Julia Ärzte zum Verlieben Band 128

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HILFSEINSATZ FÜR DIE LIEBE von RUTTAN, AMY
"Naomi? Was tust du hier?" Dr. Christos Moustakas’ Herz schlägt höher, als seine Ex Naomi bei einem Hilfseinsatz in Griechenland auftaucht. Insgeheim verzehrt er sich mehr denn je nach der schönen Ärztin. Doch er weiß, dass er ihr nicht bieten kann, was sie ersehnt …

SCHENK MEINEM HERZEN EIN ZUHAUSE von ROBERTS, ALISON
Dr. Luke Gilmore ist Schwester Ellies Rettung: Erst hilft er bei der dramatischen Geburt ihres Babys, dann bietet er ihr und dem kleinen Jamie ein Dach über dem Kopf. Als er sie zärtlich in den Armen hält, träumt sie von mehr. Aber Luke plant, die Stadt zu verlassen …

EIN MÄRCHENPRINZ FÜR MEGAN? von CLAYDON, ANNIE
Mit seinen braunen Augen und dem dunklen, lockigen Haar erscheint Dr. Jaye Perera wie ein Märchenprinz. Ehe Megan sich versieht, lässt sie sich von ihm zu einem leidenschaftlichen Kuss verführen. Ein Fehler, der sie den Job kostet? Schließlich ist Jaye ihr neuer Boss …


  • Erscheinungstag 26.07.2019
  • Bandnummer 0128
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713522
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amy Ruttan, Alison Roberts, Annie Claydon

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 128

AMY RUTTAN

Hilfseinsatz für die Liebe

Dr. Christos Moustakas war Naomis Traummann, bis er vor drei Jahren ihre Liebe verriet. Seitdem widmet sich die schöne Ärztin mit ganzem Herzen ihrer Arbeit. Doch als sie mit einer Hilfsorganisation in ein Erdbebengebiet reist, sieht sie dort unerwartet Christos wieder. Erneut erwacht Verlangen in ihr – so unvernünftig wie unwiderstehlich …

ALISON ROBERTS

Schenk meinem Herzen ein Zuhause

Nur aus einem Grund kommt Dr. Luke Gilmore nach Auckland: Er hat das Haus seiner Pflegeeltern geerbt und muss sich um den Verkauf kümmern. Da begegnet ihm Schwester Ellie. Vom ersten Moment an weckt die frischgebackene Single-Mom seinen Beschützerinstinkt … und mehr? Bald verspürt er ungeahnt zärtliche Sehnsucht. Aber eine Familie kommt für ihn nicht infrage!

ANNIE CLAYDON

Ein Märchenprinz für Megan?

Bei Schwester Megans bezauberndem Lächeln wird Dr. Jaye Perera schwach. Ohne lange nachzudenken, zieht er sie in seine Arme und küsst sie leidenschaftlich … und wünscht sich kurz darauf, er hätte sich zurückgehalten! Schließlich ist es nicht lange her, dass ausgerechnet Megans Freundin ihn betrogen hat – und noch einmal darf er nicht sein Herz riskieren!

PROLOG

Nashville, Tennessee

Er hasste sich für das, was er gleich tun würde.

Dann tu es nicht.

Dr. Christos Moustakas blickte auf den Vertrag auf seinem Schreibtisch, den er gerade unterschrieben hatte. Ein Vertrag für einen Job, der ihn aus Nashville und von Naomi wegführen würde.

Er war wütend auf sich selbst, dass er sich überhaupt mit ihr eingelassen hatte. Bei ihrer ersten Begegnung, als sie letztes Jahr für dieselbe Dienstschicht als Chirurgen eingeteilt worden waren, hatte er es gleich gewusst. Naomi war der Typ Frau, der viel mehr wollte, als er ihr geben konnte.

Chris hatte kein Interesse daran, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Das hatte er ihr von Anfang an gesagt. Ihm war jedoch klar, dass sie sich inzwischen trotz seiner Warnung mehr von ihm wünschte. Aber dazu war er einfach nicht imstande.

Wieso nicht?

Mit einem gedämpften Fluch wandte er sich von dem Vertrag ab und schaute sich im Apartment um, das voller Erinnerungen an Naomi war. Er schien sie förmlich im Blut zu haben. Ständig dachte er nur an sie.

Und das durfte nicht sein.

Die Arbeit war wichtiger.

Er musste die Sache heute beenden.

Als es an seiner Wohnungstür klopfte, setzte sein Herzschlag einen Moment lang aus. Chris presste die Kiefer aufeinander, und sein Magen zog sich zusammen. Er wusste, dass er Naomi damit das Herz brechen würde.

Aber es war das Beste so.

Er wollte sie nicht heiraten und in einer unglücklichen Ehe einsperren, so wie es bei seinen Eltern gewesen war.

Niemals.

Sobald er die Tür öffnete, lächelte Naomi ihn strahlend an, küsste ihn auf die Wange und kam herein.

„Da bist du ja. Was ist los? Du warst in letzter Zeit ein bisschen distanziert.“ Sie brach ab, als sie die Kartons in seiner Wohnung erblickte. „Oh.“

Chris schloss die Tür. „Ja, tut mir leid, dass ich nicht zurückgerufen habe. Mir ist was dazwischengekommen.“

„Das sehe ich.“ Naomi drehte sich zu ihm um. „Wohin gehst du?“

„Nach New York. Mir wurde dort eine Stelle bei Dr. Heffernan in der Neurochirurgie angeboten. Wenn er sich nächstes Jahr zur Ruhe setzt, kann ich seine Praxis übernehmen. Ich werde leitender Neurochirurg.“

„Wow, das ist großartig. Herzlichen Glückwunsch. Wann reist du ab?“

„Heute Abend.“

Er merkte ihr an, wie sehr sie sich getroffen fühlte. „Du wolltest gehen, ohne es mir zu sagen?“

„Nein, deshalb habe ich dich ja gebeten, herzukommen.“

„Ich dachte …“ Fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß nicht.“

„Sag’s mir.“ Chris war auf eine zornige Reaktion gefasst, die hatte er verdient.

Für einen flüchtigen Augenblick wünschte er, er wäre ein anderer Mensch. Aber das war er nun mal nicht, und er hatte auch keine Ahnung, wie er sich ändern sollte. Er wusste, wie es war, mit einer abwesenden Mutter aufzuwachsen, die schon allein seine Existenz verabscheute. Und mit einem Vater, der seinen Anblick kaum ertrug, weil sein Sohn eine einzige Enttäuschung für ihn war.

Familien waren kompliziert und unschön.

Damit wollte Chris nichts zu tun haben.

„Ich dachte, wir würden über unsere Jobangebote reden“, gab Naomi zurück. „Immerhin habe ich die Stelle in der Mayoklinik abgelehnt, weil ich dachte, du möchtest mit mir zusammen sein.“

Tränen standen in ihren Augen, und er musste sich beherrschen, um sie nicht in die Arme zu nehmen und zu trösten.

„Warum hast du die Stelle dort nicht angenommen?“

„Ich hätte es wohl lieber tun sollen.“

„Ja, das stimmt. Naomi, es geht um deine Karriere. Das ist wichtig.“

„Ich wollte nicht von dir weg. Ich wollte uns beiden eine Chance geben!“

Chris schloss die Augen, während der Schmerz ihn durchzuckte, doch er verschloss sein Herz davor. Er hätte sich niemals auf sie einlassen dürfen. Nach jenem ersten Kuss, der seine ganze Welt elektrisierte, hätte er sofort gehen sollen.

Naomi Hudson war gefährlich, das hatte er die ganze Zeit gewusst und sich trotzdem nicht von ihr ferngehalten.

„Du hättest die Stelle annehmen sollen, Naomi. Für uns gibt es keine langfristige Zukunftsperspektive. Das habe ich dir von Anfang an gesagt.“

Eine Träne lief ihr über die Wange. „Ich erinnere mich daran, aber ich dachte …“

„Was denn?“, unterbrach er sie. „Dass ich es mir anders überlegen würde? Es ist immer mein Ziel gewesen, leitender Neurochirurg zu werden. Das wusstest du.“

„Und du hast im Grunde immer gewusst, dass ich mir von unserer Beziehung mehr gewünscht habe. Du hast mich in der Luft hängen lassen. Du wolltest mich auch nicht gehen lassen!“, rief sie erbost.

„Jetzt lasse ich dich gehen“, sagte Chris mit versteinerter Miene. Auch wenn er Naomi nicht verlieren wollte, war es besser so.

„Ich dachte, ich würde dir mehr bedeuten.“ Ihre Stimme klang erstickt.

„Wir wussten doch beide, dass es irgendwann zu Ende sein würde.“

Ich wusste das nicht. Oder wahrscheinlich wollte ich es nicht glauben.“

„Na ja, dann ist das dein Problem.“ Er hasste sich für diese Worte, aber es musste einfach gesagt werden. Er musste die Sache beenden. Naomi hatte seinetwegen einen Job abgelehnt, obwohl er sie nie darum gebeten hatte. Sie sollte ihr eigenes Leben führen, ohne ihn.

Mit der schallenden Ohrfeige von ihr hatte er gerechnet.

„Viel Spaß in New York, du gemeiner Mistkerl! Ich wünsche bei Gott, dass ich dich nie wiedersehe!“ Damit rauschte sie an ihm vorbei und knallte krachend die Wohnungstür hinter sich zu.

Chris, der sich nicht umgedreht hatte, seufzte, und beinahe glitt auch ihm eine Träne aus dem Auge. Vom Fenster aus beobachtete er, wie Naomi in ihr Auto stieg und wegfuhr.

Seit wann hatte er sich in ein so kaltherziges Monster verwandelt wie sein Vater?

Er war egoistisch gewesen. Er hatte unbedingt mit Naomi zusammen sein wollen, und ein Jahr lang war es wunderschön gewesen. Dann hatte sie begonnen, sich durch seine sorgfältig errichteten Schutzmauern in sein Herz zu schleichen und eine gemeinsame Zukunft zu planen, die er nie angestrebt hatte.

Es war Zeit, sie gehen zu lassen. Selbst wenn sein Herz da ganz anderer Meinung war.

Naomi würde jemand Besseren finden als ihn, er war nicht der Richtige für sie.

Chris hatte sie nicht verdient, aber er würde sie niemals vergessen. Eine solche Frau würde es in seinem Leben nicht mehr geben, dafür würde er schon sorgen. Er war überzeugt, dass er nie wieder eine Frau so lieben würde, wie er sie geliebt hatte.

Es würde nur eine einzige Dr. Naomi Hudson in seinem Leben geben, und er hatte sie gerade zurückgewiesen. Ohne ihn wäre sie mit Sicherheit glücklicher. Chris hingegen würde sich ohne sie elend fühlen, aber das geschah ihm recht.

Noch einmal griff er nach dem Vertrag für den Job in Manhattan. Für ihn ging es vor allem darum, Leben zu retten. Wenn er sich mit aller Kraft in seinem Beruf engagierte, würde das vielleicht den Schmerz wieder aufwiegen, den er Naomi zugefügt hatte.

Zumindest konnte er auf diese Weise etwas Gutes tun, auch wenn es für sein Herz keine Rettung mehr gab.

1. KAPITEL

Drei Jahre später, Mythelios, Griechenland

Wieder eine schlaflose Nacht.

Die Hitze machte Chris zu schaffen. Obwohl er sich bereits seit Mitte Juli in Griechenland aufhielt, zwei Monate nach dem Erdbeben auf der Insel, hatte er sich noch nicht wieder an die hiesigen Temperaturen gewöhnt. Sein Körper war nach wie vor auf das Klima von Manhattan eingestellt. Und dass Mythelios sich noch von dem Erdbeben erholte, war auch keine große Hilfe.

Das Haus von Chris’ verstorbener Großmutter hatte keine Klimaanlage, und da auf der Insel vieles repariert werden musste, wurden alle Arbeiten aufgeschoben, die nicht absolut notwendig waren.

Die Klimaanlage musste daher warten.

Gähnend öffnete Chris die Tür zu dem kleinen Balkon der hübschen Villa seiner Großmutter. An das Geländer gelehnt, beobachtete er den Sonnenaufgang über dem Ägäischen Meer.

Es war lange her, dass er gesehen hatte, wie die Sonne sich strahlend schön über dem türkisfarbenen Meer seiner Jugend erhob. Seit vielen Jahren hatte er weder Oliven im Garten seiner Großmutter gepflückt, noch war er im Meer geschwommen. Der Garten war mittlerweile überwuchert, doch von der oberen Etage des Hauses aus hatte man einen ungehinderten Blick bis zum Horizont.

Dies war das älteste und am höchsten gelegene der alten Häuser, die in die Klippen von Mythelios gebaut worden waren. Durch das Erdbeben hatte es glücklicherweise nur leichte Schäden davongetragen, während zahlreiche neuere Gebäude schwer beschädigt und teilweise eingestürzt waren.

Seltsam, wie wenig sich hier verändert zu haben schien.

Chris war so lange in den USA gewesen, wo er sich sowohl Frauen als auch seiner Karriere gewidmet hatte, dass er vollkommen vergessen hatte, auch mal innezuhalten und sich zu entspannen. So wie jetzt, als der Duft der Orangenblüten vom Garten zu ihm aufstieg.

In den vergangenen drei Jahren hatte sein Leben in New York vor allem aus ständigen Partys, Frauen und Arbeit bestanden. Wobei sein Beruf das Wichtigste gewesen war. Durch nichts und niemanden hatte Chris sich davon abhalten lassen, der beste Neurochirurg an der Ostküste zu werden.

Nun ja, das stimmte nicht ganz. Eine Sache war ihm in die Quere gekommen – das war der Grund für seine schlaflosen Nächte und seine Rückkehr nach Griechenland.

Er hatte eine lange Reihe von One-Night-Stands gehabt, um über den Verlust der Frau hinwegzukommen, die er wirklich geliebt hatte. Und einer davon hatte dazu geführt, dass Chris Vater eines Babys geworden war. Um seinen Sohn behalten zu können, hatte er dessen Mutter eine horrende Summe Geld gezahlt.

Der kleine Evangelos stand nun im Mittelpunkt seines Lebens. Obwohl Chris sich eine Nanny leisten konnte, hatte sie letzte Nacht freigehabt. Und in diesem Fall war er dann selbst beim Füttern und Windelnwechseln gefordert.

Müde rieb er sich das Gesicht.

Wann war sein Leben so komplett aus den Fugen geraten? Wann war alles so schwierig geworden?

Das wusste er genau: nämlich an dem Tag, als er Naomi verlassen und seinen Beruf über die Liebe gestellt hatte. Er hatte die einzige Frau verlassen, der es jemals gelungen war, die hohen Mauern zu durchbrechen, die er in seinem Inneren aufgebaut hatte.

Nachdem die unglückliche Ehe seiner Eltern kläglich gescheitert war, hatte er sich geschworen, niemals eine eigene Familie zu gründen.

Er hatte Naomi in Nashville zurückgelassen, um seine hochfliegenden Karrierepläne in New York City zu verfolgen. Das Schlimmste daran war, dass sie ihn geliebt hatte und er sie von ihren eigenen beruflichen Zielen abgehalten hatte. Obwohl er nicht imstande gewesen war, ihr das zu geben, was sie sich wünschte, hatte sie seinetwegen trotzdem ein hervorragendes Stellenangebot ausgeschlagen. Noch immer fühlte Chris sich deshalb schuldig.

Er war nicht imstande gewesen, sie zu vergessen. Also hatte er versucht, sich abzulenken, indem er mit vielen Frauen ins Bett gegangen war. Und so war er zu Evangelos gekommen.

Chris liebte seinen Sohn, und er liebte es, Vater zu sein. Das hätte er sich früher nie vorstellen können. Dennoch hatte er sich die Rückkehr in sein Heimatdorf anders ausgemalt.

„Netter Waschbrettbauch!“

Stirnrunzelnd blickte Chris über die Brüstung und sah Ares, der gerade den kleinen Dorfplatz überquerte. Seine langen Locken waren unter der Baseball-Kappe verborgen, die Chris ihm vor langer Zeit aus Amerika geschickt hatte.

Ares war einer seiner besten Kindheitsfreunde. Ebenfalls einer der vier Gründer der gemeinnützigen Klinik von Mythelios, arbeitete er als Notfallmediziner. Alle Freunde von Chris waren jetzt auf die Insel zurückgekehrt, nachdem Theo wegen des Erdbebens einen Hilferuf an sie losgeschickt hatte.

Ares war auf jungenhafte Art attraktiv, und die alberne Kappe wirkte bei ihm absolut fehl am Platz. Trotzdem veranlasste sie Chris zu einem Lächeln. Er freute sich, wieder bei Theo, Deakin und Ares zu sein, obwohl die drei anderen in der Klinik tätig waren und er nicht.

Allerdings hatte von ihnen auch noch keiner ein Baby.

„Zieh dir was an!“, rief Ares ihm zu und lachte.

„Wohin gehst du?“, fragte Chris.

„Zur Klinik. Eigentlich wollte ich aber auch zu dir kommen. Wir haben einen Fall, zu dem ich gerne deine Meinung hören würde.“

„Ich bin nicht als Arzt hier. Ich wollte euch nur ein bisschen unterstützen und mich nach dem Tod meiner Großmutter um die nötigen Formalitäten kümmern.“

„Ach, komm schon“, drängte Ares. „Ich brauche deine Meinung als Fachmann. Außerdem wird es höchste Zeit, dass du dir auch mal die Hände in der Klinik schmutzig machst, die du ja schließlich mitgegründet hast.“

Er hatte recht, und Chris vermisste seine Arbeit.

Deshalb nickte er. „Ich komme rüber, sobald Lisa wieder da ist.“

Ares zog die Augenbrauen hoch. „Wer ist Lisa?“

„Evans Nanny.“

„Ah, und ich dachte, der berüchtigte griechische Valentino von Manhattan hätte wieder zugeschlagen.“

Chris schnaubte. „Seit wann habe ich Zeit für so was?“

„Tja, irgendwann musst du wohl Zeit dafür gehabt haben“, entgegnete Ares belustigt. „Du bist der Einzige mit einem Kind.“

Allerdings nicht mehr lange, denn Cailey Nikolaides war im fünften Monat schwanger. Sie arbeitete als Krankenschwester in der Klinik und war mit Theo verheiratet.

„Hey, entweder du kommst jetzt rein, oder du gehst zur Arbeit. Sonst weckst du mit deinem Geschrei noch die ganze Nachbarschaft auf!“, rief Chris.

Mit einem Augenzwinkern sagte Ares: „Bis später.“

Chris blickte ihm nach, wie er durch die schmalen Gassen des alten Teils der Insel joggte, wo sich auch andere Häuser auf den Felsen oberhalb des Meeres befanden. Die Gebäude waren bunt gestrichen und über enge, gepflasterte Straßen miteinander verbunden. Alle Wege führten zu dem großen Platz mit der Kirche hinunter. Von dort ging es dann weiter zum Hafen und zur Klinik.

Die Kirchenglocke zeigte mit ihrem Läuten die Uhrzeit an und weckte die verschlafene kleine Insel, die nur etwa eine Stunde mit der Fähre von Athen entfernt lag. Im Vergleich zu dem einfachen Leben hier auf Mythelios ging es in der griechischen Hauptstadt wesentlich moderner zu.

Wieder gähnte Chris, streckte sich und schaute an sich herunter.

Verflixt.

Er hatte tatsächlich gar nichts an. Zum Glück war der Balkon gemauert und keine offene Dachterrasse wie in den großen Städten. Er war einfach nackt eingeschlafen. Jetzt musste er sich schnell etwas überziehen, bevor Lisa eintraf, damit sie keinen falschen Eindruck von ihm bekam.

Das war sein großes Problem – auf alle Frauen, denen er begegnete, schien er diese Wirkung zu haben. Auch auf Naomi.

Ich dachte, ich würde dir mehr bedeuten. Dabei hatte ihre Stimme gezittert.

Wir wussten doch beide, dass es irgendwann zu Ende sein würde.

Ich wusste das nicht. Oder wahrscheinlich wollte ich es nicht glauben.

Na ja, dann ist das dein Problem.

Es schnürte Chris den Magen zusammen, dass er sie so tief verletzt hatte. Er würde es immer mit sich herumtragen. Aber auf gar keinen Fall wollte er sich für den Rest seines Lebens an eine Frau binden.

Er hatte es bei seinen Eltern miterlebt.

Sobald eine Ehe mit im Spiel war, ging alles den Bach hinunter. Seine Mutter war gegangen, und egal, wie sehr Chris sich auch bemüht hatte, er hatte es seinem Vater niemals recht machen können.

Er fröstelte unwillkürlich. Nein, er würde sicher niemals heiraten.

Dann ging er hinein, warf sich einen Bademantel über und schaute nach seinem Sohn, der noch friedlich in seinem Bettchen schlief. Der einzige Ventilator im ganzen Haus stand im Kinderzimmer, doch auch dieser bewegte nur die heiße Luft hin und her.

Du wolltest auch nie Vater werden, erinnerte ihn eine leise Stimme in seinem Innern.

Und trotzdem war Evangelos da.

Voller Liebe lächelte Chris seinen Sohn an, der ihm so ähnlich war. Im Schlaf nuckelte er an seiner kleinen Faust, und wegen der Hitze klebten ihm die dunklen Löckchen am Gesicht.

Mythelios war nun ihre Welt, und für Evangelos wollte er das Richtige tun. Ihm sollte es an nichts fehlen, er würde sich seinem Vater gegenüber nie wie ein Fremder fühlen. Chris war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass sein Sohn alles bekam, was er brauchte.

Nur dass er keine Mutter hat.

Rasch schüttelte er diesen Gedanken ab. Evan brauchte keine Mutter. Er selbst war auch ohne Mutter zurechtgekommen, und er würde seinem Sohn genug Liebe geben, dass es für beide Elternteile reichte.

Er machte die Tür zum Kinderzimmer zu und ging unter die Dusche. Danach suchte er die Klamotten für die Klinik und den Laborkittel hervor, die Theo ihm vor einigen Wochen nach seiner Rückkehr auf die Insel gegeben hatte.

„Wofür sind die?“, hatte er Theo gefragt.

„Ich weiß, dass deine Yia-yia gerade gestorben ist. Aber falls du das Bedürfnis hast, wieder zu arbeiten, könnten wir dich in der Klinik wirklich gut gebrauchen.“

„Danke. Ich denk drüber nach. Wenn ihr mich dringend für einen Notfall braucht, bin ich da. Aber momentan kann ich mich zu nichts verpflichten.“

„Ich weiß“, hatte Theo in sanftem Ton gesagt. „Aber die hier sind für dich, für alle Fälle.“

Die Klinik war zwar nicht dasselbe wie das exklusive Krankenhaus in Manhattan, wo Chris bisher gearbeitet hatte, aber zumindest könnte er hier auch als Arzt tätig sein. Er liebte seinen Beruf, und er würde damit seiner Heimatinsel auch etwas anderes außer Geld zurückgeben, nämlich seine Zeit und seine Fähigkeiten.

Seitdem er in die USA gegangen war, hatte er sich finanziell an Theos Klinik beteiligt. Wie alle seine Freunde hatte er dafür seinen Treuhandfonds von Mopaxeni Shipping genutzt, aber mehr eben nicht.

Jetzt war der der Zeitpunkt gekommen, mehr zu tun. Und trotzdem konnte er dann noch genügend Zeit mit Evangelos verbringen. Außerdem hatte Chris vor, das Haus seiner Großmutter instand zu setzen, um seinen Sohn an einem ruhigen und sicheren Ort aufzuziehen – in dem Haus, in dem er in seiner Kindheit immer glücklich gewesen war.

Inzwischen ärgerte er sich darüber, dass er so lange weggeblieben war. Doch er hatte geglaubt, dass ihn in Amerika ein besseres Leben erwartete.

Er zog sich an und band sich gerade Schuhe zu, als die Haustür geöffnet wurde.

Als Lisa ihn erblickte, errötete sie leicht. „Entschuldigen Sie, Dr. Moustakas. Ich wollte schon früher hier sein, aber meine Cousine aus Amerika, die vor einem Monat nach Griechenland gekommen ist, hat gestern Abend meine Familie in Athen besucht.“

„Das ist schon okay, Lisa. Ich hatte Ihnen ja den Tag und die Nacht freigegeben. Sie haben auch mal eine Pause verdient.“

Sie senkte den Kopf und steckte sich eine Strähne ihres dunkelbraunen Haars hinters Ohr. Wäre Chris jünger gewesen, hätte er mit ihr geflirtet. Doch er war kein Playboy mehr, und Lisa stammte aus einer angesehenen Athener Familie. Eine Familie, die von dem Mann, auf den sie sich einließ, ganz sicher einen Heiratsantrag erwarten würde.

„Ich gehe runter in die Klinik. Da können Sie mich erreichen.“ Chris öffnete die Tür, drehte sich dann jedoch noch einmal um. „Wie lange wird Ihre Cousine in Athen bleiben?“

„Noch eine ganze Weile. Sie arbeitet dort“, sagte Lisa. „Der Bruder meines Vaters hat sich in eine Amerikanerin verliebte und ist dann ausgewandert. Niemand hat meinen Onkel oder meine Cousine mehr gesehen, seit sie ein kleines Mädchen war. Und ich habe sie das erste Mal getroffen.“

„Vielleicht können Sie ja das übernächste Wochenende bei Ihrer Familie in Athen verbringen, um Ihre Cousine ein bisschen besser kennenzulernen.“

Lisas Miene leuchtete auf. „Das wäre sehr schön, Dr. Moustakas.“

Er nickte und zog die Haustür ins Schloss. Während er durch die kopfsteingepflasterten Straßen ging, merkte er, wie das kleine Städtchen am Rande des Meeres allmählich lebendig wurde. Viele Leute gingen an Bord der Fähre, die im Hafen lag, um zum etwa eine Stunde entfernten Festland hinüberzufahren.

Von hier aus war es nicht mehr weit bis zur Klinik, und Chris fühlte sich beschwingt. Er freute sich darauf, wieder zu arbeiten und seine Freunde dort zu unterstützen.

Ares, Theo und Deakin hatten mittlerweile alle die Liebe ihres Lebens gefunden. Chris war als Einziger noch Single, und das würde sich so bald auch nicht ändern.

Nur bei einer Frau hätte er beinahe ans Heiraten gedacht. Doch das hatte er so gründlich vermasselt, dass er ihr das Herz gebrochen hatte. Er hatte es verdient, allein zu sein. Als Strafe für den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte.

Seufzend stieß Chris die Eingangstür zur Klinik auf. Am Anmeldetresen saß niemand, obwohl die Tür offen war.

„Ares?“, rief er. Keine Antwort. „Ares, wo bist du? Hallo?“

„Du liebe Zeit, was soll denn das Geschrei? Ich komme!“, erwiderte jemand mit einem weichen Tennessee-Akzent. Eine Stimme, die Chris nur allzu gut kannte.

Sein Herzschlag setzte einen Moment lang aus, als die dazugehörige Frau aus dem hinteren Bereich des Gebäudes herbeieilte. Sie trug ein elegantes Business-Kostüm und Schuhe mit hohen Absätzen. Chris hatte das fürs Krankenhaus schon immer albern gefunden. Über ihrer Kleidung trug sie einen blütenweißen Kittel.

Das dichte rotblonde Haar hatte sie am Hinterkopf zu einem festen Knoten geschlungen, der ihr nicht sonderlich gut stand, und ihre sanften grünbraunen Augen weiteten sich erschrocken. Sie blieb abrupt stehen.

„Naomi?“, sagte Chris wie betäubt, sobald er seine Sprache wiedergefunden hatte. „Was tust du hier?“

Oh, mein Gott, was macht er denn hier?

Zwar wusste Naomi, dass Dr. Christos Moustakas Grieche war, hatte jedoch keine Ahnung, dass er sich auf Mythelios aufhielt. Vielmehr hatte sie ihn in Manhattan vermutet, wo er den allwissenden Halbgott der Neurochirurgie und Playboy spielte.

Nachdem sie ihn endlich hinter sich gelassen hatte, um als Chirurgin für eine internationale Hilfsorganisation zu arbeiten, hatte sie gehofft, ihm nie wieder zu begegnen.

Vor drei Jahren hatte er ihr Herz in tausend Stücke gebrochen, ihre Seele zutiefst verletzt. Sie wollte ihn nie wiedersehen. Niemals.

Das stimmt nicht ganz.

Nein, sie hatte sich danach gesehnt, ihn wiederzusehen, doch das Risiko, erneut von ihm verletzt zu werden, wäre viel zu groß gewesen. Nachdem Chris sie so kalt abserviert hatte, hatte es sehr lange gedauert, bis ihr Herz wieder geheilt war. Und dann hatte sie auch noch ihr gemeinsames Kind verloren, ein Baby, von dem sie erst nach seiner Abreise erfahren hatte.

Naomi hatte versucht, es ihm zu sagen, doch er hatte nie zurückgerufen.

Sie hatte den Schmerz alleine ertragen.

Sie hasste Chris. Er war der Grund dafür, dass sie kein Interesse an einer Beziehung hatte. Nie mehr. Stattdessen kam bei ihr an erster Stelle der Beruf, denn einen solchen Fehler wollte sie nicht noch einmal machen.

Ihr Herz hatte sich verhärtet.

Ach, im Grunde genommen hasst du ihn gar nicht.

Und jetzt war er hier. In Klinikkleidung stand er vor ihr, genauso attraktiv wie an dem Tag, als er sie damals verlassen hatte. Das dichte dunkle Haar noch immer perfekt, noch immer mit dem scherzhaften Zwinkern in seinen dunklen Augen. Obwohl er nicht lächelte, bekam Naomi allein beim Anblick seines Gesichts mit den markanten Zügen schon wieder weiche Knie.

Nein, sie durfte nicht zulassen, dass er noch einmal solche Macht über sie gewann.

Nachdem seine Karriere für Chris wichtiger gewesen war als sie, hatte sie sehr lange gebraucht, um über ihn hinwegzukommen. Irgendwann hatte sie ihren Frieden damit gemacht, und obwohl sie ihre Chance bei der Mayo-Klinik vertan hatte, war ihr so etwas danach nie wieder passiert.

Inzwischen war sie chirurgische Oberärztin bei ihrer internationalen Hilfsorganisation und trug eine große Verantwortung. Vielleicht sollte sie ihm dafür dankbar sein.

Dennoch war sie nicht glücklich darüber, dass er hier war.

Wieso musste er von allen Orten auf der ganzen Welt ausgerechnet auf Mythelios auftauchen?

Naomi hatte den Auftrag erhalten, in den nächsten zwei Monaten als Chirurgin in Athen und auf Mythelios tätig zu sein. Als sie im Juli nach Athen gekommen war, hatte sie die Klinik hier ein paar Mal besucht, und Chris war nicht da gewesen. Allerdings hatte sie während des ersten Teils ihres Einsatzes in Griechenland nur wenig Zeit auf Mythelios verbracht, denn die meisten schwer verletzten Erdbebenopfer waren ohnehin nach Athen verlegt worden.

Und nun, da sie mehr auf der Insel aushelfen sollte, stand er vor ihr, als gehörte er hierher.

„Was tust du hier?“, fragte sie schließlich.

„Dies ist meine Heimat. Ich bin zurückgekommen, weil meine Großmutter gestorben ist und ich ihr Haus geerbt habe. Ich habe zusammen mit ein paar Freunden diese Klinik gegründet. Und weil ich schon mal da bin, dachte ich, ich könnte ein bisschen mitarbeiten.“

„Ich bin seit einem Monat in Griechenland und habe dich bisher noch nie in der Klinik gesehen. Es hat auch niemand deinen Namen erwähnt“, sagte Naomi.

„Ich war damit beschäftigt, die Dinge nach dem Tod meiner Großmutter zu regeln.“

„Ich wusste gar nicht, dass du von hier kommst.“

„Als wir zusammen waren, haben wir nicht allzu viel miteinander geredet“, erwiderte Chris mit einem scherzhaften Unterton.

Natürlich … Die meisten ihrer Erinnerungen waren die an heiße, leidenschaftliche Nächte.

Zwar hatte er mal erwähnt, dass er von einer kleinen griechischen Insel stammte und eine gemeinnützige Klinik dort unterstützte, aber warum musste sie ausgerechnet in diese hier geraten?

Ganz einfach. Du bist verflucht.

Das hatte ihre Großmutter zu Naomi gesagt, als sie ihr mit vierzehn das erste und einzige Mal in ihrem Leben begegnet war. Sie hatte behauptet, dass sie von den Göttern verflucht sei, weil sie das Erbe ihres Vaters im Stich gelassen hätte.

Damals hatte Naomi nicht viel darauf gegeben, aber nachdem sie vor vier Jahren Dr. Christos Moustakas kennengelernt hatte, der ein knappes Jahr später auf ihrem Herzen herumgetrampelt war, glaubte sie allmählich an die Worte ihrer Großmutter.

Sie war verflucht.

Und das hier war ein neuer Beweis dafür.

„Ich arbeite für International Relief und bin hier, um nach dem Erdbeben auf der Insel auszuhelfen. Für die nächsten zwei Monate wurde ich Mythelios und Athen zugeteilt. Ich bin Chirurgin und organisiere auch Spendenaktionen, um die Operationskosten für Menschen zu decken, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Der Schaden durch das Erdbeben ist für viele Leute verheerend.“

„Ach, tatsächlich?“, sagte Chris mit einem amüsierten Lächeln. „Hatte ich noch gar nicht mitgekriegt.“

„Ja“, erklärte Naomi bestimmt. Verärgert drückte sie die Patientenakte, die sie in der Hand hielt, an sich. „Dr. Nikolaides hat zwar gesagt, dass heute ein neuer Chirurg kommen würde, aber nicht erwähnt, dass du das bist.“

„Hätte es einen Unterschied gemacht?“

„Ja, natürlich! Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber, Dr. Moustakas.“

Du solltest eigentlich in New York sein.

Aus den Augen, aus dem Sinn. Allerdings war das leichter gesagt als getan. Er hatte sie so sehr verletzt, dass sie seinetwegen keinem Mann mehr traute.

Sie hatte Chris aus tiefstem Herzen geliebt. Doch er hatte ihr klargemacht, dass seine Karriere ihm wichtiger war, als Naomi es je sein könnte. Und nur wenige Wochen, nachdem er nach New York gegangen war, hatte sie das Baby verloren.

Danach war sie endgültig am Boden zerstört.

Sie war allein gewesen, todunglücklich und zugleich wütend auf sich selbst. Sie hatte sich auf Chris eingelassen, obwohl sie wusste, dass er an einer ernsthaften Beziehung nicht interessiert war. Wie dumm von ihr.

Ihn wiederzusehen, war das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Dennoch würde er hierbleiben, und sie musste sich damit abfinden. Was jedoch nicht bedeutete, dass sie zwangsläufig zusammenarbeiten mussten.

Die Insel war groß genug für sie beide.

Schließlich brach Chris das angespannte Schweigen. „Tja.“ Unbehaglich fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Es tut mir leid, wenn du damit nicht glücklich bist, Naomi …“

„Dr. Hudson.“

„Was?“, fragte er verblüfft.

Erst jetzt fielen ihr die dunklen Ringe unter seinen Augen auf, als hätte er kaum geschlafen. „Für dich bin ich Dr. Hudson.“

Die Augenbrauen zusammengezogen, verschränkte er die Arme. „Schön. Dr. Hudson, denken Sie, dass wir imstande sind, professionell miteinander zu arbeiten?“

„Selbstverständlich.“

„Gut. Denn ich bin ziemlich erschöpft und habe keine Energie für irgendwelche Spielchen. Davon habe ich für den Rest meines Lebens genug gehabt.“

Zornige Röte schoss ihr in die Wangen. „Ihre Spielchen sind mir sehr wohl bekannt, Dr. Moustakas, das können Sie mir glauben.“

„Für so was habe ich keine Zeit“, entgegnete er schroff. Dann marschierte er an ihr vorbei zum Aufenthaltsraum. „Ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee.“

Naomi wandte sich um und folgte ihm schuldbewusst. Chris schenkte sich gerade einen Becher Kaffee ein. Als er sie erblickte, seufzte er.

„Tut mir leid“, sagte sie.

Misstrauisch sah er sie an und nahm einen Schluck aus seinem Becher.

„Warum bist du so müde?“

„Kein bestimmter Grund. Bin spät ins Bett gekommen“, antwortete er, wich jedoch ihrem Blick aus.

Er verheimlichte ihr irgendetwas, das war eindeutig. Doch darauf konnte sie jetzt nicht eingehen, sie hatte zu viel zu tun. Unter anderem musste sie auch eine Junggesellen-Versteigerung organisieren. Ursprünglich war diese als kleine Show auf Mythelios geplant gewesen, um Spenden für die Klinik zu sammeln. Aber als Theo das Ausmaß der Schäden des Erdbebens für die gesamte Insel bewusst geworden war, hatte er Naomi gebeten, das Projekt zu übernehmen. Durch ihre Erfahrung in solchen Dingen konnte sie es zu einem wesentlich größeren Event machen und somit auch viel höhere Spendengelder erzielen.

Da Naomi selbst mitbekommen hatte, wie dringend diese Gelder benötigt wurden, war ihr keine andere Wahl geblieben, als Ja zu sagen. Die Versteigerung sollte jetzt in Athen stattfinden, in etwas weniger als zwei Wochen.

„Na, dann mal los.“ Sie verließ den Raum und ging in das kleine Klinikbüro, um in Ruhe ihren Schreibkram zu erledigen.

Vielleicht wäre es besser, das Mittagessen mit ihrer Cousine Lisa abzusagen, die als Nanny auf Mythelios arbeitete. Sie könnte stattdessen eine frühere Fähre zurück nach Athen nehmen, dann würde wenigstens das Meer zwischen ihr und Chris liegen.

Naomi schloss die Augen und bemühte sich, nicht an ihn und ihr verlorenes Baby zu denken. Doch es kam alles wieder hoch.

Arbeit war das Einzige, was gegen den Schmerz half. Aber sie war nicht sicher, ob das auch noch reichte, wenn sie Chris dabei begegnete. Offenbar hatte er noch immer die Macht, sich in ihre Träume und ihr Herz zu drängen.

2. KAPITEL

Chris gelang es für den größten Teil des Vormittags, Naomi aus dem Weg zu gehen. Er zog sich in eins der Dienstzimmer zurück, um die Patientenakte durchzugehen, zu der Ares ihn um seine Meinung gebeten hatte.

Als er die MRT-Bilder aus Athen im Computer aufrief, betrachtete er sie stirnrunzelnd. Es handelte sich um die Scans von einem einheimischen Gastwirt, den sie alle kannten und mochten.

Seit dem Erdbeben im Mai hatte Stavros fürchterliche Kopfschmerzen gehabt, dies jedoch immer als unwichtig abgetan, bis er neulich zusammengebrochen war.

Jetzt wusste Chris, warum es Stavros so schlecht ging. Vor sich sah er eines der größten anaplastischen Oligodendrogliome, das er je gesehen hatte.

Verdammt.

Er kannte solche Männer wie Stavros. Die älteren Männer auf der Insel ignorierten einfach alles, was sie für nebensächlich hielten. Auch „unwichtige“ Symptome wie Kopfschmerzen, die ein Anzeichen für eine schwere Erkrankung sein konnten. So wie bei Stavros.

Auf dem Drehsessel zurückgelehnt, rieb Chris sich die Stirn. Diese Operation würde kompliziert und sehr kostspielig werden.

Für derartige Ausgaben konnte die Klinik unter keinen Umständen aufkommen. Schon allein deshalb nicht, weil sie sich noch finanziell von den Folgekosten des Erdbebens erholen musste. Und auch wenn Stavros seine Taverna erfolgreich führte, besaß er mit ziemlicher Sicherheit nicht genug Geld für eine so aufwendige Operation.

Trotzdem konnte Chris ihn nicht einfach sterben lassen. Er musste eine Möglichkeit finden, um Stavros zu helfen. Dafür benötigte er ein Chirurgen-Team, einen Operationssaal und die Möglichkeit zur Nachsorge.

Er hasste Fälle wie diesen, doch gleichzeitig liebte er sie auch. Es war eine Herausforderung, und das hatte er schon lange nicht mehr erlebt.

„Dieser Tumor sieht übel aus“, unterbrach da Naomi seine Gedankengänge.

Chris drehte sich zu ihr um. Sie stand an der Tür, den Blick auf den Bildschirm gerichtet. Sie war ihm so nahe, dass er den süßen Duft ihres Parfums wahrnahm – Jasmin und Magnolie. Es erinnerte ihn an Nashville. Die Blüten der Bäume dort hatten die Luft mit ihrem Duft erfüllt. Und jedes Mal, wenn er Naomi in die Arme nahm, hatte er an diese Blüten gedacht. So weich, so zart und so schön …

Reiß dich zusammen.

„Ja, das stimmt“, bestätigte er. „Ein einheimischer Patient, der keine Zeit mehr hat, auf einen Platz auf einer staatlichen Operationsliste zu warten. Den Eingriff privat zu bezahlen, wird sehr teuer, und ich fürchte, das kann er sich nicht leisten. Wenn er leben will, muss ich ihn nach Athen bringen und dort selbst operieren.“

Dann müsste er auch Evangelos erneut aus seiner vertrauten Umgebung herausreißen. Sie würden eine Wohnung brauchen, die groß genug war für Chris, den Kleinen und Lisa. Ein Albtraum, aber er konnte nicht einfach zusehen und nichts tun. Dann würde Stavros sterben.

„Hm, vielleicht wäre International Relief ja bereit, diesen Patienten zu unterstützen.“

„Ich dachte, deren Gelder dürfen nur für Erdbebenopfer genutzt werden“, wandte er ein. „Dieser Patient mag zwar ein Erdbebenopfer sein, aber der Tumor wächst schon seit mehreren Jahren.“

„Die Gelder sind da, um denjenigen zu helfen, die es nötig haben“, antwortete Naomi. „Falls er Hilfe braucht …“

„Ich muss zuerst mit ihm reden und ihm alles erklären“, fiel Chris ihr ins Wort. „Es könnte sein, dass er ablehnt.“

„Ja, aber du sagst doch, dass er operiert werden muss, richtig?“

„Ja.“

„Kennst du ihn? Glaubst du, er wird sich operieren lassen?“

„Nur wenn er selbst dafür zahlt. Er ist stur, wie die meisten Männer von hier.“ Unwillkürlich grinste er ihr zu, und ein belustigter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

„Dann versuche ich mal, mehr Informationen zu bekommen. Ich möchte gerne helfen, so gut ich kann. Früher habe ich …“ Sie brach ab und wurde rot.

„Früher hast du mir bei meinen Operationen assistiert“, ergänzte Chris. „Du warst eine hervorragende neurochirurgische Assistenzärztin. Sag bitte nicht, dass du die Neurochirurgie aufgegeben hast.“

„Du meinst, nachdem du deine tolle Stelle in Manhattan gekriegt hast?“

Er seufzte. „Ich habe den Job nicht angenommen, um dich zu verletzen, Naomi.“

Düster zog sie die Augenbrauen zusammen. „Das weiß ich. Und ja, ich bin immer noch Neurochirurgin und außerdem noch eine sehr gute Allgemeinchirurgin. Das war nach dem Erdbeben besonders gefragt.“

„Dann bin ich ja froh“, sagte er. Naomi war viel zu begabt, um ihr Talent zu vergeuden.

Als er damals den Job in New York bekommen hatte, war Chris ungeheuer erleichtert gewesen, weil sie ihm schon viel zu nahe gekommen war. Die Stelle in Manhattan hatte ihm eine Fluchtmöglichkeit geboten, die er sofort ergriffen hatte. Nach Abschluss seiner Facharzt-Ausbildung war er innerhalb von drei Jahren Chefarzt geworden, und er bereute es nicht. Das Einzige, was er bereute, war, dass er auf dem Weg dorthin Naomi verloren hatte. Aus lauter Angst davor, sich für den Rest seines Lebens an eine Frau zu binden, war er lieber weggelaufen, als sich seinen Ängsten zu stellen.

Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war zwölf, und er musste Lisa ablösen, damit sie ihre Mittagspause machen konnte. Außerdem wollte er auch eine Kleinigkeit essen und sich noch mal kurz hinlegen. Obwohl der Kaffee stark gewesen war, hatte er nicht richtig geholfen. Chris brauchte einfach etwas Schlaf.

„Dann gehe ich jetzt mal was essen.“ Er stand auf. „Isst du in der Klinik?“

„Nein, ich bin zum Lunch verabredet“, antwortete Naomi.

Die plötzliche Eifersucht, die ihn durchzuckte, überraschte ihn. „Ach ja?“

„Ja“, sagte sie nur. „Dann sehen wir uns später hier?“

„Klar. Guten Appetit bei deinem Lunch-Date.“

„Danke.“

Geh ihr nach. Finde heraus, wer der Kerl ist. Nein, natürlich würde er das nicht tun.

Als er hinausging, traf er Theo auf dem Flur, der auf den Computer wartete. „Bist du fertig?“

„Ja.“

„Alles okay mit dir?“

Nein. Doch das sagte Chris nicht. Er hatte seinen Freunden nie von Naomi erzählt und wollte es auch jetzt nicht. Es war zu beschämend.

„Ich brauche bloß ein bisschen Schlaf. Babys halten einen davon ab, das wirst du bald genug erfahren“, gab er scherzhaft zurück.

„Toll, ich kann’s kaum erwarten.“ Theo lachte.

„Hey, kommt Stavros heute noch mal her?“, fragte Chris.

„Nein, er arbeitet.“ Theo zog die Brauen zusammen. „Geht es um das MRT?“

„Er hat einen äußerst aggressiven Hirntumor. Ich muss ihn nach Athen bringen und dort eine sehr teure Operation an ihm durchführen.“

„Das wird ihm nicht gefallen“, meinte Theo. „Er lässt seine Taverna nie im Stich. Er wird sich auf keine Operation einlassen, wenn sie nicht hier auf Mythelios stattfindet und er nach ein oder zwei Stunden wieder bei der Arbeit sein kann.“

Jetzt lachte Chris. „Tja, das wird wohl nicht klappen.“

„Wenn nötig, könnten wir doch hier operieren.“

„Theo, ich brauche ein chirurgisches Team, das daran gewöhnt ist, anaplastische Oligodendrogliome dritten Grades zu operieren. Außerdem denke ich, dass danach auch noch eine Chemotherapie nötig ist. Und ich brauche weitere MRTs, um festzustellen, ob der Krebs weiter fortschreitet.“

„Ich kann dir gleich sagen, dass Stavros die Insel nicht verlassen wird. Da müsste schon ein Wunder geschehen.“ Damit ging Theo in das Sprechzimmer.

Chris stieß einen gedämpften Fluch aus. Wieso waren die Männer von Mythelios alle so eigensinnig und stur, bis zu dem Punkt, an dem sie alles verloren? Stavros mit seinem Hirntumor … Chris’ Vater, der seine Mutter vertrieben hatte … Und auch er selbst mit seiner Trennung von Naomi.

An Tagen wie heute zweifelte Chris daran, dass die Götter ihm wohlgesonnen waren.

Was ist mit Evangelos?

Seine negative Einstellung löste sich schlagartig auf. Evan. Auch wenn Chris nicht die Liebe einer Frau besaß, so hatte er doch seinen Sohn, der ihm das Leben erhellte. Mehr brauchte er gar nicht.

„Ich gehe jetzt zur Mittagspause, Theo“, rief er über die Schulter.

„Bis später“, rief Theo zurück.

Chris verließ das Gebäude durch die Hintertür, um auf diese Weise den schnelleren Weg durch die gewundenen Gassen zum Haus seiner Yia-yia zu nehmen. Er hatte gerade die Schuhe ausgezogen, als es an der Haustür klopfte.

Lisa kam die Treppe herunter. „Das ist meine Cousine. Ich bin mit ihr zum Lunch verabredet. Ich füttere nur Evan schnell zu Ende, dann bin ich gleich da.“

Er nickte. „Lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich sag ihr Bescheid.“

Lisa eilte wieder hinauf, wo Evan bereits lautstark sein Erbsenpüree einforderte.

Chris öffnete.

„Entschuldige meine Verspätung, ich hab mich verlaufen“, begann die Frau draußen atemlos. „Ich … Chris?“

„Hi, Naomi. Dann bist du also Lisas Cousine.“ Jetzt hatte er eindeutig das Gefühl, dass die Götter sich gerade über ihn lustig machten.

Ist ja super. Was macht er denn hier? Werde ich ihn denn gar nicht mehr los?

„Meine Cousine arbeitet hier. Ich dachte, du wärst …“ Naomi brach ab. „Das ist dein Haus?“

„Ja. Dann komm mal rein.“

Sobald sie über die Schwelle getreten war, schloss er die Holztür hinter ihr, um die Hitze fernzuhalten. Sie hatte dieses Haus gesehen, als sie zum ersten Mal nach Mythelios gekommen war. Es lag auf dem höchsten Teil des Hügels und hatte eine großartige Aussicht aufs Meer. Strahlend weiß gestrichen, war es umgeben von den bunten Farben der übrigen Häuser in der Nachbarschaft. Es hatte einen riesigen Balkon, und Naomi hatte sich gefragt, wie es wohl wäre, hier zu wohnen und immer das Meer sehen zu können.

Sie hatte sich auch die Familie vorgestellt, die hier lebte. Ihre Cousine hatte nicht viel über ihren Arbeitgeber erzählt. Nur dass es sich um eine Familie mit Geld handelte und Lisa sich um das Baby kümmerte.

Ein Baby? Aber Chris wohnte hier.

Oh, natürlich hatte er eine andere Frau gefunden und war jetzt verheiratet. Ihm hatte ihre Trennung schließlich nicht das Herz gebrochen.

Naomi erinnerte sich daran, wie sie von all den Frauen gehört hatte, mit denen er zusammen gewesen war. Er galt als Playboy in Manhattan, wo man ihn regelmäßig in Begleitung berühmter Frauen gesehen hatte. Außerdem hatte er Geld, kein Wunder, wenn er verheiratet war.

„Meine Cousine ist eine Nanny“, sagte sie. Irgendwie kam sie sich ziemlich dumm vor.

„Das ist mir bewusst.“ Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Dieses Lächeln, das sie früher immer so geliebt hatte. „Sie kümmert sich um meinen Sohn, wenn ich arbeite.“

„Deinen Sohn?“

„Ja“, bestätigte Chris. „Um meinen Sohn Evangelos. Er ist acht Monate alt.“

„Was ist mit seiner Mutter?“, wollte Naomi wissen.

„Meine Güte, du stellst aber viele Fragen“, entgegnete er in scherzhaftem Ton.

„Entschuldige. Ich bin nur … Du hast immer sehr deutlich gesagt, dass du weder Frau noch Kinder willst. Du wolltest keine Familie.“

„Die Umstände haben sich geändert“, erwiderte er.

Anscheinend war sie nicht die Richtige für ihn gewesen. Naomis Herz tat weh, als sie an ihr Baby dachte, das sie verloren hatte. Sie hätte dieses Kind geliebt. Sie hatte immer Kinder haben wollen. „Freut mich für dich und deine Frau.“

„Ich bin nicht verheiratet, Naomi. In der Hinsicht hat sich nichts geändert. Ich habe einen Sohn, aber keine Ehefrau“, erklärte Chris. „Evan war das Ergebnis eines One-Night-Stands mit einer Frau, die nur mein Geld wollte. Sie hätte das Kind abtreiben lassen, wenn ich nicht bereit gewesen wäre, ihr eine Menge Geld dafür zu zahlen, dass sie es austrug. Ich wollte die Abtreibung nicht, deshalb bin ich jetzt alleinerziehender Vater.“

Da kam Lisa mit einem Baby auf dem Arm die Treppe herunter.

Naomi war verblüfft darüber, wie sehr der Junge seinem Vater ähnlich sah. Dieselben dunklen Augen und dasselbe dunkle Haar. Doch der Kleine hatte die dicksten Pausbacken, die sie je gesehen hatte, und ein strahlendes Lachen, das sein ganzes Gesichtchen aufleuchten ließ, als er Chris erblickte.

„Tut mir leid“, sagte Lisa, die ihm das Baby übergab. „Er ist spät aufgewacht, und dann war sein ganzer Rhythmus durcheinander.“

„Schon gut“, antwortete er. „Genießen Sie das Mittagessen mit Ihrer Cousine. Wir sehen uns dann in einer Stunde.“

Dann richtete Chris seine gesamte Aufmerksamkeit auf seinen kleinen Sohn, während er ihn nach oben trug. Das Baby lachte glucksend, und Naomi, die wie angewurzelt stehen blieb, brachte kein Wort mehr hervor.

Sie schmolz förmlich dahin, als sie beobachtete, wie liebevoll Chris mit seinem Sohn umging.

Doch zugleich zerriss es ihr auch das Herz.

3. KAPITEL

Das Bild von Chris, wie er seinen Sohn die Treppe hinauftrug, ging Naomi nicht mehr aus dem Sinn. Wie zärtlich er ihn an sich gedrückt hatte und wie vernarrt er offensichtlich in den Kleinen war.

Ob er ihr gemeinsames Baby auch so geliebt hätte?

Obwohl sie es nur allzu gerne geglaubt hätte, war sie dessen nicht sicher. Nun würde sie es niemals wissen, und das machte sie traurig. Es tat ihr weh.

Schon lange hatte sie sich nicht mehr gestattet, an ihr Baby und die Fehlgeburt zu denken. Es war einfach zu schmerzlich.

Normalerweise konnte sie sich gut mit Arbeit ablenken. Aber jetzt sollte sie mit Chris zusammenarbeiten, was sie ständig daran erinnern würde, was zwischen ihnen hätte sein können.

„Du bist heute viel stiller, Naomi“, stellte Lisa fest.

„Was?“

„Ich habe gesagt, du bist still“, wiederholte sie belustigt. „Als ich dich kennengelernt habe, dachte ich, du bist eine Quasselstrippe.“

„Sorry, mir geht gerade viel durch den Kopf.“ Naomi spielte mit ihrer Serviette und versuchte, Chris und Evangelos aus ihren Gedanken zu verbannen. Doch es gelang ihr nicht.

Immer wieder sah sie ihn im Geiste vor sich, wie er das Baby küsste, das ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war.

„Das habe ich gemerkt. Dir sind nicht mal die attraktiven Männer da drüben aufgefallen, die sich schon eine ganze Weile bemühen, dich auf sich aufmerksam zu machen.“

Naomi wandte sich um und warf einen Blick hinüber. Es waren junge Männer in Lisas Alter, also fast zehn Jahre jünger als sie selbst. Sie flirteten ganz eindeutig mit ihnen, aber Naomi hatte überhaupt kein Interesse.

„Kanntest du die Mutter deines Vaters? Deine Yia-yia?“

Lisa überlegte. „Eigentlich nicht. Sie starb, als ich sieben war. Sie wohnte außerhalb von Athen, und wir haben sie nur selten besucht. Sie mochte meine Mutter nicht, und Yia-yia war viel unterwegs. Sie starb, kurz nachdem sie aus Amerika zurückkam.“

„Sie hat gesagt, ich wäre verflucht.“ Naomi lachte ironisch.

Lisa war erstaunt. „Verflucht? Ich meine, du warst … wie alt? Vierzehn, als du sie das letzte Mal gesehen hast?“

„Ja, und die ganze Zeit hat sie mich die Verfluchte genannt. Meine Eltern waren darüber sehr verärgert.“

„Na ja, mein Vater hat gesagt, dass Yia-yia diese Wirkung auf andere Menschen hatte. Ich denke nicht, dass du verflucht bist, und ich glaube auch nicht an Flüche. Aber die Leute hier nehmen ihre Religion sehr ernst. Wenn sie ihren Heiligen zu seiner jährlichen Prozession rausholen, sind sie ganz wild darauf, die mumifizierten Überreste zu sehen, die in einem goldenen Sarkophag herumgekarrt werden. Sie behaupten, es würde Glück bringen, aber ich weiß nicht …“

„Ich könnte ein bisschen Glück gut gebrauchen.“ Naomi stöhnte. „Diese Junggesellen-Versteigerung ist schon Ende des Monats. Sie wird jetzt statt auf Mythelios in Athen stattfinden, um ein größeres Publikum zu erreichen und hoffentlich auch mehr Spenden sowohl für die Klinik als auch für die Insel insgesamt einzubringen. Theo meinte, ich soll das Ganze organisieren, und es ist eine großartige Idee. Aber nun muss ich dafür noch ein paar Junggesellen aus Mythelios auftreiben, die bereit sind, ein fantasievolles, romantisches Date anzubieten. Ich hatte gehofft, ich könnte ein paar der hiesigen Ärzte dazu verpflichten, doch sie haben alle schon eine Partnerin.“

Lisa trank etwas von ihrem Eistee. „Mein Boss ist noch Single. Er hat ein Baby, aber es geht ja bloß um ein Wohltätigkeits-Date. Es ist ja nicht so, dass du Ehemänner verkaufst oder so was. Ich bin sicher, wenn er wüsste, wofür es ist, würde er Ja sagen. Er ist ziemlich großzügig.“

Ja, klar.

„Bestimmt hat er genug Frauen um sich, dass er es nicht nötig hat, sich versteigern zu lassen“, entgegnete Naomi.

Lisa überlegte. „Eigentlich nicht. Ich habe noch nie mitbekommen, dass er auf einem Date war. Er ist ausschließlich mit seinem Sohn und seiner Arbeit beschäftigt. Allerdings kenne ich ihn erst, seitdem er mich als Nanny für Evan engagiert hat.“

„Weißt du irgendwas über die Mutter seines Babys?“

„Nein, gar nichts. Ich weiß nur, dass sie offenbar keine Rolle spielt und Dr. Moustakas das alleinige Sorgerecht für seinen Sohn hat. Darum hat er mich kurz nach seiner Rückkehr hierher vor einigen Wochen eingestellt“, meinte Lisa. „Die einzige Frau, die bei ihm gewohnt hat, bevor ich kam, war Dr. Erianthe Nikolaides. Aber nur vorübergehend. Jetzt ist sie mit Dr. Xenakis verheiratet.“

Naomi biss sich auf die Unterlippe. Sie fragte sich, was für eine Frau Evans Mutter wohl sein mochte. Wieso wollte sie ihr Baby nicht?

Naomi hätte dagegen alles dafür gegeben, um ihr Baby zu behalten. Dass dieser süße kleine Junge ohne Mutter aufwachsen musste, tat ihr sehr leid.

„Ich kann Dr. Moustakas doch nicht fragen, ob er an der Junggesellen-Versteigerung teilnehmen würde“, sagte sie zögernd.

„Doch, natürlich. Er wäre wahrscheinlich bereit dazu, und ehrlich gesagt, es würde ihm guttun, mal auszugehen“, antwortete Lisa. „Er hat überhaupt kein eigenes Leben.“

Während sie weiter über verschiedene Themen plauderte, hörte Naomi ihr kaum noch zu. Es überraschte sie, dass Chris beinahe zu einem Einsiedler geworden war, nachdem er in Manhattan als der sprichwörtliche Playboy bekannt gewesen war. Zumindest hatte sie das in den Boulevardzeitungen gelesen, als sie ihre Facharzt-Ausbildung in Nashville beendete.

Da läutete die Kirchturmglocke im Zentrum der Altstadt zur vollen Stunde.

„Ich muss los. Es ist Zeit für Evangelos’ Spaziergang, und Dr. Moustakas muss wieder zur Arbeit.“ Lisa griff nach ihrem Schal und ihrer Handtasche. „Fährst du heute Abend nach Athen zurück?“

Naomi nickte. „Nach dem Erdbeben gibt es hier auf der Insel keine Unterkunft. Obwohl Dr. Xenakis mir sein Bootshaus angeboten hat. Fährst du auch wieder zurück?“

„Nein, ich habe drei Nächte Dienst und dann zwei Nächte frei. Mein kleines Zimmer ist gleich neben dem Kinderzimmer. Wenn der Junge älter ist, werde ich vermutlich jeden Tag hin- und herfahren. Es ist wirklich nicht weit.“

„Nein, aber trotzdem wäre es einfacher, hier zu wohnen. Fährt von hier aus nicht auch eine Fähre nach Spritos?“

Stirnrunzelnd fragte Lisa: „Was willst du denn auf Spritos?“

„Da gibt es noch eine andere kleine Klinik. Und ich habe gehört, dass man von Mythelios aus dorthin fahren kann.“

„Von der anderen Seite der Insel, und die Fähre geht nur zweimal am Tag. Einmal morgens und einmal abends. Man kann nur hoffen, dass man nicht irgendwann dort festsitzt, denn da gibt es wirklich nichts. Aber landschaftlich ist es herrlich.“

Naomi begleitete Lisa bis zu dem Haus von Chris.

„Ich hoffe, wir sehen uns noch öfter.“ Lisa schloss die alte Holztür auf. „Es ist schön, dass du hier bist, und falls Yia-yia dich mit einem Fluch belegt hat, können wir ihn ja vielleicht aufheben, oder?“

Naomi lachte. „Das fände ich gut.“

Sie wandte sich ab, um zur Klinik zurückzugehen. Sie kam jedoch nur langsam voran und ärgerte sich über sich selbst, weil sie High Heels trug, die so unpraktisch waren. Vor allem auf dem Kopfsteinpflaster. Schließlich brach ihr sogar ein Absatz ab. Mit einem lautstarken Schimpfwort lehnte sie sich an eine Hauswand, um den Schaden zu begutachten.

Ganz bestimmt verflucht.

Hinter sich hörte sie eine Hupe. Als sie über die Schulter schaute, sah sie einen kleinen Roller, auf dem Chris saß. Breit grinsend hielt er an.

„Ich hab dir ja gesagt, dass du dir mit diesen Absätzen mal den Hals brichst.“

Naomi schnaubte verärgert. „Ich hab nicht nachgedacht. In Athen ist das kein Problem.“

„Hier, besonders auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen, sind flache Schuhe deine besten Freunde. Wie schlimm ist es denn?“

„Er ist kaputt. Aber ich habe noch Flip-Flops in meiner Tasche in der Klinik. Ich wollte mir heute Abend in Athen eine Pediküre machen lassen.“

„Tja, wenn du so humpelst, wirst du es kaum schaffen. Soll ich dich zur Klinik mitnehmen?“

Prüfend betrachtete sie den Roller. „Ich dachte, du gehst zu Fuß.“

„Morgens ja. Aber jetzt bin ich spät dran, deshalb dachte ich, ich probiere den Roller mal aus. Er gehörte meiner Yia-yia, und ich finde ihn sehr nützlich.“

„Deiner Yia-yia?“ Naomi versuchte, sich eine kleine, schwarz gekleidete Großmutter vorzustellen, die auf diesem türkisfarbenen Roller kreuz und quer über Mythelios kurvte.

„Warum nicht?“

„Ein Roller ist nicht sehr praktisch für einen Mann mit Baby.“

„Auf dem Festland habe ich ein Auto. Die Fähre ist nicht weit weg, und die Klinik auch nicht. Also, willst du jetzt mitfahren oder nicht?“

„Ja, danke.“

Sie humpelte zu ihm hinüber und stieg vorsichtig auf den Rücksitz des Rollers. Da sie einen engen Bleistiftrock trug, setzte sie sich seitlich darauf und kreuzte die Beine an den Knöcheln.

Chris warf ihr einen Blick über die Schulter zu. „Ähm, du musst dich schon festhalten.“

„Es gibt aber nichts zum Festhalten.“

„Klar doch. Du musst dich an mir festhalten.“

Oh ja, ganz sicher verflucht.

„Na schön.“ Widerstrebend legte Naomi ihm die Arme um die Taille.

Unter seiner weiten Klinik-Kleidung spürte sie jeden seiner Bauchmuskeln, und wenn sie die Augen schloss, konnte sie ihn ohne Hemd vor sich sehen. Unwillkürlich schlug ihr Herz ein wenig schneller.

Im Grunde hatte sie nie wirklich vergessen, was für eine elektrisierende Wirkung Chris auf sie ausgeübt hatte. Und jetzt, als sie sich so eng an ihn pressen musste, stürmten all die Erinnerungen wieder auf sie ein, und ihr wurde heiß.

Sie verabscheute es, dass sie sich seiner Ausstrahlung einfach nicht entziehen konnte. Wieso ließ sie das überhaupt zu?

Weil du schwach bist und nie richtig über ihn hinweggekommen bist.

„Bereit?“, fragte er.

„Nein!“, gab sie zurück, nickte jedoch.

Chris lachte. „Halt dich fest.“

Er gab Gas, und der kleine Roller holperte den Hügel hinunter durch die schmalen gepflasterten Gassen des alten Teils von Mythelios. Naomi kniff sekundenlang die Augen zusammen, während Chris wie ein Verrückter fuhr. Aber dann bog er von der Straße zur Klinik auf einen Feldweg ab, der am Meer entlangführte.

„Wohin fahren wir?“, brüllte sie gegen den Lärm des knatternden Motors an.

„Wir nehmen bloß einen Schleichweg“, rief er zurück. „Eine schönere Strecke, weil du ja vermutlich noch nicht allzu viel von Mythelios gesehen hast.“

„Nein, ich muss wirklich zurück.“

„Mach dich mal ein bisschen locker, Naomi. Du bist immer so angespannt.“

Das hatte er auch damals zu ihr gesagt, als sie sich kennengelernt hatten. Und was hatte es ihr gebracht? Ein gebrochenes Herz, einen schrecklichen Verlust und zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, dass sie nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte.

Sie hatte sehr gekämpft, um sich aus diesem Abgrund des Schmerzes zu befreien und sich selbst an die erste Stelle zu setzen. Auf keinen Fall durfte ihr jemand das noch einmal antun.

„Chris, halt sofort an!“

An einer Parkbucht stoppte er den Roller. Naomi rutschte vom Sitz herunter, streifte ihren anderen Schuh ab und begann, barfuß auf dem Feldweg zur Klinik zu marschieren.

„Naomi, ich hab doch nur Spaß gemacht.“

Sie fuhr herum. „Genau das ist es ja. Bei dir ist alles ein Spaß! Aber auf mich wartet richtige Arbeit. Ich muss heute Nachmittag Patienten behandeln. Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, über die Insel zu fahren, weil ich Spaß haben soll! Davon habe ich in meinem Leben schon genug gehabt, und es hat mich keinen Schritt weitergebracht.“

Tränen brannten in ihren Augen. Nicht weil sie traurig war, sondern weil ihr immer die Tränen kamen, wenn sie wütend war. Und diese ganze Situation machte sie wütend. Wie Chris glauben konnte, dass die Dinge zwischen ihnen einfach normal sein könnten, war ihr ein Rätsel.

„Naomi!“, rief er ihr nach.

Doch sie ignorierte ihn und lief weiter den Weg entlang, wobei sich die spitzen kleinen Steinchen in ihre Fußsohlen bohrten.

Chris kam hinter ihr hergelaufen und umschloss ihre Hand mit seiner. Sie war so stark und warm.

„Entschuldige.“ In seinen Augen lag ein aufrichtiger und zugleich unendlich trauriger Ausdruck. „Komm, ich bring dich zurück zur Klinik, und ich mache es wieder gut, egal wie.“

„Egal wie?“, fragte sie.

Er nickte. „Natürlich. Ich war gedankenlos und flapsig, und das möchte ich gerne wiedergutmachen. Ich tue alles, was ich kann, damit wir beide vernünftig zusammenarbeiten können.“

„Okay.“ Naomi grinste plötzlich. „Ich weiß genau, wie du es wiedergutmachen kannst.“

Argwöhnisch sah Chris sie an. „Ach ja? So schnell?“

„Ja. Es ist etwas, das mich ein bisschen in die Bredouille gebracht hat.“

„Was denn?“

„Du wirst mein Haupt-Junggeselle.“

„Wie bitte?“

„Bei einer Wohltätigkeitsversteigerung, um Spenden für Betroffene des Erdbebens zu sammeln“, erklärte sie. „Du wirst deine Zeit opfern und die Dame, die am meisten für dich bietet, zu einem romantischen Dinner-Date ausführen.“

Chris traute seinen Ohren nicht. „Was soll ich tun?“, fragte er ungläubig.

„An der Junggesellen-Versteigerung teilnehmen.“

„Auf gar keinen Fall!“ Abwehrend hielt er die Arme hoch.

„Du hast gerade gesagt, dass du dein Verhalten von eben wiedergutmachen willst. Und dich als Hauptgewinn bei unserer Junggesellen-Versteigerung unter dem Motto ‚Eine heiße griechische Nacht‘ zu präsentieren, wäre ein absolutes Highlight.“

„Nein.“ Mit einem energischen Kopfschütteln verschränkte Chris die Arme. „Ich bin kein Junggeselle.“

Ein seltsamer Ausdruck huschte über Naomis Miene. „Du bist mit jemandem zusammen?“, fragte sie langsam.

„Nein, aber …“

Sie hob die Hand. „Dann wirst du das durchziehen, mein Freund.“

„Das glaube ich kaum. Ich bin ein alleinerziehender Vater und habe keine Zeit für eine solche Versteigerung.“

„Nicht mal, wenn du damit den weniger Glücklichen hier auf Mythelios helfen würdest?“, gab sie zurück. „Denjenigen, die wegen des Erdbebens vieles verloren haben? Nicht jeder hat das Glück, einen Treuhandfonds zu besitzen und so leben zu können wie du. Es gibt andere Alleinerziehende hier, die wirklich ums Überleben kämpfen.“

Verdammt. Dagegen konnte Chris nichts sagen. Und wenn er damit tatsächlich zum Sammeln von Spendengeldern beitragen würde, musste er mitmachen. Naomi hatte ihn in die Enge getrieben.

„Wer hat mich vorgeschlagen?“, fragte er missmutig.

„Niemand. Ich sehe keinen Ehering, und wie du schon sagtest, du bist alleinerziehend.“

„Ich habe dir doch erzählt, dass die Mutter meines Sohnes ihn nicht wollte und gegangen ist“, entgegnete er verärgert. Es erstaunte ihn selbst, wie empfindlich er bei diesem Thema reagierte.

„Tut mir leid, dass es nicht funktioniert hat.“

„Da gab es nichts zu ‚funktionieren‘. Es war bloß ein One-Night-Stand. Ich bedaure es, mit Evans Mutter geschlafen zu haben, aber ich bedaure es nicht, ihn in meinem Leben zu haben.“

Wieder flog ein Ausdruck über ihre Miene, den Chris nicht deuten konnte. Dieser verschwand jedoch so schnell, wie er gekommen war.

„Also, machst du’s?“, fragte sie.

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich schätze, mir bleibt keine andere Wahl. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass du dir deine Füße aufschneidest, wenn du zur Klinik runterläufst. Oder dass du von einer herumstreunenden Ziege angefallen wirst“, antwortete er scherzhaft.

Naomi machte große Augen. „Von einer Ziege?“

Er lachte. „Ja, ich mach’s. Und was genau soll ich da tun?“

„Denk dir einfach irgendwas Romantisches aus, was du mit der Dame unternehmen willst, die das Date mit dir gewinnt. In solchen Dingen warst du doch schon immer ziemlich gut.“

Sie errötete unwillkürlich, und sofort spürte er, wie Hitze in ihm aufstieg. Chris liebte es, wenn Naomi rot wurde, und es fühlte sich gut an, dass er nach all der Zeit trotzdem noch eine gewisse Wirkung auf sie ausübte.

Sie war die einzige Frau, die ihm jemals etwas bedeutet hatte. Obwohl er damals zu stur und dickköpfig gewesen war, um sich dem zu stellen.

Und jetzt war es zu spät.

Wirklich?

„Komm, ich fahre dich zur Klinik.“ Er ging zurück zu seinem Roller.

„Du meinst, bevor ich von einer wilden Ziege angefallen werde?“, meinte sie belustigt.

„Ja, genau.“

Dummerweise stolperte Naomi über ein paar kleine Steine auf dem Weg, und ohne nachzudenken, eilte Chris zu ihr. Schnell half er ihr auf, um sie zum Roller zu tragen.

Erneut errötete sie.

„Das hier“, sagte sie leise, als er sie auf dem Rücksitz herunterließ.

„Was?“

„Die Gewinnerin so zu beeindrucken. Das kannst du auch gut.“

„Okay, ich lasse mir was einfallen.“ Er stieg auf.

„Übrigens, vielen Dank. Für den Fall, dass ich es später vergessen sollte. Damit machst du mir das Leben gerade ein bisschen leichter“, erklärte sie.

Chris lächelte. „Gern geschehen.“

Dann ließ er den Motor an und wendete den Roller vorsichtig auf dem kurvigen Weg. Naomi hatte wieder die Arme um ihn geschlungen, und es fühlte sich so richtig an. Vielleicht stimmte es, dass er gut darin war, eine Frau zu beeindrucken. Aber es gab nur eine, bei der ihm das wichtig war.

Doch sie wollte ihn nicht mehr.

4. KAPITEL

„Schon wieder am Träumen?“

Chris blickte auf. Mit einem anzüglichen Glitzern in seinen grünen Augen setzte Ares sich neben ihn auf die Couch im Aufenthaltsraum.

„Nee. Vielleicht bin ich gerade eingedöst. Ich habe einen kleinen Sohn und kriege nicht viel Schlaf, also schalte ich eben manchmal ab.“

Ares schnaubte ironisch. „Ja, klar. Und mit Dr. Hudson hat es natürlich rein gar nichts zu tun.“

Chris richtete sich auf. „Wie kommst du darauf?“

„Ich merke, wie du sie anschaust und wie sie sich dir gegenüber verhält. Ihr kennt euch, oder? Ist sie eine deiner Geliebten aus Amerika?“

Nein, sie war viel mehr als das. Aber das brauchte Ares nicht zu wissen. „So was in der Art.“ Chris streckte sich.

„Warum hast du uns das nicht gesagt? Dann hätten wir jemand anders von International Relief kommen lassen können.“

„Nein, das ist nicht nötig.“ Er seufzte. „Es war nichts, und wir sind noch Freunde.“

Skeptisch zog Ares die Augenbrauen hoch. „Bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst?“

„Ja, ganz sicher.“ Chris wollte mit seinen Freunden nicht über Naomi sprechen. Sie sollten nicht schlecht über ihn denken, so wie er sich fühlte, weil er sie verlassen hatte.

„Ich habe gehört, dass du jetzt der Junggeselle bist, der unsere Klinik in zwei Wochen bei dieser Versteigerung in Athen vertritt. Danke dafür, aber ich bezweifle ernsthaft, dass du genauso viel Geld einbringst, wie ich es getan hätte.“

Diesmal schnaubte Chris geringschätzig. „Du solltest eigentlich der Haupt-Junggeselle sein?“

„Selbstverständlich. Keine Frau kann mir und meinem Charme widerstehen.“ Mit einem breiten Grinsen warf Ares die langen dunklen Locken zurück.

Chris verdrehte die Augen. „Lass Erianthe das bloß nicht hören.“

„Logisch.“ Ares lachte.

„Und was wolltest du als Date anbieten? Was gilt in Griechenland als romantisch? Ich bin eher daran gewöhnt, eine Frau in Manhattan zu beeindrucken. Ich glaube, ich bin irgendwie aus der Übung.“

Das war die Untertreibung des Jahres. Seit dem Tag, als Evans Mutter ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet hatte, war Chris komplett aus der Übung geraten. Von da an war sein Leben mit einem Ruck zum Stillstand gekommen.

Von dieser Nacht an hatte er auch aufgehört, tief und fest zu schlafen.

„Na ja, ich hatte geplant, eine Jacht zu mieten und die glückliche Gewinnerin auf eine Mondscheinfahrt einzuladen. Spritos ist nicht weit weg, und ich wollte ein kleines, improvisiertes Luxus-Picknick an einem der Strände deines Vaters organisieren. Inklusive Kellner und dem besten Champagner, der zu haben ist. Vielleicht sogar noch mit ein bisschen Tanzen unter den Sternen.“

„Hey, du bist ja ein echter Casanova.“

Ares lachte. „Ich weiß.“

„Aber vielleicht wäre das alles doch etwas übertrieben.“ Chris rollte seine verspannten Schultern. „Ich will die Gewinnerin ja nicht verführen, sondern ihr nur einen schönen Abend bereiten, der ihr Geld wert ist.“

„Klar, denn bei deinen Verführungskünsten würde sie es wahrscheinlich gleich wieder zurückfordern.“ Ares stand auf und verließ schnell den Raum, ehe Chris ihn knuffen konnte.

Doch die Idee war gar nicht übel. Sein Vater besaß eine Jacht, die Chris ausleihen konnte. Für den guten Zweck würde der Skipper die Fahrt vermutlich sogar umsonst machen. Da das Boot allerdings größer war als das, woran Ares gedacht hatte, wäre ein Picknick am Strand vielleicht nicht ganz einfach.

In diesem Augenblick steckte Deakin den Kopf zur Tür herein. „Stavros ist da.“

„Danke.“

„Er wartet in Behandlungsraum eins.“ Damit ging er wieder.

Chris griff nach seinem Notizbuch. Wie sagte man jemandem, dass er bald sterben würde? Er würde sich nie daran gewöhnen, seinen Patienten eine solche Diagnose mitteilen zu müssen. In Manhattan standen ihm wenigstens die neuesten Geräte und ein ausgezeichnetes chirurgisches Team zur Verfügung. Doch hier in dieser kleinen Inselklinik war ihm entschieden unbehaglich zumute.

Selbst wenn Stavros sich bereit erklären sollte, nach Athen zu gehen, war das dortige Team nicht das von Chris. Die Leute waren nicht an seine Arbeitsweise gewöhnt, was das Risiko für den Eingriff noch zusätzlich erhöhte.

Mit der Patientenakte von Stavros machte er sich auf den Weg zu Behandlungsraum eins. Er klopfte und trat ein, als Stavros gut gelaunt antwortete.

„So, der verlorene Sohn kehrt also zurück nach Mythelios. Ihre Yia-yia war Stammgast in meiner Taverna. Eine sehr energische alte Dame, möge sie in Frieden ruhen.“

Chris nickte. „Das ist wahr.“

„Aber Sie sind seit Ihrer Rückkehr nur ein einziges Mal bei mir gewesen.“

„Ich hatte viel zu tun. Und ich habe einen kleinen Sohn.“

„Herzlichen Glückwunsch. Das wusste ich gar nicht.“

Bestimmt hatte Stavros davon gehört. Der Gastwirt wusste alles, und seine Vergesslichkeit war vermutlich dem Tumor zuzuschreiben.

„Danke.“

Stavros lächelte. „Ich nehme an, wenn ein solcher Experte sich wegen der Kopfschmerzen und dem Anfall meine Akte anschaut, dass es sich um etwas anderes als Epilepsie handelt?“

Chris nickte ernst. „Es tut mir leid, Stavros, aber Sie haben ein anaplastisches Oligodendrogliom dritten Grades. Das ist ein schnell wachsender, seltener und sehr aggressiver Tumor, der in Ihrem Schläfenlappen wächst. Wenn er nicht behandelt wird, wird sich der Krebs auch auf andere Teile Ihres Körpers ausbreiten.“

„Welche Möglichkeiten habe ich?“, erkundigte sich Stavros ruhig.

„Zuerst möchte ich noch ein paar zusätzliche MRTs machen lassen, um zu sehen, ob der Krebs bereits irgendwohin gestreut hat. Danach kann ich einen Behandlungsplan erstellen. Im Idealfall würde ich operieren, um alles zu entfernen, was ich kann, und Ihnen dann eine Chemotherapie verschreiben.“

„Chemotherapie?“ Stavros schüttelte den Kopf. „Wer soll dann die Taverna führen. Das kann ich nicht machen, und wahrscheinlich könnte ich es mir auch gar nicht leisten.“

„Stavros, wenn Sie die Behandlung verweigern, haben Sie vielleicht noch sechs Monate zu leben.“

„Das Risiko gehe ich ein. Ich darf nicht so krank sein, dass ich nicht arbeiten kann. Die Taverna ist meine Existenz, und ohne sie kann ich die Operation nicht bezahlen.“

„Ich werde die Operation bezahlen.“

„Bei allem Respekt, Dr. Moustakas, ich will keine Almosen.“

„Aber lassen Sie mich wenigstens die MRT-Aufnahmen in Athen machen“, entgegnete Chris. „Ich werde einen Sonntagstermin für Sie vereinbaren, sodass Ihre Arbeit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Wenn der Krebs nicht gestreut hat, brauchen Sie auch keine Chemotherapie. Dann würde ich nur operieren.“

Stavros zog die Brauen zusammen. „Kann ich darüber nachdenken?“

„Natürlich. Es tut mir sehr leid.“

„Danke, Dr. Moustakas. Ich weiß Ihre Mühe sehr zu schätzen.“

Als Chris die Patientenakte in den Aktenschrank zurücklegen wollte, traf er dort auf Naomi.

Forschend sah sie ihn an. „Du siehst schrecklich aus. Ist alles in Ordnung?“

„Ja, schon. Ich musste bloß gerade Stavros die schlechte Nachricht mitteilen.“

Ihr Ausdruck wurde sanft. „Wie hat er es aufgenommen?“

„Er ist stur, aber das wundert mich nicht. Er wird sicher noch nachgeben. Im Moment lehnt er allerdings jede Form von Wohltätigkeit ab. Er will die Operation selbst bezahlen. Nur dass sie ihn seine gesamten Ersparnisse und wahrscheinlich auch noch seine Taverna kosten wird.“

„Er hat seinen Stolz, das kann ich nachvollziehen. Und ich versuche immer noch, eine Möglichkeit zu finden, damit meine Hilfsorganisation den Eingriff bezahlt“, sagte Naomi.

„Ich glaube nicht, dass er das annehmen würde. Er will absolut keine Unterstützung. Andererseits wird er sie vielleicht doch akzeptieren, wenn es gar nicht anders geht. Hoffentlich ist er bereit, nach Athen zu fahren, um dort ein Ganzkörper-MRT machen zu lassen. Dann sehe ich, ob der Krebs gestreut hat. Wenn ja, kann ich Stavros nur noch lindernde Maßnahmen anbieten.“ Müde fuhr Chris sich mit der Hand übers Gesicht. „Kennst du zufällig irgendeinen leitenden Chirurgen in einem Athener Krankenhaus?“

„Ja, warum?“

„Stavros wird nur dann mit einem MRT einverstanden sein, wenn es an einem Sonntag durchgeführt wird, weil seine Taverna da geschlossen ist.“

Autor

Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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<p>Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...
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