Silberglocken

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Debbie Macomber: Silberglocken

Pünktlich zum Fest der Liebe verschenkt Carrie ihr Herz - an Philip Lark, den eine Prophezeiung zu ihrem Traummann erklärt hat. Aber wird er dieses kostbare Präsent überhaupt annehmen?


  • Erscheinungstag 09.10.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767211
  • Seitenanzahl 120
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

„Das verstehst du nicht, Dad.“

„Mackenzie, es reicht!“

In diesem Moment eilte Carrie Weston durch die Halle zum Aufzug. „Halt!“, rief sie. „Nehmen Sie mich mit!“ Sie war mit Post, Lebensmitteltüten und Kartons voller Weihnachtsschmuck beladen. Die beiden anderen Liftinsassen, ein Mann und ein Mädchen, schienen einander nicht gerade freundlich gesonnen zu sein. Vielleicht hätte sie doch lieber warten sollen. Aber ihr taten die Arme weh, und Geduld war noch nie eine ihrer Stärken gewesen.

Der Mann hielt ihr die Lifttür auf.

„Danke“, sagte Carrie atemlos.

Das Mädchen in seiner Begleitung war etwa dreizehn Jahre alt. Die beiden waren erst vor Kurzem in das Apartmenthaus gezogen, und soviel Carrie von anderen Mietern gehört hatte, wollten sie auch nur ein paar Wochen oder Monate bleiben, bis ihr eigenes Haus fertig war.

Die Lifttüren glitten langsam, fast zögernd zu. Aber die Menschen, die in dem dreistöckigen Ziegelbau von Anne Hill in Seattle wohnten, hatten es selten eilig. Carrie war die Ausnahme. Trotzdem lebte sie gern hier.

„Welches Stockwerk?“, fragte der Mann.

Carrie verlagerte das Gewicht ihrer Päckchen. „Zweites. Danke“, fügte sie dann hinzu.

Der Mann, er mochte Mitte dreißig sein, lächelte und drückte auf den entsprechenden Knopf. Dann wandte er den Blick ab. Carrie fand ihn ziemlich arrogant.

„Ich heiße Mackenzie“, sagte das Mädchen jetzt und lächelte sie an. „Und das ist mein Vater. Philip Lark.“

„Carrie Weston.“ Carrie stützte ihre Tüten auf einem Knie ab und gab dem Mädchen die Hand. „Willkommen in unserem Haus.“

Philip Lark konnte nicht anders, als Carrie ebenfalls die Hand zu reichen. Sein Griff war angenehm fest. Er betrachtete seine Tochter düster. Offenbar nahm er ihr ihre Kontaktfreudigkeit übel.

Aber Mackenzie ließ sich davon nicht weiter beeindrucken. „Ich glaube, Sie sind der einzig normale Mensch im ganzen Haus.“

Carrie musste gegen ihren Willen lächeln. „Daraus schließe ich, dass du Madam Fredrick schon kennen gelernt hast.“

„Ist das eine echte Kristallkugel, die sie immer dabeihat?“

„Das behauptet sie wenigstens.“

Madam Fredrick sagte alles voraus – vom Wetter bis zum bevorstehenden Schuhausverkauf in Nordstrom. Niemals traf man sie ohne ihre Kristallkugel, die sie auf einem kleinen Wagen hinter sich herzog. Über jeder Augenbraue klebte ein falscher grüner Smaragd. Gekleidet war sie ausnahmslos in kaftanähnliche, wallende Gewänder, und ihr langes silberweißes Haar hatte sie hoch auf dem Kopf aufgetürmt. Carrie fühlte sich manchmal an eine Ballkönigin aus den sechziger Jahren erinnert.

„Ich finde Madam Fredrick sehr nett“, erklärte Mackenzie jetzt.

„Ich auch. Hast du Arnold auch schon kennen gelernt?“, wollte Carrie wissen.

„Meinen Sie den Mann, der früher beim Zirkus war?“

Carrie nickte und wollte gerade zu einer Erklärung ausholen, als der Lift mit einem seufzenden Ruck zum Halten kam und die Türen sich öffneten. „Vielleicht sehen wir uns einmal wieder“, sagte sie zum Abschied und setzte sich in Bewegung.

„Ja, vielleicht“, brummte Philip Lark. Und obwohl er in ihre Richtung sah, hatte Carrie den Eindruck, dass er sie gar nicht wirklich wahrnahm. Vermutlich hätte er sie nicht einmal wahrgenommen, wenn sie nackt vor ihm gestanden hätte. Nicht dass sie das störte.

Die Lifttüren schlossen sich bereits, als Mackenzie ihr noch schnell nachrief: „Darf ich Sie einmal besuchen?“

„Ja, natürlich.“ Der Aufzug hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt, aber Carrie hörte noch, dass Mackenzies Vater etwas sagte. Seine Stimme klang gereizt und vorwurfsvoll. Aber ob die beiden nur ihren vorherigen Streit fortführten, oder ob ihm nicht passte, dass seine Tochter sich einfach bei ihr eingeladen hatte, bekam sie nicht mit.

Unter der Last ihrer Einkäufe musste sie eine Weile mit dem Schlüssel herumhantieren, bis sich ihre Wohnungstür endlich öffnete. Sie stieß sie mit dem Fuß zu und ließ dann den Weihnachtsschmuck einfach aufs Sofa fallen, bevor sie den Rest ihrer Last in die Küche brachte.

„Du wolltest ihn doch kennen lernen“, sagte sie laut zu sich. „Jetzt hast du es geschafft.“ Sie gestand es sich nur ungern ein, aber Philip Lark hatte sich doch als ziemlich große Enttäuschung entpuppt. Sein Interesse an ihr war ungefähr so groß wie am Schaufenster einer Bäckerei. Aber was hatte sie sich denn vorgestellt? Dass sie überhaupt etwas erwartet hatte, lag nur an Madam Fredrick und ihren ewigen Weissagungen. Angeblich konnte sie in die Zukunft schauen und hatte dort gesehen, dass Carrie, noch bevor das Jahr ausklang, den Mann ihrer Träume kennen lernen würde, und zwar hier im Haus. Carrie wusste natürlich, dass es lächerlich war, an solche Prophezeiungen zu glauben, und sie tat es auch nicht. Madam Fredrick war einfach eine liebe alte Dame mit einer zu romantischen Fantasie.

Sie blätterte schnell ihre Post durch und warf den größten Teil gleich zum Altpapier. Sie hatte gerade angefangen, ihre Lebensmittel auszupacken, als es an der Tür klingelte.

„Da bin ich schon“, verkündete Mackenzie Lark fröhlich, als Carrie ihr aufmachte.

„Das ging ja schnell.“

„Sie haben doch gesagt, dass ich Sie besuchen darf.“

„Ja, natürlich. Komm herein.“ Mackenzie wanderte ins Wohnzimmer, sah sich voller Bewunderung um und ließ sich dann mit Schwung aufs Sofa plumpsen.

„Hast du immer noch Streit mit deinem Vater?“, erkundigte Carrie sich.

Als sie in Mackenzies Alter gewesen war, hatte sie sich auch oft und ziemlich heftig mit ihrer Mutter gestritten. Dauernd waren sie sich wegen Nichtigkeiten in die Haare geraten. Carrie wusste, dass sie daran durchaus ihren Anteil gehabt hatte, aber andererseits war ihre Mutter damals einsam und unglücklich und deshalb wenig belastbar gewesen. Jetzt, zehn Jahre später, war ihr klar, dass die Scheidung ihrer Eltern die Ursache für viele Spannungen gewesen war.

An ihren Vater konnte Carrie sich kaum noch erinnern. Er und ihre Mutter hatten sich getrennt, als sie vier oder fünf Jahre alt gewesen war, und zwar aus Gründen, die sie selbst nie richtig verstanden hatte. Damals hatte sie ihrer Mutter die Schuld daran gegeben. Später, als sie älter wurde, hatte sie sehr darunter gelitten, dass sie keinen Vater hatte, und das ihre Mutter deutlich spüren lassen. Heute wusste sie es besser und bereute ihr Verhalten sehr.

„Dad hat überhaupt keine Ahnung“, erklärte Mackenzie jetzt schmollend.

„Wovon?“, fragte Carrie aus der Küche nach. Sie packte ihre Einkäufe aus und verstaute sie im Schrank. Mackenzie stand auf und ging zu ihr. Sie legte die Arme auf die Küchentheke und stützte das Kinn darauf. „Von gar nichts. Er nörgelt nur noch an mir herum. Nie kann ich ihm irgendetwas recht machen. Es ist wirklich nicht leicht mit ihm.“

„Du wirst es nicht glauben, aber er findet es mit dir vermutlich auch nicht ganz einfach.“

Mackenzie hob mit einem Seufzer die Schultern. „Früher war es ganz anders. Wir hatten es richtig schön zusammen. Natürlich war es schrecklich, als Mom uns verließ, aber wir sind nach einer Weile richtig gut zurechtgekommen.“

„Sind deine Eltern geschieden?“

Mackenzie kräuselte die Nase und nickte. „Es war echt furchtbar, als sie sich trennten.“

„So etwas ist immer schlimm. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich erst ein paar Jahre alt war. Ich kann mich an meinen Vater kaum noch erinnern.“

„Haben Sie ihn danach noch gesehen?“

„Nein.“ Carrie schüttelte den Kopf. „Erst viel später noch einmal.“ Als Kind hatte sie sehr darunter gelitten, aber inzwischen hatte sie sich damit abgefunden. Es tat weh, dass ihr Vater nichts von ihr wissen wollte, aber so hatte er es entschieden.

„Ich darf Weihnachten zu meiner Mom und ihrem neuen Mann“, erzählte Mackenzie strahlend. „Ich habe sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Mom hat nämlich furchtbar viel zu tun“, fügte sie schnell erklärend und fast entschuldigend hinzu. „Sie hat eine furchtbar wichtige Stellung bei einer großen Bank mitten in Seattle und muss dauernd verreisen. Deshalb kann sie mich auch nicht bei sich haben. Dad ist Systemanalytiker. Das ist etwas mit Computern.“

Ihre Stimme klang wie die eines unglücklichen kleinen Mädchens, das versuchte, vernünftig zu sein.

„Wie alt bist du? Fünfzehn?“, fragte Carrie. Sie übertrieb absichtlich ein wenig, denn sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie stolz sie selbst als Teenager gewesen war, wenn jemand sie älter geschätzt hatte.

Mackenzie schien um etliche Zentimeter zu wachsen. „Nein, ich bin erst dreizehn.“

Carrie riss eine Tüte Kartoffelchips mit Käsegeschmack auf und schüttete sie auf einen Teller. Mackenzie bediente sich ungeniert. „Wissen Sie, was ich glaube?“, begann sie, als sie und Carrie sich am Küchentisch gegenübersaßen. Ihre dunklen Augen blitzten. „Mein Vater braucht eine Freundin!“

Carrie wäre ihr Kartoffelchip fast im Hals stecken geblieben. „Er braucht eine Freundin?“

„Ja. Er hat nichts als seine Arbeit im Kopf. Als könnte er sein trostloses Privatleben vergessen, wenn er nur lange genug im Büro bleibt.“ Mackenzie nahm den nächsten Käsechip. „Das sagt Madam Fredrick übrigens auch.“

„Madam Fredrick hat das gesagt?“, wiederholte Carrie benommen.

„Ja. Sie hat in ihrer Kristallkugel jede Menge Veränderungen im meinem Leben gesehen. Ehrlich gesagt, darauf könnte ich ziemlich gut verzichten. Ich habe allmählich die Nase voll von Veränderungen. Meine ganzen Freundinnen und Freunde wohnen woanders, und das Haus scheint auch ewig nicht fertig zu werden. Dabei wollten wir Weihnachten eigentlich schon darin feiern. Wahrscheinlich können wir froh sein, wenn es nächstes Jahr Weihnachten klappt.“ Sie seufzte. „Dad ist das alles völlig egal, aber ihm fehlt ja auch nichts. Ich bin die, die in eine neue Schule gehen und neue Leute kennen lernen muss.“ Sie verzog den Mund. „Manchmal wünsche ich mir, dass alles wieder so ist wie früher.“

„Das kann ich gut verstehen.“

Mackenzie sah Carrie an. „Es könnte doch wirklich sein, dass Madam Fredrick recht hat.“ Begeisterung kehrte in ihre Stimme zurück.

„Womit?“ Carrie hatte jeden Versuch aufgegeben, Schritt mit den Gedankensprüngen ihres jungen Gastes zu halten.

„Mit der Freundin für meinen Dad. Wie stellt man so was wohl an?“

„Wie meinst du das?“, fragte Carrie vorsichtig.

„Na ja, wie finde ich eine neue Frau für Dad?“

Carrie lachte ein wenig nervös. „Mackenzie, so etwas kann man nicht planen, schon gar nicht für den eigenen Vater.“

„Und warum nicht?“, wollte Mackenzie wissen. Sie schien ein wenig enttäuscht.

„Eine Beziehung ist eine ernsthafte Angelegenheit. Es geht dabei um Liebe und Vertrauen zwischen zwei Menschen und um …“

„Es wäre einfach für uns alle am besten, wenn Dad eine Freundin hätte“, meinte Mackenzie unbeeindruckt. „Dad und ich haben immer alles zusammen gemacht und waren meistens derselben Meinung, wenigstens bis vor Kurzem. Ich weiß besser, was er braucht und was ihm guttut, als er selbst. Also ist es doch nur vernünftig, wenn ich eine Frau für ihn suche.“

„Mackenzie …“

„Ich weiß, was Sie jetzt denken: dass mein Vater nicht besonders erfreut wäre, wenn er davon wüsste. Da haben Sie sicher recht. Aber ich weiß, wie man ihm unauffällig etwas unterjubeln kann. Das habe ich von ihm gelernt.“

Carrie lachte. „Ich glaube es einfach nicht.“ Sie hatte das Gefühl, als säße sie sich selbst gegenüber. Genauso war sie in diesem Alter gewesen. Sie schüttelte den Kopf.

„Was glauben Sie nicht?“, wollte Mackenzie leicht gekränkt wissen.

„Ich kann dir nur raten, dich aus dem Liebesleben deines Vaters herauszuhalten.“

„Was für ein Liebesleben? Das ist ja wohl ein Witz. So etwas hat er überhaupt nicht.“

„Aber er wird deine Hilfe kaum zu schätzen wissen“, warnte Carrie.

„Natürlich nicht, aber das ist nicht der springende Punkt.“

„Mackenzie, du hast mir erzählt, dass du zurzeit nicht besonders gut mit deinem Vater auskommst. Ich wage gar nicht, mir vorzustellen, was passieren wird, wenn er dahinterkommt, was du mit ihm vorhast. Meine Mutter bekam damals jedenfalls einen Tobsuchtsanfall, als sie erfuhr, dass ich einem Mann dafür Geld geben wollte, dass er mit ihr ausgeht.“

„Sie wollten ihn allen Ernstes dafür bezahlen?“

Carrie merkte zu spät, was sie angerichtet hatte. „Es ist schon lange her“, schwächte sie ab und hoffte, dass das Thema damit erledigt war. Aber natürlich hätte sie es besser wissen sollen. Mackenzies Augen leuchteten begeistert auf.

„Ist das wahr? Sie haben ihm Geld gegeben?“

„Ja. Aber falls du jetzt auf irgendwelche Ideen kommst: Er hat es nicht angenommen.“ Carrie konnte sehen, dass Mackenzies kleine graue Gehirnzellen auf Hochtouren arbeiteten. „Es war kein guter Einfall gewesen, und meine Mutter war bitterböse.“

„Hat sie wieder geheiratet?“ Carrie nickte, unwillig, ihrer kleinen Besucherin zu gestehen, dass ihre Mutter genau den Mann geheiratet hatte, den sie damals hatte bestechen wollen.

Mackenzie sah sie forschend an, und Carrie wandte den Blick ab. „Es war derselbe Mann!“, rief ihre kleine Besucherin triumphierend. „Es hat funktioniert!“

„Ja. Aber das hatte nichts mit mir zu tun.“

Autor

Debbie Macomber
<p>SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber hat weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkauft. Sie ist die internationale Sprecherin der World-Vision-Wohltätigkeitsinitiative Knit for Kids. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wayne lebt sie inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder in Port Orchard im Bundesstaat Washington, der Stadt, die sie zu ihrer <em>Cedar Cove</em>-Serie inspiriert hat.</p>
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