie sich einzig und allein auf ihre Arbeit konzentrieren. Es machte ihr viel Freude, sich um die Touristen zu kümmern, und sie war froh, dass sie sich von Enzo nicht hatte vertreiben lassen.

Aubrey zog sich um und warf einen Blick in den Spiegel des Umkleideraums. Die weiße Schwesternuniform stand ihr ausgezeichnet und schmeichelte ihrer Figur. Ob Enzo das Gleiche denkt? rannten ihre Gedanken in eine Richtung, mit der Aubrey nicht einverstanden war. Nun mach aber mal einen Punkt, schimpfte sie stumm. Mit dir stimmt doch was nicht, wenn du von einem Mann träumst, der sich anscheinend fragt, ob du hinter seinem Geld her bist!

Eine rein professionelle Beziehung, mehr war nicht drin. Kein Flirten, keine Küsse. In den letzten beiden Tagen hatte das ganz gut geklappt. Vielleicht konnte sie ja bald endgültig vergessen, was zwischen Enzo und ihr gewesen war?

Ja, klar. Träum weiter. Jedes Mal, wenn sie mit ihm allein im Zimmer war, knisterte die Luft.

Nora streckte den Kopf in den Umkleideraum. „Hier ist ein englisches Ehepaar, das einen Arzt sprechen möchte. Mr. und Mrs. Conway. Können Sie sich um sie kümmern?“

„Natürlich.“ Aubrey brachte die älteren Herrschaften in eins der Untersuchungszimmer. „Guten Tag, ich bin Aubrey Henderson, die diensthabende Schwester. Was können wir für Sie tun?“

„Ein Vogel hat mich angegriffen!“, rief die Frau aus. „Ein hässlicher schmutziger Vogel. Es tut weh!“

„Lassen Sie mich einmal sehen.“ Aubrey wollte schon die Tür schließen, als Enzo auftauchte, groß, breitschultrig und irritierend männlich.

„Was dagegen, wenn ich bleibe?“ Sein Gesicht war ausdruckslos, doch Aubrey entdeckte den Hauch eines amüsierten Funkelns in seinen dunklen Augen, der zweifellos dem theatralischen Auftreten der Patientin galt. „Ich muss doch sehen, wie unsere amerikanische Krankenschwester sich macht.“

„Natürlich“, antwortete Aubrey, bevor die Frau etwas sagen konnte. „Darf ich vorstellen: Dr. Affini … Mr. und Mrs. Conway.“

„Ich möchte, dass der Doktor sich das ansieht“, verlangte die Patientin energisch. „Es war wirklich ein widerwärtiger Vogel. Nicht, dass ich mir eine Krankheit eingefangen habe.“

„Mrs. Conway, nehmen Sie doch bitte auf der Liege Platz und zeigen Sie mir, wo es wehtut. Sir, Sie dürfen sich gern auf einen der Stühle dort setzen.“

„Genau oben auf dem Kopf, und es blutet auch!“ Sie hielt ein Papiertaschentuch hoch, auf dem einige Blutflecken zu sehen waren. „Was ist, wenn ich jetzt die Vogelgrippe oder so etwas habe?“

Aubrey streifte Handschuhe über und schob behutsam Mrs. Conways Haare auseinander. Sie fand eine kleine gerötete Stelle und inspizierte sie gründlich. „Ich kann mir vorstellen, dass das wehtut“, sagte sie schließlich. „Doch ich denke, es ist nichts Ernstes. Lassen Sie mich kurz ein Antiseptikum holen, um die Wunde zu reinigen.“

„Nichts Ernstes? Ich erzähle Ihnen mal, wie es passiert ist!“ Die Frau richtete sich kerzengerade auf und begann gestikulierend zu berichten. „Ich saß auf einer Bank an dem großen Platz, wo der Markusdom ist. Tauben spazierten da herum, die fand ich zu putzig. Um eine zu füttern, habe ich ein Bonbon aus meiner Handtasche geholt. Da stürzt doch dieser riesige schwarze Vogel vom Himmel herab und schnappt es der Taube einfach weg!“

Aubrey war gerade dabei, Tupfer und das Antiseptikum aus dem Schrank zu nehmen. Als sie sich wieder umdrehte, fiel ihr Blick auf Enzo, der sichtlich Mühe hatte, bei der dramatischen Schilderung nicht zu grinsen. Aubrey spürte, wie ihre Mundwinkel zuckten. Rasch wandte sie sich wieder der Patientin zu. „Und dann?“

„Also habe ich noch etwas aus der Tasche geholt, aber der scheußliche Vogel schnappt sich auch das, lässt es plötzlich fallen, fliegt auf und schlägt mir seine riesigen Schwingen ins Gesicht. Und dann landet er direkt auf meinem Kopf! Natürlich habe ich geschrien und bin aufgesprungen. Da hat er nach mir gepickt! Und zwar ordentlich! Ich kann froh sein, dass er mir kein Auge ausgestochen hat!“

Aubrey sah zu Enzo hinüber. Großer Fehler! Er konnte kaum noch ernst bleiben, kämpfte gegen das Lachen an, und sie fühlte ein albernes Kichern, prickelnd wie Sektbläschen in sich aufsteigen.

Sieh weg. Sieh ihn nicht an.

Schnell blickte sie den Ehemann der Patientin an. Der wirkte eher müde als besorgt. „Haben Sie sehen können, was es für ein Vogel war?“

„Ein schwarzer. Welche Sorte, kann ich nicht sagen. Ich bin kein Vogelkundler. Mittelgroß, gelber Schnabel.“ Er wandte sich an seine Frau. „Du hast es dir selbst zuzuschreiben. Wer füttert denn Tauben mit Pfefferminzbonbons? Der arme Piepmatz war so schockiert, dass er es dir heimzahlen wollte.“

„Hat man da noch Töne?“, plusterte sich seine Gattin empört auf. „Das ist der Dank dafür, dass ich ihm dreißig Jahre meines Lebens geschenkt habe!“

Ach, herrje! Aubrey hielt die Luft an, um nicht loszuprusten. „Ich … Ich denke, ich habe die Stelle gut reinigt, Mrs. Conway“, sagte sie schließlich.

„Was meinen Sie, Doktor? Glauben Sie nicht, dass ich mir eine böse Infektion zuziehe? Ein schmutziger Vogel auf einem schmutzigen Platz voller schmutziger Leute, das ist bestimmt gefährlich. Müssen Sie mir nicht ein Antibiotikum verschreiben?“

Beeindruckt verfolgte Aubrey, wie konzentriert er die winzige Wunde begutachtete, obwohl er genau wusste, dass die Patientin maßlos übertrieb. „Schwester Henderson hat die Stelle sorgfältig desinfiziert, Mrs. Conway. Ich bin sicher, dass nichts zurückbleiben wird. Falls Sie wider Erwarten doch Probleme damit haben, kommen Sie gern vorbei, dann schauen wir es uns noch einmal an.“

„Wir reisen morgen sowieso ab. Endlich! Was für eine Zeitverschwendung, hier um Hilfe zu bitten.“ Mit verkniffener Miene und deutlich unzufrieden, glitt sie von der Untersuchungsliege.

Was für eine unmögliche Person! Aubrey begleitete sie in die Empfangshalle, sehr darauf bedacht, beim Verlassen des Zimmers Enzo nicht anzusehen.

Als sie kurz darauf anfing, den Untersuchungsraum für den nächsten Patienten herzurichten, tauchte Enzo an der Tür auf. „Solche Patienten lieben wir doch“, meinte er todernst. „Das muntert uns auf bei allem, womit wir uns sonst herumschlagen müssen, oder?“

Sie konnte nicht anders, sie lachte hell auf. „Du hast ja so recht. Willst du wissen, was sie noch gesagt hat, bevor sie ging?“

Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Was denn?“

„‚Was weiß der Doktor schon von Vögeln? Der Mann ist ein Quacksalber!‘“

Sein schallendes Lachen war unwiderstehlich sexy. Aber auch laut. Aubrey zog ihn ins Zimmer und schloss hastig die Tür. „Schsch! Wenn sie nun wegen irgendetwas zurückkommen und uns hören?“

„Wobei?“

Sie blickte auf, sah tausend Teufelchen in seinen Augen tanzen. Neben dem Übermut las sie jedoch noch etwas anderes, etwas, das ihr Herz zittern und ihre Haut prickeln ließ.

Aubrey holte tief Luft. „Was soll das? Einen Moment bist du unfreundlich, und im nächsten wirfst du mit erotischen Anspielungen um dich. Waren wir uns nicht einig, dass wir professionell miteinander umgehen? Bin ich da die Einzige?“

„Ich sagte ja, dass ich es für keine gute Idee halte, wenn wir zusammenarbeiten. Weil mir gleich klar war, dass es für mich schwierig werden könnte.“

Oh, Hilfe. Warum sagte er so etwas? Dinge, die er mit dieser tiefen rauen Stimme nicht sagen sollte? Sehr lebendige Erinnerungen an jene gemeinsame Nacht kehrten zurück, und Aubrey wurde warm.

„Enzo.“ Mehr brachte sie nicht heraus, ihr Mund war auf einmal ganz trocken.

„Ja?“ Er kam näher, und sein männlicher Duft stieg ihr in die Nase. Ahnte er, was ihr durch den Kopf ging? Oder warum glitt sein Blick sonst zu ihrem Mund?

Es geschah nicht bewusst, dass sie die Lippen leicht öffnete und sich zu ihm neigte, wie in einem unwiderstehlichen Sog gefangen. Und als Enzo die Arme um sie legte und den Kopf senkte, da schaltete ihr Verstand völlig ab. Aubrey schloss die Augen, atemlos, voller Erwartung.

„Dr. Affini? Aubrey?“

Sie riss die Augen auf, verlor sich sofort wieder in seinem dunklen, glutvollen Blick. Die Zeit schien stillzustehen, Aubrey hörte ihr Herz pochen, bis sie beide gleichzeitig wieder zur Besinnung kamen. Sie trat zurück, als er sie losließ. Seine Brust hob und senkte sich wie nach einem tiefen Atemzug.

„Von Nora gerettet.“ Enzo sah sie noch einmal intensiv an, bevor er sich abwandte, um die Tür zu öffnen.

Aubrey blickte ihm nach, während er im Flur verschwand, und atmete dann hörbar aus. Sie steckte in Schwierigkeiten. Enzos oft genug geäußerten Bedenken nützten ebenso wenig wie ihre guten Vorsätze, eine rein kollegiale Beziehung zu ihm zu wahren. Sobald sie mit ihm allein war, vergaß sie alles.

Und Enzo schien es genauso zu gehen …

2. KAPITEL

Enzo war mehr als froh, dass die Versammlung der Restore Venice Association endlich begann. Die Teilnehmer suchten sich allmählich ihre Plätze, statt ihn mit Fragen zu löchern. Zu dem Haus, das ihm nicht länger gehörte. Darüber, dass der Abriss drohte, wenn er es nicht zurückbekam. Und dazu, was er denn unternehmen würde, um den Abbruch zu verhindern.

Er setzte sich weit nach hinten und widerstand dem Impuls, auf seinem Stuhl zusammenzusinken, um sich so gut wie unsichtbar zu machen. Ja, vielleicht war er feige. Aber er hatte einfach keine Antworten, obwohl er endlose Gespräche geführt hatte, um das Gebäude, das siebenhundert Jahre Familiengeschichte seiner Mutter repräsentierte, vor dem Zugriff eines Hotelinvestors zu retten. Bei dem Gedanken daran, dass es entkernt und komplett modernisiert werden sollte, verstärkte sich das Brennen in seiner Magengrube.

Enzo zog das Programm aus der Jacketttasche und wollte die Tagesordnung studieren, als er aus dem Augenwinkel im Gang eine Bewegung wahrnahm, leuchtend blau oder blaugrün. Er blickte auf und sah, dass es ein Kleid war, das einen aufregenden Körper umhüllte – falls man von der Rückansicht auf den Rest schließen konnte. Der Stoff betonte wohlgeformte weibliche Hüften, die sich bei jedem Schritt sexy bewegten.

Wer ist das? Er kannte die meisten Leute, die zu diesen Treffen kamen, und an diesen Körper würde er sich erinnern. Die Frau wandte den Kopf und lächelte den Mann an, der aufgestanden war, damit sie zu dem freien Platz neben ihm gelangte. Enzo schnappte nach Luft.

Aubrey.

Was zum Teufel machte sie hier?

Ihr seidiges goldbraunes Haar streifte ihre Wange, und er sah, wie sie es mit schlanker Hand hinters Ohr schob, während sie mit der anderen in ihrer Tasche suchte. Gleich darauf zog sie das gleiche Programmheft hervor, das er gerade hatte inspizieren wollen.

Bisher hatte er es geschafft, mit Aubrey zusammenzuarbeiten, ohne zu streiten oder, schlimmer noch, sie zu küssen … wenn man von dem gestrigen Beinahe-Ausrutscher einmal absah. Doch jetzt kehrte sein Misstrauen zurück. Erst tauchte sie als neue Mitarbeiterin in seiner Klinik auf, und nun erschien sie auch noch auf einer Kunst- und Architektur-Veranstaltung, die nur von Venezianern und Akademikern ausländischer Universitäten besucht wurde?

Touristen verirrten sich nie hierher. Auch Italienerinnen und Italiener aus anderen Regionen nicht, da jede Gegend ihren eigenen Förderkreis zum Schutz historischer Stätten hatte. Enzo fiel nur ein einziger Grund ein, warum Aubrey sich hier eingeschlichen hatte: Sie wollte noch mehr in sein Leben drängen. Zweifellos wusste sie alles über seine familiären Probleme und sein geliebtes Haus, in dem sie zufällig gerade wohnte.

Wie hatte sie erfahren, dass das Anwesen ihm gehörte und er es an die UWWHA vermietet hatte, während er die Restaurierung plante? Und dass sein Vater es einfach verkauft hatte?

Seine Gedanken verketteten sich zu unheilvollen Assoziationen. Wenn Aubrey charmant und verführerisch versuchte, sich an ihn heranzumachen, um sich eine gute Partie zu sichern, bedeutete das dann, dass Shay das Gleiche mit seinem Bruder gemacht hatte?

Das alles konnte doch kein Zufall sein!

Am besten stellte er sie offen zur Rede.

Enzo schenkte den Rednern vorn am Pult kaum Beachtung, weil er sich mit der Frage herumschlug, ob er Aubrey schon in der Pause ansprechen oder damit bis zum Ende der Veranstaltung warten sollte.

In der Pause war er noch zu keinem Ergebnis gekommen, aber da wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Er schenkte sich gerade einen Kaffee ein, als wieder das blaugrüne Kleid in seinem Blickfeld auftauchte. Enzo drehte sich in die Richtung und sah Aubrey auf ihn zumarschieren, mit angriffslustiger Miene auf ihrem schönen Gesicht.

„Nur damit du es weißt: Ich hatte keine Ahnung, dass du heute hier sein würdest!“

„Ach nein?“ Die Frau konnte anscheinend Gedanken lesen. „Warum bist du dann hier?“

„Weil mich Venedigs Zukunft interessiert. Der Erhalt seiner Gebäude und Kunstwerke.“

„Meine aktuelle Situation ist dir also nicht bekannt?“ Enzo konnte sich den spöttischen Ton nicht verkneifen.

Verständnislos sah sie ihn an. „Nein. Es sei denn, du meinst den Umstand, dass du nicht mit mir zusammenarbeiten willst.“

„Ich sehe, du bist eine Frau, die sagt, was sie denkt. Deshalb werde ich dir meine Gedanken nicht verheimlichen. Ich finde es äußerst merkwürdig, was sich hier in letzter Zeit abgespielt hat. Zuerst taucht Shay auf, verkündet, dass sie von meinem Bruder ein Kind erwartet, und innerhalb weniger Tage ist sie mit ihm verheiratet. Wir beide verbringen eine Nacht miteinander, und zwei Monate später erscheinst du als neue Mitarbeiterin in meiner Klinik.“

Enzo stellte seinen Kaffee ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und als wären das nicht genug seltsame Zufälle, interessierst du dich auffallend für die Restauration venezianischer Häuser, was … wer hätte das gedacht … auch meine Leidenschaft ist!“

Sie starrte ihn an, eine tiefe Falte zwischen ihren zart geschwungenen Brauen. „Ich kann dir nicht folgen.“

„Dann muss ich deutlicher werden.“ Er trat näher. „Mir drängt sich der Verdacht auf, dass du und Shay gründlich recherchiert und festgestellt habt, dass zwei Ärzte mit Adelstitel eine nette Partie wären. Für Shay ist euer Plan aufgegangen, also rechnest du dir die gleichen Chancen aus.“

„Wie bitte?“ Aubrey keuchte auf. „Du hast ein Ego so groß wie der Vesuv, weißt du das? Deine Anschuldigungen sind haarsträubend! Glaube, was du willst, doch falls du darauf spekulierst, dass ich jetzt deine Klinik verlasse, dann hast du dich getäuscht. Ich bleibe, bis mein Vertrag endet, finde dich damit ab!“

Sie wirbelte herum und ging davon. Enzo sah ihr nach und bewunderte gegen seinen Willen ihren süßen Po, bis sie im Konferenzraum verschwand.

Langsam atmete er aus. Vielleicht war der Schuss nach hinten losgegangen. Aber wenn Shay und Aubrey wirklich geplant hatten, sich jede einen Prinzen zu angeln, dann musste er darauf hoffen, dass die Wahrheit früher oder später ans Licht kam.

Der Vorsitzende der Gesellschaft begann seine Rede auf Englisch, als er den zweiten Teil des Abends einleitete. Noch immer abgelenkt von den Erinnerungen an sein eigenes Pausenprogramm, vermutete Enzo flüchtig, dass bei den folgenden Vorträgen ausländische Gäste im Mittelpunkt stehen würden.

Im nächsten Moment war er hellwach. Der Vorsitzende hatte einen Namen genannt.

Aubrey Henderson.

Was zum …? Enzo setzte sich kerzengerade hin und beobachtete, wie sie aufstand, um zum Podium zu gehen. Ihm entging nicht, dass nicht wenige Männer ihren anmutigen Hüftschwung genauso bewunderten wie er vor Kurzem noch.

„Vor zwei Jahren übernahm Miss Henderson die Patenschaft für ein großes Fresko in der Kirche San Sebastiano, das Engel und Krieger darstellt. Mit ihrer großzügigen Zuwendung von fünfundzwanzigtausend Dollar konnte dieser Kunstschatz restauriert werden, und wir empfehlen jedem, das Gemälde in seiner neuen Pracht zu genießen. Zum Dank und als Anerkennung für Ihre wundervolle Geste überreichen wir Ihnen heute diese Gedenktafel.“

Applaus brandete auf, als Aubrey die Auszeichnung entgegennahm und sich für Fotos neben den Präsidenten stellte.

Enzo konnte nicht fassen, was sich da vor seinen Augen abspielte. Aubrey hatte für ein Restaurationsprojekt in Venedig Geld gespendet? Vor zwei Jahren? Und zwar eine nicht unbeträchtliche Summe, um einem der herrlichen alten Kunstwerke der Stadt seine ursprüngliche Pracht vollständig wiederzugeben!

Ihr Lächeln schien den Raum zu erhellen, als sie sich nun zum Mikrofon vorbeugte. „Danke. Ich freue mich sehr über diese Anerkennung, möchte jedoch betonen, dass es uns eine Ehre und ein Privileg war, die Mittel für dieses Fresko bereitstellen zu können. Meiner verstorbenen Mutter Lydia Henderson war es zeitlebens ein Anliegen, die Schönheit alter Gebäude vor dem Verfall zu bewahren. Sie leitete in Massachusetts und anderswo in New England mehrere Ausschüsse zum Thema Baukunst. Als sie erkrankte, beschlossen wir, für San Sebastiano zu spenden. Meine Mutter war von der Geschichte Venedigs zutiefst fasziniert und fühlte sich besonders zu den Darstellungen von Engeln und Kämpfern hingezogen. Sie sagte oft, dass jeder von uns im Leben die Chance hat, beides zu sein. Heute darf ich stolz sagen, dass sie wirklich beides war – ein Engel und eine Kämpferin. Ich hoffe sehr, dass ich mein Leben ein bisschen so leben kann wie sie.“

Selbst auf die Entfernung sah Enzo, wie sie die Tränen zurückdrängte, während sie sich ein weiteres Mal bedankte. Aubrey verließ die Bühne und ging wieder zu ihrem Platz. Nach wenigen Schritten trafen sich ihre Blicke. Kurz stockte ihr anmutiger Gang, dann brach sie den Blickkontakt ab und konzentrierte sich darauf, ihren Stuhl zu finden.

Enzo starrte auf ihr schimmerndes Haar. Ich muss mich bei ihr entschuldigen.

Sie hatte einen guten Grund gehabt, an dieser Versammlung teilzunehmen, der nicht das Geringste mit ihm zu tun hatte. Enzo mochte gar nicht darüber nachdenken, wie sehr er sich vorhin zum Narren gemacht hatte! Außerdem schmeckte es ihm gar nicht, im Büßergewand vor sie hinzutreten, doch ihm blieb nichts anderes übrig.

Das Treffen zog sich ewig lange hin. Statt auf den Redner zu achten, ruhten Enzos Blicke die meiste Zeit auf Aubreys Hinterkopf. Als es endlich das Schlusswort und reichlich Applaus gab, drängte sich Enzo durch die zum Ausgang strömende Menge und erwischte Aubrey gerade noch, bevor sie zur Tür hinauswollte.

„Aubrey, warte! Ich muss mit dir reden.“

„Sie haben bereits genug gesagt, Dr. Affini“, erwiderte sie mit starrem Blick auf die piazza und ging schneller.

„Ich möchte mich entschuldigen.“

„Wofür?“ Aubrey blieb stehen und funkelte ihn an. Wenn Blicke hätten töten können, hätte er mausetot auf dem mittelalterlichen Pflaster gelegen. „Weil du mir unterstellt hast, dass ich deinetwegen in die Klinik gekommen bin? Oder dass ich dich deiner Meinung nach zu dem heutigen Treffen verfolgt habe? Oder für deinen Vorwurf, ich würde Interesse an Restaurierungen vortäuschen? Du überschätzt dich!“

„Ich weiß. Und es tut mir leid. Ernsthaft.“

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus, der Enzo wenig Hoffnung machte, dass sie seine Entschuldigung annahm. Aber wenigstens verlangsamte Aubrey ihre Schritte.

Er griff nach ihrem Arm und war überrascht, dass sie sich nicht gleich wieder losriss. „Aubrey, zurzeit habe ich … ziemlichen Stress. Vielleicht denke und handle ich deshalb nicht so, wie ich sollte.“

„Das ist die Untertreibung des Jahres!“

„Können wir es einfach vergessen?“ Enzo zog sanft an ihrem Arm, damit sie ihn ansah. Er wünschte sich, dass ihr Ärger verrauchte und sie ihm sein Verhalten verzieh. Er konnte nicht sagen, warum ihm das so wichtig war – zumal er immer noch nicht sicher war, was er von ihr denken sollte.

„Ich werde es versuchen.“ Endlich sah sie ihn an, und zu seiner Erleichterung war der Zorn in ihren schönen Augen verblasst. „Aber nur, weil ich diese Stadt so sehr mag und gern in der Klinik arbeite. Und das lasse ich mir von dir nicht verderben!“

Damit entzog sie ihm ihren Arm und eilte ohne ein weiteres Wort davon. Enzo folgte ihr nicht. Es wurde Zeit, dass er sich etwas Neues ausdachte, wie er mit der schönen und geheimnisvollen Aubrey Henderson umging.

„Sei nicht so pessimistisch. Wir haben noch Zeit“, sagte Enzo zu seinem Buchhalter und Mitstreiter Leonardo, wobei er jedoch nicht wusste, wen er mehr beruhigen wollte, ihn oder sich selbst.

Das Telefon am Ohr marschierte er rastlos im Obergeschoss des einzigen Hauses auf und ab, das in Venedig in seinem Besitz verblieben war. Der fein geknüpfte antike Teppich auf dem Terrazzoboden dämpfte seine Schritte.

„Ich arbeite daran, mehr Mittel für den Kauf aufzutreiben. Den Erlös einiger Vermögenswerte, die ich veräußern konnte, findest du in ein paar Tagen auf dem Konto. Unsere Weinfelder haben fast ausnahmslos eine gute Ernte eingebracht. Dante hat mir vorgestern die Zahlen genannt. Wir bekommen das Geld zusammen.“

So hoffte er jedenfalls. Ihm zog sich der Magen zusammen, als er daran dachte, wie viel er noch brauchte, um sein geliebtes Zuhause aus der Kindheit zurückzukaufen. Doch Enzo war fest entschlossen, sich durch nichts und niemanden davon abbringen zu lassen.

„Aber der neue Besitzer hat mir erzählt, dass der Verkauf an die Hotelkette innerhalb der nächsten drei Wochen über die Bühne gehen soll“, gab Leonardo zu bedenken.

„Uns bleiben also zweieinhalb Wochen.“

„Ich habe deine Fotos vom Haus durchgesehen. Egal, ob der Verkauf nun zustande kommt oder nicht, ich brauche mehr Aufnahmen von den Fassaden, dem Innenhof und den Schlafzimmern. Ich will sie der Kommission vorlegen und einen sechsmonatigen Aufschub erwirken, damit niemand etwas am Gebäude verändern darf. Also uns ein bisschen Zeit verschaffen. Falls es an die Kette verkauft wird, möchten sie es vielleicht wieder loswerden, wenn sie es nicht so umbauen können, wie sie wollen. Das wäre deine Chance. Kannst du die Fotos besorgen?“

„Ja.“ Zumindest hoffte er es. Ihm gehörte das Haus nicht, und er war auch nicht mehr der Vermieter der UWWHA, aber zufällig kannte er eine schöne junge Frau, die dort zurzeit wohnte. Hauptsache, sie war nicht mehr so sauer auf ihn, dass sie nicht mehr mit ihm redete oder ihn womöglich nicht ins Gebäude ließ! „Ich beschaffe sie so schnell wie möglich. Arrivederci.

Altbekannter Ärger wallte in ihm auf, aber Enzo unterdrückte ihn. Bitterkeit und Zorn würden ihm nicht helfen, sein Ziel zu erreichen. Im Gegenteil, es lenkte ihn nur ab, wenn er der Verachtung für seinen Vater und dessen selbstsüchtige Aktionen zu viel Raum ließ.

Stattdessen musste er alles daransetzen, die Hotelkette zu überbieten. Darauf sollte er sich konzentrieren!

Der Gedanke an das Haus beschwor Gedanken an Aubrey herauf. Er stellte sich vor, wie sie in einem der verwohnten, aber immer noch imposanten alten Schlafzimmer im Bett lag, ihr schimmerndes Haar auf dem Kissen ausgebreitet. Wie sie im Sessel vor dem Kamin saß und ein Buch las oder durch die Räume ging, um Gemälde und Antiquitäten zu bewundern.

Enzo ließ sich in einen Sessel fallen und starrte auf den Canal Grande hinaus. Verwirrt, das Wort beschrieb am ehesten seinen Zustand, wenn es um Aubrey ging. Dazu passte, dass er einerseits misstrauisch war und sich andererseits stark zu ihr hingezogen fühlte.

Was sollte er davon halten? Was sollte er tun?

Das, was du tun musst, wenn du dein Erbe retten willst. Hart arbeiten und bei dem Vorsatz, niemals zu heiraten, bleiben. Ganz gleich, was das für die Besitztümer bedeutete, die eigentlich ihm gehörten.

Spontan beschloss er, Dante anzurufen. Seit Wochen hatte er seinen Bruder nicht gesehen, was sicher nicht nur daran lag, dass der Mann ein vielbeschäftigter Traumachirurg war, sondern auch an dem Umstand, dass er seit Kurzem verheiratet war! Mit etwas Glück stand er nicht gerade am OP-Tisch, und sie konnten reden.

Und tatsächlich, nach dem zweiten Klingeln war sein Bruder dran. „Was verschafft mir die Ehre dieses Anrufs?“, tönte Dantes Stimme in sein Ohr. „Du hast dich seit einer Ewigkeit nicht gemeldet, Bruderherz.“

„Du auch nicht. Ich dachte, du bist mit Shay beschäftigt, und wollte das frisch verheiratete Paar nicht behelligen.“

„Du behelligst mich ein Leben lang, warum willst du das jetzt ändern?“

„Stimmt auch wieder.“ Enzo hatte das unterdrückte Lachen in Dantes Stimme gehört und musste lächeln. „Was macht die Arbeit?“

„Viel zu tun. So viel, dass wir eine Weile nicht nach Arezzo fahren konnten, aber wir haben es immer noch vor. Und bei dir?“

Ein „wir“ aus dem Mund seines Bruders zu hören, wenn es um Alltagsleben und Reisen ging, war besonders ungewohnt. Aber da ein Baby unterwegs war, würde Dante wohl den Rest seines Lebens so reden. Stell dich darauf ein, dachte Enzo. „Auch beschäftigt“, antwortete er. „Wie immer, wenn Touristen die Stadt überschwemmen. Wie geht es Shay? Alles in Ordnung?“

„Ja, wunderbar. Wird immer runder, ist aber guter Dinge.“

Enzo konnte sich nicht erklären, warum sich sein Unbehagen während des Gesprächs nicht gelegt hatte. Sein Bruder hingegen klang … glücklich? Erwartungsvoll? Enzo hoffte, dass Dantes Erwartungen nicht enttäuscht wurden. „Freut mich, das zu hören. Also, ich wollte nur …“

„Wie steht es mit dem Haus?“, unterbrach Dante ihn. „Als wir das letzte Mal darüber sprachen, hattest du Schwierigkeiten, das Geld aufzutreiben.“

„Ich arbeite daran.“ Warum sollte er seinen Bruder beunruhigen? Zumal sie die Weingüter bis an die Grenze des Zumutbaren mit Hypotheken belastet hatten.

„Aubrey Henderson soll wieder in Venedig sein und in deinem Haus wohnen“, sagte Dante.

„Es ist nicht mehr mein Haus, schon vergessen?“

„Es wird immer dein Haus sein“, antwortete Dante bestimmt. „Ich kümmere mich gerade um weitere Möglichkeiten, das Geld zusammenzukratzen, und ich weiß, dass du zurückkaufen wirst. Niemand verfolgt ein Ziel, das er sich einmal gesetzt hat, so entschlossen wie du.“

„Danke, und ich bin wirklich wild entschlossen.“ Die Zuversicht seines Bruders nahm ein wenig die Last von seiner Brust, auch wenn es nur Worte waren und kein Guthaben auf der Bank.

„Und, wie läuft es mit Aubrey in der Klinik – oder sollte ich nicht fragen?“

„Woher weißt du, dass sie für mich arbeitet?“

„Frauen reden gern“, entgegnete Dante trocken. „Von Shay. Aber sie musste mir nicht sagen, dass du dich mit Aubrey getroffen hast. Ich habe geahnt, dass du mit ihr im Bett landen würdest, nachdem du mir erzählt hattest, du wolltest ihr mehr Informationen über Shay entlocken. Aubrey ist eine schöne, anziehende Frau, ich wusste, dass du ihr nicht widerstehen kannst. Und sie dir auch nicht. Wenn es eins gibt, das die Affini-Männer können, dann Frauen mit ihrem Charme verführen. Stimmt’s?“

„Ich hoffe, wir haben mehr zu bieten, weil genau diese Eigenschaft eine der vielen ist, die wir beide an unserem Vater verachten.“

„Richtig.“ Dante klang plötzlich ernst. „Hör zu, ich habe gleich eine OP-Besprechung. Danke für deinen Anruf, ich melde mich bald.“

Enzo stand auf, schob das Handy in die Tasche, hängte sich die Kamera um und schnappte sich seine Bootsschlüssel. Er joggte die gewundene Steintreppe des Hauses hinunter, das zusammen mit einigen anderen seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Affini war.

Ihm kam eine Idee, wie er Antworten auf all die Fragen fand, die Aubreys Anwesenheit aufwarf. Wie hieß noch das alte Sprichwort? Sei deinen Freunden nahe und deinen Feinden noch näher? Er hatte keinen Schimmer, ob Aubrey Freundin oder Feindin war, aber sie auf Abstand zu halten, war auch keine Lösung. Vor allem würde sein Gewissen ihn quälen, wenn er sie zwang, sich woanders einen Job zu suchen. Inzwischen wusste er schließlich, dass sie auch wegen ihrer verstorbenen Mutter hier in Venedig sein wollte. Enzo verstand allzu gut, wie es war, die Mutter zu verlieren. Wenn diese Stadt Aubrey half, ihre Trauer zu bewältigen, so wollte er dem nicht im Wege stehen.

Und vielleicht erfuhr er irgendwann die Wahrheit, wenn er mit Aubrey beruflich und privat mehr Zeit verbrachte.

Vorausgesetzt, er hatte sein Verlangen im Griff. Den Feind gut kennenzulernen, war das eine, aber mit ihm zu schlafen? Das konnte nicht gut enden.

Da war es ganz praktisch, dass er die Dienstpläne der Klinik schrieb. Dadurch konnte er Aubreys freie Tage legen, wie es ihm gefiel. Die Vorstellung brachte ihn zum Lächeln. Bevor er den Bootsmotor startete, zückte er sein Handy.

Als sie mit einem fröhlichen Hallo ranging, musste er noch mehr lächeln. Enzo schüttelte den Kopf. Hatte er sich gerade eben nicht vorgenommen, emotional Distanz zu ihr zu wahren?

Wenn bereits der Klang ihrer Stimme ihm ein Lächeln entlockte, würde die nächste Zeit nicht einfach werden. Allerdings konnte er sich gut vorstellen, dass ihre gute Laune schlagartig verschwand, wenn sie hörte, wer am Telefon war.

„Aubrey, hier ist Enzo. Bist du vielleicht gerade im Gästehaus? Ich müsste drinnen ein paar Fotos machen.“

„Fotografieren?“ Sie klang erstaunt. „Wozu?“

„Das möchte ich dir persönlich erklären. Hast du Zeit?“

„Warum sollte ich? Oh, ich weiß! Weil ich mir ja einen Doktorprinzen angeln will!“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Nicht mit den Worten, da hast du recht. Aber es war sonnenklar, dass du mich für eine hinterlistige, berechnende Person hältst!“

„Eine hinreißend schöne hinterlistige Person, um genau zu sein.“ Er konnte nicht anders, er musste sie necken. „Wenn ich mich noch einmal in aller Form entschuldige, lässt du mich dann ins Haus, damit ich Fotos machen kann?“

„Mal sehen. Das hängt von der Entschuldigung ab. Und davon, ob du mir erzählst, wofür du die Aufnahmen brauchst.“

„Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dir gegenüber misstrauisch war.“ Dass er es immer noch war, behielt er für sich. „Ich sage dir Bescheid, wenn ich da bin.“

„Aber ich bin gerade nicht im Gästehaus. Ich habe etwas gegessen und stehe jetzt draußen vor dem Restaurant.“

„Wo?“

„Das kann ich nicht genau sagen. Ich bin einfach losgelaufen und habe mir den Weg nicht gemerkt.“

„Wie heißt das Lokal?“

„Warte mal … Trattoria da Agnolo. Es liegt hinter einer piazza und ein paar Meter von einem kleinen Kanal entfernt.“

Enzo lachte leise auf. „Das trifft auf fast alles in Venedig zu, aber ich weiß, wo du bist. Geh zurück zum Kanal, ich hole dich dort ab und fahre dich nach Hause.“

„Fahren? Wie meinst du das?“

„Fahren bedeutet in Venedig ‚mit dem Boot‘. Ich dachte, du hast deine Hausaufgaben gemacht?“

„Dr. Affini, wenn Sie wollen, dass ich Sie in mein Zuhause lasse, sollten Sie supernett sein … vor allem, nachdem Sie vorher so fies zu mir waren.“

„Damit höre ich auf. Trotzdem muss ich nicht supernett sein. Schließlich hängt dein Arbeitsplatz in der Klinik von mir ab, schon vergessen?“

„Und du scheinst vergessen zu haben, dass die UWWHA strenge Bewertungsmaßstäbe an die Gesundheitszentren anlegt, in denen ihre Krankenschwestern arbeiten. Herrische Ärzte kommen gar nicht gut an!“

Wieder musste er lachen. Hatte sie eine Ahnung, wie anziehend sie war? Attraktiv, klug, humorvoll, schlagfertig … eine unwiderstehliche Mischung! Fragte sich nur, ob Aubrey einfach eine wundervolle Frau war, oder ob sie eine Masche entwickelt hatte, um ahnungslose Männer in ihr Netz zu locken. „In fünf Minuten bin ich bei dir“, sagte er.

„Danke, aber ich finde den Weg bestimmt auch allein. Das Gästehaus ist sicher nicht weit weg. Wir treffen uns dort.“

„Ich hole dich gern …“

„Nein!“, unterbrach sie ihn hastig. Sie klang sogar ein bisschen panisch, so als wollte sie unbedingt Abstand wahren.

Was er ihr nach allem, was er ihr vorgehalten hatte, nicht verdenken konnte.

3. KAPITEL

Enzo steuerte sein Boot den Kanal entlang und hielt nach Aubrey Ausschau, sobald das Gebäude in Sicht kam. Unter den nicht wenigen Passanten, die an seinem oder vielmehr ehemals seinem Haus vorbeigingen, entdeckte er sie sofort. Die Nachmittagssonne zauberte goldene Glanzlichter in ihr schimmerndes braunes Haar, und das kniekurze Sommerkleid betonte ihre langen, hinreißend schönen Beine.

Anscheinend hatte sie den Motor gehört und drehte sich um. Ihr Blick war nicht übermäßig freundlich! Enzo lenkte das Boot ans Kanalufer und griff nach einem der Holzpfosten, um es zu vertäuen.

Ciao. Danke, dass ich vorbeikommen darf“, sagte er, nachdem er auf den Gehweg geklettert war.

„Ich bin immer noch sauer auf dich“, begrüßte sie ihn. „Aber ich bin auch neugierig, warum du hier Fotos machen willst. Hat das Haus eine besondere Bedeutung für dich?“

Er sah sie an, überlegte, wie viel er ihr anvertrauen sollte – und was sie bereits wusste. Wie auch immer, die traurige Wahrheit war der Öffentlichkeit längst bekannt, wozu also versuchen, ein Geheimnis daraus zu machen?

„Ja“, antwortete er. „Ich erzähle es dir, während ich die Aufnahmen mache.“

Aubrey schob den verschnörkelten alten Schlüssel in die Tür, drehte ihn hin und her, die Zungenspitze konzentriert zwischen den Lippen. Seit Enzo denken konnte, hatte dieses Schloss seine Tücken, und er konnte es sich nicht verkneifen, Aubrey ein bisschen zu necken.

„Für eine Frau, die furchtlos aus einer großen eine kleine Hose schneidert, scheinst du bei dieser Mechanik zwei linke Hände zu haben.“

„Das Schloss ist ganz schön schwergängig. Jedes Mal stehe ich hier geschlagene fünf Minuten, bis ich die Tür aufbekomme. Warum hat der Besitzer das Schloss nicht längst auswechseln lassen?“

„In dieser Stadt legt man großen Wert darauf, die Originalausstattung mit ihrem historischen Charme zu erhalten. Bist du nicht Denkmalschützerin?“

„Doch, das bin ich, und du hast recht.“ Sie seufzte frustriert auf. „Ich sollte mir an den alten Venezianern ein Beispiel nehmen und mehr Gelassenheit zeigen, statt mich von der hektischen Ungeduld des 21. Jahrhunderts treiben zu lassen.“

„Genau.“ Sein Arm streifte ihre warme Haut, als Enzo um Aubrey herumgriff und ihr den Schlüssel aus der Hand nahm. Er steckte ihn wieder ins Schloss, und nach einer schnellen Drehung nach links klickte es, und die Tür sprang auf.

Verblüfft starrte sie ihn an. „Wie hast du das gemacht?“

„Magische Hände!“ Er hielt sie ihr vors Gesicht und ließ die Finger tanzen.

Das trug ihm einen skeptischen Blick ein. „Ha, ich möchte nicht wissen, bei welchen Gelegenheiten du das noch sagst. Und worauf du damit anspielst!“

Sie betraten die Eingangshalle. Sonnenstrahlen, die durch die nach Westen ausgerichteten Fenster fielen, zeichneten helle Streifen auf den Terrazzoboden. Enzo wusste genau, was Aubrey meinte, und beugte sich zu ihr. Ein kleiner Versuch, um herauszufinden, ob sie die Gelegenheit, wieder mit ihm zu flirten, nutzen würde. „Denkst du etwa an unsere Nacht?“

„Nein.“ Sie errötete leicht, aber ihre Stimme klang angriffslustig. „Ich dachte, dass ein Typ wie du gern solche Zweideutigkeiten vom Stapel lässt. Entweder um eine Frau zu verunsichern oder um schlüpfrige Gedanken zu wecken.“

„Und was von beidem ist bei dir gerade der Fall?“

Aubrey trat rasch einen Schritt beiseite und warf ihm einen düsteren Blick zu. „Hör zu. Du kannst mir nicht einen Tag mit Vorwürfen kommen und dich am nächsten an mich heranmachen! Wir waren uns einig, dass wir auf Distanz bleiben müssen, wenn wir zusammenarbeiten wollen. Mit gegenseitigem kollegialem Respekt. Also, sag mir endlich, warum dieses Haus so wichtig für dich ist, dass du Fotos davon brauchst.“

Enzo hatte wenig Lust, ihr seine bedauernswerte Lage zu schildern. Aber vielleicht fand er bei dieser Gelegenheit heraus, wie weit Aubrey informiert war. „Wusstest du, dass es an eine große Hotelkette verkauft werden soll? Dass die Investoren planen, es komplett zu entkernen und ein modernes Hotel einzubauen? Nur die historische Fassade bleibt.“

„Das ist ja schrecklich!“ Ihre Überraschung schien echt zu sein. „Wer erlaubt so etwas?“

„Wir haben zwar strenge Bauvorschriften, aber Venedigs ökonomische Situation muss einem Sorgen bereiten. Während immer mehr Touristen in die Stadt strömen, geht die Zahl der Einwohner zurück. Viele von uns versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten, doch es ist eine schwierige Aufgabe. Eine Menge Häuser stehen leer, einige davon sollen abgerissen werden. Sie zu renovieren, kostet einen Haufen Geld, und ist das erst geschafft, findet man nicht so leicht jemanden, der sich die hohe Miete leisten kann.“

„Aber man kann doch dieses wunderschöne Haus nicht zerstören!“

„Wie du siehst, ist es leider in einem erbärmlichen Zustand. Die Bäder sind alt, die Fußböden teilweise kaputt, und die Fresken blättern von den Wänden. Ein paar UWWHA-Mitarbeiter haben sich schon beschwert.“

„Die Leute sind dumm!“, antwortete sie hitzig. „Sie haben einfach nicht begriffen, dass sie in einer wahren Schatzkiste wohnen dürfen. Man braucht sich doch nur die wundervollen Fliesen, den antiken Terrazzoboden und die Kunstwerke anzusehen. Das ist Jahrhunderte alte faszinierende Geschichte! Wer so etwas heruntergekommen nennt, der sollte in die USA gehen, wo ein achtzig Jahre altes Gebäude schon historisch genannt wird. Jedes Mal, wenn ich dieses Haus betrete, liebe ich es mehr!“

„Eine Frau nach meinem Herzen“, murmelte er, riss sich aber von dem Gedanken los. Du wolltest Abstand halten! Sie ist vielleicht nicht die, die sie vorgibt.

Mit großen, sorgenvollen Augen blickte sie ihn an. „Du hast gesagt, dass das Haus dir etwas bedeutet. Kannst du nicht etwas unternehmen, damit es erhalten bleibt?“

„Ich versuche, alles zu tun, damit es der Hotelkette nicht in die Hände fällt. Ich will es jemandem geben, der es renoviert und bewahrt und zu seinem geliebten Zuhause macht.“

„Hast du schon jemanden im Sinn? Einen Käufer?“

„Ja.“ Enzo sah sie an. „Mich.“

Aubrey schnappte nach Luft. „Du? Was ist mit dem, wo du jetzt wohnst? Oder möchtest du dieses Haus renovieren und wieder verkaufen?“

„Nein.“

Sie beobachtete, wie er durch das beindruckende Foyer ging, hier eine Vase in die Hand nahm, dort einen Zierteller, bevor er sie gedankenverloren an ihren Platz zurückstellte.

„Was dann?“

Enzo drehte sich zu ihr um, einen fast schmerzlichen Ausdruck in den Augen. „Dieses Haus war im Besitz der Familie meiner verstorbenen Mutter, seit im 14. Jahrhundert das Portal errichtet wurde. Der zweite und dritte Stock wurden im 15. Jahrhundert gebaut, und das letzte Stockwerk – meine Lieblingsräume in der Kindheit – entstand 1756.“

Überrascht starrte sie ihn an. „Also hast du als Kind deine Verwandten besucht?“

„Nein, ich bin hier aufgewachsen. An diesem Haus hänge ich mehr als an allen anderen Besitztümern meiner Familie. Mein Vater hat seine Mätressen in den Häusern untergebracht, die dem väterlichen Zweig der Familie gehören. Er hält es für sein gutes Recht, mit seinem Besitz zu tun und zu lassen, was ihm beliebt. Das geht so weit, dass er Dantes und mein Erbe unter die Leute bringt. Weil er den Treuhandfonds kontrolliert, meint er, sich alles erlauben zu können“, fügte er hörbar verbittert hinzu.

„Und das Haus hier hat er auch verkauft.“ Ärger stieg in ihr auf, mischte sich mit Mitgefühl für den Mann, dem man sein geliebtes Zuhause genommen hatte. Wie selbstsüchtig und kaltherzig musste sein Vater sein, dass ihn die Gefühle seiner Söhne ebenso wenig interessierten wie der historische Wert des wundervollen alten Gebäudes. Solche Väter kannte sie. Ihr eigener war nicht besser!

Autor

Robin Gianna
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Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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