Julia Ärzte zum Verlieben Band 143

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SINNLICHE NÄCHTE MIT DR. VENEZIO von TINA BECKETT

Keine Romanze am Arbeitsplatz! Das hat Ärztin Elyse sich nach einer gescheiterten Beziehung geschworen. Doch der sexy Chirurg Luca Venezio erobert ihr Herz im Sturm. Allerdings bleibt die Affäre nicht ohne Folgen. Was soll Elyse jetzt tun? Luca will keine Kinder …

WIE HEILT MAN EIN GEBROCHENES HERZ? von TRACI DOUGLASS

Ernsthafte Beziehungen sind für Krankenschwester Wendy tabu - schließlich besteht die Gefahr, dass sie eine Erbkrankheit in sich trägt. Bis sie den charmanten Arzt Tom Farber trifft. Noch nie hat sie ein solches Verlangen gespürt. Doch was, wenn die Krankheit zuschlägt?

EIN NOTARZT FÜR DIE LIEBE von ALISON ROBERTS

Der sexy Arzt Joe Wallace weiß, dass seine Kollegin Maggie sich nach einem Kind und einer Familie sehnt. Obwohl das für ihn unvorstellbar ist, kann er sich seiner leidenschaftlichen Gefühle für sie nicht erwehren. Doch dann enthüllt Maggie ein schockierendes Geheimnis …


  • Erscheinungstag 18.09.2020
  • Bandnummer 143
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715601
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tina Beckett, Traci Douglass, Alison Roberts

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 143

TINA BECKETT

Sinnliche Nächte mit Dr. Venezio

Der erfolgreiche Chirurg Luca Venezio ist außer sich. Vor ihm steht die betörende Elyse, mit der er vor Jahren eine heiße Beziehung hatte. Seitdem herrschte Funkstille zwischen ihnen. Jetzt behauptet Elyse, er wäre der Vater ihres Kindes. Doch kann Luca ihr wirklich trauen? Schließlich hat die schöne Amerikanerin ihn schon einmal hintergangen …

TRACI DOUGLASS

Wie heilt man ein gebrochenes Herz?

Tom Farber ist als Arzt und alleinerziehender Vater eigentlich voll und ganz ausgelastet. Trotzdem bringt die süße Krankenschwester Wendy sein Herz zum Rasen. Doch Toms letzte Beziehung ging gründlich schief. Damals hat er sich geschworen, von Frauen in Zukunft die Finger zu lassen. Soll er wirklich mit Wendy einen Neuanfang wagen?

ALISON ROBERTS

Ein Notarzt für die Liebe

Maggies Sehnsucht nach einem Baby ist übermächtig! Ihre biologische Uhr tickt, und ein geeigneter Partner ist nicht zur Hand. Da ist es doch kein Wunder, dass sie ihren Arzt-Kollegen Joe Wallace ins Auge fasst! Joe ist attraktiv, sexy und ein echter Kumpel! Sie verbringen eine atemberaubend heiße Nacht zusammen. Aber will Joe auch der Vater ihres Kindes sein?

PROLOG

„Ich bin nicht länger deine Vorgesetzte.“

Luca Venezio starrte Elyse an, als hätte sie den Verstand verloren. Nicht länger seine Vorgesetzte? Ihr erleichterter Tonfall verriet ihm, dass sie es kaum hatte abwarten können, ihm diese schlimme Nachricht zu überbringen. Obendrein hatte sie es in einem Zimmer voller Kollegen getan, die dasselbe Schicksal erlitten hatten wie er. Luca war noch geblieben, nachdem die anderen gerade niedergeschlagen hinausgegangen waren.

Nun saß Elyse auf ihrem Schreibtisch und sah genauso umwerfend aus wie schon vor einem Jahr, als er zum ersten Mal die neurologische Abteilung betreten hatte. Luca hatte eine Weile gebraucht, doch schließlich hatte er Elyse überzeugt, über ihre Bedenken bezüglich einer Beziehung am Arbeitsplatz hinwegzusehen, damit sie ausprobieren konnten, ob es mit ihnen funktionieren würde.

Und es hatte gut funktioniert. Sehr gut sogar.

Er trat einen Schritt auf sie zu. „Ist das alles, was du mir zu sagen hast, Elyse?“

Sie neigte den Kopf, als könnte sie absolut nicht verstehen, wo das Problem lag. War das etwas typisch Amerikanisches, das er noch nicht begriffen hatte? Immer dann, wenn er geglaubt hatte, diese Kultur zu verstehen, brachte Elyse ihn wieder ins Zweifeln. Plötzlich sehnte er sich zurück nach Italien, doch er würde nicht kampflos gehen.

Elyse rutschte vom Schreibtisch und blieb vor ihm stehen. „Verstehst du es denn nicht? Es könnte zu unserem Besten sein.“

Nein, er verstand es nicht, egal, aus welchem Blickwinkel er es betrachtete. Doch sogar in diesem Moment weckte Elyse eine Begierde in ihm, die ihn förmlich in den Wahnsinn trieb. „Willst du mich loswerden, ist es das?“

Sie umfasste seine Hände und streichelte seine Unterarme. „Reden wir von der Klinik? Oder von meinem Privatleben?“

Für Luca war beides ein und dasselbe. Er hatte das Gefühl, als hätte es seit ihrem ersten Date ein Tauziehen gegeben. Je fester er sie zu sich zog, desto größer wurde ihr Widerstand gegen seine Nähe, und er begriff nicht, warum. Zwar führten sie eine Beziehung, doch nichts daran war einfach. Bis auf den Sex.

Der war atemberaubend. Vielleicht ging der besondere Reiz von der ständigen Ungewissheit aus. Womöglich hatte diese Ungewissheit dem Liebesspiel erst die besondere Intensität verliehen.

Elyse starrte ihn aus diesen faszinierenden grünen Augen an. Es war verrückt, doch er hätte schwören können, dass er darin ein sinnliches Funkeln sah, obwohl sie ihn gerade gefeuert hatte. Hatte es sie etwa angetörnt, all diese Leute zu entlassen?

Nein. Das passte nicht zu der Elyse, die er in den vergangenen Monaten kennengelernt hatte. „Was willst du von mir, Elyse?“

„Weißt du das denn nicht?“

Er hatte keinen blassen Schimmer, doch er war es müde, Spielchen zu spielen. Er umfasste ihr Gesicht und versuchte, den Sinn hinter allem zu erkennen … Aber das Chaos in seinem Kopf machte es ihm unmöglich, nachzudenken oder irgendwelche Fragen zu stellen. Stattdessen fiel ihm ein, was sie bisher nach jedem Streit wieder miteinander versöhnt hatte. Zwar glaubte er nicht länger daran, dass zwischen ihnen alles wieder gut werden konnte, doch das Blut in seinen Adern kochte, und er konnte sein Verlangen nicht ignorieren.

Als Elyse mit den Lippen über seinen Mund strich und deutlich signalisierte, was sie wollte, war Luca längst bereit. Der Kuss war brennend heiß, so wie immer. Seine Zunge begegnete ihrer, er umfasste ihren Po, hob Elyse hoch und setzte sie auf den Schreibtisch. Das Geräusch ihrer Schuhe, die einer nach dem anderen zu Boden fielen, und die Art, wie sie ihn packte, ihn zu sich zog und mit den Beinen umschlang, beantwortete seine Frage endgültig.

Sie wollte ihm die Hölle auf Erden bereiten, daran bestand kein Zweifel. Grazie a Dio! Zum Glück hatte er die Tür hinter sich abgeschlossen, da er unter vier Augen mit Elyse hatte sprechen wollen. Im Moment jedoch war Reden das Letzte, was er wollte. Er konnte sein Verlangen kaum kontrollieren, wie immer, wenn sie in der Nähe war.

Der Schreibtisch war breit genug, und darauf lag nichts, was ihnen im Weg gewesen wäre – wie für Sex gemacht.

Luca machte sich von ihr los, sodass er einen Schritt zurücktreten und seinen Reißverschluss öffnen konnte.

Als er sah, wie Elyse sich über die Lippen leckte, war es mit der Kontrolle vorbei. Er trat zwischen ihre Schenkel, ließ die Hände unter ihren Rock wandern, zog ihr den Slip aus und warf ihn beiseite. Dann beugte er sich über sie, schob sie auf den Rücken. Ihre wunderbaren Brüste reckten sich ihm entgegen; die Brustwarzen zeichneten sich deutlich unter dem dünnen weißen Stoff ihrer Bluse ab.

„Willst du mich?“ Mit den Handflächen streichelte er die nackte Haut ihrer Hüften, dann packte er sie und zog sie bis zum Rand des Schreibtischs vor.

Sie biss sich auf die Unterlippe, schlang die Beine um ihn und drückte ihn fest an sich. Seine Härte berührte ihre feuchte Hitze, und jegliche Hoffnung darauf, sich Zeit zu lassen, löste sich in Luft auf. Luca drang in sie ein, ihr Schrei endete in einem Stöhnen, und sie bewegte die Hüften, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen.

Dio, Elyse …“ Er schloss die Augen und versuchte vergeblich, einen letzten Rest Selbstbeherrschung zu wahren.

Langsam ließ er eine Hand zwischen ihre Körper gleiten. Er streichelte sie, spürte, wie sie zitterte. Dann rieb er sie mit dem Daumen, veränderte das Tempo … und fühlte, wie sie zum Höhepunkt kam. Als er ihr gehauchtes „Ja“ hörte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten: Er ließ sich von einem Orgasmus mitreißen, der ihn alles um sie herum vergessen ließ. Es gab nur noch Elyse, ihren Körper, was sie in ihm auslöste …

Er war immer noch in ihr, bewegte sich weiter. Er wollte nicht, dass der Augenblick endete, wollte sich weiter darin verlieren …

Doch der Augenblick würde enden. Es musste passieren.

Schließlich holte er tief Luft und öffnete die Augen. Verdammt. So gut es auch gewesen war, der Sex hatte ihre Probleme nicht gelöst. Hatte überhaupt nichts gelöst. Der Job hatte sie miteinander verbunden und ihn dazu gebracht, es immer wieder mit Elyse zu versuchen, sogar dann noch, als ihre Leidenschaft merklich abgekühlt war. Doch nun hatte sie seine Stelle gestrichen und im gleichen Atemzug auch ihre Beziehung beendet. Was man über Abschiedssex sagte, stimmte offenbar.

Er versuchte nicht, sie zu küssen, zog sich einfach nur zurück und schloss seinen Reißverschluss, als Elyse sich auf dem Schreibtisch aufsetzte.

„Stimmt etwas nicht?“

Stellte sie ihm ernsthaft diese Frage? „Hast du meinen Namen auf die Liste der Leute gesetzt, die gefeuert werden sollten?“

Sie runzelte die Stirn, rutschte vom Schreibtisch, hob ihren Slip auf und wandte sich von ihm ab, während sie hineinschlüpfte. Sie kehrte ihm weiter den Rücken zu, während sie sich schweigend die schwarzen hochhackigen Pumps anzog, die er stets besonders sexy gefunden hatte.

Als sie sich endlich zu ihm umdrehte, war auch sein letzter Rest Geduld verflogen, und er brauchte keine Antwort mehr. „Weißt du was? Es spielt keine Rolle. Du hast mich auf Abstand gehalten, seit ich hier anfing. Jetzt erfülle ich dir endlich deinen Wunsch. Ich kehre zurück nach Italien. In Wahrheit hast du mir mit der Kündigung sogar einen Gefallen getan, also danke ich dir.“

Luca legte die Hand auf den Türknauf und rechnete halb damit, dass Elyse ihn aufhalten würde. Dass sie seinen Namen rufen und ihm sagen würde, dass alles ein großer Irrtum gewesen war, dass sie nicht wollte, dass er ging. Er verkrampfte sich, denn er wusste, selbst dann wäre er nicht bereit, so weiterzumachen wie bisher. Vielleicht würde er seine Entscheidung in einer Woche bereuen … oder in einem Monat. Im Moment aber brauchte er Zeit, um alles zu überdenken.

Hinter ihm jedoch ertönte kein Mucks, als er die Tür öffnete. Auch nicht, als er hinausging und die Tür hinter sich schloss.

Vielleicht musste er doch nicht länger nachdenken. Also machte er sich auf den Weg und blieb nicht eher stehen, bis er die Klinik verlassen hatte. Bis er ihr gemeinsames Leben verlassen hatte.

1. KAPITEL

„Jetzt erfülle ich dir endlich deinen Wunsch.“

Elyse Tenner zögerte, denn in ihrer Erinnerung hallten die Worte noch genauso deutlich und scharf nach wie vor etwas über einem Jahr. Sie hatte nicht gewollt, dass Luca ging, er aber schon. Nun stand sie vor der vornehmen Klinik, deren Eingangsportal mit kunstvollen Schnitzereien verziert war, doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, hineinzugehen. Noch nicht.

Luca zu finden, war leichter gewesen, als sie gedacht hatte. Und doch hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas Schwereres tun müssen … Aber das stimmte nicht ganz. Eine Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr zu, dass sie wieder ins Flugzeug steigen sollte. Luca würde es niemals herausfinden.

Aber sie konnte es nicht, zumindest nicht jetzt. Das Gewicht des Babys auf ihrer Hüfte erinnerte sie an den Grund ihres Kommens. Luca musste es erfahren. Sie wollte unbedingt sein Gesicht sehen und ihr Gewissen erleichtern. Danach wäre alles erledigt.

„Scusi.“

Das fremde Wort erinnerte sie daran, dass sie weit weg von zu Hause war.

„Entschuldigung“, murmelte sie und trat zur Seite, um den Mann vorbeizulassen. Leider hielt er ihr die Tür auf, was sie dazu zwang, schnell eine Entscheidung zu treffen. Gehen oder bleiben?

Schon war sie hineingegangen, doch der Mann eilte nicht davon, wie sie es erwartet hatte, sondern sagte noch etwas auf Italienisch zu ihr. Sie schüttelte den Kopf, um zu signalisieren, dass sie nicht verstand, und hob Annalisa etwas höher auf ihre Hüfte.

„Englisch?“, fragte er.

„Ja, sprechen Sie Englisch?“

„Ja. Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Er warf einen kurzen Blick auf das Baby. „Sind Sie Patientin hier?“

„Nein, ich bin auf der Suche nach …“

Ihr Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand, wo Bilder des Personals hingen, zusammen mit der Beschreibung ihres Arbeitsbereiches. Rasch entdeckte sie Lucas Foto: nachtschwarzes Haar, dunkle Augen. Früher hatte sein Blick stets gutmütig gewirkt, und seine Augen hatten humorvoll gefunkelt. Auf dem Foto jedoch haftete seinem Blick etwas Düsteres an, und die kleinen Lachfältchen waren kaum zu erkennen.

Elyse schluckte. Hatte sie ihm das angetan? Wahrscheinlich. Doch sie hatte mit dem Rücken zur Wand gestanden und eine Entscheidung treffen müssen – offensichtlich die falsche.

Sie war einfach feige gewesen, damals, vor neun Monaten. Doch nun war sie hier, um es wiedergutzumachen, sofern das möglich war. Nicht im Hinblick auf ihre Beziehung, denn die war zweifellos zerbrochen. Zerstört von ihrem Stolz, ihrer Dummheit und ihrer Angst davor, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Doch zumindest eine Sache konnte sie richtigstellen. Was Luca mit der Information anfing, war ihm überlassen.

„Sie suchen nach …“

Der Mann, der vor ihr stand, erinnerte sie an den Grund ihres Kommens. Was, wenn Luca noch nicht da war? Schließlich war es noch recht früh. Aber nein, er war bestimmt hier. Schließlich war er für seine langen Arbeitszeiten berüchtigt.

„Eigentlich suche ich nach einem … alten Freund. In den Vereinigten Staaten hat er in derselben Klinik gearbeitet wie ich.“

„Luca?“

Erleichterung überkam sie. „Ja. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?“

Der Mann musterte sie und runzelte leicht die Stirn. „Welche Klinik?“

„Das Atlanta Central Medical Center.“

„Ah, ich verstehe.“

Etwas an seinem Tonfall brachte sie dazu, sich zu fragen, was Luca über seinen Weggang von der Klinik erzählt hatte. Im Grunde spielte es keine Rolle, denn es konnte kaum schlimmer sein als die Wahrheit.

Zwar hatte Elyse die Kündigungen damals nicht selbst angeordnet, aber bestimmt hätte sie sich stärker dagegen wehren können. Zum damaligen Zeitpunkt hatte sie sich heimlich gefragt, ob es wohl einfacher wäre, ein paar Risse in der Beziehung zu Luca zu kitten, wenn sie nicht länger zusammen arbeiteten – Risse, für die allein sie verantwortlich war. Die Narben aus einer vorherigen Beziehung hatten sie vorsichtig werden lassen, was Romanzen am Arbeitsplatz anging.

Luca hatte nicht verstanden, weshalb die Sache zwischen ihnen für Komplikationen bei der Arbeit sorgen sollte – selbst dann nicht, als während eines Meetings eine heftige Diskussion zwischen ihnen entbrannt war, weil sie bezüglich der Diagnose eines Patienten unterschiedlicher Meinung gewesen waren. Alle Anwesenden hatten sie fassungslos angestarrt.

Ungefähr so, wie es der fremde Mann jetzt gerade tat.

„Entschuldigung“, sagte er, als hätte er seinen Fauxpas bemerkt. „Kommen Sie. Ich bringe Sie zu Luca.“

„Danke. Ich bin übrigens Elyse Tenner.“ Erneut verlagerte sie Annas Gewicht. Sie hatte die Wegbeschreibung falsch verstanden, war ein paar Haltestellen zu früh aus dem Bus gestiegen, und die Hitze forderte ihren Tribut. So viel dazu, Luca kühl und gelassen gegenüberzutreten.

„Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Lorenzo Giorgino, einer der hiesigen Neurochirurgen, und ich arbeite mit Luca zusammen.“ Er streckte die Arme aus. „Warum lassen Sie mich nicht das Kind nehmen? Sie wirken müde.“

Ein weiterer Schlag für ihr Selbstbewusstsein, doch er hatte recht. Sie war erschöpft, sowohl körperlich als auch emotional. Der Jetlag plagte sie, und nach dem langen Fußweg hätte sie sich am liebsten irgendwo hingesetzt.

Kurz zögerte sie, und er fuhr fort: „Ich verspreche, dass ich die Kleine nicht kaputtmache. Ich habe zwei … nipoti. Wie lautet das englische Wort dafür? Nichten?“

Lächelnd hielt sie ihm Anna hin. Sie hätte ihr Tragetuch mitnehmen sollen, aber seit der Landung hatte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Sie war zu nervös und verängstigt.

Hatte Luca ihr damals nicht erzählt, dass er sich Zeit lassen wollte, Kinder zu bekommen? Das hatte er. Sogar mehr als einmal. Sie schluckte schwer, auch dann noch, als der Arzt das Baby wie ein Profi in den Armen wiegte und Italienisch mit ihm sprach.

Er sah sie an, und in seinen Augen lag ein fragender Blick. „Sind Sie bereit?“

Das war sie keineswegs, doch sie würde sich niemandem außer Luca anvertrauen. Also log sie: „Ja. Gehen Sie vor.“

In dem Augenblick, als sie ihm Anna gereicht hatte, war die Entscheidung gefallen. Sie würde Lucas Büro mit hocherhobenem Kopf betreten, ihm mitteilen, dass Anna seine Tochter war, und anschließend darauf hoffen, dass sie das Richtige getan hatte.

Luca starrte gerade auf die EEG-Aufzeichnungen, als es klopfte.

„Ja?“

Lorenzo erschien in der Tür und hielt ein Baby im Arm.

Alarmiert sah Luca auf. „Ist alles okay?“

„Hier ist jemand, der dich sehen will.“

Offensichtlich war es nicht das Baby, also hob Luca fragend die Brauen.

„Eine Frau. Sie hat gesagt, dass sie deine Kollegin in Atlanta war“, erklärte Lorenzo.

Lucas Herz machte einen Sprung. Er hatte im Atlanta Central mit vielen Leuten zusammengearbeitet. „Hat diese Frau auch einen Namen?“

„Den soll sie dir am liebsten selbst verraten.“ Lorenzo wechselte zu Englisch.

Luca hielt den Atem an. Es konnte unmöglich sein … Doch der Gesichtsausdruck seines Freundes verriet ihm alles, was er wissen musste.

Seit seiner Rückkehr nach Italien hatte Luca nichts mehr mit einer Frau gehabt, und er sah sich auch in naher Zukunft keine neue Beziehung eingehen. Und sein damaliges Vorhaben, den endgültigen Weggang aus Atlanta noch einmal zu überdenken? Er hatte es immer wieder aufgeschoben, bis es viel zu spät gewesen war, daran noch irgendetwas zu ändern.

Genauso wenig hatte er die Vorstellung ertragen, zu seiner alten Klinik in Rom zurückzukehren. Seine Eltern und seine beiden Schwestern lebten dort, und er hatte keine Lust gehabt, ihnen Millionen von Fragen zu beantworten. Oh, es hatte besorgte Nachrichten und Anrufe gegeben, denn seine Familie hatte wissen wollen, weshalb er so plötzlich nach Italien zurückgekehrt war. Da sie während der Gespräche jedoch sein Gesicht nicht gesehen hatten, war er sich ziemlich sicher, dass er ihre Ängste hatte zerstreuen können. Sie glaubten, er habe eben nur beschlossen, wieder in seinem Heimatland zu praktizieren. Eine knappe, einfache Aussage, an der er festhielt, gleichgültig, wie schwer es ihm fiel, die Worte auszusprechen.

Er ignorierte sein rasendes Herz. „Okay, und wo ist sie?“

Anstatt zu antworten, öffnete Lorenzo die Tür vollständig und betrat das Zimmer. Ihm folgte ausgerechnet die Frau, die Luca aus den Staaten fort und zurück nach Italien getrieben hatte.

Verdammt! Unzählige Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf, die sich allesamt um Elyse drehten. Er schluckte schwer und versuchte, die aufkommenden Bilder zu verdrängen.

„Elyse? Was machst du hier?“ Dabei konnte er den leicht anklagenden Unterton in seiner Stimme nicht unterdrücken. Ein Verteidigungsmechanismus, eine weitere Methode, um die aufkommenden Gefühle zu bekämpfen.

Dio. Vor langer Zeit hatte er sich in diese Frau verliebt, und dann war sie ihm auf furchtbare Weise in den Rücken gefallen. Am besten ließ er sie sofort spüren, dass er es nicht vergessen hatte. Aber warum war sie in Italien?

Als Elyse nicht antwortete, wandte sich Lorenzo ihr zu und reichte ihr das Baby. „Ich gehe, damit ihr reden könnt.“ Er warf Elyse einen letzten Blick zu. „Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.“

„Danke. Hat mich auch gefreut.“

Dann ging Lorenzo hinaus und schloss die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich.

Sekundenlang rührte sich Luca nicht, und ein Teil seines Hirns war wie zu Eis erstarrt. Noch immer saß er reglos auf seinem Stuhl, worüber seine Mutter sicher die Stirn gerunzelt hätte. Doch die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit hatten ihn fest im Griff und schnürten ihm die Luft ab.

Elyse näherte sich seinem Schreibtisch. „Luca?“

Irgendwie gelang es ihm, seine Zunge zu lösen, doch er vermied es tunlichst, die allerwichtigste Frage auszusprechen. „Wie geht es deiner Mutter?“

Er musterte das Baby. Elyse hatte keine Geschwister, also konnte es keine Nichte sein, die sie im Arm hielt. Hatte sie nach seinem Weggang ein Kind adoptiert?

„Sie hält immer noch durch. Der Verlauf ihrer Parkinsonkrankheit ist weiterhin langsamer als üblich.“

Vor ein paar Jahren hatten sie eine experimentelle Behandlung ausprobiert, die sehr geholfen hatte, auch wenn bereits vorhandene Schäden dadurch nicht rückgängig gemacht werden konnten.

„Gut.“ Natürlich war Elyse nicht den weiten Weg gekommen, um ihn über den Zustand ihrer Mutter zu unterrichten. Was die Frage offenließ: Warum stand sie mit einem Baby auf dem Arm mitten in seinem Büro? Luca nickte in Richtung des Stuhls vor seinem Schreibtisch. „Möchtest du einen Kaffee?“

Sofort ließ Elyse sich darauf nieder. „Sehr gerne, danke.“

„Wann bist du angekommen?“ Er stand auf, maß das Kaffeepulver für seine Stempelkanne ab und schaltete den Wasserkocher ein. Die Tätigkeit gab seinem verwirrten Hirn genug Zeit, um einige offensichtliche Fakten zu verarbeiten: Ja, Elyse war wirklich hier, und er war sich ziemlich sicher, dass sie nicht hergekommen wäre, wenn er bloß seine Zahnbürste bei ihr vergessen hätte. Also musste es etwas Wichtiges sein. Wichtig genug, dass sie den Ozean überquert hatte, um ihn zu sehen.

Sein Blick zuckte wieder zu dem Baby, doch er verdrängte den Gedanken sofort. So etwas hätte sie ihm schon längst mitgeteilt.

„Meine Maschine ist heute Morgen gelandet.“

„Hast du ein Hotelzimmer?“

Und wenn nicht? Dann bliebe ihr immer noch sein Haus. Seine Gedanken bewegten sich auf gefährlichem Terrain. Dazu wird es nicht kommen, Luca.

Er trug die volle Kanne zum Schreibtisch, stellte sie ab und nahm zwei Tassen von der Anrichte.

„Ja, ich war kurz dort, bevor ich hergekommen bin.“

Luca schenkte ihnen beiden Kaffee ein, öffnete den kleinen Kühlschrank neben dem Schreibtisch und verbarg seine Enttäuschung, indem er sich auf die belanglose Aufgabe konzentrierte. Elyse trank ihren Kaffee stets genauso wie er, mit einem Schuss Milch. Er gab etwas Milch in beide Tassen, rührte um und schob ihr eine hin.

Dabei musterte er ihr Gesicht. Es wirkte blass und abgespannt, ihre Wangenknochen traten etwas deutlicher hervor als noch vor einem Jahr. „Also, was führt dich nach Italien?“

Sie zögerte spürbar, bevor sie antwortete. „Du, um ehrlich zu sein. Ich muss dir etwas sagen.“

Der Schrecken von vorhin verwandelte sich in ein Erdbeben und verdrängte sämtliche Gedanken, bis auf den offensichtlichsten. „Wirklich?“

„Ja.“ Langsam drehte Elyse das Baby in seine Richtung. „Das ist Annalisa.“ Sie schloss die Augen und schluckte, bevor sie fortfuhr. „Sie ist deine … Sie ist unsere Tochter, Luca.“

Im Laufe der folgenden Sekunden veränderte sich seine Miene, wirkte zuerst verwirrt, dann schockiert und schließlich wütend. Luca faltete die Hände und verschränkte die Finger, sodass sich die Knöchel weiß färbten. „Meine was?“ Seine Stimme klang gefährlich leise.

Er hatte ihre Worte verstanden, doch er glaubte es nicht. Und Elyse fragte sich zum tausendsten Mal, ob es nicht besser gewesen wäre, die Sache auf sich beruhen zu lassen, Anna alleine großzuziehen und Luca über seinen Anteil an ihrer Existenz im Dunkeln zu lassen. Doch sie war es Anna schuldig, und – wenn sie ehrlich war – auch Luca, zu den Umständen zu stehen, unter denen ihre Tochter gezeugt worden war. Wenn er die Vaterschaft leugnete, dann hatte sie es zumindest versucht.

Natürlich hätte sie ihn schon während der Schwangerschaft ausfindig machen sollen, doch es war eine schwierige Zeit gewesen. Nach seinem Weggang hatte sie der Trennungsschmerz so sehr mitgenommen, dass ihr die Schwangerschaft erst bewusst wurde, nachdem ihre Periode zum dritten Mal ausgeblieben war. Ein Test hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Und sie hatte ganz genau gewusst, wann es passiert war: an jenem Tag in ihrem Büro. An dem Tag, an dem Luca sie und das Krankenhaus verlassen hatte.

Sie hatte vorgehabt, ihn anzurufen und es ihm zu sagen, doch jedes Mal, wenn sie den Hörer in die Hand nahm, bekam sie kalte Füße und befürchtete, dass der Klang seiner Stimme den Schmerz erneut aufleben lassen würde. Immer wieder redete sie sich ein, dass sie es am nächsten Tag tun würde. Irgendwann war ein ganzer Monat verstrichen, und plötzlich stellten sich Komplikationen ein. Man verordnete ihr Bettruhe. Ihre Eltern kamen zu ihr nach Hause, um ihr zu helfen. Ihre Mom zeigte sich tapfer, obwohl sie selbst mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte.

Zu dem Zeitpunkt hatte Elyse nicht einmal gewusst, ob das Baby überleben würde, also hatte sie beschlossen, die Neuigkeit erst einmal für sich zu behalten. Nun schluckte sie ihre Ängste hinunter. „Es ist wahr, Luca. Sie ist von dir. Ich dachte, du solltest es wissen.“ Sie drückte sich das Baby an die Brust.

Luca fluchte. Zumindest glaubte Elyse, dass es sich um ein Schimpfwort handelte, wenn sie nach seinem Tonfall ging.

Oh Gott, sie hatte richtiggelegen. Er wollte Anna nicht. Es war ein Fehler gewesen, herzukommen und es ihm zu sagen.

„Du hast es mir verschwiegen? Die ganze Zeit über? Und dann kommst du mit Lorenzo in mein Büro geschneit? Als ich ihn mit dem Baby im Arm gesehen habe, dachte ich im ersten Moment, es sei seine Nichte.“ Luca atmete hörbar ein. „Aber dann hat er dir das Baby überreicht. Und jetzt erzählst du mir, es sei meines?“

Trotzig reckte sie das Kinn. „Es war nicht einfach. Du bist gegangen und hattest nicht vor, jemals zurückzukehren, stimmts?“

„Richtig.“

„Und hast du nicht mehr als einmal betont, dass du keine Kinder willst?“

Bei diesen Worten lehnte er sich zurück, und sein Blick fiel auf Anna. „Das habe ich, aber es war …“

„Ich bin nicht davon ausgegangen, dass du es überhaupt wissen willst.“

„Du dachtest nicht, dass ich … Mio Dio. Nun, du hast dich geirrt. Und über Kinder habe ich nur gesagt: ‚im Moment nicht‘. Von ‚niemals‘ war keine Rede.“

Woher hätte sie das wissen sollen? Es gab Männer, die glücklich wären, niemals Kinder zu zeugen, und die nichts von ihrem Nachwuchs wissen wollten, wenn sie dann doch welchen hatten. Aber da sie Luca die Entscheidung abgenommen hatte, war es sein gutes Recht, böse auf sie zu sein.

„Es tut mir leid. Es war eine schlimme Zeit.“ Sie ging nicht auf die Einzelheiten der riskanten Schwangerschaft ein und erwähnte auch nicht die Tatsache, dass sie kein weiteres Kind mehr bekommen konnte. Anna mochte ihn etwas angehen, aber alles andere? Es betraf ihn nicht, denn sie waren nicht länger ein Paar. Und diese Tatsache schmerzte sie mehr, als ihr lieb war, auch noch nach so langer Zeit.

Er runzelte die Stirn. „Schlimme Zeit? Aber du erlaubst einem meiner Kollegen, mein Kind im Arm zu halten, bevor ich überhaupt die Chance dazu bekomme – und das ist alles, was dir dazu einfällt?“

Ja, Luca war böse auf sie. Wütend sogar, und sie konnte ihm keinen Vorwurf machen. Sie drückte Anna fest an sich, wie um sie vor der Tirade zu schützen.

Er bemerkte es und schloss die Augen. „Verdammt, es tut mir leid.“

Ein plötzlicher bitterer Schmerz durchfuhr sie und brachte sie dazu, die Hand auszustrecken und mit zitternden Fingern den Rand des Schreibtischs zu berühren. „Nein, mir tut es leid, Luca. Der Zeitpunkt schien einfach niemals richtig zu sein, und ich konnte nicht … Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen.“

Sie wollte nicht zugeben, wie sehr sie sich davor gefürchtet hatte, seine Stimme zu hören. Und nach Annalisas Geburt hatte sie Erholung gebracht, länger als andere junge Mütter. Dadurch hatten sich ihre Reisepläne weiter verzögert.

„Wann?“

Sie zog die Hand zurück. Was wollte er wissen? Wann Anna geboren worden war? Wann sie gezeugt worden war? Das war das Problem. Direkt nach der Kündigung hatten sie schnellen, leidenschaftlichen Sex gehabt, denn sie waren beide wütend gewesen. Doch die erotische Begegnung hatte ihre Probleme nicht gelöst, und erst, nachdem ihre Periode mehrfach ausgeblieben war, war ihr eingefallen, dass sie nicht verhütet hatten.

Dabei hatte sie doch gehofft, mit der Kündigung ihre Beziehung zu Luca zu retten! Sie war seine Vorgesetzte gewesen, und niemand hätte von ihr denken sollen, dass sie Luca aus persönlichen Gründen bevorzugte. Doch Luca hatte ohnehin keine Sonderbehandlung erwartet, und am Ende hatte die Kündigung das Gegenteil bewirkt.

Zu jener Zeit hatte Elyse oft an das Verhalten ihres Ex-Freundes Kyle denken müssen. Sie hatte immer befürchtet, dass sich die Vergangenheit wiederholen könnte, wenn sie nicht aufpasste.

Kyle war auch ein Kollege gewesen. Er hatte von ihr erwartet, dass sie ihm bei der Arbeit gewisse Dinge durchgehen ließ. Das meiste waren unbedeutende Kleinigkeiten, doch mit jedem Mal hatte sich Elyse in der Beziehung unwohler gefühlt. Als sie endlich bereit gewesen war, mit Kyle Schluss zu machen, bat er sie nochmals darum, einen Fehler zu übersehen, den er bei einem Patienten begangen hatte. Sie hatte sich nicht darauf eingelassen, und Kyle war gefeuert worden.

Anschließend hatte Elyse sich geschworen, sich nie wieder auf eine Beziehung mit einem Mitarbeiter einzulassen. Doch dann war Luca aufgetaucht, und sie hatte all ihre guten Vorsätze über Bord geworfen.

Seine Frage fiel ihr wieder ein, und sie entschied sich für die einfachste Antwort. Wenn er nachrechnen wollte, sollte er es tun. „Anna ist vier Monate alt.“

„Vier Monate.“ Er legte die Hände flach auf den Tisch. „Ich möchte Zeit mit ihr verbringen. Bist du alleine gekommen?“

Er fragte nicht, ob sie sich sicher war, dass Anna von ihm stammte. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. „Das ist auch mein Wunsch. Es ist einer der Gründe, weshalb ich hergekommen bin. Nein, ich bin nicht allein. Peggy begleitet mich. Erinnerst du dich an meine Tante?“ Wäre es ihrer Mutter besser gegangen, hätte Elyse sie gebeten, sie zu begleiten. Doch da ihre Mom nicht mitkommen konnte, war ihre Wahl auf Peggy gefallen. Elyse hatte die moralische Unterstützung gebraucht, sonst hätte sie die Reise womöglich niemals angetreten.

Luca hatte sie damals mehrmals gefragt, ob sie mit ihm ausgehen wollte, doch sie hatte sich zunächst an ihren Vorsatz gehalten, sich nach der Sache mit Kyle auf keine weiteren Beziehungen mit Kollegen einzulassen. Bis zu dem Tag, an dem Luca mit blassem Gesicht und resignierter Miene einen OP-Saal verließ, wo er lange die Gehirnströme eines Patienten überwacht hatte. Der Anblick hatte Elyse tief getroffen. Sie war zu ihm gegangen, hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt und ihn spontan auf ein Date eingeladen.

Er hatte zugestimmt. Der Rest war Geschichte – eine Geschichte, durchsetzt mit schönen und schmerzlichen Momenten. Doch die Leidenschaft, mit der er sie geliebt hatte …

Als sie sich dabei ertappte, dass sie seine breiten Schultern betrachtete, biss sie sich auf die Unterlippe und zwang sich, den Blick abzuwenden. Oh Gott, die Anziehungskraft war noch immer da und äußerst real. Sogar jetzt noch, nachdem das Märchen ihrer Beziehung zu Staub zerfallen war. Doch inmitten all der Trümmer war ihr kleines Mädchen geboren worden. Elyse bereute nichts, denn Anna war ihr die Schmerzen wert gewesen.

„Es ist so viel Zeit vergangen, warum bist du überhaupt gekommen? Du hättest die Sache auf sich beruhen lassen und mir nie etwas davon erzählen können“, hakte Luca nach.

Dasselbe war Elyse durch den Kopf gegangen, als sie den Flug gebucht hatte. „Es war die richtige Entscheidung.“ Schützend umfasste sie den Hinterkopf des Babys und wiegte es sanft hin und her.

Einen Moment lang musterte Luca seine Tochter, ging dann ans Fenster und starrte nach draußen. Er schob die Hände in die Hosentaschen und ließ die Schultern hängen. „La cosa giusta? Es wäre richtig gewesen, mir lange vor ihrer Geburt davon zu erzählen.“

„Hätte das etwas geändert?“

Er fuhr herum und sah sie an. „Ich weiß es nicht. Schließlich hast du mir keine Wahl gelassen, oder?“

„Nein.“ Vielleicht sollte sie ihm zumindest ein paar Einzelheiten erzählen. „Als ich sagte, es wäre eine schlimme Zeit gewesen, habe ich es auch so gemeint. Für eine Weile waren sich die Ärzte nicht sicher, ob Anna überleben würde. Und ich sah keinen Grund, es dir zu erzählen, falls …“

Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht, und er kehrte zum Schreibtisch zurück. „Dio. Was ist passiert? Geht es dir gut?“

Sie beeilte sich, ihn zu beruhigen. „Es ist alles in Ordnung. Jetzt zumindest. Ich hatte eine Plazenta praevia. Es wurde nicht besser, und ich bekam ein paar bedenkliche Blutungen.“ Und als es in der Folge der Fehllage der Plazenta schließlich zu einem Riss gekommen war, hatten sie beide in Lebensgefahr geschwebt. „Ich wollte Anna zuliebe keine weiteren Risiken eingehen.“

„Wäre es denn riskant gewesen, wenn du es mir erzählt hättest?“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

„Ich hatte eher an körperliche Belastungen gedacht, aber ja. Tief im Innern war ich wohl abergläubisch und hatte Angst, wenn ich es dir erzähle, läuft alles schief, und ich verliere sie. Ich wollte nicht, dass wir beide trauern, falls Anna es nicht überlebt.“

Dabei war Elyse sich gar nicht sicher gewesen, ob Luca wirklich trauern würde. Damals war sie fest überzeugt gewesen, er wäre entsetzt, zu erfahren, dass er ein Kind gezeugt hatte.

„Und nach ihrer Geburt? Warum hast du vier Monate gewartet?“

Sie war nicht bereit, ihm noch mehr zu erzählen. „Spielt das wirklich eine Rolle? Jetzt bin ich doch hier.“

Er ging vor ihr in die Hocke und berührte den Arm des Babys mit dem Zeigefinger. „Ich kann kaum glauben, dass sie von mir ist.“

„Das ist sie.“ Sie war sich nicht sicher, ob er seine Vaterschaft infrage stellte, doch sie konnte es verstehen. Da tauchte über ein Jahr nach der Trennung seine Ex bei ihm auf und behauptete, er hätte ihr Kind gezeugt. „Wir können einen Vaterschaftstest machen, wenn du willst.“

„Nein, ich weiß, dass sie von mir ist.“ Er blickte auf und sah sie an. „Darf ich sie anschauen?“

Anna schlief tief und fest. Elyse bemerkte, dass sie ihre Tochter unbewusst von Luca abgewandt auf dem Arm hielt. Ja, sie fühlte sich etwas erleichtert, aber auch ängstlich. Obwohl sie nicht ernsthaft damit gerechnet hatte, dass Luca seine leibliche Tochter ablehnen würde, sobald er von ihrer Existenz erfuhr, war sie sich dennoch nicht sicher gewesen, wie er reagieren würde.

Vorsichtig drehte sie das Baby um und wiegte es in den Armen, sodass Luca das kleine Gesicht sehen konnte.

Seine Kiefermuskeln spannten sich an, und er streichelte der Kleinen übers Haar. „Wie lange bleibt ihr?“

„Ich bin noch für eine Weile in Elternzeit. Ich möchte, dass du Anna kennenlernst. Aber …“ Elyse zögerte. „Ich will erst ein paar Spielregeln aufstellen. Wir müssen uns einigen.“

Er hielt inne. „Das Einzige, worin wir uns einig sein müssen, ist die Tatsache, dass wir ein Kind haben.“

Der scharfe Klang seiner Stimme verriet ihr, dass er nicht zulassen würde, dass sie den Ton angab. Aber das versuchte sie ja gar nicht. „Das weiß ich, Luca. Ich hoffe, wir können …“

„Eine Tochter. Meine Tochter.“ Seine Wut war schon wieder verraucht, und in seiner Stimme schwang ein ehrfürchtiger Unterton mit. „Annalisa.“

Ein gefährliches Prickeln hinter den Augen brachte Elyse dazu, sich aufrecht hinzusetzen. Sie biss die Zähne aufeinander, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Ja.“

Er hob den Kopf. „Ich habe ein paar eigene Spielregeln. Als Erstes werden wir unsere Kalender abgleichen und einen Plan aufstellen.“

Kurz blätterte er durch den Terminplan seines Handys. „Ich hätte sogar jetzt etwas Zeit. Also kann ich dich in dein Hotel fahren, und dann setzen wir uns hin und sprechen über sämtliche Bedenken, die du vielleicht hast. Aber eines will ich klarstellen: Ich werde am Leben meiner Tochter teilhaben, gleichgültig, was du von mir hältst.“

2. KAPITEL

Peggy verließ das Zimmer, sobald sie einander begrüßt hatten, und versprach, in einer Stunde zurück zu sein. War das ein abgesprochenes Signal, um Elyse davor zu bewahren, seine Gegenwart länger ertragen zu müssen?

Lucas Magen verkrampfte sich vor Wut, selbst dann noch, als er im Anblick seiner Tochter schwelgte. Nun, da der erste Schock überstanden war, hatte er seine Gefühle besser im Griff und konnte Anna ganz genau betrachten.

Im Gegensatz zu den seidigen blonden Locken ihrer mamma hatte die Kleine dichtes schwarzes Haar, das ihr wild vom Kopf abstand. Luca sah genauer hin und musste lächeln. Ein paar Strähnen waren mit einer roten Satinschleife zusammengebunden. Anna hatte zwar dunkles Haar, doch ihre Hautfarbe entsprach voll und ganz der von Elyse und war so hell wie der Sand an den sardischen Stränden. Wenn Anna größer war, würde sie sicher genauso leicht erröten wie ihre mamma.

Himmel, er hatte es geliebt, wie Elyse errötet war, wenn er ihr nachts etwas zugeflüstert hatte. Er ertappte sich dabei, dass er nicht länger das Baby ansah, sondern in die grünen Augen der Frau blickte, die es im Arm hielt. Er lächelte schief, als ihr Gesicht rot anlief. Wie aufs Stichwort. Manche Dinge änderten sich nie. Genauso wenig wie seine Reaktion darauf.

Elyse räusperte sich, wandte den Blick ab und wiegte das Baby im Arm. „Ihr voller Name lautet Annalisa Marie.“

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sie ins Hotel zu begleiten, doch er hatte sich in ungestörter Atmosphäre mit ihr unterhalten wollen, ohne dass Lorenzo oder irgendjemand anderes hereinplatzte und Fragen stellte, bevor er selbst die Antworten kannte.

„Marie. Nach deiner Mutter?“

Elyse wandte sich ihm wieder zu. „Ja.“

Ihm gefiel die Verbeugung vor einer Frau, die er bewunderte, obwohl er ihr nur wenige Male begegnet war. Doch zugleich betrauerte er die verlorene Zeit … und die verlorenen Chancen. Ihm war es nicht einmal vergönnt gewesen, bei der Namenswahl seines eigenen Kindes mitzureden. Er war weder dabei gewesen, als Anna sich zum ersten Mal umgedreht hatte – sofern sie es bereits konnte –, noch hatte er die sonstigen Meilensteine miterlebt, die sich im Leben vier Monate alter Babys ereignet hatten.

„Du hast ihr einen italienischen Namen gegeben.“

„Natürlich. Sie ist Halbitalienerin.“

Elyse lächelte, obwohl sie unsicher wirkte. Hatte sie wirklich geglaubt, er würde sein eigenes Kind nicht wollen, nur aufgrund irgendeiner unbedachten Bemerkung? In erster Linie hatte er es gesagt, um Elyse nicht zu verschrecken, denn er hatte vermeiden wollen, dass sie sich von ihm bedrängt fühlte. Er hatte sich durchaus Kinder gewünscht, wenn auch nicht unbedingt sofort.

Und nun hatte er eines. Schon jetzt war er verliebt, nach nur einer Stunde.

„Möchtest du sie halten?“

Die Frage ließ ihn erstarren. Wollte er es? Er biss die Zähne aufeinander. Noch etwas, das er verpasst hatte: Anna nach der Geburt in den Armen zu halten.

Darüber konnte er sich später noch Gedanken machen. Jetzt musste er sich auf seine Tochter konzentrieren, nicht auf die Vergangenheit, an der er nichts mehr ändern konnte. Und ja, er wollte sie halten. Er streckte die Arme aus, und Elyse übergab ihm vorsichtig seine Tochter. Mit einem Arm griff er dem Baby unter die Beine, um sein Gewicht zu halten, dann drückte er es sich an die Brust, atmete seinen Duft ein und erschauderte ehrfürchtig.

Er blickte zu Elyse auf, die einen Schritt zurückgetreten war, die Arme verschränkt. Sie musterte Anna und ihn; ihre Miene war nicht zu deuten. Doch obwohl ihre Beziehung vor dreizehn Monaten auf so bittere Weise zu Ende gegangen war, hatten Elyse und er zumindest eine Sache richtig gemacht: Sie hatten dieses kleine Wesen erschaffen. Er murmelte Anna etwas auf Italienisch zu, sodass ihre mamma es nicht verstand, wandte sich ab, ging ans Fenster des Zimmers und blickte auf die Stadt hinaus.

„Du kennst mich noch nicht, Annalisa, aber ich verspreche dir, dass du mich bald gut kennen wirst.“ War das überhaupt realistisch? Wie lange hatte Elyse vor, in Italien zu bleiben? Sie hatte erwähnt, dass ihr noch etwas Elternzeit blieb, war jedoch nicht näher darauf eingegangen. Wann würde sie wieder abreisen?

Luca kam die Galle hoch, als er überlegte, dass zwischen ihren Besuchen vielleicht mehrere Monate liegen würden, vielleicht sogar ein ganzes Jahr. Wie sollte es auch anders sein? Atlanta und Florenz hätten sich auch auf unterschiedlichen Planeten befinden können.

Er blickte auf die Stadt hinunter. „Das ist ein Teil deiner Wurzeln, Anna. Ich möchte, dass du Italien siehst. Wenn du aufwächst, sollst du seine Sprache lernen.“ Irgendwie würde er schon dafür sorgen.

Hinter ihm erklang ein Geräusch, und er drehte sich um. Elyse war zur Tür gegangen. Wollte sie ihn aus der Zukunft seiner Tochter verbannen, bevor er überhaupt in ihrer Gegenwart angekommen war? Doch was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit: Er würde ein Teil von Annas Lebens sein.

Jetzt konnte er den ersten Schritt tun, in dem er dafür sorgte, dass sie während Elyses Aufenthalt alle unter einem Dach wohnten. „Du solltest in meinem Haus anstatt im Hotel übernachten. Ich habe genug Zimmer frei. Deine Tante kommt natürlich mit.“

„Ich weiß nicht.“ Elyse biss sich auf die Unterlippe. „Vielleicht ist es besser, wenn wir im Hotel bleiben.“

„Warum?“ Im kommenden Monat war er in der Klinik ausgebucht. Seine Termine konnte er nicht einfach alle absagen, um sich Urlaub zu nehmen. Die Patienten, die sich in den kommenden Tagen einer Behandlung unterziehen würden, konnte er erst recht nicht im Stich lassen. Er durchquerte das Zimmer. „Du hattest Annalisa vier Monate lang ganz allein für dich. Ich wünsche mir, dass ihr da seid, wenn ich nach Hause komme. Und wenn ich aufstehe.“

Verdammt, meinte er damit, dass er Anna bei sich haben wollte? Oder Elyse? Er versuchte, sich klarer auszudrücken. „Ich will mit Anna so viel Zeit wie möglich verbringen. Ihr hättet dort eine Küche zur Verfügung und viel mehr Platz als hier. Das würde es uns allen einfacher machen.“

„Ich glaube nicht …“

Er verlagerte das Gewicht des Babys auf den anderen Arm und berührte Elyse am Kinn, damit sie den Kopf hob und ihm in die Augen sah. „Sag Ja. Es würde mir viel bedeuten.“

Etwas flackerte in ihren grünen Augen auf, bevor sie antwortete: „Bist du sicher? Es wäre für einen ganzen Monat.“

Ein Monat. Wenn sie es aussprach, klang es wie eine Ewigkeit, doch ihm kam es vor wie eine Millisekunde. Immerhin wusste er jetzt, wie viel Zeit ihm noch mit seinem Baby blieb. „Ein Monat ist gar nichts.“ Das Gewicht seiner Tochter in seinen Armen fühlte sich richtig und gut an. Er wollte nicht darauf verzichten. Nicht in einem Monat, nicht in einem Jahr, nicht in seinem ganzen Leben.

Noch immer hatte Elyse den Kopf leicht geneigt, und sie starrten einander an.

„Wirklich?“ Ihre Stimme klang belegt. Ihre Lippen waren leicht geöffnet.

Verdammt. Sein Magen zog sich alarmiert zusammen, doch er ignorierte die Warnung und beugte sich vor. Elyse tat es ihm gleich.

In diesem Augenblick wand sich Annalisa, zappelte und weinte leise. Der Bann war gebrochen, und Luca trat einen Schritt zurück.

„Entschuldige“, meinte Elyse. „Sie wird hungrig.“ Ihre Stimme klang nicht mehr belegt, sondern eher misstrauisch, was ihm nicht gefiel.

Luca reichte ihr das Baby und beobachtete, wie Elyse sich auf das Bett setzte, die Bluse aufknöpfte und der Kleinen die Brust anbot.

Die Tatsache, dass sie es in seiner Gegenwart tat, löste die Anspannung in seinem Innern. Er war ihr Liebhaber gewesen, um Himmels willen. Warum sollte es ihn überraschen?

Eher wunderte es ihn, dass sie überhaupt nach Italien gekommen war. Legte sie wirklich Wert darauf, dass er seine Tochter kennenlernte? Oder wollte sie zukünftige Schuldgefühle vermeiden, wenn Annalisa eines Tages Fragen über ihren Vater stellte?

Spielte es denn eine Rolle?

Ja, durchaus. Denn die wahren Gründe für ihre Reise würden ihre zukünftigen Begegnungen entscheidend beeinflussen. Wenn Elyse nur darauf aus war, ab und zu ein paar gemeinsame Fotos zu machen, um Anna zu zeigen, dass sie sich Mühe gegeben hatte, würde sie eine bittere Enttäuschung erleben. Er würde – nein, er hatte es sich fest vorgenommen – eine echte Beziehung zu Anna aufbauen. Er würde sich nicht damit zufriedengeben, der abwesende Vater zu sein, der lediglich Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke schickte.

Vom Bett her erklang niedliches, leises Schnaufen. Das Baby wurde noch immer gestillt. Plötzlich ertrug Luca es nicht länger, als Außenstehender dabei zuzusehen.

„Ich gehe nach unten und hole etwas zu trinken. Möchtest du auch etwas?“

Elyse blickte auf, und das leichte Lächeln auf ihren Lippen verblasste. „Ein Wasser, wenn es nicht zu viele Umstände macht.“

„Keineswegs.“ Luca öffnete die Tür und warf beim Hinausgehen einen letzten Blick über die Schulter. Elyse schaute ihm nach, und ihre Blicke begegneten sich. In ihren Augen erkannte er etwas, das er nicht darin sehen wollte: Angst. Wovor fürchtete sie sich? Dass er womöglich versuchen würde, ihr Annalisa wegzunehmen? So etwas würde er niemals machen! Aber er würde sich ebenso wenig zurückziehen und so tun, als würde sein Kind nicht existieren.

Die kurze Fahrt mit dem Aufzug verschaffte ihm eine Pause und den nötigen Abstand. Der Kloß in seinem Hals löste sich, und der Schmerz in seiner Brust ließ zumindest vorerst nach.

In der leeren Lobby bestellte er sich einen Kaffee und ein Wasser für Elyse. Von Peggy sah er keine Spur. Das ergab durchaus Sinn. Er kannte Peggy als gutmütig und rücksichtsvoll. Vielleicht blieb sie absichtlich länger als eine Stunde fort, weil sie der Meinung war, dass sie die Zeit benötigten, um alles bezüglich des Babys zu klären.

Luca hatte mehrere Termine verschoben, doch ihm blieben noch einige am Nachmittag, also hatte er nicht mehr viel Zeit.

Verdammt. Er konnte die übrigen Termine einfach absagen und sich eine ganze Woche freinehmen, doch das wäre gegenüber den Patienten in der Klinik unfair. Außerdem würde es schwierig werden, sie an andere Neurologen zu vermitteln. Er war sich sicher, dass alle anderen einen ebenso vollen Terminkalender hatten wie er. Gerade war Hochsaison im Tourismus, was viel Arbeit für die meisten Ärzte und Klinikmitarbeiter der Stadt bedeutete. Was sollte er also tun?

Alles, was in seiner Macht stand. Er musste dafür sorgen, dass er seine Zeit mit Elyse und Annalisa so gut wie möglich nutzte, und darauf hoffen, einen Kompromiss zu finden, mit dem sie alle einverstanden waren. Elyse hatte zugestimmt, in sein Haus zu ziehen. Das war schon mal ein Anfang.

Warum nur hatte sie zugestimmt, bei Luca einzuziehen? Elyse seufzte. Sie wusste es: wegen des Ausdrucks in seinen Augen, als er sie angesehen hatte. Wegen der starken Gefühle, die sie dabei durchströmt hatten, und der Art, wie er seine Tochter fest in den Arm genommen hatte, als fürchtete er sich davor, sie wieder loszulassen. Nichts davon passte zu dem Mann, der aus tiefer Überzeugung verkündet hatte, dass er keine Kinder wollte.

Es war eine der Millionen Ausreden, die Elyse jedes Mal vorgeschoben hatte, wenn sie den Hörer in die Hand genommen hatte, um Luca anzurufen, nur um doch wieder aufzulegen. Sie war sich nicht sicher gewesen, wie Luca auf die Neuigkeit reagieren würde, dass er eine Tochter gezeugt hatte. Darum hatte sie beschlossen, nach Italien zu fliegen: Sie wollte ihm direkt in die Augen sehen. Hätte er irgendwelche Anzeichen von Entsetzen oder Ablehnung gezeigt, wäre sie am Boden zerstört gewesen. Und sie wäre auf dem Absatz umgekehrt und hätte den ersten Flug nach Hause genommen, um ihrer Tochter den Kummer zu ersparen, einen Vater zu haben, der sie nicht wollte.

Doch er hatte sie nicht abgelehnt und sogar darauf bestanden, ein Teil ihres Lebens zu sein. Die Distanz zwischen Italien und ihrer Heimat würde dies jedoch äußerst schwer machen. Wäre Luca noch immer in Atlanta, wäre alles so viel leichter gewesen.

Wirklich? Dann hätte sie ihre Schwangerschaft nicht vor ihm verbergen können. Er hätte es sofort gewusst. Die zusätzliche Belastung, ihn in der Nähe zu haben, hätte ihre ohnehin komplizierte Schwangerschaft womöglich noch verschlimmert.

Und die Gewissheit, dass Anna ihr einziges Kind bleiben würde? Es war für sie immer noch schwer zu begreifen, doch als Luca dabeigestanden hatte, während sie Anna stillte, war es ihr unmissverständlich klar geworden. Sie war erleichtert gewesen, als er endlich ging. Es gab ihr Zeit, das Stillen zu beenden, da Annalisa müde war. Ihre langen dunklen Wimpern flatterten, als sie schläfrig wurde.

Elyse legte sich das Baby in die Armbeuge, knöpfte sich rasch die Bluse zu, drückte sich Anna an die Brust und strich ihr sanft über den Rücken, bis sie ein Bäuerchen machte. Ein richtig gutes sogar. Elyse schmunzelte, stand auf und legte die Kleine in das tragbare Kinderbett, das sie für die Reise mitgenommen hatte.

Anna regte sich beim Einschlafen, hob die Fäustchen und ließ sie langsam wieder sinken, bis sie rechts und links von ihrem Kopf zum Liegen kamen.

Wow. Elyse hätte ihre Tochter den ganzen Tag lang anstarren können. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie deshalb wichtige Aufgaben vergaß. Sobald sie wieder in der Klinik anfing, würde sich alles erneut ändern, und das Leben würde wieder so hektisch wie früher werden. Wahrscheinlich noch hektischer.

Ein Monat. Das war alles, was ihnen noch blieb. Elyse wollte nicht darüber nachdenken, wie lange es dauern würde, bis Luca seine Tochter wiedersehen konnte. Sie konnte Annas kleine Entwicklungsschritte täglich beobachten. Luca würde so vieles verpassen, doch sie wusste nicht, wie sie daran etwas ändern sollte.

Vielleicht konnte er wieder nach Atlanta ziehen. Aber was sollte er dort machen? Die neurologische Abteilung ihrer Klinik arbeitete noch immer mit einem Minimum an Personal, und es gab keine Pläne, den Bereich wieder auszubauen. Doch es gab dort andere Kliniken. Gewiss konnte er sich dort eine Stelle suchen, wie sie es sich schon vor vielen Monaten ausgemalt hatte.

Aber warum sollte er das tun? Bei ihrer Ankunft hatte Elyse nur wenig von Florenz gesehen, doch sie war beeindruckt gewesen. Die Stadt war atemberaubend schön und besaß den authentischen, unvergleichlichen Charme der Alten Welt. Die Kathedrale von Florenz mit ihrem Kuppeldach war eines der schönsten Gebäude, die sie je gesehen hatte. Sie nahm sich vor, sie genauer zu erkunden. Außerdem gab es den Palazzo Pitti und so viele andere historische Sehenswürdigkeiten, die sie besichtigen wollte. Vielleicht konnte sie mit Peg und dem Baby ein paar Ausflüge machen, während Luca in der Klinik arbeitete.

Nachdem Elyse gesehen hatte, wo Luca wohnte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass er jemals nach Atlanta zurückkehren wollte. Aber vielleicht würde das Baby etwas daran ändern.

Wollte sie es denn überhaupt? Es fiel ihr schwer, ihm wieder so nah zu sein. Ihre Gefühle für ihn waren genauso intensiv wie damals, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Und als er ihr Kinn berührt hatte … Oh Gott. Eine Sekunde lang war sie sich sicher gewesen, dass er sie küssen würde. Sie hatte ihn so sehr begehrt.

Wie viel schlimmer wäre es erst, wenn sie nur eine halbe Stunde voneinander entfernt wohnen würden? Oder sich am Ende täglich sahen? Sie war wohl doch noch nicht ganz über ihn hinweg, obwohl sie es geglaubt hatte.

Von der Tür erklang ein leises Klopfen, und dann trat Luca mit einer Tasse Kaffee und einem Wasser ein. Plötzlich wünschte Elyse sich, sie hätte sich auch einen Kaffee bestellt.

„Danke“, sagte sie, als sie die Flasche entgegennahm, dabei starrte sie jedoch seine Tasse an.

Er musste ihren sehnsüchtigen Blick bemerkt haben, denn er fragte: „Wolltest du lieber Kaffee?“

„Nein. Ist okay. Ich nehme einfach Wasser.“ Sie öffnete die Flasche, nahm einen großen Schluck, und ihr Magen verkrampfte sich von der kalten Flüssigkeit. Elyse konnte nicht anders und verzog das Gesicht. Wasser war noch nie ihr Lieblingsgetränk gewesen. Sie trank es nur, weil es gesund war.

„Bist du dir sicher, dass du keinen Kaffee möchtest? Es ist Milch drin, genau wie du es magst.“

Irgendetwas an seinen Worten ließ ihre Augen feucht werden. Sie war sich nicht einmal sicher, weshalb. Er hatte ihr auch schon in seinem Büro Kaffee angeboten. Es musste an der beschwerlichen Reise und dem ganzen Drumherum liegen. Bevor sie sich bremsen konnte, sprudelte es aus ihr heraus: „Dürfte ich? Nur einen kleinen Schluck.“

„Du warst diejenige, die mich auf Milch im Kaffee gebracht hat.“ Er lächelte und reichte ihr die Tasse. Elyse trank einen Schluck. Oh, das tat gut. Vollmundig, dunkel und aromatisch. Sie nahm einen zweiten und dritten Schluck, bevor sie sich schließlich dazu zwang, Luca die Tasse zurückzugeben.

„Bist du dir sicher, dass du nicht noch mehr möchtest?“

„Ja. Aber es war köstlich.“

Er lächelte. „Italienischer Kaffee ist unschlagbar.“

Ja, das stimmte. Und nicht nur der Kaffee. Sie hatte Luca vermisst – die guten Zeiten, das Liebesspiel, sein Lachen. Was gegen Ende passiert war, fehlte ihr jedoch nicht.

Der große Streit während der Diskussion über die Diagnose eines Patienten hatte einen tiefen Riss in ihrer Beziehung verursacht. Zudem hatte es ihr zunehmend Unbehagen bereitet, mit ihm zusammen zu sein, denn sie hatte befürchtet, wieder dieselben Fehler zu machen wie mit Kyle. Der Personalabbau hatte ihnen schließlich den Rest gegeben. Elyse hatte Luca nicht einmal vorwarnen können, aus Angst, ihn damit zu bevorzugen.

Es war einfacher, wenn er fort war. Das hatte sie sich damals immer wieder gesagt, obwohl einfacher nicht zwangsläufig besser bedeutete, nur weniger kompliziert.

Weniger kompliziert? Machte sie Witze? Sie hatten jetzt ein Baby. Elyse schüttelte die Gedanken ab und spülte den Kaffee mit einem weiteren Schluck Wasser hinunter, als könnte sie damit die Zwickmühle lösen, in der sie sich befand. Hätte sie abgetrieben, wäre sie jetzt nicht hier.

Und doch … Sie blickte zum Babybett. Auf keinen Fall würde sie Anna wieder hergeben, selbst wenn es möglich wäre.

„Erinnere mich daran, dass ich mir vor meinem Rückflug italienischen Röstkaffee besorge.“

„Es wird in Amerika nicht dasselbe sein wie hier.“

Nein, das wäre es nicht. Ihr Leben war nicht mehr dasselbe, seit Luca fort war. Doch damals hatte er unmissverständlich gezeigt, dass er nicht daran interessiert war, die Dinge zu klären.

Vielleicht hatten sie sich zu sehr in all ihren schlechten Eigenschaften geähnelt. Sie waren beide Neurologen, auch wenn sie sich auf leicht unterschiedlichen Gebieten spezialisiert hatten. Doch die beiden Bereiche überschnitten sich stark. Bei vielen Gelegenheiten war sich Elyse einer Diagnose sicher gewesen und hatte ihre Meinung geäußert. Luca hatte sie niemals infrage gestellt.

Außer bei diesem schwierigen Fall, als Luca ihr während eines Meetings widersprochen hatte. Hätten sie und Luca in unterschiedlichen Kliniken gearbeitet, wäre es gar nicht erst zu einer solchen Situation gekommen. Vielleicht hätten sie …

Elyse seufzte und unterbrach den Gedankengang. Es änderte nichts an der Tatsache, dass es Luca anscheinend leichtgefallen war, Atlanta und somit auch sie hinter sich zu lassen.

Luca saß in einem Klubsessel, Elyse auf der Bettkante. Zum Glück war das Zimmermädchen bereits da gewesen und hatte aufgeräumt, ansonsten wäre die ohnehin peinliche Situation unerträglich gewesen.

Elyse beschloss, die Frage auszusprechen, die auf der Hand lag. „Was machen wir jetzt, Luca?“

„Ich weiß es nicht.“ Er schaute zum Babybett, in dem Anna schlief. „Im Moment wünsche ich mir, mir bliebe mehr als nur ein Monat mit ihr.“

„Ich weiß. Das wünsche ich mir auch. Aber meine Elternzeit geht bald zu Ende. Ich sehe keine Möglichkeit, sie zu verlängern.“ Sie verschwieg, dass sie sich seiner Reaktion unsicher gewesen war. Die Tatsache, dass er hier saß und verkündete, dass er sich mehr Zeit mit Anna wünschte, schuf ein völlig neues Problem. „Wenn du irgendwelche Ideen hast, außer, dass ich sie hier zurücklassen soll, bin ich für Vorschläge offen.“ Sie hatte nicht auf die Vergangenheit anspielen wollen, doch an der Art, wie er die Lippen zusammenpresste, erkannte sie, dass er es so aufgefasst hatte.

„Ich würde von dir niemals verlangen, sie zu verlassen.“

„Ich weiß.“

Er stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ die Hände zwischen seinen starken Schenkeln baumeln. Schenkel, die sie einst …

Nein. Fang nicht wieder damit an, Elyse. Damit hatte sie sich überhaupt erst diese Schwierigkeiten eingebrockt.

Luca hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, vom ersten Moment an, als er ihre Abteilung in der Klinik betreten hatte. Elyse hatte sich eingeredet, dass sich ihre Faszination für ihn irgendwann verflüchtigen würde. Doch das hatte sie nicht. Sogar jetzt noch begehrte sie ihn.

Er blickte auf. „Ich glaube, wir übersehen die offensichtlichste Lösung.“

Ihr Herz machte einen Sprung. Wollte er damit sagen, dass er wieder mit ihr zusammen sein wollte? Was, wenn es so war?

Sie schluckte. Er lebte hier, sie in Atlanta. Außerdem war der Schaden bereits angerichtet. Er würde es ihr niemals verzeihen, dass sie ihn gefeuert hatte. Das hatte er ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht, als er damals gegangen war.

„Dann übersehe ich sie wohl immer noch, weil ich nämlich überhaupt keine offensichtliche Lösung erkennen kann.“

„Wir könnten heiraten.“

Gerade hatte sie den Mund geöffnet, um einen völlig anderen Vorschlag zu machen, doch nun klappte sie ihn wieder zu. Bestimmt hatte sie Luca falsch verstanden. „Wie bitte?“ Vielleicht wollte er damit ausdrücken, dass er wieder eine Beziehung mit ihr wollte. Aber eine Heirat? Nein. Unmöglich.

Sie beeilte sich, der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben. „Könntest du nicht einfach wieder in die Staaten ziehen? Dann könnten wir eine Besuchsregelung vereinbaren.“ Es war die einzige Alternative, die ihr im Moment einfiel. Sie konnten in unterschiedlichen Kliniken arbeiten und eine distanzierte, aber freundschaftliche Beziehung pflegen. Genau wie manche der berühmten Paare, die zum Wohle der gemeinsamen Kinder gut miteinander auskamen.

„Eigentlich hatte ich etwas anderes im Sinn.“

„Ich kann dich nicht heiraten. Wir mögen uns ja nicht einmal mehr.“ Sie rang sich die Worte ab, obwohl es eine Lüge war. Sie mochte ihn durchaus. Im Grunde sogar etwas zu sehr.

„Du kannst mich nicht heiraten? Oder willst du es nicht?“ Luca erhob sich und blieb neben dem Bettchen stehen. Er beugte sich vor, streichelte die Stirn des Babys, schob ein paar dunkle Locken beiseite und zwirbelte vorsichtig den kleinen Pferdeschwanz. Bei dem Anblick verspürte Elyse einen Stich. Luca mit ihrer gemeinsamen Tochter zu sehen, bereitete ihr einen Schmerz, den sie nicht verdrängen konnte.

Es würde ein seltener Anblick bleiben, wenn sie keine Lösung fanden. Aber sie konnte Luca nicht heiraten! Er liebte sie nicht mehr – zumindest hatte er ihrer Aussage nicht widersprochen, dass sie einander nicht mehr mochten. Zudem konnte sie keine weiteren Kinder bekommen. Sie hatte bisher kaum Zeit gehabt, diese Tatsache zu betrauern, und erst recht nicht, irgendjemandem davon zu erzählen. Oh Gott, sie hätte nicht herkommen sollen.

„Beides“, antwortete sie ihm schließlich. „Eine Heirat nur wegen Anna wäre falsch, und es wäre uns beiden gegenüber unfair.“

Er wandte sich ihr zu und runzelte die Stirn. „Gibt es einen anderen?“

„Was? Nein, natürlich nicht.“ Sie lachte nervös. „Ich habe gerade erst ein Baby bekommen. Da bleibt keine Zeit für Romanzen.“

„Aber es gäbe welche, wenn der Zeitpunkt besser wäre?“

„Das habe ich nicht behauptet.“

„Jedenfalls kann ich nicht wieder in die Staaten ziehen. Nicht mit meinem vollen Terminkalender.“

Sie war enttäuscht, obwohl sie wusste, dass er recht hatte. Er konnte nicht einfach seine Sachen packen und gehen. „Es war nur ein Vorschlag.“

Luca hob den Kopf, und als sich ihre Blicke begegneten, musste Elyse schlucken.

„Du bist noch in Elternzeit, und es gibt keine Patienten oder Verehrer, die auf dich warten, oder?“

Ein neuartiges Gefühl entfaltete sich in ihrem Inneren. Etwas, woran sie bisher nicht gedacht hatte, und worüber sie auch nicht hatte nachdenken wollen. Würde er sie noch einmal fragen, ob sie ihn heiraten wollte? Und wenn ja, wäre sie in der Lage, Nein zu sagen?

„Nein, aber mir bleibt nur noch ein Monat, und dann muss ich zurück sein.“

„Und was wäre, wenn du nicht zurückkehrst?“

„Wie bitte?“

„Wenn du nicht zurückkehren würdest? Ich werde nicht in die Staaten ziehen, aber was wäre, wenn du stattdessen hier in Italien bleibst?“

3. KAPITEL

Peg traf ein, bevor Elyse die Frage beantworten konnte, doch ihr entsetzter Ausdruck verriet Luca, dass das Thema Heirat vom Tisch war, und zwar endgültig. Er war sich nicht einmal sicher, warum er die Frage gestellt hatte. Als er sich über das Bett seiner Tochter gebeugt hatte, war es ihm als die einfachste Lösung erschienen. Doch Elyse hatte klargestellt, dass die Chancen auf eine glückliche Ehe zwischen ihnen gleich null waren: Sie mochten einander nicht einmal mehr. Er konnte nur annehmen, dass sie von sich gesprochen hatte.

Tatsächlich hatte er sie nicht besonders gut leiden können, nachdem sie ihn und seine Kollegen gefeuert hatte. Doch als er dann nach Italien zurückgekehrt war, hätte er sich am liebsten selbst in den Hintern getreten. Er hätte bleiben und ihre letzte schicksalhafte Unterhaltung vernünftig beenden sollen – wenn auch nur, um mit der Sache abzuschließen. Aber er war so verletzt und wütend gewesen, dass er im Englischen nicht die richtigen Worte gefunden hatte, um seine Gefühle auszudrücken.

„Alles in Ordnung?“ Peg musterte sie beide und wirkte besorgt.

Elyse schenkte ihr ein Lächeln, das jedoch nicht die Augen erreichte. „Prima.“

Es war nicht prima, sondern frustrierend. Luca hatte das Gefühl, den Tatsachen ohnmächtig gegenüberzustehen. Doch er würde etwas daran ändern. Wenn nötig, würde er dafür kämpfen, in das Leben seiner Tochter involviert zu werden. Eine Heirat mit Elyse hätte das Problem gelöst. Aber vielleicht hatte sie recht, Nein zu sagen. Kinder besaßen äußerst feine Antennen. Irgendwann hätte Annalisa die Heuchelei durchschaut, und dann hätte ihnen eine hässliche Scheidung bevorgestanden.

Also keine Heirat. Aber sicher konnten sie im selben Viertel leben, oder zumindest im selben Land. Wenn Elyse die Rückkehr in ihren Job um drei, vielleicht sogar um sechs Monate nach hinten verschieben konnte, gelang es ihm vielleicht, bis dahin einen neuen Job zu finden und wieder in die Staaten zu ziehen. Auch wenn ihn die Aussicht nicht mehr so begeisterte wie früher.

Zunächst einmal war Elyse nun damit beschäftigt, ihrer Tante zu erklären, dass sie bei ihm einziehen würden. Die Chance, in Ruhe über alles zu reden, war vorerst vertan. Er musste Elyse bei Gelegenheit beiseitenehmen, um mit ihr alles unter vier Augen zu besprechen.

Und dann? Wenn sie sich bereit erklärte, in Italien zu bleiben? Dann würde sie bei ihm bleiben müssen, weil sie sich ohne Arbeit weder eine Villa noch eine Wohnung leisten konnte.

Luca war sich keineswegs sicher, was er davon halten sollte. Erst recht, nachdem er vor ein paar Minuten so auf sie reagiert hatte. Er schrieb seine Adresse auf und reichte Elyse den Zettel.

„Gibt das einem Taxifahrer und bitte ihn, dich dorthin zu fahren. Ich sage meiner Haushälterin Bescheid, damit sie eure Zimmer vorbereitet.“

„Haushälterin?“

Die Art, wie sie das Wort aussprach, bereitete ihm Unbehagen. „Emilia. Sie wohnt nicht bei mir, sondern kommt unter der Woche vorbei, um zu putzen. Zufällig ist sie auch heute da. Es macht ihr nichts aus. Normalerweise kocht sie ein paar Mahlzeiten vor und stellt sie mir in den Kühlschrank. Es gibt also genug zu essen; du musst dir ums Kochen keine Gedanken machen.“

„Das war einer der Gründe, weshalb du wolltest, dass wir bei dir einziehen: weil du eine Küche hast, die wir benutzen können.“

Er lächelte. Sie hatte ihn ertappt. „Ich sagte, du kannst sie benutzen, aber ich habe nie behauptet, dass du darin kochen musst.“

„Nein, das hast du nicht.“

Doch an ihrem Tonfall erkannte er, dass sich Bedenken bei ihr regten. Also wurde es wohl Zeit für ihn, zu gehen, bevor sie ihre Meinung änderte. Sie hatte bereits seinen Heiratsantrag abgelehnt, und er wollte nicht, dass sie ihm eine weitere Abfuhr erteilte. „Ich würde euch begleiten, aber in einer halben Stunde habe ich einen Termin mit einem Patienten.“

Peg meldete sich zu Wort. „Wir kommen schon zurecht. Und vielen Dank, dass du uns bei dir übernachten lässt. Das wird für das Baby sehr viel bequemer sein als das Hotel, nicht wahr, Elyse?“

„Ja. Vielen Dank.“

Als er Peggys Drängen und Elyses zögerliche Antwort mitbekam, musste er ein Grinsen unterdrücken. In Peggy hatte er womöglich eine ungewöhnliche Verbündete, doch wenn es seinem Ziel half, seine Tochter in der Nähe zu haben, war es ihm recht.

„Ich komme vor dem Abendessen nach Hause“, sagte er. „Ruht euch einfach aus. Die Erholungsphase für Jetlag beträgt einen Tag für jede Stunde Zeitunterschied.“

„In dem Fall werden wir uns erholt haben, bis …“

Elyse ließ den Satz ins Leere laufen, und Luca war sich nicht sicher, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Dachte sie etwa darüber nach, länger als einen Monat zu bleiben? Oder war es eine Warnung, dass sie schon bald abreisen würde?

Er war sich sicher, dass Elyse und Peggy heftig miteinander diskutieren würden, sobald er zur Tür hinaus war. Ein letztes Mal ging er ans Babybett und murmelte Annalisa zu, dass er sie in ein paar Stunden wiedersehen würde. Hoffentlich waren ihnen viele gemeinsame Jahre und nicht nur ein paar kurze Wochen miteinander vergönnt.

An diesem Nachmittag zog Elyse mit ihrer Tante bei Luca ein. Peggy war begeistert. Sie hatte Annalisa mitgenommen, um mit ihr den Garten zu erforschen. In der Zwischenzeit machte Elyse es sich mit einer Zeitschrift auf der Couch bequem, wo Luca sie bei seiner Rückkehr antraf.

Emilia hatte bereits Feierabend gemacht, und die Begegnung mit ihr war weit weniger peinlich gewesen, als Elyse es erwartet hatte. Sie war sich nicht sicher, ob die Haushälterin über die genauen Umstände ihres plötzlichen Auftauchens informiert war, doch der Grund war ziemlich offensichtlich. Da tauchte vor der Haustür des Chefs eine Frau mitsamt Baby auf – man musste kein Genie sein, um eins und eins zusammenzuzählen. Emilia hatte Anna interessiert beäugt, doch ihr gutmütiger Blick hatte Elyse besänftigt.

Lächelnd kam Luca herein und nahm auf einem der Stühle Platz. „Du könntest deinen Aufenthalt als Urlaub betrachten. Wo ist eigentlich Annalisa?“

„Sie ist mit Peg im Garten. Bestimmt kommen sie jeden Moment wieder. Was deine Haushälterin in den Ofen geschoben hat, duftet übrigens himmlisch. Ich könnte mich wirklich daran gewöhnen.“ Dann wurde ihr klar, dass er es als Zustimmung zu seinem Heiratsantrag auffassen konnte, und sie ergänzte: „Zumindest für diesen Monat. Ich habe nicht beschlossen, nach Italien zu ziehen, Luca. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bereit bin, meine Stelle aufzugeben, und ich wüsste nicht einmal, was ich hier machen sollte.“

„Es wäre ja nicht für immer. Könntest du wenigstens fragen, ob deine Elternzeit verlängert werden kann? Nur so lange, bis wir gründlich über alles nachgedacht haben. Ich möchte nicht, dass sich einer von uns bedrängt fühlt und später mit seiner getroffenen Entscheidung unglücklich ist.“

Er hatte recht. Ein Monat war eine recht kurze Zeitspanne, um Pläne für ein ganzes Leben zu schmieden.

„Ich weiß nicht, ob man mir eine Verlängerung genehmigt. Es ist alles vertraglich geregelt.“ Was wäre, wenn man in der Klinik beschloss, sie zu entlassen, so wie es auch schon Luca und den anderen passiert war?

Nach dem zu urteilen, was sie aus verschiedenen Quellen gehört hatte, hatten sämtliche ihrer Ex-Kollegen neue Jobs gefunden. Wenn es tatsächlich so weit käme, würde sie sicher auch etwas Neues finden. Elyse war sich ziemlich sicher, dass alle größeren Kliniken in Atlanta sie mit offenen Armen empfangen würden. Doch sie fragte sich, ob sie dort glücklich wäre. Seit ihrem Abschluss hatte sie im Atlanta Medical Center gearbeitet und kannte keine anderen Krankenhäuser.

Sie legte die Zeitschrift beiseite, und Luca beugte sich vor. „Wirst du es zumindest versuchen und nachfragen, ob es möglich wäre? Wenn es nicht geht und du nicht kündigen möchtest, dann müssen wir schnell ein paar Dinge regeln, wie zum Beispiel meinen Namen in Annas Geburtsurkunde einzutragen.“

Elyse erschrak. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht! Sie hatte sich nur darauf konzentriert, ihm mitzuteilen, dass er eine Tochter hatte. Rückblickend war es eine ziemlich kaltblütige Herangehensweise gewesen. Anna war immerhin sein Kind, doch in ihrer Vorstellung hatte Elyse die Sache wie eine reine Formalität behandelt, wie einen Geschäftsbrief: Wir möchten Sie darüber in Kenntnis setzen, dass …

Annalisa war alles andere als eine geschäftliche Angelegenheit. Sie war ein lebendes, atmendes menschliches Wesen, das eine Mutter hatte … und einen Vater. Es wäre geradezu kriminell, etwas anderem eine größere Wichtigkeit beizumessen. Eine Heirat mit Luca wäre vielleicht doch nicht so abwegig, wie sie geglaubt hatte. Das würde es ihnen erleichtern, Luca offiziell als Annas Vater anzugeben.

Elyse spürte einen Stich im Herzen. Aber ihn aus irgendeinem anderen Grund als aus Liebe zu heiraten … Sie konnte es nicht.

Sie wusste nicht, wie sie ihn in Annalisas Geburtsurkunde eintragen konnte, oder ob das von Italien aus überhaupt möglich war. Luca hatte recht: Zumindest musste sie die Klinik um eine Verlängerung der Elternzeit bitten. Wurde sie abgelehnt, würde sie das hinnehmen. Aber wenn sie ihr genehmigt wurde … Dann musste sie einige Entscheidungen treffen, und zwar schnell.

„Ich rufe morgen die Klinik an und checke die Lage.“

„Checke die …“

„Entschuldige. Das heißt, ich erkundige mich, ob man mir eine Verlängerung genehmigt.“

Sein Englisch war so gut, dass man leicht vergessen konnte, dass es nicht seine Muttersprache war. Das war ein weiteres Problem, denn ihre Italienischkenntnisse beschränkten sich auf das, was sie von Luca gelernt hatte, und vieles davon brachte sie zum Erröten. Es waren nicht unbedingt Sätze, die sich für eine Unterhaltung beim Abendessen eigneten. Sie spürte, wie ihr Gesicht bei der Erinnerung an das errötete, was er ihr einst in der Hitze der Leidenschaft ins Ohr geflüstert hatte.

„Wenn Atlanta mir eine Verlängerung meiner Elternzeit genehmigt, würde ich gerne einen Sprachkurs belegen, sofern ich Annalisa mitnehmen kann.“

„Wenn nicht, bin ich mir sicher, dass Emilia liebend gerne auf sie aufpassen würde. Ich könnte auch ein tragbares Babybett in der Klinik aufstellen, damit ich Anna bei mir haben kann.“

Elyse öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen. Doch sie schloss ihn wieder, als ihr einfiel, dass sie bereits vier Monate Zeit gehabt hatte, um ihre Tochter kennenzulernen. Luca hingegen hatte weniger als einen Tag gehabt, um sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass er Vater war. Vor Schuldgefühlen konnte sie einen Moment lang kaum atmen.

Sie beugte sich vor und nahm seine Hand. „Es tut mir wirklich leid, Luca. Ich hätte einen Weg finden müssen, es dir mitzuteilen. Aber ich wusste nicht, ob sie überhaupt …“

„Jetzt bist du hier. Belassen wir es einfach dabei.“ Doch in seinen Augen blitzte irgendetwas auf, und sie fragte sich, ob er ihr wirklich vergeben konnte.

Sie ließ seine Hand los. Sein kühler Tonfall hatte sie getroffen, erst recht, nachdem die Berührung seiner Hände Gefühle aktiviert hatte, die lange Zeit geschlummert hatten.

Wer konnte es Luca vorwerfen, wenn er sie hasste? Elyse konnte sich nicht einmal selbst verzeihen. Aber es wäre viel schlimmer gewesen, wenn Anna als Erwachsene nach ihrem Vater gesucht und Luca es dann erst herausgefunden hätte. Das wäre wirklich unverzeihlich gewesen. Und sowohl Annalisa als auch Luca hätten viele wertvolle gemeinsame Momente verpasst. Letztendlich hatte sie das Richtige getan, auch, wenn es nicht leicht war.

„Okay“, flüsterte sie nach einer Weile. „Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll.“

„Es war auch für dich schwierig, das weiß ich.“ Sein Ausdruck wurde sanft. „Ich bin froh, dass du gekommen bist. Wirklich froh.“

Mit dem schwarzen Haar und den dunklen Augen war Luca der Inbegriff des hochgewachsenen, geheimnisvollen Fremden gewesen. Und aufgrund der kulturellen Unterschiede war seine Körpersprache nicht ganz so leicht zu lesen wie die der amerikanischen Männer. Vielleicht hatte sie sich deshalb von Anfang an so stark zu ihm hingezogen gefühlt, obwohl sie alles versucht hatte, um auf Distanz zu bleiben. Anders als sie hatte Luca seine Gefühle sofort deutlich gezeigt, und die Hitze seiner Leidenschaft war ansteckend gewesen.

Luca wusste, was er wollte, und tat alles, um es zu bekommen. Das war etwas, das sie von anderen Männern nicht gewohnt war, nicht einmal von Kyle. Es war eine berauschende Erfahrung gewesen, von Luca im Sturm erobert zu werden.

Doch Elyse musste aufpassen, dass sie sich nicht wieder von seinem Charme blenden oder in anderer Hinsicht davon beeinflussen ließ. Zum Beispiel, wenn er versuchte, sie zu einer rein zweckmäßigen Heirat zu überreden. Für ein paar Sekunden hatte ihr ein Ja auf der Zunge gelegen. Doch dieser Weg führte ins Chaos, selbst, wenn sie es ihrer Tochter zuliebe getan hätten. Ihrer beider Tochter. An diese Tatsache musste sie sich immer erinnern. Sie entschied nicht länger allein, wenn es um Anna ging.

Bevor ihr etwas einfiel, das sie sagen konnte, erhob sich Luca und hielt ihr die Hand hin. „Du musst hungrig sein. Und müde.“

Von ihrer Position aus musste sie zu ihm aufblicken, um ihm ins Gesicht zu sehen. Hitze durchströmte sie, als ihr Blick Körperteile streifte, die sie einst nur zu genau erkundet hatte.

Elyse schloss für eine Sekunde die Augen und zwang sich zum Nicken, in der Hoffnung, dass Luca einen Schritt zurück machen würde, damit sie aufstehen konnte. Er musste ihre Gedanken gelesen haben, denn er trat tatsächlich zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Dann ging er noch einen Schritt zurück.

Elyse erhob sich, doch schon stand Luca wieder direkt vor ihr. Und da sich hinter ihr das Sofa befand, hatte sie keine Ausweichmöglichkeit.

Er hob die Hand und berührte ihre Wange, was Elyse erschaudern ließ. „Wir werden eine Lösung finden, Elyse. Ich verspreche es.“

Eine Lösung wofür? Für die Gefühle, die in ihr tobten, und die einfach nicht verstummen wollten? Seine Berührung und der Klang seiner tiefen, rauen Stimme machten alles nur noch schlimmer.

„Das hoffe ich.“

In diesem Moment ging die Hintertür auf, und Elyse hörte Peg mit Annalisa sprechen.

„Wirklich perfektes Timing“, murmelte Luca und trat wieder zurück.

„Ja, durchaus.“ Mit zitternden Händen strich sie die Bluse über dem Rock glatt, darauf bedacht, ihren inneren Aufruhr zu verbergen. Sie hatte gehofft, das Verlangen nach Luca würde mit der Zeit vergehen. Tatsächlich hatte es ein wenig nachgelassen, doch seine Gegenwart hatte neue Sehnsüchte geweckt, in einer Intensität, die es ihr schwer machte, sich auf irgendetwas anderes als sein Lächeln, seinen Duft und die Erinnerung daran zu konzentrieren, wie es sich angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen.

Es war ein riesiger Fehler, eine Woche in seinem Haus zu verbringen, erst recht einen ganzen Monat, das wurde Elyse jetzt klar. Sie eilte zu Peg, nahm Annalisa von ihr entgegen und schloss das Baby in die Arme.

Luca trat zu ihnen und wählte diesen Moment, um seine Tochter auf die Wange zu küssen. Als er aufblickte, war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, seine Lippen so nah an ihren. Und da war es wieder, das zittrige Gefühl, das sie eben schon durchzuckt hatte. Dann zog er sich zurück, und in seinem Lächeln lag eine stumme Gewissheit.

Er wusste ganz genau, welche Wirkung er auf sie hatte.

„Ich sehe mal nach dem Abendessen“, murmelte er und war verschwunden.

Peggy starrte sie mit großen Augen an. Elyse war also nicht die Einzige, die die Magie des Moments gespürt hatte.

Autor

Traci Douglass
Mehr erfahren
Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
Sie fand eine Stelle...
Mehr erfahren
Tina Beckett
Mehr erfahren
Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
Sie fand eine Stelle...
Mehr erfahren
Tina Beckett
Mehr erfahren