Vampirzähmen leicht gemacht

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Vampire? Gibt‘s nicht. Davon ist Dr. Leah Chin überzeugt. Bis auf der Party von Romatech Industries plötzlich ein umwerfend attraktiver Untoter in einem Kilt vor ihr steht. Dougal Kincaid und seine Artgenossen brauchen dringend ihre Hilfe als Wissenschaftlerin. Aber wie soll sie Wesen trauen, die überhaupt nicht existieren dürften - selbst wenn einer von ihnen ihr sonst so vernünftiges Herz völlig aus dem Takt bringt?

"Ich kann das nächste Buch aus der Reihe gar nicht erwarten!”

SPIEGEL-ONLINE-Bestsellerautorin Lynsay Sands


  • Erscheinungstag 09.01.2017
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499807
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kerrelyn Sparks

Vampirzähmen leicht gemacht

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Bianca Andreasen

MIRA® TASCHENBUCH

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MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Vampire with the Dragon Tattoo

Copyright © 2013 by Kerrelyn Sparks

erschienen bei: Avon Books, New York

Published by arrangement with

Avon Books, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Titelabbildung: Romantic Novel Covers

ISBN 978-3-95649-980-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Danksagung

Ich kann kaum glauben, dass dies das vierzehnte Buch der „Love at Stake“-Reihe ist!

Als ich Roman Draganesti 2005 erstmals kennenlernte, hätte ich mir nie träumen lassen, dass diese Reihe so lange andauern würde. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, denen ich danken möchte. Zuerst meinem Ehemann und meinen Kindern für ihre Liebe und ihren Zuspruch. Dann meinen Kritikpartnern MJ, Sandy und Vicky. Jedes Buch steht für eine so lange Reise, und es hilft enorm zu wissen, dass ich nicht allein bin, wenn ich mich kontinuierlich ins Unbekannte vorkämpfe.

Auf beruflicher Ebene bin ich unheimlich dankbar für die großartige Unterstützung meiner Agentin Michelle Grajkowski, meiner Lektorin Erika Tsang und ihrer Assistentin Chelsey. Mein Dank geht an all die Fachleute bei HarperCollins, insbesondere Pam, Caroline und Jessie von der Presseabteilung sowie an Tom von der Grafikagentur, der sich mit dem neuesten Cover selbst übertroffen hat.

Mein persönlicher Dank geht an Susan Chao, die mir beigebracht hat, „Gun bei!“ zu sagen. Danke auch an den Friseur Wilson im Etheria Salon and Spa in Houston, der meine Inspiration für den Vampirstylisten beim Digital Vampire Network war.

Und zu guter Letzt geht mein tiefster Dank an alle Leser und Buchhändler da draußen, die mir dabei geholfen haben, dass die „Love at Stake“-Reihe schon vierzehn Bücher umfasst. Danke, dass ihr meinen Vampiren und Gestaltwandlern ein solch langes und glückliches Leben ermöglicht!

1. Kapitel

Dougal Kincaid war nicht in Partystimmung.

Sein Magen rumorte, als er den Festsaal bei Romatech Industries betrat. Zu viele Leute. Das Stimmengewirr schmerzte in seinen Ohren und allein der Gedanke an den sinnlosen Small Talk grauste ihn. Jahrhundertelang hatte er Situationen wie diese gemieden, indem er Dudelsack gespielt hatte. Aber diese Zeiten waren vorbei. Was ihm wiederum nur eine Möglichkeit ließ, um diese Nacht zu überleben.

Blissky.

Hoffentlich konnte die Mischung aus synthetischem Blut und Whisky seine untoten Sinne abtöten, bevor man ihn mit denselben Fragen konfrontieren konnte, die er schon in den letzten vier Jahren zu hören bekommen hatte. Wie geht’s der neuen Prothese? Kannst du noch immer ein Schwert führen? Wirst du wieder Dudelsack spielen können?

Er hatte eine viel bessere Frage: Wie schnell konnte er sich betrinken? Mit diesem Vorsatz steuerte er das Getränkebuffet an.

Sie meinen es nur gut, sagte er sich. Nur auf diese Weise konnten sie ihm ihre Sorge zeigen. Das war besser, als niemanden zu haben, der sich sorgte. Aber, verdammt, er hatte seine Hand verloren und nicht seinen Stolz. Ein Mann war mehr als nur seine Hände. Mehr als nur seine Musik? Seine Brust zog sich angesichts des vertrauten Schmerzes, der ihn bei diesem Gedanken durchfuhr, krampfhaft zusammen. Ohne Musik fühlte er sich halbleer, fehlte ein Teil seiner Seele. Und die Hälfte, die ihm geblieben war, war nur noch eine traurige Melodie des Bedauerns.

Auf dem ersten Buffettisch stapelten sich Snacks für Menschen, also ging er weiter.

„Hey, Mann, wie geht’s?“ Phineas schlug ihm auf den Rücken. „Sag meiner Kleinen Hallo.“

Dougal warf einen Blick auf das Kind in Phineas’ Armen. Vor sechs Monaten hatte Phins Frau Brynley Zwillinge zur Welt gebracht. Angesichts des gerüschten pinken Kleids musste dies das Mädchen sein.

„Hallo.“ Dougal registrierte die seltsame Pause, die darauf folgte. Wurde von ihm erwartet, dass er mehr sagte? Er durchforstete sein Gehirn nach dem Namen des kleinen Mädchens. Gwyneth. So hieß sie. Und Benjamin war der Junge. Abgekürzt wurden sie Gwyn und Ben gerufen, was sich auf die Spitznamen ihrer Eltern, Phin und Bryn, reimte.

Sein Magen rebellierte. „Hallo, Gwyn.“

Das kleine Mädchen quietschte so laut, dass Dougal zusammenzuckte.

„Sie mag dich.“ Phineas strahlte sie stolz an. „Ist sie nicht wunderschön?“

„Ist sie.“ Nach einer weiteren Pause ging Dougal davon aus, dass weitere Komplimente nötig waren. „Schönes … Kleid.“

„Ja, ihre Mom liebt es, für die Kleine einzukaufen.“ Phineas lächelte ihn an. „Und, Kumpel? Wie geht’s der Hand?“

Er biss die Zähne zusammen. „Welcher?“

Phineas lachte. „Touché, Bro. Na, ich sollte mal besser gehen und nach Bryn sehen. Ben hat vorhin eine Bombe in seiner Windel hochgehen lassen.“

Danke für die Info. Dougal schlenderte zum nächsten Buffettisch. Darum hatten sich Sterbliche und Wandler versammelt, hauptsächlich Frauen und Kinder, die die riesige fünfstöckige Torte bestaunten. Wo zum Teufel war der Blissky?

„Hey, Dougal. Kennst du schon meine Tara Jean?“

Es war Ian MacPhie, der ein anderes Kind mit sich herumtrug. Diesmal wusste Dougal, was er sagen sollte. „Sie ist wunderschön. Hübsches Kleid.“

„Danke.“ Ian betrachtete ihn bekümmert. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie du den Dudelsack auf meinem Junggesellenabschied gespielt hast. Ich vermisse das.“

Innerlich zuckte Dougal zusammen. Sie meinen es gut.

„Wie macht sich die schicke neue Hand?“, wollte Ian wissen.

Und es geht wieder los. „Na, wenn du schon fragst … Sie besteht aus einer Legierung aus reinstem Titan, das so hart ist, dass es für Raumschiffe und U-Boote verwendet wird. Gib mir drei Sekunden und ich bohre sie in deinen Brustkorb und reiße dir dein verdammtes Herz heraus.“

Ians Augen weiteten sich. „Oh Mann. Krieg dich wieder ein.“

„Das ist alles, was ich tun kann.“ Dougal hob die rechte Hand und nutzte seine vampirische Gedankenkontrolle, um die Finger zu einer Faust zu ballen. Die Bewegung war geschmeidig, verursachte jedoch eine Reihe von klickenden Lauten. Der superstarke Griff war perfekt, um ein Schwert zu halten, doch der Mangel an manueller Geschicklichkeit erschwerte das Spielen des Dudelsacks. Anders ausgedrückt: Jetzt eignete er sich mehr zum Töten als dazu, Musik zu machen.

Er schluckte seine Frustration hinunter. „Hast du den Blissky gesehen?“

Ian schnaubte. „Das ist eine Geburtstagsfeier für einen Haufen Kinder. Hier gibt es keinen Blissky.“

Kein Blissky?

„Tara ist im September eins geworden“, fuhr Ian fort. „Austins kleines Mädchen hat in ein paar Tagen Geburtstag und Robbys Junge im November. Mit drei Geburtstagen so nahe beieinander dachten wir, dass wir eine große Party schmeißen. Ich bin froh, dass du kommen konntest.“

Als hätte er eine Wahl gehabt. Die Familie Echarpe war hier und als ihr Bodyguard hatte sich Dougal ihnen angeschlossen. „Irgendwo muss es Blissky geben. Das verdammte Zeug wird hier hergestellt.“

Ian schüttelte den Kopf. „Versuch dich zu entspannen und die Party zu genießen.“

„Gibt es Blier?“

Ian zog eine Augenbraue hoch. „Was du brauchst, ist eine gute Frau.“

Ich hatte eine. Und ich habe sie verloren. „Ich brauche einen Drink.“ Dougal marschierte zum letzten Buffettisch. Wie viel hatte er in den letzten Jahrhunderten verloren? Seine erste und einzige Liebe. Seine Freiheit. Seine Familie. Seine Sterblichkeit. Seine Hand. Seine Musik. Machte so viel Verlust ihn zu einem Verlierer?

Sofort schob er diesen Gedanken beiseite. Er hätte nie so lange durchgehalten, wenn er sich einer solchen negativen Einstellung hingegeben hätte. Er war hart im Nehmen. Er kämpfte, egal was kam.

Ich werde dich finden. Egal, was passiert. Selbst wenn es tausend Jahre dauert, werde ich dich finden.

Das alte Versprechen hallte in seinem Schädel nach und erinnerte ihn daran, dass er den einzigen Menschen, der ihm alles bedeutet hatte, im Stich gelassen hatte. Er ließ seinen Blick durch den Festsaal wandern und registrierte all die glücklich verheirateten Paare. Sie redeten, lachten, bewunderten ihre Babys.

Sein Herz schmerzte in seiner Brust. Der Verlust, den er vor beinahe dreihundert Jahren erlitten hatte, traf ihn erneut, beinahe so, als wäre es erst vor wenigen Momenten passiert.

Er riss eine Flasche Bubbly Blood aus einem Eiskübel und goss die Mischung aus synthetischem Blut und Champagner in eine Sektflöte.

„Auf die besonderen Vampir-Momente“, murmelte er und kippte die Hälfte des Glases hinunter.

Jemand tippte seinen Arm an. Es war Bethany, das älteste Kind der Echarpes. Vor ein paar Jahren, als Heather mit den Zwillingen schwanger gewesen war, hatte Jean-Luc Bethany adoptiert.

Das neunjährige Mädchen warf ihm einen schüchternen, verschämten Blick zu. „Ich habe vergessen, wo die Toiletten sind. Kannst du sie mir zeigen?“

Suchend sah er sich nach Heather um. „Kann deine Mom nicht mit dir gehen?“

„Sie ist mit den Zwillingen beschäftigt und Papa ist in einem wichtigen Meeting mit Onkel Angus und Roman.“

Dougal trank sein restliches Glas aus. Niemand hatte ihn über ein wichtiges Meeting informiert.

„Dougal!“ Bethany starrte ihn verzweifelt an. „Ich muss dorthin!“

„Ich bringe dich hin.“ Er schnappte sich die Flasche Bubbly Blood. „Hier entlang.“

Er führte sie durch die Doppeltür ins Foyer von Romatech und dann den westlichen Korridor hinunter. Auf halbem Wege zum MacKay-Sicherheitsbüro erreichten sie die Toiletten. Bethany ging hinein und er lehnte sich gegen die Wand, trank noch mehr Bubbly Blood und grübelte darüber, was los sein konnte. Angus MacKay, Chef von MacKay Security and Investigation, schickte einen monatlichen Bericht an all seine Angestellten, damit diese informiert blieben. Aber darin hatte er das heutige Meeting mit keinem Wort erwähnt.

Den Berichten zufolge waren die meisten Anhänger nach dem Tod der beiden Malcontent-Anführer Casimir und Corky zurück nach Russland und Osteuropa geflohen. Wann immer die bösen Vampire Ärger machten, sandte Angus ein Sicherheitsteam dorthin.

Master Han war ein weiterer bösartiger Vampir, der seine Armee in China vergrößerte und sein Territorium erweiterte. Drei Vampirlords hatten ihm zur Seite gestanden, aber Russell Hankelburg, ein Mitarbeiter von MacKay S&I, war es gelungen, einen von ihnen zu töten. Das war, bevor er sich seinen Sender herausgerissen und unerlaubt von der Truppe entfernt hatte. Etwa dreimal im Jahr schickte Angus jemanden, um Russell aufzuspüren, aber soweit Dougal wusste, blieb der Ex-Marine verschwunden.

Dougals letzte Mission war vor über einem Jahr in Alaska gewesen, wo er einem Werbär geholfen hatte. Allerdings hatte er diesen Job nur bekommen, weil alle anderen anderweitig im Außendienst und somit beschäftigt gewesen waren.

Er trank einen weiteren Schluck seines Bubbly Bloods und schalt sich in Gedanken selbst. Während die anderen Jungs gegen das Böse kämpften, wartete er auf ein kleines Mädchen, bis es aus der Damentoilette kam. Stell dich den Tatsachen. Sie glauben nicht, dass du mehr draufhast, als den Babysitter zu spielen.

Nach dieser verhängnisvollen Schlacht vor vier Jahren, bei der er seine Hand verloren hatte, war er dankbar gewesen, überhaupt bei MacKay S&I angestellt bleiben zu dürfen. Angus hatte dafür gesorgt, dass er zu Jean-Luc Echarpe nach Texas versetzt wurde, wo er Robby MacKay als Leiter der Sicherheitsabteilung abgelöst hatte. Angesichts der Tatsache, dass Jean-Luc der beste Schwertkämpfer in der Vampirwelt war und problemlos selbst für seine Sicherheit sorgen konnte, war es ein einfacher Job. Aber wenn es darum ging, seine Familie zu beschützen, lehnte Jean-Luc keine Hilfe ab – nicht einmal dann, wenn sie einhändig daherkam.

Auch Jean-Luc verdiente Dougals Dankbarkeit. Trotz seines vollen Terminkalenders hatte er sich die Zeit genommen, Dougal zu zeigen, wie er mit seiner linken Hand fechten konnte. Und als er vor zwei Jahren seine erste Handprothese erhalten hatte, hatte Jean-Luc ihn erneut trainiert.

Jetzt war Dougal dazu in der Lage, mit beiden Händen ein Schwert zu führen – ein seltenes Talent unter den Angestellten von MacKay S&I. Warum arbeitete er dann noch immer als besserer Babysitter? Warum wurde er nicht in den Außendienst versetzt? Die Langeweile war kaum noch auszuhalten. Vielleicht sollte er einfach in Rente gehen.

Und was tun? In seinem Cottage auf der Isle of Skye sitzen und die ganze Nacht aufs Meer hinausstarren? Dort gab es niemanden, kein anderes Geräusch, außer dem klagenden Vogelgezwitscher und den Wellen, die sich an der kalten Steinküste brachen. Eine Nacht folgte der anderen in einem leeren, trostlosen Refrain, der sich bis in alle Ewigkeit zog.

Seine Freunde mochten ihn mit Fragen löchern, die alte Wunden aufrissen, aber wenigstens machten sie sich Gedanken um ihn. Er wurde nicht mit einer Seele zurückgelassen, die zur Hälfte leer war.

Er hob die Flasche, um erneut daraus zu trinken.

„Dougal?“ Angus’ Stimme dröhnte durch den Gang. „Was machst du hier draußen?“

Er schluckte so schnell hinunter, dass seine Augen zu tränen begannen. Angus und seine Frau Emma näherten sich ihm, und ihre Blicke wanderten zwischen ihm und der Flasche Bubbly Blood in seiner Hand hin und her. Verflucht, vermutlich dachten sie, dass er während der Arbeitszeit trank. Na ja, genau genommen tat er das auch.

„Wir haben dich gesucht“, sagte Emma, ihre Augen funkelten amüsiert.

„Aye“, bestätigte Angus. „Wir müssen reden.“ Er deutete auf das Sicherheitsbüro.

„Ich bin gleich da.“ Dougal warf einen Blick auf die Tür der Damentoiletten und spürte, wie seine Wangen warm wurden. „I-ich warte auf Bethany, damit ich sie zurück zur Party begleiten kann.“

Emma lächelte. „Ich kümmere mich um sie. Ihr zwei könnt ruhig gehen.“

Dougal nickte und folgte Angus ins Büro.

Drinnen saß Freemont, der jüngere Bruder von Phineas, hinter dem Schreibtisch und mampfte einen Donut. Als er sie bemerkte, sprang er auf die Beine und salutierte, den Donut noch in der Hand, der daraufhin einige Krümel Puderzucker an seiner Augenbraue hinterließ. „Alles ruhig im Gebäude, Sir. Vor zehn Minuten hat Robby das Gelände überprüft. Die Außenanlagen sind sicher.“

„Gut.“ Angus marschierte durch das Büro. Bei jedem Schritt raschelte der Kilt um seine Knie. „Und unser Gast unten im Haus?“

„Der seltsame Psycho?“ Freemont deutete auf die Wand voller Überwachungsmonitore gegenüber vom Schreibtisch. „Er ist immer noch in Stasis.“

Ein seltsamer Psycho? Dougal starrte auf die Bildschirme. Die Party im Festsaal war in vollem Gang. Draußen auf dem Flur führte Emma gerade Bethany zurück zur Feier. Der Eingangsbereich war leer, genau wie die Cafeteria und Romans Labor. Laszlo war in einem der Labore, und es sah aus, als würde er saubermachen und alles neu ordnen. Keine Aktivitäten auf dem Parkplatz und beim Haupteingang.

In der unteren Monitorreihe entdeckte Dougal etwas Interessantes und lehnte sich vor, um es besser erkennen zu können. Es handelte sich um den Silberraum im Keller, der errichtet worden war, um Vampire festzuhalten. Ein Mann lag auf der Bahre, bewusstlos, seine Arme und Beine mit Haltegurten gefesselt. „Wer ist das?“

„Die bessere Frage wäre, was ist er“, antwortete Angus.

Dougal richtete sich auf. „Er ist kein Vampir?“

Angus schüttelte den Kopf. „Aber auch nicht wirklich menschlich. Wir haben ihn in den Silberraum gesteckt, damit keiner seiner Vampirfreunde sich reinteleportieren und ihn befreien kann. Er ist extrem stark, genau wie wir. Und da er tagsüber ganz normal wach ist, war ich besorgt, er könnte unsere menschlichen Wachen überwältigen. Die einzig sichere Art, ihn festzuhalten, war, ihn in Stasis zu versetzen.“

„Du hättest es sehen sollen!“ Freemonts Augen glitzerten vor Aufregung. „Der Psycho ist so stark, dass drei Vampire ihn festhalten mussten, damit Abby ihm die Injektion geben konnte.“

Dougal grub in seinem Gedächtnis. Er war zu lange aus der Welt gewesen, während er in Texas festsaß. „Abby ist Gregoris Frau?“

„Aye. Die Tochter von Präsident Tucker. Glücklicherweise ist sie auch eine Biochemikerin, die ihren Doktor in Staseforschung gemacht hat.“ Angus klopfte Freemont auf den Rücken. „Du kannst jetzt zur Party gehen.“

„Cool!“ Freemont ging zur Tür und stopfte sich dabei den Rest seines Donuts in den Mund. „Ich glaube, sie schneiden gleich die Torte an.“

Als die Tür hinter ihm zufiel, setzte Angus sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch. „Ich komme gerade von einem Meeting mit Jean-Luc und Roman.“

„Aye.“ Dougal nahm auf einem der Stühle vor dem Tisch Platz und stellte die Flasche Bubbly Blood neben sich auf dem Boden ab.

„Phineas und Austin waren bisher für die Sicherheit hier bei Romatech zuständig“, begann Angus. „Austin will weitermachen, wenn er nicht gerade auf einer Mission ist, aber Phineas möchte eine längere Beurlaubung. Seine Zwillinge und die Ranch in Wyoming spannen ihn ziemlich ein. Außerdem glaube ich, er bevorzugt das Landleben, nun, da er sich jeden Monat verwandeln muss.“

Dougal nickte. Für Phineas musste die Umgewöhnung an sein neues Hybrid-Dasein als Halbvampir und Halbwerwolf schwierig gewesen sein. Zum Glück war seine Frau eine Werwölfin und konnte ihm dabei helfen.

Angus lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Dadurch wird hier eine Stelle frei. Ich habe Robby gefragt, ob er Interesse daran hat, aber er will wieder nach Texas versetzt werden. Die Familie seiner Frau Olivia lebt dort. Sie möchte, dass ihre Großmutter ihr mit dem Kind hilft.“

Das überraschte Dougal nicht. Für menschliche Frauen musste es anstrengend sein, wenn ihre Vampir-Ehemänner den ganzen Tag über tot waren und ihnen nicht mit dem Nachwuchs helfen konnten. „Also wird Robby die Sicherheitsleitung bei Romatech in Texas übernehmen?“

„Er wird sie managen, aber auch für die Sicherheit bei Jean-Luc zuständig sein.“ Angus lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Er kehrt in seinen alten Job zurück.“

Dougal blinzelte. „Du meinst …?“

„Aye. Damit bist du arbeitslos.“

Ich werde entlassen. Dougal sprang auf. „Ich verstehe. Ich dachte daran, in Rente zu gehen …“

„Einen Teufel wirst du tun. Ich brauche dich.“ Angus deutete ihm an, sich wieder hinzusetzen, aber Dougal war zu angespannt, um dem Befehl Folge zu leisten. „Jean-Luc hat mir gesagt, dass du ein Schwert genauso gut mit links wie mit rechts führen kannst.“

„Aye.“

„Er ist der Ansicht, dass deine Talente bei ihm verschwendet werden. Roman und ich sind derselben Meinung. Wie wäre es also, wenn du hier der Sicherheitschef wirst?“

Benommen setzte Dougal sich wieder. „Hier?“

„Aye. Außerdem will ich dich wieder auf die Missionsliste setzen.“ Angus’ Blick fiel auf seine Handprothese und wanderte dann zurück in sein Gesicht. „Kriegst du das hin?“

„Aye.“ Als Angus ihn nur weiterhin anstarrte, entschied Dougal, dass er überzeugender klingen musste. „Ich kriege es hin. Ich will es tun.“

Angus lächelte. „Gut.“ Er deutete auf die Flasche am Boden. „Wie wär’s mit einem Drink, um das zu feiern?“

„Aye.“ Dougal hob die Flasche auf und goss Bubbly Blood in die beiden Kaffeetassen, die Angus von der Anrichte genommen hatte. „Wann soll ich anfangen?“

„Sofort.“ Angus trank einen Schluck aus seiner Tasse.

Dougal warf einen Blick auf den Monitor, der den Silberraum zeigte. „Dann muss ich mehr über den … Gast erfahren. Wer ist er?“

„Wir kennen seinen Namen nicht. Er weigert sich, uns irgendetwas zu sagen und flucht nur auf Chinesisch. J. L. und Rajiv haben ihn vor zwei Wochen hergebracht. Ich habe sie wieder nach China geschickt, um Russell aufzuspüren.“

„Haben sie ihn gefunden?“, fragte Dougal.

„Nein. Aber sie glauben, er hat sie gefunden.“ Angus nippte erneut an seiner Tasse. „Eine Truppe von Master Hans Soldaten hat sie aus dem Hinterhalt überfallen. Sie waren in ernsten Schwierigkeiten, bis ein ganzer Schwarm an Pfeilen die Hälfte der Gegner außer Gefecht gesetzt hat.“

„Russell?“

Angus nickte. „Er muss es gewesen sein, aber als der Kampf vorbei war und sie die Umgebung abgesucht haben, war keine Spur von ihm zu finden.“

Dougal deutete auf den Monitor. „Also ist das einer von Master Hans Soldaten?“

„Aye. Er ist sterblich oder war es zumindest. Jetzt hat er einige der Superkräfte, die wir besitzen. Wir sind nicht sicher, wie Han die Sterblichen verwandelt, aber es hat etwas mit dem Dämon Darafer und den Drogen zu tun, die er erschaffen hat.“

Dougal runzelte die Stirn. Sie hatten schon früher bösartige Vampire besiegt, doch keiner von ihnen hatte sich mit einem Dämon zusammengetan.

„Das Problem an der Jagd auf Russell ist, dass er hofft, Master Han zu töten“, fuhr Angus fort. „Um ihn zu finden, müssen wir also auch nach Master Han suchen.“

„Was ist daran falsch?“, fragte Dougal. „Sollen wir etwa nicht versuchen, den Bastard auszuschalten?“

„Das müssen wir, aye, aber es ist verdammt schwierig, ihn tatsächlich zu finden. Er hat einen Großteil von Südchina, Tibet und den nördlichen Regionen von Thailand und Myanmar eingenommen. Das ist ein riesiges Gebiet. J. L. und Rajiv haben Monate dort verbracht und dreißig Außenposten entdeckt, die alle schwer bewacht werden. Soweit ich das beurteilen kann, teleportiert sich Master Han von einem Lager zum anderen und sie wissen nie, wo er als Nächstes auftauchen wird.“

Dougal zuckte zusammen. „Als würde man Whac-A-Mole spielen.“

„Aye. Inzwischen hat Master Han fast tausend Soldaten, die auf die dreißig Außenposten verteilt sind. Sie sind J. L. und Rajiv zahlenmäßig so überlegen, dass die beiden ihr Bestes tun, um jede Konfrontation zu vermeiden.“ Angus seufzte. „Darüber habe ich mit Roman und Jean-Luc gesprochen. Wir stecken in einem moralischen Dilemma.“

„Inwiefern?“

„Diese Soldaten mögen der Feind sein, aber sie sind sterblich.“ Angus hielt Dougal seine Tasse hin, damit er sie mit Bubbly Blood auffüllen konnte. „Wir haben uns nie schuldig gefühlt, wenn wir Malcontents getötet haben. Das sind miese Bastarde, die Jahrhunderte damit verbracht haben, Menschen zu ermorden – und es auch noch genießen.“

„Aye“, murmelte Dougal, „und sie sind schon untot. Wenn wir sie erledigen, bleibt nur Staub übrig.“ Genau wie seine Hand, nachdem man sie ihm im Kampf abgehackt hatte.

Angus nickte. „Aber wenn wir Master Hans Soldaten töten, verschwinden sie nicht. Ihre Körper bleiben erhalten, genau wie unsere Schuldgefühle. Und soweit wir wissen, fahren ihre Seelen direkt in die Hölle.“

Wieder zuckte Dougal zusammen. „Das wusste ich nicht.“ „Unsere Jungs haben das auf ihrer ersten Mission in China gelernt. Die Sterblichen freuen sich über ihre Superkräfte als ein Geschenk von Darafer, aber wenn sie sterben, gehören ihm ihre Seelen für immer.“ Angus fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Wir wissen nicht, ob die Sterblichen diesem Handel zugestimmt haben oder ob sie durch die Gedankenkontrolle von Vampiren dazu gezwungen wurden. Roman und ich haben lange darüber diskutiert und weigern uns, uns auf einen Kampf gegen diese Sterblichen einzulassen. Wir wollen sie nicht töten.“

Und ihre Seelen in die Hölle schicken. Dougal leerte seine Tasse und füllte sie erneut mit Bubbly Blood. „Während wir warten, erschafft Master Han mehr von ihnen. Er verdammt noch mehr Seelen.“

„Ich weiß. Aus diesem Grund haben J. L. und Rajiv einen der Soldaten mitgebracht. Wir haben hier gute Wissenschaftler: Roman, Laszlo und Abby. Wir hatten gehofft, sie könnten herausfinden, was mit den Menschen passiert ist, um sie zurückzuverwandeln.“

„Dann könnten wir sie retten, statt sie zu töten“, schlussfolgerte Dougal.

„Aye.“ Angus leerte seinen Becher und stellte ihn auf dem Tisch ab. „Abby hat Blut- und Gewebeproben von unserem Gast studiert und ist sich sicher, dass er genetisch verändert wurde. Das geht über ihr Fachgebiet hinaus, also hat sie vorgeschlagen, dass wir einen Experten suchen, der uns hilft.“

Dougal nickte. „Habt ihr jemanden gefunden?“

„Dr. Lee hat jemanden aufgetrieben“, sagte Angus und bezog sich damit auf den Vampirarzt aus Houston. „Da er immer mehr Vampire und Wandler sowie Kleinkinder behandeln muss, hat er nach einem Assistenten gesucht. Glücklicherweise hat er einen Mediziner gefunden, der auch einen Doktortitel in Genetik hat. Ein junger Sterblicher und ein Genie, wenn es nach Dr. Lee geht. Er bringt sie heute Abend her.“

„Sie?“

„Aye.“ Angus stand auf und begann, im Raum auf und ab zu laufen. „Vor einer Woche hat er sie eingestellt, aber er hatte ein paar Probleme damit, ihr die Wahrheit über Vampire und Wandler mitzuteilen.“

Dougal trank seine Tasse aus. War es richtig, eine unschuldige sterbliche Frau in dieses Chaos hineinzuziehen? „Sie hat es nicht gut aufgenommen?“

„Nein. Sie hat sich so aufgeregt, dass sie kündigen wollte, also musste er ihre Erinnerung löschen, um sie weiter als Angestellte zu behalten. Wir wollen sie nicht verlieren.“

Dougal verzog das Gesicht. „Und er bringt sie her? An einen Ort, an dem es vor übernatürlichen Kreaturen nur so wimmelt?“

„Wir hielten es für das Beste. Als Wissenschaftlerin bewundert sie Roman und das synthetische Blut, das er erschaffen hat. Sie weiß auch um Abigails Erfolge und freut sich, sie kennenzulernen.“ Angus deutete auf den Monitor, der den Festsaal zeigte. „Außerdem findet dort eine riesige Party für ein paar Kinder statt. Wie erschreckend können wir auf sie wirken, wenn wir so in unsere Kinder vernarrt sind?“

Dougal schnaubte. „Also überzeugen wir sie davon, dass wir sanft wie Lämmer sind?“

Angus lächelte. „So ist der Plan.“

„Wie steht es um das moralische Dilemma, eine unschuldige Frau dieser Gefahr auszusetzen? Was, wenn sie nichts mit uns zu tun haben will?“

Angus’ Lächeln verblasste. „Wir brauchen sie. Und da du nun hier arbeitest, erwarte ich von dir, dass du deinen Beitrag dazu leistest, sie davon zu überzeugen, uns zu helfen.“ Er hob eine Hand, als Dougal widersprechen wollte. „Du denkst vielleicht, es ist falsch, sie in diese Sache einzubeziehen, aber was, wenn sie die Soldaten befreien kann, die von Master Han versklavt wurden? Sie könnte über tausend Seelen retten.“

Also überwog das Schicksal von vielen das von einem? Das war eine unbarmherzige Logik, die Dougal nicht besonders gefiel. Wie oft hatte er sich in der Vergangenheit über das grausame Schicksal geärgert, das man ihm ohne seine Zustimmung zugeteilt hatte? Das Gleiche könnte auch dieser Frau passieren.

Er atmete tief durch. Die Würfel waren gefallen und er konnte nicht dagegen ankämpfen. Das Einzige, was er tun konnte, war, sie mit bestem Wissen und Gewissen zu beschützen. „Hoffentlich wird sie heute Abend positiv reagieren.“

„Wie du schon sagtest, wir werden so sanft wie Lämmer sein.“ Angus näherte sich der Monitorwand. „Sie sind da.“

Dougal sah zu dem Bildschirm, der einen schwarzen Wagen zeigte, der auf den Parkplatz fuhr. „Wer ist bei ihr?“

„Abby hat sie heute Nachmittag bei LaGuardia abgeholt und zu Romans Stadthaus gebracht. Nach Sonnenuntergang haben sich Dr. Lee und Gregori angeschlossen. Das ist Gregoris Auto. Er fährt.“

„Sie planen, ihr bald die Wahrheit zu sagen?“, fragte Dougal.

„Aye“, erwiderte Angus. „Abby wird sie zuerst ins Labor führen. Laszlo bereitet schon alles vor.“

Dougal warf einen Blick auf den Monitor, auf dem Laszlo gerade einen Stapel Papiere sortierte. Kein Wunder, dass der Chemiker den Raum gesäubert hatte. Er hatte sich sogar das unbändige Haar gekämmt und einen frischen weißen Laborkittel mit einer vollständigen Reihe an Knöpfen angezogen.

Dougal sah wieder zum dämmrig beleuchteten Parkplatz, wo das Auto am Haupteingang anhielt. Seine Nerven spannten sich an, während sich etwas Schweres auf seine Schultern legte. Irgendetwas stimmte nicht. Die Luft schien plötzlich zu dick zum Atmen zu sein. Er griff nach der Flasche Bubbly Blood und trank einen Schluck. Es half nicht.

Gregori und Dr. Lee stiegen vorne aus und öffneten die hinteren Türen. Zwei Frauen kamen heraus. Die eine war klein mit lockigem kastanienbraunen Haar. Abigail Tucker Holstein – renommierte Wissenschaftlerin, Tochter des amerikanischen Präsidenten und Gregoris Ehefrau. Dougal konnte nur einen kurzen Blick auf die andere Frau erhaschen, bevor sie sich von der Kamera wegdrehte. Sie hatte langes schwarzes Haar, das ihr über die Schultern fiel.

Seine Handprothese schloss sich enger um die Flasche Bubbly Blood.

Im Eingangsbereich gab Gregori den Sicherheitscode ein und öffnete dann die Tür zum Foyer.

„Dr. Lee hat den Fehler gemacht, einfach mit der Wahrheit herauszuplatzen“, sagte Angus, den Blick konzentriert auf die Monitore gerichtet. „Abby ist der Meinung, dass wir zuerst ihr wissenschaftliches Interesse wecken sollten. Dann haben wir eine bessere Chance, sie für uns zu gewinnen.“

Sie stoppten im hell erleuchteten Foyer, wodurch Dougal ihre Rückseite besser erkennen konnte. Die zierliche Form ihrer Wirbelsäule, die steifen Schultern und die neugierige Art, wie sie den Kopf neigte, ließen sie beinahe … vertraut wirken. Schmerzhaft vertraut.

Sein Schulterblatt begann zu brennen, als sich das Tattoo erwärmte. Dreh dich um. Dreh dich zur Kamera.

Ihr Kopf bewegte sich ein wenig, als hätte sie ihn gehört. Dreh dich um. Dreh dich zu mir um. Ein Gefühl sengender Hitze breitete sich entlang seines Tattoos aus, das sich über seinen Rücken, seine Schulter und seine Brust zog. Es brannte sich einen Weg von der Schwanzspitze über den Körper des Drachen, bis es sich in dessen feurigem Atem, der blutrot über seinem Herzen eingeritzt war, entlud.

Der überraschende Schmerz ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Warum quälte ihn das Tattoo ausgerechnet jetzt, wenn es doch seit 1746 Ruhe gegeben hatte? Es kostete ihn all seine Kraft, überhaupt ein Flüstern zustande zu bringen. „Wie heißt sie?“

„Dr. Chin. Leah Chin“, erwiderte Angus.

Li Lei. Dougals Herz hämmerte in einer traurigen Melodie, die ihn so lange schon verfolgte. Ich werde dich finden. Egal, was passiert. Selbst wenn es tausend Jahre dauert, werde ich dich finden.

Es hatte beinahe dreihundert Jahre gedauert, aber er hatte sie gefunden. Dreh dich um, Li Lei. Dreh dich zu mir um.

Sie wirbelte herum, sah sich im Foyer um und blickte dann direkt in die Kamera.

Sie war es nicht.

Ein plötzlicher Schmerz legte sich auf sein Herz. Natürlich war sie es nicht. Wie könnte das auch sein? Er hatte sie selbst auf einem grünen Hügel begraben, mit Blick auf den Jangtse-Fluss, der ihr das Leben genommen hatte. Er hatte sie für immer verloren.

Er ballte die Hand zur Faust und die Flasche Bubbly Blood zersprang in seiner Prothese.

2. Kapitel

Leah Chin war nicht in Partystimmung.

Ein Blick in den großen Raum, wo die Feier in vollem Gang war, genügte, damit sich ihre Nerven anspannten. So viele Leute, die miteinander lachten und redeten, die glücklich und zufrieden miteinander waren. Während ihrer Zeit auf dem College, an der Medizinischen Hochschule und auf dem Graduiertenkolleg hatte sie zahllose Veranstaltungen miterlebt, die dieser hier ähnelten. Und sie hatte nie hineingepasst.

Sie war ohne Freunde oder Klassenkameraden aufgewachsen, also war sie nur schlecht auf das Sozialleben am College vorbereitet gewesen. Außerdem war es auch nicht besonders hilfreich gewesen, als Vierzehnjährige mit dem Studium zu beginnen. Menschen hatten sie schon immer fasziniert, allerdings nur aus der Ferne. Sie konnte die lebhaften Grimassen der bunten Fische in einem Aquarium bewundern, ohne je hineinzuspringen und mitzuspielen. Spring und du gehst das Risiko ein, zu ertrinken. Oder von Haien gefressen zu werden.

Wieder sah sie zur Überwachungskamera in der Ecke neben der Eingangstür. Jemand starrte sie an. Sie konnte es fühlen. Hör auf, so paranoid zu sein! Trotzdem prickelte ihre Haut bei diesem seltsamen Gefühl. Statt die Wissenschaftlerin zu sein, die eine Probe unter dem Mikroskop untersuchte, schien sie heute Abend die Probe zu sein.

„Möchten Sie reingehen und Hallo sagen?“ Dr. Lee deutete auf den großen, lauten Raum.

„I-ich möchte nicht stören.“ Schließlich war sie in dem Glauben hergekommen, eine Führung durch Romatech Industries zu bekommen und seinen Besitzer, den renommierten Wissenschaftler Roman Draganesti, kennenzulernen. Niemand hatte etwas von einer Party gesagt. „Ich bin nicht eingeladen.“

„Jeder ist eingeladen“, erklärte Dr. Lee. „Es ist eine Geburtstagsparty für drei Kinder. Sehr nette Leute. Sie werden sie mögen.“

„Sie beißen nicht“, fügte Gregori Holstein, ein Funkeln in den Augen, hinzu. Seine Frau warf ihm einen missbilligenden Blick zu.

„Sie können sie später kennenlernen.“ Abby Holstein tätschelte ihr beruhigend den Arm. „Wie wäre es, wenn wir zuerst in mein Labor gehen?“

„Ja.“ Leah ergriff die Gelegenheit beim Schopf. „Bitte.“

„Wunderbar.“ Abby lächelte sie an. „Ich kann es kaum erwarten, Ihnen zu zeigen, woran ich gerade arbeite.“

„Ich werde mal auf die Suche nach Roman gehen.“ Gregori zwinkerte seiner Frau zu und schlenderte dann einen Korridor links von ihnen hinunter.

Leah bemerkte die Zärtlichkeit in Abbys Augen, während diese ihrem Ehemann nachsah. Es muss schön sein, jemanden so sehr zu lieben.

„Ich komme in ein paar Minuten nach. Ich will zuerst nach den Geburtstagskindern sehen.“ Dr. Lee blieb an der Tür stehen, die in den großen, lauten Raum führte. „Ich habe dabei geholfen, sie zur Welt zu bringen, wissen Sie?“

Leah blinzelte. „Wollen Sie damit sagen, dass diese Menschen Ihre Patienten sind?“ Als Dr. Lee sie vor einer Woche eingestellt hatte, hatte er erwähnt, dass er der persönliche Arzt einer ausgewählten Gruppe von Klienten war. Von ihr wurde erwartet, dass sie ihm aushalf, wann immer er sie benötigte, aber hauptsächlich war sie für ihre Fachkenntnis in der Genetik eingestellt worden.

Er lächelte. „Sie sind jetzt auch ihre Ärztin. Irgendwann an diesem Abend werden sie Sie treffen wollen. Wann immer Sie bereit dafür sind.“

Sie schluckte hart, als Dr. Lee den geräuschvollen Raum betrat. Da waren so viele von ihnen. Es würde eine Weile dauern, bis sie sich in der Gegenwart von allen wohlfühlen würde. Ihr Blick glitt hastig über die Menge. Hüpfende, fröhliche Kinder. Nur eine Handvoll der Erwachsenen sah älter aus als vierzig. Genau genommen schienen die meisten von ihnen auf dem Höhepunkt ihrer Gesundheit zu sein.

„Es sind wirklich nette Leute“, sagte Abby sanft.

„Sie wirken sehr gesund.“ Leah wich ins Foyer zurück, als ein paar neugierige Blicke den Weg zu ihr fanden. „Wozu benötigen sie zwei Ärzte auf Abruf?“

Abby zögerte, bevor sie antwortete. „Sie haben … besondere Bedürfnisse.“ Mit einem kurzen Lächeln deutete sie auf die Doppeltür auf der gegenüberliegenden Seite des Foyers. „Mein Labor ist dort entlang.“

Nach einem letzten besorgten Blick auf die Partygäste ging Leah zu der Doppeltür.

„Sie sind nicht besonders gesellig?“, fragte Abby und hielt ihr die Tür auf.

Leah betrat den nächsten Gang. „Ich wollte den Menschen schon immer helfen. Deswegen bin ich Ärztin geworden. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich mich besser für die Laborarbeit eigne.“ Und dafür, allein zu sein.

„Sie haben ein bisschen wie ein Reh im Scheinwerferlicht gewirkt.“ Abby warf ihr ein verständnisvolles Lächeln zu. „Als mein Vater von mir verlangt hat, dass ich an Wahlkampfveranstaltungen und Staatsdinners teilnehme, habe ich mich genauso gefühlt. Das Beste, was ich tun konnte, war, mich nicht zu übergeben.“

„Tatsächlich?“ Leah starrte sie verblüfft an. „Dabei wirken Sie so … selbstbewusst.“

Abby schnaubte. „Ich habe gelernt, mich zu verstellen, aber mich trotzdem immer furchtbar unbeholfen auf gesellschaftlichen Veranstaltungen gefühlt. Außerhalb des Labors wusste ich nie, was ich sagen sollte. Für Sie ist es ähnlich, oder?“

„Ja. Die Wissenschaft ist sehr viel verlässlicher als die Menschen.“

Abby nickte lächelnd. „So habe ich auch gedacht … bis ich meinen Ehemann kennengelernt habe.“ Sie bog nach links in einen anderen Gang ab. „Hier entlang.“

Während sie Abby folgte, sah Leah sich um. An der Wand zu ihrer Linken folgte eine Tür auf die nächste, rechts hingegen schien die Wand nur aus Glas zu bestehen. Von hier aus konnte sie auf ein Basketballfeld und eine gut beleuchtete Terrasse mit Tischen und Stühlen sehen. In der Ferne entdeckte sie einen Pavillon, der mit funkelnden weißen Lichtern geschmückt war. So hübsch. „Das scheint ein schöner Arbeitsplatz zu sein.“

Abby nickte. „Ich bin sehr glücklich hier. Und ich habe ein fantastisches Labor.“

Leah musterte Abigail Holstein neugierig. Könnten sie tatsächlich Freundinnen werden? Auf dem College und an der Medizinischen Hochschule hatte es unzählige Studenten gegeben, die sich mit Leah anfreunden wollten. Aber sie hatten ihre Nähe nur gesucht, weil sie auf kostenlosen Nachhilfeunterricht vom berühmt-berüchtigten Freak gehofft hatten, der das College mit vierzehn und die Medizinische Hochschule mit siebzehn begonnen hatte. Hinter ihrem Rücken hatten sie sie Dr. Freakazoid genannt. Und sobald sie sie nicht mehr gebraucht hatten, um einen Kurs zu bestehen, waren sie genauso schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.

Sie hatte diesen Lebensabschnitt so naiv und vertrauensselig begonnen. Es war eine grausame Lektion gewesen, zu erfahren, dass Menschen viel zu oft unzuverlässig und unberechenbar waren. Gewinnsüchtig und brandgefährlich. Man konnte nie wissen, wann sich ein scheinbar harmloser Fisch als Hai entpuppte. Allein zu bleiben war der einzige Weg, um sicher zu sein.

Der Wissenschaft dagegen konnte sie vertrauen. Anders als Menschen verbanden sich Chemikalien auf eine konsistente, verlässliche Weise. Sie konnten auseinanderfallen oder explodieren, aber nur, wenn sie eine neue Variable dazugab. In ihrem Labor hatte sie die Kontrolle, war die Königin in einem Universum, in dem alle Bestandteile den Regeln folgten.

Sie atmete tief durch. „Als Dr. Lee mich eingestellt hat, sagte er, ich würde die meiste Zeit im Labor verbringen. Meine Forschungen in der Genetik haben ihn am meisten interessiert.“

„Ja, darauf sind wir sehr gespannt.“ Abby verlangsamte ihre Schritte und blieb schließlich ganz stehen. „Lassen Sie sich nicht von der Anzahl der Patienten aus der Ruhe bringen. Sie haben recht damit, dass sie sehr gesund sind. Sie werden sie nur ärztlich betreuen müssen, wenn einer von ihnen verletzt ist. Oder ein Kind erwartet.“

Leah fiel auf, dass Abby die Hand auf ihren Bauch legte. „Sind Sie …?“

Grinsend nickte sie. „Wir haben es letzte Nacht herausgefunden.“

„Wow. Herzlichen Glückwunsch.“

Mit einem Strahlen im Gesicht beugte sich Abby näher zu Leah. „Verraten Sie es niemandem, okay? Wir werden es auf der Party verkünden.“

Leah nickte. Wie würde Abby wohl reagieren, wenn sie wüsste, dass ihr nie zuvor ein Freund ein Geheimnis anvertraut hatte? Wäre sie geschockt? „Von mir erfährt niemand etwas.“

Abby verknotete ihre Finger miteinander. „Gregori ist so aufgeregt! Und seine Mutter erst … sie wird ausflippen!“

„Ich bin sicher, Ihre Eltern werden sich unheimlich freuen“, fügte Leah hinzu.

Abbys Lächeln verblasste etwas. „Das hoffe ich.“

Gab es etwa Probleme? Ein Schauder wanderte Leahs Wirbelsäule hinunter und sie sah über ihre Schulter. Da war noch eine Kamera mit einem kleinen Licht, das rot leuchtete. „Werden wir beobachtet?“

Abby warf einen Blick auf die Kamera. „Gut möglich. Wir haben ein fantastisches Sicherheitsteam.“

„Können sie uns hören?“

„Ich schätze schon, wenn sie die Lautstärke aufdrehen.“ Abby zuckte mit den Schultern. „Machen Sie sich keine Gedanken. Hier gab es keine Zwischenfälle mehr seit dem Bombenangriff vor ein paar Jahren.“ Sie zuckte zusammen. „Es war keine große Sache. Niemand wurde ernsthaft verletzt.“

Leahs Kinnlade klappte herunter. „Es gab einen Bombenangriff?“

„Ich weiß, es ist schwer zu begreifen, dass jemand so etwas tun würde, wenn man bedenkt, wie viele Leben synthetisches Blut retten kann. Aber ich fürchte, da draußen gibt es einige seltsame … Leute.“ Abby tätschelte ihr den Arm. „Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen. Tut mir leid.“

„Schon gut.“ Leah sah erneut zur Kamera. Wurden sie belauscht? „Ich weiß, dass die Welt voller Spinner ist.“

Abby warf ihr einen besorgten Blick zu. „Das können Sie laut sagen.“ Sie ging einige Schritte voraus und blieb dann neben einer Tür stehen. „Willkommen in meinem Labor.“

„Hey, findet hier eine Party ohne mich statt?“, fragte Gregori, als er das Sicherheitsbüro betrat. „Hier riecht es nach Bubbly Blood.“

„Es gab einen kleinen Unfall.“ Angus deutete auf die Stelle, wo Dougal, halb vom Schreibtisch verdeckt, die Scherben dessen aufsammelte, was einmal eine Flasche gewesen war, und sie in den Mülleimer warf.

„Hey, Kumpel, lange nicht gesehen“, begrüßte Gregori ihn. „Wie geht’s der bionischen Hand?“

„Gut.“ Dougal richtete sich auf. „Ich … habe meinen Griff für einen Moment unterschätzt.“ Auf keinen Fall würde er zugeben, dass er die Kontrolle darüber verloren hatte. Angus könnte es sich anders überlegen und ihn doch nicht hier einsetzen. Oder sich weigern, ihn auf Missionen zu schicken.

Glücklicherweise schien Angus mehr daran interessiert zu sein, das Geschehen auf den Monitoren zu beobachten, als Spekulationen über seinen kleinen Unfall anzustellen.

„Wo ist Roman?“ Gregori suchte auf den Bildschirmen nach seinem Boss.

Angus deutete auf einen Korridor, den Roman mit Jean-Luc entlanglief. „Sie sind auf dem Weg zur Party.“

„Ich werde ihn anrufen.“ Gregori wählte die Nummer auf seinem Handy und bat Roman dann, sich in zehn Minuten auf den Weg zu Abbys Labor zu machen.

In der Zwischenzeit hatte Dougal einen Besen und ein Kehrblech in dem kleinen Schrank gefunden. Wenn das hier sein Büro sein würde, konnte er auch damit anfangen, sich darum zu kümmern. Er fegte die letzten Reste der zerbrochenen Flasche zusammen und warf sie in den Mülleimer.

„Ich frage mich, worüber sie reden.“ Angus drehte die Lautstärke an dem Monitor auf, der Abby und Leah zeigte.

„Wir haben es letzte Nacht herausgefunden“, sagte Abby lächelnd und strich über ihren Bauch.

„Wow“, erwiderte Leah. „Herzlichen Glückwunsch.“

„Ach Mann.“ Angus wandte sich an Gregori. „Du wirst Vater?“

Gregori grinste. „Jepp. Darauf kannst du deinen kleinen karierten Rock verwetten.“

Angus verdrehte die Augen. „Das arme Kind.“

Lachend boxte Gregori ihm gegen die Schulter. „Ich wusste, dass Abby es nicht für sich behalten kann. Sie ist so aufgeregt.“

„Glückwunsch“, sagte Dougal. Sein Blick wanderte genau in dem Moment zurück zum Monitor, als Leah über ihre Schulter in die Kamera sah. Seine Hand verkrampfte sich und seine Finger krallten sich um den Griff des Kehrblechs.

„Werden wir beobachtet?“, wollte Leah wissen.

Zum Teufel, ja. Er zuckte zusammen, als er die Dellen bemerkte, die er in dem Metallgriff hinterlassen hatte. Warum reagierte er so heftig? Das war nicht Li Lei.

„Gut möglich“, antwortete Abby. „Wir haben ein fantastisches Sicherheitsteam.“

„Können sie uns hören?“, fragte Leah.

Er wandte sich ab, als sich seine Schuldgefühle mit einem Stich in seiner Brust meldeten, weil er sie belauschte. Als er Besen und Kehrblech wieder im Schrank verstaute, entdeckte er eine halbleere Flasche Blissky im obersten Fach. Genau das, was er gerade brauchte. Er stellte die Flasche auf den Tisch und holte drei Pappbecher von der Anrichte.

Abby erzählte von dem Bombenangriff, und er sah genau im richtigen Moment zum Monitor, um Leahs erschrockene Reaktion mitzuerleben. Verdammt, sie hatten kein Recht dazu, sie in diese Welt hineinzuziehen. Sie wirkte so jung. Anfang zwanzig vielleicht. In ihrem Gesicht spiegelte sich eine zerbrechliche Unschuld wider. Eine Unschuld, die sie zerstören würden.

Er goss etwas von dem Blissky in die drei Becher. „Wie wär’s mit einem Schluck?“

„Tolle Idee!“ Gregori hielt seinen Becher in die Höhe. „Auf unsere wunderschönen Frauen!“

„Darauf trinke ich.“ Angus kippte seinen Blissky hinunter.

Gregori warf Dougal einen amüsierten Blick zu. „Oder in deinem Fall auf deine zukünftige wunderschöne Frau.“

Dougal schnaubte verächtlich, dann blickte er wieder zum Monitor, nur um zu bemerken, wie Leah in die Kamera starrte, als könnte sie ihn sehen. Sein Herzschlag setzte aus. Ein weiteres Brennen zog sich der Länge nach durch sein Tattoo, und er zuckte mit der rechten Schulter.

„Ich weiß, dass die Welt voller Spinner ist“, sagte sie leise.

Ach Mädchen, du hast ja keine Ahnung. Aber sie würde es früh genug herausfinden. Plötzlich hatte er den Drang, sich zu ihr zu teleportieren und sie von hier wegzubringen. Weit weg von einer Welt voller Vampire, Wandler und Dämonen. Aber wie sollte er sie vor den Spinnern beschützen, wenn er selbst einer von ihnen war?

„Cheers.“ Er kippte den Blissky hinunter und hieß das Brennen in seiner Kehle willkommen. Er verdiente es.

„Willkommen in meinem Labor.“ Abby öffnete die Tür und führte Leah hinein.

Angus ging zu dem Monitor, der das Labor zeigte, und drehte die Lautstärke auf.

„Müssen wir sie belauschen?“, fragte Dougal.

Angus seufzte. „Ich weiß, das ist nicht die übliche Vorgehensweise, aber ich mache mir Sorgen darüber, wie Dr. Chin auf die Neuigkeiten reagieren wird.“

„Das ist einer meiner Kollegen.“ Abby deutete auf Laszlo, als dieser nach vorne eilte. „Laszlo Veszto. Er ist der brillanteste Chemiker, der mir je begegnet ist.“

Laszlo errötete und hielt Leah die Hand hin. „Ich bin hocherfreut, Sie kennenzulernen.“ Als sie ihre Hand in seine legte, schüttelte er sie kräftig. „Wir freuen uns sehr, Sie hier zu haben. Ich war den ganzen Abend damit beschäftigt, das Labor vorzubereiten.“

„Wirklich?“ Leah befreite ihre Hand aus seinem Griff.

„Ja!“ Laszlo griff nach einem der Knöpfe an seinem Kittel. „Wir können Ihnen einige interessante Fallstudien zeigen.“

„Klingt gut.“ Leah sah sich im Labor um. „Es ist schön hier.“

„Ja.“ Laszlo lächelte sie an, während er an seinen Knöpfen herumspielte.

Leah kniff die Augen zusammen, als sie die Kamera in der Ecke entdeckte. Zur gleichen Zeit goss Dougal mehr Blissky in seinen Pappbecher und trank ihn in einem Zug aus.

Abby schlenderte zu dem langen Stahltisch, auf dem sich mehrere Mikroskope und Papierstapel befanden. „Ist alles vorbereitet?“

„Ja“, erwiderte Laszlo und lächelte Leah noch immer an.

„Ha!“ Gregori zeigte auf den Monitor. „Schaut euch nur dieses dümmliche Grinsen auf seinem Gesicht an. Er ist verliebt!“

Dougals Hand schnappte zu und zerquetschte den Pappbecher darin. Was zur Hölle? Bevor irgendjemand den zerdrückten Becher bemerken konnte, warf er ihn in den Müll. Oder versuchte es zumindest, denn seine Faust öffnete sich nicht. Öffnen, befahl er seiner Hand. Seine Finger krallten sich weiterhin um den Pappbecher.

Angus schüttelte den Kopf. „Verknallt vielleicht. Ich werde mit Laszlo reden müssen. Wir können nicht riskieren, dass persönliche Gefühle unsere Pläne gefährden.“

Öffne dich, verdammt! Öffnen! Endlich entspannte sich Dougals Faust und der Pappbecher fiel in den Müll.

Währenddessen war Leah an den Tisch getreten und schaute durch das erste Mikroskop. „Interessant“, murmelte sie, dann hob sie den Papierstapel daneben auf.

„Hoffentlich schluckt sie den Köder“, sagte Angus.

Dougal näherte sich den Monitoren.

Leah überflog die erste Seite, dann die zweite. Abby beobachtete sie dabei und nagte nervös an ihrer Lippe. Laszlo verdrehte einen Knopf an seinem Kittel.

„Hier gibt es eindeutig Mutationen in der DNA-Sequenz.“ Leah blätterte zur dritten Seite. „Sogar ein paar drastische Veränderungen. Ist der Mann noch am Leben?“

Abby zögerte. „Im Moment schon, ja.“

Gregori verzog das Gesicht.

Leah legte die Papiere zurück. „So etwas habe ich nie zuvor gesehen. Einige dieser Mutationen könnten einen Menschen stärken, aber andere …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht sicher, ob das jemand überleben würde. Weist er irgendwelche bizarren Symptome auf?“

Abbys Mundwinkel zuckten. „Abgesehen von einer seltsamen Lust auf Disco Dance? Nein.“

Gregori versteifte sich. „Was ist daran so seltsam?“

Angus brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

Irritiert schüttelte Leah den Kopf. „Wo ist der Patient? Kann ich ihn sehen?“

„Sie haben ihn schon gesehen“, antwortete Abby. „Es ist Gregori.“

Leah schnappte nach Luft. „Was?“ Sie blätterte erneut durch die Papiere. „Das verstehe ich nicht. Ihr Mann wirkt so gesund.“

„Das ist er auch“, bestätigte Abby. „Zumindest, wenn er … wach ist.“

Dougal zuckte zusammen. Die Kacke war am Dampfen. Angus runzelte die Stirn. „Ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache. Gregori, ruf Dr. Lee an. Er soll sofort ins Labor gehen.“

Während Gregori den Anruf machte, tippte Leah mit dem Finger auf den Papierstapel. „Ihr Ehemann könnte in ernsten Schwierigkeiten stecken. Er sollte sofort in ein Krankenhaus eingeliefert und beobachtet werden.“ Ihre Augen weiteten sich. „Oh mein Gott, Sie sind mit seinem Kind schwanger?“

„Es geht mir gut. Wirklich. Genau wie Gregori.“ Abby wechselte einen besorgten Blick mit Laszlo.

Der nickte, während er wild an seinem Knopf drehte. „Es gibt eine absolut logische Erklärung dafür, das garantiere ich Ihnen.“

„Ach wirklich?“ Leah musterte ihn ungläubig. „Und wie erklären Sie sich das?“

Abby atmete tief ein. „Mein Mann ist ein Vampir.“

3. Kapitel

Leahs Herzschlag beschleunigte sich.

Sie wich zurück und konnte nur mit Mühe den Drang unterdrücken, sofort zur Tür zu rennen. Ihr Blick wanderte von der Präsidententochter zum sogenannten brillanten Chemiker und wieder zurück. Wusste der Präsident, dass seine Tochter verrückt war?

Heilige Scheiße, das ganze Gebäude könnte voller durchgeknallter Leute sein. Sogar die gruseligen Leute, die sie durch die Kamera beobachteten … Ihr stockte der Atem. Natürlich … Sie wurde hereingelegt! Die Kamera nahm alles auf und es würde irgendwo im Internet landen. Das war nicht das erste Mal, dass irgendwelche Leute versuchten, sie wie eine Idiotin dastehen zu lassen.

Auf dem College war sie aufgrund ihres jungen Alters und des Rufs, ein Genie zu sein, ständig das Ziel irgendwelcher dummen Streiche gewesen. Einmal hatte sich eine Gruppe Verbindungsstudenten als lebende Tote verkleidet und sich um das Wohnheim der Studentinnen versammelt. Die Mädchen hatten sie angefleht, ihren überlegenen Intellekt einzusetzen, um sie vor der Zombie-Apokalypse zu retten.

Diesmal waren es also die Untoten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und gab sich unbeeindruckt. „Sie sind mit einem Vampir verheiratet?“

„Ja.“ Abby nickte mit einem hoffnungsvollen Ausdruck im Gesicht, als würde sie tatsächlich davon ausgehen, dass sie diesen Unsinn glaubte.

Leah warf einen kurzen Blick zur Kamera und wandte sich dann wieder Abby zu. „Wie sind Sie zu dieser Schlussfolgerung gelangt? Hat er sich in eine Fledermaus verwandelt und ist durchs Schlafzimmer geflattert?“

Enttäuschung ersetzte die Hoffnung in Abbys Miene. „Sie glauben, ich würde Witze machen.“

„Haben Sie wirklich erwartet, dass ich das ernst nehme?“, gab Leah zurück.

Laszlo zeigte auf die Papierstapel auf dem Tisch. „Aber wir haben Ihnen unsere Laborarbeit gezeigt. Und die Daten …“

„Können manipuliert werden“, fiel Leah ihm ins Wort. „Oder in diesem Fall extra angefertigt sein.“ Sie starrte die Kamera finster an. „Das Spiel ist aus. Ich mache nicht mit.“ Sie marschierte auf die Tür zu, die auf halbem Wege geöffnet wurde.

Dr. Lee eilte herein. „Gibt es ein Problem?“

„Ja“, erwiderte Leah zur selben Zeit wie Abby und Laszlo. Stirnrunzelnd sah sie zu den beiden. „Sie spielen mir einen dämlichen Streich.“

„Das ist kein Streich“, beharrte Abby. „Vampire gibt es wirklich.“

Leah schnaubte. „Warum sollten Sie das glauben? Hat Ihr Mann Sie gebissen?“

„Nun, ja, das hat er. Und er kann …“

„Was? Wie ein Affe von einem Baum zum nächsten springen?“ Leah hob die Hand, um Abby zum Schweigen zu bringen. Die arme Frau litt an Wahnvorstellungen. „Sie sollten sich hinlegen und etwas ausruhen. Angesichts Ihres Zustands ist es durchaus möglich, dass Sie Probleme mit Hormonschwankungen haben …“

„Ich bilde mir das nicht ein“, grummelte Abby.

„Vielleicht sind Sie einfach nur überarbeitet“, fuhr Leah fort. „Ich kenne das. Wenn ich mich in einem Projekt vertiefe, kann es passieren, dass ich vergesse zu essen oder zu schlafen. Zum Beispiel diese Woche. Ich hatte so viel zu tun, dass ich mich kaum daran erinnern kann.“

Dr. Lee zuckte zusammen. „Möglicherweise ist eine Demonstration nötig.“

„Gute Idee.“ Abby wendete sich Laszlo zu. „Wie wäre es, wenn du bis zur Zimmerdecke schwebst?“

Laszlo runzelte die Stirn und zog fest an seinem Knopf. „Wenn du das wünschst, aber es könnte sie in Panik versetzen.“

„Nur zu“, befahl ihm Dr. Lee. „Sie braucht einen realen Beweis.“

„Also ist der Chemiker auch ein Vampir?“, spottete Leah.

Laszlos Knopf sprang von seinem Kittel ab und landete mit einem Ping auf dem Stahltisch. Er warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. „Das ist nichts Schlechtes. Betrachten Sie es einfach als … einen ungewöhnlichen Gesundheitszustand.“

Leah schüttelte den Kopf. Diese Leute waren meldepflichtig. „Sie sind ein Vampir?“

„Ja“, gab Laszlo zu und beeilte sich, hinzuzufügen: „Aber ein sehr freundlicher, das versichere ich Ihnen.“

„Nun, das ist … beruhigend“, murmelte Leah. Ein netter Blutsauger. Das ergab genauso viel Sinn wie ein netter Serienkiller. Sie warf Abby einen Blick zu. „Und Sie? Sind Sie Casper, der freundliche Geist?“

Abby betrachtete sie mitfühlend. „Ich bin ein Mensch, genau wie Sie. Ich weiß, dass das ein Schock für Sie sein muss. Als ich es herausfand, war ich genauso geschockt. Ich bin sogar ohnmächtig geworden.“

„Ich werde nicht ohnmächtig.“ Leah machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und ich stehe auch nicht unter Schock. Ich bin … bestürzt darüber, dass Sie sich vormachen, so etwas Lächerliches wie …“ Sie hielt inne, als Laszlo bis zur Decke hinaufschwebte.

Okay, das war nicht normal. Da mussten unsichtbare Fäden im Spiel sein. Ein Funke Ärger glomm in ihrem Inneren auf. „Das reicht! Ich glaube nicht, dass irgendjemand hier ein Vampir ist!“

„Aber ich bin einer.“ Laszlo zuckte zusammen, als er mit dem Kopf gegen die Zimmerdecke stieß.

„Ich ebenfalls“, fügte Dr. Lee hinzu.

Leah wirbelte zu ihm herum. Ihr Chef war ein Vampir?

„Ich auch.“ Ein weiterer Mann betrat das Labor. Er war groß, dunkel und attraktiv.

Und untot? Leah starrte ihn an. „Wer sind Sie?“

Er neigte den Kopf zur Seite. „Roman Draganesti, zu Ihren Diensten. Ich bin hocherfreut, Sie kennenzulernen, Dr. Chin.“

Das war das wissenschaftliche Genie, das synthetisches Blut erfunden hatte? Leah schluckte hart. Entweder war er genauso verrückt wie alle anderen in diesem Raum oder aber sie waren tatsächlich …

Vampire.

Eine kalte Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Nein, das ist unmöglich. Es musste eine logische, wissenschaftliche Erklärung dafür geben. Wozu irgendetwas erklären? Verschwinde endlich von hier!

Sie machte einen Schritt auf die Tür zu, aber Dr. Lee und Mr. Draganesti blockierten den Ausgang. Ein kurzer Rundumblick bestätigte ihr, dass dies der einzige Weg nach draußen war.

„Ihr Herz rast“, murmelte Mr. Draganesti.

Mit zusammengekniffenen Augen wandte sie sich ihm zu.

„Übernatürliches Gehör“, erklärte er.

„Warum sollte ich Ihnen glauben? Angesichts dieser Situation könnte jeder darauf kommen, dass mein Herzschlag erhöht ist.“ Hinter ihr schlug etwas auf dem Boden auf. Sie erschrak und wirbelte herum, nur um zu sehen, dass Laszlo auf den Fliesen gelandet war.

Sie hastete zu ihm und stellte sich auf die Zehenspitzen, um mit der Hand über seinem Kopf durch die Luft zu streichen. Keine unsichtbaren Fäden. „Wie haben Sie das gemacht? Tragen Sie spezielle Schuhe, die Sie in die Luft heben? Oder vielleicht sind es Magneten?“

„Es heißt Levitation.“ Laszlo betrachtete sie mit einem traurigen Ausdruck. „Muss ich es noch mal machen?“

„Nein.“ Sie packte sein Handgelenk und maß seinen Blutdruck. „Sehen Sie?“ Sie ließ seinen Arm fallen. „Sie haben einen Puls. Sie sind am Leben. Also hören sie sofort mit diesem Mist auf!“

„Leah, beruhigen Sie sich.“ Dr. Lee näherte sich ihr vorsichtig.

„Das werde ich nicht.“ Sie wich vor ihm zurück. „Und ich arbeite nicht länger für Sie. Das hier ist ein grausamer Scherz, den ich mir nicht gefallen lassen werde!“

„Um Himmels willen, Leah …“ Dr. Lee musterte sie flehend. „Wir wollen nicht grausam sein. Nur ehrlich.“

„Nein!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde mir das nicht länger anhören! Vampire sind nicht real. Sie lügen mich an. Sie lügen …“

„Verdammt, bringen Sie mich nicht dazu, wieder Ihre Erinnerung zu löschen!“ Dr. Lee wirkte leicht verzweifelt und hob abwehrend die Hände. „So meinte ich das nicht. Wir würden Ihnen nie wehtun. Das müssen Sie uns glauben.“

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