Neues Glück in Sydney?

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Nach seiner Scheidung hat Notfallsanitäter Nico der Liebe für immer abgeschworen. Doch bei seinem neuen Job in Sydney muss er ausgerechnet mit der betörend schönen Frankie zusammenarbeiten. Wider alle Vernunft fühlt er sich mit jedem Tag mehr zu ihr hingezogen …


  • Erscheinungstag 06.02.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536837
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden, sagte sich Francesca Moretti, von Familie und Freunden kurz Frankie genannt. Jedenfalls Regeln, die man selbst aufgestellt hatte – und sofern es einen guten Grund dafür gab. Wenn man beispielsweise den perfekten Mann traf, aber sich nicht für ihn interessieren durfte … weil er Italiener war. Sie seufzte tief.

Die Männer, die mit ihr am Tisch saßen, sahen sie verblüfft an. „Was ist los?“, fragte Colin, der Schichtleiter der South Sydney Luftrettung. „Stand in der Zeitung, dass die Welt gleich untergeht?“

„In dieser Schicht ist bislang einfach zu wenig los“, mutmaßte Mozzie, Pilot des Red Watch Hubschrauberteams. „Bloße Krankentransporte langweilen unsere Frankie.“

„Ach was“, tat sie die Bemerkung ab. „Solange es nicht ausufert, stört es mich nicht, wenn wir Taxi spielen.“ Sie stellte die leere Kaffeetasse auf den leeren Teller, von dem sie gerade noch ihren Lunch gegessen hatte. „Am besten gehe ich ins Gym, Gewichte stemmen. Das Sandwich war riesig, und mein Morgenlauf musste wegen des Sturms ausfallen.“

„Er hat inzwischen nachgelassen. In der Luft ruckelt es vermutlich immer noch ordentlich“, warf Mozzie ein.

„Je kräftiger es ruckelt, desto besser!“ Grinsend stand Frankie auf. Dabei fiel ihr Blick auf den Neuzugang im Red Watch Hubschrauberteam, dem sie seit Jahren angehörte. Nico nahm den Platz ihrer Kollegin und Freundin Jenny ein, die nach einer unglücklichen Liebesaffäre gekündigt hatte, um in einer Kleinstadt südlich von Sydney neu durchzustarten.

Nicht nur dem Namen nach war er Italiener, Nico Romano besaß obendrein einen südländischen Teint. Das gelockte schwarze Haar fiel ihm bis über den Hemdkragen. Im Dienst trug er es in einem Männerdutt. Sein Bart hingegen war so kurz geschoren, dass er fast als Dreitagebart durchgehen konnte, und seine Augen waren dunkel wie die Nacht. Insgeheim hatte sie ihm den Spitznamen Mr. Perfect verpasst.

Ihre Blicke kreuzten sich. Es löste ein seltsames Kribbeln in ihr aus – nicht zum ersten Mal an diesem Tag, ihrer ersten gemeinsamen Schicht.

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie war viel zu alt, um wie ein Teenie einen schönen Mann aus der Ferne anzuhimmeln, und ganz gewiss würde sie sich sein Poster nicht an die Wand ihres Schlafzimmers hängen …

„Du wirst hoffentlich nicht schnell luftkrank, Nico? Mozzie liebt es, bei rauem Wetter zu fliegen“, sprach sie ihn an.

„Ich werde nie krank – egal aus welchem Grund.“ Er sprach perfektes Englisch mit starkem italienischen Akzent. In Italien aufgewachsen, war er in Mailand in einer Hubschrauberstaffel zum Notfallsanitäter ausgebildet worden. Mehrere Jahre Berufserfahrung in einer Luftambulanz in Queensland hatten ihn als idealen Kandidaten für die offene Stelle erscheinen lassen.

Die in Australien geborene Frankie war in einem italienischen Viertel von Sydney bei ihrer italienischen Mutter und Großmutter aufgewachsen, zwei starken, unabhängigen Frauen, die jedoch an gewissen altmodischen Ansichten festhielten, die Frankies Meinung nach längst überholt waren.

„Wieso musst du unbedingt einen gefährlichen Beruf wie Notfallsanitäterin ausüben – in einem Helikopter noch dazu? Such dir lieber einen netten Italiener und habe viele bambini mit ihm. Ich will Urenkel im Arm halten dürfen, ehe ich sterbe …“, hörte sie im Geist die Worte ihrer nonna.

Mittlerweile las Nico wieder konzentriert in den Dienstanweisungen, die er noch durchzuarbeiten hatte. Frankie wusste, dass er während ihres gerade beendeten Urlaubs eine Einführungsphase in ihrer Basisstation absolviert hatte. Sie ging davon aus, dass die bisherigen Erfahrungen in einer anderen australischen Hubschrauberstaffel es ihm erleichtern würden, sich ins neue Team einzufügen.

Über eines war sie sich dennoch im Klaren: Um aus einer Crew ein eingeschweißtes Team zu machen, bedurfte es mehr als Erfahrung mit Traumata, kleinen Eingriffen oder dem Bedienen der Seilwinde.

Einer nach dem anderen begaben sich die Kollegen wieder an die Arbeit. Colin verschwand in seinem Büro, Mozzie ging seinen geliebten Helikopter durchchecken, und Ricky, der als Aircrew-Assistent je nach Bedarf dem Piloten oder den Notfallsanitätern zur Hand ging und obendrein für die Ausrüstung verantwortlich war, schnappte sich Frankies Geschirr, um es in die Spülmaschine zu räumen.

„Du musst nicht hinter mir herräumen, Ricky.“

„Ich dachte, das wäre der einzige Grund, aus dem du mich in deiner Nähe tolerierst.“

Frankie grinste. Der Zusammenhalt eines Teams hing von der Persönlichkeit jedes einzelnen Mitglieds ab und dem daraus resultierenden Vertrauen. Bislang hatte sich im Red Watch Team einer blind auf den anderen verlassen können. Wie Nico Romano sich einfügen würde, blieb abzuwarten. Sie durfte sich nicht von Vorurteilen leiten lassen.

In einer italienischen Gemeinde aufgewachsen und bestärkt durch zahlreiche Kommentare ihrer nonna, hatte sie im Lauf der Jahre geradezu eine Aversion gegen italienische Männer entwickelt.

Natürlich war es dumm, einen Menschen nach seinem Äußeren, seiner Nationalität oder wegen seines Akzents zu verurteilen. Sie musste dem Neuen im Team eine faire Chance geben. Alles, was sie von ihm wusste, war, dass er verdammt gut aussah – und ihrem Körper die verrücktesten Reaktionen entlockte, wann immer er sie nur ansah. Hilfe!

Das Vibrieren und Piepsen des Pagers an ihrem Gürtel kam ihr gelegen wie nie zuvor. Sekunden später trat Colin mit ernster Miene aus dem Büro in den Gemeinschaftsraum, was bedeutete, dass es in ihrem Einzugsgebiet einen Notfall gab, um den sie sich kümmern mussten.

Adrenalin schoss durch ihre Adern, ihr Puls schlug schneller als zuvor. Das war es, was sie an ihrer Arbeit so liebte! Jeder Einsatz stellte sie vor neue, unbekannte Herausforderungen. Lediglich das Ziel war immer dasselbe: Menschen in größter Not zu helfen.

Nico Romano saß auf seinem Lieblingsplatz neben der geöffneten Seitentür des Helikopters. Mit einem Seil am Kabinendach gesichert, einen Fuß auf der Kufe abgestellt, lehnte er sich so weit wie möglich nach draußen, um nach der Zielperson Ausschau zu halten. Nach etlichen Routineaufgaben im Verlauf der Schicht versprach der Einsatz in den Blue Mountains westlich von Sydney anspruchsvoll zu werden. Nicht ohne Grund hatte die Polizei einen Helikopter mit Winde angefordert. Der Auftrag könnte alle Zutaten beinhalten, die Nico sich von einem interessanten Einsatz erhoffte.

Der Unfall war beim Abstieg in den Canyon passiert, an einer unzugänglichen Stelle auf halbem Weg hinab. Das erschwerte die Bergung des Patienten. Zunächst sah es aus, als hätte der Wanderer sich lediglich einen Knöchel gebrochen. Wenig später klagte der Fünfundsechzigjährige jedoch über Schmerzen in der Brust und andere Symptome, die an einen Herzinfarkt denken ließen. Der Fall könnte sich medizinisch wie logistisch als Herausforderung erweisen.

Den Vorschriften folgend, erkundete die Hubschraubercrew die Lage zunächst aus der Luft. Eine Landung im Canyon erschien erwartungsgemäß unmöglich. Mozzie schlug vor, den Hubschrauber so nah wie möglich an den Verletzten heranzumanövrieren, kurz mit einer Kufe auf einem Felsvorsprung aufzusetzen und den Sanitäter herausspringen zu lassen. So könnte er deutlich schneller beim Patienten sein, als wenn er sich abseilte.

Nico freute sich, denn diese Aufgabe würde ihm zufallen. Beim Einsteigen in den Hubschrauber hatte Frankie ihn gefragt, ob er den Einsatz übernehmen wollte. „Wenn du damit einverstanden bist, gerne“, hatte er geantwortet. „Allerdings möchte ich nicht, dass du dich am ersten Arbeitstag nach deinem Urlaub langweilst.“

Seine Antwort hatte ihr zwar kein Lächeln entlockt, immerhin hatte sie angenehm überrascht dreingesehen. Das verbuchte Nico als kleinen Sieg. Bislang hatte sie ihm einen kühlen Empfang bereitet.

„Lassen wir doch ‚Schere, Stein, Papier‘ darüber entscheiden“, hatte sie vorgeschlagen.

Über den Lärm der sich immer schneller drehenden Rotoren hatten Mozzie und Ricky nichts von ihrem Deal mitbekommen. Innerhalb von fünf Sekunden war die Entscheidung gefallen. Niemand hatte die dezenten Handbewegungen bemerkt oder gesehen, wie Nicos Schere Frankies Papier schlug.

Im Geist dankte er seinen Schwestern, mit denen er oft auf diese Weise um den leckersten Bissen, die erste Runde bei einer ihrer Lieblingsaktivitäten gespielt hatte.

Frankie mit dem langen, lockigen Haar, das sie vergebens in einem Zopf zu bändigen versuchte, mit dem schwarzen Pony, den dunklen Augen und langen, dichten Wimpern erinnerte ihn an seine Schwestern. Dass sie wie eine Australierin sprach, konnte nicht über ihre italienischen Gene hinwegtäuschen. Sie war selbstbewusst, laut, gestikulierte beim Sprechen lebhaft mit den Händen, redete und lachte viel.

Und sie gefiel Nico besser, als ihm lieb war. In seinem Kopf schrillten Alarmglocken auf. Er wollte sich nicht zu ihr hingezogen fühlen, musste dem aufkeimenden Interesse ein Ende setzen, ehe es richtig begann. Verlieben wollte er sich nie wieder. Ein neuerlicher Fehlschlag könnte sein gerade erst zurückgewonnenes Selbstvertrauen vernichten und dazu den letzten Rest an Selbstachtung.

Diesen Fehler hatte er schon einmal begangen: Er hatte sich in Sofia verliebt und sie geheiratet. Das hatte ihn fürs Leben entstellt – emotional wie physisch.

Nie wieder!

Nach dem Debakel mit seiner Ex-Frau hatte er aufgehört, nach einer Seelenverwandten zu suchen, den Wunsch begraben, der beste Ehemann der Welt zu sein und eigene Kinder in der Familie Romano aufwachsen zu sehen. Gelegentlich überfiel ihn dennoch Sehnsucht danach, doch hatte er damit umgehen gelernt. Komplett unterdrücken ließ sie sich nicht.

Dabei war er durchaus zufrieden mit seinem neuen Leben, einzig seine Schwestern, die Familie vermisste er.

War die Attraktion, die Frankie auf ihn ausübte, vielleicht gar nicht sexueller Natur? Beruhte sie vielmehr auf ihrem vertraut wirkenden Aussehen, dem kulturellen Erbe, das ihn mit einem Mitglied seines neuen Teams verband?

Eine Sache der Gegenseitigkeit war diese Anziehung offenbar nicht. Frankie war ihm vom ersten Moment an mit Misstrauen begegnet. Spürte sie womöglich, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, und bekundete ihm auf diese Weise ihr mangelndes Interesse? Eine Freundschaft auf den ersten Blick, über einer Pizza oder Ähnlichem, würden sie nicht schließen. Hoffentlich akzeptierte sie ihn zumindest im Team, wenn er diesem Einsatz zum Erfolg verhalf.

Mehr als eine professionelle Beziehung wünschte er sich ohnehin nicht. Dass sie großartig aussah und das Heimweh lindern könnte, das er nach Jahren fernab von Italien empfand, tat nichts zur Sache. Nicht einmal auf eine Freundschaft legte er es an. Dabei könnte allzu leicht die Grenze verletzt werden, die er niemals wieder überschreiten wollte. Mit keiner Frau, ganz besonders nicht mit einer wie Frankie.

Sie war die letzte Frau auf Erden, die seine Einstellung ändern konnte, denn sie ähnelte nicht nur seinen Schwestern, sondern … jeder Italienerin. Frauen wie Sofia. Ganz besonders Sofia – die ihn damals auch vom ersten Moment an in ihren Bann geschlagen hatte.

Wie auch immer, Frankie stellte eine Herausforderung für ihn dar. In Gefahr wähnte er sich dennoch nicht. Er würde nicht zulassen, dass die Geschichte sich wiederholte.

Mozzies Flugkünste nötigten Nico Respekt ab. Geschickt steuerte der Pilot den Helikopter in die Schlucht, die gerade breit genug dafür war. Felswände schützten die Maschine vor dem kräftigen Wind, der sie in höheren Luftschichten durchgerüttelt hatte. Kurz darauf berührte der Hubschrauber schon mit einer Kufe das Felsplateau. Nico sprang heraus, einen Rucksack mit medizinischer Ausrüstung auf dem Rücken, ein Seilwinden-Geschirr für den Patienten in den Händen. Als er dem abhebenden Helikopter hinterherblickte, sah er, dass Frankie ihn aus der Seitentür heraus beobachtete.

Minuten später langte er bei seinem Patienten an, der gestützt durch einen Freund am Boden saß.

„Mein Name ist Nico. Ich habe gehört, dass Sie sich am Knöchel verletzt und obendrein Schmerzen in der Brust haben?“ Die deutlich sichtbare Schwellung am Knöchel des Patienten wies auf eine Verrenkung, eher noch auf einen Bruch hin.

„Ich habe ihm den Stiefel nicht ausgezogen, um Martin nicht wehzutun. Außerdem dachte ich, der Schuh stützt den Fuß, bis er einen Gips bekommt“, rechtfertigte sich der Begleiter des Verletzten.

„Gut mitgedacht.“ Nico nickte. „Ich gebe Ihnen gleich ein Schmerzmittel, Martin. Haben Sie früher schon mal ähnliche Brustschmerzen gehabt?“

„Nein. Es tut hier weh.“ Der Patient legte eine Hand auf die Mitte der Brust, direkt übers Herz. „Es zieht bis in den Nacken und ins Kinn.“

„Auf einer Skala von null bis zehn, mit null schmerzfrei und zehn als schlimmstem denkbaren Schmerz: Wie stark ist der Schmerz?“

„Zehn. Es tut viel stärker weh als am Knöchel.“

Nico nickte. „Ich lege Ihnen einen Zugang in die Hand und verabreiche Ihnen etwas gegen die Schmerzen. Anschließend ziehen wir Sie so rasch wie möglich in den Hubschrauber hinauf. Einverstanden?“

„Okay …“ Grau im Gesicht, lehnte Martin sich gegen seinen Freund.

Nico bemerkte, dass er stark schwitzte. Er hätte gern ein EKG geschrieben, das war jedoch erst im Hubschrauber möglich. Besorgt öffnete er seinen Rucksack und suchte alles Erforderliche zusammen. „Sind Sie allergisch gegen irgendwelche Medikamente?“, fragte er.

„Nein.“

„Haben Sie erhöhten Blutdruck, Asthma, Diabetes oder ein anderes gesundheitliches Problem?“

„Nein.“

„Gut. Dann geht’s los.“ Der Zugang ließ sich mühelos legen, und Nico spritzte ein starkes Schmerzmittel. Sobald es wirkte, zog er den Stiefel vom verletzten Fuß und schiente ihn mit einer aufblasbaren Schiene. Anschließend legte er Martin das Windengeschirr an, richtete ihn mithilfe von Martins Freund auf und fixierte ihn an seinem eigenen Geschirr.

„Treten Sie zurück“, wies er Martins Freund an, als der Hubschrauber sich näherte. Der Wanderer kehrte zum Rest der Gruppe zurück, die ein Stück weiter wartete. Das Dröhnen der Rotoren zwischen den Felswänden war ohrenbetäubend. Sobald das Windenseil in Reichweite kam, packte Nico es und hakte sich daran ein. Er gab Frankie ein Zeichen, die mit einem Fuß auf der Kufe zu ihm hinabsah, bereit, dem Patienten in den Helikopter zu helfen.

Das Hochziehen verlief rasch und reibungslos. Sobald alle an Bord waren, schloss Ricky die Tür. Mozzie zog die Maschine in die Höhe und nahm Kurs auf die Stadt, während Nico und Frankie begannen, Martin an die Überwachungsgeräte anzuschließen.

„Es sind vermutlich ischämische Brustschmerzen, Vorbefunde gibt es keine“, erklärte Nico, den Blick fest auf den Monitor geheftet. „Das EKG zeigt eine deutliche ST-Streckenhebung – und ja, ich weiß, während des Flugs liefert es keine exakten Daten.“

„Die Sauerstoffsättigung ist unter vierundneunzig Prozent gefallen. Ich gebe ihm Sauerstoff.“

„Blutdruck?“

„Einhundertsiebzig zu neunzig. Puls zweiundsechzig. Nimmt er Medikamente?“

„Nein. Wie lange dauert der Flug ins nächste Herzkatheterlabor?“

„Das gibt’s im St. Mary’s. Ich schätze fünfundzwanzig Minuten. Was meinst du, Mozzie?“

Mozzie konnte gerade nicht antworten, da er mit der Leitstelle sprach. Nico hörte ihn sagen, dass sie für die nächste halbe Stunde unabkömmlich wären, und dass er sich melden würde, sobald sie wieder frei wären.

„Wie schlimm sind die Brustschmerzen aktuell auf der Skala bis zehn, Martin?“

„Sechs etwa. Mir wird übel.“

„Ich gebe Ihnen gleich etwas dagegen. Leider ist der Flug heute ziemlich rau.“

Medikamente dosieren und verabreichen erwies sich bei den anhaltenden Turbulenzen als schwierige Aufgabe. Einmal sackte der Hubschrauber abrupt um etliche Meter ab. Nico warf Frankie einen Blick zu. „Ruckelig genug für dich?“

„Ich kann mich nicht beklagen.“ Sie hatte jede seiner Bewegungen genau beobachtet und schien mit seiner Arbeit zufrieden.

Plötzlich gab einer der Monitore einen Warnton ab. Martins Herzschlag war zu langsam geworden.

„Er verliert das Bewusstsein! Martin?“ Frankie schüttelte ihn sanft. „Können Sie mich hören?“

Martins Augen blieben geschlossen, sein Kopf sank zur Seite. Auf dem EKG waren nur noch unregelmäßige Flimmerwellen zu sehen.

„Kammerflimmern! Ich muss defibrillieren.“ Mit geübten Griffen befestigte Nico Elektroden an Martins Brust. „Tritt zurück, Frankie.“

„Soll ich landen?“ Über die Lautsprecher im Helm verfolgte Mozzie, was in der Kabine gesprochen wurde. Er wusste um den Ernst der Lage.

„Das dauert zu lange. Ich komm’ schon klar. Gib mir die höchstmögliche Energie, Frankie.“ Nico bemerkte die erstaunten Blicke, die Frankie und Ricky tauschten. Er wusste, dass eine Defibrillation während eines Flugs riskant war, gerade unter Turbulenzen, hatte aber bereits praktische Erfahrungen damit gesammelt. „Wahrt Abstand“, warnte er die anderen. „Und haltet euch irgendwo fest, falls es ruckt.“

Er löste einen Stromstoß aus. Martins Körper zuckte, auf dem Monitor war weiterhin Flimmern zu erkennen.

„Starte mit der Herz-Lungen-Massage, Frankie. Ich lege ihm derweil eine Larynxmaske an. Falls die es nicht bringt, intubiere ich.“ Nico wartete ab, bis sie das nächste Luftloch passiert hatten, ehe er einen Schlauch in Martins Luftröhre einführte. Dann blies er das Cuff auf, das den Kehlkopf abdichtete, schloss einen Beatmungsbeutel an und presste ihn. Die Brust des Patienten hob sich zu seiner Zufriedenheit. Durch den zuvor gelegten Zugang injizierte er eine Dosis Adrenalin, während Frankie die Herzdruckmassage aufrechterhielt und Ricky den Beatmungsbeutel bediente.

Nico fiel ein, dass er sich gewünscht hatte, durch diesen Einsatz zu einem anerkannten Crewmitglied zu werden. Ganz so dramatisch hätte er allerdings nicht verlaufen müssen!

Wow, so was von Wow! schoss es Frankie durch den Kopf.

Fast schon ehrfürchtig betrachtete sie auf dem Rückflug zur Basis das jüngste Crewmitglied. Was für ein Ende ihres ersten Arbeitstages! Nico trat nicht nur selbstbewusst auf, er war auch viel geschickter, als sie zu hoffen gewagt hatte. Es bestand kein Zweifel daran, dass er dem Patienten das Leben gerettet hatte. Nach einer zweiten Defibrillation hatte Martins Herz wieder gleichmäßig zu schlagen begonnen, und noch während der Landung auf dem Dach von St. Mary’s, wo ihm im Katheterlabor Stents eingesetzt werden würden, um künftige Schäden von seinem Herzen abzuwenden, war er wieder aufgewacht.

„Während eines Flugs defibrilliert habe ich noch nie“, gestand sie. „Oder intubiert. Entweder ich mache es vor dem Start, oder wir landen dafür.“

Nico lächelte. „Der Unterschied ist nicht besonders groß. Man muss lediglich behutsamer vorgehen, gerade bei Turbulenzen.“

„Es hat Martin vermutlich das Leben gerettet. Du hast sein Herz wieder in Gang gesetzt und ihn so vor einem Hirnschaden durch Sauerstoffmangel bewahrt.“

„Ich konnte es kaum glauben, als er die Augen aufschlug und sich die Maske runterreißen wollte! Gute Arbeit, Nico“, lobte auch Ricky.

„Es war Teamarbeit“, wehrte Nico bescheiden ab, ehe er ihnen den Rücken kehrte und durchs Fenster die Landung am Heimatflughafen verfolgte.

Das gab Frankie Gelegenheit, ihn ausgiebig zu betrachten. Er sah nicht nur toll aus, sondern war obendrein mutig, fähig und bescheiden – eine unwiderstehliche Kombination. Hoffentlich verliebte sie sich nicht doch noch in ihn!

Sie waren Kollegen, arbeiteten sogar im selben Team. Vor Jahren hatte sie zwei eiserne Regeln aufgestellt.

Erstens lass dich niemals mit einem Italiener ein und zweitens mit keinem Kollegen. Sie hatte mitansehen müssen, welchen Schaden Romanzen am Arbeitsplatz anrichten konnten, und war nicht bereit, den Job, den sie über alles liebte, dafür aufs Spiel zu setzen. Jüngstes warnendes Beispiel war ihre Freundin Jenny, die sich nach einer tragischen Affäre gezwungen gesehen hatte, das Team zu verlassen.

Frankie hätte Nico gern ausgiebiger gelobt, wagte es aber nicht, weil sie sich seit Schichtbeginn am Morgen ihm gegenüber wenig entgegenkommend gezeigt hatte. Schuld daran war eine innere Barriere, die sie gegen ihn errichtet hatte – weil er Italiener war, viel zu gut aussah und obendrein den Platz ihrer Freundin einnahm, die sie jetzt schon vermisste.

„Ist Jenny nicht nach Willhua gezogen?“, fragte unvermittelt Mozzie.

„Doch, warum?“

„Gerade kam ein Anruf von der Leitstelle. Sie haben dort einen Auftrag für uns.“

„Unsere Schicht ist vorüber und es wird dunkel.“

„Niemand außer uns ist frei. Sie haben vorhin schon angefragt, als ihr mit dem Kammerflimmern beschäftigt wart. Bei Willhua ist ein Lastwagen über eine Klippe auf einen Felsvorsprung runtergestürzt. Ein Patient wurde aus dem Wrack geborgen und ins Krankenhaus gebracht. Es könnte sich allerdings noch jemand dort befinden, ein Typ namens Bruce. Wir sollen vom Meer aus nachsehen, ob wir ihn entdecken, denn von der Straße aus ist er nicht zu sehen. Falls er wirklich dort ist, soll er nicht bis zum Morgen warten müssen, bis die Kletterer zu ihm absteigen können.“

„Also gut. Starten wir durch.“

Mozzie schüttelte den Kopf. „Falls wir jemanden finden, müssen wir ihn per Winde retten. Das könnte feucht werden. Einer von euch sollte sich einen Neoprenanzug anziehen. Außerdem fliegen wir mit kleiner Besatzung. Ricky kann nach Hause gehen.“

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