Julia Saison Band 6

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EIN DADDY MUSS HER von DAY LECLAIRE
Weil Cassidy nicht ahnt, wie sehr sich ihr kleiner Sohn Hutch einen Daddy wünscht, fällt sie aus allen Wolken, als er ihr zum Geburtstag einen Kandidaten von einer Partnervermittlung schenkt. Das Letzte, was sie wollte, ist ein Mann! Aber warum nur lässt dieser beeindruckend große, breitschultrige Ty Merrick trotzdem Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen?

SO VIEL GLÜCK IN MEINEN ARMEN von CHRISTIE RIDGWAY
Mack James ist Vater einer kleinen Tochter, die seit seiner Scheidung sein Ein und Alles ist. Zudem ist er Sohn, Geschäftsmann und zuständig für nicht wenige Haustiere. Da ist in seinem Leben kein Platz für eine neue Frau an seiner Seite, glaubt er. Bis zu dem Tag, als der Hund seiner Tochter verschwindet und seine Assistentin Carly liebevoll suchen hilft …

VIEL MEHR ALS EINE SOMMERLIEBE von VICTORIA PADE
Immer schwerer fällt es Bailey, sich nicht zu verraten! So wohl fühlt sie sich mit den süßen Geschwistern Kyle, Kate und Evie. Und mit dem Mann, der sie als Nanny eingestellt hat: der attraktive Bauunternehmer Gib Harden. Doch sie fürchtet: Wenn er ihr Geheimnis kennt, ist es aus mit ihrem Traum von mehr als einer Sommerliebe. Da verändert ein Unfall alles …


  • Erscheinungstag 10.05.2020
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717599
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Day Leclaire, Christie Ridgway, Victoria Pade5

JULIA SAISON BAND 6

PROLOG

„So, das war’s. Ich wünsche euch allen schöne Frühjahrsferien“, rief die Lehrerin und fügte, an einen Jungen gewandt, hinzu: „Hutch Lonigan, ich möchte dich noch kurz sprechen, bevor du gehst.“

Oh, oh. Er erkannte an ihrem Tonfall, dass es nichts Angenehmes war, worüber sie mit ihm reden wollte. Seine Mitschüler drängten an ihm vorbei hinaus und warfen ihm missgünstig-amüsierte Blicke zu, aber die waren nichts Neues für ihn. Als Zehnjähriger, der hell genug war, um mit Dreizehnjährigen in die siebte Klasse zu gehen, war er oft einem gewissen Argwohn, wenn nicht sogar unverhohlener Abneigung ausgesetzt.

Er stapelte seine Bücher ordentlich auf seiner Bank und ging zum Lehrerpult. „Ja, Mrs Roon?“ Die Lehrerin kramte in Unterlagen. Sie ist nervös, dachte er. Prima. Das konnte nur von Vorteil für ihn sein. Er rückte seine Brille zurecht und sah sie mit einem kühlen Blick, der Leute immer wieder irritierte, direkt an. „Ich hoffe, es ist alles in Ordnung.“ Es klang nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung.

Sie wich seinem Blick aus, schlug einen Ordner auf und tippte mit dem Zeigefinger auf einen Computerausdruck. „Es geht um deinen Vorschlag für das wissenschaftliche Projekt.“

Das hatte er sich fast gedacht. „Ja?“

„Es ist … Nun, es ist etwas ungewöhnlich, wie du wohl zugeben musst.“

Und wenn schon. Er wartete, bis sein Schweigen der Lehrerin unangenehm wurde.

Mrs Roon räusperte sich. „Ich möchte, dass du ein anderes Thema wählst.“

„Nein.“

„Hutch …“

Ihre Stimme hatte einen mütterlichen Klang angenommen, was bei dem Jungen Trotz hervorrief. Er hatte schon eine Mutter, und die sprach nie in solch mitleidigem Ton mit ihm. „Nein“, wiederholte er.

„Ich verstehe ja, warum du dieses Experiment machen willst, aber ich kann es nicht akzeptieren.“

„Es ist der logische Ansatz, ein Problem zu lösen, das bisher niemand lösen konnte.“

„Willst du das nicht lieber deiner Mutter überlassen?“

„Logik ist für meine Mutter ein Fremdwort“, stellte er fest. „Und da sie sich des Problems außerdem gar nicht bewusst ist, kann sie es auch nicht selbst lösen. Deshalb mein Projekt.“

„Tut mir leid, Hutch, aber ich kann das nicht genehmigen. Zumindest nicht ohne die Zustimmung deiner Mutter.“

Er ballte die Hände zu Fäusten, schob sie aber schnell in die Hosentaschen, als er bemerkte, dass er damit seine Gefühle verriet. „Nein! Wenn sie davon weiß, werden die Ergebnisse verfälscht.“

Mrs Roon seufzte. „Ohne schriftliche Erlaubnis deiner Mutter kann ich nicht zustimmen. Und selbst wenn sie einverstanden ist, weiß ich nicht, ob ich es erlauben soll … Es ist einfach zu … zu …“ Wieder seufzte sie. „Du bist ein intelligenter Junge, und was du dir da ausgedacht hast, ist lieb gemeint, aber es geht einfach nicht.“

Sie hatte wieder diesen Tonfall. Eindringlich sah Hutch sie an. „Ist das Ihr letztes Wort?“

„Ja, Hutch. Leider.“ Sie schloss den Ordner und schob ihn dem Jungen hin. „Nütze die zwei Wochen Ferien, um dir ein anderes Projekt zu überlegen.“

„Und wenn ich es nicht tue?“

„Dann muss ich mit deiner Mutter sprechen.“

„Ihnen ist klar, dass Sie mir keine Wahl lassen.“

„Tut mir leid.“

„Mir auch“, sagte er halblaut. „War nett, mit Ihnen zu arbeiten, Mrs Roon.“

Er nahm den Ordner und ging zurück zu seiner Bank. Während er auf den Stapel Bücher blickte, dachte er fieberhaft nach.

Mrs Roon würde ihre Meinung nicht ändern, und er konnte es nicht riskieren, dass seine Mutter von dem Experiment erfuhr. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen analysierte er seine Möglichkeiten, und es dauerte nicht lange, bis ihm ein faszinierender, wenn auch etwas riskanter Einfall kam.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er einen letzten Blick auf seine Lehrerin warf. „Vielen Dank, Mrs Roon. Ich werde mich darum kümmern.“ Er nahm seinen leeren Rucksack und hängte ihn sich über die Schulter.

„Das freut mich, Hutch“, sagte sie und lächelte erleichtert. „Nimmst du deine Bücher nicht mit nach Hause?“

„Nicht nötig.“

Ihr Lachen klang unnatürlich. Er machte die meisten Leute nervös, verstand allerdings nicht recht, warum. Klugheit machte manchen Erwachsenen offenbar Angst – vor allem, wenn es ein Kind war, das klug war.

„Wahrscheinlich hast du recht“, räumte sie ein. „Du hast vermutlich alles im Kopf.“

„Fast alles.“ Er ging zur Tür. „Auf Wiedersehen, Mrs Roon.“ Ohne noch einen Blick auf die Lehrerin zu werfen, verließ er das Klassenzimmer und ging in Gedanken bereits durch, was er in den nächsten sechzehn Tagen alles tun musste, um sein Ziel zu erreichen. Es war ganz schön viel, aber er liebte Herausforderungen.

Einen Mann für seine Mutter zu finden war zweifellos die größte Herausforderung, der er sich je gestellt hatte.

1. KAPITEL

Projekt-Checkliste:

1. Perfekten Mann finden – Moms Terminkalender prüfen.

2. Vermittlungsvertrag abschließen.

3. Liste für „Liebesexperimente“ aufstellen.

Hutch blieb vor dem gelben Haus stehen und warf einen prüfenden Blick auf den Zeitungsausschnitt. Ja, er war richtig hier. Agentur Yellow Rose am Bluebonnet Drive. Kopfschüttelnd schob er den Zeitungsausschnitt in die Hosentasche. Kitschiger ging es wohl nicht. Das Haus, der Palisadenzaun, alles in Gelb und Weiß, und zu allem Überfluss ein mit gelben Rosen bemalter Briefkasten. Seiner Mutter hätte es sicher gefallen. Er fand es grässlich und hatte noch mehr das Gefühl, fehl am Platz zu sein, genauso wie damals, als er in die siebte Klasse marschiert war und alle ihn angesehen hatten, als wäre er ein Verrückter.

Um in dieser romantischen Umgebung männlicher zu wirken, stapfte er betont forsch die sechs Stufen zum Eingang hinauf, wo eine Milchglastür den Blick ins Haus verwehrte.

Hutch atmete tief durch, stieß die Tür auf und trat ein. Ihn empfing alles andere als eine Geschäftsatmosphäre. Der überwältigende Duft, den ein enormer Strauß gelber Rosen auf einem Tischchen verströmte, ließ ihn die Nase rümpfen. Mann, wie hielten die das hier bloß aus? Sie sollten sich einen Hund oder Katzen anschaffen, um diesen aufdringlichen Geruch zu übertönen. Spähend ging er einige Schritte und war erleichtert, als er im Empfangsraum einen Schreibtisch sah. Schreibtische bedeuteten Geschäft.

Zielstrebig ging er zu dem Tisch. Eine alte Dame stand dahinter und betrachtete stirnrunzelnd einen Computerausdruck. Kein gutes Zeichen. Neben ihr standen flüsternd ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte eine Kamera in der Hand, die Frau einen Notizblock. Sie warfen ihm einen flüchtigen, abweisenden Blick zu. Das war in Ordnung. Er hatte sich an derartige Reaktionen gewöhnt.

Er setzte eine entschlossene Miene auf, holte aus der Hosentasche eine Handvoll Dollarnoten und Münzen und warf das Geld auf den Schreibtisch. Es waren genau neun Dollar und vierundachtzig Cent – seine ganzen Ersparnisse.

„Ich will dafür so viele Partnervorschläge, wie ich kriegen kann“, verkündete er laut.

Nun hatte er die Aufmerksamkeit der Drei. Der Mann und die Frau hörten auf zu flüstern und betrachteten ihn, als witterten sie Beute. Die Empfangsdame legte den Ausdruck weg und beäugte ihn skeptisch mit Augen, die so blau waren wie seine. „Bist du dafür nicht ein bisschen zu jung, Freundchen?“

Ärgerlich verzog er das Gesicht. Reichte es nicht schon, dass sie sich in der Schule über ihn lustig machten? „Es ist für meine Mom. Sie braucht einen Mann, und ich will den Besten, den Sie haben.“

Der Blick der alten Dame wurde strahlend wie die Sonne über San Antonio. „Tun Sie es jetzt?“, murmelte sie. Neben ihr blitzte ein Blitzlicht.

Hutch holte den Zeitungsausschnitt heraus und legte ihn neben das Geld. „Ich möchte das Spezialangebot ‚San Antonio Fiesta‘.“

„Weiß deine Mutter, dass du hier bist?“, fragte die Frau mit dem Block.

„Nein. Es ist ein Geburtstagsgeschenk. Eine Überraschung.“

Die Empfangsdame neigte den Kopf zur Seite. „Das kann ich mir vorstellen.“ Schier endlos musterte sie den Jungen, doch der hielt ihrem Blick unbeeindruckt stand, bis sich die rot geschminkten Lippen der alten Dame zu einem breiten Lächeln verzogen. „Ty?“, rief sie in Richtung des Flurs, von dem aus es in die Büros ging. „Kannst du mal kommen?“

Wie aus dem Nichts tauchte sofort ein großer, sehr breitschultriger und sehr muskulöser Mann auf. „Was gibt’s?“, fragte er mit einer Stimme, die an Donnergrollen erinnerte.

„Er ist mein Enkel“, erklärte die alte Dame. „Er wird sich um dich und deine Mom kümmern.“

Hutch rutschte das Herz fast in die Hosentasche. Mit einem Schrank von einem Mann wie ihm hatte er nicht gerechnet.

„Tu mir bitte einen Gefallen“, sagte sie zu Ty mit einem Seitenblick auf die Frau mit dem Block und den Mann mit der Kamera. „Maria und Wanda machen gerade Mittag, und ich bin beschäftigt. Nimm dich doch des jungen Mannes hier an. Er möchte unser ‚San-Antonio-Fiesta‘-Angebot.“

Aus blassgrünen Augen sah der Mann erst Hutch und dann die alte Dame zweifelnd an. „Wie bitte?“

„Hilf ihm, den Fragebogen für seine Mutter auszufüllen.“ Wieder erhellte ein Blitzlicht den Raum. „Bitte.“

„Willie …“

„So schwer ist das nicht, Ty.“ Sie drückte ihrem Enkel ein mehrseitiges Formular in die Hand. „Geh mit ihm in mein Büro, und lass ihn die Fragen so genau wie möglich beantworten. Wenn ihr fertig seid, lassen wir alles durch den Computer laufen und schauen, welchen Partner er ausspuckt.“

„Ich will einen Guten“, betonte Hutch. „Den besten Mann, den Ihr Computer auf Lager hat.“

Willie lächelte. „Dafür garantiere ich persönlich. Und jetzt geh mit Ty. Er hilft dir mit den Fragebogen.“

Dieser Schrank von einem Mann flößte Hutch echten Respekt ein, und er überlegte kurz, ob er sich ihm wirklich ausliefern solle, doch dann rückte er seine Brille zurecht und sagte forsch: „Gehen wir.“

„Der Schrank“ ging voraus, ließ Hutch in ein Büro eintreten und deutete mit den Formularen auf zwei Polsterstühle vor einem Schreibtisch. „Nimm Platz.“

Ein Computer nahm die Hälfte der Schreibtischplatte ein, was Hutch positiv stimmte. Er setzte sich und sah Ty abwartend an. Als der nach zwei Minuten noch immer nichts gesagt hatte, fragte Hutch herausfordernd: „Warum wollen Sie mir nicht helfen?“

„Ich arbeite nicht hier. Ich bin nur stiller Teilhaber.“

„Oh.“ Diese Antwort hatte Hutch nicht erwartet. „Warum hat dann die alte Dame …?“

„Ihr Name ist Willie Eden. Ihr gehört der Laden.“

„Okay, aber warum hat Miss Willie Sie dann gebeten, mir zu helfen?“

„Wie sie sagte, ich bin ihr Enkel. Von Zeit zu Zeit sehe ich mich hier um, ob alles läuft, und ausgerechnet so einen Tag hast du erwischt.“

„Mist“, platzte der Junge heraus.

Auf dem Gesicht des großen Mannes machte sich ein Lächeln breit. „Finde ich auch.“

„Und was ist mit den Bildern, die der da draußen von mir gemacht hat?“

„Noch ein dummer Zufall. Die beiden sind Reporter und machen eine Story über die Agentur.“

Hutch konnte seinen Schreck nicht verbergen. „Ich will aber nicht in die Zeitung! Das können die nicht machen! Es soll doch eine Überraschung sein!“

„Ich kümmere mich darum.“

Erstaunt bemerkte Hutch, dass er dem Mann glaubte. „Der Schrank“ hatte etwas Solides, Vertrauenswürdiges an sich. „Und jetzt?“

„Jetzt machen wir, was Willie uns aufgetragen hat.“ Stirnrunzelnd betrachtete er die Formulare. „Wir füllen diesen Fragebogen aus. Wahrscheinlich gar nicht so einfach, denn viele der Fragen sind sehr persönlich.“

„Kein Problem. Ich weiß, was ich – ich meine, was meine Mom will.“ Ein sehr direkter Blick aus grünen Augen traf Hutch, und der wusste in dem Moment, dass er diesem Mann nichts vormachen konnte. „Okay, um ehrlich zu sein, ich hätte nichts dagegen, wenn er auch mir gefallen würde. Schließlich muss auch ich mit ihm klarkommen.“

„Das wird dann wohl gar nicht so einfach.“

Hutch fühlte sich unbehaglich. Dieser Mann schien bis in sein Innerstes sehen zu können. „Ich werde schon nicht zu wählerisch sein, falls Sie das meinen. Wählerisch zu sein kann ich mir nämlich nicht leisten.“ Zur Erleichterung des Jungen lächelte der Mann wieder.

„Wie heißt du, mein Junge?“

„Hutch Lonigan, und ich bin zehn, falls Sie mich das als Nächstes fragen wollten.“

„Ty Merrick, und ich bin einunddreißig. Wenn du willst, kannst du mich ruhig duzen, wenn wir schon so persönliche Dinge miteinander besprechen.“

Hutch nickte zustimmend, und Ty griff zu einem Stift. „Wie heißt deine Mutter?“

„Cassidy Lonigan.“

„Adresse und Telefon?“

Hutch nannte beides widerstrebend. „Du willst sie doch nicht anrufen?“

„Das liegt bei Willie.“ Ty zwinkerte. „Wie du weißt, führe ich nur ihren Auftrag aus.“

„Na gut.“

„Wie alt ist deine Mom?“

„Alt. Deswegen will ich diese Sache ja schnell über die Bühne bringen.“

Ty konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. „Wie alt sie ist, weißt du nicht?“

„Morgen wird sie neunundzwanzig. Sie hat also nicht mehr viel Zeit, und Falten hat sie auch schon.“ Er deutete auf seine Augenwinkel.

„Also, auf dem absteigenden Ast.“

„Nein, schreib das nicht!“ Hutch sann auf eine Lösung. „Wenn sie beim Rendezvous irgendwohin gehen, wo es dunkel ist, sieht es der Typ vielleicht gar nicht. Schreib auf, dass sie gern in romantischer Umgebung ist. Da ist es doch dunkel, oder?“

„Gute Idee, Hutch.“ Nur mit Mühe unterdrückte Ty ein Lachen. „Nächster Punkt. Größe und Gewicht. Hast du eine Ahnung?“

„Dick ist sie nicht, aber ganz schön groß für eine Frau.“

„Haar- und Augenfarbe?“

„Braun und Grau.“

„Ich nehme an, braun sind die Haare und grau die Augen.“

Hutch musste lachen, und zum ersten Mal, seit er die Agentur betreten hatte, fühlte er sich locker. „Exakt.“

„Da bin ich aber froh“, meinte Ty augenzwinkernd.

„Soll ich dir ein Foto zeigen?“

„Klar.“

Hutch holte das Bild aus der Tasche, reichte es Ty und amüsierte sich über dessen Reaktion. „Der Schrank“ betrachtete das Foto mit dem gleichen Gesichtsausdruck, mit dem er, Hutch, leckere Eisbecher betrachtete.

Wortlos gab Ty das Foto zurück und wandte sich wieder dem Fragebogen zu. „Beruf?“

Mit zusammengezogenen Brauen dachte Hutch nach. „Diese Woche ist sie Kellnerin, glaube ich.“

„Diese Woche?“

„Ja, sie nimmt, was sie kriegen kann, und schuftet wie ein Pferd“, brauste Hutch auf. „Einen Mann, der ihr die Rechnungen zahlt, gibt es ja nicht.“

Ty hob beschwichtigend die Hände – Hände mit langen Fingern und Schwielen. Hände wie die von Mom, nur viel größer, dachte Hutch, und die Tatsache, dass hier ein Mann vor ihm saß, der offenbar auch schwer arbeitete, besänftigte ihn. „Immer mit der Ruhe, Freundchen. Ich stelle die Fragen, die hier aufgelistet sind, ohne ein Urteil zu fällen. Kapiert?“

Hutch nickte. Es war ihm bewusst, dass er seinem Gegenüber zu viel von sich offenbart hatte. Er würde vorsichtiger sein müssen. „Was willst du sonst noch wissen?“

„Familienstand. Kinder. Wohnverhältnisse.“

Hutch atmete tief durch. „Wir wohnen in einem Apartment. Sie ist allein. Lonnie – mein Erzeuger – hat sich vor fünf Jahren aus dem Staub gemacht.“ Er zuckte die Schultern und korrigierte: „Vielleicht sollte ich sagen, er hat sich scheiden lassen. Die Papiere kamen eine Weile, nachdem er gegangen war. Was Kinder anbelangt – ich bin das Einzige. Der Typ braucht also keine Angst zu haben, dass er eine Brut vorlauter Gören an den Hals bekommt. Es geht nur um sie und mich, und wir beide werden ihm sicher keinen Ärger machen.“

Ty senkte den Blick, als er die vielsagenden Äußerungen des Jungen hörte. „Das glaube ich auch.“ Armer kleiner Kerl. Ob er wohl wusste, dass herauszuhören war, wie verzweifelt er Ersatz für den Mann suchte, den er nicht Vater, sondern nur „Lonnie“ nannte?

„Okay. Die nächste Frage?“

Ty nahm sich die zweite Seite vor. „Wie sieht ihr Idealpartner aus? Hast du davon eine Vorstellung?“

„Ein Cowboy.“

„Wie bitte?“

„Oder ein Rancher.“

„Wieso das?“

„Alles andere hat sie schon durchprobiert.“

„Durchprobiert?“

„Ja, ich meine Wohnorte und so.“

Ty tippte mit dem Stift auf das Formular. Es war das „und so“, was ihm nicht gefiel. Meinte Hutch es so, wie es klang? Hatte seine Mutter auf der Suche nach dem perfekten Partner die verschiedensten Männer durchprobiert? Ty presste die Lippen zusammen. Irgendwie gefiel ihm diese Vorstellung gar nicht, besonders nachdem er Cassidy Lonigans bezauberndes Lächeln und die Spur Verletzlichkeit, die aus ihren schönen grauen Augen sprach, gesehen hatte. „Kommt ihr viel herum?“

„Müssen wir ja. Zuerst waren wir Lonnie auf den Fersen, und jetzt sucht Mom das ideale Heim für uns.“

Passend zum perfekten Partner? „Hat es aber noch nicht gefunden.“

„Nein. Deswegen habe ich ja beschlossen zu helfen. Auf ihre Art klappt das nämlich nie.“

„Und du glaubst, auf deine klappt es?“

„Ihr benützt doch den Computer, der da steht, oder?“ Als Ty bejahte, nickte Hutch zufrieden. „Dann klappt es auch. Willst du noch mehr wissen?“

„Gibt es etwas, das sie überhaupt nicht ausstehen kann?“

„April Mae.“

„Wie bitte?“

„Das ist das Mädchen, mit dem Lonnie davongelaufen ist. Er musste warten, bis sie mit der Highschool fertig war, bevor er uns verlassen konnte, und das brachte Mom zur Weißglut. Der Mann, den ihr aussucht, erwähnt den Namen aber besser nicht, sonst rastet Mom am Ende noch aus.“

„Kann ich mir vorstellen.“

„War’s das? Sind wir fertig?“

„Nicht ganz.“ Ty rieb sich das Kinn. Es gefiel ihm nicht, dass er dem Jungen diese Fragen stellen musste, denn was nun kam, war noch viel vertraulicher. „Jetzt kommt der schwierige Teil.“

„Soll das ein Witz sein? Willst du damit sagen, dass die Fragen bis jetzt einfach waren?“

Ty lächelte mitfühlend. „Ja, ab jetzt wird es etwas intimer, fürchte ich.“

„Noch intimer? Du meinst, Fragen nach … nach …“ Das Gesicht des Jungen drückte blanke Abscheu aus. „Auf keinen Fall! Das ist ja ekelhaft. Meine Mom tut so etwas nicht.“

Einmal zumindest muss sie es getan haben, dachte Ty, denn der Beweis dafür saß schließlich vor ihm, aber zu dem Jungen sagte er es natürlich nicht. Hutch war ein heller Kopf und würde früher oder später selbst draufkommen. „Weißt du, es wäre viel leichter, wenn deine Mom diese Antworten selbst geben würde. Bring sie doch an ihrem Geburtstag her …“

„Nein! Das macht sie nie, wenn …“ Hutch wurde rot.

„Wenn sie weiß, was du im Sinn hast?“ Ty wurde es etwas mulmig. Ärger war genau das, was seine Großmutter jetzt brauchte. Noch mehr Ärger. Er schob die Vase mit der einzelnen gelben Rose beiseite und beugte sich über den Schreibtisch. „Schau, Hutch, wenn sie sich nicht das wünscht, warum willst du es ihr dann schenken?“

„Kann ja sein, dass sie es sich nicht wünscht, aber sie bekommt es trotzdem“, beharrte Hutch.

„Da wird sie sich sicher freuen“, sagte Ty trocken, und der Junge errötete. „Sieh den Tatsachen ins Auge, Junge. Wenn du die Fragen nicht beantworten kannst, kann ich den Computer nicht mit den Antworten füttern. Einer muss sie beantworten. Wenn nicht du, dann sie.“

Hutch schnitt ein Gesicht. „O Mann, das ist vielleicht ein Mist. Was sind es denn für Fragen?“

„Stärken, Schwächen, Interessen, Hobbys“, las Ty vor. „Und dann soll sie sich noch beschreiben.“

Hutch dachte mit finsterer Miene nach und seufzte schließlich. „Okay. Kann man dein Telefon stumm beziehungsweise auf Mithören schalten?“

Ty sah nach. „Sowohl als auch.“

„Prima. Darf ich es benutzen?“

Ty schob ihm den Apparat hin. „Bedien dich.“

Hutch hob ab und wählte. „Hallo, Mom. Hast du einen Moment Zeit?“ Er horchte. „Oh, prima. Ich stelle das Telefon jetzt auf Laut hören, wenn es dir recht ist.“

Hutch drückte auf einen Knopf, und eine Stimme süßer als ein Pfirsich aus Georgia erfüllte den Raum. „ … Herzblatt, was soll ich dagegen haben?“

„Du sollst mich nicht immer Herzblatt nennen!“

„Entschuldige, Herz – Hutch. Was gibt’s eigentlich? Wo bist du?“

„Ich bin bei einem Freund und brauche deine Hilfe. Ich arbeite an einem wissenschaftlichen Projekt für die Schule und …“

„Bei einem Freund?“, fragte sie, und es war nicht zu überhören, wie aufregend sie das fand. „Kenne ich ihn?“

„Nein, du kennst ihn nicht. Wegen des Projekts …“

„Wie heißt er?“

Hutch stieß hörbar den Atem aus. „Ty Merrick. Mom, hör jetzt zu. Es ist wichtig.“

„Tut mir leid, Herz – Hutch. Was kann ich für dich tun?“

„Wir machen eine Persönlichkeitsanalyse für dieses Experiment, und ich brauche von dir einige Antworten.“

„Oh.“ Nach einer kleinen Pause fragte seine Mutter: „Kann man später erkennen, dass die Antworten von mir stammen?“

„Alles wird vertraulich behandelt“, flüsterte Ty Hutch zu.

„Bist du das Ty? Meine Güte! Du klingst ja wie ein Erwachsener.“

Hutch erklärte schnell: „In meiner Klasse sind doch alle viel älter als ich. Ty ist – er ist echt groß.“

„Oje! War ich unhöflich? Tut mir leid, Ty. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“

Sein Name klang aus ihrem Mund wie ein warmes, sanftes Seufzen. Viel weicher sprach sie ihn aus, als es in Texas üblich war. Vielleicht war der Vergleich mit dem Pfirsich aus Georgia ja gar nicht so weit hergeholt. Ty verspürte plötzlich den Wunsch, diese langbeinige, braunhaarige Neunundzwanzigjährige zu treffen, um festzustellen, ob ihm der Blick aus ihren grauen Augen genauso unter die Haut ging wie der Klang ihrer Stimme.

Offenbar hatte er zu lange mit einer Antwort gewartet, denn sie sagte: „Ich habe dich wirklich verlegen gemacht. O Ty, das war wirklich nicht meine Absicht.“

„Sie haben mich nicht verlegen gemacht“, versicherte er ihr und bemühte sich, jünger zu klingen. „Ich habe nur versucht, Ihren Akzent einzuordnen.“

„Oh.“ Man konnte hören, wie sie strahlte. „Ich komme aus dem tiefen Süden – Georgia.“

Hutch mischte sich ein. „Mom, können wir dir jetzt endlich die Fragen stellen?“

„Klar. Schieß los, Süßer.“

„Gut. Ich schalte das Telefon kurz stumm und suche mit Ty die relevanten Fragen heraus.“

Sie lachte. „Darf ich dabei nicht mithören?“

„Nein. Das könnte das Ergebnis verfälschen.“

Sie lachte wieder, und diesmal klang ihr Lachen noch voller und erinnerte an eine Knospe, die aufsprang, um die ganze Pracht der Blüte zu entfalten. Ty konnte nicht fassen, welche Wirkung dieses Lachen auf ihn hatte. „Das darf natürlich nicht sein. Also, sucht die Fragen aus. Ich warte.“

„Danke, Mom.“ Hutch schaltete das Telefon stumm und sah Ty mit gerunzelter Stirn an. „Du hättest es fast verraten.“

„Ich täusche Menschen nicht gern, und ein zweites Mal lasse ich mich von dir nicht in deine Lügen verstricken. Hast du verstanden?“

Hutch nickte beschämt. „Ja, Ty. Tut mir leid.“

„Gut. Dann bringen wir es hinter uns.“ Er warf Hutch eine Liste mit Charakterzügen hin. „Lies ihr die Liste vor, und sie soll sagen, was auf sie zutrifft.“

Hutch drückte auf einen Knopf. „Bist du noch da, Mom?“

„Klar doch.“

„Fein. Ich lese dir jetzt eine Liste mit Persönlichkeitsmerkmalen vor, und du sagst mir, welche auf dich zutreffen. Verstanden?“

„Ich glaube schon.“ Aus ihrem amüsierten Unterton schloss Ty, sie war daran gewöhnt, dass ihr Sohn seinen Altersgenossen in Auffassungsgabe und Ausdruck voraus war. Sobald Hutch die Liste heruntergerasselt hatte, sagte sie: „Gefühlvoll und zärtlich bin ich – und verschmust.“

„Sehr verschmust“, korrigierte Hutch.

„Außerdem halte ich mich für extrovertiert. Ich mag Jobs, bei denen ich Kontakt mit Menschen habe. Und ziemlich selbstbewusst bin ich auch. Ich mache immer das, was ich für das Beste halte, egal, was andere Leute davon halten.“ Sie zögerte. „Was trifft noch zu? Ich glaube, abenteuerlustig kann man mich auch nennen, da wir so viel herumziehen. Aber romantisch auf keinen Fall.“

„Oh, Mom! Und was ist mit deinen Schaumbad-Orgien bei Kerzenlicht?“

„Die genieße ich, aber sie sind nicht romantisch. Romantisch wären sie, wenn ein Mann dabei wäre, aber darauf kann ich verzichten.“

Ty warf Hutch einen verstimmten Blick zu. Offensichtlich war diese Frau von ihrem Ex aller Illusionen beraubt worden. Dass sie an den Diensten, die Yellow Rose offerierte, interessiert war, war mehr als unwahrscheinlich. Pech gehabt. Was, zum Teufel, sollten sie den Reportern bloß sagen, wenn Cassidy nicht mitmachte? „Lass mich nicht vergessen, dir den Hals umzudrehen, wenn wir hier fertig sind“, raunte er dem Jungen zu.

Außer einem leichten Erröten deutete nichts darauf hin, dass Hutch verstanden hatte. „Weiter, Mom. Trifft sonst noch etwas zu?“

„Ja … Ich bin tolerant, praktisch veranlagt …“

„Du doch nicht!“

„Aber ja, Hutch. Wie kommst du darauf, dass ich es nicht bin?“

Hutch tippte sich an die Stirn. „Wenn du praktisch veranlagt wärst, hättest du Lonnie verklagt, als er unser ganzes Geld genommen und sich mit April Mae in deinem nagelneuen Pick-up davongemacht hat. Sie ist nicht praktisch veranlagt“, wiederholte er, an Ty gewandt. Sonst würde er schließlich nicht hier sitzen, um einen Partner für sie zu finden, drückte sein Tonfall aus.

„Natürlich wünschte ich, dein Daddy hätte das nicht getan“, räumte sie bedrückt ein. „Für sich eingenommen hat er dich damit sicher nicht.“

Cassidys nüchterne Feststellung ging Ty durch und durch, und er wusste, dass er diese Geschichte schnell hinter sich bringen musste, wollte er nicht einen Narren fressen an einer honigsüßen Stimme und einer zehnjährigen Intelligenzbestie. Er schaltete das Telefon stumm. „Mach weiter, Junge, und hör auf, die Antworten zu kommentieren. Stell eine Frage, lass sie beantworten, und geh zur nächsten. Okay?“

„Okay“, sagte Hutch kleinlaut. „Aber weißt du … Wehgetan hat nicht, dass er weggelaufen ist, sondern was er als Letztes gesagt hat. Er hat seitdem nicht mehr angerufen und …“ Der Junge wirkte, als würde er gleich die Fassung verlieren. „Er hat Mom zum Weinen gebracht. Der nächste Mann, den sie heiratet, wird das nicht tun. Der wird sie zum Lachen bringen.“

Ty war voll Mitgefühl für den Jungen. Das Kind wollte einfach, dass seine Mutter glücklich war. „Schau, Hutch“, sagte er, „glücklich wird man nicht automatisch durchs Heiraten. Glück muss man erst in sich selbst finden, und dann kann man es mit anderen teilen. Manchmal durch Heirat. Und manchmal durch Freundschaft.“

Hutch verschränkte die Arme vor der Brust. „Du klingst wie meine Mom.“

Das überraschte ihn nicht, denn Cassidy klang durchaus vernünftig. „Vielleicht solltest du auf sie hören.“

„Vielleicht“, murmelte der Junge. „Was ist die nächste Frage?“

Ty überflog die Seite. Verdammt. „Die nächsten Fragen stelle ich ihr lieber selbst, wenn du nichts dagegen hast.“

„In Ordnung.“

„Und du unterbrichst uns nicht?“

„Nicht, solange sie alles richtig beantwortet“, meinte Hutch und zuckte die Schultern.

Ty verkniff sich eine Erwiderung und schaltete auf Mithören. „Ms Lonigan?“

„Ich bin noch da, Ty.“ Zu seiner Erleichterung klang sie wieder frisch und munter.

„Die nächsten Fragen werden etwas persönlicher. Beantworten Sie sie einfach so gut Sie können.

„Nur zu.“

„Wie verbringen Sie am liebsten den Abend?“, fragte Ty und war seltsam gespannt auf die Antwort.

„Das ist einfach“, erwiderte Cassidy. „Ich verbringe ihn in einem schönen heißen Schaumbad mit vielen Duftkerzen, die Hutch so hasst und Stinkekerzen nennt. Oh! Und mit einem guten Buch.“

In Tys Vorstellung verschmolzen die Antwort und das Foto, das er gesehen hatte, zu einem lebhaften Bild. Er sah Schaumflocken auf heller seidiger Haut und auf dem Kopf aufgetürmtes dunkles Haar, aus dem feuchte Strähnen ein apartes Gesicht umspielten. Große graue Auge, in denen der Schalk blitzte, lugten aus dem Schaumgebirge in der Wanne. Kerzenlicht tanzte mit der sachten Bewegung des Wassers und malte auf ihre Schultern geheimnisvolle Muster, die die Reinheit ihrer Haut noch betonten. Er wischte eine Schaumflocke von ihrer Nasenspitze, bevor er sich hinabbeugte und …“

„War das alles?“, erkundigte sich Cassidy.

Aufgeschreckt blickte Ty auf den Fragebogen. Konzentrier dich gefälligst aufs Geschäft, Junge! „Noch nicht ganz. Welche Stärken und Schwächen haben Sie?“

„Oh, jetzt geht’s aber ans Eingemachte.“ Sie lachte. „Nun, ich würde sagen, ich kann hart arbeiten.“ Das muss sie wohl, dachte Ty. „Und was die Schwächen anbelangt …“

„Du bist zu großzügig“, mischte Hutch sich ein.

„Das ist keine Schwäche, mein Süßer.“ Sie seufzte. „Um ehrlich zu sein, ich glaube, ich bin einfach zu stolz. Ich will für mich und Hutch selbst aufkommen, damit ich nie wieder von irgendjemand abhängig sein muss. Was immer wir zwei brauchen, ich will es aus eigener Kraft schaffen.“

Ty dachte über ihre Antwort nach. Zweifellos hatte ihr Ex mit dieser Einstellung ziemlich viel zu tun. Irgendwie erinnerte Cassidy ihn an Willie – eine starke, entschlossene Frau, voll Leidenschaft und Energie. Er lächelte. Ja, diese Frau hätte Texanerin sein können! „Nächste Frage. Was gehört für Sie zu einem gelungenen Rendezvous?“

„Du meine Güte!“ Sie klang etwas verunsichert. „Ihr habt gesagt, die Fragen sind für ein wissenschaftliches Projekt?“

„Ja“, mischte sich Hutch schnell ein. „Ich erkläre es dir später.“

„Nun – zu einem Rendezvous gehören für mich Essen und gelbe Rosen.“ Das Lachen, das aus dem Lautsprecher drang, brachte in Ty eine Saite zum Klingen. „Wenn ich etwas Gutes zum Essen bekomme, bin ich glücklich.“

„Und was ist mit den gelben Rosen?“

„Ich mag sie. Sie sind für mich … Ausdruck von Hoffnung.“

„Sie hat ein Faible dafür“, flüsterte Hutch. „Deshalb habe ich mich auch für diese Agentur entschieden.“

„Verstehe“, sagte Ty leise.

„Hört zu, Jungs, ich muss zur Arbeit. Dauert es noch lange?“

„Nur noch eine Frage. Welche Ziele haben Sie?“

„Meinen Sohn so gut wie möglich aufzuziehen“, antwortete Cassidy wie aus der Pistole geschossen. „Ich spare auf ein Häuschen mit Garten, wo ich gelbe Rose pflanzen kann. Auf ein Heim, wo wir endlich Wurzeln schlagen können.“

Ty verstand ihren Wunsch nur zu gut. Seine Familie war in der Gegend von San Antonio seit Generationen verwurzelt. Das Heim, das jetzt ihm gehörte, hatte vor ihm seinem Vater und davor dessen Vater gehört. Eine lange Linie von Merricks reichte in die Vergangenheit zurück, und Geschichte und Erbe der Familie waren fest und untrennbar mit texanischer Erde verwurzelt. „Wurzeln sind eine gute Sache“, stimmte er zu.

„Freut mich, dass du das auch so siehst, Ty. Ja, das ist mein Ziel. Ich will ein Heim haben, meine Rosen und – und das ist das Wichtigste – meine Familie um mich herum. Mehr will und brauche ich nicht.“

„Auch keinen Ehemann?“

„Wie kommst du denn auf so einen Gedanken, Ty? Ein Mann ist das Letzte, was ich mir wünsche!“

Obwohl er mit einer derartigen Antwort hätte rechnen können, traf sie Ty wie ein Hammer, und es dauerte etwas, bis er sie verdaut hatte. „Keine Ahnung“, sagte er schließlich und hätte den Jungen am liebsten dafür erwürgt, dass er ihn in so etwas hineingezogen hatte. „Danke, Ms Lonigan, dass Sie sich so viel Zeit für uns genommen haben.“

„Gern geschehen, Ty. Hutch? Wann kommst du nach Hause?“

„Spätestens zum Abendessen bin ich daheim, Mom.“ Er klang etwas nervös, was seiner Mutter glücklicherweise aber entging.

„Fein, und bring Ty ruhig mit, wenn du möchtest.“

Cassidy hatte aufgelegt, und Ty beugte sich zu dem Jungen. „Auf keinen Fall einen Ehemann?“, fragte er bedrohlich leise. „Auf keinen Fall?“

Hutch machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist nur ein momentaner Fimmel. Sie ist zurzeit anscheinend auf dem Unabhängigkeits-Trip. Darum kümmere ich mich schon.“ Er warf einen Blick auf den ausgefüllten Fragebogen. „Du hast ja die letzte Frage gar nicht gestellt!“

„Stimmt. Nachdem ein Mann das Letzte ist, was sich deine Mutter wünscht, habe ich mir die geschenkt. Der Vollständigkeit halber kannst du sie ja beantworten.“

„Und wie lautet sie?“

„Was erwarten Sie von einer Beziehung?“

„Wie ist das gemeint?“

„Gemeint ist, was deine Mutter von einem Mann will, wenn Sie sich mit ihm trifft.“

„Oh, das ist ganz einfach.“ Hutch strahlte. „Es ist ihr zwar nicht bewusst, aber sie will einen Ehering.“

PROJEKT EHEMANN

von Hutch Lonigan

Fortschrittsbericht

„Der Schrank“ war etwas ungehalten. Hat gesagt, ich verheimliche ihm etwas und soll das bleiben lassen. Er hat ja recht! Aber wie soll ich sonst zu einem Dad kommen? Egal, er hat versprochen, bis morgen einen Mann für Mom zum Geburtstag parat zu haben. Hoffentlich sucht der Computer einen guten aus, denn eine zweite Chance habe ich vielleicht nicht. Schulmäßig muss ich die Sache auch noch auf die Reihe bekommen und vielleicht auf Plan B zurückgreifen. Ich hoffe nicht. Aber es geht um Mom! Und da sie sich nicht selbst darum kümmert, muss es eben jemand anders tun.

Sieht aus, als wäre ich das.

2. KAPITEL

Checkliste

1. Mom zu Yellow Rose bringen, ohne dass sie weiß, worum es geht.

2. Den Computer zaubern lassen.

3. Partnervorschlag prüfen und sich vergewissern, dass der Typ keine Niete ist.

4. Mom überzeugen mitzuziehen. (Wenn Wünsche doch etwas Wissenschaftliches an sich hätten!)

Cassidy rechnete zum vierten Mal nach, aber es änderte nichts. Das Guthaben auf ihrem Girokonto war einfach zu klein, um die laufenden Kosten zu decken. Was sollte sie bloß tun? Krampfhaft hielt sie den Bleistiftstummel fest, den ihr Chef Freddie weggeworfen hatte. Welch eine Verschwendung!

Eine dunkelbraune Haarsträhne fiel ihr über die Augen, und sie schob sie sich mit bebender Hand aus dem Gesicht. Verdammt! Warum hatte sie aber auch keine Locken, sondern so glattes Haar, das sich nicht mal von einem Gummiband halten ließ? Locken konnte man viel leichter zusammenbinden, Locken konnte man … Schluss damit, befahl sie sich. Hör auf, deine Zeit mit so einem Blödsinn zu verschwenden, und konzentrier dich auf die echten Probleme. Echte Probleme hatte sie wahrlich genug.

Missmutig betrachtete sie wieder den Kontoauszug. Die letzte Rate für Hutchs Computer musste unbedingt bezahlt werden. Der Computer war seine Zukunft. Und wenn sie mit Mrs Walters sprach und ihr ein paar Blumen mitbrachte, würde die Vermieterin die Miete vielleicht noch einige Tage stunden.

Was war sonst noch fällig? Strom. Dafür musste sie auch etwas abzweigen, denn ohne Strom lief der Computer nicht. Was noch? Essen. Ihre Miene erhellte sich etwas. Vielleicht gab Freddie ihr ja Reste aus dem Restaurant mit. Und die Sonderausgaben konnte sie auch noch streichen. Kein Pulverkaffee mehr, kein Stück Kuchen. Und das Loch in ihrem Turnschuh würde sie kleben. Krank durfte sie einfach nicht werden. Okay, so müsste sie eigentlich über die Runden kommen.

„Alles in Ordnung, Mom?“

Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Alles bestens, Schatz. Warum?“

„Deine Augen haben wieder diese komische Farbe.“

„Komische Farbe?“

„Wie Blei.“ Er warf einen Blick auf die Kontoauszüge. „Was ist los?“

„Nichts. Alles in Butter.“

„Das glaube ich nicht, denn ich sehe es dir an, wenn etwas nicht stimmt. Wenn du lachst, glänzen deine Augen wie Silber, aber wenn du traurig bist, sehen sie aus wie Blei“, erklärte er. „Also, was ist los?“

„Oh.“ Verflixt. „Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

Lächle! Befahl sie sich, denk an etwas Schönes. Sie dachte daran, wie Hutch sie gleich nach der Geburt aus großen blauen Augen angesehen hatte. In diesem Moment hatte sie gewusst, dass sie alles für ihn tun, jedes Opfer für ihn bringen würde. Er war der Lichtblick in Monaten voller Angst und Verzweiflung gewesen, und der bloße Gedanke an ihn löste Cassidys Anspannung.

Sie lächelte. „Besser so?“

„Ja! Jetzt sind sie wieder silbrig.“

„Vielleicht war das Licht schuld“, sagte sie augenzwinkernd.

„Vermutlich.“ Er stieß mit der Fußspitze gegen das Tischbein. „Dass du morgen ein paar Stunden freinehmen musst, damit ich dich zu deiner Geburtstagsüberraschung bringen kann, hast du nicht vergessen, oder?“

Cassidy zog die Stirn kraus. „Ich weiß nicht, Hutch …“

„Du hast es versprochen, Mom. Bitte.“

„Und versprochen ist versprochen“, seufzte sie. „Okay, Herzblatt. Ich werde mit Freddie reden.“ Und mit Mrs Walters. Und mit all den anderen, die Geld bekamen. Sie werden alle Verständnis haben. Cassidy atmete tief durch. Sie mussten Verständnis haben.

„Er wünscht sich einen Vater.“

Willie nickte. „Das ist doch verständlich, Ty.“

Ty stieß sich von der Säule ab und blickte seine Großmutter an, die auf der Verandaschaukel saß. „Aus Hutchs Sicht schon, aber seine Mutter sieht das, glaube ich, anders. Sie klang, als ob sie die Nase von Männern gestrichen voll hätte.“ Was noch untertrieben war. „Was ist, wenn sie Ärger macht, weil wir den Jungen bei seinem Plan unterstützt haben?“

„Hat sie wie eine Querulantin geklungen?“

Ty runzelte die Stirn. Nein. Cassidy Lonigan hatte wie eine warmherzige Frau geklungen, die voller Hingabe für ihren Sohn war – eine Frau, die überglücklich schien, dass Hutch einen Freund hatte. Einen Freund, den sie spontan zum Essen eingeladen hatte. „Sie wird sich mit dem Mann treffen, den der Computer ihr aussucht. Sie wird es zwar nicht gern tun, aber für ihren Jungen tut sie es.“

„Na, siehst du. Dann ist das Problem doch gelöst.“

„Ist es nicht, Willie.“ Er fragte sich, warum er sich so für die Lonigan-Geschichte engagierte. Auf der Ranch wartete doch genug Arbeit auf ihn. Schöne, körperlich anstrengende Arbeit, die keinen Raum ließ für Gedanken an Pfirsiche aus Georgia und zehnjährige Intelligenzbestien. Aber Willie hatte ihn aufgezogen, und er schuldete ihr mehr, als er je zurückzahlen konnte. Dass er in ihre Firma investiert hatte und im Geschäft von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sah, war ein kleines Zeichen seiner Anerkennung und Wertschätzung. „Hältst du es für klug, das Kind in seinem Vorhaben zu unterstützen, wenn die Mutter offensichtlich kein Interesse hat?“

„Vielleicht entdeckt sie bei uns ja den Mann ihrer Träume“, erwiderte Willie lächelnd und setzte die Schaukel in Bewegung.

„Du hast dir wohl Wandas rosarote Brille ausgeliehen.“

Willie drohte mit dem Finger. „Auf Wanda lasse ich nichts kommen. Sie ist meine beste Mitarbeiterin.“

„Darüber lässt sich streiten.“

„Nur weil sie romantisch ist …“

„Das ist nicht das Einzige, was ich an ihr auszusetzen habe, und das weißt du genau.“

Die alte Dame überhörte die Bemerkung einfach. „In unserer Familie gab es schließlich auch romantische Begebenheiten.“

„Fang nicht wieder davon an“, warnte er sie.

„Wie kann man nur so nüchtern sein wie du!“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Glaubst du, ich hätte dir von ‚dem Kuss‘ erzählt, wenn ich nicht daran glauben würde? Wofür hältst du mich eigentlich? Für eine tatterige alte Irre?“

„Genau.“ Er setzte sich zu seiner Großmutter und legte den Arm um sie. „Bald werden sie mit der Zwangsjacke kommen und dich in eine Gummizelle stecken“, zog er sie auf die humorvolle Art auf, die er vom Edenzweig der Familie geerbt hatte.

Willie schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Nun hör aber auf. Ich meine es ernst. Dass du die richtige Frau noch nicht geküsst hast, heißt noch lange nicht, dass es sie nicht gibt.“

„Nicht schon wieder diese Story!“, stöhnte Ty. „Wann hörst du endlich auf damit?“

„Nie! Es war bei deinen Eltern so, und bei mir und deinem Großvater war es ebenso. Und bei seinem Vater und Großvater auch.“

„Du bist unverbesserlich.“ Lachend schüttelte Ty den Kopf. „Ein Kuss, und ich weiß alles.“

„Zumindest, ob es die wahre Liebe ist.“ Sie nickte bekräftigend. „So ist es, mein Lieber, auch wenn es bei dir offenbar etwas länger dauert als beim Rest der Sippe.“

„Nun lass mich mal aus dem Spiel“, bat Ty. „Eigentlich wollten wir doch über Cassidy Lonigans Liebesleben sprechen.“ Bevor seine Großmutter etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Schnüffelt diese Reporterin eigentlich immer noch herum?“

„Sie war fasziniert von Hutch. Und besonders fasziniert war sie davon, dass wir ihm für nur knappe zehn Dollar einen Partnervorschlag machen.“

„Hoffentlich hält sie es nicht für einen Werbegag“, gab Ty zu bedenken. „Sonst müsste ich ein ernstes Wörtchen mit ihr reden.“

„Das hat Maria schon getan“, beruhigte Willie ihren Enkel.

„Gut, aber …“ Das Thema ließ ihm keine Ruhe. „Will diese Dame jetzt verfolgen, was bei den Partnervorschlägen, die Yellow Rose macht, herauskommt?“

„Sieht so aus.“

„Und wenn nichts herauskommt? Wenn Cassidy die Kandidaten ablehnt, die der Computer aussucht?“

„Darüber können wir uns Gedanken machen, wenn es so weit ist.“

Irgendetwas am Tonfall seiner Großmutter gefiel Ty nicht. Sie klang fast … selbstgefällig. „Wenn wir uns gleich Gedanken machen, sind wir gewappnet, falls es nicht läuft wie gewünscht.“

„O Ty, wie kann man nur so pessimistisch sein!“

„Ich bin realistisch. Cassidy Lonigan hat mit der Ehe schlechte Erfahrungen gemacht, und die Beziehungen danach waren – laut Hutch – auch Pleiten. Also hat er die Sache in die Hand genommen, was aber noch lange keine Erfolgsgarantie ist.“

„Hör doch auf mit deiner Logik“, schimpfte Willie. „Du denkst immer nur mit dem Kopf …“

„Womit denn sonst?“

„Mit dem Herzen zum Beispiel“, schlug die alte Dame vor. „Cassidys Herz ist es schließlich, für das wir einen Partner finden sollen. Und du willst uns nicht einmal die Chance dazu geben …“

„Wahrscheinlich würde ich euch ja machen lassen, wenn nicht letzten Monat schon etwas schiefgelaufen wäre.“

„Letzten Monat?“ Willie spielte die Unwissende.

„Ja, die Sache mit Wanda und George.“

„Wanda und George?“

„Nun tu nicht so. Du weißt ganz genau, dass Wanda ihren Klienten Partner vermittelt hat, ohne dass der Computer überhaupt angeschlossen war“, erinnerte er sie und fügte kopfschüttelnd hinzu: „Wenn jemand seinen Computer schon George nennt!“

„Und wenn schon. Wandas Erfolgsquote ist phänomenal.“

„Toll, wenn man davon absieht, dass die Agentur Yellow Rose mit computergestützter Partnervermittlung wirbt.“

„Haarspaltereien. Hauptsache, unsere Vorschläge führen vor den Traualtar.“ Willie wischte den Einwand mit einer Handbewegung weg. „Wie kommst du eigentlich auf den Gedanken, dass es bei Cassidy anders sein sollte?“

Ty erinnerte sich an das Telefonat mit Cassidy, und ihre Stimme und der etwas schleppende, fast heisere Tonfall, der ihre Herkunft aus dem tiefen Süden verriet, klangen ihm im Ohr, als hätte sie eben erst aufgelegt. „Weil sie eine Heidenangst hat, glaube ich.“

„Dann müssen wir eben aufpassen, dass wir einen Mann aussuchen, der sie möglichst sanft einbricht.“

Ty verzog den Mund. „Du sprichst nicht von einem Pferd, sondern von einer Frau!“

„Stimmt.“ Willie nickte. „Irgendwie erinnert sie mich aber an eine junge Stute, für die ihr erster Reiter ein Horror-Erlebnis war. Unsere Aufgabe ist es nun, dafür zu sorgen, dass das nächste Erlebnis ein angenehmes wird.“

„Falsch.“

„Falsch?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Wieso, junger Mann?“

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Dafür zu sorgen ist dein Job, nicht unserer.“

Willie lächelte nur. „Abwarten.“

„Vorsicht, Mom. Nicht spitzen!“

„Oh, Hutch, ich werde noch stolpern. Ist die Augenbinde wirklich nötig?“

„Es soll eine Überraschung sein, und wenn du spitzt, wird es keine.“

Cassidy lachte. „Ich verspreche, dass ich nicht spitze, aber du musst mich führen. Wenn ich hinfalle und mir ein Bein breche, tauge ich nicht mehr als Bedienung.“ Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als sich ihre Füße verhedderten und sie fast gestürzt wäre. „Verdammt!“

„Sachte, sachte.“ Hutch tätschelte ihren Arm. „Und jetzt bleib einen Moment stehen, bis ich das Tor aufgemacht habe.“

„Das Tor?“

Sie versuchte, unter der Augenbinde hervor einen Blick auf ihre Umgebung zu werfen, aber Hutch – gewissenhaft wie immer – hatte das große Tuch so sorgfältig gebunden, dass es unmöglich war. Cassidy wollte ihm die Überraschung ja nicht verderben, aber sie hatte die verflixte Binde nun schon um, seit sie einige Straßen weiter aus dem Bus gestiegen waren. Um nicht einen weiteren Stolperer zu riskieren und ihre einsdreiundsiebzig der Länge nach auf den Gehsteig zu legen, blieb sie gehorsam stehen, versuchte aber durch Naserümpfen das Tuch etwas hochzuschieben.

„Vergiss es, Mom. Das Tuch sitzt fest.“

„Herzblatt, du spannst mich ganz schön auf die Folter.“ Sie seufzte. „Wo sind wir hier?“

„Bei deinem Geburtstagsgeschenk. Komm jetzt, gib mir die Hand. Hier sind einige Stufen. Ja, gut so. Eine noch, dann sind wir am Eingang.“

„Wessen Haus ist das?“ Cassidy wurde von einer für sie untypischen Nervosität ergriffen.

„Wird nicht verraten. Bleib einfach stehen, bis ich die Tür aufgemacht habe.“

„Wir können einfach reingehen?“ Ihre Unruhe wuchs.

„Ja. Man kennt mich hier.“ Er führte sie hinein. „Du wartest hier neben den Rosen, während ich zu Miss Willie gehe.“

Cassidy hörte, wie Hutch sich entfernte und von einer tiefen, fast grollenden Stimme angesprochen wurde, die ihr bekannt vorkam. Wem gehörte diese Stimme? Einem Gast? Einem Nachbarn? Einem Lehrer? Anstatt auf Hutch zu warten, machte sie zögernd einen Schritt auf die Stimme zu und stolperte prompt. Starke Arme fingen sie auf – definitiv nicht Hutchs Arme. Der Mann stellte sie sicher auf die Füße, wobei sich die Augenbinde an einem seiner Hemdenknöpfe verfing und etwas verrutschte. Durch den Spalt erhaschte Cassidy einen verlockenden Blick.

Der Mann war beeindruckend groß – breitschultrig, kraftvoll, wie für die Ewigkeit gemacht. Sowohl seine Oberarme, auf denen Cassidys Hände ruhten, als auch seine Brust, an der sie sich quasi die Nase platt drückte, waren muskulös. Cassidy beugte den Kopf etwas zurück und schnupperte. Ein sauberer, fast erdiger, durch und durch männlicher Duft stieg ihr in die Nase. Angenehm.

Ganz so gut wie Hutchs Dad sieht er nicht aus, stellte Cassidy fest. Andererseits, Lonnies tolles Äußeres hatte nur über nicht vorhandene innere Stärken hinweggetäuscht. Er war ein Kind gewesen, als sie sich kennengelernt, und immer noch Kind, als sie sich getrennt hatten. Dieser Mann hier war wirklich ein Mann.

Sie sah hoch und wurde von einem Blick aus den faszinierendsten grünen Augen getroffen, die sie je gesehen hatte. Er schien bis in ihr Innerstes zu gehen, als suchte er nach dem Schlüssel zu ihrem Ich, das sie sicher unter Verschluss hielt.

Gefährlich, warnte eine innere Stimme sie, auf die sie eigentlich nicht mehr hören wollte, und Cassidy reagierte sofort. Sie reagierte sogar so heftig, dass sie fast wieder gestrauchelt wäre, als sie sich von dem Mann losriss. „Oh! Sagen Sie Hutch nicht, dass ich etwas gesehen habe!“, wisperte sie und rückte schnell die Augenbinde zurecht.

Um möglichst viel Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, machte sie noch schnell einen Schritt rückwärts und stolperte. Sofort schloss sich seine kräftige Hand fest um ihren Arm.

„Sind Sie okay?“, fragte er.

Gefährlich, warnte die Stimme etwas lauter.

„Halt den Mund“, stieß sie kaum hörbar hervor.

Sie wollte auf diese superschlaue Stimme einfach nicht mehr hören, denn Gutes war dabei nie herausgekommen. Zuerst hatte sie ihr zugeredet, mit Lonnie ins Bett zu gehen, und am Ende auch noch geraten, mit April Mae um diesen Hallodri zu kämpfen. Nachdem sie auch diesen katastrophalen Rat befolgt hatte, war ihr klar geworden, dass ihre innere Stimme wohl nicht so weise war wie die anderer Menschen, und hatte beschlossen, sie künftig zu ignorieren – was leider nicht immer funktionierte.

„Wie bitte?“, fragte ihr Gegenüber.

„Oh. Verzeihung. Ich habe nicht Sie gemeint. Ich habe mit mir gesprochen.“

„Tun Sie das oft?“

„Nein“, schwindelte sie. „Es war nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, wie sie jeder mal mit sich hat.“ Sie machte eine ausholende Armbewegung, wie um eine riesige Menschenmenge anzudeuten. Ihr Handrücken traf mit einem Klatschen auf Widerstand. Sie seufzte. Wann würde sie endlich lernen, ihre diversen Körperteile unter Kontrolle zu halten? „Das waren Sie, nicht wahr?“

„Ja. Das war ich.“

„Tut mir leid. Manchmal vergesse ich, dass meine Arme und Beine länger sind, als sie sich anfühlen.“ Sie zog die Augenbinde ein Stückchen herunter und betrachtete die gerötete Wange des Mannes. „Wissen Sie, ich wollte immer klein und zierlich sein, und deshalb glaubt mein Kopf, dass die Reichweite meines Arms nur sechsundfünzig Zentimeter beträgt, dabei sind es …“ Sein ungläubiger Gesichtsausdruck brachte sie zum Schweigen.

„Oh, bitte“, sagte er, „sprechen Sie ruhig weiter.“

Cassidy seufzte. Warum nur sahen die Leute sie immer an wie eine Verrückte, wenn sie das erklärte? Viele Menschen hatten ein gestörtes Verhältnis zum Körper und waren deshalb oft etwas tollpatschig – „etwas“, war in ihrem Fall allerdings leicht untertrieben. Sie räusperte sich. „Ich vergaß, dass meine Reichweite vierundsechzig statt sechsundfünfzig beträgt. Diese acht Zentimeter waren es, die Sie getroffen haben.“

„Verstehe. Wenn das so ist, werde ich mich wohl besser davon fernhalten.“

Cassidy unterstellte automatisch, dass er sich nicht nur von ihren Armen, sondern von ihrer ganzen Person fernhalten wollte. „Kann nicht schaden“, meinte sie und zog das Tuch wieder über die Augen. „Hutch?“, rief sie. „Wo bist du, mein Herzblatt?“

„Hier bin ich, Mom“, antwortete er und fügte, offenbar an den Mann gewandt, hinzu: „Bring sie rein. Willie hat den Computer startklar gemacht.“

„Was geht hier vor?“, wollte sie wissen.

„Entspannen Sie sich, Ms Lonigan.“

Wahrscheinlich befürchtete er, sie könnte sich verspannen und wieder um sich schlagen.

„Ich bin entspannt“, versicherte sie ihm. „Aber wissen, was hier vor sich geht, würde ich trotzdem gern.“

„Hutch hat sich große Mühe gegeben, um diese Überraschung für Sie zu arrangieren. Sie wollen sie doch hoffentlich nicht kaputtmachen?“

Es klang wie eine Warnung, und plötzlich glaubte Cassidy zu wissen, wo sie diese Stimme schon einmal gehört hatte. „Ty?“

„Zu Ihren Diensten.“

Oh, verdammt. „Ich – ich dachte, Sie seien ein Freund von Hutch.“

„Bin ich.“

Verdammt, verdammt. „Aber er hat gesagt … Ich dachte …“

„Dass ich ein Kind bin. Tut mir leid.“

Sie spürte seine Hände am Hinterkopf und widerstand der Versuchung, Reißaus zu nehmen vor ihren lächerlichen Ängsten und vor allem vor der kaum erklärbaren Anziehungskraft, die dieser Mann auf sie ausübte. Sie schnupperte. Vielleicht war es sein Duft, der sie so anzog, denn viel mehr Attraktives gab es an ihm eigentlich nicht. Nun ja, seine Größe natürlich und die interessante Augenfarbe. Oh! Und seine Stimme. Cassidy hatte eine Schwäche für tiefe, volle Stimmen. „Was machen Sie denn da?“

„Die brauchen wir jetzt nicht mehr.“ Er nahm ihr die Augenbinde ab.

Und nun sah sie ihn, der doch ein Junge hätte sein sollen, zum ersten Mal mit völlig ungehindertem Blick. Mann war er. Durch und durch männlich. Beunruhigend männlich. Und ausgerechnet dieser Mann wusste mehr von ihr und ihrem Leben als irgendein anderer, den sie kannte.

„Überraschung, Mom!“, rief Hutch. „Alles Gute zum Geburtstag!“

Erleichtert wandte sie sich ihrem Sohn zu. „Was hast du denn Schönes für mich?“

Erst jetzt bemerkte sie, dass außer Ty und Hutch noch andere Personen mit ihr im Raum waren. Neben Hutch stand eine gepflegte weißhaarige Dame, die eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Ty hatte, und etwas abseits standen ein Mann und eine Frau, die das Geschehen mit fast lauernden Blicken beobachteten.

Die weißhaarige Dame reichte Cassidy die Hand. „Willkommen, Ms Lonigan. Ich bin Willie Eden, die Besitzerin der Agentur Yellow Rose. Ihr Sohn hat Ihnen unsere Dienste als Geburtstagsgeschenk gekauft.“

„Welche Dienste?“ Cassidy schwante Böses.

„Wir sind eine Partnervermittlungsagentur.“

Verdammt. Sie tat, als wäre sie entzückt, und hoffte, ihr Lächeln würde Hutch über ihr Entsetzen hinwegtäuschen. „Welch reizende Überraschung!“

Ty zwinkerte ihr zu. Gut gemacht.

Ein greller Blitz ließ sie erschrocken die Augen zusammenkneifen.

„Lächeln“, raunte Ty ihr zu. „Das sind Reporter.“

„Wer ist auf diese Idee gekommen?“, flüsterte sie.

„Ihr Sohn.“

Das änderte alles. Ihr Lächeln wurde liebevoll, als sie Hutch umarmte. „Ich danke dir, mein Süßer.“

„Du hast doch nichts dagegen, Mom?“

„Aber nein“, log sie und zauste ihm das blonde Haar. „Wie bist du bloß auf so einen tollen Einfall gekommen?“

„Ich habe die Annonce in der Zeitung gesehen. Yellow Rose, verstehst du? Du liebst doch gelbe Rosen so, und außerdem arbeiten sie mit Computern.“

Das erklärte bei Hutchs Hang zur Wissenschaft alles. „Mit Computern arbeiten sie?“

„Ja, das ist eine todsichere Sache. Miss Willie füttert den Computer jetzt mit deinem Persönlichkeitsprofil, und dann werden wir sehen, wen er dir als Partner vorschlägt.“

„Sind Sie bereit?“, fragte die alte Dame.

Cassidy glaubte, Mitgefühl aus Willies Stimme herauszuhören, und Ty nickte ihr aufmunternd zu. Dass sie alles andere als begeistert war, hatte offenbar nur Hutch nicht bemerkt. „Packen wir’s an.“

Willie ging zum Computer und drückte auf verschiedene Tasten, und nur eine Minute später spuckte der Laserdrucker das erste Blatt aus. „Du meine Güte! Seht nur! Er hat einen Vorschlag mit 99-prozentiger Übereinstimmung gemacht. Das ist beim ersten Versuch noch nie passiert.“

„Wer ist es?“, wollte Hutch wissen. „Ist er der Beste, den Sie haben?“

„Mit dieser hohen Übereinstimmung kann es nur ein exzellenter Kandidat sein. Noch besser geht es ja kaum“, meinte Willie.

„Ich weiß nicht recht.“ Hutch war skeptisch. „Das fehlende Prozent könnte problematisch werden.“

Das nächste Blatt kam aus dem Drucker. „So, jetzt bekommen wir den Namen. Der Glückliche heißt …“ Willie riss entsetzt die Augen auf. „O nein!“

Neugierig kam das Reporterteam näher. „Wie heißt er?“ Die Frau riss Willie das Blatt aus der Hand und runzelte die Stirn. „Ty Merrick. Moment. Den Namen kenne ich doch …“ Ihre Nase zuckte wie bei einem Jagdhund, der Witterung aufnahm. „Klar!“, rief die Frau dann und deutete auf Ty. „Das sind doch Sie!“

„Willie! Was, zum Teufel, hast du getan?“ Ty nahm der Reporterin das Blatt ab. „Das kann doch nur ein Irrtum sein!“

Nun nahm Cassidy – sicher, dass es sich um einen Computerfehler handelte – das Blatt Ty ab und überflog es. Danach las sie es noch zwei Mal genauer, aber das Ergebnis blieb dasselbe: Ty Merrick, Rancher aus Texas, war mit 99 Prozent Übereinstimmung der ideale Partner für Cassidy Lonigan, Kellnerin. Dass das wirklich so sein sollte, konnte sie sich zwar nicht vorstellen, aber sie hielt die Meinung des Computers schwarz auf weiß in Händen.

„Das muss ein Irrtum sein“, wiederholte Ty. „Ich bin in dem verdammten Computer doch nicht mal drin.“

Willie räusperte sich. „Ich fürchte, doch, Ty. Wir haben dich als Testkandidaten benutzt und vermutlich vergessen, dich wieder herauszunehmen.“

„Na gut, dann bekommt Ms Lonigan eben den Kandidaten mit der zweithöchsten Übereinstimmung.“

„Da gibt es keinen. Normalerweise schlägt der Computer drei oder vier Kandidaten mit einer ähnlich hohen Prozentzahl vor, aber diesmal war es nur einer. Du.“

Hutch grinste. „Alles Gute, Mom. Ich habe dir ihn gekauft.“ Er deutete auf Ty. „Er ist dein Geschenk.“

„Super! Toll! Ich freue mich ja so!“, log sie, ohne rot zu werden, und klopfte sich in Gedanken für ihre schauspielerische Leistung auf die Schulter.

Ty ging zu seiner Großmutter und nahm sie beim Arm. „Entschuldigen Sie uns einen Moment“, sagte er zu den anderen und an Willie gewandt: „Willie, ich muss mit dir reden.“

„Hat das nicht Zeit?“ Für eine Frau, die nichts so leicht aus der Ruhe brachte, wirkte Willie ziemlich nervös.

„Nein.“ Er schob sie in die entfernteste Ecke des Büros und sagte, sobald sie außer Hörweite der Reporter waren: „So, und jetzt erklär mir bitte, wie der Computer dazu kommt, mich vorzuschlagen.“

„Habe ich doch schon“, erwiderte Wille fast trotzig. „Wir haben deine Daten für einen Testlauf eingegeben, als wir das neue Programm bekamen. Ich habe gedacht, sie seien längst wieder gelöscht.“

„Sind sie aber nicht.“

„Stimmt.“

„Gut. Dann löschst du sie jetzt.“ Zum ersten Mal in seinem ganzen Leben sah er Willie erröten und konnte es kaum glauben. Zuerst nervös und dann auch noch rot … Irgendetwas war hier faul, und er würde herausfinden, was. „Willie …“

„Ich kann deine Daten nicht löschen.“

„Dann holst du eben einen Experten, der es kann.“

Sie wischte den Vorschlag mit einer Handbewegung beiseite. „Man muss doch nur auf eine bestimmte Taste drücken.“

„Dann drück sie.“

„Das würde ich ja …“ Sie seufzte. „Ty, die Reporterin hat es doch gesehen. Sie weiß, dass du der ideale Kandidat für Cassidy bist, und einen anderen Vorschlag hat der Computer diesmal nicht gemacht.“

Ty hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. „Und warum nicht?“

„Keine Ahnung. Es ist eben so, und ändern kann ich daran auch nichts.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn fordernd an. „Du musst mit dieser Frau ausgehen.“

„Und wenn ich mich weigere?“

„Gut fürs Geschäft wäre es sicher nicht“, meinte Willie. „Vor allem nicht nach der Sache mit Wanda.“

Hätte es sich nicht um seine Großmutter gehandelt, hätte Ty Willies Ansinnen schroff abgelehnt, aber dazu empfand er zu viel Achtung für die Frau, die ihn aufgezogen hatte und der er so viel verdankte. „Was müsste ich tun?“

„Einige Male mit ihr ausgehen.“

„Wie oft?“

„Bis ihr Kind zufrieden ist.“

„Das kann dauern, Willie. So schnell, glaube ich, gibt sich dieser Junge nämlich nicht mit etwas zufrieden.“

„Vielleicht mag sie dich ja nicht“, meinte seine Großmutter und zuckte die Schultern. „Dann bist du fein raus.“

„Aber du nicht. Was passiert, wenn sie mich wirklich nicht mag?“

Willie lächelte. „Hältst du das für wahrscheinlich?“

„Möglich ist alles.“

„Richtig. Vielleicht geht ja die Sonne auch mal im Westen auf und im Osten unter.“

„Das kannst du vergessen, altes Mädchen“, erwiderte er lachend, wurde aber sofort wieder ernst. „Willie, ich bin an einer Frau wie Cassidy Lonigan nicht interessiert und glaube, dass die ganze Sache nur negativ ausgehen kann – für Cassidy, für Hutch und auch für dein Geschäft. Ich will keine Hoffnungen wecken, die ich dann enttäuschen muss.“

„Eine Möglichkeit hast du bis jetzt völlig außer Acht gelassen.“

„Und die wäre?“

„Sie könnte die Frau sein, auf die du all die Jahre gewartet hast.“

Ty schüttelte den Kopf. „Da bekommst du eher deinen Sonnenaufgang im Westen, meine Gute.“

„Du brauchst sie nur zu küssen, und schon weißt du Bescheid.“

„Klar, Willie. Wenn du es sagst.“

Er versuchte, den Gedanken an die großen grauen Augen zu verscheuchen, die von wütendem bleigrau zu strahlendem Silbergrau wechseln konnten, und an das dunkelbraune fast schwarze Haar, das wie ein Heiligenschein das reizendste Gesicht umrahmte, das er je gesehen hatte. Und an die langen Arme und Beine, die wie gemacht dafür schienen, einen Mann zu umfangen, wenn sie ihn nicht gerade traten oder schlugen. Wie würde es sein, Cassidy Lonigan zu küssen? War ihr Kuss süß wie ihre Stimme? Oder schmerzhaft wie ihr Handrücken?

„Tust du es?“, drängte seine Großmutter. „Führst du sie aus?“

Für Willie tat er doch alles. „Okay, ich gehe mit ihr aus, aber du lässt ihr Profil noch einmal durchlaufen und checkst, ob es nicht doch noch andere Kandidaten gibt. Das Kind will einen Vater, und ich möchte, dass es einen bekommt.“

„Mr Merrick?“, rief die Reporterin. „Dürfen wir ein Foto von Ihnen und Ms Lonigan machen?“

„Lieber nicht“, wehrte Cassidy ab.

„Ohne Ihre Genehmigung drucken wir das Bild natürlich nicht“, versicherte die Reporterin. „Aber wir waren so fasziniert von der Idee Ihres Sohnes, dass wir dachten, das gäbe eine tolle Story für unsere Leser.“

„Gefällt dir mein Geschenk nicht?“, fragte Hutch verunsichert. „Ich habe ihn doch ganz allein für dich gekauft.“

Es war das erste Mal, dass Ty an Hutch eine Spur Verletzlichkeit entdeckte. Er ging zu Cassidy, legte den Arm um sie und zog sie an sich. „Hutch, deine Mom ist begeistert. Sie ist nur noch etwas überrascht.“

Cassidy machte sich in seinem Arm steif. „Sehr sogar.“

„Entspannen Sie sich“, raunte er ihr zu. „Der arme Junge hat seine ganzen Ersparnisse für Sie ausgegeben, da wollen Sie ihn doch nicht enttäuschen, oder?“

Der Appell an ihre Muttergefühle war angekommen. Ihre grauen Augen wurden eine Nuance dunkler, und Cassidy senkte die Lider, um ihre Stimmung zu verbergen. „Herzblatt, ich freue mich wirklich. Ein schöneres Geschenk kann ich mir gar nicht vorstellen.“

Ein Blitzlicht erhellte den Raum. „Und jetzt noch einen Kuss“, schlug der Reporter vor.

Ty blickte auf Cassidy hinab. Sie hatte die Lippen vor Entsetzen geöffnet, und er musste das plötzliche Verlangen unterdrücken herauszufinden, ob sie so süß schmeckten, wie sie aussahen. Stocksteif stand sie da, und ihr ganzer Körper drückte aus, dass ein Kuss eine schlechte Idee war – eine sehr schlechte sogar. Und gerade das forderte Ty heraus.

Er beugte sich hinunter, und für den Bruchteil einer Sekunde berührte er mit den Lippen Cassidys zarten Mund. Er legte die Hand auf ihre Wange und wollte mehr von diesem köstlichen Gefühl erspüren, doch bevor er dazu kam, riss sie sich los und bedeckte ihren Mund mit der Hand, als wollte sie Ty den Zugang zum Paradies versperren.

Mit einem Laut des Unmuts griff er nach ihr und wollte sie wieder in seine Arme reißen, doch ihr wütender Gesichtsausdruck ließ ihn zur Besinnung kommen. Was, zum Teufel, hatte er da bloß getan? Noch nie hatte er so die Kontrolle über sich verloren, noch nie sich einer Frau aufgedrängt. Noch nie aber war er auch so stimuliert gewesen von einem simplen – Kuss.

Verdammt. War das möglich? War an Willies lächerlicher Legende am Ende wirklich etwas dran? Das herauszufinden, gab es nur einen Weg. „Das müssen wir unbedingt noch einmal probieren“, flüsterte er so leise, dass nur Cassidy es hören konnte.

Cassidys Antwort war ein ebenso leises Zischen. „Vergessen Sie’s.“

„Sieht ganz so aus, als hätten wir wieder eine erfolgreiche Vermittlung zu verbuchen“, rief Willie und strahlte zufrieden.

„Wenn man von dem einen Prozent absieht“, erwiderte Cassidy, ohne den Feind – Ty – aus den Augen zu lassen. „Das macht mir schon etwas Sorge.“

Äußerlich war Ty völlig entspannt, während in ihm sich der uralte männliche Jagdinstinkt rührte. Lauf nur davon, Süße, lauf, solange du noch kannst. „Mir nicht“, meinte er lächelnd und beschloss, nicht mehr von ihr zu lassen, bis er sie ein zweites Mal geküsst hatte. Abhängig vom Ergebnis, würde er sie danach laufen lassen – falls sie es noch wollte – oder sie für immer festhalten.

Als Cassidy mit Hutch im Bus heimfuhr, blickte sie bedrückt auf den lebhaften Verkehr San Antonios. Was sollte sie bloß tun? Ihr süßer, wunderbarer Sohn hatte einen ganz miesen Trick angewandt und ihr ausgerechnet das gekauft, was sie am allerwenigsten wollte – einen Mann. Und er hatte es so eingefädelt, dass sie seine Überraschung nicht zurückweisen konnte, ohne ihn zu verletzen. Clever! Nicht einmal umtauschen konnte sie das „Geschenk“, solange der Computer eine 99-prozentige Übereinstimmung sah.

Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm gewesen, wenn Hutch ihr einen anderen Mann gekauft hätte. Einen ungefährlichen. Einen, den sie unter Kontrolle halten konnte. Hatte er ihr ausgerechnet statt eines kleinen Schmusekaters einen ausgehungerten Löwen kaufen müssen?

Cassidy runzelte die Stirn. Ja, Ty erinnerte sie wirklich an einen Löwen. Das blonde Haar mit den etwas dunkleren Strähnen, die grünen Augen und dazu die kräftigen Muskeln … Sogar seine Bewegungen waren raubtierhaft – geschmeidig und kraftvoll. Und erst sein Kuss!

Ihre Lippen prickelten, und sie berührte sie mit den Fingerspitzen.

Wann sie zuletzt geküsst worden war, erinnerte sie sich gar nicht mehr, doch eines wusste sie: In Panik wie ein ängstliches Schulmädchen war sie damals nicht geraten. Im Übrigen, ein ängstliches Schulmädchen war sie sowieso nie gewesen. Wäre sie allerdings eines gewesen … Ihr Blick glitt zu Hutch. Hätte sie ihr Leben anders gelebt, hätte sie ihn nicht gehabt. Ihn aber liebte sie über alles, und für ihn tat sie auch alles.

Cassidy schloss die Augen und schickte sich ins Unvermeidliche. Alles. Sogar mit einem hungrigen Löwen ausgehen.

Ty stand auf der Veranda des Yellow-Rose-Hauses und blickte gedankenverloren auf die Straße. Wie nur sollte er eine Frau, die nicht an die Liebe glaubte, davon überzeugen, dass es diese nicht nur gab, sondern dass man sie sogar beim ersten Kuss finden konnte? Wie nur?

Willie gesellte sich zu ihm. „Es ist passiert, Junge, nicht wahr?“

„Ich bin kein Junge mehr.“

„Weich nicht aus. Ist sie die eine? Habe ich recht gehabt?“

Ihm fiel auf, dass seine Großmutter nicht wie üblich auf der Schaukel Platz nahm, sondern im Schatten stehen blieb. Sie hielt sich kerzengerade wie immer, aber ihre verkrampften Finger ließen auf innere Anspannung schließen und bekräftigten Tys Verdacht. „Hat der Computer uns wirklich füreinander ausgesucht?“

„Ja.“

„Aber du wusstest schon vorher, zu welchem Ergebnis er kommen würde.“ Ihr Schweigen war Antwort genug. Er seufzte. „Hast du die Daten manipuliert, altes Mädchen?“

„Nein.“

„War ich wirklich ein Testkandidat?“

Wieder ein langes, beredtes Schweigen. „Sagen wir so … Wanda hat vorgeschlagen, dass ich die Löschung deines Profils rückgängig mache.“

Ty konnte nicht anders, er musste lachen. „Sie war schon immer besser als der verdammte Computer, wenn es darum ging, Leute zusammenzubringen.“

„Diesmal widerspricht sie dem Computer sogar.“

Fragend sah Ty seine Großmutter an. „Und warum?“

„Sie sagt, der Computer hat sich geirrt. Es sei keine 99-prozentige Übereinstimmung.“ Willie lächelte selbstgefällig. „Es ist ein Volltreffer – 100 Prozent!“

Fortschrittsbericht

Die Ergebnisse sind nicht ganz erwartungsgemäß. Sieht aus, als käme nur „der Schrank“ infrage. Weiß nicht, ob das funktioniert, denn Mom mag Ty nicht. (Er sie aber schon!) Da ich keine Wahl habe, mache ich mit meinem Plan weiter und warte ab, was nach ihrem ersten Rendezvous passiert. Wenn es nicht gut läuft, muss ich eben auf Plan B zurückgreifen.

3. KAPITEL

Countdown für 1. Experiment

Ty hat angerufen. Er kommt heute vorbei. Es geht um Moms Profil. Habe kein gutes Gefühl. Ich glaube, sie soll sich das Formular noch einmal durchsehen, und falls sie etwas ändert, lassen sie es noch einmal durch den Computer laufen. Aber wenn sie das tun, bekomme ich es vielleicht mit einem anderen Mann zu tun und … Nun, um ehrlich zu sein, irgendwie mag ich Ty. Ich glaube nicht, dass er so ein Typ ist, der Mom sitzen lassen würde, wenn es mal hart auf hart kommt. Wenn ich also ihn als zukünftigen Vater möchte, muss ich vielleicht einen Weg finden, um das Ergebnis zu manipulieren, falls sie den Computer wirklich noch einmal mit Moms Daten füttern. Vielleicht wäre ja ein kurzes Telefonat angebracht …

Ty sah Cassidy sofort, als er das kleine Restaurant betrat. Sie stand vor einem Tisch und wollte gerade ein riesiges, voll beladenes Tablett abstellen, als sie mitten in der Bewegung innehielt. Ihr Kopf fuhr herum, ihr Blick irrte durch den Raum und landete schließlich auf ihm. Sie hat gefühlt, dass ich gekommen bin, stellte Ty fest und fand es gut.

Wie sich herausstellte, war es gar nicht gut. Da Cassidy auf Ty und nicht auf das Tablett blickte, kam dessen Ladung ins Rutschen. „Aufpassen, Cassidy!“, rief Ty, als er die drohende Gefahr erkannte, und verwünschte sich dafür, dass er sie in einem so kritischen Moment überrascht hatte, wo er doch wusste, dass die Koordination ihrer Glieder nicht ihre starke Seite war.

Cassidy versuchte noch, das Tablett wieder waagerecht zu bekommen, doch es war zu spät. Teller mit einem fettigen Tex-Mex-Burger, Pommes frites und Krautsalat wetteiferten mit einem Becher randvoll mit Tee darum, wer zuerst auf dem Gast landen würde. Der Burger gewann. Im Flug löste sich die obere Brötchenhälfte, die untere machte mitsamt dem Belag einen Salto und landete, Soße nach unten, auf dem Schoß des Gastes.

„O nein!“ Cassidy stellte das nun leere Tablett ab und wollte den Gast schon von dem Burger befreien, verkniff sich dann aber doch den Griff zwischen die Beine des Mannes. „Es tut mir schrecklich leid.“

Der Gast starrte einen Moment ungläubig auf seinen Schoß und sprang dann mit einem Schmerzensschrei auf. „Das brennt!“, schrie er und schüttelte den heißen Burger ab, der, begleitet von tropfender Soße, auf den Boden fiel. Unter einer Perücke aus Krautsalat hervor funkelte der Gast Cassidy wütend an. „Haben Sie nicht gehört? Das brennt! Tun Sie doch etwas!“

Cassidy schnappte sich vom Tablett einer anderen Bedienung einen Krug mit Eiswasser und schüttete dieses in Richtung des Fettflecks auf der Hose des Mannes. Wie Geschosse trafen die Eiswürfel den Mann vom Kinn bis zu den Knien.

Ty verzog das Gesicht. Au! Das hatte sicher wehgetan.

„Besser so?“, fragte sie. „Brennt es immer noch?“

„Besser? Besser?“ Wütend wollte der Mann sich auf Cassidy stürzen, doch es zog ihm die Füße weg, als er auf den Burger stieg, und er fiel rücklings hin, mitten hinein in das Sammelsurium aus Essen, Geschirr und Besteck, das in einer Lache Tee am Boden schwamm.

Obwohl es eigentlich nicht zum Lachen war, konnte sich Ty ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, als er zusah, wie der von oben bis unten besudelte Mann sich mühsam aufrappelte.

Als der Gast mit hochrotem Gesicht endlich wieder auf den Beinen war, packte er das Tablett, schleuderte es in Cassidys Richtung und schrie: „Ich bring dich um, du blöde Kuh!“

Oh. Schluss mit lustig. Ty wartete keine Sekunde länger. Er spurtete zu den beiden hin und stellte sich schützend vor Cassidy. „Ruhig Blut, mein Freund. Es war ein Missgeschick, und die Dame hat sich bei Ihnen entschuldigt.“

„Gehen Sie mir aus dem Weg, und mischen Sie sich nicht ein, wenn ich mit diesem Trampel etwas zu klären habe!“

Um seiner Wut Ausdruck zu geben, trat der Gast nach einer Tellerscherbe, rutschte dabei auf einer Zitronenscheibe aus und landete ein zweites Mal, diesmal bäuchlings, auf dem Boden. Ty schüttelte über so viel Ungeschick den Kopf.

„Wenn Sie etwas zu klären haben“, empfahl er dem Mann, „klären Sie es mit mir.“ Cassidy tippte ihm auf die Schulter, und er wusste, dass sie sich gleich einmischen würde.

„Ty, das ist nicht Ihr Problem.“ Sie zupfte an seinem Hemd. „Ich komme schon zurecht. Ich habe Erfahrung mit solchen Situationen.“

Autor

Victoria Pade
Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...
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