Julia Weihnachtsband Band 28

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DEINE LIEBE IST DAS SCHÖNSTE GESCHENK von BANKS, LEANNE
Wird Cade ihr drei Worte zum Fest der Liebe zuflüstern? Bis jetzt hat er in Abby nur die kleine Schwester seiner Ex gesehen. Doch je näher Weihnachten rückt, desto heftiger knistert es zwischen ihr und ihrem heimlichen Traummann. Und auf ihrer Wunschliste steht nur sein Name …

WEIHNACHTSSTERN ÜBER VENEDIG von ROBERTS, ALISON
Tausend Lichter auf dem Markusplatz: Die romantische Atmosphäre in Venedig verzaubert Charlotte restlos! Als ihr dann auch noch der attraktive Nico Moretti über den Weg läuft, ist es um sie geschehen. Es muss an der vorweihnachtlichen Lagunenstadt liegen. Oder an Nico?

SCHLITTENFAHRT INS PARADIES von ALWARD, DONNA
Weiße Schneeflocken überall! Blake weiß, was das heißt. Seine Ranch ist von der Außenwelt abgeschnitten. Er und die schöne Fotografin Hope McKinnon, die nur kurz bleiben wollte, sind ganz allein. Bald ist Weihnachten, und es gibt einen Mistelzweig, unter dem man sich küsst …


  • Erscheinungstag 02.10.2015
  • Bandnummer 0028
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706128
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Leanne Banks, Alison Roberts, Donna Alward

JULIA WEIHNACHTEN BAND 28

LEANNE BANKS

Deine Liebe ist das schönste Geschenk

Cade ist überzeugt, dass er das Richtige tut, als er Laila einen Antrag macht. Aber sie sagt Nein! Garantiert wird es nun das einsamste Weihnachtsfest seines Lebens. Doch schon wieder täuscht er sich. Denn zum ersten Mal schaut er in die schönen Augen von Abby, Lailas jüngerer Schwester. Und entdeckt darin eine überwältigend zärtliche Weihnachtseinladung …

ALISON ROBERTS

Weihnachtsstern über Venedig

Venedig bei Nacht. Der Diamantring fällt zu Boden und rollt an den Rand des Balkons des Luxusrestaurants. Gerade noch rechtzeitig hebt Nico ihn auf und zeigt ihn Charlotte. Da hört er den freudigen Aufschrei von Charlottes Großmutter: Glaubt die alte Dame etwa, sie ist Zeuge einer romantischen Verlobung? Aber … warum eigentlich nicht?

DONNA ALWARD

Schlittenfahrt ins Paradies

Noch eine Woche bis zum Weihnachtsfest: Eigentlich wollte City-Girl Hope McKinnon nicht auf einer Ranch in den Rocky Mountains feiern. Doch ein Schneesturm hält sie dort fest. Und als Rancher Blake Nelson sie bei einer romantischen Schlittenfahrt heiß küsst, ist sie plötzlich nicht mehr sicher, ob sie nach dem Fest der Liebe wieder abreisen möchte …

1. KAPITEL

Cade hatte einen langen Tag hinter sich, und die Kälte kroch ihm allmählich bis in die Knochen. Er hatte wie ein Ochse geschuftet. Es war Zeit für eine Belohnung. Eine kurze Pause, um sich irgendwo ein wenig aufzuwärmen. Von draußen warf er einen Blick in das kleine Café und überlegte, ob er sich ein Stück Kirschkuchen und einen Kaffee gönnen sollte.

Gedankenverloren starrte er das Schild über der Eingangstür an. Er erinnerte sich unwillkürlich an den verrückten Tag, an dem er um die Hand der Schönheitskönigin von Thunder Canyon angehalten hatte; mit ihr war er zu der Zeit regelmäßig ausgegangen. Und er dachte daran, wie sehr er sich seitdem nach einer eigenen Familie sehnte.

Ein seltsamer Gedanke: Cade hatte eigentlich kein echtes Interesse daran, sich zu verlieben. Das war ihm einmal passiert, und er hatte die Frau durch einen Unfall verloren. Nun wollte er sein Herz nicht wieder aufs Spiel setzen. Trotzdem wollte er mehr aus seinem Leben herausholen. Er war Partner in der Tischlerfirma seines Vaters, besaß ein Haus am Rande von Thunder Canyon und restaurierte in seiner Freizeit alte Motorräder. Und dann gab es da noch seine Hündin Stella. Im Grunde war sie das Wichtigste für ihn.

Plötzlich hörte er neben sich jemanden schniefen. Er schaute sich um und sah Abby Cates, die sich gerade die Nase putzte. Ihm wurde flau im Magen. Abby war die kleine Schwester der Frau, der er damals beim Rodeo zu den Frontier-Days-Festspielen den Heiratsantrag gemacht hatte. Was sich im Großen und Ganzen als Riesenfehler erwiesen hatte.

Erneut schniefte Abby deutlich vernehmbar. Ging es ihr nicht gut? Tatsächlich machte sie auf Cade einen unglücklichen Eindruck.

Besorgt wandte er sich ihr zu. „Hallo, alles in Ordnung?“

Abby schaute ihn überrascht an. „Hallo“, sagte sie und schnäuzte sich noch mal in ihr Taschentuch. „Was machst du denn hier?“

„Ich überlege, ob ich mir ein Stück Kuchen holen soll“, erwiderte er. „Hatte einen anstrengenden Tag.“

Sie nickte und blinzelte die Tränen weg. „Jetzt kommt die Zeit, in der dein Geschäft wieder anläuft, nicht wahr?“

„Genau. Woher weißt du das?“

„Habe ich mir die letzten Jahre so zusammengereimt“, antwortete sie. „Weil du immer um die Feiertage herum nicht so häufig bei uns zu Hause warst.“

„Korrekt“, sagte er. „Und du, warum schniefst du so herum? Doch nicht wegen der Kälte, oder?“

Sie zuckte mit den Schultern und schaute zu Boden, sodass er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. „Ach, ich weiß nicht. Gerade verändert sich so viel bei uns zu Hause. Ich werde Laila vermissen, wenn sie erst verheiratet ist.“ Sie stockte und starrte ihn an. „Sorry, ich wollte dich nicht …“

Er winkte ab. „Schon okay. Das Ganze hat mich eher in meinem Stolz verletzt. Laila und ich waren nie richtig ineinander verliebt. Ich hätte nicht so dumm sein sollen, ihr einen Antrag zu machen.“

„Du warst nicht dumm. Laila war es. Sie hätte dich nie gehen lassen sollen.“

Cade schüttelte lächelnd den Kopf. Dass Abby ihn in Schutz nahm, fühlte sich gut an. Viel besser sogar, als er zugeben wollte. Aber er wusste am besten, dass Gefühle oft trügerisch und launenhaft waren. Er schob die Hände in die Taschen seiner Lammfelljacke. „Du solltest hier nicht in der Kälte herumstehen. Ich lade dich zu einer Tasse heißer Schokolade ein.“

Abby betrachtete ihn für eine Weile. Ihre Miene war unergründlich. Er hatte keine Ahnung, was in ihr vorging. Doch dann sah sie ihn herausfordernd an.

„Ich möchte lieber etwas Stärkeres als heiße Schokolade“, meinte sie und befeuchtete ihre Lippen.

Verblüfft gab er zurück: „Etwas Stärkeres? Bist du dafür nicht ein bisschen zu jung?“

Sie lachte heiser. „Bist du in deinem Alter etwa schon so vergesslich? Ich bin zweiundzwanzig.“

„Wow, das muss ich übersehen haben.“

„Vermutlich hast du gar nicht richtig hingeguckt“, entgegnete sie belustigt, und ihre schokoladenbraunen Augen funkelten.

„Vermutlich“, räumte er ein und ließ den Blick über ihr seidiges braunes Haar schweifen. „Wollen wir ins Hitching Post?“

„Warum nicht? Gern“, willigte sie ein.

Gemeinsam gingen sie die Straße hinunter zu dem Lokal, einem der beliebtesten Treffpunkte der Stadt. Auch jetzt war es dort sehr voll. Nachdem sie eingetreten waren, hakte Cade sie rasch unter und geleitete Abby direkt zum Tresen.

„Hallo Abby“, begrüßte ein junger Mann sie auf dem Weg dorthin.

Abby lächelte ihm kurz zu.

„Hi Abby“, sagte eine junge Frau zu ihr.

„Hi Corinne“, erwiderte sie.

„Du scheinst hier ja durchaus bekannt zu sein“, bemerkte Cade, nachdem sie sich ein freies Plätzchen an der Theke gesucht hatten. „Bist du öfter hier?“

Sie schüttelte den Kopf. „Die Leute kenne ich vom College. Ich habe so viel um die Ohren, dass ich nur selten herkomme. Die wundern sich wahrscheinlich, dass ich überhaupt mal auftauche.“

Er nickte. „Was möchtest du trinken?“

„Vielleicht ein Bier?“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Und welche Sorte?“

„Ich nehme das, was du nimmst.“

Leicht amüsiert fragte er: „Bier ist nicht so dein Ding, oder?“

„Ich arbeite daran. Zumindest einmal im Jahr.“

Er lachte laut auf. „Dann bestelle ich dir lieber einen von diesen bunten Cocktails.“ Sogleich wandte er sich an den Barkeeper: „Einen Cosmo, bitte. Und für mich ein Bier vom Fass.“

Kurz darauf nippte sie bereits an ihrem pinkfarbenen Martini, während er sein Bier trank. „Ganz schön laut hier“, sagte er.

Abby rührte mit dem Strohhalm in ihrem Glas. „Der Laden ist halt nichts für alte Leute wie dich“, erwiderte sie mit einem frechen Lächeln.

Er schüttelte den Kopf. Insgeheim gefiel es ihm, wie sie ihn aufzog. „Ja, ich bin dreißig. Das brauchst du mir nicht unter die Nase zu reiben. Was tust du eigentlich so im Moment?“

„Ich geh noch aufs College. Und ich bin im Gemeindezentrum tätig. Und du? Was macht das neue Motorrad?“

Es erstaunte ihn, dass sie sich an sein Hobby erinnerte. „Fast vollständig restauriert. Ein bisschen was ist allerdings noch zu tun, bevor es perfekt ist.“

„Bis bei dir mal etwas perfekt ist …“, konterte sie.

Cade fiel auf, wie ihre langen Wimpern ihre Augen betonten. Absolut verführerisch. Eines Tages würde Abby bestimmt so einigen Männern den Kopf verdrehen. „Wie meinst du das?“, wollte er wissen.

„Dass du immer so perfektionistisch bist. Du bist nie zufrieden mit deiner Arbeit. Weder in deiner Tischlerei noch bei deinen Oldtimer-Motorrädern.“

Zu seiner Überraschung trafen die Worte ihn. „Und woher willst du das so genau wissen?“

„Ich kenne dich immerhin seit Jahren.“ Sie trank ihren Cocktail aus. „Wie hätte ich das nicht bemerken sollen?“ Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ihn an, als wäre er begriffsstutzig. Dann zuckte sie mit den Schultern.

„Magst du noch einen?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich vertrage nicht so viel. Von dem hier bin ich ja schon beschwipst. Ich nehme lieber ein Wasser.“

Cade bestellte ein Mineralwasser für sie. Sie sprachen über alles Mögliche: wie er früher im Hause der Cates’ ein- und ausgegangen war; wie er mit ihr Brett- und Videospiele gespielt hatte, während er auf ihre große Schwester Laila gewartet hatte.

Abbys Mund faszinierte ihn. Vor allem, wenn sie sich nach jedem Schluck Wasser über ihre vollen, sinnlichen Lippen fuhr … Eigentlich sollte er nicht so hinstarren, aber er konnte nicht anders.

„Also, du hast viel zu tun mit der Tischlerei“, bemerkte sie im Laufe des Gesprächs. „Ich wette, dein Vater treibt dich in den Wahnsinn.“

„Und ob“, gab er zu. „Das kannst du laut sagen.“

Sie lachte. „Mit seinem Dad zusammenzuarbeiten ist sicher nicht leicht, könnte ich mir vorstellen. Ich meine, ich liebe meinen Vater. Aber er hat eben seinen eigenen Kopf.“

„Willkommen im Klub“, erwiderte er und dachte dabei an seinen Dad.

Sie stieß mit ihrem halb leeren Wasserglas an sein Bier. „Darauf trinken wir. Cheers!“

„Also, was genau studierst du noch mal?“, wollte er wissen.

„Psychologie. Nächstes Jahr bin ich damit fertig. Vielleicht hänge ich dann noch ein Aufbaustudium dran. Ich würde gerne mit Jugendlichen arbeiten.“

„Ich glaube, das würde dir liegen.“ Auch wenn Abby recht jung war, machte sie auf ihn einen reifen Eindruck.

„So genau weiß ich noch nicht, was ich nach dem College mache. Kann sein, dass ich von hier weggehe.“

Die Bemerkung versetzte ihm einen Stich. „Du willst Thunder Canyon verlassen?“

„Wenn ich weiterstudieren will, muss ich das. Außerdem tut sich in meiner Familie im Moment ja einiges; da ist es wahrscheinlich gut, möglichst bald auf eigenen Füßen zu stehen.“

Er nickte. „Wenn du bleibst, könntest du ein Fernstudium machen. Und von zu Hause ausziehen zu wollen heißt ja nicht, dass du gleich die Stadt verlassen musst.“

Sie lächelte. „Hört sich an, als ob du möchtest, dass ich bleibe. Warum? Bisher hast du mich doch kaum beachtet.“

„Du bist eben ein tolles Mädchen …“ Er hielt inne. „Ich meine, eine tolle Frau“, berichtigte er sich. „Es wäre echt schade, wenn Thunder Canyon jemanden wie dich verliert.“

„Verstehe. Du willst mich ermutigen, hierzubleiben.“

Ihm wurde etwas unbehaglich. „Es gibt genug Leute, die dich vermissen würden.“

„Na ja, ich habe mich ja noch nicht entschieden. Zunächst muss ich das College abschließen. Irgendwie bin ich ganz froh, dass das Ende in Sicht ist. Übrigens, was sagst du eigentlich zu dem Streit zwischen LipSmackin’ Ribs und DJ’s Rib Shack?“

Cade hätte blind und taub sein müssen, um davon nichts mitzubekommen: Ein neues Lokal in Thunder Canyon machte dem alteingesessenen Grillrestaurant DJ’s Rib Shack Konkurrenz und war durch seine knapp bekleideten Kellnerinnen bereits ins Gerede gekommen. „Ich plädiere für DJ’s. Ich finde es nicht gut, dass die hier im Hitching Post die Spareribs von LipSmackin’ Ribs auf der Karte haben. Die würde ich nie bestellen.“

„Hast du wenigstens mal bei LipSmackin’ Ribs vorbeigeschaut?“, fragte sie.

„Ein paarmal. Um zu gucken, weswegen die da so einen Aufstand machen.“

„Du redest von den knappen Röckchen, die die Kellnerinnen da tragen, was?“

Kopfschüttelnd rieb er sich das Kinn. „Man kann dir echt nichts vormachen. Ich habe schon jetzt Mitleid mit deinem zukünftigen Freund.“

„Zukünftig? Woher willst du wissen, dass ich nicht gerade einen Freund habe?“ Sie zögerte. „Ich habe keinen. Doch ich könnte, wenn ich wollte. Es gibt durchaus Männer, die mich für attraktiv halten. Und einige fragen mich manchmal, ob ich mit ihnen ausgehe.“

„So habe ich das nicht gemeint. Aber sei vorsichtig. Die meisten Männer wollen bloß das eine.“

Sie warf ihm einen verführerischen Blick zu, sodass er beinahe sein Bier verschüttete. „Und was, glaubst du, ist das eine?“

Für ein paar Sekunden verschlug es ihm die Sprache. „Ich wollte sagen, dass … dass du aufpassen solltest, ob sie es wirklich ernst meinen. Und dich nicht nur ausnutzen wollen.“

„Und was, wenn ich mich gerne mal ausnutzen lassen möchte?“

Er verschluckte sich fast an seinem Bier. Was für eine Frau saß da auf einmal vor ihm? Auch wenn sie ihn früher bei ihren gemeinsamen Spielen fast jedes Mal geschlagen hatte und auch wenn sie besser über Sport Bescheid wusste als alle anderen Frauen, die er kannte: Er hatte in ihr doch immer nur Lailas kleine Schwester gesehen. „Vielleicht ist es besser, wenn du jetzt nach Hause gehst. Was du erzählst, geht gerade über meinen Verstand.“ Er bedeutete dem Barkeeper, ihm die Rechnung zu bringen.

„Habe ich den großen, starken Cade Pritchett etwa verschreckt?“, zog sie ihn auf, als er sein Bier leerte und ein paar Dollar auf den Tresen legte.

„Es gibt viele Arten, einen Mann zu verschrecken. Lass uns gehen“, sagte er und begleitete sie hinaus zur Tür.

Abby fühlte sich wie im Himmel. Sie hatte so lange darauf gewartet, dass sie und Cade einmal allein waren. Schon immer hatte sie insgeheim für ihn geschwärmt – sogar bereits bevor er etwas mit Laila angefangen hatte. Und dann hatte sie zusehen müssen, wie sie mit Cade umgesprungen war. Es hatte sie fast in den Wahnsinn getrieben.

Ihr Herz schlug so schnell, dass sie kaum Luft bekam. Jetzt gehörte Cade ihr ganz allein – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. „Also, arbeitest du im Moment vor allem für Kunden, die zu Weihnachten etwas Besonderes verschenken wollen?“, wollte sie wissen.

„Überwiegend“, antwortete er. „Unter Umständen bekommen wir noch einen richtig großen Auftrag herein. Wird sich zeigen.“ Er blieb unvermittelt stehen. „Ist das da drüben nicht der alte Henson, der gerade einen Reifen wechselt?“ Er deutete zur anderen Straßenseite hinüber.

Abby musste sich von Cades Anblick losreißen. „Das ist er wirklich“, meinte sie und war nun ebenfalls leicht besorgt. „Er ist doch schon fünfundachtzig. Er sollte nicht alleine seinen Reifen wechseln. Erst recht nicht im Dunkeln.“

„Ganz genau.“ Cade ging einen Schritt schneller. „Mr Henson!“, rief er. „Kann ich Ihnen helfen?“

Abby folgte ihm zu dem alten Mann, der sich mit dem Wagenheber abmühte.

„Ich komm klar“, sagte Mr Henson und sah kurz auf. Die Anstrengung war ihm deutlich anzusehen. „Die verrosteten Radmuttern lassen sich bloß ziemlich schwer lösen.“

„Lassen Sie mich mal ran. Abby, vielleicht möchte Mr Henson ja einen Becher heiße Schokolade, von der wir vorhin gesprochen haben.“

„So was brauche ich nicht“, brummte Mr Henson. „Mir ist nicht kalt.“

„Aber mir“, entgegnete Abby. „Möchten Sie mir Gesellschaft leisten, während ich mich bei einem Heißgetränk aufwärme?“

Der alte Mann schien zunächst protestieren zu wollen. Dann gab er nach. „Von mir aus. Wenn es schnell geht. Ich habe noch eine Ladung Kaminholz auszufahren.“

Abby schaute zu Cade und schüttelte kaum merklich den Kopf. Mr Hensons Arbeitseifer war bekannt. Dafür bewunderte sie ihn. Andererseits wusste sie, dass er sich schon häufig übernommen hatte und dann Hilfe benötigte. Lächelnd hakte sie sich bei ihm unter und lief mit ihm hinüber zum Café.

Während sie es sich in einer Sitzecke gemütlich machten und auf die heiße Schokolade warteten, plauderten sie ein wenig. Abby bemerkte, dass der alte Mann immer wieder aus dem Fenster starrte. „Machen Sie sich keine Sorgen, Mr Henson“, beruhigte sie ihn. „Ihr Wagen ist in guten Händen.“

„Das weiß ich. Cade ist ein tüchtiger junger Mann. Genau der Richtige für Sie.“

Abby starrte ihn mit offenem Mund an. Schließlich fing sie sich und lachte verlegen. „Das finde ich auch. Leider sieht er das etwas anders. Wenn Sie wissen, was ich meine.“

Er runzelte die von Falten überzogene Stirn und hob eine seiner weißgrauen Brauen. „Wie meinen Sie das? Sie sind so ein hübsches Ding. Ich bin sicher, Sie verdrehen allerhand Männern die Köpfe.“

„Vielen Dank, das ist nett“, antwortete sie. „Besonders, weil es von Ihnen kommt.“

„Ist doch die Wahrheit. Ich hab’s nicht so mit Komplimenten. Meine verstorbene Geraldine würde Ihnen das Gleiche erzählen. Auch wenn sie die hübscheste Frau von ganz Thunder Canyon gewesen ist.“ Mr Henson seufzte. „Ich vermisse sie immer noch.“

Abby tätschelte seine Hand. „Tut mir leid. Wie lange waren Sie verheiratet?“

„Dreiundfünfzig Jahre. Darum geh ich ja immer noch arbeiten. Zu Hause würde ich bloß Trübsal blasen. Ist besser, wenn man beschäftigt ist. Egal, womit.“

„Trotzdem sollten Sie ab und zu eine Pause einlegen. Wir möchten ja nicht, dass Ihnen etwas passiert.“ Im Geiste nahm sie sich vor, ihn in Zukunft gelegentlich zu besuchen. Dass er so einsam war, tat ihr in der Seele weh.

Er zuckte mit den Schultern. „Wenn der liebe Gott mich zu sich ruft, werde ich gehen. Aber keine Sekunde früher.“ Er sah aus dem Fenster. „Sieht aus, als wenn Cade den Reifen gewechselt hat. Lassen Sie uns gehen. Die Rechnung übernehme ich – keine Widerrede“, sagte er, bevor sie etwas einwenden konnte. „Dass ich mit so einem hübschen Mädchen wie Ihnen im Café sitze, passiert mir schließlich nicht jeden Tag.“

„Und da behaupten Sie, dass Sie sich nicht auf Komplimente verstehen“, erwiderte sie lächelnd. „Danke schön.“

Zusammen verließen sie mit ihren Getränken in Pappbechern das Café. Cade schien etwas zu suchen, womit er sich den Schmutz von seinen Händen wischen konnte. Sogleich reichte Abby ihm eine Papierserviette, die sie aus dem Café mitgenommen hatte.

Er nahm sie dankbar an und deutete auf den Truck. „Kein Wunder, dass Sie Ärger mit den Radmuttern hatten. Ich musste mit dem Hammer draufschlagen, um sie zu lockern. Den kaputten Reifen lassen Sie am besten bald reparieren.“

„Mach ich, mach ich“, sagte Henson etwas unwirsch, während er Cades Werk begutachtete. „Danke“, meinte er schließlich anerkennend. „Was bekommen Sie?“

Cade schüttelte den Kopf. „Nichts.“

„Kommen Sie. Ich gebe Ihnen was für Ihre Mühe.“

„Ich möchte wirklich nichts. Außer vielleicht eins: dass Sie auf sich aufpassen.“

Der alte Mann starrte Cade einen Moment lang an, dann lachte er. „Werde sehen, was ich tun kann. Danke noch mal. Eins noch …“ Er sah kurz zu Abby hinüber. „Geben Sie auf das hübsche Mädchen hier gut acht. So eine läuft Ihnen nicht jeden Tag über den Weg.“

Abby bemerkte Cades verdutzte Miene und spürte, wie sie selbst errötete. Rasch widmete sie ihre Aufmerksamkeit der heißen Schokolade; sie pustete und nahm einen Schluck. „Danke für die heiße Schokolade, Mr Henson. Schönen Abend noch.“

Gemeinsam mit Cade sah sie zu, wie der alte Mann in seinen Truck stieg und davonfuhr.

„Ich bringe dich nach Hause. Mein Wagen steht gleich um die Ecke“, erklärte Cade, während er sie zu seinem Auto führte. „Dieser Henson ist schon ein Unikum, oder?“

„Das stimmt. Du aber auch“, erwiderte sie und wünschte sich, der Abend würde nie enden.

Er schloss ihr die Beifahrertür auf und betrachtete sie fragend. „Ich?“

„Ja, du. Du hältst dich ständig im Hintergrund, doch wenn es darauf ankommt, bist du da.“

„Wie meinst du das?“, erkundigte er sich und startete den Motor.

„Du bist immer da, um anderen zu helfen. So bist du nun mal. Du hast ein Helfersyndrom.“

„Ist das eine Diagnose? Helfersyndrom? Muss man das behandeln?“ Er klang belustigt.

„Nein, das ist keine Krankheit“, antwortete sie. „Ich wollte damit bloß sagen, dass du ein guter Mensch bist.“ Das Wort gut reichte eigentlich gar nicht aus: Cade war mehr als nur ein guter Mensch.

Lächelnd warf er ihr einen Seitenblick zu. „Danke, da fühlt man sich gleich besser.“

„Die Beratung war allerdings nicht kostenlos.“ Als er überrascht zu ihr herüberschaute, fügte sie lachend hinzu: „Kleiner Scherz. Ich hab ja noch keinen Abschluss.“

Kurz darauf erreichten sie die Straße, in der sie wohnte. Ihr wurde flau im Magen. Fieberhaft überlegte sie, wie sie den Abschied hinauszögern konnte. Sie wollte nicht, dass der Abend so schnell vorbei war. „Es ist schon komisch, wenn man darüber nachdenkt. Ärzte behandeln Patienten, Anwälte beraten Klienten. Was ist, wenn sie dabei mal einen schlechten Tag haben?“

Cade hielt an und legte den Leerlauf ein. „Gute Frage. An solchen Tagen würde ich lieber keinen von ihnen aufsuchen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.“

Abby schmolz bei seinem Anblick regelrecht dahin. Seine wundervollen blauen Augen. Sein markantes Kinn, das so vollkommen seinem entschlossenen Charakter entsprach. Seine breiten Schultern … Es schien nichts zu geben, womit er nicht fertigwurde. Seine Muskeln waren im Moment unter seiner Lammfelljacke verborgen. Doch Abby hatte seinen athletischen Körper bereits bewundert, als er früher mit ihr und ihrer Familie im Garten Ball gespielt hatte.

Sie wusste einiges über ihn; trotzdem wollte sie viel mehr an ihm entdecken. Sie wollte ihre Hand unter seine Jacke schieben, seine Haut fühlen. Vielleicht war jetzt die Gelegenheit dazu. Was für eine verrückte Idee.

Ihr Herz klopfte so wild, dass ihr beinahe schwindelig wurde.

„Deine Augen sind so schön“, sagte sie leise.

„Was?“ Er sah sie überrascht an.

„Ich finde deine Augen schön. Sie verraten viel über dich. Du bist so stark und herzlich zugleich. Und das kann man auf Anhieb in deinen Augen sehen.“ Sie biss sich auf die Lippe und lehnte sich zu ihm vor. „Na ja, der Rest von dir ist aber auch nicht schlecht.“

„Nicht schlecht?“, fragte er. Der erstaunte und auch ein wenig sinnliche Ausdruck auf seinem Gesicht wirkte auf sie äußerst anziehend.

„Ganz und gar nicht schlecht“, gab sie zurück und strich mit den Fingern über seine Jacke. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen: Sie packte ihn – und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Abby genoss es, wie nahe er ihr war und wie er ihre Zärtlichkeiten erwiderte. Auf einmal fühlte sie seine Hand an ihrem Rücken. Er zog sie dicht an sich, sodass sich ihre Brüste gegen seinen Brustkorb drückten.

Seine Reaktion ließ sie erschauern. Ganz leicht öffnete sie sich ihm, um den Kuss zu vertiefen. Sie spürte, wie seine Liebkosungen drängender wurden. Abby sehnte sich nach mehr, und sie war bereit dafür – sie würde ihm alles geben, was er sich wünschte. Trotz der eisigen Temperaturen wurde ihr mit jeder Sekunde wärmer und wärmer. So warm, dass sie am liebsten ihren Anorak ausgezogen hätte und …

Unvermittelt löste Cade sich von ihr und starrte sie erschrocken an. „Was mache ich denn da?“ Kopfschüttelnd wich er so weit zurück, wie es ging. „Sorry …“ Er stieß einen leisen Fluch aus. „Das hätte ich nicht tun sollen.“

„Aber es ist nicht deine Schuld“, erklärte sie. Schmerz breitete sich in ihr aus.

Abwehrend hob er die Hände. „Nein, wirklich. Das hätte ich nicht …“ Er räusperte sich. „Am besten gehst du ins Haus. Ich bleibe hier.“

„Cade …“

„Geh schon rein, Abby.“ Sein Tonfall verriet, dass er keinen Widerspruch duldete.

Abby war drauf und dran, mit ihm zu diskutieren; doch sie wusste, dass es sinnlos wäre. Also wandte sie sich um, stieg aus dem Wagen und knallte die Tür hinter sich zu. Als sie auf ihr Haus zuging, fühlte sie sich gefangen zwischen Hochstimmung und Ratlosigkeit.

Cade hatte sie doch auch geküsst. Und er hatte es offensichtlich ebenso wie sie genossen. Für diese wenigen Augenblicke hatte er sie wie eine Frau behandelt, die er begehrte. Diesmal war es nicht bloß ein Wunschtraum gewesen. So wie er geschmeckt hatte, wie er den Kuss erwidert und sie an sich gedrückt hatte … Das war die Wirklichkeit gewesen.

Dieser Mann hatte sie leidenschaftlich geküsst – und sich dann dafür entschuldigt. Abby hätte am liebsten vor Enttäuschung geheult. War sie etwa wieder da, wo sie anfangen hatte? War sie für Cade nicht mehr als Lailas kleine Schwester?

2. KAPITEL

Cade trank nun schon die dritte Tasse Kaffee seit dem Lunch, doch das viele Koffein half nicht. In der letzten Nacht hatte er schlecht geschlafen. Er fühlte sich matt. Lustlos drehte er eine weitere Schraube in den Designerschreibtisch, den er für einen angesagten Medienmenschen in L. A. anfertigte.

Sein Vater Hank, mit dem er zusammen die Werkstatt betrieb, sagte gerade etwas. Cade hörte jedoch nicht zu und arbeitete weiter. Beschäftigung war das beste Mittel – nur so konnte er die Erinnerung an Abby beiseiteschieben. Dass er den Kuss zugelassen hatte, bereute er zutiefst.

Doch seit er sie am vergangenen Abend zu Hause abgesetzt hatte, konnte er an nichts anderes denken. Abby ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ihre großen braunen Augen, ihr seidiges langes Haar, ihr sinnlicher Mund … Mit einem Mal brannten seine eigenen Lippen. Schnell wischte er sich mit dem Handrücken darüber, um diese Gedanken zu vertreiben. Was um alles in der Welt hatte er sich dabei gedacht?

Cade griff nach einer Feile und setzte sie an. Doch die Grübelei lenkte ihn ab: Er rutschte ab und schnitt sich in den Finger. Blut sickerte aus der Wunde. Schmerzerfüllt stieß er einen Fluch aus.

„Was machst du denn da?“, erkundigte sich Hank und kam herüber, um Cades Hand zu begutachten.

„Schon gut. Ich klebe ein Pflaster drauf, dann geht es wieder.“

„Hauptsache, du bist gegen Tetanus geimpft.“

„Bin ja nicht blöd.“

„Ich meine ja nur. Du bist heute nicht so recht bei der Sache …“

„Lass gut sein, Dad.“ Cade sah seinen Vater an, der ihm so viel über das Schreinern und das Leben beigebracht hatte. Hank hatte sich nie vom Tod seiner Frau vor einigen Jahren erholt. Keiner von ihnen beiden hatte den Verlust von Cades Mutter überwunden. Mit ihrer sanften und liebevollen Art hatte sie das strenge Lehrmeistergemüt ihres Mannes stets ausgeglichen.

„Sohn, ich will mich ja nicht einmischen. Aber du musst endlich darüber hinwegkommen. Laila heiratet einen anderen. Damit musst du dich abfinden“, sagte sein Vater unverblümt.

Cade schreckte zusammen. Er wollte erklären, dass nicht Laila ihn beschäftigt hatte. Doch er schloss den Mund wieder und schwieg. Auf keinen Fall wollte er seinem Dad erzählen, dass er an Lailas Schwester Abby gedacht hatte.

„Verbinde dir die Hand“, meinte Hank. „Und danach geh bitte rüber ins Gemeindezentrum. Dort benötigen sie noch ein paar Dinge für ihre Thanksgiving-Feier.“

Cade schüttelte den Kopf. „Dafür haben wir keine Zeit. Wir haben hier so viel zu tun.“

„Du musst einfach mal raus, frische Luft schnappen. Wird dir guttun.“

„Dad, wir betreiben die Werkstatt zusammen. Das heißt allerdings nicht, dass du mich herumkommandieren kannst.“

Sein Dad seufzte. „Schön, dann betrachte es als einen Rat deines alten, weisen Vaters.“

Cade musste ein Lachen unterdrücken. Obwohl sie gleichberechtigte Partner waren, gab sein Vater immer noch den Ton an. „Alt vielleicht, aber nicht …“

„Hau schon ab“, unterbrach Hank ihn lächelnd.

Cade zog seine Lammfelljacke an und spürte die Blicke seines Vaters im Nacken, als er die Werkstatt verließ. Er wollte nicht, dass sein Dad sich Sorgen um ihn machte. Bis auf einige Ausrutscher als Teenager hatte Cade seinen Eltern nie Kummer bereitet.

Seine jüngeren Brüder hatten verrücktgespielt, als seine Mutter krank geworden war. Seitdem war es Cade, auf den sich sein Vater verließ. Die Arbeit hatte ihnen in der schweren Zeit damals Halt geboten. Aber nicht nur der Verlust seiner Mutter hatte Cade getroffen. Mit Dominique hatte er erlebt, was Glück bedeutete – bevor das Schicksal sie ihm ebenfalls entrissen hatte …

Jetzt schlug er den Weg zum Gemeindezentrum ein. Die kalte Luft tat ihm und seinem Verstand gut. Besser, er dachte nicht mehr an Abby. Das Gemeindezentrum benötigte Hilfe für die Thanksgiving-Feier, und er würde sich darum kümmern. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen.

Cade betrat das Zentrum und ging nach hinten zum großen Saal durch. Als er die Tür aufstieß, blieb ihm jedoch die Luft weg: Da war sie. Die Frau, die ihm die ganze Zeit über im Kopf herumspukte. Gerade sagte sie etwas zu Mrs Wrenn, der Leiterin des Gemeindezentrums. Mrs Wrenn, die ein Baby im Arm hielt, nickte. Daraufhin kletterte Abby eine Leiter hinauf, in einer Hand das riesige, traditionelle Erntedankfüllhorn.

„Was soll das denn werden?“, murmelte er kopfschüttelnd und lief zu ihr.

Sprosse um Sprosse stieg sie mühsam höher, während sie das Füllhorn umklammerte.

Cade konnte es kaum mit ansehen. „Stopp mal!“

Schließlich hielt Abby inne und drehte sich um. „Cade?“

„Bleib, wo du bist.“ Schon war er an der Leiter angelangt und packte sie. „So, nun komm langsam runter.“

Ihr fiel das lange Haar in die Stirn, als sie stirnrunzelnd zu ihm herunterblickte. „Wieso? Es ist bloß noch ein kleines Stück.“

„Jetzt bin ich ja da.“ Es klang etwas schroffer, als er beabsichtigt hatte.

Abby schüttelte den Kopf. „Ich bin gleich fertig.“

„Komm runter. Das ist nicht sicher. Ich übernehme das.“

Sie schwieg eine Weile.

„Abby“, ermahnte er sie sanft.

„Okay, okay. Aber ich hatte alles im Griff, bevor du gekommen bist.“

„Das ist Ansichtssache“, erwiderte er gedämpft, während sie die wacklige Leiter herabstieg.

Auf der letzten Sprosse rutschte sie plötzlich aus. Abby fiel auf ihn, doch er reagierte schnell. Er fing sie auf und nahm ihr das Füllhorn ab.

„Upps“, meinte sie lächelnd.

Sein Puls beschleunigte sich unwillkürlich, als sie sich in der Umarmung zu ihm umdrehte. Ihre Brüste berührten seinen Oberkörper, er spürte ihre Hüften an den seinen. Einen Moment lang setzte sein Verstand aus, doch er kämpfte dagegen an.

„Ich hätte das allein hingekriegt“, erklärte sie trotzig.

„Bestimmt. Aber nun kümmere ich mich um den Rest.“

„Das ist hoffentlich nicht so ein Macho-Ding, oder? Denn ich kann das wirklich.“

Sein Herz klopfte wie wild. „Kein Macho-Ding, nein. Ich denke nur praktisch. Ich bin einfach kräftiger als du.“

„Woher willst du das wissen? Immerhin spiele ich Fußball und …“

„Ich habe mehr Kraft in den Armen. Und sie sind länger.“

Bewundernd musterte sie seine Schultern. „Das kann ich nicht bestreiten …“

Ein Prickeln überlief ihn bei diesem Kompliment. „Ich steig jetzt rauf und mach das Füllhorn oben fest. Kannst du bitte die Leiter festhalten?“

„Kein Problem.“

Cade stieg hinauf, befestigte das Füllhorn an der Wand und kam wieder herunter. „Mein Dad meinte, ihr braucht noch ein paar Sachen für Thanksgiving.“

Abby streckte die Hände nach dem kleinen Kind auf Mrs Wrenns Arm aus. „Komm her, Quentin.“ Als der Junge auf sie zutapste, umarmte sie ihn lachend. „Na, du kleiner Racker!“

Das Kind strahlte und kicherte, als Abby mit ihm herumalberte. Offenbar fühlte es sich wohl bei ihr. Das Bild einer schwangeren Abby zog unwillkürlich an Cades innerem Auge vorbei. Er schüttelte den Kopf, um diese verrückte Vorstellung loszuwerden. „Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs Wrenn?“

Die ältere Frau strahlte ihn an. „Das ist nett, dass Sie uns helfen wollen. Für das Erntedankessen brauchen wir einen Tisch. Nichts Besonderes, nur groß sollte er sein.“

„Darum kümmere ich mich“, erwiderte Cade. „Wir treiben schon irgendwo einen Tisch auf, den ich dann zurechtmachen werde.“

„Das wäre zauberhaft“, gab Mrs Wrenn zurück. „Außerdem benötigen wir so etwas wie eine Schiffsattrappe für unsere Aufführung. Sie wissen doch – die Ankunft der Pilgerväter.“

„Das ließe sich machen. Wie viele Mitspieler sollen denn darauf Platz haben?“

Mrs Wrenn zögerte. „Vielleicht zwanzig Kinder?“

„Das ist eine stattliche Zahl. Aber das kriegen wir hin.“

Erleichtert seufzte Mrs Wrenn auf. „Danke. Ich wusste, dass man sich auf Sie verlassen kann. Wir wollen ja, dass alle Kinder bei der Schau mitmachen können.“

„Ich lass mir was einfallen.“ Er sah kurz zu Abby hinüber, und ihr verführerischer Blick brachte ihn völlig aus der Fassung. Schnell konzentrierte er sich wieder auf Mrs Wrenn. „Haben Sie irgendwelche besonderen Farben im Sinn?“

„Am besten herbstliche.“

„Okay, dann weiß ich Bescheid. Sonst noch etwas?“

„Im Moment nicht. Fällt Ihnen noch etwas ein?“, wandte Mrs Wrenn sich an Abby und erklärte Cade dann leise: „Abby ist so freundlich und hilft mir aus.“

Abby schaute von Mrs Wrenn zu Cade. „Ich wüsste auch gerade nichts. Wenn es Probleme gibt, kannst du Mrs Wrenn oder mich ansprechen.“

„Es wird keine Probleme geben“, entgegnete Cade.

„Dann ist es ja gut“, meinte Abby. „Aber wenn du noch was brauchst …“

„Zu wem gehört Quentin eigentlich?“ Er konnte seine Neugier nicht zügeln.

Auf einmal wirkte Abby sehr ernst. „Seine Mutter Lisa hat nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Sie steht kurz vor dem Examen. Lisa ist gerade mal neunzehn und ist in meiner Jugendgruppe. Ich habe ihr versprochen, dass ich so oft wie möglich auf Quentin aufpasse; dadurch kann sie in Ruhe lernen. Demnächst legt sie ihre Prüfung ab.“

Cade fand das bewundernswert. „Du bist eine echt gute Freundin.“

„Sie ist eine gute Mutter. Und das ist das Mindeste, was ich tun kann.“

Cades Achtung vor Abby wuchs. Große braune Augen, langes brünettes Haar – sie war Lailas kleine Schwester, und sie war doch so viel mehr. Er betrachtete den kleinen Jungen und konnte nicht anders, als zu lächeln. „Wie schaffst du das bloß neben all deinen Seminaren?“

„Nenn mich einfach Superwoman“, antwortete sie trocken. „So wie du Superman bist.“

Er verspürte einen Stich in seiner Brust und musste Luft holen. „Ich bin kein Superman.“

„Für mich schon“, erklärte sie, das Kind auf ihrer Hüfte.

Sein Verstand raste. Ihr Körper. Das Kind. Ein unwiderstehlicher Blick. Das war zu viel für ihn.

Er räusperte sich. „Ich muss wieder in die Werkstatt.“

„Danke fürs Vorbeikommen, Cade“, sagte Mrs Wrenn.

„Wenn du mal eine Pause brauchst – jederzeit gerne“, meinte Abby und zwinkerte ihm vielsagend zu.

Verlangen breitete sich blitzartig in ihm aus. Cade fluchte im Stillen. „Wir sehen uns, Ladies“, verabschiedete er sich.

„Bald, hoffe ich“, erwiderte Abby.

Ihre verlockende Stimme ließ ihm das Blut in die Lenden schießen. Verdammt. Cade ahnte, dass ihm selbst die kalte Winterluft keine Abkühlung bieten würde.

Nachdem ihre älteste Schwester Laila nun mit Jackson Traub verlobt war, hielt Abby es kaum noch zu Hause aus. Natürlich freute sie sich darüber, dass Laila ihre große Liebe gefunden hatte und heiraten wollte. Trotzdem nervte es sie, dass sich alles um Hochzeiten drehte – denn ihre beiden Cousins wollten ebenfalls vor den Traualtar treten.

Normalerweise war ihre Mutter so versessen auf Weihnachten, dass sie bereits Anfang November mit den Vorbereitungen begann. Dieses Jahr gab es jedoch andere Ereignisse, denen sie ihre volle Aufmerksamkeit widmete. Sie redete fast ununterbrochen vom Heiraten. Wenn ihre Mutter nicht damit aufhörte, würde Abby noch in die Luft gehen.

Auch an diesem Abend gab es kein anderes Thema: Zu Ehren von Laila und Jackson hatten Abbys Eltern ein Festessen arrangiert. Abby saß am Tisch und starrte auf ihren Teller, während ihre Mutter ein kurzes Telefonat führte.

„Eine Doppelhochzeit für Marlon und Matt“, verkündete ihre Mutter begeistert, als sie aufgelegt hatte. „Ist das nicht romantisch? Und dann wird es bald Babys geben.“ Sie war von der Vorstellung vollkommen entzückt. Ebenso wie alle anderen in der Runde.

Abby war genervt. Ja, superromantisch. Anscheinend war sie die Einzige, die kein Glück in der Liebe hatte. Dass Cade sie nicht wirklich beachtete, tat weh. Am Nachmittag hatte sie sich bei der Zubereitung des Dinners ablenken können, doch jetzt kam der Schmerz zurück.

„Auf Laila und Jackson!“, sagte ihr Vater nun und erhob sein Glas. „Möge eure Liebe wachsen und gedeihen.“

„Hört, hört“, stimmte ihre Mutter ein.

„Ja, ja“, murmelte Abby und nahm einen großen Schluck Sekt.

Laila strahlte Jackson an. Kein Zweifel: Er war ihre große Liebe. Versonnen betrachtete sie ihren Verlobten und prostete ihm zu. „Wer hätte das geahnt?“

„Ja, wer?“, gab Jackson zurück, zwinkerte ihr zu und stieß mit ihr an.

Abby wurde ein klein wenig eifersüchtig, als sie das mit ansah. Was würde sie darum geben, dass Cade sie einmal so anschaute! Aber das würde niemals passieren.

Obwohl das Essen mehr als üppig war, brachte Abby kaum einen Bissen herunter. Sie konnte nur an Cade denken. Zum Glück fiel das niemandem auf; alle waren viel zu sehr mit Laila und Jackson beschäftigt.

Abby tat so, als ob sie zuhören würde. Sie nickte und lächelte. Doch schließlich schob sie ihren Teller von sich, murmelte eine Entschuldigung und stand auf. Im Garten hinter dem Haus suchte sie sich eine stille Ecke. Draußen herrschten Minusgrade. Trotzdem genoss Abby die eisige Luft ebenso wie die Ruhe, die das Haus ihrer Eltern in manchen Momenten bieten konnte. Sie blickte zum klaren Nachthimmel hinauf. Vielleicht konnten die Sterne ihr ja verraten, was sie tun sollte.

Als sie den hellsten Stern gefunden hatte, wurde ihr tatsächlich einiges bewusst. Seit sie denken konnte, hatte sie sich nach Cade gesehnt. Vor Kurzem hatte sie sich dann ein Herz gefasst und mit ihm geflirtet. Dennoch hatte sie den Eindruck, dass er ihre Leidenschaft nie erwidern würde. Oder doch? Sie würde es herausfinden müssen.

Eine große Verführerin war sie nicht, wie sie sich nun eingestehen musste. Aber sie würde ihr Bestes versuchen. Sie würde alles einsetzen, damit Cade sie endlich als Frau wahrnahm. Als eine begehrenswerte Frau, die ihn wollte. In diesem Moment schwor Abby sich eins: Von nun an würde sie nicht mehr bloß die kleine, scheue Schwester von Laila sein.

Zwei Tage später legte Cade während der Arbeit eine Pause ein, um der neuen Konditorei in der Stadt einen Besuch abzustatten. Er fühlte sich in letzter Zeit etwas einsam. Seinem Heißhunger nach Süßem nachzugeben würde ihn ja vielleicht aufheitern. Ein schönes Stück Kirschkuchen war jetzt sicher genau das Richtige.

Auf dem Weg fiel ihm auf, wie kalt es bereits war: Sein Atem bildete weiße Wölkchen in der eisigen Luft. Dann stieß er auf eine Menschentraube. Das Fernsehteam eines großen Senders war gerade dabei, einige Bewohner von Thunder Canyon zu interviewen.

„Was denken Sie? Genügen gute Spareribs, um die Gäste zufriedenzustellen?“, fragte der Reporter. „Oder muss man heutzutage die Kellnerinnen in enge T-Shirts und Hotpants stecken?“

„Hotpants sind doch super!“, rief ein Mann in der Menge.

„Aber sind sie nötig, um ein Restaurant zu führen?“, wollte der Interviewer wissen.

„Keine Ahnung“, erwiderte der Mann. „Aber nett anzusehen sind sie.“

Die Leute um ihn herum pflichteten ihm lautstark bei.

Plötzlich hatte Cade das Mikrofon vor der Nase. „Was meinen Sie?“, erkundigte sich der Reporter. „Sind enge T-Shirts und Hotpants wichtiger als solide Hausmannskost?“

„Nein“, antwortete Cade, ohne zu zögern. „Die Ribs und der Service im DJ’s sind erstklassig. Dort haben sie keine knappen T-Shirts nötig.“

Der Fernsehreporter wandte sich jemand anderem zu; Cade suchte in der Menge nach bekannten Gesichtern. Auf der anderen Straßenseite erspähte er dann Abby. Unwillkürlich fragte er sich, wie sie über all das dachte. So wie er selbst schien auch sie skeptisch zu sein, was die aufreizenden Outfits der Kellnerinnen bei LipSmackin’ Ribs betraf.

Als sie ihn ebenfalls bemerkte, hob sie kurz die Hand zum Gruß. Er nickte ihr zu, bevor er zu ihr ging.

Ihr langes braunes Haar fiel ihr offen über die Schultern. Ihre Wangen waren von der Kälte rosig, und ihre vollen Lippen glänzten. So einen Mund würde jeder Mann gerne küssen, dachte Cade bei sich.

„Hallo“, begrüßte sie ihn. „Unglaublich, oder?“

„Echt. Also, dass ein Streit über Rippchen es mal bis in die Abendnachrichten schafft … Das hätte ich nicht für möglich gehalten.“

„Da bin ich voll und ganz deiner Meinung.“ Sie musterte die Menschenmenge. „Was machst du hier?“

„Ich brauchte eine Pause und wollte die neue Bäckerei unten an der Straße ausprobieren. Die sollen ganz gute Sachen haben.“

„Was dagegen, wenn ich mitkomme?“

Irgendetwas in ihm sträubte sich bei dem Gedanken, aber er verdrängte die Zweifel. „Und dein College?“

„Ich habe erst heute Abend Unterricht.“

„Du nimmst Abendstunden? Warum machst du das nicht tagsüber?“

„Weil manche Veranstaltungen am Tag nicht angeboten werden.“

„Okay.“

„Willst du mich jetzt auf ein Schokotörtchen einladen oder nicht?“

Er blinzelte sie an. „Klar. Dann mal los.“

Kurz darauf bestellten sie sich Kaffee, ein Schokoladentörtchen und ein Stück Kirschkuchen mit Vanilleeis und nahmen damit an einem Tisch Platz. Wie die meisten Geschäfte in der Stadt war die Konditorei sowohl für Thanksgiving als auch für Weihnachten geschmückt. Die Ladenbesitzer in Thunder Canyon waren recht geschäftstüchtig und erzielten mit den Festen ihren besten Umsatz. Cade jedoch war kein großer Freund von Weihnachten, seit seine Mutter und Dominique gestorben waren.

Abby nahm einen Bissen von ihrem Törtchen und schloss vor Verzückung die Augen. „Hmm, ist das lecker.“

„Stimmt“, meinte Cade und widmete sich rasch seinem Kirschkuchen, um sie nicht anzustarren.

„Du musst unbedingt probieren.“ Sie hielt ihm ihre Kuchengabel hin.

Er starrte in Abbys braune Augen und merkte, wie sein Blick unwillkürlich zu ihrem Ausschnitt wanderte. Wieso trug Abby Cates auf einmal solche gewagten Kleider?

Cade räusperte sich. „Na gut, dann her damit“, forderte er sie auf. Die köstliche Schokolade zerging ihm auf der Zunge. „Lecker …“ Mehr brachte er nicht heraus.

„Nicht wahr?“

Ein Prickeln überlief seinen Körper, als er ihr in die Augen schaute. Abby hatte etwas an sich, dass ihn vollkommen faszinierte.

Wenig später hatte sie ihr Törtchen beinahe aufgegessen. Nur ein Bissen war übrig. „Ich wette, du willst das letzte Stück“, sagte sie und wedelte mit der Gabel vor ihm herum.

Die Geste wirkte ungeheuer verführerisch. Cade spürte, wie ihm heiß wurde. Sicher, er wollte es. Und er wollte noch viel mehr als den Kuchen, den sie ihm anbot …

„Nimm’s dir“, ermunterte sie ihn.

Ihre Stimme klang zu sexy, um ihr zu widerstehen. Und so ergriff er ihre Hand, führte die Gabel an seinen Mund und aß den süßen Bissen. Die Bewegung war gleichermaßen animalisch und sinnlich.

„Du bist aber wild.“ Erstaunt riss Abby ihre braunen Augen auf. „Gefällt mir.“

„Pass lieber auf, sonst kommst du in Schwierigkeiten.“

„Nur wenn du die Schwierigkeit bist.“

Das Herz schien ihm in der Brust zu zerspringen. „Ganz schlechte Idee.“

„Es gibt schlechtere“, entgegnete sie.

Ihm brach der Schweiß aus. Wie konnte Lailas kleine Schwester nur eine solche Wirkung auf ihn haben?

„Halt dich lieber von mir fern, Kleines“, murmelte er.

„Ich bin kein kleines Mädchen mehr.“

„Du bist zu jung für mich.“

„Sagt wer?“, konterte sie.

Ihre Trotzhaltung überraschte ihn. „Sagt jeder, der halbwegs bei Verstand ist.“

Abby beugte sich über den Tisch. Ihr Gesichtsausdruck weckte Wünsche in ihm, die besser verborgen bleiben sollten. „Ich würde sagen, der Verstand wird überschätzt.“

„Ich habe keinen Schimmer, was du für Spielchen hier spielst, Abby. Aber ich meine es ernst“, erklärte Cade mit Nachdruck.

3. KAPITEL

Mit ihrem erneut angeknacksten Ego blieb Abby nichts anderes übrig, als sich in ihr Studium zu vertiefen. Außerdem beschloss sie, nach Mr Henson zu schauen. Schon seit Tagen hatte sie seinen alten Pick-up nicht mehr in der Stadt gesehen. Vielleicht würde er sich über ein paar Hühnerkeulen mit Klößen freuen, die Abby und ihre Mutter am Abend zuvor zubereitet hatten. Sie hatte auch einen Adventskranz für ihn besorgt, um ein wenig festliche Stimmung in sein Heim zu bringen. In ihrem orangefarbenen VW Beetle fuhr sie los und hielt wenig später vor dem weiß gestrichenen alten Farmhaus an.

Wie Abby wusste, hatte Mr Henson die Ranch bereits vor einigen Jahren aufgegeben und seine Weiden einem anderen Farmer zur Pacht überlassen. Sein verbeulter blauer Pick-up stand neben dem Haus: Der alte Mann musste also daheim sein.

Abby schnappte sich die Tupperdosen mit dem Essen und stieg aus. Die Stufen zur Veranda waren immer noch mit Eis bedeckt. Falls Mr Henson Streusalz dahatte, würde Abby es dort verteilen. Sie klopfte an die Tür und wartete, aber es kam keine Antwort. Sie klopfte ein weiteres Mal, und endlich vernahm sie eine Stimme.

„Mr Henson? Hier ist Abby Cates. Alles in Ordnung bei Ihnen?“

Schlurfende Schritte ertönten, bevor die Tür geöffnet wurde. Abby war überrascht, als Mr Henson schließlich vor ihr stand. Weiße Bartstoppeln bedeckten seine Wangen und sein Kinn, sein Haar war zerzaust, seine Kleidung wirkte unordentlich.

„Was wollen Sie?“, fragte er mürrisch.

„Nur mal nach Ihnen sehen. Ich habe Hühnchen mit Klößen für Sie dabei.“

Das schien ihn umgehend zu besänftigen. „Oh, das ist nett. Dann mal rein mit Ihnen“, sagte er und humpelte ins Haus. „Wo ist denn der junge Mann von neulich? Sind Sie beide nicht verheiratet?“

„Eher nicht. Cade nimmt ja nicht mal Notiz von mir.“

„Pech für ihn, würde ich sagen.“

Sie bemerkte, wie der Alte bei jedem Schritt das Gesicht verzog. „Sie hinken ja, Mr Henson. Was ist los?“

Er winkte ab. „Halb so wild. Mir sind einige Scheite aufs Bein gefallen, als ich Feuerholz ausgeliefert habe. Nun werde ich erst mal die Klöße aufwärmen. Ich wette, die schmecken köstlich.“

„Und wie! Den Knöchel sollten Sie aber trotzdem einem Arzt zeigen.“

„Ärzte! Die können doch nichts. Alles nur Lug und Trug, wenn Sie mich fragen.“

„Aber …“

„Was ist jetzt mit den Klößen? Muss ich darum betteln?“

Sie seufzte. „Setzen Sie sich. Ich kümmere mich um das Essen“, erklärte sie. Auf dem Weg in die Küche drehte sie sich noch einmal um und fügte hinzu: „Wenn Sie mir versprechen, dass ich Sie nach dem Essen zum Arzt bringen kann.“

Verärgert starrte er sie an. „Ich sage Ihnen: Das ist Zeit- und Geldverschwendung.“

„Ich würde mich besser fühlen“, hielt sie dagegen. „Ich mache mir Sorgen um Sie.“

Seine Züge wurden sanft. „Seien Sie nicht albern.“ Er ließ sich auf das Sofa sinken. „Okay, ich komme mit. Doch zuerst will ich was von den Klößen haben.“

Eine halbe Stunde später hatte er die Mahlzeit beendet, und Abby befestigte gerade den Adventskranz an der Vordertür.

„Was tun Sie da?“, fragte er, während er bereits zu ihrem Wagen schlurfte.

Abby strich die rote Schleife glatt. „Es soll ein wenig Weihnachtsstimmung verbreiten.“

Grummelnd stieg er ein und moserte während der Fahrt in die Stadt ununterbrochen über ihr Auto. „Wie soll man damit irgendetwas transportieren? Mein Rasenmäher hat einen größeren Motor als das Ding hier.“

„Er muss mich lediglich ans Ziel bringen. Ich fahre ja kein Holz durch die Gegend, und im Winter fährt der Wagen ausgesprochen sicher.“

„Glaub ich nicht“, erwiderte er. „Fünf Zentimeter Schnee, und Sie bleiben stecken.“

„Er hat ein geringes Gewicht, damit bleibt er nicht stecken. Und der Verbrauch ist echt niedrig. Wie viel verbraucht Ihr Pick-up denn so?“

Er murmelte etwas Unverständliches.

„Bitte was? Was sagen Sie?“, hakte sie nach.

„Achtzehn Liter auf hundert Kilometer. Aber ich könnte damit ganze Häuser schleppen, wenn ich wollte.“

Sie verkniff sich die Bemerkung, dass er wahrscheinlich eher selten Häuser transportieren musste. Schließlich bog sie auf die Einfahrt zu dem kleinen Krankenhaus und hielt vor dem Haupteingang.

„Hier darf man nicht parken“, erklärte er.

„Ich weiß. Ich wollte nur, dass Sie nicht so weit laufen müssen.“

„Hmm“, gab er knapp zurück. Beim Aussteigen brummte er noch weiter vor sich hin, ließ sich jedoch wenigstens von ihr helfen. Er stützte sich auf sie, während sie ihn in die Aufnahme brachte. Zwei Stunden später ging sie mit ihm zurück zum Wagen. Mr Henson humpelte nun an Krücken.

„Ein verknackster Fuß“, meinte er. „Ich sagte ja, es ist nichts weiter. Und die Medizin nehme ich auf keinen Fall. Davon wird man bloß dösig.“

„Wäre aber besser, Sie würden sie nehmen.“ Vorsichtig legte sie die Gehstützen auf die Rückbank. „Haben Sie Eiswürfel zu Hause?“

„Wozu?“

„Der Arzt hat Ihnen doch empfohlen, den Knöchel zu kühlen.“

Mr Henson zuckte mit den Schultern.

„Der Doktor meinte, Sie hätten Glück gehabt, dass nichts gebrochen ist. Aber Sie müssen den Fuß schonen, hoch lagern und kühlen.“

„Ja doch.“

„Entspannen Sie sich. Sie können dabei ja fernsehen“, schlug sie vor.

„Es läuft nichts Gescheites. Da lese ich lieber ein Buch.“

„Wir finden sicher etwas für Sie. Meine Mutter hat mir außerdem erzählt, sie würde heute Rindereintopf machen. Wenn Sie sich benehmen, bringe ich Ihnen später etwas davon vorbei.“

Der alte Mann leckte sich die Lippen. „Klingt gut.“

Sie lächelte. „Wenn Sie sich an den Rat der Ärzte halten, kommen Sie schnell wieder auf die Beine.“

„Kann sein.“ Mr Henson machte eine Pause. „Sie werden bestimmt mal eine gute Ehefrau. Sie nörgeln jetzt schon wie eine.“

Abby überlegte, ob sie das als Kompliment oder als Beleidigung auffassen sollte.

„Früher oder später wird Cade sich für Sie interessieren“, fügte er dann hinzu.

„Nie im Leben“, entgegnete sie.

Mr Henson hob eine seiner buschigen, grauen Brauen. „Sie hören wohl nicht auf ältere Menschen, was?“

„Doch“, antwortete Abby zögerlich. „Aber ich muss nun mal die Tatsachen akzeptieren, die ich nicht ändern kann.“

„Mädel“, sagte er. „Ich bin fünfundachtzig und habe vor acht Jahren das Glück meines Lebens verloren. Meine Geraldine. Daran kann ich zwar nichts ändern. Doch akzeptieren werde ich das nie.“

Das ist durchaus ein Argument, dachte Abby.

Nachdem Abby ein wenig an ihrer Hausarbeit für das College geschrieben hatte, kümmerte sie sich um ihre Jugendgruppe. ROOTS war ein Programm für sozial benachteiligte Mädchen im Teenageralter, die sich jeden Dienstagabend im Gemeindezentrum trafen. Man diskutierte über alles Mögliche: von Mobbing und Sex bis hin zu Schminktipps und zur Jobsuche. Die meisten Mädchen aus der Gruppe waren ziemlich tough und wirkten älter, als sie waren. Dennoch sahen sie zu Abby auf. Sie wollten so sein wie sie.

„So, du weißt ja schon alles über unsere Freunde“, meinte Keisha, eine für ihr Alter sehr gewitzte Fünfzehnjährige. „Wann erzählst du denn mal was über deinen Freund?“

„Ich habe keinen Freund“, erwiderte Abby.

Plötzlich wurde es in der Gruppe still.

Zu ihrer Überraschung fühlte Abby sich etwas unbehaglich. „Na ja“, erklärte sie dann, „es gibt da jemanden, den ich gerne mag. Aber er schaut mich nicht einmal an.“

Die sechzehnjährige Shannon mit dem lila gefärbten Haar runzelte die Stirn. „Ist er blind?“

Abby musste schmunzeln. „Nicht wirklich. Früher war er mit meiner Schwester befreundet, und daher sieht er in mir nur das kleine Schwesterlein.“

„Voll krass“, sagte Katrina, die stets ganz in Schwarz gekleidet war. „Weiß deine Schwester, dass du den Typen magst?“

Abby schüttelte den Kopf.

„Mag sie ihn denn noch?“, wollte Keisha wissen.

„Das ist vorbei. Sie ist inzwischen mit jemand anderem verlobt.“

„Dann solltest du ihm verklickern, was Sache ist“, riet Katrina ihr.

Abby lachte nervös. „Für ihn bin ich halt immer noch die kleine Schwester.“

„Das solltest du ändern“, schlug Shannon vor. „Färb dir doch die Haare pink.“

„Nicht ganz mein Stil“, gab Abby zurück.

„Aber du musst was aus dir machen“, beharrte Shannon und musterte Abby dabei ein wenig mitleidig. „Du bist nun mal nicht gerade … sexy.“

„Sie ist nicht hässlich“, hielt Keisha dagegen.

„Das hab ich auch nicht gemeint“, verteidigte Shannon sich. „Sie ist nur nicht sexy.“

„Weiß nicht“, überlegte Katrina laut. „Sie ist doch hübsch und natürlich und …“

„Aber eben nicht sexy“, wiederholte Shannon.

Schweigen machte sich breit.

„Wir können dir helfen“, sagte Shannon dann.

Sämtliche Alarmglocken in Abbys Innerem schrillten. „Helfen?“

„Logo!“ Keisha war offenbar ganz begeistert von der Idee. „Wir werden dich stylen. Hundertpro wird dich der Typ danach nicht mehr ignorieren.“

„Ich weiß nicht so recht …“ Abby zögerte.

„Wenn du dich selbst nicht änderst, verändert sich auch nichts an deiner Situation – das erzählst du uns doch dauernd“, warf Shannon ein.

Für einen Moment dachte Abby über ihren eigenen Rat nach. Es stimmte natürlich. Aber … Veränderungen an sich selbst? Wie weit war sie bereit, dabei zu gehen?

„Wenn du dir die Haare nicht färben willst, verpassen wir dir einfach eine neue Frisur“, bot Shannon an.

„Und ein cooles Make-up“, fügte Keisha hinzu.

„Und einen superkurzen schwarzen Minirock“, ergänzte Katrina.

Abby wand sich innerlich. Ein schwarzer Minirock?

Shannon nickte. „Eine Frisur à la Kim Kardashian. Dein Typ wird ausflippen.“

Abby konnte das Gespräch auf andere Themen lenken, doch eins war ihr klar: Die Mädchen waren heiß darauf, ihr ein komplett neues Outfit auszusuchen. Nach dem Treffen lief sie ihrem Teamkollegen Austin Anderson über den Weg. Austin leitete eine andere Gruppe. Er war fünfundzwanzig, und durch die Arbeit mit den Jugendlichen hatten sie sich angefreundet.

„Wie geht’s?“, erkundigte er sich, während er sie zu ihrem Auto begleitete.

„Ganz gut.“ Sie ahnte, dass sie nicht allzu überzeugend klang.

Austin lachte. „Okay, und wie geht es dir wirklich?“

„Ich fürchte, ich bin in einen ziemlichen Schlamassel geschlittert.“

Er legte seine Hand auf die Tür ihres Wagens, als sie sie öffnen wollte. „Was für einen Schlamassel denn?“, fragte er.

Seufzend lehnte Abby sich an ihren VW Beetle. „Ich hab was Schlimmes getan.“

„Wen hast du umgebracht?“

Sie musste schmunzeln. „Niemanden. Ich habe mich bloß von meiner Gruppe in ein Gespräch über mein Privatleben verwickeln lassen. Und jetzt wollen mich meine Mädchen unbedingt sexy aufbrezeln.“

Er lachte. „Oje!“

„Richtig. Aber sie haben nicht ganz unrecht. Was ich ihnen ständig predige, gilt ja auch für mich: Wenn du dich selbst nicht änderst, verändert sich nichts an deiner Situation.“

„Verstehe.“

„Auf jeden Fall brauche ich Beistand dabei.“

„Und was genau stellst du dir vor?“

„Ich style mich auf, und wir zwei machen danach die Stadt unsicher. Die Leute werden uns sehen und über uns tratschen. Und dadurch wird der Mann zur Besinnung kommen, der meine Liebe bisher nicht erwidert. Er wird merken, dass ich diejenige bin, die er will.“

Austin zuckte zusammen. „Abby, das ist keine so tolle Idee, glaube ich.“

„Vermutlich nicht. Aber irgendwas muss ich ja tun, damit Cade endlich auf mich aufmerksam wird.“

„Cade?“, fragte Austin. „Etwa Cade Pritchett?“ Er pfiff leise durch die Zähne. „War der nicht mal mit deiner …?“

„Ja, ja“, unterbrach sie ihn.

Austin seufzte schwer. „Na gut, ich bin dabei. Sag einfach Bescheid, wann es losgehen soll.“

„Wahrscheinlich Samstagabend“, sagte sie. „Da wird alles versammelt sein.“

Austin nickte. „Alles klar. Schick mir eine SMS mit der genauen Uhrzeit.“ Mit dem Zeigefinger strich er freundschaftlich über ihre Nase. „Du bist eine tolle Frau. Wenn er das nicht kapiert, ist er ein Idiot.“

Am folgenden Sonnabend machten sich die Mädchen aus Abbys Jugendgruppe ans Werk. Als sie anschließend in den Spiegel schaute, war Abby jedoch verunsichert. Sah sie jetzt wirklich sexy aus – oder irgendwie lächerlich?

„Seid ihr sicher?“ Skeptisch betrachtete sie ihre dunkel geschminkten Augen.

„Perfekt“, meinte Keisha.

„Du siehst rattenscharf aus“, pflichtete Katrina ihr bei. „Das wird alle Typen glatt umhauen.“

Davon war Abby allerdings nicht so überzeugt. Beim Anblick ihres gestylten Haars fiel es ihr schwer, sich selbst überhaupt wiederzuerkennen.

„Können wir?“, fragte Austin, der hinter ihr stand.

Abby holte tief Luft und drehte sich zu ihm herum.

„Oh, mein Gott“, sagte er.

Panik durchzuckte sie. „Oh, mein Gott? Was heißt das genau?“

„Dass du heiß aussiehst“, antwortete er lächelnd. „Echt heiß. Du wirst Thunder Canyon aufmischen.“

Abby erhob sich. „Du lügst, ohne rot zu werden.“

„Absolut nicht. Du wirst allen die Köpfe verdrehen. Kann es losgehen?“

„Richtig wohl fühle ich mich nicht dabei. Aber da muss ich jetzt wohl durch. Also dann.“

Abby und Austin zogen durch die angesagten Treffpunkte der Stadt und sorgten dafür, dass sie von so vielen Leuten wie möglich gesehen wurden. Schließlich suchten sie eine Bar in der Main Street auf. Zu Abbys Überraschung war Cade dort. Er schaute sich ein Spiel im Fernsehen an und nahm keine Notiz von Abby, als sie mit Austin den Laden betrat.

Austin dagegen bemerkte Cade sehr wohl. Als er für Abby an der Theke ein Mineralwasser – das fünfte an diesem Abend – bestellte, unterbrach sie ihn und orderte dazu einen Martini-Cocktail.

„Du willst einen Lemon Drop?“, fragte Austin mit hochgezogener Braue. „Gut, den hast du dir heute verdient, würde ich sagen.“

Abby nahm auf einem Hocker am Tresen Platz und bemühte sich, möglichst verführerisch zu wirken. Sie nippte an ihrem Getränk und schlug die Beine übereinander. Würde Cade wohl jemals die Augen vom Bildschirm abwenden?

Auf einmal gab Austin ein lautes Lachen von sich, das durch die Bar hallte. Dann kam er noch näher und schmiegte sich an sie.

Erschrocken starrte Abby ihn an.

„Spiel mit“, raunte er ihr zu.

Alles klar, dachte sie und schmiegte sich ebenfalls lachend an ihn. So funktionierte das doch. Oder?

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Cade sie und Austin betrachtete. Und er schien nicht gerade glücklich zu sein. Sie zwang sich zu einem fröhlichen Lachen.

„Sieht er rüber?“, fragte Austin leise, als sie seine Wange streichelte.

„Ja, tut er“, flüsterte sie.

„Genau das wolltest du, oder?“

„Ja … glaube ich“, sagte sie zögerlich.

Austin schüttelte den Kopf. „Du solltest dich schnell entscheiden. Er steht jetzt nämlich direkt hinter dir“, murmelte er. Dann fuhr er laut fort: „Hey Cade. Wie geht’s denn so? Oh, da sehe ich gerade einen Bekannten.“ Er wandte sich an Abby: „Bin gleich wieder da … Schatz.“

Abby drehte sich zu Cade um und bemerkte seine finstere Miene. „Hi, wie ist das Spiel? Nicht so spannend?“, erkundigte sie sich lächelnd.

„Eher nicht. Was ist mit deinem Haar passiert?“

Sie runzelte die Stirn. „Ich habe mich ein bisschen zurechtgemacht. Nicht nur mein Haar, falls es dir aufgefallen ist.“

„Du hast es gar nicht nötig, dich so aufzubrezeln. Das erweckt bei einigen einen ganz falschen Eindruck.“

Enttäuschung und Verärgerung machten sich in ihr breit. „Manche Leute würden sagen, dass ich wunderschön aussehe.“

„Manche Leute würden dir alles Mögliche erzählen, um dich ins Bett zu kriegen.“

Beleidigt musterte Abby ihn. „Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus. Ich habe hier richtig Spaß. Alles ist in bester Ordnung.“

In diesem Moment kehrte Austin zu ihnen zurück. „Können wir dann, Liebling?“

„Und ob wir können“, sagte Abby und erhob sich von ihrem Hocker. Mit großer Anstrengung versuchte sie, Cade zu ignorieren. „Schönen Abend noch“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Dann hakte sie sich bei Austin unter und verließ mit ihm die Bar.

Kaum waren sie in die kalte Nacht hinausgetreten, musste sie nach Luft schnappen. „Ob das geklappt hat?“

Austin grinste. „Da bin ich mir sicher. Du hast ihm gezeigt, was ihm entgeht.“

Die Bemerkung hob Abbys Laune. „Schön, dass du heute Abend mitgemacht hast.“

„War doch eine witzige Aktion“, gab er zurück und öffnete für sie die Beifahrertür seines Wagens.

Kurz darauf hielten sie vor Abbys Haus. „Danke, dass du meine Verrücktheiten erträgst“, meinte sie, als er ihr beim Aussteigen half.

Er zuckte mit den Schultern. „Wir sind doch alle irgendwie ein bisschen verrückt.“

„Da bin ich erleichtert“, gab sie lachend zurück. „Ich glaube, du hattest von Anfang an recht. Das war wohl wirklich keine so tolle Idee.“

„Wer weiß? Vielleicht überrascht er dich ja noch.“

„Darauf würde ich mich nicht verlassen. Trotzdem danke.“

Sie sah ihm hinterher, als er davonfuhr. Danach ging sie langsam zum Haus. Ob wohl noch jemand aus ihrer Familie wach war, der ihr wegen ihres neuen Outfits unangenehme Fragen stellte? Zum Glück brannte drinnen jedoch kaum Licht.

Schließlich fiel ihr etwas ein: Ihre Mutter hatte ja erwähnt, dass sie alle heute zum Dinner in ihren örtlichen Klub ausgehen wollten. Abby stapfte durch den festgefrorenen Schnee zur Vordertür und schloss auf. Einen Moment lang verharrte sie und lauschte. Es schien niemand da zu sein. Gott sei Dank! Sie atmete schon erleichtert auf, doch plötzlich hörte sie jemanden an die Tür klopfen.

Zögernd spähte Abby durch den Türspion – und bekam den Schreck ihres Lebens. Sie blinzelte ein paarmal. Träumte sie etwa? Es war Cade.

Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, öffnete sie ihm schwungvoll. „Ist noch was?“, fragte sie, ohne ihn zu begrüßen.

Er runzelte die Stirn. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Sicher.“ Sie konnte ihre Ungeduld und ihre Verärgerung kaum zügeln.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

„Wieso?“, entgegnete sie knapp und lehnte sich an den Türrahmen.

„So wie du angezogen warst … Ich wollte nicht, dass dein Date unter Umständen falsche Schlüsse zieht.“

„Er hat sich wie ein Gentleman benommen.“

„Na gut …“ Cade seufzte. „Möchtest du mich nicht hereinbitten?“

Etwas überrumpelt trat Abby einen Schritt zurück. „Klar, komm rein.“

Die Diele war nur spärlich beleuchtet.

Cade trat ein und deutete auf ihr Haar. „Das brauchst du doch alles nicht. Make-up und das ganze Zeug. Du bist eine Naturschönheit. Was hast du dir bloß dabei gedacht?“

Abby war sprachlos und musste schlucken. „Naturschönheit?“, wiederholte sie.

„Oh ja.“ Er strich ihr übers Haar. „Warum verschandelst du dich so?“

Mit offenem Mund starrte sie ihn an, dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß nicht …“

Und mit einem Mal beugte er sich vor und küsste sie.

Vor Schreck vergaß Abby fast, zu atmen.

„Du gefällst mir auch ohne all die Schminke“, sagte er, und auf einmal schien sich der Erdboden unter ihr zu drehen.

Bevor Abby die Sprache wiederfand, bahnten sie sich bereits stolpernd den Weg ins Wohnzimmer. Rücklings ließ sie sich auf das Sofa fallen. Cade legte sich auf sie. Sein Gewicht auf sich zu fühlen erregte sie mehr als alles, was sie je zuvor erlebt hatte. Instinktiv schlang sie ihre Arme und Beine um ihn.

Voller Verlangen küsste Cade sie. Abby erwiderte seine stürmischen Zärtlichkeiten und drückte sich eng an ihn. Sie bemerkte, wie erregt er war. Insgeheim wünschte sie sich, ihre Kleidung würde sich einfach auflösen; nichts sollte sie mehr trennen. Sie wollte ihn in sich spüren. Sie konnte es kaum erwarten.

Während er ihren Mund erforschte, presste er seine Hüften an sie. Abby wand sich unter seinem starken Körper. Ich will mehr, dachte sie nur noch. Ich will dich ganz und gar.

Cade stöhnte auf, ohne den Kuss zu unterbrechen. Auch Abby konnte ihre Leidenschaft kaum noch zügeln. So furchtbar lange hatte sie sich schon nach ihm gesehnt …

Als er ihre Brust umfasste, hielt sie den Atem an. Behutsam strich er darüber, sodass sich ihre Brustspitzen aufrichteten. Cades genussvolles Seufzen befeuerte ihre eigene brennende Lust.

„Ich will dich so sehr“, keuchte sie.

„Ich dich auch“, raunte er.

Abby hörte etwas im Zimmer, doch durch Cade war sie vollkommen abgelenkt.

Erst als sie plötzlich einen kleinen Aufschrei wahrnahm, wurde sie aus ihrem erregten Bann gerissen. „Was?“, murmelte sie.

„Oh mein Gott, das ist ja ein Ding.“

Das war die Stimme ihrer Schwester! Abby blinzelte benommen. Sie löste sich von Cade, und endlich sah auch Cade sich über die Schulter um.

Laila stand mitten im Raum. Sie grinste. „Das ist echt ein Ding. Das hätte man sich eigentlich denken können.“

Sekunden später sprang Cade vom Sofa auf. Er schaute von Laila zu Abby, dann betrachtete er Abby. „Verrückt“, meinte er schließlich. „Das war völlig verrückt. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Tut mir leid. Ich gehe besser.“ Und genau das tat er.

Abby starrte ihm hinterher und grübelte, was da gerade geschehen war. Warum hatte er sie geküsst? Und was wäre wohl passiert, wenn Laila sie nicht überrascht hätte? Enttäuschung breitete sich in ihr aus. Abby starrte ihre Schwester vorwurfsvoll an.

„Upps“, sagte Laila. „Aber es hätte schlimmer kommen können. Jeden Moment kommen nämlich die anderen vom Essen zurück.“

Abby stand auf. „Das tröstet mich ungemein.“

„Ist doch nicht meine Schuld, wenn ich hier über euch stolpere. Woher sollte ich das denn wissen?“

Auf einmal war Abby zum Heulen zumute. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie es ist, deine Schwester zu sein?“

Laila wirkte betroffen. „Wie meinst du das?“

„Zigmal hat man dich zur Schönheitskönigin gewählt. Immer hattest du Erfolg. Und dann noch die Sache mit Cade.“

Laila presste die Lippen aufeinander. „Wie lange bist du schon …?“

„Länger, als dir lieb ist“, unterbrach sie ihre Schwester und schüttelte den Kopf.

Nach einer Weile nickte Laila langsam. „Tut mir leid.“

„Klar“, erwiderte Abby knapp.

„Aber eins möchte ich gerne wissen. Was ist das für ein Outfit?“ Laila deutete auf ihren Minirock und das enge Top.

„Nur ein Experiment“, gab Abby zurück. Sie wollte jetzt nicht darüber sprechen.

Laila lachte auf. „Cade war bestimmt hin und weg.“

Abby biss sich auf die Unterlippe. Wie würde Cade sich nach allem nun wohl verhalten? „Bitte behalte für dich, was du heute gesehen hast“, sagte Abby. „Gute Nacht.“

Cade fuhr zu seinem Haus außerhalb der Stadt zurück. Noch immer fühlte er sich erregt und aufgekratzt. Und so, als hätte er etwas vollkommen Verrücktes getan. Offenbar musste sein Verstand ausgesetzt haben.

Heute war er einer Abby begegnet, die puren Sex ausgestrahlt hatte. Er war eifersüchtig gewesen und hatte sie beschützen wollen. Und dann hatte er sein Verlangen nicht mehr zurückhalten können. Noch immer spürte er, wie er sie geküsst und an sich gedrückt hatte. Das Ganze war total unvernünftig gewesen. Er musste sich zusammenreißen, ehe er noch völlig durchdrehte.

Cade bog auf seine Auffahrt, hielt an und atmete tief ein. Mit einem Mal geisterte die Erinnerung an Dominique durch seinen Kopf. Er dachte an ihr rabenschwarzes Haar und ihre glänzenden dunklen Augen. In ihr hatte er die erhoffte Rettung gesehen, doch sicher war er sich nicht gewesen. Als er sich endlich zu einem Heiratsantrag durchgerungen hatte, war sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Das schien unendlich lange her zu sein. Einige Jahre davor war seine Mutter gestorben, und seine gesamte Familie hatte den Verlust nur mühsam bewältigt.

Nach Dominique hatte er sein Herz für jegliche Gefühle verschlossen. Für ihn der beste Weg, um sich zu schützen. Dann hatte er Laila getroffen. Nachdem sie ein paar Jahre miteinander ausgegangen waren, hatte Cade eine Entscheidung getroffen: Er hatte sie heiraten wollen. In vieler Hinsicht waren sie sich ähnlich gewesen. Außerdem hatte er es für den richtigen Zeitpunkt gehalten, Kinder in die Welt zu setzen.

Im Nachhinein bedauerte er jedoch, an eine Ehe mit Laila auch nur gedacht zu haben. Cade sehnte sich nach einer eigenen Familie. Zugleich verabscheute er diesen starken Wunsch in sich, denn ohne ihn wäre sein Leben viel einfacher. Er könnte in Ruhe in seiner Tischlerfirma arbeiten, an seinen Motorrädern herumschrauben, sich in der Gemeinde engagieren, ab und zu mal mit einer Frau ausgehen. So wäre es am besten.

Oder?

Er unterdrückte einen Fluch und fuhr sich durchs Haar. Soeben hatte er mit Lailas Schwester herumgeknutscht. Was für einen Mist hatte er da wieder gebaut? Er schüttelte den Kopf über sich selbst, stieg aus und betrat sein einsames Zuhause. Immerhin begrüßte ihn an der Tür sein Hund Stella. Der beste Freund des Menschen.

Cade holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Seine Schritte klangen hohl auf den Dielen seiner Küche. Ihm wurde mit einem Mal klar, wie leer sein Haus war. Würde das für den Rest seines Lebens so sein?

Na, wenn schon.

Nachdem er einen großen Schluck genommen hatte, ging er ins Wohnzimmer. Stella folgte ihm brav. Er kramte die Fernbedienung hervor, schaltete den riesigen Flachbildfernseher an und zappte eine Weile durch die Kanäle. Zum Glück wurde irgendwo Football übertragen. Wer da gegen wen spielte, interessierte ihn jedoch nicht.

Cade ließ sich auf die Ledercouch fallen, trank von seinem Bier und starrte einfach auf den Bildschirm. Hoffentlich würde das Spiel ihn bald in seinen Bann ziehen. Doch plötzlich schoss ihm die Erinnerung an Abbys Kuss durch den Kopf.

Er musste daran denken, wie weich und warm und voll ihre Lippen gewesen waren. Wie gut sich ihre Brüste an seinem Oberkörper, ihre Brustwarzen unter seinen Fingern angefühlt hatten. Wie schön es gewesen war, sich an sie zu schmiegen. Und wie Abby sich vor Lust unter ihm gewunden hatte.

Schließlich hatte er seinem eigenen Verlangen nachgegeben und seine Hände zu ihrem geheimsten Punkt hinabwandern lassen. Er hatte gespürt, wie erregt und feucht sie gewesen war.

Und plötzlich war Laila ins Zimmer getreten.

Cade fluchte leise. Anstatt sich an all das zu erinnern, sollte er sich jetzt lieber auf das Spiel und sein Bier konzentrieren.

Anderthalb Stunden später wachte er auf. Blinzelnd sah er zum Fernseher. Das Spiel war längst vorbei. In einer Werbesendung wurde irgendein Sportgerät angepriesen.

Für einige Minuten schaute Cade zu, bevor er das Gerät ausschaltete. Das gedämpfte Licht der Wohnzimmerlampe sorgte dafür, dass er nicht völlig im Dunkeln saß. Früher einmal hatte Dunkelheit ihn beunruhigt. Aber jetzt …

Autor

Leanne Banks
<p>Mit mehr als 20 geschriebenen Romanen, ist Leanne dafür geschätzt Geschichten mit starken Emotionen, Charakteren mit denen sich jeder identifizieren kann, einem Schuss heißer Sinnlichkeit und einem Happy End, welches nach dem Lesen noch nachklingt zu erzählen. Sie ist die Abnehmerin der Romantic Times Magazine’s Awards in Serie. Sinnlichkeit, Liebe...
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Donna Alward

Als zweifache Mutter ist Donna Alward davon überzeugt, den besten Job der Welt zu haben: Eine Kombination einer „Stay-at-home-mom“ (einer Vollzeit – Mutter) und einem Romanautor. Als begeisterte Leserin seit ihrer Kindheit, hat Donna Alward schon immer ihre eigenen Geschichten im Kopf gehabt. Sie machte ihren Abschluss in Englischer Literatur...

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Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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