Strandhaus Nr. 9: Der Sommer, der uns verband / Ein Sommer wie ein Leben (Band 1&2)

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Der Sommer, der uns verband

Ein sexy Mann mit ozeanblauen Augen: Jane ist verzaubert von Griffin Lowell. Eigentlich wurde sie engagiert, um Griffin beim Schreiben seiner Biografie zu helfen. Doch er will lieber feiern und seinen traumatischen Erinnerungen entfliehen. Bei Strandspaziergängen im Mondschein gelingt es Jane endlich, das Eis um Griffins Herz zum Schmelzen zu bringen. Aber während ihr berufliches Interesse bald tiefer Sehnsucht weicht, scheint er noch nicht bereit für die Liebe …

Ein Sommer wie ein Leben

Damit hat Sanitäter Vance Smith nicht gerechnet, als er seinem sterbenden Patienten versprach, sich um dessen Tochter zu kümmern: Layla ist kein Mädchen, sondern eine Frau - und was für eine. Gemeinsam mit ihr soll er all das unternehmen, was Vater und Tochter verpasst haben: eine Fahrt im Riesenrad, einen Wellness-Tag und ein Picknick am Strand bei Sonnenuntergang. Während Layla ihre Trauer immer mehr verarbeitet, erwachen Gefühle in Vance, die er nie wieder spüren wollte …


  • Erscheinungstag 09.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767037
  • Seitenanzahl 672
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christie Ridgway

Strandhaus Nr. 9

Der Sommer, der uns verband

image

Ein Sommer wie ein Leben

MIRA® TASCHENBUCH

image

1. Auflage: Januar 2017

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Erste Neuauflage

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

Beach House No. 9

Copyright © 2013 by Christie Ridgway

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Bungalow Nights

Copyright © 2013 by Christie Ridgway

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: Hafen Werbeagentur gsk GmbH, Hamburg

Umschlagabbildung: Africa Studio; shutterstock

Redaktion: Mareike Müller

ISBN eBook 978-3-95576-703-7

www.mira-taschenbuch.de

Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Christie Ridgway

Der Sommer, der uns verband

Roman

Aus dem Amerikanischen von Sonja Sajlo-Lucich

image

1. Kapitel

Die salzhaltige Meeresluft sabotierte den Erfolg ihrer Mission, das wurde Jane Pearson schnell klar. Erstens begann sich ihr sonst glattes Haar zu kräuseln … was an sich vielleicht noch keine Katastrophe gewesen wäre, vermutete sie, als sie den mit zerbrochenen Muschelschalen bestreuten Pfad von der Küstenstraße hügelabwärts auf die pittoresken Strandhäuser von Crescent Cove zulief. Allerdings ruinierte die feuchte Luft zweitens auch den Sitz ihres Leinenkleids.

Zu Hause war ihr das Kleid mit den kurzen Ärmeln und dem hohen Kragen noch als die perfekte Wahl für ein wichtiges Geschäftstreffen an einem Juni-Nachmittag erschienen. Jetzt jedoch schwang der Stoff nicht mehr schmeichelnd um ihre Knie, sondern klebte an ihren Oberschenkeln. Sie fürchtete, bei ihrer Ankunft am Strandhaus Nr. 9 eher einem aufgeweichten Halloween-Geist mit struppigen nassen Haaren als einer nüchternen, sachlichen Karrierefrau zu gleichen.

Nun, auch egal, dachte sie. An ihrer Entschlossenheit konnte das nichts ändern. Trotz ihrer ramponierten Erscheinung würde sie nicht nachgeben, wenn sie erst dem Mann gegenüberstand, den sie hier zur Rede stellen wollte. Griffin Lowell hatte nicht auf ihre Anrufe reagiert – auf keinen einzigen der elf! –, und sie war nicht bereit, noch länger auf seine Antwort zu warten. Laut Aussage seines Agenten war der Autor mit dem Abgabetermin für seine Memoiren in Verzug. Jane war damit beauftragt worden, diesen kritischen Fall von Terminleugnung zu lösen und dem Schriftsteller dabei zu helfen, die Seiten seines Manuskripts in die richtige Form zu bringen. Es wurde höchste Zeit, endlich damit anzufangen.

Er brauchte sie.

Und du brauchst ihn, Jane, merkte eine kleine Stimme in ihrem Kopf an.

Sie ignorierte die unwillkommene Erinnerung und schaute sich stattdessen in der Gegend um. Nein, es war sicher keine Strafe, Crescent Cove besuchen zu müssen. Im Gegenteil, der Ort war eine äußerst interessante Entdeckung, noch dazu in diesem Teil Südkaliforniens, der für seine fantasielosen Bauprojekte berüchtigt war. Gleichförmige Wohnsiedlungen und Einkaufszentren schossen entlang des Highways wie beigefarbene Pilze aus dem Boden. Und was die roten Dachziegel aus Terrakotta anging … war eigentlich niemandem klar, dass man mit zu viel des Guten genau das Gegenteil erzielte?

Diese Strandkolonie hier dagegen wirkte wie aus einer anderen Zeit. Die ungefähr fünfzig unkonventionellen Bungalows und farbenfrohen Hütten waren Paradebeispiele traditioneller Strandarchitektur – das hatte sie irgendwo gelesen – und schmiegten sich an dem gut zwei Meilen langen Strandabschnitt an die Klippen. Alles machte einen heiteren, unbeschwerten Eindruck, abwechslungsreich wie die Bougainvillea, die hier wie Unkraut wucherten und deren Blütenfarben von hellstem Lachs bis zu tiefstem Scharlachrot reichten. Und all das wurde von dem nie endenden rhythmischen Wellenrauschen untermalt. Der Verkehrslärm des oberhalb vorbeilaufenden Highways wurde von einer Wand aus hohen Eukalyptusbäumen abgeblockt, deren an Hustensaft erinnernder Duft sich mit dem Geruch von Seetang, Sand und Ozean vermischte.

Ein schwarzer Labrador mit einem Batikhalstuch lief auf sie zu. Jane lächelte. Sie liebte Hunde, auch wenn sie nie einen besessen hatte. Als Kind war ihr Vater, der berühmte Wissenschaftler, der Meinung gewesen, Haustiere würden Kinder nur vom Lernen ablenken, und heute … Ihre Arbeitszeiten waren zu unregelmäßig, als dass sie sich um ein Haustier kümmern könnte.

„Hallo“, grüßte sie den Hund und streckte die Hand in seine Richtung aus. Er jedoch schlenderte einfach weiter und bog ohne einen Blick in ihre Richtung in eine Gasse zwischen den Häusern ab. Tja … noch ein männliches Wesen, das sich durch nichts von den eigenen Plänen abbringen ließ.

Sie ging weiter, näherte sich Nr. 9 von der Rückseite. Der Muschelweg führte bis an eine Doppelgarage, deren Tor in Meerschaumgrün gestrichen war. Einige Fahrräder lehnten an der mit dunkelbraunen Holzschindeln verkleideten Mauer. Sechs Autos parkten in der Nähe, die eine Hälfte Luxuslimousinen, die andere Hälfte in eher bedenklichem Zustand, aber alle hatten Dachgepäckträger, auf denen zwei oder mehr Surfboards festgezurrt waren, zwischen denen bunte Strandlaken steckten.

Hatte Griffin Lowell etwa Gäste? Bei dem Gedanken blieb Jane gute zwanzig Meter vor der Haustür abrupt stehen. Doch sicher nicht, oder? Sein Agent hatte ihr versichert, der Mann lebe wie ein Einsiedler, verweigere jeden Kontakt mit der Außenwelt, reagiere nicht auf Bitten um Rückrufe, ignoriere sowohl E-Mails als auch Textnachrichten sowohl von Freunden wie von der Familie. Jane konnte das aus eigener Erfahrung nur bestätigen.

„Bevor er sich in seine Tonne verkrochen hat und seither mit niemandem mehr kommuniziert, hatte ich ihm den Vorschlag unterbreitet, ihm jemanden zu schicken, der ihn bei seinem Buch unterstützt“, hatte Frank, der Agent, gesagt. „Und er hat sich einverstanden erklärt. Also machen Sie ihm Feuer unter dem Hintern, Jane. Und zwar richtig!“

Genau das hatte sie vor. In ihrem Job war sie exzellent, und nach der Katastrophe, in der ihr letzter Auftrag geendet war, hatte sie es bitter nötig, das zu beweisen.

Sie achtete sorgfältig darauf, dass ihre Peeptoe-Pumps mit dem halbhohen Absatz keine Schrammen abbekamen, während sie die nächsten Meter über den unebenen Muschelweg hinunterlief. Dann jedoch verharrte sie ein zweites Mal, atmete mehrmals tief durch und versuchte, die krausen Strähnen und den feuchten Leinenstoff ihres Kleids mit den Handflächen glatt zu streichen. Dass hier so viel auf dem Spiel stand, machte sie leicht nervös.

Ganz zu schweigen davon, dass sie auch noch auf diese Einsiedler-Geschichte Rücksicht nehmen musste. Griffin hatte ein Jahr lang mit den amerikanischen Truppen in Afghanistan zugebracht. Er musste Dinge gesehen und erlebt haben, die zweifelsohne Spuren bei ihm hinterlassen hatten – daher auch die Memoiren. Saß er etwa allein in der Hütte, den Blick starr auf den Ozean gerichtet, und grübelte düster über Gott und den Sinn der Welt nach? Bei der Vorstellung, in diese Szene hineinzuplatzen und seine Ruhe zu stören, wurde ihr noch mulmiger.

Du hast eine zweite Chance bekommen, Jane. Einen Rückzieher kannst du dir nicht leisten.

Mit diesem Mantra schaffte sie es immerhin bis zur Fußmatte vor der Tür. Die Matte sah aus wie eine Piratenflagge, und unter dem Totenkopf und den über Kreuz gelegten Knochen stand zu lesen: Ihr, die Ihr eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.

Eine andere Frau hätte diese Warnung vermutlich zu den elf ignorierten Anrufen, ihren angespannten Nerven und ihrem ramponierten Aufzug hinzuaddiert und beschlossen, an einem anderen Tag wiederzukommen, um es mit dem Autor aufzunehmen. Jane aber reckte ihr Kinn und hob die geballte Faust an, um an die Tür zu klopfen.

Die wurde aufgezogen, noch bevor ihre Knöchel das Holz berührten. Ein Typ mit blonden Locken, barfuß und in gelben Surfshorts, starrte sie an. Aus dem Innern des Hauses drangen eindeutige Partygeräusche – Rap-Musik, laute Stimmen, das Klirren einer zu Boden fallenden Bierflasche, woraufhin jemand fluchte wie ein gestandener Seemann. Hinter dem Beachboy gingen zwei Frauen vorbei, die identische Jeans-Miniröcke und winzige Bikinioberteile trugen. Beide hatten langes, mit Strähnchen aufgehelltes, perfekt frisiertes Haar und hielten hohe Gläser mit bunten tropischen Cocktails inklusive Fruchtscheiben und Schirmchen in den Händen. Jane mit der struppigen Frisur und dem schlaff herabhängenden Kleid würdigten sie keines Blickes. Irgendwo in dem Raum rief jetzt eine männliche Stimme lachend: „Mann, bin ich besoffen. Voll, breit, absolut dicht …“, und ein anderer rief: „Hey, Brittany, wie wär’s, wenn wir uns ausziehen und endlich zur Sache kommen?“

Aha. Der Mann, mit dem sie es zu tun hatte, war definitiv kein Einsiedler.

Die Augenbrauen fragend hochgezogen, musterte sie den Surfer. „Griffin?“

„Nee, ich bin Ted. Wollen Sie was von ihm?“

„Ja.“ Sollte sie jetzt froh oder enttäuscht sein, dass Beachboy nicht der Mann war, den sie suchte? „Ist er zu sprechen?“ Könnte ja sein, dass er sturzbetrunken oder gerade mit Brittany beschäftigt war.

„Für Sie? Immer.“ Beachboy deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Irgendwo da drinnen. Sie können ihn gar nicht verfehlen.“

Als sie an ihm vorbei über die Schwelle trat, brüllte der Typ in den Raum hinein: „Hey, Griffin, sieh nur! Der Getränkeladen nutzt jetzt kleine Bibliothekarinnen, um Chips und Schnaps auszuliefern!“

Auch wenn Ärger über den dummen Kommentar in ihr aufbrodelte … sie ignorierte ihn und schaute sich stattdessen um. Hier war definitiv eine Party in vollem Gange. Gut zwanzig Leute hatten sich in dem großen Wohnraum versammelt. An der einen Wand gab es einen offenen Kamin, ihm gegenüber lagen die gläsernen Schiebetüren, die auf die Veranda zum Ozean hinausführten. Da draußen hatte sich noch mehr Volk versammelt. Statt Rap begleitete ein Song von Jimmy Buffett Jane jetzt auf dem Weg durch die Menge. Sie überlegte, wie sie den Reporter „nicht verfehlen“ sollte. Er arbeitete für Zeitschriften und Magazine, im Fernsehen hatte sie ihn noch nie gesehen. Und auf dem Schwarz-Weiß-Foto von ihm, über das sie bei ihren Nachforschungen im Internet gestolpert war, war nur eine verschwommene Gestalt mit Soldatenhelm, Bomberjacke und verstaubter Sonnenbrille zu erkennen.

Für einen Moment verstummte die Musik, dann plärrte der Song wieder von vorn aus den Lautsprechern, gerade als Jane bei der Veranda angekommen war. Ihr Blick glitt nach rechts, angezogen von einem sich drehenden Mobile aus Treibholzstücken und ausgedienten Flip-Flops in den verschiedensten Farben. Unter diesem „Kunstwerk“ entdeckte sie ihn. Sie wusste nicht, weshalb sie so sicher war, doch sie hätte hundert Dollar darauf gewettet – die sie nicht hatte –, soeben Griffin Lowell gefunden zu haben.

In verwaschenen Cargo-Shorts, das Hawaiihemd offen stehend, lungerte er lässig zurückgelehnt auf einer Lederliege, die ihre beste Zeit längst hinter sich hatte. Zu beiden Seiten rahmten ihn vollbusige Bikini-Schönheiten ein. Er trug ein rotes Bandana wie ein Biker … oder besser, wie ein Pirat, denn an einem Ohr hing eine goldene Kreole, und auf beiden Seiten verdeckte eine Augenklappe seine Augen. Mit den Fingern umklammerte er eine Bierflasche, die er auf seinem durchtrainierten Bauch abgestellt hatte. Er schien zu schlafen. Oder vielleicht zu meditieren – falls Freibeuter so etwas taten.

Tief holte Jane Luft. „Griffin? Griffin Lowell?“

Seine freie Hand glitt zu seinem Schritt. Hektisch riss Jane den Blick los, doch dann wurde ihr klar, dass er nur in seine Tasche fasste. „Wie viel schulde ich Ihnen?“, brummte er. „Sie haben doch hoffentlich den Tequila mitgebracht, oder?“

„Und die Cherry Cola light“, meldete sich eine von den Bikini-Schönheiten. „Tequila trinke ich immer nur mit Cherry Cola light.“

Er verzog den Mund, wiederholte es dennoch. „Und die Cherry Cola light.“

Jane starrte den Mann kopfschüttelnd an. Es war schwer, überhaupt einen Eindruck von ihm zu bekommen, mit dem Bandana auf dem Kopf und diesen lächerlichen Augenklappen, die sein Gesicht halb verdeckten. Als sie genauer hinschaute, erkannte sie, dass auch das schwarze Plastik mit Jolly Roger verziert war. „Ich habe überhaupt nichts mitgebracht.“ Sie musste lauter sprechen, um die Musik zu übertönen. „Aber sagen wir es mal so: Sie schulden mir tatsächlich etwas, Griffin Lowell.“

Einen Moment stutzte er, dann schnellte die Rückenlehne der Liege vor und verscheuchte so die Bikini-Mädchen von den Armlehnen. Griffin streckte die Hand mit dem Bier aus, und eine von den beiden Bikinis nahm sie ihm ab. Jetzt hatte er beide Hände frei, um die Piratenverkleidung abzulegen: Ohrring, die beiden Augenklappen, dann das Bandana. Nun sah Jane ihn zum ersten Mal.

Großer Gott, dachte sie und schluckte.

Der Mann war unbestreitbar attraktiv. Das von der Sonne gebräunte Gesicht war ebenso schlank und kräftig wie seine Hände, die Züge markant, der Knochenbau sehr männlich. Dunkle Bartstoppeln bedeckten Wangen und Kinn, das Haar auf seinem Kopf war nicht viel länger, vielleicht nur einen Zentimeter. Und seine Augen … sie leuchteten aquamarinblau unter den dunklen Brauen hervor und musterten sie mit der Intensität eines Lasers. Reporter-Augen.

Zuerst schienen sie kalt zu glitzern, doch während sein Blick weiter über Janes Gesicht wanderte, über ihren Mund, den hochgeschlossenen Kragen, der ihr plötzlich zu eng schien und ihr die Luft abschnürte, weiter über ihr zerknittertes Kleid und zu den Knien, die nachgeben wollten, begann ihre Haut förmlich zu glühen. Zentimeter um Zentimeter errötete sie, es erinnerte sie an die Warnfeuer, die man früher angezündet hatte, um die Ankunft des Feindes zu signalisieren. Eine Kettenreaktion, um jeden – in ihrem Fall jede Nervenzelle – vorzuwarnen. Jane hatte allerdings auch gehört, dass Piraten diese Feuer ebenfalls genutzt hatten, um Schiffe in gefährliche Gewässer zu locken, wo sie auf Grund liefen und sanken.

Der Gedanke hätte sie erschaudern lassen sollen, stattdessen durchströmte sie eine neue Hitzewelle. Sie konnte tatsächlich fühlen, wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten und sich zu Locken kräuselten, die sie noch nie in ihrem Leben gehabt hatte.

Sie räusperte sich – das war bestimmt besser, als sich verlegen den Nacken zu massieren. „Sie haben nicht auf meine Anrufe reagiert“, sagte sie streng. „Daher blieb mir nichts anderes, als persönlich zu kommen, um mich mit Ihnen über Ihr Buch zu unterhalten.“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, schien er sich zu verschließen und ließ sich wieder auf der Liege fallen. „Kein Interesse.“ Er streckte die Hand nach seinem Bier aus und leerte es in einem Schluck.

Jane ließ sich von seinem rüpelhaften Verhalten und den geschlossenen Augen nicht aufhalten. „Sie haben einen Vertrag für Ihre Memoiren unterzeichnet.“ Sie zwang sich, ihre Stimme freundlich klingen zu lassen. „Aber Sie müssen das nicht allein durchstehen. Deshalb bin ich hier – für Sie. Zu Ihrer Unterstützung.“

Als er jetzt die Lider hob, schaffte sie es sogar, aufmunternd zu lächeln. Erneut musterte er sie von Kopf bis Fuß. Unwillkürlich presste sie die Lippen zusammen. Innerlich krümmte sie sich. Als er wieder eindringlich auf ihren Mund starrte, biss sie sich auf die Unterlippe, um das seltsame kleine Wimmern zurückzuhalten, das in ihrer Kehle hochstieg. Und das ebenso bizarr war wie der ungewöhnliche Impuls, die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, so weit sie konnte.

Du kannst dir einen Rückzieher nicht erlauben, Jane.

Diese kleine Stimme in ihrem Kopf hatte die gleiche Wirkung wie ein Eimer kalten Wassers. „Sie haben demnächst Manuskriptseiten abzugeben“, rief sie Griffin in Erinnerung. Sie hatte sich wieder im Griff. „Mich hat man damit beauftragt, Ihnen zur Seite zu stehen und zu helfen, dass Sie Ihre Fristen einhalten.“

Er legte den Kopf leicht schief, der Mangel an Begeisterung war ihm deutlich anzusehen.

Trotzdem fuhr sie fort: „In diesem Sinne stehe ich zu Ihrer vollständigen Verfügung und werde Sie mit allem versorgen, was Sie brauchen.“ Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass manchmal auch ein Tritt in den geschätzten Autorenhintern dazugehörte – eine Vorstellung, die mehr und mehr an Reiz gewann.

„Ach, tatsächlich?“, fragte er und schaute sie träge an. „Das Einzige, was ich brauche, Engelchen, sind eine Flasche Tequila, noch ein Sixpack Bier und eine Nacht mit heißem Sex.“ Jetzt wackelte er anzüglich mit den Augenbrauen. „Was ist, haben Sie Lust?“

Jane konnte nicht mehr als ein ersticktes Schnauben ausstoßen, da rief jemand aus dem Haus nach ihm. Dann war er auch schon verschwunden und ließ Jane allein zurück mit einer leeren Liege und den beiden Bikini-Schönheiten.

„Wurde aber auch Zeit“, meinte die eine. „Ich hoffe, das ist jetzt die Cherry Cola light.“ Sie schlenderte davon, vermutlich, um nachzuschauen.

Die zweite Bikini-Schönheit lächelte Jane an – die es tatsächlich schaffte, zurückzulächeln. „Nette … äh … Party. Gibt es einen besonderen Anlass?“

Die junge Frau zuckte mit den Schultern. „Ist heute Dienstag?“ „Um genau zu sein … wir haben bereits Mittwoch“, antwortete Jane.

„Oh.“ Die andere massierte sich die Stirn. „Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Endspurt, Sie wissen schon …“

Musste man etwa spezielle Prüfungen ablegen, um die Sonnenbänke in Bräunungsstudios zu bedienen? „Sie sind Studentin?“

„Abschlussarbeit. Meeresbiologie.“ Dann brach sie in Gelächter aus. „Sie müssten mal Ihr Gesicht sehen! Nein, war nur ein Witz. Ich bin Kosmetikerin.“

In puncto Aussehen brauchte die junge Frau wohl niemanden, der ihr sagte, wo es langging. Sie war der Schmollmund-Typ mit ausladender Oberweite, der in Seifenopern mitspielte. Oder die Titelseiten der Maxim schmückte. „Besuchen Sie Griffin oft?“

„Das hier ist die Partyzentrale. Der Freund meiner Freundin geht mit ihm surfen, also feiern wir hier alle zusammen. Er scheint nichts dagegen zu haben.“

Was nur bestätigte, dass er nicht gerade konzentriert an seinem Manuskript arbeitete. Inzwischen hatte er wohl genug Zeit gehabt, um die Schnapslieferung anzunehmen, also entschuldigte Jane sich und machte sich auf die Suche nach ihm. Es dauerte eine Weile, bevor sie sich versichert hatte, dass er weder in der Küche noch in einem der Schlafzimmer war, auch nicht im Bad oder in der Garage, wo sich eine andere Gruppe Partygänger zu irgendeinem Trinkspiel um den aufgestellten Tisch versammelt hatte. Bei ihrem zweiten Rundgang durchs Haus stellte sie fest, dass er sich unbemerkt an ihr vorbeigeschlichen hatte. Mit geschlossenen Augen lümmelte er auf einer Liege in der Ecke der Veranda und hielt eine frische Flasche Bier in der Hand.

Davon ließ Jane sich jedoch nicht von ihrer Mission abbringen. Sie zog einen der Plastikstühle heran, setzte sich neben ihn und schob sich die krausen Strähnen hinter die Ohren. Er rührte sich nicht.

Sie räusperte sich und starrte ihn durchdringend an, aber auch das rief keine Reaktion bei ihm hervor. Nichts drang durch den Kokon, in den er sich zurückgezogen hatte. Vermutlich wäre es klug, einfach zu warten und ihn damit aus der Reserve zu locken, allerdings kannte auch ihre Geduld ihre Grenzen. Er hatte eine Frist einzuhalten und sie ihren Ruf wiederherzustellen.

Noch ein Räuspern. „Griffin.“

„Engelchen.“ Nur seine Lippen bewegten sich.

Geräuschlos mahlte sie mit den Zähnen. „Hören Sie. Sie haben Ihrem Agenten gesagt, dass Sie jemanden brauchen, der Ihnen mit dem Manuskript hilft. Deshalb bin ich hier, damit verdiene ich mir meinen Lebensunterhalt.“

Als er noch immer schwieg, wurde sie etwas lauter. „Ich bin Buchdoktor“, verkündete sie. „Ich heiße Jane.“

Das schien immerhin zu ihm durchzudringen, seine Augen öffneten sich kurz zu schmalen Schlitzen, und als er sie wieder schloss, zuckte einer seiner Mundwinkel in die Höhe. „Natürlich heißen Sie so.“

Seinen amüsierten Ton ignorierte sie, es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie eine solche Reaktion erhielt. Sie sah auch aus wie eine Jane. Ihr einer Bruder Byron, ein ebenso ernster und anerkannter Wissenschaftler wie ihr Vater, ähnelte mit seinem dramatischen Aussehen tatsächlich seinem literarischen Namensgeber. Und der andere Überflieger, der ebenfalls ihr Bruder war, Philip Marlowe Pearson, könnte wirklich als hartgesottener Detektiv durchgehen, obwohl er in der medizinischen Forschung viel mehr daran interessiert war, DNS-Stränge zu identifizieren als Verbrecher. Und genau wie bei ihren Brüdern passte auch ihr Name zu ihrem Äußeren. Das schmutzig-blonde Haar, das hübsche, aber unauffällige Gesicht und die schlichten grauen Augen verrieten eigentlich schon alles – eine zurückhaltende, damenhafte Jane.

Wäre ihre Mutter nicht schon gestorben, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hätte sie sie wohl irgendwann gefragt, weshalb sie nicht einen exotischeren Namen für die einzige Tochter gewählt hatte. Würde sie vielleicht anders aussehen, wenn man sie Daisy oder Delilah genannt hätte?

Nichtsdestotrotz drängte sich Jane der Verdacht auf, dass Griffin Lowell sie auch dann ignorieren würde, wenn sie wie Scheherazade aussähe. Außerdem war er es, der Geschichten zu erzählen hatte. „Was nun Ihr Buch betrifft …“, begann sie.

„Darüber kann ich im Moment nicht sprechen.“

„Wieso? Sie haben doch gerade Zeit.“

Noch immer waren seine Augen geschlossen. „Ich habe Gäste.“

„Die längst ihre Cola light bekommen haben“, merkte sie spitz an. Unverständlich, weshalb sie so verärgert war, nur weil sie die andere Frau jetzt am gegenüberliegenden Ende der Veranda erblickte. Die Schönheit beugte sich vor, um sich ein paar Sandkörnchen von der Wade zu wischen, und fast hätten die winzigen Dreiecke ihres Bikinioberteils die vollen Brüste nicht mehr gehalten.

„Es scheint nicht, als müsste sie auf ihr Gewicht achten, oder?“ Die Augen jetzt weit offen, schaute er in die gleiche Richtung wie Jane.

„Dazu habe ich keine Meinung“, sagte sie spröde.

Er schnaubte. „Sie klingen sogar wie eine Gouvernante.“

Sie lächelte schmal. „Das ist bei meiner Arbeit durchaus hilfreich.“

„Meinen Sie?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schlug die Beine an den Knöcheln übereinander – die verkörperte Nonchalance. „Ich glaube eher, Sie hätten mehr Erfolg, wenn Sie lockerer wären. Warum suchen Sie sich nicht im Haus einen Badeanzug und holen sich einen Drink? Dann reden wir.“

Sie kniff die Augen zusammen. Für den Moment würde sie vorgeben, mitzuspielen. „Und Sie sind noch hier, wenn ich zurückkomme? Kann ich mich darauf verlassen?“

Er wandte das Gesicht ab. „Machen wir einen Termin für nächste Woche aus.“

Ja, sicher. Nachdem sie ihn jetzt gesehen hatte und wusste, wie er hauste, würde sie ihm keinen Zentimeter Freiraum mehr lassen. Er wollte sich nur herauswinden. Sein Agent hatte völlig recht: Der Mann verweigerte sich. „Sie müssen sofort mit der Arbeit anfangen, Griffin, sonst können Sie den Abgabetermin nicht halten. Die erste Hälfte hat bis zum Ende des Monats vorzuliegen.“

Er ignorierte die Bemerkung und studierte angelegentlich das Etikett auf der Bierflasche. „Buchdoktor also, was? Sind Sie mit Vokabular und Grammatik vertraut?“

„Natürlich. Aber meine Arbeit besteht aus mehr als nur …“

„Sind Sie wirklich vom Fach?“, fiel er ihr ins Wort. „Können Sie humulus lupulus buchstabieren? Wissen Sie, was es mit saccharomyces uvarum auf sich hat?“

Sie mühte sich um Geduld. „Solange Sie keine Abhandlung über das Bierbrauen schreiben wollen, über Lager im Besonderen, wird wohl keiner dieser Begriffe auftauchen, oder?“

Er stutzte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Fein. Reden wir über Interpunktion, zum Beispiel Kommas …“

„Kommas oder Kommata, beides ist zulässig. Und die feinen Unterschiede, die Journalisten von Autoren unterscheiden, sind mir ebenfalls bewusst.“

„Aber …“

Sie ließ sich nicht von ihm unterbrechen, sondern fachsimpelte eine Weile und verblüffte ihn mit ihrem Wissen. „Habe ich den Test bestanden?“ Sie wartete auf seine Antwort.

„Hören Sie …“ Er wirkte plötzlich erschöpft. „Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden.“

Sie sah sich um, erfasste das dürftig bekleidete, junge und schöne Strandvolk, das sich auf seiner Veranda tummelte und den Spirituosen frönte, während die Sonne am Horizont langsam im Meer versank. „Ihr Bedürfnis nach Ruhe und Frieden wäre vielleicht etwas glaubhafter, wenn Sie nicht inmitten so vieler Menschen hockten und Ihre Gäste Ihr Haus nicht als ‚Partyzentrale‘ bezeichnen würden.“

In seinen Augen funkelte es auf. „Das geht Sie nichts an.“

Hoppla. Sicher, dass sie und ihre Klienten immer einer Meinung waren, war eher nicht zu erwarten, aber unverhohlener Feindseligkeit war sie bisher noch nie begegnet. Die würde ihre Arbeit auch nur unnötig erschweren. Also rutschte sie mit ihrem Stuhl näher an ihn heran und drehte sich so, dass sie ihm direkt gegenübersaß. „Griffin …“, begann sie und legte ihm, wie jede gute Gouvernante es mit ihrem trotzigen Schüler machen würde, die Hand auf den Oberschenkel.

In diesem Moment passierte etwas Seltsames: Ein elektrischer Funke sprang über und lief ihren Arm hinauf. Ihre Blicke trafen sich, wichen einander hastig aus und schienen miteinander zu verschmelzen. Jane fühlte sich wie gelähmt, als ein neuerlicher Stromstoß durch ihren Arm schoss, sie war unfähig, sich zu bewegen, starrte Griffin noch immer an. Und es verwirrte sie zutiefst. Das andere Geschlecht rief keine solch starken körperlichen Reaktionen bei ihr hervor. Nie. Bisher war sie immer der Meinung gewesen, dass sie über solchen Dingen stand. Es waren Geist und Verstand, die sie an einem Mann interessierten, nicht die Tatsache, dass er … dass er ein Mann war.

„Griff“, rief jemand, dann noch einmal lauter. „Hey, Griff!“

„Was?“ Er rührte sich nicht, Jane immer noch tief in die Augen schauend.

„Sammy springt jetzt“, verkündete die Stimme.

„Schön. Er soll sich vor den Felsen in Acht nehmen“, erwiderte er tonlos.

„Er sagt, er will deinen Rekord brechen. Er behauptet, er schafft es.“

Griffin zuckte zusammen. Die Bewegung riss auch Jane aus ihrer Starre, hektisch zog sie ihre Hand zurück. Mit einem Ruck wandte Griffin den Kopf zu dem Mann, der neben ihnen aufgetaucht war. „Was meintest du?“

Es war Beachboy, der, der die Tür geöffnet hatte. Ted. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er zum Südende der Bucht. Jane entdeckte eine Handvoll Gestalten, die die Klippen hinaufkletterten. „Sammy sagt, er springt von einer Stelle, die zwei Meter höher liegt als die, von der du zuletzt gesprungen bist.“

Griffin warf einen Blick über die Schulter. „Sammy ist betrunken.“

Beachboys Locken hüpften, als er nickte. „Deshalb redet er ja auch solchen Blödsinn. Aber ich glaube, er meint es ernst. Dieses Mal will er dich unbedingt schlagen.“

„Mich schlagen? Von wegen!“ Abrupt erhob sich Griffin und schwang sich über das Geländer auf den Sand. „Halte deine Kamera bereit“, wies er den anderen Mann an, riss sich das Hemd vom Körper und rannte los.

Jane wurde klar, dass sie zu viel Zeit mit britischen Majoren und Akademikern verbracht hatte. Die zogen Golf und Einkaufsbummel auf dem Biobauernhof vor. Die stürzten sich nicht in schäumende Wellen und kletterten auch keine Klippen hinauf, wobei man ein faszinierendes Muskelspiel zu sehen bekam. Die stießen keine lauten Urschreie aus und ließen sich von einem Felsvorsprung in die Brandung fallen.

Doch gleich mehrere von Griffins Partygästen taten jetzt genau das, und zwar aus verschiedenen Höhen. Jane stellte fest, dass sie den Atem anhielt, während sie beobachtete, wie einer nach dem anderen in die Tiefe sprang. Ihre erste Reaktion wäre mit einem Wort wohl am besten zusammengefasst: Wozu? Allerdings musste sie zugeben, dass, nachdem die ersten wieder an den Strand zurückgeschwommen kamen, dieses Unterfangen einer gewissen … nun, einer gewissen erregten Euphorie nicht entbehrte.

Irgendwann befanden sich nur noch zwei Männer auf den Klippen. Einer davon, so vermutete Jane, musste der betrunkene Sammy sein, der andere war Griffin. Sie standen Seite an Seite, der Wind zerrte an ihren Shorts.

„Griff sollte ihm das ausreden“, murmelte einer der Partygäste, die sich alle gespannt am Verandageländer versammelt hatten und zu den Klippen starrten. „Sicher wird er den Rekord brechen, wenn er aus der Höhe springt, aber Sammy ist so blau, dass ihm wahrscheinlich nicht klar ist, wie viel weiter er nach vorn springen muss, um in tieferem Wasser zu landen.“

Sollte Griffin versucht haben, den anderen Mann zur Vernunft zu bringen, so hatte er damit offensichtlich keinen Erfolg. Ein kollektives Nach-Luft-Schnappen ertönte auf der Veranda, sowie Sammy sprang. Alle Augenpaare verfolgten seinen Fall ins Wasser … nur Jane hielt den Blick auf den Gastgeber gerichtet, der noch höher auf die Klippen kletterte.

„Sucht Griffin nach einem Platz, um seinen Freund besser sehen zu können?“, fragte sie Beachboy neben sich.

„Nein.“ Der Typ seufzte, als Griffin auf einem in die Luft hinausragenden Felsvorsprung stehen blieb. „Er legt die Latte höher. Aus der Höhe ist noch keiner gesprungen. Das könnte wirklich …“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, aber seine Miene sagte sowieso mehr, als er mit Worten hätte ausdrücken können.

Es könnte wirklich gefährlich sein.

Schockiert kniff Jane die Augen zusammen. Sicher, die unkooperative Haltung ihres neuesten Schützlings und sein Hang zu orgiastischen Biergelagen hatten ihr Sorge bereitet, dennoch war sie zuversichtlich gewesen, dass sie es schaffen würde, Griffin Lowell zu konzentriertem Arbeiten zu bewegen. Schon vor Langem hatte man ihr eingetrichtert, dass Versagen keine Option war. Jetzt wurde allerdings deutlich, dass das wohl komplizierter werden könnte und von ihr mehr verlangt wurde, als nur immer wieder an den Abgabetermin zu erinnern und mit dem Rotstift in der Hand bereitzustehen.

Dieser Mann war nicht nur einfach ein Schriftsteller mit Schreibblockade, er ging auch impulsiv unnötige Risiken ein, weil ein überproportional entwickeltes Konkurrenzdenken in ihm steckte.

Oder eine voll ausgewachsene Todessehnsucht.

2. Kapitel

Der Fernseher lief noch immer, als Griffin aufwachte, genau wie jeden Morgen. Ohne die Augen zu öffnen, tastete er nach der Fernbedienung und drehte die Lautstärke auf. Es war völlig egal, was lief – Cartoons, Nachrichten, was auch immer. Der Geräuschpegel war nur dazu gedacht, die Stimmen in seinem Kopf zu übertönen. Nein, er war nicht schizophren, er hatte lediglich ein überentwickeltes Erinnerungsvermögen. Und diese Erinnerungen hatten die Unart, ständig in seinem Hinterkopf abzulaufen, solange er sie nicht vierundzwanzig Stunden am Tag mit Nachrichten, lauter Musik oder einer Party, bei der der Alkohol in Strömen floss, übertönte.

Die Partyzentrale zu sein hatte eindeutig seine Vorteile.

Von denen auch andere profitierten, wie er auf dem Weg zur Küche registrierte. Einer seiner Surf-Kumpel, Ted, schlief – mit einem Strandlaken zugedeckt und einem Bikinioberteil in der Hand – im Wohnzimmer auf dem Fußboden.

Weder von dem Bikinihöschen noch von der Frau, zu der die D-Körbchen gehörten, war eine Spur zu entdecken. Griffin zuckte mit den Schultern und stupste Ted mit der Spitze seiner Flip-Flops an. „Hey.“

Ted, verärgert über die Störung, schlug mit dem Bikinioberteil nach Griffins Knöcheln. „Heute ist doch keine Schule, Mom“, murmelte er.

Auch wenn der Fernseher aus dem anderen Raum laut und deutlich zu hören war, zog Teds gemurmelte Bemerkung Griffin sofort zurück in den Unterstand aus Holz und Sandsäcken in einem entlegenen Dorf im Norden Afghanistans. Soldaten schliefen Seite an Seite, und irgendjemand redete immer im Schlaf. Mit der Mutter.

Oder den eigenen Dämonen.

Ruckartig zog er den Kopf zurück, um den Gedanken abzuschütteln, und stieß Ted fester an. „Komm schon, Kleiner.“ Der Surfer gehörte zur gleichen Altersgruppe zwischen neunzehn und siebenundzwanzig wie die Jungs, mit denen Griffin das Jahr an der Front verbracht hatte. Jene jungen Männer hatten rasant erwachsen werden müssen. Nach diesen dreihundertfünfundsechzig Tagen fühlte Griffin sich heute manchmal doppelt so alt wie mit seinen einunddreißig Jahren.

„Hey, Kleiner“, sagte er noch einmal. „Steh auf. Leg dich auf die Couch. Oder besser, nimm eines von den Gästezimmern.“

Blinzelnd setzte Ted sich langsam auf. Er sah an seinem nackten Oberkörper herunter auf das Strandlaken, dann auf das Bikinioberteil in seiner Hand. „Hab ich gestern den Pokal abgeräumt?“

„Weiß ich nicht.“

Der andere hielt das Stoffstückchen vor sich hoch. „Ich hab von dieser Bibliothekarin geträumt.“

Bibliothekarin? Fast hätte Griffin eine Grimasse gezogen. Damit konnte Ted nur diese kleine sture Frau meinen, die uneingeladen in die Party geplatzt war. Sie war das einzige weibliche Wesen gestern Abend gewesen, das ausgesehen hatte, als hätte es mit Büchern zu tun. Er hatte sich Mühe gegeben, sie zu ignorieren, aber das war nicht so einfach gewesen. Sie hatte wirklich hübsche Augen … Herrgott, sein Surf-Kumpel träumte ja sogar von ihr!

„Im Schlaf hast du sie ‚Mom‘ genannt“, ließ er Ted wissen.

„Nein, das war der zweite Traum. In meinem ersten bist du mit ihr auf die Klippen geklettert, und als ihr gesprungen seid, hat sich ihre Kleidung beim Fallen in Luft aufgelöst.“

„Hm.“ Griffin versuchte, sich das vorzustellen, aber nur das Bild ihrer sich ständig bewegenden Lippen tauchte vor ihm auf. Auch die Lippen waren hübsch. Sie hatten sehr weich ausgesehen. Sanft. Trotzdem … sie hatten sich unablässig bewegt. Sie haben einen Vertrag für Ihre Memoiren unterzeichnet. Sie müssen sofort mit der Arbeit anfangen.

Ted sah von dem Bikini zu Griffin. „Übrigens … ich habe gute Schnappschüsse von deinem Sprung gemacht. Und wie du Sammy an Land ziehst. Ich glaube, er hat mindestens so viel Salzwasser geschluckt wie Bier.“

„Und beides hat er wieder von sich gegeben.“ Griffin fühlte sich deswegen schuldig. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass der Typ sprang. Er hatte noch versucht, vernünftig mit ihm zu reden, aber dann hatte er das trotzige Funkeln in den Augen des anderen bemerkt. Griffin kannte diesen Blick. Wenn Gage, sein Zwillingsbruder, diesen Ausdruck bekam, war nicht mehr mit ihm zu reden. Auch Erica hatte so ausgesehen, als sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten.

Etwas Warmes, Haariges drängte sich an sein Knie, und er beugte sich vor, um Private, seinem höchsteigenen „Gefreiten“, die Ohren zu kraulen. „Musst du raus?“, fragte er den schwarzen Labrador. „Also gut, vor dem Frühstück darfst du ausnahmsweise in den Garten. Aber halte dich bloß vom Grundstück des alten Monroe fern. Das letzte Mal, als du dich auf seinem Land erleichtert hast, hat er mir mit einer Klage gedroht.“

Private schien sich weder Gedanken um den knurrigen alten Nachbarn zu machen noch um die Konsequenzen für sein Herrchen. Die Lefzen zu einem zufriedenen Grinsen verzogen, trottete er zur Hintertür hinaus. Als Griffin die Tür ins Schloss drücken wollte, hielt ein schmaler hellblauer Espandrille das Schloss davon ab, einzuschnappen.

Der Strandschuh mit buntem Blumenmuster saß am Fuß der Bibliothekarin.

Der Gouvernante.

Jane.

Er war so sicher gewesen, sie gestern abgewimmelt zu haben. Nachdem er von seinem Sprung zurückgekehrt war, hatte er sie nicht mehr gesehen. „Was zum Teufel tun Sie hier?“ Er stellte sich in die Tür und blockierte damit den Spalt.

Als Antwort streckte sie einen großen Becher Kaffee durch die Öffnung. Das Logo verriet, dass er von einem Coffeeshop stammte, der gute zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt lag. Crescent Cove war so abgelegen, dass man den Wagen nehmen musste, wollte man seine tägliche Dosis Seattle-Koffein bekommen.

„Ich dachte, den könnten Sie vielleicht gebrauchen.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie. Die Beine der Jeans hatte sie über die Knöchel hochgerollt. Dazu trug sie ein hellblaues Oxford-Hemd, das das Grau ihrer großen Augen aufzusaugen schien. Sie waren silbern wie ein nebelverhangener Morgen und wirkten hinter den dunklen Wimpern beinahe ein wenig unheimlich. Ganz im Gegensatz zu ihren Lippen, die rosig und leicht geschwollen aussahen, so als wäre sie die ganze Nacht geküsst worden.

Das ist es, was ich an ihr so faszinierend finde, entschied er. Genau das hatte auch schon gestern seine Aufmerksamkeit erregt. Sie wirkte auf den ersten Blick so steif und prüde, und dann dieser verführerische Mund … ein krasser Kontrast.

Was das völlig verrückte Bedürfnis in ihm weckte, ihren Hals auf Knutschflecken zu untersuchen.

Jane schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Sie sehen mir nach einem Karamell-Macchiato-Mann aus“, sagte sie und fügte noch hinzu: „Mit Extra-Sahne.“

„Auf Wiedersehen.“ Ihre Zehen waren ihm völlig egal.

„Warten Sie …“, rief sie noch, doch da hatte er ihr schon die Tür vor der Nase zugeschlagen.

„Ich hätte nichts gegen einen Karamell-Macchiato gehabt“, beschwerte sich Ted, der in diesem Moment in die Küche geschlendert kam.

Griffin achtete nicht auf das unablässige Klopfen an der Hintertür. „Du kennst diese Sorte Frau nicht so wie ich, Ted.“ In dem Moment, in dem er die Augenklappen abgenommen und diese Frau vor sich hatte stehen sehen, waren alle seine inneren Alarmanlagen losgegangen. Diese silbernen Augen schienen in seine Seele hineinschauen zu können. Es gefiel ihm nicht, so durchschaubar zu sein. „Du nimmst ihren Kaffee an, und sie will dafür deine Seele haben.“

„Ich weiß nicht … Sie sieht doch eigentlich ganz harmlos aus.“

„Ihr Aussehen …“ Er würde sich jetzt nicht mit Ted auf eine Diskussion über Janes Aussehen einlassen. Der Mann hatte von ihr geträumt. Nackt. Er hingegen konnte sich nicht vorstellen, dass sie unter ihrer Kleidung irgendetwas Interessantes verbarg. Und er würde auch nicht versuchen, es sich vorzustellen. Sie hatte diesen Mund, und die Ansprüche, die ein solcher Mund mit sich brachte, waren Grund genug, so zu tun, als existiere diese Frau gar nicht.

Das Klopfen setzte aus.

Er war so erleichtert, dass er Ted fast angelächelt hätte. Er klatschte in die Hände. „Also, was steht heute an?“ Ted arbeitete halbtags als Rettungsschwimmer, seine restliche Zeit verbrachte er anscheinend ausschließlich mit Surfen und Feiern – was ihn in Griffins Augen zur idealen Gesellschaft machte.

Teds Miene wurde nachdenklich. „Ich weiß nicht, Griff. Vielleicht sollte ich mich absetzen.“

„Was? Wieso?“

„Vermutlich hättest du gern etwas Ruhe und Privatsphäre.“

Direkte Panik war es nicht, die durch ihn hindurchschoss, aber es kam dem schon ziemlich nahe, und das hörte man auch seiner Stimme an. „Ich hasse Ruhe und Privatsphäre. Was ist los mit dir?“

Ted zuckte mit einer Schulter. „Die Bibliothekarin. Sie hat gesagt, dass du dich an dein Buch machen musst.“

„Die Bibliothekarin hat keine Ahnung, wovon sie spricht.“ Über die Schulter sah er zum Fenster hinaus. Sie war nicht mehr da. Die Enge um seine Kehle ließ nach. „Ich habe keine Verpflichtungen, niemandem gegenüber“, log er.

Ted fingerte an dem scharlachroten Bikini-Top. „Wirklich? Trotzdem … Da ist irgendetwas an dem, was sie gesagt hat …“

„Nicht an dem, was sie gesagt hat, sondern an ihr“, fiel Griffin ihm ins Wort. „Du hast Träume, in denen sie nackt ist, mich treibt ihr Mund in den Wahnsinn, und …“ Abrupt brach er ab, als besagte Frau draußen vor dem Fenster auftauchte. „… und sie stiehlt gerade meinen Hund.“

Er stellte sich näher an die Scheibe. Tatsächlich. Wie es aussah, hatte sie ihren Gürtel als Leine unter Privates Halstuch durchgezogen. Obwohl er nicht hörte, was sie sagte, bekam er den Eindruck, sie versuche, seinen Hund mit sich zu locken. Energisch klopfte Griffin mit den Fingerknöcheln gegen das Glas.

„Hey!“, schrie er und riss das Fenster auf. „Lassen Sie meinen Hund in Ruhe. Sie platzen also nicht nur uneingeladen in Partys, sondern kidnappen auch Hunde?“

Sie blieb stehen und runzelte die Stirn. Dann schaute sie mit zusammengekniffenen Augen zwischen Griffin und dem Hund hin und her.

„Verdammt“, murmelte er. Er wusste, was jetzt kam. Er hatte sie gerade selbst auf die Idee gebracht.

Jane stemmte eine Hand in die Hüfte. „Dann kommen Sie doch raus und holen Sie ihn sich.“

„Das wollen Sie nicht wirklich.“ Er setzte seine grimmigste Miene auf – eine Miene, die einen Schützen an einem von Taliban besetzten Checkpoint eine Sekunde lang zum Zögern gebracht und somit Griffin das Leben gerettet hatte.

Jane jedoch tippte nur ungeduldig mit der Fußspitze auf den Sand. „Soll das eine Drohung sein? Wollen Sie rauskommen und mich mit bösen Blicken töten? Sie können ja nicht mal Ihre Termine halten, geschweige denn sich zu irgendeiner Vergeltungsmaßnahme aufraffen.“

Wut flammte in Griffin auf. „Ted.“ Sein Kopf ruckte herum. „Geh und hole Private.“

„Kommt nicht infrage. Ich fürchte mich vor dem Hund.“

Griffin warf seinem Freund einen vernichtenden Blick zu. „Erzähl keinen Blödsinn.“ Ted war bekannt dafür, seine Sandwiches brüderlich mit Private zu teilen.

„Zugegeben – ich fürchte mich vor ihr.“

Jane hatte den kurzen Wortwechsel offensichtlich mitgehört, denn sie lachte. „Da sind Sie nicht der Einzige.“

Griffin sah rot. Er marschierte zur Hintertür und riss sie auf. Dann stapfte er auf die Gouvernante zu, fest entschlossen, seinen Hund zurückzuholen und sie ihrer Wege zu schicken. Sie sollte ihn in Ruhe lassen.

„Diebstahl ist ziemlich mies, Lady“, meinte er drohend. „Sie finden es also in Ordnung, den besten Freund des Menschen zu entwenden? Sich mit einem unschuldigen Tier aus dem Staub zu machen?“

Sie lachte nur wieder. „Entwenden, sich aus dem Staub machen. Zumindest ist Ihr Wortschatz gut entwickelt. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung, dass Sie Ihren Verpflichtungen als Autor nachkommen.“

Er stand ihr jetzt so nah, dass er ihren Duft wahrnehmen konnte. Ein süßer, femininer Duft, der eine fast berauschende Wirkung auf ihn hatte, als er sich nun vorbeugte, um ihr die provisorische Hundeleine aus der Hand zu nehmen.

„Rühr sie nicht an!“, tönte da eine ältere männliche Stimme.

„Was?“ Griffin sah zu dem alten Monroe hin, der sich humpelnd näherte. Der Alte fuchtelte mit seinem Stock in der Luft, und die böse gerunzelte Stirn ließ ahnen, dass eine weitere seiner Tiraden bevorstand.

„Ich werde nicht erlauben, dass du der jungen Dame etwas antust.“

Ihr etwas antun? Er hatte noch nie das Bedürfnis gehabt, einer Frau etwas anzutun. Vermutlich war das der Grund, warum die Sache mit Erica so außer Kontrolle geraten war – weil er sie nicht hatte verletzen wollen, nicht einmal mit der Wahrheit. „Ich rühre die Frau doch gar nicht an. Und überhaupt, was haben Sie mit ihr zu tun?“

Vermutlich war der alte Monroe die ganzen vierundneunzig Jahre, die er bislang auf diesem Planeten verbracht hatte, schlecht gelaunt gewesen. Jetzt sah er Griffin mit offener Abneigung an, was Griffin absolut nichts ausmachte. Schließlich kannte er das schon, seit er und sein Bruder als Kinder jeden Sommer in den Ferien hier durch die Bucht getobt waren.

„Sie hat mir den Anruf beim Hundefänger erspart. Dein flohzerfranster Köter war wieder in meinem Garten. Hat sich auch nicht von meinen alten GI-Stiefeln verscheuchen lassen, die ich nach ihm geworfen habe.“

„Weil er nicht einmal ein Scheunentor getroffen hätte“, murmelte Jane. „Aber ich dachte mir, ich hole Ihren Hund doch besser da raus.“

„Hätte dich dreihundert Dollar gekostet, ihn aus dem Tierheim auszulösen“, behauptete der Alte.

„Sie hätten natürlich auch das Telefon aufnehmen können statt Ihrer Stiefel. Sie haben meine Nummer.“

Monroe tat, als hätte Griffin nichts gesagt. „Du bist der jungen Lady also was schuldig.“

Jane lächelte ihn triumphierend an. „Mein Reden.“

Griffin ignorierte beide, befreite Private von der behelfsmäßigen Leine und ging mit ihm zum Haus zurück.

„Hast du der Lady nicht etwas zu sagen?“, forderte sein griesgrämiger Nachbar.

„Genau. Haben Sie mir nicht etwas zu sagen?“, rief Jane ihm nach.

„Allerdings.“ Griffin drehte sich nicht um. „Verschwinden Sie von hier. Und bilden Sie sich ja nicht ein, Sie kämen noch einmal so einfach in mein Haus. Ich werde jeden in der Partyzentrale in Alarmbereitschaft versetzen. Niemand, der aussieht wie eine Gouvernante oder eine Bibliothekarin, ist in Strandhaus Nr. 9 willkommen.“

Genau wie mit dem Hundekidnapping hatte Griffin auch dieses Mal Jane erst auf die Idee gebracht. Niemand, der aussieht wie eine Gouvernante oder eine Bibliothekarin, ist in Strandhaus Nr. 9 willkommen.

Sie war entschlossen, wieder in sein Haus zu gelangen. Wie es danach weitergehen sollte, hatte sie sich noch nicht richtig überlegt. Aber sie war sicher, wenn sie wieder in der Partyzentrale auftauchte, würde ihm klar werden, dass sie keinesfalls vorhatte, lockerzulassen. Ihr Durchhaltevermögen wäre vielleicht der nötige Anstoß, damit er sich hinsetzte und zu schreiben begann.

Anders als heute Morgen steuerte sie dieses Mal die Frontseite des Hauses an. Entschlossen bahnte sie sich in ihren Sandaletten mit Keilabsatz einen Weg durch den Sand, an Strandhäusern und Sonnenanbetern vorbei. Im Juni zogen am späten Nachmittag in Crescent Cove oft Wolken vom Meer herein, heute jedoch war der Himmel klar und strahlend blau, während die Sonne am Horizont schon tief stand. Die lange Sweatjacke, die Jane über ihrem Party-Outfit trug, war viel zu warm, und so blieb sie vor dem Bungalow mit der Nr. 8 stehen, um den Reißverschluss zu öffnen.

Eine schlanke Frau schlug gerade ein „Zu vermieten“-Schild in das Blumenbeet vor der Veranda. Anders als Jane musste sie immun gegen die Hitze sein, denn zu ihren Capri-Hosen trug sie einen Matrosenpullover, der ihr bis zu den Knien reichte. Mit einem erschrockenen Aufschrei fuhr sie herum und drückte sich die Hand aufs Herz. „’tschuldigung, aber ich hatte Sie nicht gesehen.“

„Ich sollte mich entschuldigen“, sagte Jane. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Die Frau strich sich das lange dunkle Haar aus dem Gesicht. „Ist nicht Ihre Schuld, ich bin generell schreckhaft.“ Sie ließ den Blick über Janes Erscheinung wandern, die hohen Schuhe, die Frisur, die mit viel Haargel und einem heißen Glätteisen gegen die feuchte Salzluft gerüstet worden war. „Auf dem Weg zu Nr. 9?“

„Ha!“ Jane strahlte. „Ich sehe also so aus, als würde ich dazu passen, ja?“

„Nun … ja. Sind Sie eine Bekannte von Griffin?“

„So was Ähnliches. Ich bin Jane Pearson.“

„Ich kenne Griffin schon mein ganzes Leben. Ich bin hier in der Bucht aufgewachsen, und die Lowells haben jeden Sommer hier verbracht.“ Sie lächelte schüchtern. „Ich bin Skye Alexander. Heutzutage verwalte ich die Mieteinheiten hier in der Gegend.“

„Nett, Sie kennenzulernen.“ Janes Blick lag auf dem Schild. Vielleicht war Skye genau die Unterstützung, die sie bei Griffin brauchte.

Skye sah über die Schulter zu dem Haus. „Nr. 8 hatte ein Leck im Dach und noch so einige andere Macken, die repariert werden mussten. Deshalb konnten wir es eine ganze Weile nicht vermieten. Eigentlich hatte Griffin hier wohnen wollen, doch er musste dann mit der Hütte nebenan vorliebnehmen.“

Beide sahen sie jetzt zu Nr. 9. Ein an einer Angelrute befestigter Drache tanzte über dem Balkon im ersten Stock in der Brise. Auf der Veranda tummelten sich bereits eine Menge Leute, und die Version eines alten Beachboy-Songs von den Beastie Boys klang zu ihnen herüber. Eine attraktive junge Frau in einem knappen Stringbikini kletterte auf einen Tisch und schwang unter dem Johlen und Applaus der Umstehenden die Hüften zu dem hämmernden Rhythmus.

„Wird heute bestimmt eine wilde Nacht“, meinte Skye.

Jane lächelte schwach. „Ich kann’s kaum erwarten.“

Das kurze Stück bis zur Vordertür der Partyzentrale ließ ihr genügend Zeit zum Nachdenken. Nicht, dass sie grundsätzlich etwas gegen ungehemmtes Vergnügen hatte – ein paar Freunde von ihr behaupteten sogar, es wäre längst mal wieder fällig –, aber heute behagten ihr weder die Vorstellung einer wilden Party noch ihre Kostümierung.

Es war nicht ihr Jane-die-Gouvernante-Aufzug. Natürlich ging es ja genau darum, aber trotzdem … Sie erschauerte leicht, als sie auf dem Weg zur Haustür die Sweatjacke von den Schultern schüttelte. Ein Prickeln überlief ihre bloße Haut, als der Wind vom Ozean her auffrischte. Sie hatte sich ein Beispiel an den Bikini-Mädchen von gestern genommen und ebenfalls Badesachen angezogen. In der Umkleidekabine von Macy’s hatte der schwarze Zweiteiler recht züchtig ausgesehen, vor allem zusammen mit dem schwarzen Jeansrock, der bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Doch mit einem Mal schien es ihr, als würden das tiefe Dekolleté und der auf den Hüften sitzende Rock übermäßig viel nackte Haut zur Schau stellen. Mit den hohen Keilabsätzen wirkten ihre Beine auch um Meilen länger, was ja eigentlich gut war … bis ihr klar wurde, dass somit auch Meilen mehr Haut zu sehen waren.

Sie überlegte, ob sie die Jacke wieder überziehen und vielleicht an einem anderen Tag mit einem anderen Plan zurückkommen sollte. Dann erinnerte sie sich an Ian Stone und wie er auf ihrem Stolz und ihrem Ruf herumgetrampelt war. Das verlieh ihr neuen Mut. Noch einmal tief Luft geholt, dann klopfte sie an die Tür.

Wie erhofft war es nicht Griffin, der ihr öffnete. Vermutlich saß er irgendwo in einer ruhigen Ecke, so wie gestern. Der Typ, der ihr jetzt gegenüberstand, war ihr unbekannt, trug aber die übliche Uniform aller männlichen Gäste hier – Surfshorts und Sonnenbräune. Weiße Zähne blitzten auf, als er lächelte, und auf seinem Bizeps trug ein in Schwarz tätowierter Surfer sein Board unter dem Arm.

„Baby!“ Er begrüßte sie, als wären sie alte Freunde. Mit einer Hand an ihrer Schulter zog er sie ins Haus. „Du brauchst dringend was zu trinken.“

So einfach war das also. Jane ging davon aus, dass ihre dick getuschten Wimpern und der himbeerfarbene Gloss auf ihren Lippen die beabsichtigte Wirkung hatten. Als sie dann einen Cocktail mit Schirmchen in der Hand hielt, beschloss sie, sich auch mit einem exotischeren Namen vorzustellen als Jane – Jana, Janelle, Jezebel. Und dabei würde sie keine Miene verziehen.

Als sie über die Veranda ging, fasste ein Mann nach ihrem Handgelenk und zog sie an sich, um mit ihr zu einem alten B-52-Song zu tanzen. Er legte die Hände um ihre Taille, und sie nutzte das langsame Drehen zum Rhythmus dazu, sich in der Menge nach Griffin umzusehen. Allerdings wusste sie nicht, was sie tun sollte, wenn sie ihn erblickte. Ihm zuwinken? Ihm die Zunge herausstrecken? Beides schien ihr doch sehr kindisch zu sein, wenn sie eigentlich nichts anderes wollte, als ihn an seine Verpflichtungen zu erinnern – ganz sachlich, von einem Profi zum anderen.

Ein Blick an sich herunter, und eine neue Welle des Unbehagens überkam sie. Vielleicht war sich hier hereinzuschleichen doch keine so gute Idee gewesen. Das Bedürfnis, sich irgendwie zu bedecken, ließ sie von ihrem Tanzpartner abrücken. Sein Griff um ihre Hüfte wurde fester.

„Wohin willst du denn?“, fragte er.

„Meine Jacke holen.“ Sie zeigte vage in Richtung Haustür, wo sie die Jacke auf einer Bank abgelegt hatte.

„Damit diese wunderbar schimmernde Haut versteckt wird?“, protestierte er und beugte sich zu ihrem Ohr hinunter. „Das wäre so absolut … falsch.“

Ihr Lächeln war nicht ehrlich. „Mag sein, aber mir ist ein wenig kalt.“ Oh bitte, biete mir jetzt bloß nicht an, mich zu wärmen.

Er nahm ihre Hand und begann, mit ihr einen Boogie über die Veranda zu tanzen. „Und wo hast du die Jacke gelassen?“

„Vorn bei der Tür.“ Dankbar dafür, dass er sich das Klischee verkniffen hatte, ließ sie sich von ihm durch die Menge ziehen. Selbst mit den hohen Absätzen konnte sie bei ihrer Größe nicht viel mehr als Schultern, Brust und Rücken der männlichen Gäste sehen. Eines musste man den Surfern wohl lassen – sie alle hatten wirklich enorm gut ausgebildete Oberkörper.

Als ihr Tanzpartner endlich stehen blieb, musste sie aufpassen, um nicht mit der Nase gegen seinen Oberarm zu prallen. Er wirbelte sie herum und presste sie mit dem Rücken an die Wand. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er sie in einen kleinen Nebenraum gezogen hatte, in dem eine Waschmaschine, ein Wäschetrockner und ein hölzernes Trockengerüst mit einigen aufgehängten Strandlaken standen.

„Wir sind nicht bei der Eingangstür“, stellte sie trocken fest. „Da aber habe ich meine Jacke gelassen.“

Er lächelte sie an. „Lass dich von mir aufwärmen.“

Oh, verdammt. „Er konnte einfach nicht widerstehen“, murmelte sie in sich hinein, dann hob sie die Stimme. „Danke, aber nein.“

„Ach, komm schon. Bitte“, schmeichelte er. Er sah gut aus, und für einen Moment spielte Jane tatsächlich mit dem Gedanken, sich von ihm überzeugen zu lassen. Seit dem Desaster mit Ian war sie nicht mehr geküsst worden, und schließlich hatte sie sich aufgedonnert wie eine Jezebel, oder etwa nicht? Warum also sollte sie es nicht ausnutzen und sich ein wenig gehen lassen?

Jemand lief an der offenen Tür vorbei. „Jer!“, rief ihr Tanzpartner. „Komm herein und sag diesem hübschen kleinen Ding, wie glücklich ich sie machen kann.“

„Jer“ blieb stehen und stützte sich mit den Händen zu beiden Seiten am Türrahmen ab. Janes Herz setzte einen Schlag lang aus, dann raste ihr Puls los. Dieser neue Typ war groß genug, um mit seiner Gestalt fast sämtliches Licht zu blockieren. Die Wände des kleinen Zimmers schienen sich zu verschieben und zusammenzurücken – zumindest in ihrem Kopf.

Der zweite Mann grinste finster. „Ricky ist gut, aber ich bin besser. Willst du es nicht lieber mit mir versuchen, hübsche Lady?“

Jane schluckte. „Ich will es mit niemandem versuchen. Entschuldigt mich.“ Doch Ricky hielt noch immer ihr Handgelenk fest.

„Sie ist mit mir zusammen, Jer.“

„Aaah, aber du bist doch sicher bereit zu teilen, oder …?“

„Jane“, sagte sie in ihrem säuerlichsten Ton. Sollten Jana, Janelle und Jezebel sich zum Teufel scheren. Ihr Name hatte schon früher Männer abgeschreckt. So wie Griffin. „Ich heiße Jane, und ich möchte jetzt gehen.“

„Ich Tarzan.“ Jer trommelte sich auf die nackte Brust und schob sich in den kleinen Raum. „Sollen wir Liebe zusammen machen, Baby?“

Nie wieder würde sie diesen Bikini anziehen. Oder Schuhe mit Keilabsatz tragen. Oder so viel Mascara auflegen – obwohl sie bei ihren goldenen Wimpernspitzen nie ganz würde darauf verzichten können.

„Geh mir aus dem Weg.“ Sie riss sich von Ricky los und stieß ihn von sich. Als er zur Seite taumelte, stand sie Jer im Ausgang gegenüber. Zwar sagte sie sich, dass sie sich nicht wirklich in Gefahr befand, dennoch hämmerte ihr Herz wie wild, und ihr Blut schien eiskalt durch die Adern zu fließen, unter einer Haut, die wie Feuer brannte. „Ich gehe jetzt.“

„Ach Baby …“, setzte Jer an und brach abrupt ab, als er rückwärts in die enge Diele gezerrt wurde. „Hey!“

Griffin Lowell schob den Mann weg und nahm dann dessen Platz in der Tür ein. Er trug Shorts, die ihm tief auf den Hüften hingen, und unter seinem halb offenen Hawaiihemd mit Ananasmuster und spärlich bekleideten Hula-Tänzerinnen schaute seine nackte Brust hervor. Seine Bartstoppeln waren seit heute Morgen noch dichter geworden und zogen die Aufmerksamkeit auf seine herabgezogenen Mundwinkel. „Was ist hier los?“

Ricky stellte sich wieder neben Jane und schlang mit offensichtlichem Besitzanspruch einen Arm um ihre Hüfte. „Hast du die Neue schon kennengelernt?“

Griffins aquamarinblaue Augen wanderten über sie, und ihre Haut begann wieder zu prickeln, ihr Blut wurde jäh kochend heiß. Lag da etwa ein Anflug von Bewunderung in seinem Blick? „Sie gehört zu mir“, sagte er mit ernstem Gesicht.

Ricky lachte. „Netter Versuch. Aber in den drei Monaten, die du jetzt hier lebst, hast du keine einzige Frau gehabt.“

„Weil ich auf diese hier gewartet habe.“

Jetzt runzelte Ricky die Stirn. „Du kannst sie aber nicht haben. Ich habe sie zuerst entdeckt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst und so …“

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Jane warf dem Typen einen mitleidigen Blick zu. Jetzt, da Griffin hier war, hatte sich das Gefühl von Bedrohung aufgelöst.

„Lass die Lady los, Rick.“

„Nein.“ Er zog sie noch enger an sich und schlang den anderen Arm jetzt auch um ihre Brust. „Nur weil du sie haben willst, heißt das nicht, dass du sie auch bekommst.“

„Aber sie will mich doch auch.“ Griffins Augen funkelten. „Das willst du doch, Engelchen, nicht wahr?“

Mit der vielen bloßen Haut, dem Bikini, den glatten Haaren und den mehreren Lagen Mascara war sie sich nicht sicher gewesen, ob er sie überhaupt erkannt hatte. Das „Engelchen“ jedoch machte klar, dass er genau wusste, wer sie war, und sie war sich nicht zu schade, die Hilfe anzunehmen. Also flötete sie so süß sie nur konnte: „Aber du weißt doch, dass ich das will, mein kleiner Zauberhase.“

Sein Blick lag durchdringend auf ihrem Gesicht. „Zauberhase.“

„Ich liebe die Kosenamen, die wir füreinander haben.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.

Die Falte auf Ricks Stirn wurde tiefer. „Das kaufe ich euch nicht ab“, sagte er trotzig wie ein kleines Kind.

Griffins Finger schlossen sich um ihre. Ein Stromstoß durchzuckte ihren Arm, und das Gefühl von Bedrohung kehrte jäh zurück – mit zehnfacher Stärke. Oh-oh. Vielleicht war es noch riskanter, sein Spiel mitzumachen.

„Dann kauf uns das ab“, sagte er.

Ein schneller Ruck, und sie war von dem anderen Mann befreit – um an Griffins harter Brust zu landen. Und dann lag sein Mund auch schon fest und fordernd auf ihrem.

3. Kapitel

„Die Party hat gestern wohl nicht lange gedauert, was?“, rief der alte Monroe Griffin zu, der Privates Morgentoilette überwachte. Die Grundstücksfront der Parzelle des über Neunzigjährigen grenzte seitlich an den Garten von Strandhaus Nr. 9.

Griffin gab nur einen unverständlichen Laut von sich. Er hatte die Partyzentrale endgültig geschlossen. Der mürrische Kauz, der ihn im Moment böse anfunkelte, hätte diese Schließung schon vorher erreichen können, wenn er sich öfter über die nächtliche Ruhestörung beschwert hätte. Aber offenbar war er ohne seine Hörgeräte stocktaub. Wann immer er die Meute bei Griffin hatte einlaufen sehen, hatte er einfach den „Fremdkörper“ entfernt und den History Channel mit Untertiteln laufen lassen.

Doch es war nicht die Rücksicht auf den Nachbarn gewesen, die Griffin dazu bewegt hatte, gestern Abend alle hinauszuwerfen. Nein, er war wütend gewesen, weil … Wut hatte es eigentlich nicht geähnelt, er war eiskalt gewesen, als er die Musik abgestellt und alle Partygäste von seinem Grundstück gescheucht hatte, angefangen bei diesem Bastard Rick. Der Mann hatte irgendetwas gemurmelt – eine Entschuldigung? Eine Rechtfertigung? –, aber Griffin hatte ihn so ruppig die Verandastufen hinuntergeschubst, dass er auf seinem Hintern gelandet war. Immerhin war er danach clever genug gewesen, sich aufzurappeln und die Beine in die Hand zu nehmen.

Überhaupt hatte Griffin gestern ziemlich viel geschubst.

Das schlechte Gewissen meldete sich, und er massierte sich den Nasenrücken, um seine Gedanken zu ordnen. Jane war genauso schnell verschwunden wie Rick – ohne jedoch hinzufallen. Das war gut. Er ging davon aus, dass er nicht mehr von ihr belästigt würde.

Um genau zu sein, er würde sich von niemandem mehr belästigen lassen. Gestern Abend hatte er hoffentlich deutlich klargemacht, dass er nicht länger den großzügigen und toleranten Gastgeber spielen würde. Es hatte sowieso nichts gebracht. Er würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen, um die Geschehnisse seines Jahres mit den Truppen daran zu hindern, ständig Bilder in seinem Kopf aufblitzen zu lassen.

„Gibt es etwas Neues von deinem Bruder?“, fragte der Alte jetzt. „Hält er sich an einem sicheren Ort auf?“

Sorge als Ablenkung war Mist, musste Griffin feststellen. Private musste gespürt haben, wie aufgewühlt sein Herrchen war, denn der Hund eilte winselnd herbei und drückte sich gegen Griffins Bein. Griffin streichelte dem Hund über den Kopf und kraulte die samtweichen Ohren. Sofort ging sein Atem ein wenig regelmäßiger.

„Gage ist in seinem Element.“ Mitten in der Gefahrenzone, mit der Kamera auf Fotojagd. Aber er würde es spüren, wäre Gage in Gefahr, versicherte Griffin sich still. Die Verbindung zwischen den Zwillingsbrüdern war immer extrem stark gewesen. Trotzdem war das nur ein schwacher Trost. Griffin wusste aus eigener Erfahrung, dass Sicherheit in Kriegsgebieten etwas war, das sich von einer Sekunde auf die andere ändern konnte.

„Ist er …“

„Ich will nicht über ihn reden, alter Mann“, brummte Griffin. Es war unhöflich und grob, aber er schuldete Rex Monroe keine Höflichkeit. Der Nachbar hatte ihn und Gage öfter als einmal bei der Mutter angeschwärzt, auch als sie damals zum ersten Mal aus dem Fenster geklettert waren, obwohl sie eigentlich brav im Bett hätten liegen müssen. Als Siebtklässler hatte man sie dann mit Mädchen erwischt, die schon auf der Highschool waren.

Er bedachte Monroe mit einem finsteren Blick. „Verstößt Knutschen am Strand mit ein paar älteren Mädchen gegen das Gesetz?“, stieß er knurrend hervor. „An jenem Abend ging es mir nur um die praktische Seite der Ausbildung.“

Der alte Mann lachte schnarrend. „Du vergisst, dass ihr zwei Ganoven mir am Tag zuvor meinen Wagen mit Toilettenpapier eingewickelt hattet.“

Ach ja richtig, das hatte er tatsächlich vergessen. Der Ärger hatte ihn und Gage in jenem Sommer magisch angezogen – und in allen darauffolgenden Sommern. Diese alljährlichen Monate in der Bucht hatten ihnen eine Freiheit geboten, die sie von ihrem engen Stadtrandleben nicht kannten. Vermutlich hatte sie das auch auf den Geschmack gebracht und das Bedürfnis nach Abenteuer in ihnen geweckt.

Vielleicht war es dieses Gefühl von Freiheit, das Griffin heute wieder hierher zurückgezogen hatte. Nach einem Jahr in ständiger Lebensgefahr konnte er sich vielleicht hier darüber klar werden, wie seine nächsten Schritte aussehen sollten.

Private hob die Nase aus einem Grashügel und lauschte. Sein Körper spannte sich an, dann ließ er ein kurzes freudiges Bellen hören und rannte los. Griffin stöhnte. Der Hund liebte Gesellschaft fast so sehr wie sein Futter, und das hieß etwas bei einem Labrador. Vermutlich einer der früheren Gäste, der gestern nicht mitbekommen hatte, dass die Türen der Partyzentrale verschlossen waren. Keine Margaritas mehr am Vormittag, keine bierseligen Nachmittage mehr, keine Lambada-Wettbewerbe mehr bis spät in die Nacht.

Er steuerte die Hintertür an. „Seien Sie einfach unhöflich wie immer, Rex, ja? Wer es auch sein mag … verscheuchen Sie ihn.“

Mit zusammengekniffenen Augen sah der alte Griesgram an Griffins Schulter vorbei. „Wäre es einer von deinen rüpelhaften Spielkameraden, würde ich es liebend gern tun.“

Oh, verdammt, dachte Griffin.

„Aber es ist wieder die nette junge Frau.“

Die wahrscheinlich eine Entschuldigung erwartete. Mit einem schweren Seufzer drehte Griffin sich um.

Wie er es sich gedacht hatte … es war die Gouvernante, die sich wieder mal als Tierschützerin betätigte und Private am Halstuch festhielt. Heute war sie auch wieder wie sie selbst gekleidet: Flip-Flops mit Muschelapplikationen, knielange orangefarbene Shorts, ein überweites T-Shirt mit dem Schriftzug „Lesen ist sexy“, und ihr Haar lockte sich in alle Richtungen. Sein treuer Freund betete sie mit hängender Zunge an. „Ist Ihnen Ihr Haustier mal wieder abhandengekommen?“

Sein Verstand war ihm abhandengekommen, als er sie gestern Abend geküsst hatte. Wieder war sie uneingeladen aufgetaucht, was ihn eigentlich nicht sehr überrascht hatte. Er hatte schon geahnt, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die ein Nein so einfach akzeptierten. Was ihn allerdings überrascht hatte, war ihr gestriger Aufzug, ganz das Strandhäschen, mit viel nackter Haut, geglättetem Haar und einem netten, wenn auch nicht übertriebenen Ausschnitt. Wenn das als Verkleidung gedacht gewesen war, dann war es ein wirklich erbärmlicher Versuch gewesen. An das Verandageländer gelehnt, hatte er sie schon von Weitem kommen gesehen, und er hatte sie im Auge behalten, als man sie von der Tanzfläche weggezogen hatte.

Ganz gleich, was sie auch trug, diese unheimlichen glasklaren Augen verrieten sie. Augen, die ihm ein ungutes Gefühl einjagten, genau wie Spiegel ihm dieser Tage Unbehagen einflößten. Und da war noch dieser Mund. Voll, rot, feucht, so als hätte jemand daran gesaugt, bevor er Gelegenheit dazu gehabt hatte.

Dieser Mistkerl von Rick hatte kurz davorgestanden, es zu tun.

Auch wenn der andere Mann zu den Hunden gehörte, die zwar bellten, aber nicht bissen – was bedeutete, dass Jane allein mit ihm fertiggeworden wäre –, hatte Griffin plötzlich Territorialansprüche gestellt. Zu beobachten, wie der Idiot sich an sie heranmachte, hatte automatisch den Gedanken in seinen Kopf schießen lassen: Verdammt, ich werde sie zuerst küssen! Und dann hatte er genau das getan – sie geküsst.

Dabei wusste er ganz genau, dass das das Letzte war, was er gebrauchen konnte. Sein Gefühlsleben war schon durcheinander genug, da halfen weder mehr Hitze noch eine Frau.

Entschlossen, sie endlich aus seinem Leben zu vertreiben, marschierte er zu ihr und übernahm sowohl seinen Hund als auch die Kontrolle über die Situation. „Ich gehe davon aus, Sie erwarten jetzt eine Entschuldigung von mir.“

Sie schaute einfach über seine Schulter hinweg. „Schon gestern kam mir Ihr Name bekannt vor, Mr Monroe, aber erst später klingelte es dann bei mir. Sie sind der Rex Monroe, richtig? Der berühmte Reporter?“

Auch ohne hinzusehen wusste Griffin, dass der bärbeißige Alte jetzt vor Stolz fast platzte. „Nun, junge Lady, berühmt würde ich nicht direkt sagen …“

Griffin verdrehte die Augen. „Hetzen Sie ihn nicht auch noch auf.“

„Es ist mir eine Ehre, Sir.“ Noch immer ignorierte sie Griffin. „Vor ungefähr zehn Jahren habe ich ein Kompendium über Kriegsberichterstattung in den Vierzigerjahren verschlungen. Ihre Beiträge haben mich besonders fasziniert.“

„Da müssen Sie ja praktisch noch ein Kind gewesen sein.“ Monroe klang über die Maßen entzückt.

Jane lächelte. „Ich war von Geburt an ein Bücherwurm.“

„Meine Nerven haben Sie auf jeden Fall schon zerfressen“, murmelte Griffin.

Ihn lächelte sie nie so an. Das vor zwei Tagen, als sie sich ihm vorgestellt hatte, war eindeutig ein falsches Lächeln gewesen. Und gestern Abend, als er endlich seinen Mund von ihren Lippen gerissen hatte, da hatte er sie von sich gestoßen und sich jäh weggedreht. Er wusste also nicht, ob er sie Feuer speiend oder strahlend vor Glück zurückgelassen hatte.

Ja, er hatte sie von sich gestoßen. Und ja, er konnte sich vorstellen, dass sie davon nicht besonders angetan gewesen war, auch nicht davon, dass er sich überhaupt die Freiheit genommen hatte, sie zu küssen. Aber ihre Lippen waren genauso weich, wie sie aussahen, nachgiebig und gleichzeitig fest, wie er es sich vorgestellt hatte, und sie hatten sich mit dem leisesten aller Seufzer seiner Zunge geöffnet.

Erst einmal in ihrem warmen Mund, hatte er jegliche Finesse vergessen und gierig ihren Geschmack in sich aufgesogen. Jeden Zentimeter hatte er hemmungslos erkundet, und Wellen der Lust waren durch ihn geströmt. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Die Frau war die reine Pest.

Sie war Gouvernante Jane, die Frau, die aussah wie die typische Bibliothekarin.

Bestimmt war sie hier, um ihm nachträglich eine Ohrfeige zu versetzen.

Sich in das Unvermeidliche ergebend, drehte er sich um und tippte sich mit einem Finger seiner freien Hand an die Wange. „Also, machen Sie schon. Knallen Sie mir eine.“

Blinzelnd wich sie einen Schritt zurück. „Wovon reden Sie da? Warum sollte ich Sie ohrfeigen wollen?“

„Die Gelegenheit sollten Sie sich nicht entgehen lassen“, kam es vom alten Monroe.

„Warum halten Sie nicht einfach den Mund, Sie klappriger Kauz?“, rief Griffin über die Schulter zurück.

Jane blinzelte noch immer. „Wissen Sie denn nicht, mit wem Sie da reden? Der Mann hat unzählige Preise für seine Kriegsreportagen gewonnen, einschließlich des Pulitzer-Preises. Er ist einer der Besten der Besten.“

„Jaja, ist mir bekannt. Die großen Alten und all das. Das ändert nichts an der Tatsache, dass er mir seit meinem siebten Lebensjahr auf die Nerven geht.“

„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, konterte der Nachbar.

„Wird es nicht Zeit für Ihre tägliche Dosis ‚Golden Girls‘?“ Griffin funkelte den Alten grimmig an. „Oder wie wär’s mit einem Mittagsschläfchen, alter Mann?“

„Wann ich ein Schläfchen halte, entscheide ich. Ich habe keine Termine mehr einzuhalten – im Gegensatz zu dir. Sei nicht so träge.“

„Träge?“ Sein Temperament zerrte an der Kette wie ein bissiger Hund, der den Postboten witterte. „Ich habe ein Jahr ohne fließend Wasser und Strom zugebracht, mit Fliegen und meinem eigenen Gestank. Ein Jahr unter konstantem Beschuss. Eine Kugel hat meinen Helm durchschlagen, keinen halben Meter entfernt von meinem Schädel, während ich auf meinem Feldbett gelegen habe.“

„Dann setz dich endlich auf deinen Hintern und schreib darüber.“

„Habe ich bereits, obwohl ich annehme, dass Sie zu senil sind, um die Worte noch zu begreifen. Jeden Monat habe ich dem Magazin, das mir die Akkreditierung verschafft hat, einen Artikel geschickt.“

„Und jetzt hast du Zeit und Ruhe, die Ereignisse an einem sicheren Ort zu analysieren. Stelle den Zusammenhang her. Beschreibe, wie das Erlebte dich verändert hat. Mit Sex und Schnaps wirst du die Bilder nicht aus deinem Kopf vertreiben, Junge.“

Junge? An den meisten Tagen fühlte Griffin sich so alt, wie er gar nicht mehr werden konnte. Außerdem hatte er garantiert nicht vor, Monroe oder irgendjemandem zu beichten, dass er Alkohol schon lange von seiner „Könnte wirken“-Liste gestrichen hatte. Und was den Sex anbelangte … seine Libido hatte sich nach dem Vorfall mit Erica verabschiedet. Und vorher, während seiner Zeit mit dem Platoon, waren seine Nerven viel zu gereizt gewesen, und es hatte weder Gelegenheit noch genügend Privatsphäre gegeben, um sich auf diese Art zu entspannen.

Zugegeben, er hatte auch auf Abstand zu Erica geachtet.

„Ich geh wieder rein.“ Private bei Fuß, drehte Griffin sich um. „Träumen Sie was Schönes, Rex.“

„Griffin.“

Abrupt hielt er inne. Beinahe wäre es ihm gelungen, sich davon zu überzeugen, dass Jane nicht mehr dort stand. Diese dreihundert und etwas Tage in Afghanistan hatten ihm gezeigt, welche Macht die Einbildungskraft besaß. Es hatte Tage gegeben, da hätte er schwören mögen, dass er heißes Wasser roch … und dass es überhaupt einen Geruch hatte. Und manchmal war er morgens aufgewacht, fest davon überzeugt, Gage zu hören, der gleich neben ihm seinen Lieblingssong von Lynyrd Skynyrd summte und sich für den neuen Tag zurechtmachte. Er hatte seinen Bruder wirklich keinen halben Meter neben sich gespürt.

Einmal, kurz nach einem solchen Vorfall, hatte er seinen Zwilling über Satellitentelefon erreicht und ihn gefragt, was er, falls überhaupt, vor sich hinsummte, wenn er sich morgens fertig machte. „Free Bird.“ Ja, es hatte sich echt und real angefühlt.

Aber Gouvernante Jane war ebenfalls echt und real. Deshalb wandte er sich wieder zu ihr um. „Was ist? Haben Sie es sich überlegt? Wollen Sie mich jetzt doch ohrfeigen?“

Spröde schürzte sie die vollen Lippen. „Das, was da gestern Abend passiert ist … Sie sollten wissen, dass ich nicht so leicht abzuschrecken bin.“

Sie dachte also, der Kuss hätte andere Motive als ausschließlich ihren Mund gehabt. „Offensichtlich.“

„Ich wollte Sie auch wissen lassen, dass, sollten Sie mir noch einmal zu nahe kommen, nicht Ihre Wange schmerzen wird.“

Er zog die Augenbrauen hoch. Er hatte nicht vor, sie in Zukunft wiederzusehen, geschweige denn zu küssen, doch er entschied sich, ihr das nicht mitzuteilen. Und ganz bestimmt würde er sie nicht darüber aufklären, dass der Kuss aus einem Impuls heraus gekommen war und er damit keineswegs einen Plan verfolgt hatte. „Verstanden.“

Sie setzte sich in Bewegung, und in diesem Moment bemerkte er auch die Reisetasche in ihrer Hand. Seine Nackenhärchen richteten sich auf. „Was tragen Sie da bei sich?“ Er deutete auf ihr Gepäck.

„Ich glaube, das nennt man eine Duffel-Bag, oder?“

Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken. „Sie gehen weg?“ Bitte, Gott, es musste einfach so sein.

„Ja, aber nicht weit“, meinte sie selbstzufrieden. „Ich ziehe in den freien Bungalow nebenan.“

Es dauerte etwas, bis Jane sich in Nr. 8 eingerichtet hatte. Die Hütte war wesentlich kleiner als Griffins Haus, und sie hatte nur ein paar Sachen aus ihrem Apartment mitgebracht. Ihre Wohnung war auch klein und zudem selbst für südkalifornische Maßstäbe zu weit weg, um täglich zu pendeln. Sie hatte keinen besonderen Bezug zu ihrer Wohnung. Berufsbedingt war sie oft wochenlang unterwegs, wenn einer ihrer Klienten sie in direkter Nähe haben wollte. Im aktuellen Fall wollte der Klient allerdings genau das Gegenteil, nämlich so viel Abstand wie möglich zwischen sich und ihr. Aber am Ende würde er ihr für ihre entschlossene Hingabe und Unnachgiebigkeit danken, dessen war sie absolut sicher.

Die Idee war ihr gekommen, als sie gestern die Party verlassen hatte – nach diesem Kuss – und an dem leer stehenden Strandhaus vorbeigelaufen war. Da Griffin offensichtlich sämtliche Register zog, um sie zu vertreiben, hatte sie beschlossen, sich direkt vor seine Nase zu pflanzen. Noch mit dem ersten Morgenkaffee in der Hand hatte sie Skye Alexanders Telefonnummer herausgesucht und die nötigen Arrangements getroffen.

Ein Manko hatte ihr Plan allerdings: Jane hatte nicht einkalkuliert, wie sehr der endlose Ozean und das ewig währende Schauspiel der an den Strand schwappenden und sich wieder zurückziehenden Wellen sie ablenken würden. Wäre Rex Monroe nicht vorbeigekommen, um ihr einen in Leder gebundenen Band mit laminierten Seiten zu überlassen, wäre sie vermutlich der Versuchung erlegen und hätte sich den restlichen Nachmittag mit nichts anderem beschäftigt als damit, herauszufinden, wie viele Sommersprossen so ein Sonnenbad auf ihrer Nase hervorbringen würde.

So jedoch legte sie Rex’ Buch auf den kleinen Esstisch in der winzigen Küche und stellte ein Glas Eistee daneben. Als sie den Stuhl für sich hervorzog, begann ihr Puls ein wenig schneller zu schlagen. Sie hatte so eine Ahnung, dass sie in diesem Album den Schlüssel dafür finden würde, wie sie Griffin zur Kooperation bewegen könnte.

Es klopfte an der Vordertür. Einmal mit der Hand über den Buchdeckel gestrichen und mit dem festen Versprechen, gleich wieder zurückzukommen, ging Jane öffnen. Skye, die Verwalterin, stand vor der Tür. Heute hatte sie ihr braunes Haar zu einem festen Bauernzopf geflochten, was die feinen Züge ihres Gesichts besonders hervorbrachte. Sie war ungeschminkt und trug weite Chinos und ein T-Shirt, darüber eine alte Strickweste, die wohl einst einem männlichen Verwandten gehört haben musste und ihre Figur noch mehr verbarg.

Sie hielt einen roten Glasteller mit Keksen, abgedeckt mit Frischhaltefolie, hoch. „Ich dachte mir, die würden Ihnen vielleicht schmecken. Haben Sie sich schon eingewöhnt?“

Jane bat sie herein und führte sie zu der schmalen Couch und dem Sessel, die gleich vor dem offenen Kamin standen. „Ich sollte mich bei Ihnen bedanken und Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit vorbeibringen – so günstig, wie Sie mir die Hütte überlassen haben.“

Skye zuckte mit den Schultern und setzte sich. „Wir tun uns gegenseitig einen Gefallen. Die meisten Urlauber haben bereits für die Saison gebucht, mal ganz abgesehen davon, dass es aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Lage lange nicht mehr so geschäftig aussieht. Und ich habe es lieber, wenn hier jemand wohnt, von dem ich ein wenig weiß. Das macht die Bucht … sicherer.“

Sicherer? „Hier ist es doch traumhaft schön“, sagte Jane. „Geradezu wie im Märchen.“

Skye stellte den Keksteller auf dem niedrigen Couchtisch vor sich ab. „Als Kinder haben wir das auch immer gedacht. Wir sind durch die Bucht getollt wie der Stamm der verlorenen Jungs durch Nimmerland.“

„Ja, Sie sagten schon, dass Sie praktisch mit den Lowells aufgewachsen sind.“

„Jeden Sommer.“ Skye zögerte. „Das war noch ein Grund, Ihnen Nr. 8 zu überlassen. Sie sagten, Sie wollten ein Auge auf Griff haben.“

Oh-oh. Hatte Skye ein besonderes Interesse an dem Mann? Etwa romantischer Natur? Vielleicht sah sie Jane ja als eine Art Bedrohung und wollte genau beobachten können, was eventuell zwischen Jane und dem Mann nebenan passieren könnte. „Ich … äh … Da ist nichts zwischen …“ Sie verdrängte den Gedanken an den Kuss gestern Abend. „Ich meine, ich bin geschäftlich hier. Rein geschäftlich.“

Skye stutzte verdutzt, dann begann sie leise zu lachen. „Zwischen mir und Griffin ist auch nichts, wenn Sie das meinen. Sein Zwillingsbruder Gage …“

Zwillingsbruder? Großer Gott, es gab zwei von der Ausgabe? Die roten Wangen der Frau ihr gegenüber sagten alles. „Oh, Sie sind also mit ihm zusammen“, schlussfolgerte Jane daraus.

„Nein.“ Skye schüttelte heftig den Kopf. „Auch nicht. Unmöglich. Es ist nur … Gage und ich … wir schreiben uns. Er ist Fotojournalist und hält sich momentan im Nahen Osten auf. Er macht sich Sorgen um seinen Bruder.“

Vielleicht war es die unersättliche Leseratte in ihr, die in dem „Nein, auch nicht. Unmöglich“ eine Story witterte. Auf jeden Fall war ihre Neugier geweckt. „Wie wäre es mit einem Glas Eistee, während wir plaudern?“

„Nein danke.“ Skye sprang auf. „Ich sollte nicht so viel von Ihrer Zeit verschwenden. Ich wollte Sie nur in der Bucht willkommen heißen.“

Jane begleitete ihren Besuch bis zur Haustür. Die Hand schon am Türknauf, drehte Skye sich noch einmal um, ein ernster Ausdruck trat auf ihr hübsches Gesicht. „Vergessen Sie nicht, dass es im Märchen … Es gibt immer einen Werwolf oder Drachen, der es auf die schöne Jungfer abgesehen hat.“

Ein Schauer lief Jane über den Rücken, während sie der Verwalterin nachsah, wie sie zur Tür hinausschlüpfte. Sie musste sich zusammennehmen, um die düstere Stimmung abzuschütteln, die sie plötzlich überkommen wollte. Sie schaute in den Sonnenschein hinaus, bevor sie wieder an den Esstisch zurückging, wo das Album auf sie wartete.

Sie hatte sich gerade gesetzt, als es schon wieder an der Tür klopfte, dieses Mal begleitet von einem seltsamen Kratzen. Sie hatte die Tür nur einen Spaltbreit geöffnet, als Private sich mit seinen kräftigen Schultern hereindrängte. Hinter sich zerrte er Ted mit in die Hütte, der vergeblich versuchte, den übereifrigen Hund am Halstuch zurückzuhalten.

Mit feuchter Zunge leckte Private kurz ihre Finger, dann steuerte er zielgenau auf den Teller mit den Keksen zu. Neben der Couch setzte er sich und starrte den Menschen erwartungsvoll entgegen.

„Sorry“, entschuldigte Ted sich. „Eigentlich sollte ich ihn zurückbringen, aber als wir an Ihrer Hütte vorbeikamen, muss er wohl die Kekse gerochen haben. Sie würden nicht glauben, auf welche Entfernung dieser Hund etwas Essbares riecht.“

Der Mann schielte genauso hoffnungsvoll zu den Keksen wie der Hund, und Jane musste lachen. „Ich gehe davon aus, dass ihr beide Haferkekse mit Rosinen mögt?“

„Wenn es gut gemacht ist, mögen wir beide so ziemlich alles“, gestand Ted.

Jane holte Servietten, dann zog sie die Folie vom Teller. „Möchtest du vielleicht einen Eistee zu den Keksen?“

Ted fütterte erst den Hund mit einem Keks, bevor er sich selbst einen nahm. „Danke, ist nicht nötig“, sagte er kauend.

Jane sah zu, wie er dem Hund einen zweiten Keks gab und sich selbst auch noch eine zweite Portion gönnte. „Fängt die Party in Nr. 9 heute früher an? Ich dachte, es geht immer erst am späten Nachmittag los.“

Ted schüttelte den Kopf, schluckte den Bissen herunter. „Nein … Gestern Nacht hat Griffin laut und unmissverständlich verkündet, dass Schluss mit den Partys bei ihm ist.“

„Oh.“ Sie streichelte Private, der sich gegen ihr Bein drückte. „Die Ankündigung muss ich verpasst haben.“

„Ja, das war, nachdem Sie schon gegangen waren. Griff hat einen richtigen Anfall gekriegt. Innerhalb von dreißig Minuten war jeder verschwunden. Er hat sogar die Taxis für die Leute bezahlt, die zu betrunken waren, um mit dem eigenen Wagen nach Hause zu kommen.“

Hatte der Kuss ihn etwa plötzlich in die Enthaltsamkeit getrieben? „Hat er sich auf seinen eigenen Partys eigentlich je amüsiert?“

„Eine ehrliche Antwort?“ Ted zuckte die Achseln. „Seit er in die Hütte gezogen ist, glaube ich nicht, dass er überhaupt auch nur eine Minute wirklichen Spaß gehabt hat.“

Aber er hat seine Umstände geändert, überlegte Jane. Vielleicht war er ja ohne die Ablenkung von Alkohol und Bikini-Mädchen jetzt endlich bereit, sich an die Arbeit zu machen. Optimismus machte wohl hungrig, und die Kekse sahen so gut aus … Sie griff nach einem und fühlte sofort den festen Stups an ihrem Bein. Also brach sie den Keks in zwei Hälften und teilte fair mit Private.

Ted sah zu, wie der Hund die Kekshälfte verschlang. „Wir sollten besser nicht durchblicken lassen, dass wir ihn so durchfüttern, okay? Unser pelziger Freund hier bekommt nur dieses kohlenhydratarme Futter, und Griffin meckert schon immer, wenn ein paar Happen von meinem Teller für den Hund abfallen.“

„Upps!“ Sie verzog zerknirscht das Gesicht. „Von mir erfährt er es nicht.“

„Um genau zu sein …“, setzte Ted noch hinzu, „… lassen Sie ihn am besten gar nicht wissen, dass wir hier waren. Wir haben nämlich strikte Anweisung, Nr. 8 unter allen Umständen zu meiden. Aber Private hält nun mal nicht viel von Befehlen.“

Jane seufzte. Und da hatte sie schon gehofft … „Das heißt dann wohl auch, dass Griffin so schnell nicht vorhat, mit mir zu kooperieren.“

Der Surfer zuckte mit den Schultern und sah sie mitfühlend an. „Immerhin hat er die Partyzentrale geschlossen.“

Der Hoffnungsfunke glomm wieder auf. „Sieht es denn so aus, als würde er sich auf die Arbeit vorbereiten? Du weißt schon … sitzt er am Tisch mit Block und Bleistift? Oder hat er seinen Laptop herausgeholt?“

Ted fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Nun, er sitzt am Tisch.“

Ha! Das Lächeln erschien automatisch auf Janes Lippen. „Das ist gut. Das ist sogar sehr gut.“

„Aber von einem Computer keine Spur, nicht einmal ein Blatt Papier oder ein Stift. So etwas habe ich im ganzen Haus nicht gesehen.“

Jane dachte nach. „Glauben Sie, er kann das alles im Kopf behalten? Sozusagen ein mentaler Plan?“

„Er hat Kopfhörer auf und den iPod auf volle Lautstärke gedreht. Vermutlich um sich selber nicht denken zu hören. Dazu legt er eine Patience nach der anderen.“

Bald darauf verabschiedeten sich Mann und Hund, und nach dem Besuch war Jane so deprimiert, dass sie gleich noch zwei Kekse aß – nicht nur Optimismus machte hungrig, sondern Pessimismus auch. Düster starrte sie auf einen Punkt in der Ferne. Erst diese Warnung vor Werwölfen und Drachen und dann die Nachricht von dem Einsiedler, der sich in seine Höhle einschloss. So langsam erinnerte das Ganze tatsächlich an ein Märchen.

Sie nahm den Keksteller und stellte ihn neben Rex’ Album auf den Küchentisch. Und schon wieder hallte ein Pochen von der Tür durch das kleine Haus. Jane drehte sich um und ging, um zu öffnen. „Wer jetzt?“, murmelte sie vor sich hin, als sie die Tür aufzog. „Ein Troll?“

Griffin sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Meine Laune ist noch viel hässlicher.“

Hastig wich sie zur Seite, als er an ihr vorbei ins Haus marschierte, um jeden Kontakt mit seinem Körper zu vermeiden, auch wenn ihr klar war, dass sie ihn eigentlich willkommen heißen sollte, wenn er schon bei ihr auftauchte. Aber da lag etwas höchst Aufreibendes in seiner Aura. Er ging gleich durch in das kleine Wohnzimmer. Seine breiten Schultern und die Wut, die in ihm brodelte, schienen den Raum schrumpfen zu lassen und die Temperatur in die Höhe zu treiben.

Ein Bild von gestern Abend schoss ihr in den Kopf: seine starken Hände, die ihre Schultern hielten. Das Gefühl seiner kratzenden Bartstoppeln an ihren Lippen. Seine Zunge, die sich in ihren Mund schlängelte, seine Zähne, die an ihre stießen … Das Überraschungsmoment eines Kusses, der fast grob gewesen war.

Ihr Magen hatte sich zusammengezogen, und obwohl sie unter seiner Berührung zu beben begonnen hatte, hatte sie die Lippen geöffnet und sich seinem fordernden Druck ergeben. Unter dem Bikini-Top hatten sich ihre Brustwarzen zusammengezogen, und sie hatte sich an ihn gedrängt, um das Pulsieren zu mildern.

Als er dann die Finger fester in ihr Fleisch gegraben hatte, war sie überzeugt, die Abdrücke wären für immer auf ihre Haut tätowiert, und das Einzige, das sie bedauert hatte, war, dass es so viele andere Stellen an ihr gab, die er nicht berührte.

Und dann, mit einer Bewegung, die ebenso abrupt gewesen war wie der Kuss selbst, hatte er sie von sich gestoßen. Strauchelnd war sie zurückgewichen, und benommen hatte sie ihm nachgesehen, wie er mit steifem Rücken und angespannten Schultern davongegangen war.

Volle zwei Stunden und eine Tasse heißen starken Kaffees waren nötig gewesen, bevor sie begriffen hatte, dass er Sex nutzte, um sie zu verscheuchen. Nun, nicht wirklich Sex … oder doch, es war Sex. Ein Kuss von Griffin, wurde ihr jetzt klar, war so intim wie der volle Körperkontakt mit einem anderen Mann. Ihre Nervenenden zitterten noch immer davon.

„Sehen Sie mich nicht so an“, schnauzte er.

Sie spürte Hitze an ihrem Nacken emporkriechen. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

Er verdrehte die Augen, stapfte weiter in den Raum hinein und ließ sich auf die Couch fallen. „Was ist nötig, damit Sie von hier verschwinden? Sie machen mich wahnsinnig. Ich kann Ihre Anwesenheit bis nach Nr. 9 fühlen.“

„Das ist doch lächerlich.“ So weit konnte Lust gar nicht reichen, oder? Die Sinnlichkeit einer Gouvernante hatte keine solche Macht. Man sprach Janes Namen nur leise aus, und entsprechend still waren auch ihre körperlichen Bedürfnisse. „Das ist das schlechte Gewissen, das Ihnen das einredet.“

Er schoss auf die Füße. „Den Kuss haben Sie sich selbst zuzuschreiben. All die nackte Haut und dann auch noch diese … diese …“ Das Wedeln mit der Hand schien ihre Haare zu meinen.

Und so fasste sie sofort danach. „Ich kann nichts dazu, dass es so kraus ist, das macht die salzige Luft hier“, verteidigte sie sich. „Und von der Spülung wird es immer so klebrig.“

„Wovon zum Teufel reden Sie?“

„Ich weiß nicht.“ Es war die reine Wahrheit. Seine Anwesenheit strahlte eine Energie in das kleine Zimmer aus, bei der ihre Synapsen einfach nicht mehr richtig funktionierten. „Ich dachte, Sie beschweren sich über mein Haar.“

„Ich rede doch nicht von Ihrem Haar.“ Er funkelte sie an. „Es ist Ihr Mund. Können Sie nicht etwas dagegen tun?“

Sie legte die Finger an ihre Lippen und wäre vor Verlegenheit fast im Boden versunken. „Ein Exfreund meinte auch, einen Kommentar über meinen Mund abgeben zu müssen. Er nannte ihn einen ‚Stummfilmmund‘“, hörte sie sich eingestehen. Damals hatte sie sich unzählige Fotos von den Schauspielerinnen aus jener Zeit angesehen, Frauen mit elfenhaften Figuren und geschwungenen vollen Lippen, und sie hatte nicht gewusst, was sie damit anfangen sollte.

„Der Himmel ist mein Zeuge … am liebsten möchte ich Sie auf irgendwelche Bahngleise binden“, murmelte Griffin.

Jane stellte sich vor, wie er sie packte und an Händen und Füßen fesselte, und Hitze schoss in ihr auf. Ihre Handflächen wurden feucht. Hastig steckte sie die Hände in die Taschen. Oh Jane, dachte sie und wandte den Blick von seinem harten Kinn und dem Ärger in seinen Augen ab, wir befinden uns hier definitiv nicht mehr in der Präsenzbibliothek.

„Das ist lächerlich.“ Er murmelte wieder vor sich hin und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. „Es muss doch einen Weg geben, irgendwie da rauszukommen.“

Die Gedanken an Fesselspiele verpufften. Jane war hier, damit Griffin nicht „da rauskam“! Wenn er seine Absprachen nicht einhielt, war ihre Chance, ihren Ruf wiederherzustellen, dahin. Schlimmer noch … er könnte sein Versagen als ihre Schuld hinstellen. Sollte sie Crescent Cove verlassen, ohne dass Griffin seine Frist eingehalten hatte, wäre ihr Ruf noch mehr beschädigt, vielleicht sogar für immer. Und Ian Stone wäre dann sicher der Erste, der lautstark damit hausieren gehen würde, dass sie noch einen weiteren Autor im Stich gelassen hatte.

Alarmierende Überlegungen, die ihren Verstand wachrüttelten und zurück auf das Wesentliche lenkten. Sie ging zu dem Album auf dem Tisch, das Rex Monroe ihr überlassen hatte. „Griffins Afghanistan-Blätter“ hatte er es genannt. Es waren Kopien jedes einzelnen veröffentlichten Artikels, den Griffin während seines Jahres an der Front geschrieben hatte. Sie wollte diese Seiten unbedingt lesen, wollte sich damit vertraut machen, weil sie hoffte, ihm helfen zu können, seine Erinnerungen in eine besser lesbare Form zu bringen.

„Die einzige Möglichkeit, da rauszukommen“, sagte sie nüchtern, „ist es, sich an Ihre vertragliche Vereinbarung zu halten. Indem Sie diese Geschichte hier erzählen.“ Sie schlug das Album auf.

Unsere Reise beginnt, so lautete der Titel des ersten Artikels. Darunter war ein Foto von Griffin, rasiert und lächelnd, den Arm um die Schulter einer dunkelhaarigen, exotisch aussehenden Frau mit schwarzen Augen gelegt. Der Name unter dem Foto wies die Frau als Erica Mendoza aus.

Unsere Reise beginnt“, las Jane vor und schaute fragend auf.

Eine Weile blieb Griffins Blick auf dem Foto liegen, dann sah er Jane an. „Offensichtlich haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht, oder, Jane? Eine gute Gouvernante sollte das eigentlich immer tun.“

„Nun, äh … vielleicht nicht.“ Sein Agent hatte angerufen, und da sie sich die Gelegenheit nicht hatte entgehen lassen wollen, war sie kurz entschlossen nach Crescent Cove gefahren, nachdem Griffin nicht auf ihre Anrufe reagiert hatte. Sie legte eine Fingerspitze auf das hübsche Gesicht auf dem Foto, das dem seinen so nahe war. „Wer ist das?“

„Ursprünglich war das Buch als eine Art Artikelsammlung konzipiert, ähnlich wie die, die veröffentlicht wurden“, antwortete er. „‚Er sagt – sie sagt‘ … so sollten wir die Erlebnisse während unseres Jahres an der Front im Erzählstil schildern.“

„Er sagt – sie sagt“, wiederholte Jane. „Unser Jahr an der Front.“

„Genau“, stimmte Griffin tonlos zu. „Unser Jahr an der Front. Er sagt – sie sagt.“

Sie wartete, dass er weiterreden würde, sah, wie er tief Luft holte.

„Doch jetzt …“, fuhr er dann fort. „Jetzt ist sie tot.“

4. Kapitel

Griffin sah Jane vor Schock wanken. Sie hatte ein solch ausdrucksstarkes Gesicht … Sie riss die großen Augen auf, ihre Lippen teilten sich leicht, geräuschvoll schnappte sie nach Luft. Babyweiche Haut, samten und hell, spannte sich über feine Wangenknochen und ein genau konturiertes Kinn. Auch wenn sie sich so aufplusterte … gegen ihn hatte sie nicht die geringste Chance.

Verdammt, er ging jede Wette ein, dass sie bis zum Abend die Beine in die Hand nehmen würde.

„Was ist passiert?“, fragte sie.

„Sie meinen die Story, von der Sie so unbedingt wollen, dass ich sie schreibe?“ Mit dem Kopf deutete er zu dem Album mit den gesammelten Artikeln, vermied es jedoch sorgsam, auf das Foto mit Erica zu sehen. „Ich muss Sie warnen. Es ist eine sehr unappetitliche, sehr blutige Geschichte.“

Jane zuckte zusammen. Einen Augenblick lang glaubte er schon, er hätte sie damit abgeschreckt, doch dann zog sie nur einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich. Sie war wieder völlig kühl und gelassen. „Warum erzählen Sie mir nicht davon?“

Jäh überkam ihn der Drang, sich umzudrehen und loszurennen. Sein Magen verkrampfte sich, aber er hielt den Impuls unter Kontrolle und entspannte sich bewusst. Immerhin war das eine von den zwei Erinnerungen, die er nicht mit dröhnendem Hardrock über Kopfhörer oder monotonen Nachrichtenstimmen aus dem großen Flachbildschirm verdrängen musste. Während die Fehlzündung eines Wagens ihn sich flach auf den Boden werfen ließ, um Schutz vor Gewehrfeuer zu finden, und der Schrei einer Möwe ihn sofort in die Nächte zurückkatapultierte, in denen die Affen auf den zerklüfteten Felsen um das Basislager kreischten, zog der Gedanke an Erica eine Mauer zwischen ihm und dem Rest der Welt hoch.

„Wir kamen von verschiedenen Redaktionen, auch wenn beide Zeitschriften zum selben Verlag gehörten“, sagte er und lehnte sich gegen die Wand. „Meine Akkreditierung kam vom wöchentlichen Nachrichtenmagazin, Erica war die erste Journalistin, die ihren Frontauftrag von einer Modezeitschrift erhielt.“

Jane sah auf das Album mit der Artikelsammlung hinunter. „Eine mutige Frau.“

„Und zäh.“ Im Moment wollte er sich nicht mit der Frage beschäftigen, was Erica damit hatte beweisen wollen, also verdrängte er den Gedanken. „Das da draußen ist eine reine Männerwelt. Alle zehn, vierzehn Tage erreichten wir einen etwas größeren Stützpunkt, wo es dann vielleicht auch eine heiße Mahlzeit und Wasser zum Waschen gab, ansonsten hieß es Überlebensrationen und Schweiß. Die Jungs pinkelten in ein in den Boden gestecktes PVC-Rohr.“

Griffin musterte Jane, versuchte, sie sich unter den Soldaten des Platoons vorzustellen. Erica war forsch und burschikos gewesen. Sie hatte den jungen Männern schnell jede sexuelle Anspielung mit schmutzigen Witzen ausgetrieben, bei denen sogar er fast rot geworden wäre. Jane dagegen … sie würde wahrscheinlich in Ohnmacht fallen.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, setzte sie sich gerader auf und runzelte die Stirn. „Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen, erzählen Sie nur weiter. Drei Sommer in Folge hat unser Dad meine Brüder und mich in die Wüste von Arizona geschleift, weil er unbedingt ein seltenes Reptil studieren wollte. Und einer meiner ersten Jobs in dem Arbeitsfeld hier war es, einem Ghostwriter zu assistieren, der die Autobiografie des Leadsängers einer Metal-Band schreiben sollte. Um das richtige Flair für das Buch zu bekommen, sind wir vier Wochen mit der Band im Bus auf Tour gegangen. Ich mag ja harmlos und wohlbehütet aussehen, aber glauben Sie mir, der Schein trügt.“

Es amüsierte ihn, wie verschnupft sie war. „Um welches seltene Reptil handelte es sich dabei genau?“

Sie zuckte mit keiner Wimper. „Um die schwarz-grün gepunktete Flügelschlange.“

„Das haben Sie gerade erfunden.“

„So?“ Dieses kleine Schulterzucken hätte man sogar kess nennen können. „Den Namen habe ich vergessen. Mein Vater hat ja schon immer behauptet, dass ich keinerlei Sinn für die Wissenschaft habe.“

Und doch hatte sie die Sommer in der Wüste und vier Wochen mit der Art Band überlebt, die berüchtigt war für ihre Ausschweifungen. „Haben Sie … äh … waren Sie mit einem der Bandmitglieder zusammen?“

„Ich meine, vor der Tour habe ich natürlich alle nötigen Impfungen auffrischen lassen. Sie wissen schon … Tollwut, Staupe, Pocken und Ähnliches eben. Aber nein, so sehr mich die klapperdürren Kerle mit Lederzeug und Toupets auch gereizt haben.“

Sie brachte ihn zum Lächeln. Nicht, dass er ihre staubtrockene Art besonders lustig fand, aber er war einfach nur froh darüber, dass kein magerer alternder Lüstling mit einer ellenlangen Groupie-Liste diese babyweiche Haut berührt und diesen vollen Mund geküsst hatte.

„Aber wir sind vom Thema abgewichen“, sagte sie jetzt.

Mist, auch das schaffte sie, wie ihm klar wurde. Es ging doch darum, dass er sie ihrer Wege schickte. Wenn er sie anlächelte, funktionierte das bestimmt nicht.

Die Gouvernante deutete wieder auf die Artikelsammlung. „Wir sprachen von Erica.“

Vor seinem geistigen Auge blitzten die Bilder der Frauen auf, die ihr Außenlager bevölkert hatten. Keine einzige echte war darunter gewesen, sondern nur die „Girls des Monats“, mit Heftzwecken auf einem Stück Sperrholz befestigt, die falschen nackten Brüste und das strahlende Lächeln mit den perfekten weißen Zähnen von Fliegen verdreckt, der Blick seltsam wissend und lockend zugleich, während sie über die Jungs wachten, die jede Minute ihr Leben riskierten. Einer von den jungen Kerlen hielt sich an ein striktes Morgenritual: Er küsste die papiernen Brustwarzen, damit es ihm Glück bringen sollte.

„Erica“, hakte Jane leise nach.

Griffin rieb sich den Nacken. „Ein Spähtrupp zog aus, um im Tal nach geheimen Waffenlagern und Trampelpfaden zu suchen, über die der Feind mit Ausrüstung und Proviant versorgt wurde. In der Nacht zuvor war ich selbst bei einer solchen Mission dabei.“

„Aber dieses Mal war es anders?“

„Da war etwas über Funk reingekommen.“ Er starrte auf seine Fußspitzen, sich bewusst, wie emotionslos seine Stimme klang, und froh, dass es in seinem Innern ebenso aussah. „Sie hätte an dem Tag nicht mit dem Trupp mitgehen sollen.“

„Hat jemand versucht, ihr das auszureden?“

„Natürlich.“ Er hatte gedacht, er wäre zu ihr durchgedrungen und hätte sie überzeugt. Er war zu müde gewesen, um den entschlossenen Ausdruck in ihrer Miene und das Funkeln in ihren Augen richtig zu deuten. Er hatte geschlafen, als sie gegangen war, betäubt von den Pillen, die sie alle schluckten, um überhaupt für ein paar Stunden Abstand von der Anspannung und Erleichterung von der Hitze zu finden. Bis er aufgewacht und den Zettel mit ihrer Nachricht zwischen seinen Fingern gefunden hatte, hatte er nicht einmal geahnt, was sie plante. „Sie hat nicht zugehört.“

Erica hatte nur gehört, was sie hören wollte. Nichts über das Risiko, an dem Tag mit der Truppe rauszugehen. Nichts über das, was zwischen ihr und Griffin ablief.

Jane nahm einen Keks von dem Teller vor sich auf, legte ihn wieder ab. „Was ist passiert?“

„Ein Hinterhalt. Die Details blieben vage, weil jeder vollauf damit beschäftigt gewesen war, zu überleben. Plötzlich standen sie unter Beschuss und suchten Deckung, erst da merkten sie, dass Erica nicht bei ihnen war. Sie gingen zurück, riskierten das eigene Leben, um sie zu finden. Sie fanden sie auch … Sie war angeschossen worden, die Kugel hatte die Arterie in ihrem Arm getroffen. Sie verblutete innerhalb von Minuten.“

Jane schob den Keksteller weiter von sich. „Wie schrecklich.“ Ihre Stimme klang so heiser, als würde ihr jemand die Kehle zerdrücken.

Griffins Blick ging ins Leere. „Dieser eine Typ, Randolph, brachte sie über seiner Schulter zurück. Ihr Blut war über seine Weste gelaufen, von der Schulter bis zur Hüfte. Das war das Erste, was mir auffiel, als er zurückkam. Das, und wie die Tränen den Schmutz auf seinem Gesicht in Schlamm verwandelt hatten.“

Griffin hatte damals an Sandsäcke gelehnt gesessen und einem der Soldaten dabei zugesehen, wie er Käse auf einen harten Müsliriegel drückte. Er hatte noch gefrotzelt, dass ihm allein bei dem Gedanken an die Kombination übel wurde. Sie alle hatten gelacht …

Und dann hatte Randolph da gestanden, und ohne dass ein Wort nötig gewesen war, hatte Griffin es gewusst. Er hatte sich aufgerappelt, war zu der Stelle gestolpert, an der sie Erica abgelegt hatten. „Ich habe sie gesehen“, sagte er zu Jane. „Der Dreck in ihren Haaren, der feucht schimmernde Ärmel ihres Hemds, der steif war, weil das Blut schon trocknete, die staubigen Schnürsenkel ihrer Stiefel. Ein Schnürsenkel war aufgegangen, und Randolph kniete sich hin, um ihn wieder zuzubinden.“

Sein Verstand hatte sich ausgeschaltet, hatte nur noch Fakten katalogisiert, wie um sie für eine spätere Prüfung zu bewahren. Die schwarze Leere in ihm war mit Details gefüllt worden, für etwas anderes war kein Platz mehr in ihm gewesen. Die Details hatten keinen Raum für Emotionen gelassen. In seinem Innern war es eiskalt geworden, und nach drei Tagen war er komplett eingefroren, vielleicht für immer.

Damals hatte er Gott dafür gedankt.

Noch heute war er dankbar.

„Mein Beileid für Ihren Verlust“, sagte Jane.

Verwirrt sah er zu ihr hin. Sein Verlust? Erica war diejenige, die alles verloren hatte. Dennoch nickte er, weil es so erwartet wurde. Ein Mann, der noch nicht komplett abgestorben war, würde Janes Beileidsbekundung und ihr Mitgefühl akzeptieren.

„Das ist die Art Story, für die Sie sich gemeldet haben“, sagte er. Und die Bibliothekarin in ihr würde davor zurückschrecken, oder?

„Nein“, erwiderte sie ruhig. „Es ist die Art Story, für die Sie sich gemeldet haben.“

Eine Erinnerung, die an dem Eis in ihm kratzte. Warum konnte sie es nicht in Ruhe lassen? Sein Kinn wurde hart. „Jane …“

„Ich habe mit einem berühmten Abenteurer zusammengearbeitet. In seinem Buch beschreibt er die Tragödie, die einem seiner Teammitglieder beim Aufstieg auf den K2 zugestoßen ist. Unterwegs machten sie am Hang Mittagspause. Als sie mit dem Essen fertig waren, stand die Frau auf, weil sie nach irgendetwas greifen wollte. Nur hatte sie vergessen, dass sie ihre Sicherheitsleine ausgehakt hatte. Sie stürzte ab, einfach so. Weg. Für immer.“

Griffin drückte sich an die Wand. Wenn er noch härter drückte, würde seine Schulter den Putz sprengen. „Und?“, fragte er argwöhnisch.

„Er hat es genau so zu Papier gebracht, hat es beschrieben, als hätte der Wind sein Butterbrotpapier davongeweht, völlig emotionslos. Ich musste ihm helfen, die Emotionen mit einzubringen. Sie werden das auch machen müssen.“

Weder hatte noch wollte er Emotionen haben! Mit einem unwirschen Kopfschütteln stieß er sich von der Wand ab. „Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Lady.“

„Ooh.“ Alles Mitgefühl war verschwunden. „Und ich hatte mich schon so an das Engelchen gewöhnt.“

Er brauchte weder Ratschläge noch Spott. Er würde jetzt gehen. Er musste nur an ihr vorbeikommen, an ihrem Mund, der nie stillstand, an ihrer unerträglichen Neugier und ihrem schulmeisterlichen Ton, dann wäre er verschwunden – und sowohl seine Haltung als auch seine eiserne Selbstbeherrschung wären weiterhin intakt.

Als er auf ihrer Höhe ankam, hielt sie ihn am Arm fest. „Sie wissen, dass ich recht habe“, meinte sie nüchtern. „Sie müssen das auch nicht allein schaffen. Ich habe Ihnen doch schon versichert, dass ich alles Nötige für Sie tun werde.“

„Und ich habe Ihnen bereits gesagt …“

„Griffin, Erica hat es verdient.“

Erica. Entgegen seinem festen Vorsatz fiel sein Blick auf das Foto von ihr. Das war nicht die Erica, die er zuletzt gesehen hatte – leblos, schmutzig, blutverschmiert. Das da auf dem Foto war eine Erica voller Leben und Energie, voller Erwartungen und Hoffnungen.

Sie hatte es verdient.

Als wäre es der Körper eines Fremden und wie in Zeitlupe sah er sich, wie er den Arm aus Janes Griff riss. Dann nahm er den roten Glasteller mit den Keksen und schleuderte ihn mit all der Wut und Frustration, von denen er immer beteuert hatte, sie nicht zu empfinden, gegen die Wand. Kekse flogen durch die Luft, der Teller zerbarst in tausend Scherben, die wie rote Blutstropfen zu Boden regneten.

Danach stürmte er aus dem Haus, wobei er sich sagte, dass das Chaos, das er soeben angerichtet hatte, keineswegs sein Inneres widerspiegelte.

Am entgegengesetzten Ende der Bucht von Strandhaus Nr. 9 saß Jane im Captain Crow’s, dem Restaurant mit Bar, das eine der beiden Publikumsattraktionen hier am Strand war. Die andere lag gleich nebenan, eine Galerie, die Aquarelle, wunderschöne handgeschnitzte Kästchen und Bilderrahmen sowie Schmuck aus den Sachen, die das Meer freigab, ausstellte und verkaufte. Vorhin hatte sie kurz hineingeschaut und sich die sonnendurchfluteten Landschaften und die schillernden Perlmuttohrringe aus Abalone-Schalen und Seeglas angesehen, doch ihre Bewunderung für die Stücke konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der große offene Verkaufsraum kein gutes Versteck war.

Das Captain Crow’s jedoch … da war das etwas ganz anderes.

Es war gerade so, als wäre die Partyzentrale zwei Meilen weiter nach Norden verlegt worden. Vergnügungssüchtige Sonnenanbeter saßen an den Tischen im Freien und drängten sich Ellbogen an Ellbogen an der langen Theke. Jetzt wieder in ihrem üblichen konservativen Stil gekleidet – aufgerollte Khakihosen, ein flaschengrünes Hemd, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen –, fiel Jane unter all den mit Applikationen versehenen T-Shirts und ultrakurzen Shorts, den Boho-Röcken und den Kleidern mit Trägern aus Makramee überhaupt nicht auf. Die typisch kalifornische Mischung aus Hollywood und lässiger Hippiemode. In die salzige Luft mischten sich die Aromen von Sonnenöl, teuren Parfüms vom Rodeo Drive und Tequila.

Jane hatte sich ein Glas Weißwein an der Bar bestellt und sich damit auf einen der Barhocker gesetzt. Sie war unsicher, wie ihr nächster Schritt aussehen sollte, um Griffin zum Arbeiten zu bewegen. Nur eines wusste sie: Vorerst würde sie sich für eine Weile von ihm fernhalten müssen. Nach dem Vorfall mit dem Keksteller wollte sie ihm Zeit lassen, sich wieder abzukühlen. Ein zu frühes Wiedersehen mit ihr könnte seine Wut nur noch mehr anfachen und ihn dazu bringen, etwas Unüberlegtes zu tun, wie, zum Beispiel, sie endgültig aus der Bucht wegzuschicken.

Als sie an ihrem Wein nippte, sah sie Skye Alexander das Restaurant betreten. Die andere Frau ließ den Blick suchend über die anwesenden Gäste gleiten, so als hielte sie nach jemandem Ausschau. Jane zog den Strohhut tiefer ins Gesicht und starrte stur auf den roten Ball am blauen Horizont, der langsam immer tiefer sank. Sie hatte das Gefühl, dass es ebenfalls besser war, Skye aus dem Weg zu gehen. Sie würde es Griffin durchaus zutrauen, die Verwalterin gegen sie aufzuhetzen, um sie aus der Strandkolonie zu verjagen – trotz der Tatsache, dass sein Agent sie angeheuert hatte. Sie zog die Schultern hoch und hoffte, Skye würde sie in dieser Quasimodo-Haltung übersehen.

Aber die Welt funktionierte schon lange nicht mehr so, wie sie sich das wünschte, und so überraschte es sie nicht, als ihr jemand von hinten auf die Schulter tippte. Sie drehte den Kopf und war froh, dass jeder Platz an der Theke besetzt war. Skye würde sich nicht neben sie setzen können. Doch auch diese Hoffnung zerschlug sich, denn von draußen erschallte ein Ruf, und die Menge um sie herum löste sich auf und strömte über die Verandastufen hinunter an den Strand.

Verblüfft verfolgte Jane mit, wie sich alle um einen Fahnenmast am Fuße des Holzdecks versammelten. Skye setzte sich auf einen der frei gewordenen Plätze neben sie und beobachtete ebenfalls den freudig aufgeregten Zug. Ein Mann in tief auf den Hüften sitzenden verwaschenen Shorts und mit der üblichen Sonnenbräune hob eine große Muschel an die Lippen, und der Ton, den er der Muschel entlockte, wurde mit Jubel und Applaus von den Umstehenden begrüßt. Eine blaue Flagge wurde am Fahnenmast gehisst. Sobald sie am Ende der Stange hing, salutierten alle vor dem im Wind flatternden Banner. Jane erkannte das Martini-Symbol auf dem Stoff.

„Die Cocktail-Stunde ist eingeläutet“, erklärte Skye. „Muss wohl Punkt fünf Uhr sein.“

Jane ließ ihren Blick fragend über die verschiedenen Getränke gleiten, die die Leute in Händen hielten, einschließlich ihres eigenen halb vollen Weinglases.

„Die offizielle Cocktail-Stunde in Crescent Cove“, fügte Skye an. „Ein Ritual, das bis in die Fünfzigerjahre zurückgeht.“

„War das die Zeit, als die Bucht entdeckt wurde?“ Wenn es Jane gelang, die andere Frau über Traditionen und Rituale erzählen zu lassen, ließen sich andere Themen vielleicht vermeiden. Andere Themen wie Griffin, zum Beispiel. Vermutlich packte er in Nr. 8 gerade ihre Reisetasche, damit sie gleich abreisen konnte. „Während der Blütezeit der Tiki-Partys und Limbo-Tänze?“

Skye schüttelte den Kopf. „Viel früher. Während der Prohibitionszeit nutzten die Schnapsschmuggler die Bucht als Umschlagplatz. Und davor, während der Zeit der Stummfilme, hat mein Urgroßvater die Bucht als Ersatz für ein Südseeatoll genutzt. Er besaß ein Filmstudio, Sunrise Studios. Alles, was Sie hier an tropischer Vegetation finden, hat er herbringen lassen.“

Sobald das Wort „Stummfilm“ gefallen war, hatte Jane automatisch mit der Hand ihren Mund verdeckt. Sie sah am Strand entlang zu den bunten Häusern, die sich gegen die Steilwand drängten und bis an den Strand standen. Die Brise vom Wasser strich durch die Wedel der schlanken hohen Dattelpalmen, die sich über die Dächer der Hütten erhoben, und wiegte die glänzenden Blätter der Bananenstauden. Frangipanisträucher wechselten sich ab mit Hibiskus in Gelb, Rot und Pink. Und wo sonst nichts anderes wuchs, hatte Bougainvillea sich den Platz erobert.

Ja, sie konnte sich die Bucht gut als Drehort für alte Filme vorstellen – oder als idyllisches Urlaubsversteck. „Es stimmt, es wirkt wie aus einer anderen Zeit.“

Schon deshalb würde es wohl jedem schwerfallen, diesen Ort zu verlassen. Janes Fantasie beschwor Bilder von alten Kombiwagen mit Holzverkleidung herauf, die neben den Strandhäusern parkten. Sie sah die Kinder aus der Vergangenheit in den Wellen spielen, mit aufblasbaren Schwimmringen statt mit Styropor-Brettern, die die Kids heute unter dem Arm trugen. Und um fünf Uhr nachmittags würde ein Mann mit Hornbrille und Stoppelschnitt die Muschel blasen und zur Cocktail-Stunde an einem idyllischen Sommerabend rufen. „Magisch“, murmelte sie.

Eine alberne Vorstellung, an die sie immer hatte glauben wollen. Genau, wie sie an die Liebe glauben wollte. Ihr Vater hatte diese Schwäche schon früh bei ihr erkannt, ebenso wie ihren bedauerlichen Mangel an Auffassungsgabe für die Naturwissenschaften. „So naiv und rührselig, Jane“, hatte er immer kopfschüttelnd zu ihr gesagt. „Genau wie deine Mutter.“

Jane schüttelte den Gedanken ab und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung mit Skye. Die Gäste waren an ihre Tische zurückgekehrt, und Jane musste sich vorbeugen, um Skye verstehen zu können.

„Die ersten Hütten wurden schon in den Zwanziger- und Dreißigerjahren gebaut, von meinem Urgroßvater und meinem Großvater. Aber erst als meine Mom mit mir schwanger war, zogen meine Eltern hierher. Jetzt leben sie in der Provence. Und ich … ich bin das ganze Jahr über hier, während die meisten Gäste nur für die Saison kommen.“ Skye hielt inne. „So wie die Lowells.“

Griffin. Ihre letzte Begegnung lief in Janes Kopf ab, sie hörte wieder, wie er mit tonloser Stimme beschrieb, was seiner Kollegin Erica in Afghanistan zugestoßen war. Der ungerührte Tonfall war durch seine steife Haltung Lügen gestraft worden. Selbst jetzt noch konnte Jane die angespannten Muskeln seines Unterarms unter ihren Fingern spüren. Wie abrupt er seinen Arm weggerissen hatte, mit welcher Wucht er den Keksteller gegen die Wand geschleudert hatte. Was sie daran erinnerte, dass sie Skye einen Teller schuldete … und ihrem Klienten eine Entschuldigung?

Allerdings bezweifelte sie, dass ein „Es tut mir leid“ etwas an seiner Einstellung zu ihr ändern würde. Indem sie darauf bestanden hatte, dass er die Tragödie wieder aufleben ließ, hatte sie sich seinen Zorn zugezogen. Der ungute Verdacht drängte sich ihr auf, dass er sich jetzt strikt weigern würde, mit ihr zusammenzuarbeiten. Mit einem Seufzer sah sie Skye in die Augen. „Hat Griffin Sie geschickt, um mich zu finden?“

„Was? Nein.“

„Oh.“ Das half wesentlich besser als der Wein, um sie zu beruhigen. „Gut.“

„Nein, aber ich habe Sie gesucht.“ Skye zögerte. „Ihr Name kam mir irgendwie bekannt vor … und dann fiel mir wieder ein, dass Sie etwas davon erwähnten, Griffin helfen zu wollen …“

Janes Magen zog sich zusammen. Wie weit war der Schlamm auf ihrem Namen denn gespritzt?

„Ich habe alle von Ian Stones Romanen gelesen“, sagte Skye jetzt.

Jane nickte, ihr Magen war nur noch ein harter Stein. „Überrascht mich nicht.“

Die andere lächelte leicht. „Ich weiß, ich weiß … ich und der Rest der Welt. Die Nummer eins auf der Bestsellerliste der New York Times, und das mehrere Male hintereinander. Manche seiner Romane wurden auch verfilmt.“

„Die letzten fünf.“

„Ich gehöre zu den Leuten, die Bücher auch ein zweites Mal lesen, und das dann von der ersten bis zur letzten Seite, von der Widmung bis zu den Anmerkungen des Autors am Schluss.“ Skye zögerte, doch dann sprudelte die Frage, die sie offensichtlich schon die ganze Zeit stellen wollte, aus ihr heraus. „Wie war es, mit ihm zu arbeiten? Denn das waren doch Sie, oder? Sie müssen es sein. Ich kam darauf, als Sie sagten, dass Sie mit Autoren arbeiten. Sal’s Redemption, The Butterfly, Place und Crossroads Corner hat er Ihnen gewidmet, nicht wahr?“

„Ja.“ Drei Jahre lang hatte sie ausschließlich mit ihm gearbeitet. Er war der Mittelpunkt ihrer Karriere gewesen.

Und dann war er der Mittelpunkt ihres Lebens geworden.

„Kommen Sie, rücken Sie schon damit raus“, drängte Skye aufgeregt. „Ist er wirklich so attraktiv wie auf den Fotos der Buchumschläge und in den Fernsehinterviews?“

„Noch attraktiver.“ Jane seufzte still. Ians gutes Aussehen spiegelte aber keineswegs seinen Charakter wider, nur konnte Skye das unmöglich wissen. Man musste sich ja nur ansehen, wie lange sie selber gebraucht hatte, um es endlich zu merken. Sie hatte es mit aller Macht nicht glauben wollen.

So naiv und rührselig, Jane.

In Hinsicht auf Ian Stone könnte keine Beschreibung besser auf sie passen. Doch sie hatte ihre Lektion gelernt. Früher hatte sie bedingungslos an die Liebe geglaubt, aber den Fehler würde sie nicht noch einmal begehen. Nie wieder würde sie einen Mann lieben, der sie nicht zurückliebte.

„Also umwerfend, richtig?“ Skye lehnte sich näher. „Oder ist es bei ihm wie mit so vielen anderen umwerfend aussehenden Männern? Kommen Sie, verraten Sie mir, ob er die Größe eines Gnoms hat.“

Jane lachte verdutzt auf. „Sie wollen von mir eine Beschreibung seines …?“ Sie zeigte auf ihren Schoß.

„Nein!“ Skye lief puterrot an. „Über so etwas würde ich nie reden, ich denke noch nicht einmal daran! Ich will nur wissen, wie groß er ist. Ich meine, seine Gestalt, seine Figur.“

Dass Skye so verlegen wurde, verwunderte Jane, aber dann musste sie wieder lachen, als sie sich Ians Reaktion vorstellte. Wie entsetzt er wäre zu wissen, dass dieser Teil seines Körpers auch nur für eine Sekunde Gesprächsthema sein und er noch dazu mit einem Gnom verglichen werden könnte.

Aber ja, das passte perfekt. Der Mann war genauso gemein und hinterhältig wie ein Gnom. Sie begann zu kichern.

„Na, wir haben aber gute Laune, was?“, sagte da eine Stimme hinter ihr.

Das Kichern erstarb, Jane verspannte sich. Erwischt.

Langsam drehte sie sich zu Griffin um. Ian Stone war ein attraktiver Mann, elegant und extrem gepflegt. Im Gegensatz dazu sah Griffin aus, als wäre er selbst mit der Schere an seine Haare gegangen und hätte sich zudem beim Rasieren geschnitten – was allerdings schon zwei oder drei Tage her sein musste, wenn sie von seinen Bartstoppeln schließen wollte. Trotzdem … er hatte ein äußerst männliches Gesicht mit markanten Zügen, und diese unglaublichen aquamarinblauen Augen blickten hellwach. Ihr Atem ging plötzlich schneller, auch wenn sie sich alle Mühe gab, kühl und gelassen zu erscheinen. Sie konnte nicht bestreiten, dass etwas an diesem Mann einen bisher verborgenen Riss in ihr entdeckt hatte, einen Spalt, durch den seine männliche Energie sich in ihre Rüstung schlängelte, sie aufheizte, ihre Muskeln entspannte, fast so, als … als würde er sie vorbereiten.

Ein Gedanke, der sie erröten ließ. Prompt musterte er sie aus zusammengekniffenen Augen. Unruhig rutschte sie auf dem Barhocker hin und her. „Äh … hallo.“

Er nickte Skye nur knapp zu, bevor er seinen durchdringenden Blick wieder auf Jane richtete. „Ich habe nach Ihnen gesucht.“

„So?“ In ihrem Magen begann es zu flattern, kaum dass sie das kleine Winken registrierte, mit dem Skye sich verabschiedete. Aber Griffins harte Miene verhieß nichts Gutes, sie konnte sich nicht vorstellen, dass er tolle Neuigkeiten für sie hatte. Was würde sie tun, wenn er ihre Dienste klar und unmissverständlich ablehnte? Es würde sich sicher wie ein Lauffeuer verbreiten, dass noch ein weiterer Schriftsteller die Zusammenarbeit mit ihr unbefriedigend fand. Seufzend fügte sie sich ins Unvermeidliche. „Was gibt’s?“

Er öffnete den Mund, dann ging sein Blick über ihre Schulter hinweg in die Ferne. Diese unglaublichen Augen blitzten auf, zogen sich wieder zusammen. „Mist, verdammter.“

Jane sah sich um. Da hinten stapfte eine Frau durch den Sand, ein Baby auf der Hüfte, drei weitere Kinder liefen ihr nach. Doch sie erinnerte keineswegs an eine Matrone, im Gegenteil. Ein weißer Minirock gab den Blick auf lange Beine frei, ein scharlachrotes Tanktop betonte ausladende Kurven. Eine teure Sonnenbrille verdeckte einen Teil ihres Gesichts, und das dunkle Haar, modisch-schick geschnitten, sodass feine Strähnchen sich um Kinn und Wangen schmiegten, schimmerte in der Sonne.

Jane drehte sich wieder zu Griffin um. Sie hätte schwören mögen, dass er unter seiner Bräune blass geworden war. „Alte Flamme?“

„Eher der Teufel“, erwiderte er und fluchte noch einmal. „Sie müssen etwas für mich tun, Jane.“

Sie glaubte nicht, dass er sich damit auf seine Memoiren bezog. „Und was?“

Er schob sich hinter sie und duckte sich, sodass ihr Körper ihn halb verdeckte. „Sie müssen mich verstecken.“

Hatte sie sich nicht selbst verstecken wollen? „Ich glaube nicht, dass es funktioniert“, sagte sie gleich darauf, den Blick auf den Strand gerichtet. War es gehässig, sich zu freuen, dass die dunkelhaarige Schönheit zielgenau auf den Mann zusteuerte, der sich hinter ihr versteckte? Die Frau winkte mit ausholender Bewegung, die Augen fest auf ihn gerichtet, und zwei der kleinen Kinder hüpften winkend auf und ab und zeigten immer wieder auf ihn.

„Die Kinder scheinen Sie zu kennen. Wer sind sie?“

„Die Brut des Teufels.“ Da die Kinder weiter aufgeregt winkten, richtete er sich mit einem schweren Seufzer wieder auf. „Dann bleibt nur eines zu tun.“

„Und das wäre?“

Griffin fasste sie beim Arm und zog sie vom Hocker. „Kommen Sie.“ Er legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie zur Treppe. „Hier entlang, Engelchen.“

Sie musste sich anstrengen, um mit seinen ausholenden Schritten mitzuhalten. „Jetzt sagen Sie schon, was hier los ist, Zauberhase.“

Er warf ihr einen abschätzenden Blick zu, dann zuckte er die Achseln. „Diese lächerlichen Kosenamen werden wahrscheinlich sogar helfen, vermute ich.“

„Wobei?“, wollte sie argwöhnisch wissen.

„Ein kleines Rollenspiel. Das halten Sie doch sicher für ein paar Minuten durch, oder?“

Sie überlegte ernsthaft, ob sie protestieren sollte. Hier ging es definitiv nicht um seine Memoiren. Vielleicht sollte sie sich einfach umdrehen, in die Bar zurückgehen und sich in ihr Schicksal fügen, das ihr in letzter Zeit sowieso nur übel mitgespielt hatte. Obwohl … nur ein paar Minuten? Die Optimistin in ihr fragte sich, was in der Zeit passieren könnte. Wenn sie mitmachte bei dem, was auch immer er vorhatte, könnte ihn das vielleicht davon überzeugen, dass es doch ganz praktisch war, sie in der Nähe zu haben. Und vielleicht würde sich dann auch endlich eine vernünftige Basis für die gemeinsame Arbeit finden. Das brauchte sie mehr als alles andere.

„Vermutlich schon“, antwortete sie daher.

„Großartig. Betrachten Sie sich hiermit als engagiert.“ Er zog sie eng an seine Seite. Sein Körper war warm und hart und solide genug, um sich daran anzulehnen – wäre sie der Typ Frau, der sich an Männer anlehnte. War sie aber nicht. Dafür fehlte ihr das Vertrauen.

Mit einer Hand strich er sanft über den Stoff an ihrem Oberarm. Ein Prickeln lief über ihre Haut, und sie erschauerte.

Griffin blieb stehen und schaute sie an. Sie blickte zu ihm auf. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten. Er stand völlig reglos da, nur das Streicheln hatte nicht aufgehört. Jane konnte einen weiteren Schauer nicht unterdrücken.

„Herrgott, Jane“, murmelte er und streichelte weiter.

Ihr Mund war staubtrocken. „Herrgott, Jane – was?“

Er schüttelte den Kopf, als müsse er unangenehme Gedanken verdrängen, und zog seine Hand zurück. „Gucken Sie doch nicht so ernst“, meinte er rau.

Sie runzelte die Stirn. „Wie sollte ich denn sonst gucken?“

Regelrecht grob fasste er an ihr Kinn und hob es an. Der seltsame Moment war offensichtlich verflogen. „Versuchen Sie es mal mit einem Lächeln, Engelchen. Wenn das hier funktionieren soll, müssen Sie auch die richtige Miene für die Rolle aufsetzen.“

„Und welche Rolle genau soll das sein?“ Ihr Misstrauen wuchs.

Griffin grinste. Sein blauer Blick wurde fast zärtlich, und sie glaubte zu spüren, wie sein Testosteron durch den Spalt ihrer schützenden Rüstung in ihr Inneres zog.

Er nahm ihre Hand. „Die Rolle meiner Geliebten, süße Jane.“

5. Kapitel

Zu einer offiziellen Vorstellung kam es gar nicht. Kaum dass Griffin und Jane auf dem Strand vor der hübschen Brünetten standen, warf sich die Frau Griffin stürmisch an den Hals und zwang ihn somit, Jane loszulassen. „Du ahnst ja nicht, was ich durchgemacht habe!“, beklagte sie sich.

Unter ihren Begleiterinnen befand sich ein junges Mädchen, das gerade das Teenageralter erreicht haben musste. „Ich werde vor Langeweile sterben“, jammerte sie. „Ich kann es glatt riechen – hier gibt es keinen Handyempfang.“ Sie blinzelte theatralisch mit überlangen und überdichten Wimpern. „Wahrscheinlich werde ich hier schwanger, nur weil es sonst nichts zu tun gibt.“

Auch wenn Jane leicht alarmiert mitverfolgte, wie der Teenager den Blick suchend über den Strand wandern ließ, als wähle sie bereits potenzielle Väter für ihr Vorhaben aus, schien niemand sonst von der Bemerkung beunruhigt zu sein. Vielleicht hatten die anderen es auch einfach nicht gehört. Griffin ging bereits in Richtung seines Strandhauses. Die Frau hatte sich mit einem Arm bei ihm untergehakt, während sie mit dem anderen den Kleinen, der nicht älter als neun oder zehn Monate sein konnte, auf ihrer Hüfte trug. Das Baby verlor eine seiner kleinen Sandalen. Jane hob sie vom Sand auf und trottete Griffin und der Frau hinterher.

„Dann auf“, sagte der Teenager zu den anderen beiden Kindern – zwei Jungen, der eine vielleicht fünf, sechs Jahre alt, der andere ein oder zwei Jahre älter. Die beiden stocherten mit Stöcken in einem stinkenden Haufen Seetang.

Der Jüngere rannte los, stieß den Stock mit Kampfgeheul in die Luft und rief laut: „Du siehst aus wie Affenkacke!“

Daraufhin wandte das Teenagermädchen sich zu Jane und verdrehte entnervt die Augen. „Und das ist mein Leben …“, stöhnte sie melodramatisch.

„Sieht so aus, als würde es die Dinge nur verkomplizieren, wenn du noch ein eigenes Kind hinzuaddierst“, gab Jane zu bedenken. „Und Affenkacke mit einem niedlichen kleinen Babybauch … Was für ein Anblick.“

Jane grinste über das übertriebene Augenverdrehen des Teenagers. Es erinnerte sie an … Griffin. Großer Gott, war die Brünette etwa seine Ex? Und diese Meute seine Kinder?

„Ich heiße Jane“, stellte sie sich dem Mädchen vor.

„Natürlich heißen Sie so.“

Genau das Gleiche hatte Griffin gesagt! „Und wie heißt du?“

„Rebecca.“ Sie deutete mit ausgestrecktem Arm zu ihren mutmaßlichen Geschwistern, wobei gute zehn Zentimeter geflochtene Bändchen und Haargummis an ihrem Handgelenk zum Vorschein kamen. „Das sind meine Brüder – Duncan, Oliver und Russ.“

Bevor Jane mehr aus ihr herauslocken konnte, waren sie bei Strandhaus Nr. 9 angekommen. Die ganze Gruppe versammelte sich im Wohnzimmer. Die beiden Jungen warfen sich sofort auf den Teppich und fingen an zu raufen, Rebecca ließ sich auf die Couch fallen, scheinbar völlig erschöpft, ihre Mutter steckte sich die Sonnenbrille auf den Kopf und schob das Baby höher auf die Hüften. Jane hielt sich vorerst im Hintergrund, sie wollte sich hier in nichts einmischen, bevor sie nicht mehr wusste.

„Also, Tess“, hob Griffin an, „was hat das alles zu bedeuten?“

Wie auf Kommando brach die Frau in Tränen aus, und der Kleine auf ihrem Arm folgte prompt ihrem Beispiel.

Über dem ganzen Lärm stieß Rebecca einen herzhaften Seufzer aus. „Ich sage es doch, ich werde schwanger. Definitiv.“

Ihre Mutter reagierte darauf, indem sie der Tochter das weinende Baby zu halten gab. Gar keine so schlechte Methode, entschied Jane. Schwangerschaftsverhütung durch kleinen Bruder.

Griffin beeindruckte der Gefühlsausbruch überhaupt nicht, weder die Tränen der Frau noch das Babygeschrei. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Tess, wieso zum Teufel bist du hier?“

„Ich habe ihn verlassen, Griff. Ich habe meinen Mann verlassen!“

Griffin stöhnte nur und zeigte nicht das kleinste Quäntchen Mitgefühl. Mit beiden Händen fuhr er sich übers Haar. „Mein Gott, Tessie. Und was geht mich das an?“

Tess schluchzte nur noch lauter. Jane tat die Frau unendlich leid. Ganz offensichtlich war sie in der Hoffnung nach Crescent Cove gekommen, hier Hilfe zu bekommen – doch stattdessen wurde sie abgewiesen. Jane trat langsam den Rückzug an. Es war wohl besser, wenn sie ging.

Griffin jedoch hatte die Bewegung aus den Augenwinkeln gesehen. Mit zwei großen Schritten war er an ihrer Seite und zog sie bei der Hand zurück zu der schluchzenden Frau. „Ich kann das jetzt wirklich nicht gebrauchen, Tess, und ich sage dir auch, warum. Hier, ich habe eine neue Beziehung.“ Er legte Jane von hinten die Hände auf die Schultern und zog sie an sich, sodass ihr Rücken gegen seinen Oberkörper gedrückt wurde.

Seine Wärme durchdrang jede Pore. Sie drehte den Kopf zur Seite, und sein Griff wurde fester. Sein Blick ruhte in einer Weise auf ihrem Mund, dass sie glaubte, ihn zu spüren. Jetzt strahlte die Wärme auch in ihre Lippen. Alle anderen Anwesenden, ja sogar der Raum selbst schien zu verschwinden. Die Welt bestand nur noch aus Griffins Augen und Janes rasendem Puls.

Dann riss er abrupt den Blick von ihrem Mund, räusperte sich und schob sie ein Stückchen von sich. Immerhin konnte die Luft zwischen ihnen die Hitze so wieder abkühlen. „Ich möchte dir Jane vorstellen.“

Die andere Frau schniefte und rieb sich mit dem Handrücken die Nase. Aus ihren schönen tränenfeuchten Augen sah sie zuerst zu Jane, dann zu Griffin. „Du hast jemanden kennengelernt?“

Dieser herzzerreißende Kummer in ihrer Stimme sagt alles, dachte Jane. Und da sie wusste, wie es war, durch eine andere Frau im Leben eines Mannes ersetzt zu werden, wollte sie diese Szene nicht noch einmal durchspielen, auch nicht mit vertauschten Rollen. „Hören Sie …“

Griffins Hände umfassten ihre Schultern fester – warnender. „Engelchen …“

„Zauberhase.“ Sie drehte sich zu ihm um und funkelte ihn böse an.

„Engelchen!“, schrie die andere Frau gequält auf. „Zauberhase! Du hast also wirklich jemanden gefunden!“

„Hast du mir das nicht immer geraten?“

„Als ich noch verheiratet war …“ Sie brach ab und begann wieder zu schluchzen, bemühte sich dann aber tapfer, die Tränen herunterzuschlucken. „… schien es das Richtige zu sein. Aber jetzt, da wir uns scheiden lassen …“

Jane konnte dieses dumme Spiel nicht länger mitmachen – die arme Frau täuschen, die offensichtlich ihren Mann für Griffin verlassen hatte, der seinerseits sogar noch mehr als seine übliche Gefühllosigkeit zeigte. „Es tut mir leid, aber …“

„Jane.“ Die Warnung war jetzt noch deutlicher.

Sie befreite sich aus seinem Griff und wirbelte zu ihm herum. „Das hier ist …“

Was immer sie noch hatte sagen wollen, ging unter in dröhnendem Geschepper. Die beiden Jungen hatten bei ihrer Toberei den kleinen Tisch beim Fenster umgeworfen. Der Fuß der Tischlampe rollte über den harten Holzboden, die Scherben des gläsernen Lampenschirms lagen überall verstreut. Die Jungen verlegten ihr Raufen unbeeindruckt einfach ein Stück weiter zur Seite und brachten das nächste Mobiliar in Gefahr. Vom Sofa kam ein entnervter Kommentar von Rebecca – vermutlich eine weitere Drohung mit einer Teenagerschwangerschaft –, dann sprang sie von der Couch auf und drückte Griffin das Baby in die Arme. Während sie aus dem Zimmer stapfte, hielt Griffin den Kleinen mit ausgestreckten Armen von sich und warf Jane einen flehenden Blick zu.

„Oh, Herrgott!“ Hilflos und unfähig mit den eigenen Kindern! Jane war sicher, dass es seine Kinder waren. Es musste so sein, denn alle hatten seine dunklen Haare, und ein paar von ihnen hatten auch genau dieselbe ungewöhnliche Augenfarbe wie er. Ganz davon zu schweigen, dass sie alle die Fähigkeit besaßen, sie zu faszinieren und ihr gleichzeitig den letzten Nerv zu rauben. Sie nahm ihm das Baby ab, setzte es sich auf die Hüfte und packte einen der Jungen von hinten beim Hemdkragen. Eine hervorragende Taktik, wie sich herausstellte, denn der zweite folgte seinem Bruder automatisch, den Jane die Diele entlangzog. Hier hinten gab es ein kleines Gästezimmer mit einem Fernseher. Jane holte die Fernbedienung und hielt sie dem Größeren der beiden hin. „Ich nehme mal an, du kannst damit umgehen?“

Schneller als der Blitz hatte er ihr die Fernbedienung aus der Hand gerissen, und dann saßen die beiden auch schon Seite an Seite auf dem Bett, die Augen fest auf den flimmernden Bildschirm gerichtet. Private, der Labrador, erschien von irgendwoher und drängte sich auf der Matratze zwischen die beiden. Der Cartoon-Sender war es nicht, den die beiden da gewählt hatten, und Jane konnte nur hoffen, dass das Programm, das sie sich da ansahen, jugendfrei war – in diesem Haus konnte man ja nie wissen! –, aber wenn man die häusliche Situation der beiden bedachte, war es auch durchaus möglich, dass sie alles schon gesehen hatten.

Das Baby an ihrer Schulter quengelte vor sich hin und lutschte an seiner kleinen Faust. Also marschierte Jane als Nächstes in die Küche und fand tatsächlich ein Paket Cracker. Der Kleine griff begeistert danach, als sie ihm einen davon hinhielt, und stopfte sich sofort eine Ecke in den Mund. Das Problem wäre also auch vorübergehend ruhiggestellt. Mit dem Baby auf dem Arm kehrte sie ins Wohnzimmer zurück, wobei sie im Vorbeigehen noch eine Schachtel Kleenex mitnahm.

Hier hatte sich nicht viel an der Situation geändert. Tess lag rücklings auf der Couch, die Hände vors Gesicht geschlagen. Griffin, dieses gefühllose Monster, stand mit dem Rücken zu Tess am Fenster und starrte düster auf die schaumgekrönte Brandung.

Jane konnte nur hoffen, dass Rebecca nicht unterwegs war, um Ausschau nach einem Samenspender zu halten.

Wortlos setzte sie sich neben Tess auf die Couch und hielt ihr die Schachtel mit den Kleenex hin. Mit einem dankbaren Blick nahm Tess sie ihr ab, zupfte gleich mehrere Papiertücher heraus, wischte sich die Tränen aus den Augen und schnäuzte sich. Dann atmete sie tief durch, nahm Jane das Baby ab und setzte sich den Kleinen auf den Schoß.

„Danke“, sagte sie leise und drückte ihren Sohn an sich. „Es tut mir so leid, so schrecklich leid, aber es musste einfach mal raus.“ Sie sah zu Griffin. „Ich will mit den Kindern eine Weile hierbleiben.“

Er schwang herum, Unmut – oder Panik? – stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich hab dich nicht einmal eingeladen, zum Abendessen zu bleiben.“

„Griff …“

„Tess. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich eine Beziehung habe. Ich bin jetzt mit Jane zusammen.“

Nicht einmal die Aussicht, diesen Auftrag zu erledigen und damit ihren Ruf wiederherzustellen, reichte aus, damit sie eine Lüge dieses Ausmaßes auch nur noch einen Moment länger aufrechterhalten würde. „Ich habe keine Beziehung mit diesem Mann“, sagte sie resolut und ignorierte das böse Stirnrunzeln, mit dem Griffin sie ansah. „Ganz bestimmt nicht, glauben Sie mir.“

„Oh.“ Tess sah zu dem Mann mit dem grimmigen Gesicht am Fenster. „Ich verstehe nicht …“

„Er behauptet zwar, wir hätten eine Beziehung, aber das stimmt nicht“, drückte sie es noch deutlicher aus.

Tess blinzelte, und jetzt, da keine Tränen mehr in ihren Augen standen, konnte Jane sehen, dass die Augen von dem gleichen strahlenden Aquamarin waren wie Griffins. „Das sind großartige Neuigkeiten“, kam es von ihr als Reaktion.

Jane hielt es zwar für ein wenig seltsam, wie sehr die Frau sich darüber freute, von ihrem Ex, dem Vater ihrer Kinder, angelogen zu werden, aber vielleicht hoffte Tess ja jetzt darauf, dass es noch eine Chance gab, wieder mit Griffin zusammenzukommen.

„Denn die Liebe ist das reine Elend, und die Männer sind alle gemeine Kerle.“ Tess sagte es laut und mit theatralischem Überschwang, Jane wusste jetzt auch, woher Rebecca ihren Hang zum Drama hatte. Die Brünette bedachte Griffin mit einem vielsagenden Blick. „Selbst mein Bruder.“

Bruder?

Oh. Oh.

Jane kam sich unglaublich dumm vor und sah den einzigen Mann im Raum verärgert an.

„Was denn?“, tat er völlig unschuldig.

Doch bevor Jane etwas erwidern konnte, zog Tess wieder die Aufmerksamkeit auf sich und verkündete den Grund ihres Hierseins. „Wir brauchen einfach eine Pause. Abstand. Die Kids werden sich hier garantiert wohlfühlen.“

Griffin schüttelte sofort den Kopf. „Es gibt keine freien Einheiten mehr. Du kannst Skye fragen.“

Tess wedelte mit der Hand. „In Strandhaus Nr. 9 ist doch genug Platz.“

Jetzt war der Ausdruck auf seinem Gesicht eindeutig Panik. „Ich benötige dringend meine Ruhe.“

„Seit Monaten schon versteckst du dich vor allen“, stellte seine Schwester fest.

„Das stimmt nicht. Der alte Monroe schnauzt mich jeden Tag an. Und … äh … Jane ist hier. Wir … äh … arbeiten zusammen an einem dringenden Projekt.“

Jane horchte auf. Sie reckte die Schultern und nagelte ihn mit ihrem Blick auf der Stelle fest. „Ah … ist das die Zusage, endlich mit der Arbeit anzufangen?“

„Wie Sie ja schon mehrmals betont haben, muss ich einen Termin einhalten.“ Er drehte sich zu seiner Schwester um. „Verstehst du das? Ich kann euch nicht alle hier herumlaufen haben, wenn ich arbeiten muss.“

„Aber wir machen dir ganz bestimmt keine Probleme“, versicherte Tess. „Die Kids werden dich nicht stören …“

Jane hörte gar nicht mehr richtig zu, sie ging bereits die Möglichkeiten durch, die sich hier auftaten. Am liebsten hätte sie sich zufrieden die Hände gerieben – was sie natürlich nicht tat. „Wir sollten gleich morgen früh anfangen.“

„Griffin“, bettelte Tess weiter. „Wir brauchen diesen Sommer in Crescent Cove. Die Kinder und ich zusammen. Nur für ein paar Wochen.“

Griffin sah von Tess zu Jane, und dieses Mal hatte sie überhaupt nichts dagegen einzuwenden, ihm das zu geben, worum er sie mit seinem Blick bat. „Sie müssen das Buch fertig bekommen, Griffin. Deshalb bin ich ja hier.“

Er sah wieder zu Tess, dann zurück zu Jane, erneut zu Tess. Jane schien es, als läge da ein kalkulierendes Glitzern in seinen Augen. Ohoh, dachte sie nur.

„Na schön, Schwesterherz“, sagte er schließlich. „Du und die Kids … ihr könnt bleiben.“

Tess klatschte in die Hände, und das Baby tat es ihr begeistert nach. „Danke.“

„Du kannst in Nr. 8 unterkommen.“

Was?, formte Jane stumm mit den Lippen.

„Nr. 8?“, fragte Tess stirnrunzelnd.

„Ja, in Nr. 8, bei meiner Assistentin Jane. Ich bin natürlich vollauf mit meinen Memoiren beschäftigt, aber Jane wird dir sicher liebend gern alle Hilfestellung geben, die du benötigst.“

Ein speckiges Kartendeck in der Hand, Private an seiner Seite, schlenderte Griffin in den kleinen Hinterhof von Strandhaus Nr. 9. Na schön, schleichen wäre wohl die passendere Bezeichnung. Es war nicht zu bestreiten, dass er sich nur sehr vorsichtig bewegte, ja sich sogar duckte. Er hielt sich nah an der Hauswand und reckte den Hals, um zu sehen, ob sich in Nr. 8 irgendetwas rührte. Von seinem Bungalow aus konnte er nur ein Stück des vertrockneten Rasens hinter der wesentlich kleineren Hütte sehen. Als er weder grölende Verwandte noch Gouvernanten mit stocksteifem Rücken erspähte, richtete er sich auf und beschleunigte seine Schritte, um zu dem dunkelblau gestrichenen Picknicktisch zu gelangen.

Sobald er auf der Bank saß, steckte er die Kopfhörer ein und strich mit dem Daumen über das Display seines iPods. Schrille Gitarrenriffs und wummernde Bässe der klassischen Metallica-Songs dröhnten in sein Hirn, während er eine weitere dieser stumpfsinnigen Patiencen legte. Heute war es schon der zweite Tag, an dem es ihm gelungen war, seiner Schwester, deren Kindern und der Frau, der er sie alle aufgedrängt hatte, aus dem Weg zu gehen. Oder hieß es, die Frau, der er alle aufgedrängt hatte?

Einen Moment lang starrte er auf die gelegten Karten und verfluchte sich dafür, dass ihn die idiotische Frage nicht mehr loslassen wollte. Verdammt! Mit den Feinheiten der Grammatik hatte er eigentlich immer auf Kriegsfuß gestanden, ein Fakt, den er längst akzeptiert hatte. Nur begann er inzwischen doch tatsächlich, wie Jane zu denken. Oder zumindest, an sie zu denken. Und war es ihm bislang nicht bestens gelungen, genau das zu vermeiden?

Mit dem Handballen schlug er sich leicht gegen die Schläfe, sozusagen ein Signal an sein Hirn, endlich aus der Rille zu springen und weiterzumachen. In den letzten vierundzwanzig Stunden war er so guter Laune gewesen wie seit Monaten nicht mehr – die Art gute Laune, die ein zum Tode Verurteilter wohl haben musste, wenn er erfuhr, dass ihm der elektrische Stuhl doch erspart blieb. Und auch wenn er sich noch immer wie hinter Gittern vorkam, hatte er sich fest vorgenommen, nicht den Humor zu verlieren. Schließlich hatte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und sich mühelos sowohl seine Schwester samt Nachwuchs als auch die Bibliothekarin vom Hals geschafft.

Zwei Runden Patience später sah er Private aufspringen. Mit einem entnervten Stöhnen zog er sich die Knöpfe aus den Ohren und sah sich um. Das Stöhnen wurde lauter, als er erkannte, wer da seine Ruhe störte. Nämlich niemand anderes als sein kauziger Nachbar. „Was wollen Sie von mir, Sie Tattergreis?“

Er war sicher, dass er sich nicht freundlich anhörte, trotzdem setzte der alte Monroe sich ihm gegenüber auf die Bank.

Griffin konzentrierte sich wieder auf seine Karten. „Mein Hund war die ganze Zeit hier bei mir, und behaupten Sie jetzt nichts anderes.“

„Ich bin nicht wegen deines Hundes hier.“

„So? Na, und ich habe keine Lust, den täglichen Demenzcheck mit Ihnen zu machen. Gehen Sie wieder nach Hause.“

„Hast du von Gage gehört? Skye erwähnte, dass du Post bekommen hast.“

Unwillkürlich musste Griffin lächeln. Die Postkarte, die heute mit der Post in der Bucht angekommen war, war schon vor über einer Woche abgeschickt worden. Die gesamte Post für die Mieter der Hütten wurde bei Skye im Büro abgeliefert, die sie dann an die Adressaten verteilte. Die charakteristische Blockschrift seines Bruders zu sehen hatte seiner Laune eindeutig Auftrieb gegeben.

„Es war eines seiner eigenen Fotos.“ Schon seit Jahren ließ Gage immer, wenn es möglich war, seine eigenen Fotos auf Postkarten drucken und schickte sie quer durchs Land – oder um den Globus – an Griffin. Angefangen hatte es als gutmütige Fopperei von Zwillingsbruder zu Zwillingsbruder – Gage, der Fotojournalist, der vor seinem Bruder damit prahlen wollte, welche exotischen Ecken er auf der Welt bereiste. Inzwischen, da Griffin selbst genügend Bilder von weit entfernten Orten und ungewöhnlichen Situationen in seiner Erinnerung verstaut hatte, war es zu so etwas wie einer realen Verbindung zwischen ihnen geworden. Ein Bild zu betrachten, das sein Bruder mit seinen Augen durch den Sucher gesehen und für wert befunden hatte, festgehalten zu werden, das Papier anzufassen, das sein Bruder in Händen gehalten hatte, das war, als wären sie für einen Augenblick, so kurz er auch sein mochte, am selben Ort.

„Geht es ihm gut?“, fragte der Alte.

„So gut, wie es ihm gehen kann, bei den Orten, an denen er sich aufhält.“ Griffin sah wieder das Foto vor sich: Gage hatte ein Kind auf Zelluloid gebannt, das gerade lauthals lachte. Mager, verschmutzt und halb nackt, hatte das Kind trotzdem noch einen Grund zum Lachen gefunden.

Kinder besaßen diese Gabe. Ein Gedanke, bei dem sich sein schlechtes Gewissen regte, weil er seine Nichte und seine drei Neffen ignorierte. Verärgert über sich selbst, dass er ein solches Gefühl zuließ, legte er den König mit mehr Wucht als nötig in die freie Reihe.

Rex Monroe setzte sich anders hin, um sein verletztes Bein auszustrecken. Griffin hielt es nicht für nötig, von den Karten aufzusehen. „Ist es nicht Zeit für Ihre Verabredung mit den ‚Golden Girls‘?“

„Mein Kabelfernsehen funktioniert im Moment nicht. Unterhalte du mich.“

Griffin beschloss jedoch, ihn weiter zu ignorieren.

„Ich habe die Geduld eines Hiob“, meinte Rex leise, nachdem ein paar Minuten verstrichen waren.

„Sie sind eher eine Hiobsbotschaft. Zumindest für mich. Gehen Sie und belästigen Sie einen anderen.“

„Vielleicht tue ich das sogar. Ich könnte mich auf die Suche nach deiner Schwester machen und ihr sagen, dass du hier draußen sitzt und nichts tust außer Trübsal blasen.“

Die Drohung ließ Griffin so abrupt aufspringen, dass Private erschreckt bellte. Weder Tess noch sonst irgendjemand sollte nach ihm sehen kommen, verdammt. „Ich blase keine Trübsal.“

„Aha. Du bist also zufrieden und glücklich?“

„Natürlich.“ Er ging zu dem schmalen Blumenbeet und begann, Unkraut zu zupfen. Als wenn er sich auch nur einen Deut um Unkraut scheren würde! „Nur zu Ihrer Information, ich bin sogar sehr glücklich und zufrieden.“

„Hm …“ Ein lauernder Ton zog in die Stimme des Alten. „Hat dieses Glück etwas mit Jane zu tun?“

Griffin schnaubte grimmig. Jane. Letztens hatte sie diesen albernen Hut getragen, tief in die Stirn gezogen. Da auf dem Deck im Captain Crow’s hatte er für einen Augenblick tatsächlich gedacht, sie würde sich kooperativ zeigen. Sie war eng an seiner Seite geblieben, als sie auf Tess zugegangen waren, ganz weich und anschmiegsam. Das hätte ihm schon zu denken geben sollen. Wie lange konnte eine Bibliothekarin so etwas durchhalten? Aber zum Teufel, wozu war diese plötzliche Wahrheitsattacke gut gewesen?!

„Jane geht mir nur maßlos auf die Nerven.“ Er riss eine Pusteblume mitsamt ihrer Wurzel aus. Der weiche Kopf ließ ihn an Janes weiches Haar denken. Ihr Haar gefiel ihm, es drehte und lockte sich, wie es wollte. Jedes Mal, wenn sein Blick darauffiel, würde er am liebsten die Finger hineinschieben und … Stumm stöhnte er auf und schleuderte den dummen Löwenzahn von sich. Jane war genau wie dieses Unkraut. Sie hatte Wurzeln in seinen Kopf getrieben, wo sie weder hingehörten noch erwünscht waren, und brachte seine kühle Gelassenheit durcheinander.

„Na, dann gebührt wohl deiner Schwester das Lob für deine Zufriedenheit.“

„Ja, sicher“, spöttelte Griffin. „Als ob ich unbedingt in ihr häusliches Drama hineingezogen werden wollte.“

„Tja, sieht so aus, als würdest du das auch nicht“, tadelte der Greis milde. „Du hast ja eine Möglichkeit gefunden, alles auf die arme Jane abzuwälzen.“

„Haben Sie hier etwa Kameras und Wanzen installiert? Von wegen ‚arme Jane‘. Die arme Jane ist viel eher eine lästige Jane, eine Jane, die sich nicht an Absprachen hält. Hätte sie bei dem Plan mitgemacht und meiner Schwester gesagt, dass wir … dass hier etwas zwischen uns läuft, wäre Tess wieder abgezogen und hätte mir meine Ruhe gelassen. Sie hat nämlich eine Schwäche für Verliebte.“

„Skye sagt, dass sie ihre Meinung in dieser Hinsicht geändert hat.“

Skye. Sie war also die Quelle, aus der der Alte seine Informationen bezog. Schon früher war er unerträglich neugierig gewesen und hatte sich in alles eingemischt, was ihn nichts anging. Wie es aussah, hatte sich daran in all den Jahren nichts geändert. „Hat die freundliche Verwalterin heute die Monatsration Abführmittel vorbeigebracht und gleichzeitig auch noch eine gesunde Dosis Klatsch ausgeteilt?“

Autor