Romana Extra Band 138

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  • Erscheinungstag 30.09.2023
  • Bandnummer 138
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517515
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Melody Summer, Alison Roberts, Jessica Gilmore

ROMANA EXTRA BAND 138

1. KAPITEL

„Wenn ich noch einmal Ihre Champagnerflaschen auf unserem Grundstück finde, drehe ich Sie durch meine Nudelmaschine“, schrie Myrna wütend in Richtung des Nachbargrundstücks und warf eine der leeren Flaschen mit voller Wucht über den Zaun. „Und wenn Sie uns noch eine Nacht mit Ihrer schrecklichen Partymusik und den Diskoscheinwerfern wachhalten, ertränke ich Sie eigenhändig in Tomatensoße!“

„Ist er da?“ Ihr Vater trat hinter sie.

Myrna schüttelte den Kopf und setzte ihre Schimpftirade in Richtung des Gartenzauns fort. „Sie Feigling, kleiner Angeber! Tyrann! Kommen Sie doch wenigstens raus und hören sich an, was ich Ihnen zu sagen habe! Sie unbedeutender Wicht!“

Fabio grinste. „Unbedeutender Wicht? Dieser Adriano Grasso ist einer der reichsten Unternehmer Italiens, wie man hört.“ Er blinzelte in die warme Morgensonne, die die beschauliche Insel Ischia in warmes Licht tauchte.

„Vor allem ist er einer der zügellosesten Männer Italiens!“, wütete Myrna. „Seit er das Nachbargrundstück gekauft hat, ufern seine Partys immer mehr aus. Heute Morgen sind es ein Dutzend leerer Champagnerflaschen, die seine Gäste einfach über den Zaun auf unser Grundstück geworfen haben. Und außerdem stört die laute Musik unsere Gäste, Papà. In diesem Monat haben wir noch weniger eingenommen als in dem davor. Mit jeder Woche, die er neben uns wohnt, hat unsere Trattoria schlechtere Umsätze.“

Sì,sì, du hast ja recht“, pflichtete ihr Vater ihr müde bei. „Ich habe wieder kaum geschlafen. Ich brauche dringend einen Espresso. Möchtest du auch einen, Liebes?“

„Papà, du sollst keinen Kaffee auf nüchternen Magen trinken, denk an deinen Magen! Iss erst ein Stück Weißbrot. Komm, ich mache dir dein Frühstück.“ Besorgt legte Myrna ihrem Vater den Arm um die Schultern und führte ihn unter den Weinspalieren hindurch, die die Terrasse überdachten, zum Haus. „Außerdem darfst du dich nicht aufregen, der Arzt sagt, dass das ganz schlecht für dich ist.“ Einen Moment lang genoss sie die spektakuläre Aussicht. Unter ihnen fielen die Felsen zum Meer hin steil ab. Widerstandsfähige Föhren hatten sich auf dem Gestein angesiedelt, und ihre grünen Nadeln hoben sich vom azurblauen Wasser ab, das darunter in der Sonne glitzerte. Weiter rechts war der Hafen von Sant’Angelo zu sehen.

„Erzähl das lieber unserem Nachbarn“, erwiderte Fabio mürrisch und schaute verdrießlich über seine Schulter.

Myrna öffnete gerade die Tür zu dem kleinen Restaurant, als sie von einem lauten Ruf aufgehalten wurde. Sie drehte sich um und sah einen Mann, der auf dem Nachbargrundstück aufgetaucht war. Er konnte ohne Mühe über den Zaun blicken, der ungefähr so hoch wie Myrna groß war.

„Gibt es ein Problem?“, rief er und strich sein schwarzes, volles Haar zurück.

„Sind Sie Signor Grasso?“, fragte Myrna zurück.

? Und Sie sind die Dame, die mich durch ihre Nudelmaschine drehen und anschließend in Tomatensoße ertränken will, nehme ich an?“ Er schenkte ihr ein herausforderndes Grinsen.

„Allerdings! Und Ihre Arroganz werde ich Ihnen auch noch austreiben. Sie haben sich mit der Falschen angelegt, Nachbar!“ Sie stürmte zum Gartenzaun. „Wurde auch Zeit, dass Sie mal persönlich auftauchen und nicht immer nur Ihr Personal vorschicken.“ Myrna kam immer mehr in Fahrt. Endlich konnte sie dem rücksichtslosen Partylöwen all das sagen, was sich in den letzten Wochen in ihr aufgestaut hatte. „Sie sind ein ganz erbärmlicher Wicht!“ Aufgebracht reckte sie ihm die Faust entgegen. „Ein rücksichtsloser, selbstbezogener, egoistischer Möchtegern, der weder weiß, wie man sich zu benehmen hat, noch intelligent genug zu sein scheint, sich mit klugen Menschen zu umgeben. Schauen Sie sich den Dreck an, den Ihre Partygäste wieder mal hinterlassen haben. Flaschen über Flaschen. Und einen Radau veranstalten Sie, das ist ja nicht zum Aushalten.“

„Im Moment höre ich hier nur Ihre keifende Stimme, die die morgendliche Ruhe stört. Und freuen Sie sich doch über die Flaschen, vielleicht ist ja noch ein Schluck für Sie drin“, entgegnete ihr Nachbar frech.

Unter dem engen weißen Shirt zeichneten sich seine Muskeln perfekt ab, wie Myrna widerwillig zur Kenntnis nahm. „Ich bin doch nicht auf Ihre billigen Reste angewiesen“, schrie sie wütend. „Und genauso wenig bin ich Ihre Müllkippe.“

„Nicht?“ Wieder grinste er.

Myrna überlegte, ob sie noch faule Tomaten hatte, die sie dem Schnösel an den Kopf werfen konnte. Sie hatte sämtliche italienischen Schimpfworte aufgebraucht, die sie beherrschte. Da sie in England aufgewachsen und bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr nur die Sommer hier bei ihrem Vater verbracht hatte, war ihr Italienisch nicht so gut, wie sie es sich wünschte. Und in solchen Situationen wurde ihr das schmerzlich bewusst. „Sorgen Sie gefälligst dafür, dass das nicht mehr vorkommt, oder Sie machen Bekanntschaft mit meiner Pasta-Maschine.“

Adriano Grasso besaß die Unverschämtheit, ihr ins Gesicht zu lachen. „Das möchte ich zu gern sehen.“

„Lassen Sie es nicht darauf ankommen“, rief sie außer sich und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen mächtigen Ärger bereiten kann.“

„Ach, und wie?“ Er klang gelangweilt.

„Das werden Sie dann schon früh genug erfahren!“ Abrupt wandte sie sich um und lief zurück zum Haus. Vielleicht sollte sie wirklich anfangen, faule Eier und Tomaten zu sammeln. Das war schließlich immer noch eine wirksame Methode, sich zu wehren.

„Hast du ihm die Meinung gesagt?“, fragte Fabio, als sie sich zu ihm an den Tisch in der Nische neben dem Tresen setzte.

„Gesagt habe ich es ihm, aber ich befürchte, er ist zu abgebrüht, als dass er irgendwas davon annehmen würde. Er meint vermutlich, sein Geld macht ihn unangreifbar, aber dem werde ich es noch zeigen.“ Zornig ließ Myrna ihren Blick durch das Fabios gleiten.

Es war ein kleines Restaurant. In der Trattoria standen nur zehn Tische, auf der Terrasse weitere fünfzehn. Die rot-weiß karierten Tischdecken und die bunten Kerzengläser darauf sorgten für eine gemütliche Atmosphäre. Bei den rustikalen Stühlen, die schon so lange in diesem Raum standen, wie Myrna denken konnte, hatte Fabio damals nicht auf Schick und Aussehen, sondern einzig auf Bequemlichkeit geachtet. Aber Myrna fand, dass diese klobigen alten Holzstühle mit den dicken roten Polstern gut hierherpassten. Auf den Fensterbänken hatte Myrna kleine Teelichter verteilt, die, wenn es abends dunkel wurde, ihr warmes Licht mit den leuchtenden Punkten der Schiffe im Hafen von Sant’Angelo vermischten, der sich am Fuße des Berges erstreckte, auf dem das Fabios lag.

Der Fußboden war mit knarrenden Dielenbrettern ausgelegt, deren Rotweinflecken so einiges zu erzählen hatten. Es wurde Zeit, dass die Dielen mal wieder abgeschliffen und neu lackiert wurden. Vielleicht würde sie in diesem Winter dazu kommen.

Die ruhigen Wintermonate nutzten Myrna und Fabio für Reparaturen und Renovierungen, zumal in dieser Zeit auch der Weinberg ruhte, der sich oberhalb des Restaurants erstreckte und Fabios große Leidenschaft war.

„Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden.“ Fabio stand auf.

„Auf gar keinen Fall. Denk daran, was der Arzt gesagt hat. Wir müssen sehr vorsichtig sein, die Medikamente haben nicht geholfen. Wenn wir diese Operation irgendwie verhindern wollen, dann darfst du dich nicht aufregen, und du musst aufpassen, was du isst.“ Sie schob ihn zurück auf die Bank in der Nische. „Bleib hier sitzen, ich hole dir schnell ein bisschen Brot und Marmelade aus der Küche. Keinen Kaffee, bis du gefrühstückt hast!“ Sie hob mahnend den Zeigefinger.

„Jawohl, Madre!“ Ihr Vater verzog so übertrieben gequält das Gesicht, dass Myrna lachen musste. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du weißt doch, wie schrecklich lieb ich dich habe. Du bist alles, was ich habe.“

„Ich weiß, mein Schatz, ich weiß …“ Ihr Vater drückte ihren Arm, und Myrna wurde einmal mehr bewusst, wie glücklich sie hier auf Ischia war. Nur noch selten dachte sie an ihre schreckliche, lieblose Kindheit, in der sie nur die acht Wochen Sommerferien hier in Italien hatte verbringen dürfen. Das dunkle Internat in Sussex war langweilig und trostlos gewesen, die Herbst-, Winter- und Frühjahrsferien bei ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und dessen Kindern waren jedes Mal ein Albtraum.

Myrna versuchte, die ungebetenen Erinnerungen schnell wieder abzuschütteln. Sie stieß die braune Schwingtür auf, die hinter der Bar in die Küche führte, schnitt eine Scheibe Weißbrot ab, füllte etwas von ihrer selbstgekochten Mirabellenmarmelade in ein Schälchen und brachte alles zu Fabio.

„Darf ich jetzt endlich einen Espresso haben?“, fragte Fabio, nachdem er sein Stück Brot gegessen hatte.

Myrna nickte und stand auf. Während sie sich an der silbernen Kaffeemaschine zu schaffen machte, hörte sie, wie ihr Vater das Geschirr zusammenstellte.

„Lass das, Papà. Du sollst dich doch schonen. Ich räume schon ab.“ Sie stellte den Espresso vor ihren Vater auf den Tisch und ging zur Kaffemaschine zurück, um sich ebenfalls einen Espresso zuzubereiten.

„Ich bin doch kein Invalide“, entgegnete Fabio, blieb aber sitzen. Myrna wusste, dass er es insgeheim genoss, von ihr umsorgt zu werden. Und Myrna war froh, dass sie endlich hier leben konnte. Als Kind hatte sie sich so sehr gewünscht, bei ihrem Vater aufwachsen zu dürfen, aber ihre Mutter wollte nicht mit sich reden lassen …

Bei dem Gedanken schüttelte Myrna unwillig den Kopf. Ihre Mutter hatte nach der Trennung von Fabio darauf bestanden, das alleinige Sorgerecht für sie zu behalten. Achtzehn Jahre lang hatte sie über das Leben ihrer Tochter bestimmt, ihr dabei aber nie Zeit und noch weniger Liebe zukommen lassen. Im Internat hatte Myrna sich weggesperrt gefühlt, und auch in den Ferien bekam sie ihre Mutter kaum zu Gesicht, musste stattdessen die meiste Zeit mit ihren beiden nervigen Stiefschwestern verbringen und mit verschiedenen Kindermädchen, die ihr reicher Stiefvater Sam Park engagiert hatte, wobei es ihm weniger auf deren fachliche Qualifikationen ankam als auf ihr Aussehen. Daher wechselten die Nannys immer, wenn ihre jeweiligen Affären mit Sam beendet waren. Sams leiblichen Töchtern, die er mit in die Ehe gebracht hatte, waren die Eskapaden ihres Vaters anscheinend egal gewesen. Sobald Myrna volljährig geworden war, hatte sie ihre reiche englische Familie hinter sich gelassen und war nach Ischia übersiedelt.

Noch immer hatte sie die fassungslosen Gesichter ihrer Mutter und ihrer Stiefschwestern vor Augen, die partout nicht verstehen konnten, wie sie auf die Idee kam, zu dem mittellosen Fabio zu ziehen, wo sie in England doch auf dem Luxusanwesen der Parks wohnen könnte.

Aber gerade diesem Anwesen wollte sie entfliehen. Bis heute verfolgten sie Bilder, die sie wohl nie ganz vergessen würde. Die lauten Nächte auf dem Nachbargrundstück störten nicht nur ihre Restaurantgäste, sondern erinnerten Myrna auch an das, was sie als Kind in England erlebt hatte. Das Schlimmste an diesem Adriano Grasso war jedoch, dass er ihren Vater durch sein rücksichtsloses Benehmen zur Weißglut brachte, und das war für Fabio im Moment nun einmal lebensgefährlich. Die Krankheit ihres Vaters warf tiefe Schatten über ihr Glück.

„Heute ist der große Tag“, riss ihr Vater sie aus ihren dunklen Gedanken. „Heute wirst du endlich als Weinkönigin präsentiert.“

Myrna kehrte mit ihrer Espressotasse zum Tisch zurück. „Ich bin schon ganz aufgeregt, es wird eine Menge Presserummel geben.“

Ihr Vater sah sie stolz an.

„Das alles ist vor allem dein Verdienst. Schließlich bist du der Winzer unseres kleinen Unternehmens. Ohne dein Engagement im Weinberg und deine großartigen Weine wäre ich nie zur Weinkönigin ernannt worden.“

Sie wusste, wie wichtig ihrem Vater die Auszeichnung war. Es war eine besondere Ehre und würde ihrem Wein und auch dem Fabios großes Ansehen einbringen. Es war das erste Mal, dass Myrna bewusst zur Kenntnis nahm, wie attraktiv sie war. Sie schaute nicht allzu oft in den Spiegel, ihr Äußeres war immer zweitrangig für sie gewesen, aber die Weinköniginnen-Roben betonten ihre natürliche Schönheit. Ihr mahagonifarbenes glattes glänzendes Haar bildete einen aparten Kontrast zu den teuren Stoffen der Kleider und unterstrich ihre blauen Augen.

Ihr Vater freute sich schon sehr auf die heutige Einführung des Königspaares, wenn die Presse über Myrna als Weinkönigin berichten würde.

„Und es ist wirklich in Ordnung, wenn ich dich die acht Wochen, in denen ich als Weinkönigin unterwegs bin, mit der Arbeit hier allein lasse?“ Myrna griff über den Tisch hinweg nach der Hand ihres Vaters. „Gerade jetzt, wo der Arzt gesagt hat, dass du dich weiter schonen sollst.“

„Liebes, mach dir keine Sorgen, ich habe den Laden hier zwanzig Jahre lang allein geschmissen.“ Er lachte und streichelte sanft Myrnas Hand.

„Aber seit sechs Jahren bin ich hier und helfe dir. Und seien wir mal ehrlich, in den letzten zwei Jahren hast du hier kaum noch etwas tun müssen, du konntest dich voll und ganz auf deinen Wein konzentrieren.“

„Und dafür bin ich dir auch sehr dankbar, aber ich habe doch deswegen nicht vergessen, wie es geht, das Fabios zu leiten.“

„Nein, das will ich doch auch gar nicht sagen.“ Myrna strich ein paar Krümel von der Tischdecke. „Aber denk an deine Gesundheit. Gerade jetzt solltest du dich ausruhen und dir nicht die Arbeit mit dem Restaurant aufhalsen.“ Sie überlegte, ob sie nicht doch noch einen zusätzlichen Kellner engagieren sollte für die zwei Monate, in denen sie so viel unterwegs sein würde. Aber das Geld war knapp. Myrna konnte es sich einfach nicht leisten, eine Aushilfe einzustellen. Und wenn der Lärm von nebenan nicht bald aufhörte, würden sie bald gar kein Restaurant mehr haben! Daran durfte Myrna überhaupt nicht denken. Das würde ihrem Vater das Herz brechen.

In diesem Moment klopfte es laut. Myrna warf ihrem Vater einen besorgten Blick zu und stand auf. Als sie die Tür öffnete und sah, wer vor ihr stand, stieß sie einen zornigen Laut aus. „Norma, was willst du? Wir haben geschlossen.“

„Dir auch einen schönen guten Morgen, Schwesterherz.“ Norma schob ihre überdimensionale Sonnenbrille so weit nach unten, dass sie Myrna über den oberen Rand hinweg anstarren konnte. Wie immer waren ihre Augen mit langen künstlichen Wimpern dekoriert. „Ich will mich beschweren.“

„Über was?“ Myrna zog die Augenbrauen zusammen. Ihre Stiefschwester kreuzte momentan mit der Jacht ihres Vaters vor Ischia, und Myrna war sich sicher, dass Normas Aufenthalt hier einzig und allein dem Zweck diente, ihr das Leben schwer zu machen. Sie waren im selben Alter, und aus irgendeinem Grund hatte Norma in Myrna immer eine Konkurrentin gesehen. Schon in ihrer Kindheit hatte sie ständig versucht, ihre Stiefschwester auszubooten. Diese Einstellung hatte schließlich an Myrnas achtzehntem Geburtstag zum größten Verrat überhaupt geführt, als es Norma gelang, Myrnas Freund Kenneth in ihr Bett zu bekommen. Seitdem hasste Myrna sie so sehr, dass sie sie nicht mehr sehen wollte. Doch Norma schien in diesem Sommer Gefallen daran gefunden zu haben, jeden Abend in Myrnas Restaurant aufzukreuzen und sich über das Essen zu beschweren. Und nun war sie sogar schon am Tag hier …

„Der Fisch gestern“, begann Norma und rümpfte die Nase. „Der war schlecht. Heute Morgen, als ich aufgewacht bin, war mir entsetzlich übel.“

„Dann solltest du vielleicht endlich wieder nach England zurückfahren und in deinem eigenen Haus schlafen und essen. Du bist vermutlich nicht seefest und die Übernachtungen auf der Jacht bekommen dir nicht.“ Myrna wollte gerade die Tür zuknallen, als Norma ihren Fuß dazwischenstellte.

„Es war der Fisch“, beharrte ihre Schwester spitz.

„Der Fisch?“ Fabio trat hinter Myrna an die Eingangstür. „Unsinn! Unser Fisch ist immer fangfrisch. Noch drei Stunden zuvor ist er im Meer herumgeschwommen.“

Beruhigend legte Myrna ihrem Vater die Hand auf den Arm. Er regte sich schon wieder viel zu sehr auf.

„Dann sollten Sie mal mit Ihrem Lieferanten sprechen“, erklärte Norma. „Mir war jedenfalls entsetzlich übel davon.“

„Vielleicht bist du schwanger?“, gab Myrna zurück.

„Natürlich nicht“, rief Norma aufgebracht. „Ich werde mich mal umhören, ob auch andere Gäste unter dieser Übelkeit leiden, und dann werde ich mich ans Gesundheitsamt wenden, oder was immer es hier in diesem rückständigen Land für eine Behörde gibt, die für die Schließung dieser Spelunke zuständig ist.“ Damit drehte sie sich um und rauschte davon.

„Warum kommen Sie dann überhaupt her? Hä?“, schrie Fabio ihr nach. „Dann bleiben Sie mit Ihrem Hintern gefälligst weg!“

„Reg dich nicht auf, Papà.“ Sanft zog Myrna ihren Vater zurück ins Restaurant und verschloss die Tür wieder. Dass auch noch ihre schreckliche Stiefschwester hier auftauchen und aus reiner Langeweile an ihrem Restaurant herummäkeln musste! Reichte es denn nicht schon, dass sie mit ihrem rücksichtslosen Nachbarn Ärger hatte?

„Über so eine muss man sich doch einfach aufregen.“ Wütend schlug Fabio die Hände zusammen.

Myrna musste ihrem Vater recht geben, sie selbst war ja auch nicht gerade für ein ausgeglichenes Temperament bekannt, trotzdem war diese Aufregung für ihn zurzeit Gift.

Sie versuchte, das Thema zu wechseln. „Komm, ich erledige noch schnell die Bestellung für die Lebensmittel, die wir fürs Restaurant brauchen, und dann machen wir uns für die große Presseveranstaltung fertig.“ Es war zwar noch früh, aber sie musste ihren Vater auf andere Gedanken bringen. „Das wird heute unser großer Tag. Den lassen wir uns nicht von meiner Stiefschwester verderben.“

„Was für eine Unverschämtheit“, rief ihr Vater, der sich nicht so leicht ablenken ließ. „Diese Frau lügt uns ins Gesicht!“

„Natürlich tut sie das, Papà.“ Sie gingen durch den kurzen Flur zurück ins Restaurant. „Das hat sie schon getan, solange ich denken kann. Ich nehme sie nicht mehr ernst, und ich kann dir nur raten, dasselbe zu tun.“

Myrna war gerade dabei, die Vorräte zu sichten, als sie zusammenschrak. Von der Straße war ein lautes Hupen zu hören. Den Eierkarton, dessen Inhalt sie gerade in der Kühlkammer überprüft hatte, noch in der Hand, folgte sie ihrem Vater, der hinausgeeilt war. Myrna verdrehte die Augen. Hatte man hier denn niemals Ruhe?

„Ich werde verrückt!“, schrie Fabio und fasste sich an den Kopf. „Das ist ja ein Lärm, schlimmer als in Rom zur Hauptverkehrszeit.“

Er stand vor dem geöffneten Tor des Nachbargrundstücks. Nur noch die Rücklichter eines davonbrausenden roten Cabrios waren zu sehen.

„Papà, reg dich bitte nicht so auf. Jetzt komm“, Myrna trat neben ihn und fasste seinen Arm. „Wir fahren jetzt zum Castello Aragonese.“ Dort sollte die Presseveranstaltung zur Vorstellung des Weinkönigpaares stattfinden.

Fabio wollte sich gerade abwenden und von Myrna zurück ins Haus schieben lassen, als er plötzlich innehielt. Myrna folgte dem Blick ihres Vaters und sah, dass Adriano Grasso in seinem Luxusschlitten die Auffahrt hinunterfuhr. Als er das Tor passiert hatte, hielt er an und grinste ihnen ins Gesicht. „Ich hoffe, mein Besucher hat mit seinem lauten Hupen nicht Ihre Restaurantgäste gestört.“ Er legte eine Kunstpause ein und sah sich betont langsam um. „Oh, aber es sind ja gar keine Gäste da!“

„Natürlich nicht“, zischte Myrna ihn an. „Es ist früher Vormittag.“

„In Ihrer Kaschemme ist doch nie viel los“, gab ihr Nachbar zurück und ließ den Motor aufheulen. „Und wenn ich Ihrem kränkelnden Gewerbe durch meine Partys Sterbehilfe leisten kann, dann betrachten Sie es als Versprechen. In wenigen Wochen ist Ihr Laden pleite.“

Sprachlos starrte Myrna ihn an. Was für ein unverschämter Widerling! Ohne darüber nachzudenken, öffnete sie den Eierkarton in ihrer Hand.

Das Ei traf Adriano Grasso mitten ins Gesicht.

2. KAPITEL

Adriano war fassungslos. Er konnte nichts mehr erkennen. Wütend tastete er in seiner Hose nach einem Taschentuch. Als er sich endlich das Ei vom Gesicht gewischt hatte, sah er nur noch, wie die Frau, deren Namen er sich nicht merken konnte, in ihrem Restaurant verschwand. Was für eine Frechheit! Das würde ernsthafte Konsequenzen haben. Er würde sofort mit seinem Anwalt sprechen und … Adriano hielt inne. Wenn er sich so aufregte, erinnerte er sich selbst an seinen unbeherrschten Vater, und das wollte er auf keinen Fall.

Also zuckte er nur mit den Schultern und säuberte sich mit den Feuchttüchern aus dem Handschuhfach, so gut es ging, das Gesicht und sein Hemd. Dann startete er den Mercedes und fuhr weiter die schmale Straße entlang, die in die Küstenstraße mündete. Unvermittelt lief ihm eine Frau vors Auto. Adriano bremste stark ab und schüttelte verständnislos den Kopf. Diese Touristen!

Die Frau machte keinerlei Anstalten, zur Seite zu treten, sondern winkte ihm zu, sodass er anhalten musste.

„Guten Morgen“, rief sie ihm auf Englisch zu. „Ich habe eben zufällig Ihre Unterhaltung mit meiner verrückten Stiefschwester mitbekommen.“

Adriano betrachtete sie skeptisch. Diese Frau und seine zwar definitiv durchgeknallte, aber ausgesprochen hübsche Nachbarin sollten Schwestern sein? „Und?“

Sie strich sich durch ihr platinblond gefärbtes Haar. „Sie macht nicht nur Ihnen eine Menge Ärger.“ Noch immer stand sie mitten auf der Straße, sodass Adriano nicht an ihr vorbeifahren konnte. „Die haben ziemliche Hygieneprobleme, und es kann gut sein, dass denen der Schuppen in Kürze geschlossen wird.“

„Und?“ Adriano hatte keine allzu große Lust, sich über das Restaurant Gedanken zu machen.

„Ich möchte Ihnen einen Deal anbieten“, fuhr die Frau fort.

„Danke.“ Abwehrend hob Adriano eine Hand. „Aber ich bin nicht interessiert. Außerdem muss ich weiter, ich habe einen dringenden Termin.“

„Das heißt, Sie sind nicht daran interessiert, das Grundstück zu erwerben, auf dem sich jetzt noch das Restaurant befindet?“, fragte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren.

„Wieso, soll es denn verkauft werden?“ Adriano überlegte, dass es vielleicht gar keine schlechte Idee wäre, diese anstrengenden Nachbarn einfach aufzukaufen. Was konnte das kleine Grundstück mitsamt dem windschiefen Haus schon kosten?

„Es wird in Kürze auf den Markt kommen.“ Die Blonde zog eine Karte aus der Tasche und reichte sie ihm. „Ich bin Norma Park. Rufen Sie mich an, dann sprechen wir darüber.“

„Und was haben Sie für ein Interesse daran, dass ich das Grundstück kaufe?“ Adriano musterte die junge Frau skeptisch.

Sie setzte die Sonnenbrille auf. „Rein privat.“

„Und inwieweit haben Sie Einfluss auf das Geschäft hier?“ Adriano hatte die Rolle der Engländerin noch nicht ganz verstanden.

Sie wedelte mit der Visitenkarte, die sie noch immer in der Hand hielt, vor seiner Nase herum. „Ich bin einfach ein verantwortungsvoller Mensch. Nicht, dass noch jemand ernsthaft krank wird, nachdem er im Fabios gegessen hat.“

Die Frau übertrieb vermutlich ein wenig. Adriano hatte noch nie davon gehört, dass die Küche im Fabios fragwürdig war, allerdings lebte er auch noch nicht allzu lange auf Ischia. Und die Idee, das Grundstück zu kaufen und sich so der nervigen Nachbarn zu entledigen, gefiel ihm. Also nahm er die Karte und warf sie ins Handschuhfach. „Ich denke darüber nach.“

Ein paar Minuten später stellte er sein Cabrio an der Via Boccaccio ab, um zu Fuß über die Brücke zum Castello Aragonese zu laufen, wo die Pressekonferenz zur Präsentation des Weinkönigspaars der diesjährigen Saison stattfinden würde.

Er streckte sich und hielt sein Gesicht genüsslich in die Sonne. Es war erst halb zehn, und schon zeigte das Thermometer achtundzwanzig Grad. Adriano liebte die Wärme und jetzt, Ende August, kam er voll auf seine Kosten. Noch war es ruhig, die Touristen saßen vermutlich gerade in den Hotels und Pensionen am Frühstückstisch. Er sog den Duft nach Fisch und Algen ein, lauschte dem leisen Plätschern der Wellen, die gegen die Steine schlugen, und spürte die Hitze, die von den Steinplatten aufstieg, über die er lief. Der Himmel wetteiferte mit dem Meer um das tiefste Blau, und die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Die roten Blüten des Oleanders, der zwischen den Felsen am Ufer des Meeres wuchs, leuchteten in den blauen Himmel. Als er in den Tunnel trat, in dem der Weg über die Brücke endete, und der den einzigen Zugang zum Schloss hinauf darstellte, fröstelte er. Die dicken Steine hielten die Hitze ab. 

„Adriano!“

Er trat gerade wieder in die Sonne hinaus, als er seinen Namen hörte. Antonella Bianco eilte auf ihn zu. Sie trug so hohe High Heels, dass Adriano sich fragte, wie sie es geschafft hatte, über das Kopfsteinpflaster der Brücke zu laufen, ohne sich sämtliche Knochen zu brechen. Ihr enger Rock bedeckte nur das Nötigste und betonte ihre langen, schlanken Beine. Sie war geschickt geschminkt, sodass sie jünger wirkte, als sie mit ihren vierzig Jahren tatsächlich war. Sie saß in der Jury und auch im Organisationskomitee der Winzervereinigung, und Adriano hatte den Weinberg, der zu seinem Anwesen gehörte, an sie verpachtet. Vor einiger Zeit, kurz nach seinem Einzug, hatte er eine kurze Affäre mit ihr gehabt.

„Ich bin ja so aufgeregt“, rief Antonella und küsste gekünstelt seine Wangen. „Wir müssen hier entlang, die Presse und die übrigen Gäste kommen in zwei Stunden. Bis dahin müssen wir euch tipptopp fertig haben.“

„Wo findet die Krönungsfeier denn statt?“, fragte Adriano, während er Antonella die Stufen hinauf folgte. Er wusste, dass sie bei seiner Ernennung zum Winzerkönig ihre Finger mit im Spiel gehabt hatte, und war ihr dankbar dafür. Denn das verschaffte ihm endlich die Möglichkeit, es seinem Vater heimzuzahlen.

„Auf der Terrasse der Oliven.“ Antonella warf ihr langes rotes Haar kokett zurück. „Wir haben Räumlichkeiten für dich und deine Königin zum Umziehen und Schminken vorbereitet.“

Adriano nickte zufrieden und folgte ihr. Er hatte eine beträchtliche Geldsumme gespendet, um die anderen Jurymitglieder zu überzeugen. Seine Wahl zum Weinkönig würde ihn sicher in der Gunst der Einheimischen steigen lassen, was auch nötig war, denn in letzter Zeit hatte er ziemlich Ärger mit Anwohnern, die sich über den Lärm seiner Partys beschwerten. Zumindest hoffte er auf diesen Effekt, außer bei seiner besonders verrückten Nachbarin, die ihn gerade mit einem Ei beworfen hatte, bei der wollte er gar nicht in der Gunst steigen. In dem speziellen Fall wäre es wohl tatsächlich am besten, wenn er sie und ihren Vater über kurz oder lang loswürde. Vielleicht war der Gedanke gar nicht so falsch, das Grundstück mitsamt des kleinen Häuschens darauf zu kaufen. Adriano nahm sich vor, diese Norma Park heute Abend anzurufen.

Er blieb stehen. Adriano kannte das Castello Aragonese aus seiner Kindheit, damals hatte er bei den Urlauben mit seinen Eltern diesen Ort mehrmals besucht. Aber seit er auf die Insel gezogen war, hatte er noch keine Zeit gehabt, hierherzukommen. Die Woche über war er meist in seiner Stadtvilla in Rom. Dort war er aufgewachsen, und dort befand sich auch der Hauptsitz seiner Firma. Die Wochenenden verbrachte er zwar meist auf Ischia, war dann aber mit seinen Partys und Freunden beschäftigt. Jetzt trat er an die niedrige Mauer aus hellem Stein und ließ seinen Blick über die Insel gleiten, die sich unter ihm ausbreitete. Die bunten Häuser an der Küste hoben sich von dem tiefen Blau des Himmels ab, das mit dem Türkisblau der See zu verschmelzen schien. Kleine Boote dümpelten im niedrigen Wasser, ein paar frühe Badegäste waren über die Steine ins Meer gewatet und plantschten in den lauen Wellen.

Antonella führte ihn durch die kleinen Ruinen und Innenhöfe des Castellos, die mit Palmen, Agaven und anderen exotischen Pflanzen geschmückt waren. Durch runde Torbögen und steile Treppen gelangten sie immer weiter hinauf. Adriano nahm sich die Zeit, die Aussicht zu genießen und in die offenen Räume zu schauen, in denen alte Statuen und archäologische Funde zu bestaunen waren, aber auch moderne Kunstwerke ausgestellt wurden.

Irgendwann öffnete Antonella eine der alten Holztüren und ließ ihm den Vortritt in einen langen, weiß gestrichenen Flur. Der Gang war schmucklos, doch die Aussicht aus den Fenstern, die sich an der linken Seite befanden, wirklich grandios. Er konnte einen Teil der Insel sehen, aber auch weit hinaus aufs Meer blicken, wo gerade ein atemberaubend schnelles Motorboot das Wasser aufwühlte. Es roch sakral, nach Kerzenwachs und einer Spur von Weihrauch.

„Hier haben wir dir deine Garderobe eingerichtet.“ Antonella deutete auf eine Tür an der rechten Seite.

Adriano betrat einen kleinen Raum, in dem ein Schminktisch aufgebaut worden war. Der Schneider, der seinen Anzug angefertigt hatte, lächelte ihm zu. Auf dem Stuhl vor dem Tisch saß eine Kosmetikerin, die aufstand, als sie Adriano eintreten sah.

„Dann überlasse ich dich jetzt mal den Experten.“ Antonella strich Adriano leicht über die Oberarme, die nur von einem T-Shirt bedeckt wurden, und zwinkerte ihm zu. „Obwohl sie nichts an deinem Aussehen verbessern können, du bist sowieso der attraktivste Mann der Insel.“ Sie fuhr sich lasziv mit der Zunge über die Lippen. Dann trat sie in den Flur hinaus und drehte sich noch einmal um. „Wenn du fertig bist, komm bitte in den Raum geradeaus am Kopf des Ganges. Dort lernst du deine Weinkönigin kennen, mit der du die nächsten Wochen eng zusammenarbeiten wirst. Aber nicht zu eng!“ Sie erhob lachend einen Zeigefinger und schloss dann die Tür hinter sich.

Adriano ließ sich vom Schneider in seinen Anzug helfen und von der Stylistin, die sich als Isabella vorstellte, die Haare noch einmal kämmen. Als sie ihm Puder auftragen wollte, hob er abwehrend die Hand. „Bitte nicht.“

„Na schön, Sie haben auch ohne Make-up einen wunderbaren Teint“, erklärte sie. „Aber wenn Sie in der Sonne schwitzen, muss ich Sie ein bisschen abpudern, damit Sie auf den Bildern nicht glänzen.“

„Jaja.“ Adriano stand auf. „Aber es braucht schon ein bisschen mehr, damit ich ins Schwitzen gerate. Die Sonne macht mir nichts aus.“

„Na dann“, Isabella packte ihre Utensilien zusammen, „wünsche ich Ihnen viel Freude auf Ihrer Krönungsfeier. Ich bin in der Nähe, falls Sie mich brauchen.“

Er bedankte sich und ging hinaus. Als er in den hinteren Raum kam, wurde er von einer Traube Menschen empfangen, die Antonella ihm als Mitglieder der Jury vorstellte. Er unterhielt sich eine Weile mit ihnen und trat dann ans Fenster.

Während er seinen Blick über das tiefblaue Meer wandern ließ, das sich unter ihnen erstreckte, wünschte er sich, am nächsten Morgen im Haus seiner Eltern in Venedig Mäuschen spielen zu können. Zu gern hätte er den Gesichtsausdruck seines Vaters gesehen, wenn er aus den sozialen Netzwerken, dem Internet oder der Zeitung erfuhr, dass Adriano Grasso neuer Weinkönig der Phlegräischen Inseln geworden war. Adriano, sein Sohn, den er hartherzig aus seinem Leben verbannt hatte.

Adriano stützte sich mit den Händen auf der Fensterbank ab und lächelte zufrieden. Ja, er hatte es allen gezeigt! Besonders seinem Halbbruder, der hinter Adrianos Verbannung aus der Familie steckte. Mario war immer schon missgünstig und hinterhältig gewesen. Adriano hatte nie verstanden, warum. Schließlich hatte ihr Vater Mario nie anders behandelt als seine anderen Kinder, auch wenn er nicht offiziell sein Sohn war, sondern das Ergebnis eines One-Night-Stands – während seine Frau mit Adriano in den Wehen gelegen hatte.

Adriano hätte eigentlich zufrieden sein können mit dem, was er erreicht hatte, und doch fühlte er sich getrieben, weiterzumachen, noch mehr Profite einzustreichen, noch größere Partys zu geben und sich mit noch schöneren Frauen zu umgeben. Dabei achtete er immer darauf, keine von ihnen zu nah an sich heranzulassen. Er hielt sich streng an seinen Grundsatz, nie öfter als zwei Mal mit derselben zu schlafen. Dadurch geriet er gar nicht erst in die Gefahr, sich versehentlich zu sehr an eine Frau zu binden. Denn das sollte ihm nie wieder passieren.

Aufgeregte Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken. „Da ist sie ja!“

Er setzte sein gewinnendes Lächeln auf und drehte sich um, gespannt, mit wem er die nächsten Wochen hauptsächlich verbringen würde. Langsam bahnte Adriano sich einen Weg durch die Jurymitglieder und Organisatoren der Winzervereinigung, die sich jetzt alle zur Tür gewandt hatten. Mit seinen eins neunzig war er größer als alle anderen hier und konnte leicht über die Köpfe hinwegblicken. Als er die Mitte des Raumes erreicht hatte, fiel sein Blick auf seine Weinkönigin. Einen Moment raubte ihre Schönheit ihm den Atem. Etwas an ihr kam ihm vage bekannt vor. Sie war klein, höchstens eins sechzig groß, mit langem, dunkelbraunem Haar, das rötlich schimmerte. Ihre Augen waren von einem strahlenden Blau und wurden von langen, natürlichen Wimpern betont. Die hohen Wangenknochen gaben ihr eine beinahe majestätische Schönheit, und die vollen Lippen schimmerten seidig und verführerisch. Wow! Er hatte schon viele schöne Frauen gesehen, aber diese hier war außergewöhnlich. Sie schien aus sich selbst heraus zu strahlen.

Alle Blicke waren auf sie gerichtet, als sie sich die Haare hinters Ohr strich. Adriano verfolgte fasziniert jede ihrer Bewegungen. Seine Königin strahlte eine solch natürliche Eleganz aus, dass Adriano einen Moment lang vergaß zu atmen. Sie trug ein enganliegendes schimmerndes Kleid aus beiger Seide, dessen leicht ausgestellter Rock eine Handbreit über den Knien endete und ihre schlanken, wohlgeformten Beine betonte.

„Darf ich Ihnen Ihren Weinkönig vorstellen?“ Antonella trat neben die junge Frau und wirkte neben deren natürlicher Schönheit mit all ihrem Make-up übertrieben künstlich. „Das ist Adriano Grasso.“

Antonella deutete auf Adriano. Dann auf die Königin. „Und das hier ist Myrna Summerby.“

Die Weinkönigin sah ihn an, und im nächsten Moment weiteten sich ihre Augen erschrocken. In diesem Augenblick begriff auch Adriano. Sein Lächeln gefror.

Er hatte sie nicht erkannt, sie wirkte so verändert und anders. Gerade eben hatte sie ihm noch ein Ei ins Gesicht geworfen. Und jetzt stand sie hier vor ihm. Wie war das möglich? Ausgerechnet seine nervige Nachbarin, die Furie von nebenan, war seine Weinkönigin? Niemals würde er mit ihr die nächsten Wochen überstehen.

„Das ist mein Weinkönig?“, fragte Myrna entsetzt.

„Ja?“ Antonella klang irritiert.

„Das geht nicht.“ Myrna stemmte die Hände in ihre schlanke Taille und streckte die Brust raus. Adriano konnte nicht anders als auf ihre vollen Brüste zu starren, deren Ansatz der tiefe Ausschnitt entblößte. „Dieser Kerl ist mein Feind.“

Adriano musste unwillkürlich lachen. „Übertreiben Sie doch nicht so. Wir sind keine Feinde, auch wenn Sie mich mit Eiern bewerfen.“

Myrna machte eine wegwischende Handbewegung und wandte sich an Antonella. „Ich brauche einen anderen Weinkönig. Dieser hier geht gar nicht.“

„Ich … äh … das …“, stotterte Antonella und sah sich hilfesuchend zu ihren Jury-Kollegen um.

„Und ich erhebe ebenfalls Einspruch“, erklärte Adriano. „Mit dieser Furie kann ich unmöglich zusammenarbeiten.“

Antonella räusperte sich. Plötzlich war es im Raum so still, dass man das Zirpen der Grillen und Zwitschern der Vögel deutlich hören konnte, das von draußen hereindrang.

„Also, ich befürchte … wir können da jetzt nichts mehr ändern“, begann Antonella und blickte hektisch zwischen Adriano und Myrna hin und her.

„Mit diesem Angeber und rücksichtslosen Egoisten werde ich keinen einzigen Auftritt absolvieren.“ Seine Nachbarin drehte sich im Kreis und bedachte jeden der Anwesenden mit einem feurigen Blick. „Sie müssen mir einen anderen König besorgen.“

„Unsinn.“ Adriano schüttelte den Kopf. „Findet eine andere Weinkönigin.“ Lächelnd wandte er sich an Antonella. „Warum springst du nicht ein?“

„Nun, das geht nicht.“ Antonella spielte nervös mit ihrer Kette. „Ich war bereits vor zehn Jahren Weinkönigin, und eine Regel besagt, dass ich kein zweites Mal gewählt werden darf.“

„Außerdem müssen sowohl die Weinkönigin als auch der Weinkönig vom Komitee ernannt werden“, mischte sich ein Jurykollege ein, ein weißhaariger Mann mit grauem Vollbart. „Wir haben Sie beide gewählt, und das bedeutet, dass auch nur Sie gemeinsam als Königin und König gekrönt werden können.“

Das war furchtbar! Dieser Tag hatte einer der schönsten ihres Lebens werden sollen und stattdessen war er zum Albtraum geworden. Von allen Männern Italiens hatte Myrna ausgerechnet diesen Partylöwen als Weinkönig vorgesetzt bekommen. Wie konnte sie nur so ein Pech haben? Niemals würde sie an seiner Seite die Weinsaison überstehen.

Er kam noch einen Schritt näher und baute sich vor ihr auf. Waren Italiener nicht eigentlich immer winzig klein? Seine rechte Hand hatte er lässig in die Hosentasche geschoben, die oberen drei Knöpfe seines Hemdes standen offen und entblößten feine, dunkle Brusthärchen. Myrna wurde plötzlich heiß, obwohl sie nur ein dünnes Kleid trug. Wie diese Härchen sich wohl anfühlten? Unwillkürlich schüttelte Myrna den Kopf. Vor ihr stand ihr Feind – der Mann, der die Gesundheit ihres Vater bedrohte, ja der ihre gesamte Existenz in Gefahr brachte mit seinen exzessiven Partys, die irgendwann die Restaurantgäste vertreiben würden. An diesen Typen würde sie auf keinen Fall erotische Gedanken verschwenden. Überhaupt war es vollkommen unangemessen, solche Gedanken zu haben.

Ob sie diese Begierde von ihrer Mutter geerbt hatte, die sich auf Partys mehr als einmal in schamlosester Weise hatte gehen lassen? Wie auch immer, es war inakzeptabel, ausgerechnet auf diesen Adriano Grasso so zu reagieren. Sie würde sich solche Gedanken verbieten. Als sein Blick eben ein wenig zu lange auf ihren Brüsten geruht hatte, hatte es in ihr zu kribbeln begonnen. Natürlich war von ihm nichts anderes zu erwarten gewesen. Myrna wollte gar nicht wissen, wie es auf seinen Partys zuging.

„Was machen wir denn jetzt?“, hörte sie ihn fragen.

Antonella zuckte hilflos mit den Schultern. „Ihr müsst wohl oder übel da durch.“

„Sie müssen ja auch nicht heiraten“, fügte das weißhaarige Jurymitglied hinzu und lachte. „Es geht schließlich nur um die Weinsaison, und bei aller Antipathie, die Sie füreinander empfinden, müssen doch selbst Sie einsehen, dass wir eine so hübsche Weinkönigin und einen so attraktiven König nicht so schnell noch mal bekommen. In diesem Jahr ist uns wirklich ein besonders schönes Paar gelungen.“

Adriano stieß ein abfälliges Lachen aus. „Wir haben also keine Wahl?“

„So sieht es aus“, erklärte der Mann. „Und ich will ja nicht drängen, aber draußen warten ungefähr zwei Dutzend Journalisten. Auch die überregionale Presse ist erschienen und Vertreter sämtlicher großer europäischer Weinmagazine.“

„Also? Können wir?“, fragte Antonella nun etwas ungeduldig.

Adriano zuckte mit den Schultern. „Mir scheint, es bleibt uns keine große Wahl.“

„Myrna?“ Antonella warf ihr einen strengen Blick zu.

Myrna starrte Adriano finster an. Sie hatte überhaupt keine Lust, sich ihre Zeit als Weinkönigin durch diesen Playboy vermiesen zu lassen. Aber es blieb anscheinend kein Ausweg. So wie es sich anhörte, war die Wahl verbindlich, und es konnte nicht so einfach ein Ersatz gefunden werden. Außerdem war sie sich nicht sicher, ob man nicht eher sie ersetzen würde, wenn sie weiterhin darauf bestand, einen anderen Partner zu bekommen. Und sie wollte auf keinen Fall ihren Vater enttäuschen, für den sie das hier hauptsächlich tat. Er war so stolz auf sie, das durfte sie nicht aufs Spiel setzen. Außerdem war die Publicity, die sie im Zusammenhang mit ihrer Regentschaft erhalten würde, wichtig für ihre kleine Trattoria. Vielleicht war das sogar die letzte Hoffnung, denn einen weiteren Kredit würden sie von ihrer Bank bestimmt nicht mehr bekommen. Das Restaurant musste endlich wieder laufen, und diese Werbung war unverzichtbar. Myrna würde wohl oder übel die Zeit mit Signor Grasso durchstehen müssen, so schrecklich diese Vorstellung auch war.

„Wenn es unbedingt sein muss.“ Noch einmal funkelte sie ihn böse an, dann ergriff sie widerwillig seinen Arm, den er ihr in einer galanten Geste anbot.

Die Menschen im Raum wichen zur Seite. Eine Terrassentür am Ende des Zimmers wurde geöffnet, und Adriano Grasso führte sie hinaus. Myrna nahm den Duft seines Rasierwassers wahr, es roch nach Meeresbrise und Moschus. Der Stoff seines Anzugs fühlte sich hochwertig an, darunter konnte sie den muskulösen Arm ertasten.

Aus dem kühlen Zimmer traten sie auf eine sonnenbeschienene Terrasse. Ein paar Stufen unter ihnen erstreckte sich der Olivenbaumgarten. Im Schatten der Bäume standen dichtgedrängt Menschen, die ihnen jetzt laut applaudierten. In den ersten Reihen klickten Kameras, Blitzlichter zuckten auf.

Myrna lächelte in die Objektive und hielt Ausschau nach ihrem Vater. Er stand am Rand des Gartens, und seine stolze Miene ließ Myrna nur umso mehr strahlen. Offenbar erkannte er nicht, wer der Mann an ihrer Seite war. Aber in diesem Moment hatte auch sie ihren Ärger über die unschöne Überraschung beinahe vergessen. Jemand reichte ihnen Weingläser, mit denen sie nun vor den Kameras posierten.

Dann ergriff der weißhaarige Italiener das Wort. Er stellte sich als Antonio Greco und Vorsitzender der hiesigen Winzervereinigung vor, hielt eine kurze Rede, mit der er die diesjährige Weinsaison eröffnete und präsentierte Adriano Grasso und Myrna den Zuschauern. Anschließend erhielten die Fotografen Gelegenheit, weitere Bilder vom Weinkönigspaar zu schießen, während den übrigen Gästen eine feine Auswahl diverser Weine kredenzt wurde.

„Signor Grasso, Signora Summerby.“ Einer der Fotografen winkte sie zu sich und deutete auf eine in die Schlossmauer eingelassene Steinbank. „Würden Sie sich bitte hier postieren? Dann können wir Sie und das Panorama ablichten.“

Sie kamen seinem Wunsch nach und stellten sich dicht an die Mauer. Die Aussicht war wirklich grandios, das musste Myrna zugeben.

„Bitte, legen Sie den Arm um sie“, rief einer der Fotografen Adriano zu.

Myrna unterdrückte ein Seufzen. Sie war nicht gerade erpicht darauf, diesem Playboy zu nahe zu kommen.

„Ist das okay?“, fragte er sie leise. Myrna schaute erstaunt zu ihm hoch und nickte.

Das hatte sie ihm nicht zugetraut. Sie hätte gedacht, dass er sie ohne zu zögern berühren würde, so wie sie es von den Draufgängern auf den Partys ihrer Eltern kannte.

Beinahe zaghaft legte Adriano einen Arm um Myrna, und da er so groß war, versank sie beinahe unter seinem Jackett.

„Können Sie das Sakko ausziehen?“, schlug auch gleich eine Fotografin vor, und Signor Grasso kam ihrem Wunsch nach.

Als er sie kurz darauf wieder in seine Arme zog, nahm sie seinen erfrischenden Duft nach Meer noch deutlicher wahr. Ihre Wange ruhte an seiner Brust, und sie konnte seinen Herzschlag hören. Wie viel Zeit er wohl im Fitnessstudio verbrachte, um solche Muskeln zu bekommen?

„Sorry, Leute“, rief jetzt ein kleiner Mann, der in legeren Jeans steckte und im Unterschied zu seinen Kollegen kein weißes Hemd trug, sondern nur ein Achselshirt. „Wir brauchen ein bisschen mehr Feuer, Sexappeal. Myrna, Darling, können Sie nicht Ihre andere Hand auf seinen Oberkörper legen?“

Myrna schluckte, nahm dann aber ihre rechte Hand und legte sie kurz unter den dritten offenen Hemdknopf. Himmel, wie fest sich sein Körper anfühlte.

„Doch nicht so steif“, rief der Fotograf. „Wir brauchen für die Fotos ein bisschen Atmosphäre. Sie sind ein Paar, zeigen Sie uns das.“

„Pah“, stieß Myrna aus „Ja, und Sie sind ein Fotograf. Machen Sie also einfach Ihren Job.“

Sie hörte, wie Adriano leise in sich hineinlachte. „Wie schön, dass Ihr feuriges Temperament zur Abwechslung mal jemand anderen trifft und nicht mich.“

„Freuen Sie sich nicht zu früh.“ Myrna sah ihn unter hochgezogenen Augenbrauen an. „Mit Ihnen bin ich noch nicht fertig.“

Er grinste. „Das hatte ich schon befürchtet. Aber Sie haben ja jetzt alle Zeit der Welt, mir Ihre Eier an den Kopf zu werfen.“

Myrna musste gegen ihren Willen lachen.

„Hey“, rief der kleine Fotograf wieder. „Wir sind nicht hier, um Konversation zu betreiben. Wir brauchen ein paar Bilder, die morgen ganz Italien zu sehen bekommt. Also los, ich will den Funken sehen, der da zwischen Ihnen überspringt.“

Na schön, dachte Myrna. Sexappeal konnte der Typ haben. Sie entspannte sich und schmiegte sich dann umso enger an Signor Grasso. Sie ließ ihre Hand in sein Hemd gleiten, und ihr entfuhr tatsächlich ein leiser, sinnlicher Seufzer, als sie die feine Brustbehaarung an ihrer Haut spürte. Sie schaute zu ihm auf, die Lippen lustvoll geöffnet, und die Leidenschaft, die er in seinen Blick hineingelegt hatte, raubte ihr einen Moment lang den Atem.

„Ja, das ist es“, rief der Fotograf begeistert. „Mehr davon.“

Myrna ließ ihre Hand ein wenig tiefer in Signor Grassos Hemd gleiten, zwischen ihren Schenkeln breitete sich ein Feuer aus, und sie musste sich zusammenreißen, um sich nicht noch enger an ihn zu schmiegen. Auf Höhe ihres Bauches spürte sie eine verräterische Härte, aber vielleicht trug er auch nur seine Autoschlüssel in den Hosentaschen.

„Danke, das reicht erst mal“, rief der Fotograf, bevor sie der Sache weiter nachspüren konnte. „Ich habe meine Bilder im Kasten.“

Widerwillig löste Myrna sich von ihrem muskulösen Weinkönig.

„Bitte, nehmen Sie jetzt auf der Steinbank Platz“, rief eine dunkelhaarige Fotografin mit dicker Schildpattbrille. „Sie setzen sich am besten hin, Signore, und Sie nehmen vielleicht auf seinem Schoß Platz? Kann uns jemand Weingläser bringen?“

Während irgendjemand davoneilte, um die Gläser zu holen, nahm Adriano Grasso Platz. Er warf Myrna ein fast scheues Lächeln zu, das sie wieder einmal irritierte. Sie hatte ihn sich viel selbstsicherer und rücksichtsloser im Umgang mit Frauen vorgestellt. Allerdings musste sie zugeben, dass ihre Erfahrungen mit Männern sich hauptsächlich auf das Beobachten der Draufgänger auf den widerlichen Partys ihrer Mutter und ihres Stiefvaters beschränkten.

„Okay“, sagte Myrna leise. „Dann setze ich mich mal.“

„Gerne.“ Er zwinkerte ihr zu, und sie stöhnte laut auf. Er war wirklich der typische Macho, der meinte, jede Frau herumkriegen zu können. Myrna würde auf keinen Fall seinem Sexappeal erliegen!

„Der Wein ist da“, rief jetzt jemand aus der Menge. „Wenn wir dann weitermachen können?“

Myrna ließ sich auf seinen Schoß sinken, und sofort loderte die Hitze zwischen ihren Schenkeln wieder auf, stärker denn je. Verärgert stieß sie die Luft aus. So was kannte sie überhaupt nicht von sich. Was war nur mit ihr passiert? Sie konnte doch unmöglich so auf den Mann reagieren, der ihre Existenz bedrohte und – noch schlimmer – das Leben ihres Vaters. Wo kamen überhaupt diese starken sexuellen Empfindungen plötzlich her? Sie hatte sich doch sonst immer unter Kontrolle.

„Allerdings erwarte ich noch eine Entschuldigung“, erklärte Signor Grasso in diesem Moment.

„Wofür?“ Myrna zog die Augenbrauen zusammen.

Eine junge Frau trat zu ihnen und reichte ihnen zwei Weingläser.

„Sie haben mich mit einem Ei beworfen“, erklärte Adriano Grasso, während er sein Glas entgegennahm.

„Das hatten Sie auch verdient.“ Wieder kochte Wut in Myrna hoch. „Sie und Ihre Besucher sind rücksichtslos und nervtötend.“

Er stieß ein sarkastisches Lachen aus. „Das sind exakt die Worte, mit denen ich Sie beschreiben würde.“

„Sind Sie so weit?“, fragte eine Fotografin.

„Nein“, fauchte Myrna und stand auf.

„Sie sind also nicht bereit, sich bei mir zu entschuldigen?“

„Niemals!“

„Was ist denn los?“ Antonella trat zu ihnen.

„Dieser … ich kann mit ihm nicht arbeiten“, stieß Myrna hervor.

„Und ich nicht mit ihr!“, rief Signor Grasso. „Antonella, du musst dich entscheiden: Entweder sie oder ich!“

3. KAPITEL

Adriano warf einen letzten Blick in den Rückspiegel, bevor er den Wagen startete. Er atmete tief durch. Gleich wollte Signor Greco ihnen die Entscheidung mitteilen, wie es weitergehen sollte.

Am Vortag hatten Signor Greco und die anderen Jurymitglieder mit Engelszungen auf ihn und Myrna eingeredet, dass sie die Veranstaltung einigermaßen würdevoll zu einem Ende führten. Also hatten sie sich zähneknirschend zusammengerissen und den Rest des Tages irgendwie überstanden. Allerdings hatte er später, nachdem er endlich vom Galadinner zurückgekehrt war, ernsthaft darüber nachgedacht, von seinem Amt als Weinkönig zurückzutreten. Nur der Gedanke an seinen Vater hielt ihn davon ab. Die Genugtuung, die Adriano empfand, wenn er daran dachte, wie sein Vater heute erfahren würde, dass ihm, Adriano, diese Ehre zuteilgeworden war, ließ ihn auch eine Myrna Summerby ertragen. Aber vielleicht hatte die mittlerweile ohnehin aufgegeben, und er würde gleich erfahren, dass er eine andere Weinkönigin bekam.

Adriano drückte den Knopf seiner Fernbedienung, und das große Tor seines Anwesens öffnete sich beinahe lautlos, sodass er hindurchfahren konnte. Er warf einen Blick auf Myrnas Restaurant. Es lag noch verschlafen da. Die grünen Fensterläden waren geschlossen. Das war ein gutes Zeichen. Er schien also mit seiner Vermutung recht zu haben, dass sie ihr Amt als Weinkönigin aufgegeben hatte. Vermutlich lag Myrna noch im Bett.

Obwohl sie, das musste er zugeben, eine entzückende Weinkönigin abgab. So verrückt sie auch war, irgendetwas faszinierte ihn an ihr. Sie versprühte ein Feuer, das ihn elektrisierte. Zugleich war sie aber auch nervtötend und unberechenbar. Wenn ihr etwas nicht passte, konnte sie sofort aufbrausen. Tatsächlich hatte er das ganz unterhaltsam gefunden. Langweilig wurde es mit diesem Energiebündel jedenfalls nicht. Aber er war trotzdem erleichtert, dass sie vermutlich das Handtuch geworfen hatte.

Fast tat es ihm ein bisschen leid, dass er ihr mit dem Kauf des Grundstücks neuen Ärger machen würde. Er hatte gestern noch mit Norma Park gesprochen, ihr erklärt, dass er Interesse daran hätte, den Besitz seiner Nachbarn zu erwerben, und auf besonderen Wunsch eine Absichtserklärung aufgesetzt und an sie geschickt. Damit wollte Miss Park bei der Stadt für ihn werben. Anscheinend hatte sie Einfluss bei den wichtigen Entscheidungsträgern und war sich sicher, dass die Tage des kleinen Lokals ohnehin gezählt waren. Als Dank würde Adriano ihr eine kleine Provision zahlen.

Heute stand ein Picknick mit Sponsoren im Weinberg der Nachbarinsel Capri an. Ob sie schon einen Ersatz für Myrna gefunden hatten? Oder würde er den Termin allein absolvieren? Nachdem er den Wagen abgestellt hatte, machte er sich auf den Weg zum Hafen von Sant’Angelo.

Jetzt, um zehn Uhr morgens, war es noch ruhig, erste Ausflügler liefen verstreut auf den schmalen Straßen herum, die Händler öffneten gerade ihre Stände, an denen es von bunten Zuckerwaren über Strandspielzeug, Kunstgewerbe und Sonnenhüte bis hin zu Ledertaschen und Popcorn alles zu kaufen gab, was das Urlauberherz begehrte. Das Meer, das sich rechts neben Adriano erstreckte, schimmerte azurblau, auf seiner Oberfläche glitzerte die Sonne. Links wurden die Türen der Läden geöffnet, die in den Felsen hineingebaut worden waren. Roter Oleander blühte zwischen der Uferpromenade und den Felsen, die zum Meer hinabfielen.

Als er die Piazzetta di Sant’Angelo erreichte, erkannte er wenige Meter vor sich Myrna, die sich suchend umsah. Er stöhnte laut auf. Verdammt, sie war also doch gekommen.

„Signora Summerby!“, rief er und beschleunigte seinen Schritt.

Sie blieb stehen und sah sich um. „Ach, Sie.“

„Ihnen auch einen wunderschönen guten Morgen.“

„Jaja, guten Morgen.“ Sie trug einfache Shorts, die ihre Beine betonten und nur knapp den wohlgerundeten Po bedeckten. Er fragte sich, wie knackig sich die verführerischen Rundungen wohl anfühlen mochten.

Schnell schüttelte er den Gedanken ab. „Ich hätte nicht gedacht, Sie heute hier zu sehen.“

Sie zog die Augenbrauen zusammen und warf ihr dickes, braunrotes Haar zurück. „Und wieso nicht?“

Adriano zuckte mit den Schultern. „Wir beide harmonieren nicht sonderlich gut.“

„Und Sie meinen, ich würde einfach aufgeben?“ Sie setzte ihren Weg mit entschlossenen Schritten fort.

„Nun, ich habe Antonella gestern schließlich ein Ultimatum gesetzt. Sie oder ich“, erklärte Adriano, während er sich beeilte, mit ihr Schritt zu halten.

„Ja, und ich habe keine Angst vor der Entscheidung des Komitees“, rief sie ihm über die Schulter hinweg zu.

Sie schlängelten sich zwischen den Restauranttischen hindurch, die auf der Piazzetta standen und an denen jetzt vereinzelte Frühstücksgäste bei Orangensaft und Croissants saßen. Die hellen Sonnenschirme flatterten im Seewind.

„Da seid ihr ja!“ Antonella stand an der Anlegestelle der Wassertaxis und winkte ihnen zu. „Ausgeschlafen?“ Sie taxierte Adriano mit einem langen, verführerischen Augenklimpern, während sie Myrna nur flüchtig zunickte.

„Ich habe gut geschlafen. Und du? Hast du über mein Ultimatum nachgedacht?“

„Ach, Adriano.“ Antonella seufzte. „Jetzt spring schon über deinen Schatten. Ihr zwei seid ein wunderschönes Paar, und wir haben nicht vor, einen von euch auszutauschen.“

Einen Moment lang überlegte Adriano, was er jetzt tun sollte. Natürlich hatte er gestern überreagiert, das war ihm inzwischen auch klar. Aber es störte ihn, dass Antonella seine Drohung nicht ernst nahm.

„Versucht es heute noch einmal, okay?“, beschwor sie ihn. „Und wenn es wirklich nicht funktioniert und ihr euch immer noch die Köpfe einschlagen wollt, dann müssen wir heute Abend eben eine Entscheidung treffen.“

Adriano atmete tief durch. Er dachte an seinen Vater, der in diesem Moment vielleicht gerade die Zeitung aufschlug. „Meinetwegen.“

Erleichtert lächelnd wandte Antonella sich an Myrna. „Ist das auch für dich in Ordnung?“ Weil sie auch Adriano duzte, war es ihr Vorschlag gewesen, auf das formelle Sie zu verzichten.

„Hm“, brummte Myrna skeptisch. „Aber nur zur Probe.“

„Wunderbar“, rief Antonella. „Wir versuchen es heute noch mal.“ Sie sah von einem zum anderen, dann deutete sie auf das Wassertaxi, das bereits am Steg wartete. „Die anderen sind schon drüben und bereiten alles vor. Wenn ihr so weit seid, können wir los.“

„Von mir aus“, erklärte Adriano. Er würde sich von seiner übellaunigen Nachbarin den Tag nicht verderben lassen. Außerdem war er ziemlich sicher, dass er gewinnen würde, wenn es zu einer Entscheidung kommen sollte. Aber was, wenn nicht? Das durfte auf keinen Fall passieren. Denn wenn sein Vater erfahren würde, dass Adriano ausgetauscht worden war, wäre dieser ganze Rachefeldzug umsonst gewesen. Noch schlimmer, er wäre dann vollkommen bloßgestellt.

Alle drei kletterten in das kleine Motorboot, das extra für sie gemietet worden war. Der Fahrer holte das Seil ein, mit dem er das Wassertaxi am Ufer vertäut hatte, und startete den Motor.

Adriano streckte seine Beine aus, die in einer knielangen Shorts steckten, und blinzelte in die Sonne. Eine Zeit lang genoss er das Gefühl der Wärme auf seiner Haut, den Anblick des türkisfarbenen Wassers, des tiefblauen Himmels und der grünen Insel, von der sie sich immer weiter entfernten. Dann wanderten seine Augen wie von selbst zu seiner Weinkönigin, die schräg gegenüber von ihm Platz genommen hatte. Ihr Haar flatterte im Wind, die langen Wimpern warfen Schatten auf ihre Wangen. Das dünne Shirt schmiegte sich eng an ihren Oberkörper, und Adriano musste zugeben, dass sie eine Augenweide war. Er hätte sie den ganzen Tag betrachten können. Aber er wusste, wie gefährlich es war, wenn eine Frau zu attraktiv war.

So hatte es damals auch mit Ana begonnen. Er sollte also lieber auf der Hut sein. Frauen wie Myrna Summerby waren gefährlich, weil sie ihre Schönheit schnell für hinterhältige Intrigen einsetzen konnten. Aber Adriano hatte seine Lektion gelernt.

Myrna schien seinen Blick zu spüren, denn sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Einen Moment lang musterten sie einander, und wider Erwarten stieg ein warmes Gefühl in Adriano auf, das er sich nicht erklären konnte. Er hatte schon oft intensiven Blickkontakt mit schönen Frauen gehabt, ohne dass es einen solchen Aufruhr in seinem Inneren entfacht hatte. Wieder dachte er an Ana und rief sich in Erinnerung, dass sich so etwas nie wiederholen durfte. Aber vermutlich war es Myrnas Kratzbürstigkeit, gepaart mit ihrer ausgesprochenen Attraktivität, die ihn so erregte.

„Ist Ihr Restaurant während der Weinsaison geschlossen?“, fragte er, ohne seinen Blick von ihr zu lösen.

„Natürlich nicht. Ich bin nicht so reich wie Sie, dass ich mir das leisten könnte. Sie müssen ja höchstens auf ein paar Ihrer ausschweifenden Sex-Partys verzichten.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Sex-Partys?“ Er lachte. „Sie haben eine blühende Fantasie. Was glauben Sie denn, was auf meinen Feiern los ist?“

Sie zuckte mit ihren zarten Schultern. „Das will ich mir lieber gar nicht genau vorstellen.“

Er wechselte das Thema. „Wer kümmert sich denn um das Fabios, während Sie die ganze Zeit als Weinkönigin unterwegs sind?“

Sie schirmte mit einer Hand die Sonne von ihren Augen ab und ließ den Blick aufs Meer hinaus wandern. Ihm fielen ihre langen, eleganten Finger auf. „Papà kümmert sich darum.“

Überrascht hob er die Brauen. „Ich dachte, Ihr Vater arbeitet im Weinberg, und Sie sind die Restaurantbetreiberin.“ Er hatte Fabio Russo jedenfalls immer im Weinberg gesehen und war davon ausgegangen, dass er mit dem Lokal nichts zu tun hatte.

Myrna schnalzte abfällig mit der Zunge. „Papà hat die Trattoria über zwanzig Jahre allein betrieben. Ich bin erst vor sechs Jahren hergekommen, als ich endlich volljährig war.“

Das überraschte ihn. Zwar hatte er sich über ihren englischen Namen gewundert, war aber davon ausgegangen, dass sie schon immer auf der Insel gelebt hatte. Schimpfen konnte sie auf jeden Fall wie eine Vollblut-Italienerin.

„Ich bin in England aufgewachsen“, erklärte sie, bevor er nachfragen konnte. „Meine Mutter ist Engländerin, aber ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Fragen Sie mich also nicht nach ihr.“ Sie warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Werde ich nicht“, versprach er ernst. „Ich kenne das. Ich habe auch seit acht Jahren keinen Kontakt mehr zu meiner Familie.“

Sie musterte ihn nachdenklich. „Sie? Das glaube ich nicht! Kommen Sie, Sie haben doch sicher das Geld von Ihrer Familie geerbt, oder nicht? Sie sind noch nicht in dem Alter, in dem Sie sich einen so großen Reichtum erarbeitet haben können.“

„Ich muss Sie enttäuschen.“ Er bemühte sich um einen unbekümmerten Ton, obwohl ihn das alles noch immer sehr verletzte. „Ich bin von meinem Vater enterbt worden und habe nicht einen Cent von meiner Familie bekommen. Alles, was ich besitze, ist hieraus entstanden.“ Er hielt seine Hände hoch.

Sie runzelte die Stirn. „Und womit haben Sie das erwirtschaftet? Ich hoffe, Sie sind kein Drogenboss oder Zuhälter oder so.“

„Sie denken aber auch immer gleich das Schlimmste.“ Er stieß ein sarkastisches Lachen aus. „Nein, ich habe eine Firma, die Luxusjachten herstellt.“

Einen Moment lang hatte er den Eindruck, sie würde ihm nicht glauben. Doch dann zog sie nur die Augenbrauen hoch und lehnte sich zurück. Als sie die Beine ausstreckte, berührten sich ihre Unterschenkel.

Eine Stunde dauerte die Überfahrt, dann tauchte Marina Grande vor ihnen auf, der bunte Hafen von Capri. Über ihnen erhoben sich die mächtigen, weißen Kalksteine.

„Meine Güte“, murmelte Myrna, als ihr Blick auf die Menschenmassen am Hafen fiel.

Adriano erinnerte sich an die Ausflüge, die er früher mit seinen Eltern nach Capri gemacht hatte. Auch damals waren schon viele Touristen auf der Insel gewesen, aber jetzt schien der Hafen schwarz vor Menschen zu sein.

„Keine Sorge“, rief Antonella, „wir müssen da nicht durch, es erwartet uns ein Taxi am Anlegesteg.“

Und tatsächlich stand ein Wagen bereit, als sie aus dem Boot geklettert waren. Myrna und Adriano nahmen auf der Rückbank Platz, während Antonella sich neben den Fahrer setzte. Unter lautem Hupen bahnte sich das Auto seinen Weg in Schrittgeschwindigkeit durch die Menge. Ein paar Minuten später hatten sie endlich die Serpentinenstraße erreicht, die am Rand der Klippen zur Insel hinaufführte. Immer wieder kamen ihnen Busse und Autos entgegen.

Adriano hörte, wie Myrna neben ihm nach Luft schnappte, als ihr Fahrer in schwindelerregendem Tempo an den entgegenkommenden Fahrzeugen vorbeiraste. Links neben ihnen fielen die Klippen steil zum Meer hin ab, nur ein wackliges Geländer trennte sie von der Tiefe. Auch er konnte sich nicht entspannen. Erst als sie die Serpentinen hinter sich gelassen hatten und an Anacapri vorbei ins Innere der Insel gelangten, fühlte er sich etwas sicherer.

Vor einem großen Tor hielt das Taxi an. Adriano beobachtete einen Mann in Uniform, der die Gittertür öffnete und sie hineinfahren ließ. Die Fahrbahn hier war nicht asphaltiert, sie fuhren zwischen Zistrosen und Ginstersträuchern entlang, bis sie eine langgestreckte, lachsfarbene Villa mit Bogenfenstern erreicht hatt...

Autor

Melody Summer
<p>Melody Summer hat bereits als Zwölfjährige davon geträumt, Bücher zu schreiben. Vorher wurde sie jedoch erst noch Schauspielerin, eröffnete ein freies Theater, arbeitete dort als Dramaturgin und schrieb über zwanzig Theaterstücke. Inzwischen hat sie auch zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen es um Geheimnisse, Liebe, Schicksal und Intrigen geht. Sie liebt...
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<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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Jessica Gilmore hat in ihrem Leben schon die verschiedensten Jobs ausgeübt. Sie war zum Beispiel als Au Pair, Bücherverkäuferin und Marketing Managerin tätig und arbeitet inzwischen in einer Umweltorganisation in York, England. Hier lebt sie mit ihrem Ehemann, ihrer gemeinsamen Tochter und dem kuschligen Hund – Letzteren können die beiden...
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