Royal House of Shadows (Band 1&2)

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Im magischen Elden herrschen Gewalt und Grausamkeit seit der Blutzauberer das Königspaar stürzte.Nur die vier rechtmäßigen Thronerben können Elden retten. Doch ihnen allen wurde die Erinnerung geraubt.

Der Vampirprinz:

Jede Nacht muss der Vampirprinz Nicolai als Gefangener die sinnlichen Wünsche der Hexenprinzessin erfüllen. Er hat keinerlei Erinnerungen an seine Vergangenheit, doch in ihm brodelt das Verlangen nach Rache. Als er Hilfe heraufbeschwört, steht plötzlich Jane Parker vor ihm - wunderschön, zerbrechlich und ein Mensch! Sie ist nicht nur seine heißeste Sehnsucht, sondern der Schlüssel zu seiner Bestimmung.

Die Traumprinzessin

Als Prinzessin Breena in der Wildnis Unterschlupf in der Hütte des Gestaltwandlers Osborn sucht, stockt ihr der Atem: Sie kennt den wilden Kämpfer, so unbezwingbar wie ein mächtiger Bär, aus ihren Träumen. Auch Osborn erinnert sich an diesen gemeinsamen Traum: Er soll die schöne Prinzessin lieben und sie im Kampf gegen den Blutzauberer unterstützen…

"Dunkles und Übersinnliches, das restlos befriedigt …" Romantic Times Book Reviews

"Paranormal - phänomenal!" Goodreads


  • Erscheinungstag 01.12.2017
  • Bandnummer 1 & 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767310
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Prolog

Es war einmal, in einem Land der Vampire, Formwandler und Hexen, ein Blutmagier, den verlangte es nach der einzigen Macht, die ihm verwehrt war: der Macht zu regieren. Er und seine Armee der Monster griffen den Königspalast an, schlachteten das beliebte Königspaar von Elden ab und wollten mit Nicolai, dem Kronprinzen, und seinen drei Geschwistern Breena, Dayn und Micah das Gleiche tun.

Nur gelang es dem Magier nicht, sein grausames Werk zu vollenden. Er hatte nicht damit gerechnet, wie stark der Durst eines Königs nach Rache sein konnte und wie stark die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern.

Ehe er seinen letzten Atem aushauchte, benutzte der König seine Magie, um seine Nachkommen mit einem unstillbaren Verlangen nach Rache zu füllen. So stellte er sicher, dass sie bis in alle Ewigkeit kämpfen würden, um zu bekommen, was ihnen zustand. Zur gleichen Zeit benutzte die Königin ihre Magie, um ihre Kinder fortzuschicken und sie zu retten. Jedenfalls für den Augenblick.

Doch der König und die Königin waren geschwächt, ihre Gedanken vor Schmerzen verwirrt, und ihre Zauber widersprachen einander.

Und so geschah es, dass es den Königskindern auferlegt war, den Mann zu zerstören, der ihre Eltern umgebracht hatte. Doch sie waren auch des Palastes verwiesen, jedes in ein anderes Königreich ihrer Welt geschleudert. Die einzige Verbindung zum königlichen Haus Elden, die ihnen noch blieb, war ein Zeitmesser, den ihre Eltern ihnen geschenkt hatten.

Nicolai, den die Leute auch den dunklen Verführer nannten, war im Bett gewesen, aber nicht allein. Er war nie allein. Er war ein Mann, der ebenso für seine Launen bekannt war wie für seine köstlichen Berührungen. Und nach der Geburtstagsfeier für seinen jüngsten Bruder hatte er sich in seine privaten Gemächer zurückgezogen und sich an seiner neuesten Eroberung gelabt.

Dort hatte ihn die zwiespältige Kraft der Zauber getroffen.

Als er seine Augen das nächste Mal geöffnet hatte, war er in einem anderen Bett gewesen … jedoch nicht mit der Partnerin, die er gewählt hatte. Er war immer noch nackt, aber jetzt lag er in Ketten. Er war Sklave eben jener Leidenschaften, die er in seiner Geliebten geweckt hatte. Leidenschaften, die sich mit der Magie verwoben und ihn direkt auf den Sexmarkt gesandt hatten, wo er schnell an eine Prinzessin von Delfina verkauft worden war. Sein Wille war gebrochen, die Begierden waren ihm genommen, sein Zeitmesser gestohlen und seine Erinnerungen gelöscht.

Nur zwei Dinge konnte man ihm nicht nehmen, egal wie sehr die Prinzessin es versuchte: die kalte Wut in seiner Brust und das brennende Verlangen nach Rache in seinen Adern.

Ersteres würde er entfesseln. Das Zweite genießen. Die Prinzessin wollte er sich zuerst vornehmen und dann den Magier, an den er sich kaum erinnern konnte, den er aber dennoch verachtete.

Bald.

Er musste nur entkommen …

1. Kapitel

Ich brauche Dich, Jane.

Mit einem Stirnrunzeln legte Jane Parker die Nachricht auf die Küchenanrichte. Sie betrachtete das abgegriffene ledergebundene Buch, das in einer schmucklosen Schachtel auf einem Meer aus schwarzem Samt lag. Vor einigen Minuten war sie von ihrem Fünf-Meilen-Lauf zurückgekehrt. Das Paket hatte sie danach auf der Veranda gefunden.

Es stand kein Absender darauf. Keine Erklärung, warum das Ding für sie hinterlassen worden war, und kein Hinweis darauf, wer „Ich“ sein sollte. Oder warum Jane gebraucht wurde. Warum sollte irgendjemand ausgerechnet sie brauchen? Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und hatte gerade erst wieder gelernt, ihre Beine zu benutzen. Sie hatte keine Familie, keine Freunde, keinen Job. Nicht mehr. Ihre kleine Hütte in Kleinste Stadt Aller Zeiten, Oklahoma, lag abgeschieden, eine winzige Erhebung in der umliegenden Weite aus grünen Bäumen und endlos blauem Himmel.

Sie sollte das Ding einfach wegwerfen. Aber natürlich war ihre Neugierde wieder einmal größer als ihre Vorsicht. Wie immer.

Zögernd nahm sie das Buch hoch. Doch sobald sie es berührte, sah sie ihre Hände in Blut getaucht. Sie keuchte erschrocken auf und ließ das schwere Buch auf die Anrichte fallen. Aber als sie dann ihre Hände ins Licht hielt, waren sie sauber, die Fingernägel ordentlich geschnitten und in einem hübschen Rosa lackiert.

Deine Fantasie geht mit dir durch, und in deinem Blut ist vom Laufen noch zu viel Sauerstoff. Das ist alles.

Kalte, harte Logik – ihr bester und einziger Freund.

Der Einband des Buches knarrte, als sie es in der Mitte aufschlug, wo ein zerfetztes rosa Band lag. Der Duft von Staub und Moschus drang zu ihr hinauf und dazwischen noch etwas anderes. Etwas … das ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ und das ihr vertraut war. Sie legte die Stirn in noch tiefere Falten.

Jane rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, als ein scharfer Schmerz durch ihre Beine fuhr, und atmete tief ein. Oh ja. Ihr lief wirklich das Wasser im Mund zusammen, als sie einen Hauch von Sandelholz wahrnahm. Sie bekam eine Gänsehaut, verspürte ein angenehmes Prickeln, ihr Blut erhitzte sich. Wie peinlich. Und, okay, auch interessant. Seit dem Autounfall, der ihr Leben vor elf Monaten zerstört hatte, kannte sie Erregung nur noch in der Nacht, in ihren Träumen. Am helllichten Tag so zu reagieren, und das nur wegen eines Buches, war … merkwürdig.

Sie gestattete es sich nicht, darüber nachzudenken. Sie würde ohnehin keine zufriedenstellende Antwort darauf finden. Stattdessen konzentrierte Jane sich auf die Seiten, die vor ihr lagen. Sie waren vergilbt und empfindlich, brüchig. Und mit Blut besprenkelt? Kleine scharlachrote Tropfen befleckten die Ränder.

Mit den Fingerspitzen fuhr sie behutsam über den handgeschriebenen Text, und ihr Blick blieb dabei an einzelnen Worten hängen. Ketten. Vampir. Gehören. Seele. Mehr Gänsehaut, mehr Kribbeln.

Sie errötete ein wenig.

Jane kniff die Augen zusammen. Wenigstens ergab der Duft nach Sandelholz jetzt einen Sinn. In den letzten Monaten hatte sie immer wieder von einem Vampir geträumt, der in Ketten lag, und beim Aufwachen hatte sein Duft noch an ihrer Haut geklebt. Und ja, er hatte sie erregt. Davon erzählt hatte sie niemandem. Wer hätte ihr also dieses … Tagebuch schicken sollen?

Sie hatte jahrelang nicht nur in der Quantenphysik gearbeitet, sondern auch im Bereich der Grenzwissenschaften. Manchmal hatte sie Kreaturen erforscht, die aus „Mythen“ und „Legenden“ stammten. Sie hatte kontrollierte Befragungen mit tatsächlichen Bluttrinkern durchgeführt und sogar deren Leichen seziert, wenn man sie ihr ins Labor gebracht hatte.

Sie wusste also, dass es Vampire, Formwandler und andere Kreaturen der Nacht wirklich gab, auch wenn sie ihre Mitarbeiter aus der Quantenphysik nicht in diese Wahrheit eingeweiht hatte. Vielleicht hatte es jemand herausgefunden und ihr einfach einen Streich gespielt. Vielleicht gab es keine Verbindung zu ihren Träumen. Allerdings schien bereits eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit sie mit diesen Mitarbeitern zuletzt Kontakt gehabt hatte. Und außerdem, wer würde so etwas tun? Keiner von ihnen hatte sich genug für sie interessiert, um irgendetwas zu tun.

Lass die Sache ruhen, Parker. Ehe es zu spät ist.

Dieser Befehl ihres Selbsterhaltungstriebs ergab keinerlei Sinn. Zu spät wofür?

Ihre Instinkte antworteten nicht. Na gut, die Wissenschaftlerin in ihr musste jedenfalls wissen, was vor sich ging.

Jane räusperte sich. „Ich lese ein paar Absätze, mehr nicht“, sagte sie laut. Sie war allein, seit man sie vor einigen Monaten aus dem Krankenhaus entlassen hatte, und manchmal war der Klang ihrer Stimme besser als die Stille. „Ketten lagen um den Hals des Vampirs, um seine Handgelenke und seine Fußknöchel. Man hatte ihm das Hemd und die Hosen genommen, ein Lendenschurz war seine einzige Kleidung, und nichts schützte seine bereits misshandelte Haut. Die Glieder der Ketten schnitten ihm bis auf die Knochen, ehe er heilte – und sie ihn wieder schnitten. Es war ihm gleich. Was war Schmerz, wenn der freie Wille, wenn die eigene Seele einem nicht mehr gehörte?“

Eine Welle des Schwindels brach über sie herein, und sie presste die Lippen zusammen. Ein Augenblick verging, dann ein weiterer, ihr Herz schlug schneller und hämmerte wild gegen ihre Rippen.

Brutale Bilder tauchten vor ihr auf. Dieser Mann – dieser Vampir – gefesselt, hilflos. Hungrig. Seine sinnlichen Lippen waren straff gespannt über scharfen weißen Zähnen. Er war überraschend gebräunt und verlockend muskulös, mit dunklem unordentlichem Haar und einem Gesicht, das sie mit seiner überirdischen Schönheit noch jahrelang in ihren nächtlichen Fantasien heimsuchen würde.

Was sie gerade gelesen hatte, hatte sie schon gesehen. Viele Male. Aber wie? Das wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie in ihren Träumen Mitleid für diesen Mann empfunden hatte, sogar wütend gewesen war. Und gleichzeitig war da immer eine Andeutung von Erregung im Spiel gewesen. Jetzt ergriff diese Erregung Besitz von ihr.

Je mehr sie atmete, desto mehr hing der Duft nach Sandelholz an ihr und desto mehr veränderte sich ihre Wirklichkeit, als wäre ihr Zuhause nicht mehr als ein Trugbild. Als wäre der Käfig des Vampirs echt. Als bräuchte sie nur aufzustehen und loszugehen – nein, zu rennen –, um bei ihm zu sein, jetzt und auf ewig.

Okay. Genug davon. Sie klappte das Buch zu, auch wenn noch viele Fragen offengeblieben waren, und ging mit eiligen Schritten davon.

Eine so starke Reaktion sprach, besonders vor dem Hintergrund ihrer Träume, gegen einen Streich. Nicht dass sie daran je wirklich geglaubt hätte. Doch alle anderen Möglichkeiten bereiteten ihr so viele Sorgen, dass sie sich weigerte, sie auch nur in Betracht zu ziehen.

Jane duschte, zog sich Jeans und T-Shirt an und aß ein nahrhaftes Frühstück. Gegen ihren Willen wanderte ihr Blick immer wieder zu dem Ledereinband. Sie fragte sich, ob es den versklavten Vampir wirklich gab und, zugegeben, auch, ob sie ihm helfen konnte. Ein paarmal hatte sie das Buch schon aufgeschlagen, ehe ihr überhaupt bewusst wurde, was sie tat. Und jedes Mal war sie davongeeilt, ehe sie in den Bann der Geschichte geraten konnte.

Vielleicht hatte man ihr das dumme Ding genau deswegen gegeben. Um sie zu ködern, damit sie sich wieder an die Arbeit machte. Sie musste aber nicht arbeiten. Geld war für sie kein Problem. Darüber hinaus liebte sie die Wissenschaft einfach nicht mehr. Warum sollte sie? Es gab nie eine Antwort, nur immer noch mehr Fragen.

Wenn ein Puzzleteil an seinen Platz geglitten war, brauchte man zwanzig weitere. Und am Ende konnte nichts, was man tat, nichts, was man gelöst oder entwirrt hatte, die Menschen retten, die man liebte. Es gab immer irgendeinen dämlichen Kerl, der sich in der Bar ein paar Bier genehmigte, in seinen Wagen stieg und in deinen raste. Oder sonst etwas Tragisches.

Das Leben war willkürlich.

Jane sehnte sich nach Eintönigkeit.

Aber als Mitternacht heranrückte, kreisten ihre Gedanken immer noch um den Vampir. Sie gab auf, kehrte in die Küche zurück, schnappte sich das Buch und stakste zurück ins Bett. Nur ein paar Absätze, verdammt, und dann würde sie sich wieder nach Eintönigkeit sehnen.

Janes viel zu großes T-Shirt rutschte ihr bis zur Taille hoch, als sie das Buch auf ihren angezogenen Beinen ablegte, die Stelle aufschlug, wo das Lesezeichen immer noch steckte, und ihre Aufmerksamkeit auf die Seiten richtete. Einige Sekunden lang schienen die Worte in einer Sprache geschrieben zu sein, die sie nicht verstand. Und einen Wimpernschlag später waren sie wieder in Englisch.

O-kay. Sehr merkwürdig und sicherlich – hoffentlich – bloß durch den Schlafmangel hervorgerufen.

Sie fand ihre Stelle. „Man nannte ihn Nicolai.“ Nicolai. Ein starker, sinnlicher Name. Die Silben klangen in ihrem Kopf wie eine Liebkosung. Ihre Brüste zogen sich schmerzlich zusammen, sehnten sich nach einem heißen feuchten Kuss. Jane errötete am ganzen Körper. Sie versuchte, sich zu erinnern. Einen Vampir namens Nicolai hatte sie nie befragt, und der Vampir in ihren Träumen hatte nie mit ihr gesprochen. Er hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen. „Er wusste nichts von seiner Vergangenheit, wusste nicht, ob er eine Zukunft hatte. Er kannte nur seine Gegenwart. Seine verhasste und qualvolle Gegenwart. Er war ein Sklave, eingesperrt wie ein Tier.“

Wie schon beim ersten Mal wurde ihr plötzlich schwindelig. Dieses Mal las Jane weiter, auch dann noch, als ihre Brust sich zusammenzog. „Man hielt ihn sauber und ölte ihn ein. Zu jeder Zeit. Nur für den Fall, dass Prinzessin Laila ihn in ihrem Bett brauchte. Und die Prinzessin brauchte ihn. Oft. Nachdem er ihre grausamen, perversen Gelüste befriedigt hatte, blieb er geschlagen und verletzt zurück. Doch er ergab sich nie. Der Mann war wild, fast unkontrollierbar, und so voller Hass, dass jeder, der ihn ansah, in seinen Augen den eigenen Tod erblickte.“

Das Schwindelgefühl verstärkte sich. Ihr Verlangen ebenfalls. Einen solchen Mann zu zähmen, all seine Wildheit auf sich selbst konzentriert zu wissen, zu spüren, wie er wild hämmernd in einen eindrang … aus freien Stücken … Jane schauderte.

Konzentrier dich endlich, Parker. Sie räusperte sich. „Er war hart und gnadenlos. Ein Krieger im Herzen. Ein Mann, der absolute Kontrolle gewöhnt war. Wenigstens glaubte er das. Selbst ohne seine Erinnerungen merkte er genau, dass jeder Befehl, der an ihn gerichtet wurde, seine Nerven wund kratzte.“

Noch ein Schaudern durchfuhr sie. Sie knirschte mit den Zähnen. Er brauchte ihr Mitleid, nicht ihr Verlangen. Ist er für dich wirklich so echt? Ja, das war er. „Wenigstens bekam er einige Tage Erholung“, las sie weiter, „von allen vergessen. Der ganze Palast stand kopf, weil Prinzessin Odette von den Toten auferstanden war, und …“

Der Rest der Seite war leer. „Und was?“ Jane blätterte um, aber ihr wurde bald klar, dass die Geschichte ein offenes Ende hatte. Na toll.

Glücklicherweise – oder auch nicht – entdeckte sie am Ende des Buches noch etwas Geschriebenes. Sie blinzelte und schüttelte den Kopf. Die Worte veränderten sich nicht. „Du, Jane Parker“, las sie langsam vor. „Du bist Odette. Komm zu mir, ich befehle es Dir. Rette mich, ich flehe Dich an. Bitte, Jane. Ich brauche Dich.“

Ihr Name stand in dem Buch. Wie kam ihr Name in das Buch? In der gleichen Schrift wie alles andere? Auf den gleichen alten vergilbten Seiten, mit der gleichen verschmierten Tinte?

Ich brauche dich.

Sie konzentrierte sich wieder auf den Teil, der an sie gerichtet war. Immer wieder las sie „Du bist Odette“, bis das Bedürfnis zu schreien endlich von ihrer Neugierde besiegt wurde. Ihre Gedanken überschlugen sich. Es gab so viele Möglichkeiten. Gefälscht, echt, Traum, Realität.

Komm zu mir.

Rette mich.

Bitte.

Ich befehle es dir.

Etwas in ihr reagierte auf diesen Befehl stärker als auf alles andere. Der Drang zu rennen – hierhin, dorthin, überallhin – durchfuhr sie. Bis sie ihn fand, ihn rettete, war nichts anderes mehr wichtig. Und sie konnte ihn retten, wenn sie nur erst bei ihm war.

Ich. Befehle. Es. Dir.

Ja. Sie wollte gehorchen. So sehr. Sie fühlte sich, als wäre eine unsichtbare Leine um ihren Hals gelegt, an der man jetzt zog.

Jane schloss das Buch mit zitternden Fingern. Sie würde niemanden suchen. Nicht heute Nacht. Sie musste sich sammeln. Morgen, mit klarem Kopf nach einer starken Tasse Kaffee, würde sie sich die Sache logisch erklären können. Hoffte sie jedenfalls.

Nachdem sie das Buch auf ihren Nachttisch gelegt hatte, ließ sie sich in ihr Bett fallen und schloss die Augen. Sie versuchte, ihre rasenden Gedanken zu beruhigen, hatte aber wenig Erfolg. Wenn Nicolais Geschichte stimmte, war er von seinen Ketten so gefangen, wie sie es einst von den Leiden ihres Körpers gewesen war.

Ihr Mitleid wuchs … breitete sich aus …

Während man ihn in einem Käfig gefangen hielt, war sie an ihr Krankenbett gefesselt gewesen, mit gebrochenen Knochen, gerissenen Muskeln und einem von Medikamenten vernebelten Verstand, und das alles, weil ein betrunkener Fahrer in ihren Wagen gerast war. Und während sie unter dem Verlust ihrer Familie gelitten hatte – immer noch litt –, weil ihre Mutter, ihr Vater und ihre Schwester im gleichen Wagen gesessen hatten, wurde Nicolai von einer sadistischen Frau mit unerwünschten Berührungen gefoltert. Sie spürte eine Welle des Mitleids und einen Funken Zorn.

Ich brauche dich.

Jane atmete tief ein, langsam wieder aus und drehte sich auf die Seite. Sie klammerte sich fest an ihr Kissen, so fest, wie sie sich plötzlich an Nicolai klammern wollte, um ihn zu trösten. Um bei ihm zu sein. Äh, fang damit gar nicht erst an. Sie kannte den Mann nicht einmal. Deshalb würde sie sich auch nicht vorstellen, mit ihm zu schlafen.

Aber genau das tat sie. Seine Qualen waren vergessen, als sie sich ausmalte, wie er sich auf sie legte, die silbernen Augen vor Verlangen leuchtend, seine Pupillen geweitet. Seine Lippen waren voll und gerötet, weil er ihren ganzen Körper mit Küssen bedeckte, und ihr Geschmack glänzte noch feucht darauf. Sie leckte ihn, schmeckte ihn, schmeckte sich selbst, wollte ausnahmslos alles, was er ihr zu geben hatte.

Er stieß einen anerkennenden Laut aus und ließ seine Fangzähne aufblitzen.

Sein großer muskulöser Körper bedeckte ihren. Auf seiner erhitzten Haut bildeten sich kleine Schweißperlen, sodass ihre Körper sich auf dem Weg zum Höhepunkt leichter aneinander reiben konnten. Lieber Gott, fühlte er sich gut an. So verdammt lang. Lang und stark. Er passte perfekt, füllte sie ganz aus. Vor, zurück, schneller und schneller, bis an den Rand der höchsten Empfindungen, und dann langsamer … langsamer … qualvoll.

Sie kratzte ihm mit den Fingernägeln über den Rücken. Er stöhnte. Sie schlang ihm die Beine um die Hüften und drückte ihn an sich. Ja. Ja, mehr. Schneller, immer schneller. Nie genug, fast genug. Mehr, bitte mehr.

Nicolai drang mit der Zunge in ihren Mund ein und spielte mit ihrer Zunge, ehe er zubiss und gierig an ihrem Blut saugte. Ein scharfes Stechen, und dann, endlich, oh Gott, endlich, trat sie über die Grenze.

Wellen der Lust durchfuhren ihren ganzen Körper, bis kleine Sterne vor ihren Augen aufblitzten. Ihre Muskeln zogen sich wieder und wieder zusammen, und flüssige Hitze sammelte sich zwischen ihren Oberschenkeln. Sie ritt endlose Sekunden, Minuten lang auf den Wellen, bis sie sich auf die Matratze sinken ließ und nach Atem rang.

Ein Orgasmus, dachte sie benommen. Ein echter Orgasmus von einem eingebildeten Mann, und sie hatte sich nicht einmal selbst berührt.

„Nicolai … mein …“, flüsterte sie, und als sie endlich einschlief, lag ein Lächeln auf ihren Lippen.

2. Kapitel

„Prinzessin. Prinzessin, Ihr müsst aufwachen.“

Jane öffnete blinzelnd ihre Augen. Gedämpftes Sonnenlicht drang in das Schlafzimmer – das nicht ihr eigenes war, wie sie verwirrt bemerkte. Ihr Zimmer war schlicht, mit weißen Wänden und einem braunen Teppich, und das einzige Möbelstück darin war ein schmuckloses Bett. Doch jetzt sah sie über sich einen Betthimmel aus rosa Spitze. Rechts befand sich ein prächtig geschnitzter Nachttisch, auf dem ein juwelenbesetzter Pokal stand. Darunter lag ein weicher glitzernder Teppich, der zu einer Bogentür führte, deren Flügel offen standen und das Innere eines großen Wandschranks zeigten, aus dem ein Regenbogen aus Samt, Satin und Seide herausquoll.

Das konnte nicht stimmen.

Sie setzte sich mit einem Ruck auf. Ihr wurde schwindelig – ein vertrautes Gefühl, aber kein tröstliches –, und sie stöhnte.

„Ist alles in Ordnung, Prinzessin?“

Sie zwang sich dazu, sich zu konzentrieren, und sah sich um. Neben ihrem Bett stand eine junge Frau. Eine Frau, der sie noch nie begegnet war. Klein, pummelig, mit Sommersprossen auf der Nase und krausem rotem Haar. Sie trug ein Kleid aus grobem braunem Stoff, das unbequem eng zu sitzen schien.

Jane krabbelte rückwärts, bis sie gegen das Kopfteil des Bettes stieß. „Wer bist du? Was machst du hier?“ Noch während sie sprach, riss sie ihre Augen vor Erstaunen weit auf. Sie hatte fünf verschiedene Sprachen gelernt, aber im Augenblick sprach sie keine davon. Und doch verstand sie jedes Wort, das aus ihrem Mund kam.

Auf dem Gesicht des Mädchens waren keine Emotionen zu lesen, als wäre sie es gewohnt, von Fremden angebrüllt zu werden. „Ich bin Rhoslyn. Früher war ich das Dienstmädchen Ihrer Mutter, doch jetzt soll ich Euch dienen. Wenn Ihr mich behalten wollt“, fügte sie unsicher hinzu. Auch sie sprach in dieser merkwürdigen lyrischen Sprache mit den fließenden Silben. „Die Königin hat mich gebeten, Euch zu wecken und in ihr Studierzimmer zu bringen.“

Dienstmädchen? Mutter? Janes Mutter war tot, genau wie ihr Vater und ihre Schwester. Sie waren ums Leben gekommen, als der betrunkene Fahrer sein Auto in ihre Seite des Wagens gerammt hatte. Ihr Vater und ihre Schwester waren sofort tot gewesen. Ihre Mutter jedoch … Sie war vor Janes Augen langsam verblutet. Der Wagen war in einen Baum verkeilt gewesen, ihre Sitzgurte hatten sie gefesselt gehalten, die Metalltüren und das Dach waren so vollkommen verbeult gewesen, dass man sie hatte herausschneiden müssen. Doch da war es schon zu spät gewesen. Sie hatte bereits ihren letzten, qualvollen Atemzug getan.

Sie war genau an dem Tag gestorben, als man ihr gesagt hatte, dass der Krebs endlich besiegt war.

„Wage es nicht, mich mit meiner Mutter zu verspotten“, knurrte Jane, und Rhoslyn zuckte zusammen.

„Es tut mir leid, Prinzessin, aber ich verstehe nicht. Ich spotte nicht über die Einladung Eurer Mutter.“ Wie verängstigt sie jetzt klang. In ihren dunklen Augen sammelten sich sogar Tränen. „Ich schwöre, ich wollte Euch nichts Böses. Bitte, bestraft mich nicht.“

Bestrafen? Sollte das ein Witz sein? Nein, Witz war nicht das passende Wort. Hatte sie vielleicht einen Nervenzusammenbruch? Aber das konnte nicht sein. Zusammenbrüche waren eine Art Hysterie, und sie war nicht hysterisch. Außerdem war da noch die Sache mit der Sprache. Komm schon. Du bist Wissenschaftlerin. Geh der Sache mit Logik auf den Grund.

„Wo bin ich? Wie bin ich hierhergekommen?“ Als Letztes erinnerte sie sich daran, in dem Buch gelesen zu haben, und … Das Buch! Wo war das Buch? Ihr Herz hämmerte unkontrollierbar, wie ein Gewitter in ihrer Brust, während sie sich noch einmal umsah. Dort! Ihr Buch lag auf dem Schminktisch, so nah und doch so fern.

Meins, brüllte jede Zelle in ihrem Körper. Das überraschte sie. Und es überraschte sie auch, wie selbstverständlich sie diese Behauptung fand. Andererseits hatte sie es praktisch mit dem Ding getrieben. Und … ach verdammt. Ihr Blut erwärmte sich wieder, ihre Haut begann zu kribbeln, und ihr Körper bereitete sich darauf vor, vollkommen in Besitz genommen zu werden.

Ich brauche dich, Jane. Der Text. Sie erinnerte sich an den Text. Komm zu mir. Rette mich.

Denk logisch darüber nach. Sie war eingeschlafen und hatte geträumt, wie ein Vampir sie sündig berührte. Und dann war sie, wie bei „Alice im Wunderland“, in einer seltsamen neuen Welt aufgewacht. Und sie war ganz sicher wach. Das war kein Traum. Wo war sie also? Wie war sie hergekommen?

Was wäre, wenn …?

Sie erstickte den Gedanken, ehe er in eine Richtung führen konnte, die ihr nicht gefiel. Es musste eine logische Erklärung geben. „Wo bin ich?“, fragte sie noch einmal.

Während Jane sich aus der weichen Umarmung ihrer Federmatratze befreite, sagte das angebliche Dienstmädchen: „Ihr seid in … Delfina.“ Sie sprach mit einem fragenden Tonfall, als könnte sie nicht ganz begreifen, dass Jane die Antwort nicht bereits kannte. „Ein Königreich ohne Zeit und Alter.“

Delfina? Davon hatte sie … schon einmal gehört, stellte sie erstaunt fest. Nicht den Namen, aber von einem „Königreich ohne Zeit“. Einige der Wesen, die sie befragt hatte, hatten von diesem Reich gesprochen, einem magischen Reich, in verschiedene Königreiche unterteilt, von dem die Menschen nichts wussten. Damals war sie nicht sicher gewesen, ob sie daran glauben sollte oder nicht. Sie waren Gefangene, weggesperrt zum Wohle der Menschheit. Sie hätten alles erzählt, um damit ihre Freiheit zu erlangen. Auch angeboten, Jane in ihre Welt zu begleiten.

Was wäre, wenn …?

Was, wenn sie die Grenze von ihrer Welt zur anderen übertreten hatte? Jane erlaubte dem Gedanken endlich, zu seinem Ende zu kommen, und ihr drehte sich der Magen um.

Ehe der Autounfall ihr Leben so einschneidend verändert hatte, hatte sie nicht nur mythische Kreaturen untersucht. Sie hatte die Manipulation von makroskopischer Energie erforscht und jeden Tag „das Unmögliche“ versucht. Zum Beispiel den molekularen Transfer eines Objekts von einem Ort – einer Welt – an einen anderen, und es war ihr gelungen. Nicht mit Lebensformen, natürlich, noch nicht, aber mit Plastik und anderen Materialien. Deshalb hatte man sie als annehmbares Risiko eingestuft, wenn es um die Interaktion mit den gefangenen Wesen ging, den Toten wie den Lebendigen.

Was, wenn es ihr irgendwie gelungen war, sich selbst zu transferieren? Aber, fragte sie sich, wie hatte ihr das gelingen können, wenn sie die nötigen Geräte nicht bei sich in der Hütte gehabt hatte? Nachwirkungen von ihrem Kontakt mit den transferierten Materialien vielleicht?

Nein. Es gab zu viele Variablen. Zum Beispiel ihre neue Identität als Königstochter.

„Rhoslyn“, sagte sie und hielt ihre zusammengekniffenen Augen auf das Mädchen gerichtet, während sie sich auf die Beine stellte. Ihre Knie schlugen zusammen, und ihre Muskeln verkrampften sich, aber das Schwindelgefühl kam zum Glück nicht wieder.

„Ja, Prinzessin?“

Sie sah schnell an sich herunter, blinzelte überrascht und musste ein zweites Mal hinsehen. Sie trug eine wunderschöne rosafarbene Robe, die sie nicht selbst gekauft und noch nie zuvor gesehen hatte. Der Stoff schlug Wellen um ihren knochigen Körper und tanzte um ihre Knöchel.

Wer zur Hölle hatte sie angezogen?

Ist auch egal. Sie konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. „Wie sehe ich aus?“

Rhoslyn streckte die Hand aus, und Jane schürzte die Lippen und schreckte zurück. „Bitte, Prinzessin, es geht Euch nicht gut. Erlaubt mir, Euch zu helfen.“

„Bleib, wo du bist“, befahl Jane ihr. Bis sie herausgefunden hatte, was vor sich ging, würde sie niemandem vertrauen. Und ohne Vertrauen kein Anfassen.

Das Mädchen erstarrte. „W… was immer Ihr befehlt, Prinzessin. Soll ich Euch etwas bringen?“

„Nein, äh, ich will nur etwas von da drüben holen.“ Jane ging mit unsicheren Schritten voran. Die Fasern des Teppichs waren so weich, wie sie aussahen, streichelten ihre nackten Füße und kitzelten den empfindlichen Bereich zwischen ihren Zehen. Sie ging langsam, um ihre geschundenen Beine zu schonen. Als sie endlich das Buch in Händen hielt und sich umdrehte, fühlte sie sich wieder normal. Das Mädchen hatte sich immer noch nicht bewegt. Sie hatte einen Arm in Richtung des Bettes ausgestreckt und zitterte. „Steh bequem“, hörte Jane sich sagen.

Mit einem erleichterten Seufzen ließ Rhoslyn ihren Arm sinken. „Ihr habt gefragt, wie Ihr ausseht. Wunderschön, Prinzessin. Wie immer.“ Es klang automatisch, ohne Gefühl dahinter.

Jane behielt ihre halbe Aufmerksamkeit auf sie gerichtet, die andere Hälfte konzentrierte sich auf das Buch. Sie runzelte die Stirn. Das dunkle Leder war makellos. Sie schlug die Mitte auf. Es lag kein Lesezeichen darin, und die Seiten waren neu, frisch. Leer. „Das ist nicht mein Buch“, sagte sie. „Wo ist mein Buch?“

„Prinzessin Odette“, antwortete Rhoslyn, ohne zu zögern. „Meines Wissens nach seid Ihr ohne Buch hier angekommen. Wenn ich Euch jetzt bitten dürfte …?“

„Warte. Wie hast du mich genannt?“

„Pr… Prinzessin Odette? So lauten Euer Titel und Euer Name. Oder nicht? Soll ich Euch anders nennen? Oder vielleicht kann ich die Heilerin benachrichtigen, damit sie …“

„Nein. Nein, ist schon in Ordnung.“ Prinzessin Odette, von den Toten auferstanden. Genau diese Worte hatte Jane gelesen. Und sie hatte auch gelesen: „Du, Jane Parker. Du bist Odette.“

Sie drehte sich um und lehnte sich gegen den Schminktisch, um sich im Spiegel zu betrachten. Als sie sich selbst erblickte, erstarrte sie. Hellbraunes Haar floss über eine Schulter. Ihr Haar. Vertraut. Ihre Augen waren glasig, und unter ihnen waren halbmondförmige dunkle Schatten. Auch vertraut.

Sie streckte die Hand aus. Ihre Fingerspitzen berührten das Glas. Kalt, fest. Echt. Wenn sie ihr Gewand hochhob, würde sie die Narben sehen, die ihren Bauch und ihre Beine entstellten. Sie wusste es genau.

Sie hatte sich also nicht über Nacht in Prinzessin Odette verwandelt. Oder, verflucht, vielleicht sahen sie und die Prinzessin einfach gleich aus.

„Wie bin ich hergekommen?“, krächzte sie und drehte sich wieder zu dem Mädchen um.

Ich brauche dich, Jane.

Nicolai. Sie atmete zischend ein, als sein Name plötzlich ihre Gedanken erfüllte. Nicolai, der versklavte Vampir, angekettet, missbraucht. Nicolai, der Liebhaber, der in ihren Körper eindrang. Ihre Beine öffneten sich für ihn und pressten sich dann zusammen, um ihn festzuhalten.

Komm zu mir.

Zu ihm kommen, als würde er sie kennen. Als würde sie ihn kennen. Aber sie war ihm noch nie begegnet. Jedenfalls nicht dass sie wüsste.

So etwas war möglich, nahm sie an. Laut der Paradox-Theorie … Verdammt. Nein. Es wurden keine Hypothesen über die Paradox-Theorie aufgestellt, solange sie nicht weitere Informationen gesammelt hatte. Sonst würde sie die nächsten Tage nur mit Nachdenken verbringen.

Rhoslyn erblasste. „Gestern Abend hat ein Mann der Palastwache Euch draußen auf den Treppen gefunden. Er hat Euch hierher in Eure Schlafkammer getragen. Es wird Euch freuen zu erfahren, dass man sie seit Eurem Verschwinden unverändert belassen hat.“

Sie war zu Hause eingeschlafen … und hier wieder aufgewacht. Als Prinzessin Odette, von den Toten auferstanden. Alice im Wunderland.

„Ich hoffe, es macht Euch nichts aus, aber ich habe Euch gebadet und Euch etwas anderes angezogen“, fügte Rhoslyn hinzu.

Glühend heiße Hitze stieg in ihre Wangen. In den letzten elf Monaten hatten sie jede Menge Fremde gebadet und umgezogen, und sie war erleichtert, dass es Rhoslyn gewesen war und nicht irgendein verschwitzter keuchender Kerl. Trotzdem. Wie peinlich. „Wo ist mein Hemd?“

„Es wird gewaschen. Ich muss zugeben, so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Es waren fremde Schriftzeichen darauf.“

Sie schloss das Buch und presste es gegen ihre Brust. „Ich will es zurückhaben.“ Im Augenblick war es ihre einzige Verbindung nach Hause.

„Natürlich. Sobald ich Euch zu Eurer Mutter gebracht habe, werde ich … Oh, verzeiht. Ich wollte sie nicht wieder erwähnen. Ich werde Euch in … das Studierzimmer im unteren Geschoss bringen und das Kleidungsstück für Euch holen.“ Ehe Jane etwas erwidern konnte, fügte Rhoslyn durch zusammengebissene Zähne hinzu: „Ich freue mich so sehr – so wie Euer ganzes Volk –, dass Ihr zu uns zurückgekommen seid. Wir haben Euch vermisst, sehr sogar.“

Eine Lüge, das stand außer Frage. „W… wo war ich?“

„Eure Schwester, Prinzessin Laila, hat gesehen, wie Ihr vor einer gefühlten Ewigkeit von den Klippen gefallen seid. Nachdem Euer neuer Sklave Euch erstochen und leer getrunken hatte. Auch wenn wir Euren Körper nie finden konnten, nahm man an, Ihr wäret tot, denn so einen Sturz hat noch nie jemand überlebt. Wir hätten wissen müssen, dass Ihr, der Liebling von ganz Delfina, einen Weg finden würdet.“ Sie ließ ein steifes Lächeln aufblitzen, das höchstens eine Sekunde anhielt.

Prinzessin Laila. Auch dieser Name hallte in Janes Kopf wider, direkt gefolgt von „grausame, perverse Gelüste“.

„Nicolai“, sagte sie. War er hier? War er echt?

Das Dienstmädchen kaute auf seiner Unterlippe und schien plötzlich nervös zu sein. „Wollt Ihr, dass ich den Sklaven Nicolai zu Euch bringen lasse?“

Janes Pulsschlag beschleunigte sich, ihre Haut erwärmte sich und kribbelte wie zuvor. Dieses Mädchen wusste, wer er war. Das bedeutete, er war wirklich hier, er war so echt, wie sie selbst es war.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Das Buch. Die Charaktere. Die Geschichte, die vor ihren Augen Wirklichkeit wurde … und Jane war jetzt ein Teil davon, tief darin verwoben, auch wenn sie nicht sie selbst war. Endlich. Ein Puzzleteil fiel an seinen Platz.

Das Buch könnte eine Verbindung darstellen. Vielleicht hatte sie, indem sie laut vorlas, eine Pforte von ihrer Welt in diese geöffnet. Vielleicht war es Nicolai irgendwie gelungen, das Buch zu ihr zu schicken, und sie war seine einzige Hoffnung auf Freiheit.

„Nicolai“, wiederholte sie. „Bring mich zu ihm.“ Sie musste ihn sehen, und sie war zu ungeduldig, um abzuwarten. Würde er sie erkennen? Hatte sie recht mit ihren Vermutungen?

Rhoslyn schluckte. „Aber er war es, der Euch erstochen hat, und Eure Mutt… ich meine, äh, die Königin mag es nicht, wenn man sie warten lässt. Sie hat Euch bereits einmal besucht, aber Ihr habt fest geschlafen und konntet nicht geweckt werden. Ihre Ungeduld wächst, und Ihr wisst, Ihre Launen …“ Ihre Wangen röteten sich, als sie merkte, was sie gesagt hatte. „Es tut mir leid. Ich wollte der Königin gegenüber nicht respektlos sein.“

Nicolai hatte Odette erstochen, die Frau, die Jane gerade verkörperte? Das war eine Wendung, die Jane nicht erwartet hatte. Verdammt. Was, wenn er versuchte, Jane das Gleiche anzutun?

Das wird er nicht, sagte ein tief verborgener, geheimer Teil von ihr. Er braucht dich. Das hat er selbst gesagt.

„Ein paar Minuten länger zu warten wird der Königin nicht schaden.“ Wer auch immer diese Königin war und was sie ihr auch bedeuten sollte, Jane war es egal. Obwohl es ihr nicht behagte, dass eine solche Frau, die anscheinend unter unberechenbaren Launen litt, hier regierte und ihre Worte Gesetz waren.

„Eure Schwester …“

„Ist egal.“ Auch sie war tot. Obwohl, wenn man dem Buch glaubte, könnte Odette sehr wohl eine Schwester haben. Diese andere Prinzessin. Aber auch das war Jane egal. „Bring mich zu Nicolai. Sofort.“ Zeit, ein weiteres Puzzleteil zu finden.

Das Mädchen zuckte zusammen, und in der angespannten Stille tickten die Sekunden dahin. Endlich sagte es: „Was immer Ihr befehlt, Prinzessin. Hier entlang.“

3. Kapitel

Man nannte ihn Nicolai. Er wusste nicht, ob das sein richtiger Name war. Er wusste nichts über sich selbst. Immer, wenn er versuchte, sich zu erinnern, pochte ein unerträglicher Schmerz in seinem Kopf, und sein Verstand verschloss sich. Er wusste nur, dass er ein Vampir war, und die Frauen um ihn herum waren Hexen. Das und dass er dieses Königreich und sein Volk verachtete – und er würde sie alle vernichten. Eines Tages. Bald. So wie er eine ihrer Prinzessinnen vernichtet hatte.

Vorfreude stieg in ihm auf. Die Leute, die ihn gefangen hielten, dachten, er wäre schwach und harmlos. Sie hungerten ihn aus, gaben ihm nur einen Tropfen Blut am Morgen und einen Tropfen am Abend. Mehr nicht. Er wurde ständig verspottet und gequält. Besonders von Prinzessin Laila. Von so edler Geburt, und jetzt sieh dich an. Zu meinen Füßen, und ich kann mit dir machen, was ich will.

Von edler Geburt? Das würde er bald herausfinden.

Sie nahmen an, dass er ihnen kein Leid zufügen konnte, nur weil er gefesselt war und hungerte. Sie hatten keine Ahnung, welche Macht in ihm brodelte. Macht, die wie er selbst in Ketten lag, aber sie war da, bereit, im richtigen Augenblick ihre Ketten zu sprengen.

Bald, dachte er mit einem finsteren Grinsen.

Sie hatten seine Macht von ihrer Heilerin fesseln lassen und auch sein Gedächtnis gelöscht, und daraus machten sie kein Geheimnis. Den Grund dafür hatten sie ihm allerdings nie verraten. Woran sollte er sich nicht erinnern? Auch das würde er herausfinden.

Was sie nicht wussten, war, dass die Hexe nicht Nicolais innere Stärke gehabt hatte, und schon jetzt waren einige seiner Fähigkeiten ihrem mentalen Käfig entkommen und hatten es ihm erlaubt, eine Frau zu sich zu rufen, die ihn befreien konnte.

Eine Frau, die endlich angekommen war. Vor Ungeduld und Erleichterung lief er immer wieder in seiner Zelle auf und ab. Seine nackten Füße klopften dabei auf dem kalten Zementboden, und seine Ketten rasselten. Selbst seine Wachen waren schockiert, als Prinzessin Odette wie durch ein Wunder aufgetaucht war. Oder vielmehr das Mädchen, von dem sie annahmen, dass es Prinzessin Odette war.

Die echte Odette war tot. Dafür hatte er gesorgt. Er hatte sie ausgesaugt, erstochen und dann über die Klippen vor den Palastmauern gestoßen. Übertrieben gewalttätig vielleicht, aber ein Feind war ein Feind, und sie hatte seinen Zorn entfacht. Außerdem hatte er sichergehen müssen, dass sich nicht einmal die mächtigsten Hexen von so etwas erholen konnten.

Beeil dich, Weib. Ich brauche dich.

Nicolai hatte unzählige Tage, Wochen, Jahre – er war sich nicht sicher – mit Odette verbracht, ehe er sie umgebracht hatte. Sie war es gewesen, die ihn auf dem Sexmarkt gekauft hatte. Sie war eine grausame Frau gewesen, mit einer Vorliebe dafür, anderen Schmerzen zuzufügen. Sie konnte keinen Höhepunkt erreichen, wenn ihr unfreiwilliger Partner nicht vor Schmerzen schrie.

Bei Nicolai hatte sie nie einen Höhepunkt erreicht.

Stumm zu bleiben war für ihn eine Frage des Stolzes gewesen. Egal welche Werkzeuge sie an ihm benutzt hatte, egal wie vielen Männern und Frauen die Schlampe es erlaubt hatte, ihn zu berühren und zu benutzen, er hatte immer nur gelächelt.

Als Odette ihn mit vor die Palastmauern genommen und ihm damit gedroht hatte, ihn von den Klippen zu werfen, wenn er sich ihr weiterhin widersetzte, war für ihn endlich die Gelegenheit gekommen, zuzuschlagen. Sie hatte den Fehler gemacht, seinen Maulkorb im Kerker zurückzulassen. Sie hatte auch den Fehler gemacht, in seine Reichweite zu kommen. Obwohl er in Ketten gelegen hatte, hatte er sie angefallen, sie zu Boden geworfen und seine Fangzähne in ihrem Hals vergraben. Ausgehungert, wie er gewesen war, hatte es nur wenige Minuten gedauert, sie leer zu saugen. Und nach dem letzten Schluck, der ihr das Leben genommen hatte, hatte er sie mit ihrem Dolch erstochen, nur um sicherzugehen, und sie über den Rand der Klippen geworfen.

Der Leibwächter hatte zu spät bemerkt, was vor sich ging, und da hatte Nicolai, der Appetit auf einen weiteren Imbiss bekommen hatte, ihn bereits angefallen. Sie hatten wie Tiere gekämpft. Nur weil er animalischer war als die meisten Männer, hatte Nicolai gewonnen. Der Wächter hatte eigentlich keine Chance gehabt. Wenn man sie provozierte oder sie hungrig waren, wurden Vampire wahnsinnig und heißhungrig – unvorhersehbare, unkontrollierbare Raubtiere, die Beute gewittert hatten.

Während er sein zweites Opfer ausgesaugt hatte, war Prinzessin Laila gekommen. Nachdem sie ihrer älteren Schwester immer das Anrecht auf den Thron geneidet hatte, genau wie ihre Besitztümer und Nicolai selbst, hatte sie Odette beobachtet und auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.

Nicolai hatte ihn ihr unfreiwillig verschafft. Sie und ihre Wachen waren schneller gewesen, als seine Augen es fassen konnten, gestärkt und beschleunigt durch uneingeschränkte Magie, und auch wenn die Mahlzeit, seine erste seit Wochen, ihn gestärkt hatte – die Ketten hatten ihn behindert. Sie hatten ihn beschämend schnell überwältigt.

Plötzlich ertönten Schritte, gefolgt von einem süßen Duft, und beides zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Nicolai erstarrte, seine Ohren zuckten, und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Alles verzehrender Hunger überkam ihn, sein Magen zog sich zusammen. Muss … das Weib … kosten …

Das Verlangen entsprang nicht seinem Verstand, sondern einer Quelle tief in seinem Innersten. Einem Instinkt, einem Bedürfnis.

Normalerweise kündigten Schritte Lailas Bedienstete an, die kamen, um ihn die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer zu schleppen. Dieses Mal bog eine pummelige Rothaarige um die Ecke. Er sog die Luft tief ein und knurrte. Sie war es nicht. Von ihr ging dieser süße Duft nicht aus.

Nicolai hielt den Atem an und hoffte, dadurch seinen Verstand zu klären, wenn auch nur für einen Augenblick. Er war so verdammt hungrig nach der Quelle des Duftes – er musste sie sehen. Er blieb in der Mitte seines Käfigs stehen, hinter ihm seine Pritsche, vor ihm das schwere Gitter, und wartete. Wer würde sein Verlies als Nächstes betreten?

Und dann sah er sie. Die Frau, die er herbeigerufen hatte. Seine „Odette“.

Er atmete scharf ein. Sie. Sie war es. Ein zweites Knurren stieg in ihm auf, dieses Mal direkt aus seiner Seele. Muss das Weib kosten.

Sie roch nicht wie die wahre Odette. Für alle anderen würde sie das. Sie würde nach dem zu starken blumigen Parfum riechen, vermischt mit dem widerlichen Gestank einer eiternden Wunde – der Beweis ihres verdorbenen Herzens. Aber für ihn … oh, für ihn … Er atmete noch einmal ein, er konnte nicht anders. Ein Fehler. Die Süße war jetzt dichter, fast, als könnte er sie berühren. Sie vernebelte ihm den Verstand. Muss. Kosten. Seine Fangzähne und sein Zahnfleisch schmerzten, so sehr wollte er von ihr trinken. Muss kosten.

Er betrachtete sie, und sein Blut ging fast in Flammen auf. Jeder, der sie ansah, würde nur die Maske erblicken, die sein Zauber auf sie gelegt hatte. Eine mystische Illusion, die sie zu einer anderen Frau machte. Haar, so schwarz wie der Abgrund, die Augen funkelnde Smaragde und Haut so blass wie Schnee. Aber damit hatte sich die legendäre Schönheit ihres Vaters auch schon erschöpft, und die grausame Hässlichkeit ihrer Mutter zeigte sich. Odette war groß, aber kräftig gebaut, ihre Wangen durch zu viel Maßlosigkeit aufgequollen, ihr Kiefer breit und kantig. Ihre dunklen Augenbrauen waren buschig und berührten sich fast in der Mitte. Ihre Nase war lang und eindeutig krumm.

Was Nicolai dagegen sah, war die Frau, die sein Suchzauber gewählt hatte. Die Frau aus seinen Träumen. Träume, in denen sie am Rand stand, ihn beobachtete und nie ein Wort sprach. Träume, die er nicht verstanden hatte. Bis jetzt. Die ganze Zeit hatte seine Magie gewusst, was er brauchte.

Sie war genauso groß wie Odette, jedoch schlank wie ein Grashalm, und ihr Haar hatte die Farbe von Honig. Ihre Augen waren verführerisch katzenhaft, eine Schattierung dunkler als ihr Haar und voll düsterer Geheimnisse. Ihre Haut war leicht gebräunt und leuchtete, als wäre die Sonne darunter verborgen. Ihre Wangen waren perfekt modelliert, ihr Kinn stur und doch zart.

Zart, ja. So sah sie aus. Verführerisch filigran, unglaublich fragil und herrlich weiblich. Fast … zerbrechlich. Würde er sie umbringen, wenn er von ihr trank? Und er würde von ihr trinken. Er würde nicht in der Lage sein, ihrem Duft lange zu widerstehen.

In ihm regte sich ein Beschützerinstinkt – eine Empfindung, die er nicht kannte, erst recht nicht für eine Fremde – und verlangte, dass er sie in seine Arme nahm und weit fort von all den Schrecken brachte. Schrecken, für die er verantwortlich sein würde. Nicht nur durch seine dunkle Umarmung, sondern auch durch die Bosheit der Leute um sie herum. Den Bewohnern von Delfina wäre ihr Leben nichts wert, wenn sie erfuhren, wer sie in Wahrheit war. Sie würden sie umbringen. Unter Schmerzen.

Willst du Freiheit oder das Mädchen beschützen? Beides kannst du nicht haben.

Er verschloss sein Herz. Er wollte Freiheit.

Ihre Blicke trafen sich eine Sekunde später, und ein Schock des Erkennens durchfuhr ihn. Vielleicht spürte sie es auch, denn sie keuchte auf und stolperte. Dann richtete sie sich auf und blieb an den Gittern seines Käfigs stehen. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren weit aufgerissen, ihr sinnlich rosiger Mund offen über gleichmäßigen weißen Zähnen. Sie hielt ein Buch in der Hand.

Koste sie …

Er wünschte sich, ihre Zunge zu sehen. Wollte ihre Zunge mit seiner einfangen. Sein Verlangen überraschte ihn. Wie lange war es her, dass er wirklich erregt gewesen war?

„Du bist echt“, flüsterte sie und legte ihre freie Hand um einen Gitterstab. Sie drückte so fest zu, dass ihre Knöchel weiß wurden. „Du bist wirklich hier. Und du siehst genau wie in meinen Träumen aus.“

Er nickte steif – nicht das Einzige, was an ihm steif war. „Ich bin echt, ja.“ Sie hatte von ihm geträumt, wie er von ihr geträumt hatte? Die Vorstellung gefiel ihm.

Er deutete mit dem Kinn auf ihre Dienerin. Mach, dass sie verschwindet.

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf das Mädchen, und sie keuchte noch einmal auf, als überraschte es sie, nicht mit ihm allein zu sein. „Du kannst gehen, Rhoslyn. Und danke, dass du mich hergebracht hast.“

„Alles, was Ihr wünscht, Prinzessin.“ Rhoslyns Miene wurde vor Erleichterung weich, und sie knickste. Dann lief sie schnell um die Ecke und die Treppe hinauf.

„Du bist verwirrt“, sagte Nicolai. Wie rau seine Stimme war, wie er sie durch seine Zähne pressen musste und wie schneidend sein Tonfall klang.

Ein Schauer lief über ihren schmächtigen Körper, als sie sich ihm zuwendete. „Ja. Ich war allein zu Hause und habe in einem Buch gelesen – über dich! Und im nächsten Augenblick war ich hier. Wie komme ich hierher? Wo ist hier? Zuerst dachte ich, dass ich halluziniere oder das Ganze ist ein Streich, aber das stimmt nicht. Ich weiß, dass es nicht stimmt. Ich bin ganz ruhig. Ich kann sehen, und ich kann fühlen.“

„Keine Halluzination, kein Streich.“ Seine Stirn legte sich in tiefere Falten, und seine Fangzähne gruben sich in seine Unterlippe. Nur ein Schluck, nur ein kleiner Schluck. „Du hast ein Buch über mich gelesen? Ist es das?“

Ihr Blick fiel auf seine Zähne, und sie schluckte. „Ja. Ich glaube, du hast es selbst geschrieben.“ Ihre Stimme war so zart und zerbrechlich wie ihre Gestalt. „Oder wenigstens einen Teil davon. Aber nein, das hier ist es nicht. Es ist leer. Oder vielleicht ist es das doch, es ist nur noch nicht geschrieben.“

Soweit er wusste, hatte er kein Buch geschrieben, und er hatte auch niemandem ein Buch geschickt. Das hatte allerdings nichts zu bedeuten. Die Erinnerung daran konnte mit dem Rest seiner Vergangenheit begraben liegen.

Er schloss einen Moment lang seine Augen und genoss ihren Duft – und spürte, wie der Schmerz in seinem Zahnfleisch sich verstärkte. Er ging auf sie zu, entschlossen, sie zu packen und zu beißen.

Als er merkte, was er tat, zwang er sich, anzuhalten. Er würde ihr nur Angst einjagen, und dann schrie sie, und eine Wache würde kommen, um sie zu retten.

Er könnte natürlich eine Hand auf ihren Mund legen und mit der anderen ihren Kopf nach hinten schieben, um sich freie Bahn zu verschaffen. Er könnte an ihr lecken … endlich köstlich schmecken …

Konzentrier dich. „Weißt du, wer ich bin?“ Wieder war sein Tonfall rau und fordernd. „Sind wir uns schon begegnet? Außer in deinen Träumen?“

„Nein.“

Enttäuschend. „Ich werde dir alles erklären. Später“, log er. Je weniger sie wusste, jetzt und in Zukunft, desto besser für sie. „Jetzt müssen wir uns beeilen.“ Seit er auf dem Sklavenmarkt aufgewacht war – vor Wochen, Monaten, Jahren? – trieb ihn mehr an als nur der Drang, zu trinken und zu entkommen. Ihn trieb der Drang an, das Königreich Elden zu erreichen.

Er musste dorthin. Bald. Mehr als das, er musste den neuen König umbringen. Er wusste nicht, warum, er wusste nur, dass der bloße Gedanke an den Mann ihn mit Zorn erfüllte. Und mit jedem Tag, den dieser Mann lebte, starb ein Stück von Nicolai. Dieses Wissen gehörte nicht zu seinen Erinnerungen, es kam aus der gleichen Quelle wie sein Bedürfnis, diese Frau hier zu kosten.

Kosten. Wie oft würde er das Wort noch denken?

Unzählige Male. Bis er bekam, was er wollte, dessen war er sich sicher.

„Gib mir deinen Arm.“ Er leckte sich die Lippen bei dem Gedanken, sie zu berühren, die Textur ihrer Haut zu erfahren. „Ich werde dich zeichnen.“ Ein kleiner Biss in ihr Handgelenk, das war alles. Er würde sich zwingen, aufzuhören. Für den Anfang.

Sie schüttelte den Kopf, und ihr Honighaar tanzte auf ihren Schultern. „Nein. Erklär mir alles. Jetzt. Danach können wir darüber reden, ob du mich zeichnest, was auch immer das sein mag.“

Die Frau konnte nicht so stur sein, wie sie sich gab. „Wir werden vielleicht getrennt.“ Ehe sie ihn befreite. „Ich will zu jeder Zeit wissen, wo du bist.“

„Äh, ich bin mir nicht sicher, wie es mir gefällt, dass jemand immer weiß, wo ich bin. Aber wie gesagt, wir können darüber reden. Später.“

Also gut, sie war noch sturer, als es den Anschein hatte. „Wie du sehen kannst, bin ich ein Sklave. Ich werde gefoltert.“ Die Worte auszusprechen entfachte noch mehr Wut in ihm. Er hätte nie zulassen dürfen, dass man ihn in diese Situation brachte. Er hätte stärker sein müssen. Er war stärker. Aber er wusste beim besten Willen nicht, wie er auf den Sexmarkt gekommen war. „Ich weiß nicht einmal …“

„Ob dein Name wirklich Nicolai ist, bla, bla, bla. Ich weiß. Ich habe doch gesagt, ich habe in dem Buch über dich gelesen. Ich verstehe das alles nur nicht.“ Sie deutete auf den Kerker, auf ihn, auf ihr Gewand. „‚Jane, ich brauche dich‘, hast du gesagt. Woher wusstest du, dass du mir schreiben sollst, wenn wir uns noch nie begegnet sind?“ Sie strahlte Verzweiflung aus. „Es sei denn, ich war schon einmal hier, bin dann aber in eine Zeit nach Hause zurückgekehrt, in der wir uns noch nicht begegnet waren, und meine Träume waren Echos von den Dingen, die noch kommen sollten. Das würde bedeuten, wir befinden uns in einer Zeitschleife, aber das führt natürlich zu einem Paradox, und …“

„Genug.“ Jane. Ihr Name war Jane. Er erschien ihm irgendwie vertraut, und seine Erregung stieg … und stieg. Vielleicht weil die Silbe so weich und lyrisch war wie ihr fremder – kaum hörbarer – Akzent. Konzentrier dich. Wenn sie irgendwem sonst diese Fragen gestellt hätte … „Was hast du den anderen erzählt?“

„Nichts.“ Sie lachte ohne Humor. „Ich kenne sie nicht.“

„Gut. Das ist gut.“ Aber ihn kannte sie, obwohl sie sich nur in ihren Träumen gesehen hatten? Wie er in diesem Buch behauptete, sie zu kennen? Hier ging noch irgendetwas anderes vor sich. „Woher kommst du, Jane?“

„Oklahoma.“

Oklahoma war nicht Teil dieses magischen Reiches. „Dann bist du eine Sterbliche? Keine Hexe?“

Ein Zwinkern mit dunklen Wimpern und ein Augenblick des Erschreckens. Und Stolz. „Ich hatte recht. Ich habe die Grenze übertreten, nicht wahr?“

„Jane. Ich habe dir eine Frage gestellt.“ Und er war es gewohnt, sofort Antworten zu erhalten. Das spürte er in seinen Knochen.

„Ja, ich bin sterblich, und nein, ich bin keine Hexe. Aber du, du bist ein Vampir.“

Er nickte. Er wusste, dass dieses Reich neben der Welt der Sterblichen existierte – einer Welt, die zum größten Teil nicht wusste, was sie umgab.

Die Grenze übertreten, wie sie es genannt hatte, geschah öfter, als es sollte. Wie und warum, wusste allerdings niemand. In einem Augenblick redete man mit einem Formwandler, oder man kämpfte gegen einen Oger, und im nächsten stand an seiner Stelle ein Mensch. Und wenn es kein Mensch war, dann ein nutzloses, biegsames Objekt.

Vor Enttäuschung brach Nicolai fast zusammen. Warum hatte seine Magie diese Frau gewählt? Was nutzte ihm eine Sterbliche hier? Selbst wenn sie so verlockend war? Wenn Jane gebeten würde, ein Ritual abzuhalten, wie man es von Odette oft verlangt hatte, könnte sie es nicht. Sie würde versagen. Dann würden alle wissen, dass sie nicht war, wer sie zu sein behauptete, und das, noch ehe er bekam, was er wollte.

Er musste schneller handeln, als er geplant hatte.

„Hör zu. Ich habe dich hierher beschworen, und ich bin es, der dich beschützen wird.“ Eine kleine Wahrheit, mit der er sie beschwichtigen wollte. „Vertrau niemandem sonst. Nur mir.“ Eine Lüge, die ihn retten sollte. Denn sobald sie ihn befreit hätte, würde er alles hinter sich lassen. Diesen Palast – und sie. Weil seine Macht so unberechenbar war, konnte er die Maske, die sie zu Odette machte, nicht abnehmen, solange sie zusammen waren, ohne zu riskieren, sie gleichzeitig wieder nach Hause zu schicken. Außerdem musste sie sich im Palast frei bewegen können, wie es nur eine Prinzessin konnte. Was eine Prinzessin nicht konnte, war, außerhalb dieser Mauern zu reisen, ohne belästigt zu werden.

Sobald er sie verlassen hätte, würde Jane nur noch ihr Verstand bleiben, um sich zu schützen.

Er verspürte einen Anflug von Schuldgefühlen. Ehe diese Gefühle Zeit hatten, sich auszubreiten, Wurzeln zu schlagen und zu wachsen, zermalmte er sie zu Staub und verstreute sie in alle Winde. Er durfte nicht weich werden. Egal wie verzweifelt er das Blut dieser Frau begehrte.

„Du hast also irgendeinen Zauber veranstaltet?“, fragte sie. „In Ordnung. Einen magischen Vampir kann ich mir vorstellen. Aber viele Leute glauben auch, Wissenschaft ist so etwas wie Magie. Also, reden wir von natürlicher Magie, Runen, Hellsehen oder Metaphysik? Ich kann nämlich …“

„Jane.“ Sie plapperte. Er fand das … charmant. Er runzelte die Stirn. Charmant? Wirklich? Er musste sie kosten, ehe sich sein Urteilsvermögen noch mehr trübte.

Sie lächelte verlegen. „Tut mir leid. Neugierde und Rätselraten sind irgendwann noch mal mein Untergang. Waren sie jedenfalls früher. Ich dachte, ich würde sie mittlerweile hassen, aber, na ja, wie du siehst, ist das nicht der Fall.“

Dieses Lächeln – hatte er je etwas so Offenes und Unschuldiges gesehen? Ein weiterer Funke der Schuld loderte in seiner Brust, aber er erstickte ihn wieder. Dieses Mal fiel es ihm leichter, weil seine Erregung angestiegen war und langsam das Einzige wurde, worauf er sich noch konzentrieren konnte.

Nein. Nur seine Flucht zählte.

„Warum ich?“, fragte sie. „Ich meine, woher wusstest du, dass du ausgerechnet mich beschwören musst?“

Er hatte eine Frau gewollt, die der Anziehung eines Vampirs erlag, eine, die noch nicht durch das Böse der Herzkönigin beschmutzt war, eine, die sich nicht vor Blut fürchtete und die seine Qualen begriff. Er erzählte ihr nichts davon. Er kannte die Frauen – jedenfalls glaubte er das – und wusste, es würde ihr nicht gefallen. „Befiehl meine Freilassung. Sofort. Beeil dich.“

Plötzlich wirkte sie verärgert. „Wie?“, verlangte sie zu wissen.

„Ruf die Wache. Sag ihnen, sie sollen mir die Ketten abnehmen, weil du mich mit in deine Schlafkammer nehmen willst. Und dann sag ihnen, sie sollen die Heilerin zu uns schicken.“

„Die Heilerin?“ Ihr besorgter Blick fuhr über seinen Körper. „Bist du verletzt?“

Nein. Aber die Heilerin hatte seine Erinnerungen und seine Macht gefesselt. Also musste sie auch in der Lage sein, sie zu befreien. Und, dachte er düster, ich will die Schlampe umbringen. „Ich höre nicht, wie du nach der Wache rufst, Jane.“

„Dann funktionieren deine Ohren ausgezeichnet, Nicolai. Also, die Wache wird tun, was ich ihnen befehle?“ Sie schnippte mit den Fingern. „Einfach so?“

„Für sie bist du Prinzessin Odette. Die älteste Tochter ihrer Königin und bald ihre Herrscherin.“ Nicolai erlaubte es sich endlich, an das Gitter heranzutreten. Seine Ketten rasselten dabei. Immer näher … „Sie werden alles tun, was du von ihnen verlangst.“

Sie ließ das Metall los und wich zurück, ehe er sie anfassen konnte. Als wäre er schmutzig und unwürdig. Wahrscheinlich war er das. „Ja, aber warum glauben die, dass ich Odette bin?“

Ein Muskel unter seinem Auge fing an zu zucken. Ihre andauernden Fragen gingen ihm auf die Nerven, das stimmte, aber ihre Nähe war noch aufreibender. Wenn er ihr nahe war, überwältigte ihr Duft ihn fast und war so köstlich, dass er wahrscheinlich sabberte. „Darum.“

„Warum?“, wiederholte sie.

Stures Stück. „Weil meine … Vampirmagie sie dazu bringt“, sagte er tonlos. Ihr mehr zu verraten, würde sie vielleicht in die Flucht schlagen. Sterbliche waren so leicht verängstigt von Dingen, die sie nicht verstanden.

Im Augenblick brauchte er diese Frau auf seiner Seite und bei Sinnen. Auch wenn er zugeben musste, dass sie sich bisher ziemlich gut hielt.

„Wie?“, fragte sie hartnäckig.

Er schüttelte das Gitter. „Tu, was ich dir sage, Jane. Wir müssen uns beeilen.“

Sie hob eine Augenbraue. „Du bist niedlich, wenn du versuchst, mich herumzukommandieren, weißt du das?“ Die Farbe in ihren Wangen vertiefte sich, und ihr Atem wurde flacher. „Und du … riechst nach Sandelholz.“

Ihm wurde klar, dass sie seinen Duft ebenso sehr mochte wie er ihren. Es erregte sie. Ihre Brustwarzen waren kleine Perlen unter ihrem Gewand, die nach einer Berührung oder einem Kuss flehten. Kribbelte ihr Bauch? War sie schon feucht zwischen den Beinen?

Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich weiß nicht, warum ich hier bin oder wie sie mich fassen konnten, aber ich weiß, dass ich nicht hierher gehöre. Wenn ich bleibe, werden sie mich wieder und wieder foltern. Sag mir, dass du anders bist, Jane. Sag mir, dass es dir nicht gefällt, zuzusehen, wie ein Mann gefoltert wird.“

Ihr Blick fiel auf das Metall, das um seinen Hals lag, und dann tiefer. Vielleicht folgte sie den getrockneten Blutstropfen auf seinem Bauch, ehe sie an seinem aufgestellten Lendenschurz haltmachte.

Noch ein Schauder überlief sie. „Es gefällt mir nicht“, hauchte sie gebrochen. „Aber was geschieht, wenn die merken, dass ich nicht Odette bin?“

„Das werden sie nicht.“ Diese Lüge gelang ihm nicht so reibungslos. „In Ordnung? Alles, was du wissen musst, um die Illusion aufrechtzuerhalten, ist, dass du mich auf dem Sexmarkt erworben hast. Ich gehöre dir. Verlange, dass sie mich freilassen, und nimm mich mit in deine …“

Das Geräusch von Schritten hallte durch den Kerker, und Nicolai presste seine Lippen zusammen. Jane erstarrte. Publikum konnten sie jetzt nicht gebrauchen. Dann kam Laila um die Ecke. Ein finsterer Ausdruck entstellte ihr ohnehin hässliches Gesicht. Sie war klein und kräftig wie ihre Mutter, ihre Wangen waren ebenso voll wie Odettes und ihre Hängebacken genauso auffällig.

Ohne die Hakennase galt sie allerdings als „Schönheit“ der Familie. Sie hatte ihre langen Haare zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengenommen, nur zwei Locken hingen ihr an den Schläfen herab. Ihr opulentes Kleid aus grünem Samt passte zu ihren Augen, auch wenn es in diesem oder jedem anderen Königreich nichts gab, was sie attraktiv hätte machen können. Das Böse in ihrer Seele überschattete alles.

Ein silberner Zeitmesser hing von einer Kette an ihrem Hals. Sie nahm ihn nie ab, und der Anblick ließ Nicolais Magen stets vor Wut verkrampfen. Warum?

Laila kam abrupt zum Stehen, als sie Jane entdeckte, und glättete ihre Miene so schnell sie konnte zu einem liebevollen Ausdruck. „Was machst du hier unten, liebste Schwester? Und dann noch in deinem Nachthemd.“ Sie lachte nervös. „Du solltest dich ausruhen. Wir wollen doch nicht, dass du krank wirst, oder? Du hast bereits so viel durchmachen müssen.“

Auch ihre Stimme ekelte ihn an. Er hatte sie über sich gehört, unter sich, hinter sich und ihren warmen Atem auf seiner Haut gespürt. Und jetzt, so kurz vor seiner Flucht, musste er sich auf die Zunge beißen, um seine Flüche für sich zu behalten.

Bald würde er sie vernichten.

Jane schluckte und sah ihn an.

Tu, was ich dir gesagt habe, Jane, vermittelte er ihr, und ein Teil von ihm verabscheute es, das tun zu müssen. Er hatte noch nie im Leben um etwas bitten müssen. Er hatte immer … Ein scharfer Schmerz durchfuhr seine Schläfen und unterbrach seine Gedanken. Eine Erinnerung, abgestorben, ehe sie leben konnte.

„Du bist Prinzessin Laila. Meine Schwester. Ja.“ Jane atmete tief ein, drückte ihre Schultern durch, und stellte sich ihrer „Schwester“. „Er … er ist mein. Er gehört mir.“ Was ihr an Überzeugungskraft fehlte, machte sie mit Entschlossenheit wett.

Braves Mädchen.

Laila knirschte mit ihren viel zu weißen Zähnen und trat von einem Fuß auf den anderen. „Ja, aber du warst fort, meine Liebe. Ich habe seine Pflege übernommen. Jetzt gehört er mir.“ Sie streichelte den Zeitmesser. „In solchen Situationen gibt Mutter immer dem recht, der schon besitzt.“

„Ist mir egal. Er ist mein.“

„Odette, sei vernünftig.“ Wie geduldig Laila erschien. Eine Täuschung. „Er hat schon einmal versucht, dich umzubringen, und es ist ihm fast gelungen. Du kannst mit ihm nicht fertigwerden, und ich habe mich an ihn gewöhnt, also …“

„Ich sagte, er ist mein.“

Braves Mädchen, dachte er wieder. Nicolai wünschte sich so verzweifelt, den Sturm der Macht in sich entfesseln zu können, lieber jetzt als später. Er würde Laila zerschmettern, lächeln, während sie brüllte, lachen, während sie starb, und dann den Palast Stein für Stein auseinandernehmen und auf dem Schutthaufen tanzen.

Bald. Das Wort hallte unablässig in ihm wider.

Er wusste nicht, welche Macht er in sich trug oder ob er stark genug war, um zu tun, was er mit diesem Königreich vorhatte. Die vollkommene Zerstörung. Aber er machte sich keine Sorgen darum. Wenn seine Macht zu schwach war, würde er seine Armee herbeirufen, und sie würden gemeinsam marschieren …

Wieder schoss ihm der Schmerz durch den Kopf, und eine weitere Erinnerung war zerstört. Der Schmerz entlockte ihm ein Zischen und befreite seinen Verstand, ehe er sich vollkommen verlor.

Beide Frauen warfen ihm einen kurzen Blick zu, ehe sie sich wieder aufeinander konzentrierten. Aber Lailas Blick kehrte noch einmal zu ihm zurück, und zu seiner Erektion – in der sein Verlangen nach Jane noch immer pulsierte. Sie sperrte überrascht den Mund auf. „Du bist erregt.“

Er griff schweigend unter seinen Lendenschurz und begann seine Länge auf und ab zu reiben, sie mit dem zu verspotten, was er ihr nie freiwillig geben würde.

Laila keuchte unterdrückt und riss ihre Augen weit auf, als sie sich zu ihrer Schwester umdrehte. „Wie ist es dir gelungen, ihn zu erregen?“

„Ich … ich …“ Rot zu werden stand Jane genauso gut wie ihr Lächeln. So unschuldig und süß sah sie aus, wie Sonnenlicht und Mondlicht zusammen. Kosten …

„Schon gut“, fuhr Laila sie an. Die Fassade aus Liebe und Geduld brach rasch zusammen. „Ist auch egal. Mutter ist auf dem Kriegspfad und will mit dir reden. Sie hat tagelang um deinen Tod getrauert und war außer sich vor Freude bei deiner Rückkehr. Diese Freude wird dich aber nicht davor bewahren, ausgepeitscht zu werden, wenn du dich ihr weiterhin widersetzt.“

Eine Mutter, die tagelang um ihr Kind trauerte. Wie herzerwärmend, spottete Nicolai in Gedanken. Aber die Herzkönigin war schon immer als brutale Tyrannin bekannt gewesen, ein gnadenloses Miststück und eine machthungrige Mörderin. Nicolais eigene Mutter war …

Er biss die Zähne zusammen, um den Schmerz zu ertragen.

„Ich hatte gehört, dass du auf dem Weg hier herunter bist“, fuhr Laila fort, „und ich bin gekommen, um dich zu holen. Du willst die Königin doch nicht etwa warten lassen?“

„Ich … ich …“

„Nein. Willst du nicht.“

Verdammt. Jane ließ sich von Laila anführen. Sie bewies damit, dass sie nicht die Willenskraft hatte, selbst die Führung zu übernehmen. Seine einzige Chance auf Flucht schwand mit jeder Sekunde, die verstrich, mehr.

„Laila, nein, ich …“

„Dein armer verwirrter Verstand hat sich noch nicht von deinem Sturz erholt, nicht wahr, mein Liebling? Aber du möchtest die Haut auf deinem Rücken bestimmt behalten, das weiß ich genau. Wache!“, rief Laila.

Jane rang die Hände. Sie war offensichtlich aufgewühlt.

„Ich … ich … Das ist nicht nötig. Ich will nicht ausgepeitscht werden, aber ich muss wirklich …“

Zwei bewaffnete Wachen kamen um die Ecke und blieben hinter Prinzessin Laila stehen. Sie hielten ihren Blick geradeaus gerichtet und erwarteten ihre Befehle.

Wenn sie Jane anfassten, würde Nicolai sie hinrichten. Er würde ihnen die Kehlen aufschlitzen und auf ihre Leichen spucken. Die Wildheit seiner Gedanken hätte ihn überraschen sollen. Jane war nur aus einem einzigen Grund hier; ob sie sich nun so verhielt oder nicht und ob die Bewohner von Delfina sie anfassten, war nebensächlich. Doch Nicolai war nicht überrascht. Nichts würde ihn davon abhalten, diese Männer kaltblütig zu ermorden. Jane gehörte ihm. Sie war seine Retterin, und nur er durfte sie anfassen. Nur er allein. Niemandem sonst war es gestattet.

Bis er sie zurückließ.

Er biss sich so fest auf die Zunge, dass er das eigene Blut schmeckte.

„Legt dem Gefangenen seinen Maulkorb an und bringt ihn in meine Kammer“, befahl Laila, und er entspannte sich etwas. Die Männer waren also nicht wegen Jane hier. „Meine Schwester und ich werden von der Königin erwartet.“

„Nein“, knurrte Nicolai, ehe er sich davon abhalten konnte.

„Nein?“ Laila richtete erstaunt ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Sie wickelte ihre fetten kleinen Finger um den Zeitmesser, der von ihrem Hals hing, und drückte zu. „Du wagst es, Befehle zu erteilen, Sklave? Mir?“

„Odette bleibt.“ Jane konnte vielleicht die Diener und ihre Schwester täuschen, aber die Herzkönigin war nicht so leichtgläubig. Sie hatte Odette nach dem eigenen Abbild geschaffen, und niemand kannte sie besser. Jane und ihre seltsame Sprache würden sofort enttarnt werden. Und dann brachte man sie um, ehe Nicolai sie benutzen konnte.

Herz … verhärten.

Erweichen …

Laila fing an zu stammeln: „Du … du willst nur wieder versuchen, sie umzubringen. Deswegen willst du sie hierhaben. Ich weiß es genau. Deshalb gibst du vor, sie zu begehren. Nur deshalb.“

Er fuhr mit der Zunge über seine Fangzähne. „Ich muss in ihr sein. Deshalb soll sie hierbleiben.“

Wieder lief Jane rot an.

„Du … du lügst“, stotterte Laila. „Du hasst sie. Du würdest nie mit ihr ins Bett wollen.“

„Ich begehre sie.“

Eine angespannte Pause. Mit abgehackten Bewegungen überbrückte Laila die Entfernung zwischen sich und ihrer Schwester und legte einen Arm um Janes Taille. „Hör nicht auf ihn. Er würde alles sagen, um eine zweite Chance zu bekommen, dir wehzutun. Komm mit. Ich beschütze dich.“

„Nein!“ Jane sprang aus Lailas Umarmung und starrte zu den Wachen hinauf. „Bringt Nicolai in meine Kammer und legt ihm keinen Maulkorb an. Und sag M… Mutter, ich brauche meine Ruhe. Ich spreche später mit ihr.“

Laila wurde blass, als die Männer Janes Befehlen folgten. Sekunden später quietschen die Scharniere, die Tür zu Nicolais Käfig öffnete sich. Weitere Schritte wurden laut, und dann wurde ein Schlüssel in die Metallfassung gesteckt, die ihn an die Wand fesselte.

Seine Erleichterung war beinahe greifbar.

„Aber … aber Odette. Du begibst dich in Gefahr“, sagte Laila verzweifelt.

„Er. Gehört. Mir. Mehr gibt es nicht zu sagen.“

Das waren die falschen Worte. Ihre Behauptung – Er gehört mir – weckte ein wildes Tier in ihm. Ihr, er gehörte ihr, und er würde sie nehmen, ehe er sie verließ, egal was die Folgen waren. Immer und immer wieder. Auf jede Art, die er sich vorstellen konnte. Er würde von ihr trinken und ihren Körper in Besitz nehmen.

Er war nicht mehr aufzuhalten, und man konnte nicht mehr vernünftig mit ihm reden. Jetzt nicht mehr.

4. Kapitel

Die Federmatratze gab unter seinem Gewicht nach, als die Wachen Nicolai auf das Bett zwangen. Sie verankerten die Metallketten um seinen Hals an einem Stahlhaken in der Wand und nahmen ihm dann die Ketten von Hand- und Fußgelenken ab – nur, um ihn gleich danach an die Bettpfosten zu fesseln.

Jane stellte fest, dass Odette schon früher Sklaven hierher hatte bringen lassen. Die Pfosten waren mit tiefen Kerben vernarbt, die von ihrem Widerstand sprachen. Jeder Menge Widerstand. Wie oft hatte Nicolai diese Art von Erniedrigung durch die Prinzessin ertragen müssen?

Wenigstens versuchte er nicht, die Wachen zu beißen, und sie versuchten auch nicht, ihm wehzutun. Jane musste sich also nicht auf die Seite eines „Sklaven“ stellen und ihr Misstrauen wecken. Sie fühlte sich auch so bereits, als blinkte eine Leuchtreklame über ihrem Kopf, auf der groß „Betrügerin“ stand.

Gott sei Dank hatte Laila die Wahrheit nicht bemerkt. Und was für ein Schock war diese andere Prinzessin überhaupt? Klein, gedrungen und so gemein, dass man meinte, ihr müsse Schaum vorm Mund stehen. Wenn die böse Hexe aus dem Märchen sich mit Hannibal Lecter zusammentat und die beiden ein Kind bekamen, würde dieses Kind Laila heißen.

Pass auf, was um dich herum geschieht, Parker!

Ach ja. Jane konzentrierte sich. Sie sah fassungslos zu, wie einer der Wachmänner Nicolai von Kopf bis Fuß säuberte und der andere ihn einölte.

Sie legte ihr Buch auf den Nachttisch und überlegte sich, ob sie etwas dagegen einwenden sollte, wie man mit ihm umsprang, aber sie war sich nicht sicher, ob „Odette“ so etwas tun würde. Deswegen hielt sie den Mund. Die ganze Zeit blieb Nicolai stumm, sein Gesicht war ausdruckslos, aber sein Blick, oh, sein Blick klebte förmlich an ihr. Seine Pupillen waren riesig, und darin funkelte immer noch … Lust.

Auf sie oder auf ihr Blut? Seine Fangzähne waren scharf und lang und zeigten, wie groß sein Hunger war.

Im Augenblick war er das perfekte Aushängeschild für einen Fetisch für Fesseln, Blut und harte Kerle. Er war angekettet, das schon, aber er behielt trotzdem die Kontrolle. Er war stark, sowohl körperlich als auch geistig, und er strahlte etwas aus, Pheromone vielleicht, die in ihr den Wunsch weckten, sein Sklave zu sein. Jede Zelle ihres Körpers sehnte sich schmerzlich und wild nach seiner Berührung. Sie war noch nie einem Wesen begegnet, das einen so perfekten Körper hatte.

Einen so stolzen und starken Mann zu sehen, wie er auf einem Bett aus rosa Spitze und Rüschen gefesselt lag und dafür vorbereitet wurde, von ihr benutzt zu werden, sollte ihr eigentlich den Magen vor Übelkeit umdrehen. Aber sie begehrte ihn nur noch mehr.

Sie hatte ihn sich schon vorgestellt, ehe sie sich begegnet waren, aber ihre Vorstellung hatte ihm nicht gerecht werden können. Er war groß, mindestens einen Meter neunzig, mit breiten muskulösen Schultern, einem sehnigen festen Bauch und einer Haut wie Milchkaffee. Er hatte schulterlanges Haar, schwarz wie die Nacht, und Augen, deren Farbe an Mondlicht auf Schnee erinnerte, silbrig und von goldenen Fäden durchzogen.

Sie sah nicht ihren Tod in diesen Augen, wie das Buch ihr versprochen hatte. Sie sah ihre Verführung. Wie oft hatte sie sich selbst davon abhalten müssen, die Hand auszustrecken und sich von ihm „zeichnen“ zu lassen, was auch immer das bedeutete, nur um seine Haut auf ihrer zu spüren. Deshalb war sie von ihm fortgesprungen, als er die Hand nach ihr ausgestreckt hatte. Sie hatte Angst vor der eigenen Reaktion, Angst, dass die Begierde, die sie spürte, sie ihre Selbstbeherrschung vergessen ließ. Schon jetzt war das Bedürfnis, ihm nah zu sein, so wichtig und notwendig wie das, zu atmen.

Die gleiche Kraft, die sie hergebracht hatte, musste auch für diese seltsame Anziehung verantwortlich sein.

Obwohl er am ganzen Körper von Schnittwunden und blauen Flecken übersät war und seine Arme und Beine mit getrocknetem Blut verschmiert, hatte er keine einzige Narbe. Im Grunde hatte er keinen einzigen Makel, Punkt. Am ehesten kam daran noch die schmale Spur aus dunklen Haaren, die von seinem Nabel bis an den Saum seines Lendenschurzes führte – und das war kein Makel, sondern eher ein Pfad in den Himmel.

Und wo sie schon beim Ziel dieses verruchten Pfades war – unten in seinem Käfig hatte sie ihn erregt, und er hatte nicht versucht, es zu verbergen. Er hatte damit geprahlt und absichtlich die Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Aus gutem Grund. Außer in ihren Träumen und dem einen Mal, das sie es sich mit ihm vorgestellt hatte, war sie nur mit einem einzigen Mann im Bett gewesen. Und dieser Mann konnte dem Vergleich einfach nicht standhalten. Sie bezweifelte, dass irgendein Mann das konnte. „Groß“ war in Nicolais Fall eine Untertreibung.

Als er sich berührt hatte und mit seinen Fingern seine Länge auf und ab gefahren war, hatte ihr Körper geradezu geschmerzt. Sie hatte die Situation vergessen und sich vorgestellt, auf die Knie zu fallen. Sie wollte ihre Zunge nach ihm ausstrecken und ihn verschlucken.

Verstand, hör sofort auf, so versaut zu sein!

Endlich waren die Wachen fertig und gingen zur Tür. Ihr gebrüllter Befehl „Schlüssel hierlassen!“ brachte beide Männer zum Stehen.

Der kleinere der beiden drehte sich um und verbeugte sich. „Ihr habt den Schlüssel für diese Fesseln bereits, Prinzessin.“

Oh. Odette hätte das gewusst. „Na ja“, sagte sie und schluckte. „Der Fall … von den Klippen – ihr wisst von den Klippen, nicht wahr? – muss mein Gedächtnis beeinflusst haben. Ihr könnt, äh, uns allein lassen.“ Sie deutete auf die Tür, so prinzessinnenhaft, wie sie konnte. Liebe Güte, so zu tun, als wäre sie eine andere – jemand, dem sie noch nie begegnet war – machte überhaupt keinen Spaß.

Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken.

Sie drehte sich zu ihrem „Gefangenen“ um und verringerte den Abstand zu ihm, bis der Rand des Bettes sie dazu zwang, stehen zu bleiben. Wieder wollte sie ihn berühren, aber sie gestattete sich diesen Luxus nicht. Diese Zähne – er könnte ihre Halsschlagader als Souvenir mitnehmen.

„Der Schlüssel ist in der Nachttischschublade“, sagte Nicolai und durchbrach damit die Stille. „Benutz ihn.“

Selbst seine Stimme war ein Genuss. Ein sinnliches Gelage aus Tönen und Nuancen. Heiser, belegt, einen Hauch rauchig. Sie schauderte und leckte sich die Lippen. „Du hast mich vielleicht beschworen oder so ähnlich, aber du hast mir nichts zu befehlen. Also hör zu. Du sagst mir, was los ist – und danach hole ich den Schlüssel.“

„Du und dein ‚danach‘.“ Er starrte sie wütend an. Seine langen Wimpern verschmolzen miteinander, als seine Lider sich schützend über seine einzigartigen zweifarbigen Augen legten. „Das ist Erpressung.“ So genervt, wie er schien, da war auch so etwas wie … Stolz.

Warum Stolz? Sie atmete ein und aus und genoss seinen Duft nach Sandelholz. Jetzt war er viel stärker als in ihren Träumen oder beim Lesen des Buches. „Ja, das ist Erpressung, und ich gebe nicht nach.“

Grausam von ihr, aber sie befürchtete, wenn sie ihn befreite, würde er erst etwas essen und dann aus der Tür rennen und sie zurücklassen, ohne eine einzige Frage zu beantworten. Er hatte das Aussehen eines gefangenen Panthers, bereit, zuzubeißen und davonzurennen. Außerdem hatte er im Kerker nicht mit ihr reden wollen, und er hatte es nur getan, weil sie ihn gezwungen hatte. Deshalb würde sie ihn weiterhin zwingen.

„Anscheinend riskiere ich es, ausgepeitscht zu werden, weil ich hier bei dir bin“, fügte sie hinzu. „Du schuldest mir also etwas.“

„Du würdest es nicht verstehen“, sagte er durch zusammengebissene Zähne.

Sie hatte die Highschool im Alter von fünfzehn Jahren abgeschlossen. Mit achtzehn hatte sie ihren Master gehabt. Und während sie auf ihren Doktortitel zuarbeitete, hatte sie sich einem streng geheimen Institut der Regierung angeschlossen, um unerklärliche Fähigkeiten und Phänomene zu erforschen und Wege zu finden, selbst das Unerklärliche zu erklären. Sie hatte nur aufgehört und sich auf Medizin spezialisiert, um zurück nach Hause zu ziehen und ihrer Mutter zu helfen, bei der Brustkrebs diagnostiziert worden war.

„Ich glaube, ich schaffe das“, sagte sie trocken. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und zog so den Stoff des Gewands über ihrer Brust straff.

Sein Blick blieb an ihren Brüsten kleben, und seine Lippen spannten sich über seine Zähne. „Na gut. Reden wir. Nachdem du dich auf mich gesetzt hast.“

Sie blinzelte über seinen sinnlichen Vorschlag, und noch währenddessen reagierte ihr Körper auf ihn und bereitete sich vor, ihn in sich aufzunehmen. „Was … Warum?“

„Du bekommst, was du willst, und ich bekomme, was ich will.“

„Erpressung?“, ahmte sie ihn nach, nicht halb so selbstsicher, wie sie klang. Das Blut rauschte in alarmierender Geschwindigkeit durch ihre Adern.

„Ja.“

Verlockend. So verlockend. Und wahrscheinlich sollte es sie einschüchtern. „Ich gebe aber nicht nach.“ Einer von ihnen musste versuchen, professionell zu bleiben.

„Bist du feucht?“

Der Atem stockte ihr in der Kehle. Offensichtlich würde Nicolai nicht derjenige sein, der professionell blieb. Und im Ernst, was war das bitte für eine Frage? „Ich … ich kenne dich nicht einmal, natürlich bin ich nicht … ich kann gar nicht … was du gesagt hast.“

„Jane. Ich habe gesehen, wie du mich angestarrt hast. Du kannst. Also. Bist du feucht?“

„Ja“, flüsterte sie und wurde rot. Das hatte sie heute schon oft getan. Offensichtlich würde auch sie nicht professionell bleiben.

„Ich bin hart wegen dir.“

Ich weiß. Und wie ich das weiß. „Das ist egal.“ Oh Gott, es war nicht egal. Sie wollte sich mit dieser Härte bekannt machen, wie es sich gehörte. Also mit einem schönen festen Händedruck. „Ich meine, äh, hast du vor, mir so wehzutun, wie du der echten Odette wehgetan hast?“

Einen Herzschlag lang Schweigen. „Odette habe ich gehasst. Jane begehre ich.“

So süße, verlockende Worte, noch wirksamer, weil sie ihm nicht vorwerfen konnte, nur das zu begehren, was ihm zur Verfügung stand. Auch Laila hatte ihn gewollt, aber er begehrte die Prinzessin überhaupt nicht. Logischerweise musste Jane also annehmen, dass er sich so zu ihr hingezogen fühlte wie sie zu ihm. Ja, sicher, logisch. Und nicht nur, weil sie zitterte und verzweifelt wollte, dass es stimmte.

Er versuchte vielleicht einfach nur, sie weichzukochen.

Oh, toll. Jetzt kam ihr so ein Gedanke, von dieser hässlichen Stimme tief in ihr. Einer Stimme, die nicht wollte, dass sie je glücklich war. Einer Stimme, die meinte, sie hatte es nicht verdient, glücklich zu sein. Sie stritt sich schon seit Monaten mit ihr und gewann langsam immer mehr dieser Kämpfe. Heute vielleicht nicht.

„Wenn ich dir wehtäte, würdest du mir nicht helfen“, sagte er mit seidiger Stimme. „Ich will, dass du mir hilfst, und ich bin nicht dumm.“

Nein, er war sexy. „Du bist gewalttätig. Ich weiß es.“

„Ja.“

Seine Ehrlichkeit entwaffnete ihr Argument, ehe sie es aussprechen konnte.

„Hast du Angst vor mir, Jane?“

„Vielleicht. Was, wenn du mich beißt? Oder dieses Zeichnen machst?“

„Es wird dir gefallen, das Beißen und das Zeichnen, aber ich werde beides nicht tun, solange du mich nicht anflehst. Darauf gebe ich dir mein Wort. Und jetzt setz dich auf mich“, wiederholte er. „Ich kann dir auch Lust bereiten. Geben und nehmen. Das werden wir jetzt tun. Wir werden einander Lust geben und nehmen, während wir uns unterhalten.“

Anflehen … Du lieber Himmel, dazu könnte es wirklich kommen. Denn tief in sich, im Herzen ihrer Weiblichkeit, wollte sie bei ihm sein. Als wäre sie für ihn geboren worden, und nur für ihn allein. Oder verzaubert. Aber selbst der Gedanke, dass er sie vielleicht mit einem Zauber belegt hatte, konnte ihr Verlangen nach diesem Mann nicht dämpfen. Dieses Verlangen war ihr aus irgendeinem Grund ebenso vertraut wie sein Duft.

„Ich ziehe mein Gewand nicht aus. Meine Unterwäsche auch nicht. Wir haben uns gerade erst kennengelernt. Das wäre, äh, billig.“ Idiotin. „Ich vertraue darauf, dass du dein Wort hältst. Und ich tue das nur, um Antworten zu bekommen“, log sie.

„Ist mir egal. Ich will dich fühlen.“

Langsam und unsicher kletterte sie auf ihn, ein Bein auf jeder Seite seiner Hüften. Ihr Gewand schob sich hoch, bis ihre Oberschenkel nackt waren. Genauso langsam senkte sie ihren Körper ab, bis sie sich an seiner Härte rieb. Sie keuchte, als sie sich berührten. Er stöhnte.

Das war so viel besser als in ihrer Fantasie. Er war heiß, so heiß. Hart, so hart.

„Rede“, sagte sie und breitete ihre Handflächen auf seiner Brust aus. Ehe sie das Gegenteil von dem tat, was sie gesagt hatte, und sich den Slip auszog.

Er bäumte sich auf und presste sich fester an sie. Sie stöhnten gemeinsam, und sein Herz schlug ebenso unregelmäßig wie ihres. Das gefiel ihr.

Ein Augenblick verstrich. „Du hast gesagt, du magst Rätsel“, bemerkte er heiser. Sein Blick richtete sich auf ihren Hals.

Ihr Puls flatterte, als würde er sich freuen, von ihm bemerkt zu werden. „Ja.“

„Wir passen sehr gut zusammen, findest du nicht?“

„Ja.“ Liebe Güte. Wie dämlich sie klang. Ja dies, ja das. Es war nur so, dass er ihre Schaltkreise durchgebrannt hatte. Sie saß tatsächlich rittlings auf ihm. Und sie sehnte sich. Sie sehnte sich wie ein Drogensüchtiger nach dem nächsten Schuss. Warum sonst hätte sie sich einem Vampir an den Hals werfen sollen?

Er wartete. Als sie nicht mehr sagte, hob er noch einmal die Hüften. „Was willst du wissen, Jane?“

Sie rieb sich an ihm. Aus Versehen, redete sie sich ein, und nur das eine Mal, aber es reichte aus, um sie zum Schwitzen zu bringen. „Ich will … mehr über … dich wissen. Warum hast du ausgerechnet mich herbeigerufen, um dich zu befreien?“ Da. Sie hatte ihre Stimme wiedergefunden und hechelte auch nicht, als würde sie einen Berg besteigen. Oder einen gut bestückten Mann.

„Das hast du nicht gesagt“, fuhr sie fort. „Sehe ich wie Prinzessin Odette aus oder so?“ Wenn dem so war, gaben Odette und Laila ein seltsames Paar ab. Die blonde Riesin neben dem brünetten Zwerg. Neidisch? „Ich meine, du hast gesagt, für alle anderen sehe ich aus wie ihre Prinzessin.“ Sie rieb sich noch einmal an ihm, fester diesmal, aber auch langsamer, ganz langsam, und dieses Mal konnte sie es unmöglich ein Versehen nennen. Sie brauchte es. „Aber als ich mich im Spiegel angesehen habe, war da nur, na ja, ich selbst.“

Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, während er sich ihr entgegenstreckte und sich mit ihr bewegte. „Du siehst ihr überhaupt nicht ähnlich. Ja, mach weiter so.“

„Und wie funktioniert dein Zauber dann?“ Seine Spitze stieß gegen ihre empfindlichste Stelle, und Jane stöhnte. „Warum glauben alle, ich wäre sie?“

„Als ich dich beschworen habe, habe ich meine Fähigkeit, Illusionen zu erschaffen, auf dich angewendet und Odettes Bild über deines gelegt.“ Seine Ketten rasselten, als er versuchte, die Arme zu senken. Als er merkte, dass es ihm nicht gelang, verzog er verärgert das Gesicht. „Für alle, die dich sehen, mit Ausnahme von mir, siehst du aus wie sie, und du klingst wie sie. Aber, bei allen Göttern, du riechst einfach himmlisch.“

„Du auch.“ Er hatte von Fähigkeiten gesprochen, die er besaß. So unglaublich heiß … äh, interessant. Während ihrer Ausbildung war es nie so eine herrliche Qual gewesen, Antworten zu bekommen. „Kannst du die Illusion von mir nehmen?“

Das Leder seines Lendenschurzes fühlte sich zwischen ihren Beinen weich an, ein starker Kontrast zu seiner Härte, der eine Spannung erzeugte, die ihr den Atem nahm. Ihr Herz hämmerte so kräftig, dass sie fast Angst hatte, ihre Knochen würden brechen.

Sie musste langsamer machen, sonst explodierte sie, ehe das Gespräch vorüber war.

„Nein, das kann ich nicht. Nicht, solange wir zusammen sind. Meine Macht … Sie haben mir etwas angetan. Meine Fähigkeiten irgendwie gebunden, so wie sie meinen Körper gefesselt haben.“ Er befeuchtete sich die Lippen, entblößte dabei seine Fangzähne und verbarg sie gleich wieder. So scharf, so tödlich. „Gefällt dir das, Jane? Bin ich gut?“

So sehr, dass es ihr Angst machte. „Ja.“

„Beug dich vor. Küss mich!“

Wieder der Drang, zu gehorchen … Stattdessen hörte sie auf, sich zu bewegen. Ja. Sie wollte ihn küssen. Aber sie wusste, auch wenn sie sich vorbeugte, wenn sie ihm den Atem aus den Lungen küsste, wie sie es wollte, dann würden sie Sex haben. Es ging nicht anders. Man sah doch, wie kurz sie davor war, ihn anzuflehen!

Sie konnte nicht mit ihm schlafen. Sie waren Fremde. Schlimmer noch, er war ein Vampir, ein Bluttrinker, und sie hatte an seiner Art Forschungen betrieben. Oh Gott. Das tötete die beste Stimmung. Wenn er es je herausfand, war die Stimmung nicht das Einzige, was sterben musste.

Sie vergewisserte sich, dass er es bestimmt nie herausfinden würde, ehe sie in Panik verfiel. Sie selbst hatte nicht vor, es ihm zu verraten, und wer wusste schon sonst davon? Niemand. Auch wenn er sich fragen könnte, warum sie mehr über seinen Körper wusste, als sie sollte. Zum Beispiel, dass er am Leben war, nicht tot, und seine Organe so angeordnet waren wie bei einem Menschen.

Außerdem würde sie irgendwann nach Hause zurückkehren. Das hoffte sie jedenfalls. Mehr noch, sie waren in Gefahr und unter Zeitdruck. Sie brauchte Antworten von ihm, keinen Sex. Keine Küsse.

Zögernd kroch sie von ihm herunter und stellte sich neben das Bett. Ihr gaben die Knie fast nach. Unglaublich, dass sie das Gleichgewicht halten konnte, denn ihre Muskeln schienen so weich zu sein.

„Jane?“

Sie durfte ihn nicht ansehen. Sie würde nicht nachgeben. Er war einfach so verdammt schön und sein Blick so hungrig. Nach ihr. „Unscheinbare Jane“ hatten die Kinder in der Schule sie genannt. Sie war jetzt schon versucht, sich wieder auf ihn zu werfen und sich bis zur Ekstase an ihm zu reiben. Sein Duft hing an ihr. Sandelholz. Köstlich. Jedes Mal, wenn sie einatmete, roch sie ihn, und ihre Entschlusskraft schwand.

Autor

Jill Monroe
Jill Monroes Großeltern glaubten fest daran, dass ihre Enkel erfahren sollten, wie befriedigend harte Arbeit ist. Im Klartext hieß das, Kartoffeln ernten bei einer Temperatur von 38 Grad. Ihre Großmutter hielt es für ihre persönliche Pflicht, die aussterbende Kunst des Einmachens, Nähens und der Haushaltführen an ihre einzige Enkelin weiterzugeben....
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Gena Showalter
<p>Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Gena Showalter gilt als Star am romantischen Bücherhimmel des Übersinnlichen. Ihre Romane erobern nach Erscheinen die Herzen von Kritikern und Lesern gleichermaßen im Sturm. Mit der beliebten Serie »Herren der Unterwelt« feierte sie ihren internationalen Durchbruch. Mit ihrer Familie und zahlreichen Hunden lebt Showalter in Oklahoma City.</p>
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