Verliebt in den besten Freund

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Seit Jahren ist Beth in Zach Ashton verliebt. Gerade als sie sich näherkommen, erfährt Beth von dem Familiengeheimnis der Ashtons. Um Zach zu schützen, schweigt Beth. Wird diese Entscheidung ihre Liebe zerstören?


  • Erscheinungstag 10.08.2013
  • ISBN / Artikelnummer 9783862787999
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Debra Webb

Verliebt in den besten Freund

 

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Brigitta Merschmann

PROLOG

Mehr als dreißig Jahre zuvor

Die drei Frauen hatten sich in dem eleganten Salon rings um den exquisiten Chippendale-Tisch niedergelassen. Zwei saßen auf dem Sheraton-Sofa, die dritte in einem imposanten Lehnsessel. Der Tee in der blitzenden Silberkanne, die von der Hausherrin nur für ganz besondere Gäste aus dem Schrank geholt wurde, war lauwarm geworden.

Gespannte Erwartung lag in der Luft, bevor eine der drei Frauen endlich wieder das Wort ergriff: „Ich glaube, es wäre die beste Lösung für alle Beteiligten“, erklärte sie und lächelte, um ihre Nervosität zu überspielen. Zum Glück war sie auf die Idee gekommen, die beiden Frauen zusammenzubringen! Prüfend blickte sie ihre Freundin an, die neben ihr auf dem Sofa saß. Ja, es würde klappen, davon war sie überzeugt.

„Ich bin ganz deiner Meinung, meine Liebe“, erwiderte ihre Freundin, die älteste der drei. Man merkte ihr sofort an, dass sie ein hochkarätiges Internat besucht hatte. „Ich verspreche dir, dem Kind wird es an nichts fehlen, wenn du deine Zustimmung gibst“, sagte sie zu der Jüngsten. „Es wird alles bekommen, was es sich nur wünschen kann, die besten Ärzte und eine hervorragende Ausbildung. Geld spielt dabei keine Rolle. Vor allem aber wird es Eltern bekommen, die ihn oder sie von ganzem Herzen lieben werden.“

Sie sah Tränen in den Augen ihrer Freundin glänzen und blinzelte, um die eigene Rührung zu unterdrücken. Es war einfach die perfekte Lösung. Und wem schadeten sie schon damit? Niemandem. Sonst hätte sie dieses Treffen ja auch gar nicht arrangiert.

„Ich … ich weiß, ihr habt beide recht“, stimmte die junge Frau zögernd zu. Sie war gerade achtzehn, ledig und schwanger und völlig verzweifelt. Der Vater des Kindes war spurlos verschwunden, wahrscheinlich sogar tot. „Es ist nur so schrecklich schwer.“ Tränen liefen über ihre blassen Wangen. Sie legte die Hand auf ihren noch flachen Bauch und schien all ihren Mut zu sammeln. „Aber es ist wohl am besten so. Das ist mir schon klar. Mein Kind wird es bei euch besser haben.“ Sie lächelte schwach. „Also, was tun wir jetzt?“

Die älteste der drei Frauen strahlte. „Zerbrich dir nicht länger den Kopf, liebes Kind, wir kümmern uns schon um alles. Du wirst dir nie wieder Sorgen machen müssen.“

1. KAPITEL

Er hatte keine andere Wahl.

Zum ersten Mal in seinem Leben würde Zach Ashton sein Privatleben über das Berufsleben stellen, und das fiel ihm nicht leicht. Normalerweise kam die Karriere für ihn immer zuerst, alles andere war zweitrangig. Das war seit jeher ein ehernes Gesetz für die Ashtons.

„Sind zwei Wochen auch wirklich kein Problem?“ Zach, der nervös auf und ab gegangen war, blieb stehen und warf einen prüfenden Blick auf Victoria Colby, die Chefin der angesehenen Anwaltskanzlei, für die er seit Jahren arbeitete.

„Ja, ganz im Ernst. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Wir kommen hier schon zurecht.“

Er stützte sich auf einen der beiden Lehnstühle, die den Schreibtisch aus massiver Eiche flankierten, und seufzte. „Johnson und Wilks haben ja so weit alles unter Kontrolle. Und für Notfälle lasse ich dir die Telefonnummer meiner Mutter da.“

Victoria schaute ihn prüfend an und traf mit ihrer Frage den Nagel auf den Kopf: „Wen musst du hier eigentlich überzeugen, Zach – mich oder dich?“

„Mich selber vermutlich.“ Zach ließ sich seufzend in einen der Sessel fallen. „Sie ist alles, was ich von meiner Familie noch habe, und außerdem hänge ich an ihr. Ich kann sie nicht im Stich lassen, schon gar nicht an ihrem Geburtstag.“ Mit dieser Entscheidung hatte er sich die ganze Nacht gequält. „Ich muss zu ihr. Aber müssen es gleich zwei Wochen sein?“ Er schüttelte den Kopf. „Kann ich zwei Wochen leben, ohne einen meiner großen Coups vor Gericht zu landen?“

Victoria hob beschwichtigend die Hände. „Du hast selbst gesagt, zwei Wochen wären das allermindeste. Für deine Mutter war es schon der zweite Herzanfall, und das in ihrem Alter!“

Zach nickte. „Fünfundsiebzig Jahre – das ist schon ein wichtiger Meilenstein. Ihr Herzanfall war ein ziemlicher Schock für mich. Nein, zwei Wochen muss ich schon investieren. Ich weiß nur noch nicht, wie wir es anstellen sollen, uns nicht gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Wir sind es beide gewöhnt, unseren Willen zu kriegen.“

Victoria lächelte mitfühlend. Sie wusste nur zu gut, wie schwer es Zach fiel, ein Nein zu akzeptieren, wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Sieh an, die Sturheit hatte er also von seiner Mutter geerbt.

„Vergiss die Arbeit mal eine Zeit lang“, schlug Victoria vor. „Genieß die Zeit mit deiner Mutter und verwöhn sie mal so richtig. Wer weiß, vielleicht hast du mehr Spaß, als du glaubst.“

Seine Miene war skeptisch. „In Kelso, Indiana? Wo so gut wie nichts los ist? Das wage ich zu bezweifeln.“ Zach stand auf. „Aber meine Entscheidung ist gefallen – ich fahre.“

„Gut so.“ Victoria erhob sich ebenfalls. „Wir sehen uns dann in zwei Wochen.“

Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch einmal um. „Auf jeden Fall bin ich entschlossen, jede einzelne Minute zu einem Ereignis zu machen – und wenn es mich umbringt!“

Die Chance, dass er sich zumindest handfesten Ärger einhandeln würde, stand nicht schlecht. Doch das sagte Zach nicht, als er das Zimmer seiner Chefin verließ. In all den Jahren hatte er nicht mehr als einen oder zwei Tage an einem Stück zu Hause verbracht. Zum Teil lag es daran, dass seine Mutter und er sich so ähnlich waren. Aber Zach liebte seine Mutter innig und gab in der Regel nach.

Sie war es, die ihm beigebracht hatte, sich hohe Ziele zu stecken und niemals nie zu sagen. Und wie jeder gute Sohn hatte Zach seine Lektion gelernt. Nur einmal im Leben hatte er gekniffen, als er das Glück fast in den Händen gehalten hatte. Und genau das war der zweite Grund, warum er so selten nach Hause fuhr.

Aber eigentlich brauchte er sich in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen, denn „sie“ würde nicht da sein.

„Sag dem alten Drachen, ich verzichte darauf, ihre Geburtstagsfeier auszurichten. Und wenn sie mich auf Knien darum bittet – ich schmeiße den Kram hin!“

Entsetzt starrte Beth McCormick ihre Mutter an, dann wandte sie sich der Hausherrin zu. „Mrs Ashton, ich bin sicher, Mutter wollte nicht ‚Drachen‘ sagen, es ist ihr nur so herausgerutscht. Sie müssen ihr verzeihen, in letzter Zeit stand sie unter großem Druck und …“

„Und ob ich ‚Drachen‘ sagen wollte“, fuhr Mrs McCormick auf. Ihre Augen funkelten vor Zorn. „Ich wasche jedenfalls meine Hände in Unschuld! Ich will mit dieser ganzen Affäre nichts mehr zu tun haben!“

Äußerlich war Colleen Ashton keine Reaktion auf den Gefühlsausbruch ihrer Freundin anzumerken – nur ihre Wangen hatten sich gerötet. Gelassen wandte sie sich Beth zu. „Nun, Beth, wenn sie unbedingt von ihrem Posten als Vorsitzende des Festkomitees zurücktreten will, mir soll’s nur recht sein. Ich bin überzeugt, die Feier wird viel interessanter und lebendiger, wenn jemand anders die Leitung hat – nicht so eine alte Schachtel wie sie.“

Helen riss die Augen auf. „Oh, ich sollte dir …“

„Mutter.“ Beth war mit einem Satz bei ihr und zog sie mit sich zur Tür. „Bitte machen Sie sich keine Gedanken, Mrs Ashton. Wir werden das alles aufklären. Ihre Geburtstagsfeier wird genau so, wie Sie es sich erträumt haben.“

Colleen richtete sich auf. „Zweifellos – denn Sie werden diese Aufgabe viel besser bewältigen als Ihre Mutter.“

Beth blieb abrupt stehen. Sie konnte doch nicht im Ernst meinen … „Aber ich …“

„Keine Angst, liebes Kind“, sagte Colleen, „Sie sind ja nicht allein. Zach wird heute Nachmittag eintreffen. Er wird überglücklich sein, Ihnen bei den Vorbereitungen unter die Arme greifen zu können. Da sind andere völlig überflüssig“, fügte sie mit einem vielsagenden Blick auf ihre alte Freundin hinzu.

Helen McCormick warf ihr einen vernichtenden Blick zu, verbiss sich aber, das musste man ihr lassen, eine scharfe Erwiderung. Jedenfalls verbal. Stattdessen segelte sie aus dem Zimmer, durch die Diele und zur Haustür hinaus, die sie heftig hinter sich zuknallen ließ.

Beth zuckte die Achseln. Was sollte sie dazu sagen? Lieber hielt sie erst einmal den Mund, um sich nicht unwillentlich eine Aufgabe aufzuhalsen, die ihr später nichts als Scherereien einbringen würde. Sie lief hinaus und folgte ihrer Mutter.

„Mutter!“ Sie rannte über die Veranda und die Stufen hinunter, dann versuchte sie, mit ihrer Mutter Schritt zu halten, die wütend durch den Garten stapfte. „Was sollte das alles?“

„Zu diesem Thema sage ich kein einziges Wort mehr“, erwiderte Helen, dann presste sie fest die Lippen zusammen. Was auch passiert sein mochte, Beths Mutter, die gewöhnlich nichts aus der Ruhe bringen konnte, war vollkommen aufgelöst.

„Das ist doch lächerlich“, hakte Beth nach. „Ihr zwei seid befreundet, solange ich denken kann. Was ist denn vorgefallen? Ich habe es noch nie erlebt, dass ihr euch derart an die Kehle geht.“

Helen blieb jäh stehen und wandte sich ihrer Tochter zu. Eigentlich sah sie aus wie immer, gepflegtes weißes Haar, perfekt gebügelte Jeans und Arbeitshemd – die Seelenruhe und Bodenständigkeit in Person. Und doch trog dieser Eindruck.

Vierzig Jahre hatte Beths Mutter als Haushälterin und Köchin in der Ashton-Villa gearbeitet. Nach dem Tod von Beths Vater hatte sie auch die Verwaltung des Besitzes übernommen. Auch wenn sie heute viele der anfallenden Arbeiten nicht mehr selbst erledigte, wagte es niemand, ihre Autorität anzuzweifeln, wenn Entscheidungen über das Haus und den Besitz getroffen wurden. Ganz zu schweigen davon, dass Helen fast die ganzen vierzig Jahre die Gefährtin und beste Freundin der Herrin dieses Reichs gewesen war. Noch nie hatte Beth die beiden derart zerstritten gesehen.

„Ich will nur so viel sagen: Es gibt da ein paar Dinge, die unbedingt geklärt werden müssen, aber mir steht es nicht zu, sie auszusprechen“, sagte Helen, womit sie natürlich gar nichts gesagt hatte.

Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, lief sie über die Einfahrt und den Steinpfad, der durch den Garten führte, auf ihr Cottage zu.

Beth starrte ihr nach, bis sie im Haus verschwunden war. Nachdenklich musterte sie das kleine, hübsche Cottage. Hier war sie aufgewachsen. Die grauen Steinmauern waren von Efeu umrankt, und es lag inmitten des malerischen Gartens mit seinen Rosenbüschen und anderen blühenden Sträuchern, die Beths Vater ein halbes Jahrhundert lang liebevoll gehegt und gepflegt hatte. Mächtige alte Bäume überragten das Holzdach, Gefährten ihrer Kindheit, die von glücklichen Erinnerungen kündeten. An den stabilen Ästen der großen Eiche hatte ihr Vater die Schaukel mit dem hölzernen Sitz an dicken geflochtenen Seilen befestigt. Die Schaukel hing immer noch dort.

Plötzlich stieg vor Beth das Bild auf, wie Zach Ashton die Schaukel schwungvoll anstieß und sie höher und höher in die Lüfte wirbelte. Sie schloss die Augen und spürte, wie der Wind sich auf ihrem Gesicht angefühlt hatte, hörte sein tiefes, klangvolles Lachen. Zach war zwar einige Jahre älter als sie, aber trotzdem ein verlässlicher Freund und sogar manchmal ein Spielgefährte gewesen. Beth schlug die Augen auf und verzog das Gesicht. Wahrscheinlich würde Zach diese Zeit mit ihr eher unter „Babysitten“ verbuchen. Aber das Allerschlimmste war, dass sie sich schon mit zwölf Jahren unsterblich in ihn verliebt hatte.

Sie hatte miterlebt, wie er den Highschool-Abschluss machte und zur Uni ging, um Jura zu studieren, und in ihrem tiefsten Inneren war sie überzeugt gewesen, dass er, sobald er das Studium beendet hatte, zurückkommen und sie holen würde.

Aber das war nicht eingetroffen.

Er war zwar gekommen, aber nicht ihretwegen.

Dabei hatte sie so fest an eine gemeinsame Zukunft mit Zach geglaubt, dass sie mit siebzehn alles getan hatte, um ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte. Ihr wurde übel vor Verlegenheit, als ihr einfiel, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, als er einmal seine Mutter besuchte. Sie hatte ihm ihre Liebe gestanden und ihm in aller Unschuld ihren Körper angeboten.

Er hatte abgelehnt.

Beth holte tief Luft und verbannte den Gedanken und das Gefühl heißer Scham, das sich nach all den Jahren immer noch einstellte, in den dunkelsten Winkel ihres Gedächtnisses – da, wo all das hingehörte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um in der Vergangenheit zu wühlen. Zuallererst musste sie Mittel und Wege finden, um den Bruch zwischen ihrer und Zachs Mutter zu kitten. Andernfalls würde sie wirklich noch die Geburtstagsparty organisieren müssen.

Dann bekam sie auf einmal einen Riesenschreck, als ihr bewusst wurde, was Mrs Ashton zuletzt gesagt hatte. Zach würde heute Nachmittag kommen!

Beths Knie wurden weich. Am liebsten hätte sie die Flucht ergriffen, um ihre Ferien anderswo zu verbringen. Nur nicht hier … Aber das war ausgeschlossen. Ihre Patienten brauchten sie. Besonders eine konnte sie nicht im Stich lassen.

„Kopf hoch, Mädchen, du stehst das schon durch.“ Sie holte noch einmal tief Luft und steuerte dann entschlossen aufs Haus zu.

Es war ja schließlich nicht das erste Mal, dass Zach zu einem Kurzbesuch nach Hause kam. Und es war ja auch nicht so, als wäre sie ihm seit dem Tag, als er sie so kühl zurückgewiesen hatte, nicht begegnet. Sie hatte ihn sogar mehrmals wiedergesehen, und sie hatten beiläufig ein kurzes Hallo und ein „Wie geht’s dir“ ausgetauscht. Sie blieb stehen.

Aber sie hatte ihn nicht gesehen seit dem Tag, als sie ihre Heirat angekündigt hatte, eine Heirat, die sich später als ein katastrophaler Fehltritt entpuppte.

Na, war sie nicht der Inbegriff der erfolgreichen Karrierefrau? Einunddreißig Jahre alt, geschieden und lebte bei ihrer Mutter, dachte Beth sarkastisch. Und zu allem Überfluss versank sie jetzt auch noch in Selbstmitleid.

Beth riss sich zusammen. Inzwischen war das neue Jahrtausend angebrochen. Scheidung war keine Krankheit, und die Rückkehr in ihr Elternhaus bedeutete ja nicht, dass ihr Leben ein kompletter Misserfolg war. Beides war einfach eine Tatsache.

Genau genommen war Zach Ashton ja nichts weiter als eine Kindheitserinnerung. Zwar hatte er einen fast schon legendären Ruf als der reichste, begehrteste Heiratskandidat von ganz Higdon Country. Alle Mädchen waren in ihn verliebt gewesen. Aber das war damals, und heute war heute. Sie kannte mehr als genug Anwälte. Vermutlich war er längst zu dick, kriegte eine Glatze und brauchte eine Lesebrille.

Wie lange hatte sie ihn eigentlich nicht mehr gesehen? Fünf Jahre? Das müsste ungefähr hinkommen. Er war kurz zu Hause gewesen, als Mrs Ashton nach ihrem Herzanfall ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Beth hatte damals an einem Ärztekongress teilgenommen. In den vier Monaten, seit sie wieder bei ihrer Mutter lebte, hatte Zach sich nicht blicken lassen.

Jetzt fühlte sie sich schon bedeutend wohler. Sie mochte geschieden sein und bei ihrer Mutter leben, aber immerhin hatte sie es verstanden, sich ihre gute Figur zu erhalten. Sie achtete sehr sorgfältig auf ihr Äußeres. Jeden Tag joggte sie fünf Kilometer, und sie ging regelmäßig zum Fitnesstraining. Ihre Haut war immer noch zart, und sie hatte kein einziges graues Haar auf dem Kopf. Und ihr Gehalt als Ärztin erlaubte es ihr, sich gut anzuziehen, wenn sie ihr Geld klug investierte.

Normalerweise jedenfalls.

Heute war sie eher lässig gekleidet, da sie ihrer Mutter im Garten geholfen hatte und keinen Bereitschaftsdienst hatte. Mit ihren fünfundsechzig Jahren war Helen um einiges langsamer geworden, weigerte sich jedoch, den Gärtner an ihre Rosen heranzulassen – die Rosen, die Beths Vater gepflanzt hatte.

Beth lächelte. Seit sie wieder hier wohnte, war es das allermindeste, ihrer Mutter ab und zu zur Hand zu gehen. Außerdem hatte sie Blumen immer geliebt! In ihrer Freizeit zog sie eben am liebsten Jeans und T-Shirt an. Und selbst wenn der Präsident heute Nachmittag vorbeikommen würde – was ging es sie an! Sie hatte nicht vor, sich anders zu verhalten als sonst.

Das Geräusch eines Wagens, der in die Einfahrt bog, brachte sie unvermittelt in die Gegenwart zurück. Langsam drehte sie sich um und hielt die Hand über die Augen, um sich gegen die Sonne zu schützen. Bitte lass es nicht ihn sein, lieber Gott, betete sie. Ich weiß, gerade habe ich noch gesagt, dass es mir egal ist, aber das war ja bloß eine Notlüge. Ich muss mich erst darauf vorbereiten, diesem Mann gegenüberzutreten.

Ein roter Sportwagen bremste, und dann stieg der Fahrer auch schon aus und streckte sich, als hätte er viel zu lange hinter dem Steuer gesessen. Beth erkannte den Wagen zwar nicht wieder, hatte aber die untrügliche Ahnung, dass es Zach war. Als er in ihre Richtung blickte, setzte ihr Herzschlag aus. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sie schließlich erkannte.

„Beth!“

Mit großen Schritten kam Zach Ashton auf sie zu, und ihr war, als hätte ihr Herz ihr jetzt völlig den Dienst versagt … was natürlich unmöglich war, denn sie fiel ja nicht tot um.

Er war nicht dick.

Kriegte auch keine Glatze.

Und ebenso wenig hatte er eine Brille auf.

Er war einfach vollkommen. Genau so, wie sie ihn in Erinnerung hatte: groß, schlank und umwerfend attraktiv! Seine Kakihose mochte zwar von der Reise zerknittert sein, aber das marineblaue Polohemd, das seine perfekten Brustmuskeln und breiten Schultern betonte, glich das schon längst wieder aus.

Er blieb vor ihr stehen, nahm seine Designersonnenbrille ab und zog sie fest an sich.

Er duftete nach frischer Luft und Sandelholz. Und in seinen starken Armen zu liegen, war einfach himmlisch. Etwa zwei Sekunden lang kämpfte sie gegen den Drang, ihre Wange an seine Brust zu schmiegen, dann gab sie jeden Widerstand auf. Wie oft hatte er sie so gehalten! Zum Beispiel als Sammy Potter sie von der Schaukel geschubst hatte. Als sie mit elf ihre Periode bekommen hatte und akzeptieren musste, dass sie ein Mädchen war. Und schließlich nach dem Tode ihres Vaters, als die Verzweiflung sie übermannte. Damals war sie sechzehn gewesen.

Schließlich trat Zach zurück, hielt aber immer noch ihre Taille umfasst. Er schaute zu ihr hinunter. „Mann, du siehst fantastisch aus.“

Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie sah alles andere als fantastisch aus in Jeans, T-Shirt und den alten Turnschuhen. Außerdem war sie verschwitzt und schmutzig vom Wühlen in den Blumenbeeten.

Sie sah – verflixt noch mal – wie eine Vogelscheuche aus.

„Hallo, Zach“, stieß sie hervor. „Du siehst … großartig aus.“

Und das war die reine Wahrheit. Er hatte immer noch dunkelbraunes und volles Haar, selbst wenn er es jetzt kürzer geschnitten trug. Und diese Augen! So klar und blau wie damals. Sie schmolz dahin unter seinem Blick. Und erst sein Gesicht! Wie konnte jemand, der fast vierzig war, noch so unverschämt gut aussehen? Hier und da hatte sich ein kleines Fältchen eingegraben, was seinem Gesicht aber nur noch mehr Charakter verlieh.

„Mensch, hast du mir gefehlt!“, sagte er. „Was machst du denn hier? Besuchst du deine Mom?“

Das war’s. Was von ihrer selbstbewussten Fassade noch übrig war, brach in sich zusammen. Sie war nicht nur geschieden und lebte bei ihrer Mutter – sie war immer noch in Zach Ashton verliebt!

„Nein“, gestand sie, und ihre Worte fielen überlaut in die Stille. „Ich wohne wieder hier. Ich arbeite im Cartersville General Hospital.“

Als sie sein erstauntes Gesicht sah, fühlte sie sich zutiefst gedemütigt.

„Ich dachte, du wärst glücklich ver…“

Sie schüttelte den Kopf und schnitt ihm das Wort ab. „Nicht mehr.“ Offenbar hatten beide Mütter Wort gehalten und Beths gescheiterte Ehe nicht erwähnt.

Zach ergriff ihre linke Hand und inspizierte ihren Ringfinger. „Ich …“ Er blickte ihr besorgt in die Augen. „Tut mir leid.“

Beth setzte ein künstliches Lächeln auf. „Mir nicht.“ Sie befreite ihre Hand. „Deine Mutter ist im Haus. Sie erwartet dich bestimmt schon sehnsüchtig.“

Er nickte geistesabwesend. „Ja, natürlich.“ Unvermittelt zeigte er mit dem Daumen auf seinen Wagen. „Ich sollte wohl besser meine Koffer holen.“

Beth blinzelte. „Deine Koffer?“

Das aufreizende Lächeln, das den Frauen des ganzen Distrikts – und denen des benachbarten obendrein – den Kopf verdreht hatte, erschien auf seinem ungemein attraktiven Gesicht. „Hat sie es dir denn nicht erzählt? Ich mache ein bisschen Urlaub. Ich bleibe zwei Wochen hier. Deshalb bin ich mit dem Auto gekommen, statt den Flieger zu nehmen.“

Zwei Wochen?

Zwei Wochen Tür an Tür mit ihm – das würde sie nicht überleben! Garantiert würde die Vergangenheit zur Sprache kommen. Er würde darüber reden wollen. Sie würde … Entschlossen verbot sie sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

„Ich hab mir überlegt, dass ich vielleicht bei den Vorbereitungen zur Geburtstagsparty helfen könnte“, fügte er hinzu, als sie nicht antwortete.

„Das ist ja … großartig“, stieß sie hervor. „Einfach großartig.“

Er wich ein paar Schritte zurück, ohne diese faszinierenden blauen Augen von ihr abzuwenden. „Wie wär’s mit einem gemeinsamen Abendessen oder so“, schlug er beiläufig vor, in diesem unnachahmlichen erotischen, maskulinen Tonfall, der ihm angeboren schien wie das Atmen.

„Klar, gern“, log sie.

Ein gemeinsames Abendessen kam überhaupt nicht infrage. Sie konnte nicht mit ihm zusammen essen. Sie konnte gar nichts mit ihm zusammen unternehmen. Panik stieg in ihr auf. Was war denn plötzlich in sie gefahren? Würde es denn nie aufhören, dass sie in seiner Gegenwart den Kopf verlor?

Autor

Debra Webb
Debra Webb wurde in Alabama geboren und wuchs als Tochter von Eltern auf, die ihr beibrachten, dass alles möglich ist, wenn man es nur zielstrebig verfolgt. Debra liebte es schon immer, Geschichten zu erzählen und begann schon mit neun Jahren zu schreiben. Die Farm, auf der sie aufwuchs bot viel...
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